Krimi
Die Handlung in diesem Krimi ist erdacht. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Ereignissen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, an denen die Geschichten spielen, dienen lediglich der Illustration und stehen in keinem tatsächlichen Zusammenhang zu den geschilderten Vorfällen.
Maria Reinartz
Die Sieg siegt immer
Krimi
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© Herbst 2015
Titelfoto: Alexander Adscheid
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Maria Reinartz,in Bergheim an der Sieg geboren und geblieben. Aufgewachsen am Ufer des Diescholls, einem Altarm der Sieg mit sagenumwobenen Erzählungen.
Nach „Aus den Tiefen der Sieg“ veröffentlicht sie ihren zweiten Krimi um den Kommissar Kaspar Heimberg und die Kommissarin Lissy von Berg im Verlag ratio books. Es entstand bereits der Krimi „Schwanentod“ und die Fabel „Luna‘s Traum“.
www.siegauenkrimi.de
Der Unterlauf der Sieg wird oft bis zu dreimal im Jahr überflutet. Jetzt ist bereits Frühjahr, das dritte Mal drängte das Wasser auf Wiesen und Auen und überflutete weite Teile, bis hin zum Rhein. Sturmböen peitschten das Wasser voran. Das Restaurant ‚Zur Siegfähre‘ liegt bald wieder auf einer Insel, weil es vor den Dämmen steht, direkt am Ufer der Sieg.
Heute war es vollkommen still hier unten an der Sieg, an diesem Morgen. Bis der heimtückische Schuss fiel und das Wasser sich rot färbte. Unbeeindruckt rief der Kuckuck seinen Namen. „Wie gut, dass Hochwasser alle Spuren vernichtet“, sagte der Mörder.
Endlos lange schon standen die Pappeln im Gras, immer wuchsen sie und wurden wieder kleine Bäume. Es geht die Sage, wenn das Hochwasser steigt, kommen die Auenfeen, die mit dem Nebel lautlos durch den urigen Siegauenwald schweben zu den alten Bäumen. Sie plaudern über die Menschen, die Guten und die Bösen. Die Klage der Guten verwandeln sie und führen sie weg vom Scharlatan. Und die Bösen?
Für die Freunde des regionalen Krimis
Kaspar Heimberg, Leiter der Mordkommission, der, wenn er in der dialektischen Denkphase ist, mit einem Satz die ganze Bandbreite der Situation beschreibt. Die Ermittlungsarbeit betreibt der fuchsschlaue Kommissar folgerichtig in Hochdeutsch.
Lissy von Berg, Kommissarin für Kunstraub / Bonn Rhein-Sieg
Frau Dr. Blum, Staatsanwältin
Frank Junk, Kommissar
Guido Schon, Kommissaranwärter
Otto Knopp, Chef des Erkennungsdienstes
Dr. Wilfried Winkler, Rechtsmediziner
Sven + Gerd, Polizeibeamte
Nikki Schneider, Sekretariat
Dr. Justus Tanner, Psychologe und Freund von Marlene, väterlicher Freund von Lissy
Michel Bund, Biologe und Jagdaufseher der Siegaue, Freund von Lissy
Vera von Rheinfeld, Leiterin des Bilderbuchmuseums Burg Wissem
Gustav Waiden, Staatsanwalt a.D.
Prof. Klaas Breda, Prof. für Kunstgeschichte
Ruth Richter, Nachbarin von Prof. Breda und Freundin von Marlene
Prof. Erwin Weiler, Auktionshaus Weiler in Bonn, Freund von Prof. Breda
David Köhler, Hubert Wagner, Studenten
Augusta Seifert, Verkäuferin im Second-Hand-Laden Siegburg
Grete und Schorsch, Wirtsleute der Kneipe ‚Op dr Eck‘. Schorsch redet nur mit demjenigen Dialekt, der ihn selber spricht. Grete lässt gerne die feine Dame raushängen. Im Rheinland heißt das ‚Hochdeutsch mit Knubbele‘.
Marlene, die ‚Troosdorfer‘ Kioskbesitzerin, bemuttert diejenigen mit Hingabe, die sie in ihr großes rheinisches Herz geschlossen hat. Sie verteufelt aber die, die sie nicht leiden kann.
Hein, Bewohner der Siegaue bekundet sein momentanes Befinden kurz und schmerzlos mit ein paar Worten in vertrauter Sprache. Ansonsten spricht der ehemalige Flusskapitän auch einfaches Hochdeutsch.
Einige Romanfiguren, erinnern mit Vergnügen an unseren Dialekt, die vertraute Sprache und Lebensgewohnheiten der Menschen an Sieg und Rhein.
„Die Haupsaach es, et Hätz es jot!“
„Die Hauptsache ist, das Herz ist gut.“
Der Regen peitschte seit Tagen durch die Lüfte und kündigte das heranziehende Hochwasser an. Die schwarzen Wolken trieben die Angst vor sich her und machen die Furcht vor dem Hochwasser an Rhein und Sieg Jahr für Jahr wieder greifbar. Es war Donnerstag, der Pegel der Sieg begann durch Regen und Schneeschmelze zu steigen. Bereits freitags war laut der regionalen Zeitung der Wasserstand von ursprünglich 80 Zentimeter auf über drei Meter angestiegen. Die Schifffahrt auf dem Rhein war gefährdet und deshalb eingeschränkt. Hein, der alte Flusskapitän, der seit Jahren kein Schiff mehr lenkte, weil ein Arm von einer Schiffsschraube zerfetzt wurde, spürte das Wetter an seinen Narben. Sein Mund unter dem buschigen Schnurrbart zuckte. Er kratzte sich unter der schmuddeligen Kapitänsmütze und ließ das Wasser nicht aus den Augen. Blitzschnell hatte das Hochwasser die Siegfähre am gestrigen Tag eingeschlossen und wälzte sich nun durch das Restaurant. Hein und der Wirt Alex waren die Letzten an diesem Ort. In majestätischer Breite nahm das Wasser Besitz von Land und Natur und führte eine Stimmung mit sich, die kaum zu beschreiben war. Die beiden flüsterten miteinander, als ob sie sich fürchteten, dass der Klang ihrer Stimmen die Naturgewalt noch mehr verärgern könne. Rhein und Sieg hatten sich zu einem großen See vereint.
Die Feuerwehr musste die Zufahrtsstraßen von Bergheim zur Siegfähre sperren und die Hochwasser-Schranken oberhalb im Dorf schließen. „STOP. Es wird nicht mit dem Leben von Menschen gespielt“, stand auf einem Schild. Drohte die Katastrophe? Nervös lauschte der Wirt den aktuellen Hochwassernachrichten. Hoffentlich nicht wie 1993, als der Pegelstand in Köln 10,63 Meter maß, damals war nur noch die Dachspitze seines Restaurants zu sehen. Wie jedes Jahr war auch jetzt alles bewegliche Mobiliar rausgeschafft und im Lager oben im Dorf verstaut.
Alex überprüfte täglich, wie die Lage war und hoffte inständig, dass bald der Pegel auch weiter abnahm. Mit schaurigen Erinnerungen stand Hein manchmal am Rande der Flut. Die Sieg, die so unbändig sein konnte, forderte immer wieder ihre Opfer – und er hat schon viele gesehen und herausfischen müssen. Alte Leute, die vom Wasser überrascht wurden, junge Leute, die todesmutig die Fluten unterschätzen … und auch Kinder. Er wollte nicht daran denken, aber auch heute hatte er die seltsame Überzeugung, dass sich nicht alles zum Besten fügte. „Schluss mit den dunklen Gedanken“, dachte er, und nahm einen Schluck aus seinem Flachmann.
Ein paar Tage später.
Da, endlich! Die herbeigesehnte Hochwassernachricht über Funk. Der Pegel sinkt! In den nächsten Tagen konnten die Aufräumarbeiten beginnen. Erleichterung! Die Situation entspannte sich. Nach dem großen Regen zeigte sich ein milder, zögerlicher Sonnenstrahl.
„Die Drecksarbeit kann beginnen!“, besprach sich Alex mit Hein, seinem treuen Helfer. Seine Angestellten packten den Schlauch mit dem Hochdruckdampfstrahler in den Landrover und fuhren runter zur Siegfähre, jedenfalls so weit sie kamen, denn Treibgut und Bäume versperrten die Straße.
Wenn, wie alle Jahre wieder, die Flutwellen durch das Restaurant geschwappt sind, heißt es, den Schlamm zu entfernen, so lange er noch feucht ist. Nach dem Trocknen und Schrubben der Innenräume des Gasthauses tritt der Dampfstrahler in Aktion, um die Terrasse von den Schlammresten zu befreien. Es blieb dem Wirt keine andere Wahl, als innen alles neu zu streichen und die Elektroinstallationen auszubessern. Aber auch das gehörte eben zum Geschäft. Spätestens bis zum Gründonnerstag musste alles fertig sein – und viel Zeit war nicht mehr – denn dann begann die Saison an der Siegfähre. „Verglichen mit früheren Wassermengen bin ich dieses Mal sogar noch glimpflich davon gekommen“, dachte sich Alex. Kein Vergleich etwa mit Hochwasserlagen vergangener Jahre, wie die Messlatte zeigte. „Eine marode Pappel muss gefällt werden, sie droht auf das Restaurant zu fallen,“ bespricht sich Michel der Jagdaufseher mit dem Wirt. Wenn nur noch Matsch zurückbleibt, ist es auch die Pflicht des Jagdaufsehers, nach dem Rechten zu schauen.
„Die Arbeiter des Bauhofes Troisdorf sind bereits eingetroffen, um im Pappelwald in der Aue die Schäden zu beseitigen, daher können sie direkt die Pappel am Ufer mit fällen“, meinte der Wirt.
Der Wirt ging als Erster durch das sieben Grad kalte, abfließende Hochwasser, um mit dem Schlauch den Schlamm aus den Sträuchern des Ufergebüschs weg zuspritzen. Die Frühblüher trugen bereits ihr frisches Blätterkleid und sanft wehte der Wind über die bizarre Landschaft. Er duldete niemanden in der Gefahrenzone, auch nicht Michel Bund. „Na, Alex, dann geh mal an die Front“, grinste Michel ihn an – im Hochwasser waren die Fronten klar geregelt.
Eine dunkle Wolkenkarawane spiegelte sich in der glatten Hochwasserfläche und gespenstisch schlängelten sich Strömungen wie ein Schlauch durch den Fluss.
„Es wird Zeit, dass die wieder zu dem wilden Ufergebüsch gedeihen“, murmelte er vor sich hin und hielt den kräftigen Strahl mitten hinein in die Büsche. Abfälle, Morast und Schlamm wurden in die Sieg gespült.
Urplötzlich brüllte er „Wasser abdrehen!“ und knickte sogleich den Schlauch, um das Wasser einzuhalten. Was er unerwartet vor sich liegen sah, war kein Treibgut. „Oh, Gott, Mann, Sakkra! Ein Mensch!“ Sein entsetztes Gesicht war weiß wie die Wand und die Aufregung ließ seine Beine bedrohlich zittern. Lebte er noch? Mit rasendem Herzen stierte er auf diese Gestalt. Der mit Matsch und gefaulten Blättern überzogene Mensch lag auf dem Rücken. Er wurde einen Augenblick von Gräuel erfasst und Brechreiz stieg in ihm hoch. Ein Arm schnellte hoch. Wasser spritzte. Instinktiv sprang er einen Schritt zurück und landete hinterrücks im Wasser. „Mann! Der lebt“, schrie er. „Der bewegt sich!“ An einem im Wasser hängenden Ast zog er sich hoch und versuchte den Arm zu fassen. Aber er lag leblos im Wasser. Es waren nur die Strömungen des abfließenden Wassers, die den Arm so bewegten, dass es aussah als würde er winken. Hein und Michel riefen gleichzeitig „Was ist los?“
Hein war nicht mehr zu halten und watete ins Wasser. Es spritzte nach allen Seiten und seine Schritte wurden immer beschwerlicher, weil die Stiefel sich in dem Matsch festsaugten. Außer Atem bei Alex angekommen, schaute er mit aufgerissenen Augen: „Der es jo duut!“ Er bekreuzigte sich und nahm andächtig seine Kappe ab. Hein nickte vor sich her. „Heilije Mutter Jottes. Et is doch noch immer wie fröher, die Sieg hät wieder ene jenomme!“ Alex meinte mit belegter Stimme „Ne, der ist nicht erst seit gestern tot.“
Hein würgte. Er beugte sich zur Seite und erbrach sein Frühstück aus. „Schad um dat schöne Rührei mit Speck“, brummelte er „Ich bin einfach zo alt für suu jett.“
„Geh wieder zurück, Hein, ich rufe die Polizei.“ Aus der wasserdichten Hosentasche zückte Alex sein Handy. „Bitte dringend die Mordkommission, Herrn Hauptkommissar Kaspar Heimberg“, erklärte er der Zentrale des Kommissariats West in Troisdorf.
„Tu mal durchstellen“, sagte Kaspar dem Kollegen an der Telefonzentrale. „Ein Toter liegt hier. Ja! Ich habe einen angeschwemmten Hochwassertoten gefunden, im Ufergebüsch unweit von der Siegfähre!“ Kaspar kam die aufgeregte Stimme am anderen Ende der Leitung direkt bekannt vor. „Junger Mann, holen Sie erst mal Luft, ävver net op die Leich gucke. Sie senn doch der Wirt, der im letzten Johr dä Heinrich von Berg unger däm Pfeiler der Brücke jefonge hät. „Ja“, sagte Alex „und jetzt liegt schon wieder ein Toter hier, eine fiese Hochwasserleiche. Grausames Treibgut.“
„Wieso meinste Treibgut?“, fragte Kaspar bereits im Stehen. „Na, weil der hier mitten im Treibgut die Sieg runter schwimmt“, antwortete der Wirt. „Pass mol op, ich kann in fünefzehn Minute bei dir senn, bringe och ming Mannschaft met, kannste sulang stonn blivve un oppasse?“, sprach Kaspar betont kumpelhaft zu ihm, um ihm die Aufregung zu nehmen. „Rüsten Sie sich aber mit Gummistiefeln aus, hier ist noch alles voller Schlamm“, rief Alex am Telefon. Er wollte wegen fehlender Kleidung der Beamten nicht unnötig länger am Fundort stehen. „Juut, besorge ich alles, bis gleich“, antwortete Kaspar.
„Frank, Guido, wahrscheinlich Hochwasserleiche in der Siegaue, Höhe Siegfähre. Die KTU und wir müssen uns schnellstens mit Stiefeln ausstatten, da ist noch Hochwasser. Die Rechtsmedizin in Bonn informiere ich“, delegierte er souverän sein Team. „Und wo bekommen wir Stiefeln her“, erkundigte sich Guido. „Us däm Asservatendepot natürlich, du Hannes. Ävver jank mir us dä Föß“, schüttelte Kaspar den Kopf.
„Dat Asservatendepot hier im Haus muss aber noch gebaut werden“, konterte Guido. „Komm, Kollege, im Keller haben wir gesammelte Gummistiefeln“, schmunzelte Frank und zog Guido mit sich.
Guido schnappte sich seine kleine Warmhaltekanne mit Kaffee. „Man weiß ja nie wie lange es dauert“, war sein Slogan. Zügig hatte Frank das Auto gepackt, setzte das Blaulicht auf das Dach des Audis und raste durch die Dörfer nach Bergheim.
Alex seufzte erleichtert, als er das Blaulicht hörte, jetzt würde er bald von dem grausamen Ort weggehen können.
„Dat senn Hauptkommissar-Steffele“, sagte Kaspar mit einem klitzekleinen Blinzeln zu Frank und holte sich das schwarze Paar aus dem Kofferraum, während Frank die gelben Stiefel nahm. Warum ahnte Guido bereits, dass er die kurzen roten Stiefeln würde anziehen müssen. „So ein Mist, das sind doch bestimmt die von der Lissy“, grummelte er. „Wo ist Lissy überhaupt?“ „Hat mit ihren Kunstraubkunden im Moment mehr als genug zu tun. Sie ist ja schließlich die Chefin der Abteilung für Kunstraubdelikte“, informierte Kaspar. Dann watete die Prozession im Entenmarsch im tiefsten Matsch auf Alex zu. Kaspar führte an, Frank, Guido und Otto Knopp, der Chef des Erkennungsdienstes gingen dicht hinter ihm.
Guido mühte sich im Gestrüpp, den Kontakt zu Frank nicht zu verlieren. Ärgerlich watschelte er als Schlusslicht, weil sich bereits eine kleine Menge Wasser in seinen kurzen Stiefeln angesammelt hatte.
„Danke Jung für et waade“, klopfte Kaspar Alex auf die Schulter und ließ sich von ihm kurz beschreiben, wie es zu dem Fund kam. Aus der Rechtsmedizin Bonn erreichte sie bereits Dr. Wilfried Winkler. „Tach Wilfried, schön das du so schnell kommen konntest.“ Und das ganze Team begriff, Kaspar redet Hochdeutsch: Die Ermittlungen hatten begonnen. Wilfried nickte kurz freundlich in die Runde und beugte sich dem Toten zu. „Ich hatte vorher kurz mit dem Wirt gesprochen, der sagte mir, das das Wasser an dieser Stelle vor zwei Stunden abgeflossen ist. Dementsprechend liegt die männliche Leiche jetzt im Feuchten und der Beginn der Fäulnis verbreitet sich seit dem sehr schnell. Die Haut verfärbt sich Grün und die Fäulnisgase sind auch schon zu riechen. Todesursache war aber offensichtlich ein Schuss ins Herz, wahrscheinlich aus einem Kleinkaliber .22, das wäre typisch für ein Jagdgewehr. Entsprechend dem schwierigen Zustand kann ich das Alter hier am Ort nur schätzen. Zwischen 40 und 50 Jahren, denke ich. Er sollte schnellstens in die Rechtsmedizin, weil die Fäulnis an der Luft rasant fortschreitet.“
„Danke Dir, Wilfried. Demnach haben wir einen eindeutigen Mord“, stellte Kaspar fest.
Otto Knopp drehte vorsichtig die Leiche und beschrieb Treibverletzungen von Steinen und Ästen an Kopf und Beinen. „Er wird sicherlich nicht Kilometer getrieben sein, dann müsste er mehr Verletzungen haben. Aber ein paar Bahnen wird er hier schon gezogen haben“, grinste Otto. Als er Kaspars Blick sah, murmelte er „Tschuldigung“ und fuhr mit sachlicher Stimme fort „Mit seinem linken Fuß blieb der Körper an diesem Busch hängen, sonst wäre er möglicherweise noch bis zur Siegmündung getrieben.“ Otto streckte seine Glieder und schaute auf Kaspar, der ihn gespannt ansah. „Ich schätze, in höchstens 500 Meter zurück ist der Tatort.“
Guido hob abwechselnd ein Bein nach dem anderen aus dem Matsch.
Kaspar klopfte ihm auf die Schulter. „Keine Sorge Du säufst nicht ab. Aber hübsch siehste aus mit den Stiefeln.“
Kaspar verließ erfüllt von Tatendrang diesen unseligen Ort. Für eine Zehntelsekunde fiel ihm auf, dass er keine Kopfschmerzen mehr hatte. „Juut, wor veelech vom Wetter oder vom Nacke“, beruhigte er sich. Er gesellte sich zu Alex und Michel, die sich auf einen gekippten Baumstamm gesetzt hatten. Mit schmutzigen Händen hatte sich Alex durch das Gesicht gerieben, man sah noch deutliche Spuren auf seiner Stirn und Nase. Seine Helfer waren immer noch ganz aufgelöst von der grausamen Nachricht. Hein kauerte fix und fertig an der Hauswand des Restaurants. „Nä, alles wedder wie fröher“, erinnerte er sich. Guido war im Begriff seine Thermoskanne zu öffnen, da riss sie ihm Hein förmlich aus der Hand, verstärkte den Kaffee noch mit einem kräftigen Schuss aus seinem Flachmann und trank. „Danke Jung. Ich sach et dir, die Sieg siegt immer!“
Kaspar winkte seine Kollegen zu sich. „Unsere große Frage ist, wenn der Fundort nicht der Tatort ist, von wo könnte die Leiche getrieben sein? Wo ist der Tatort in 500 Meter Entfernung?“ Alex schaute zu Kaspar. „Die Leiche muss gar nicht weit getrieben worden sein. Als Tatort würde ich gleich links neben dem Standort des Kassenhäuschens in Richtung gehen zu der Stelle, wo der Mühlengraben in die Sieg mündet. Wenn ich einen umbringen wollte, dann würde ich auch in diese Fließrichtung der beiden Gewässer gehen“, schloss er seine Anschauung bereits wieder mit einem schiefen Grinsen.
Frank stellte sich neben Kaspar und warf die Frage auf „Was tat der Tote hier unten am Hochwasser?“
„Und mit wem traf er sich hier? Hatte er eine Auseinandersetzung? Wurde er heimtückisch ermordet? Der Mörder hatte nur einen Rückweg, um zu verschwinden. Es gibt bestimmt auch Schaulustige, die das Hochwasser beobachteten“, erklärte Kaspar.
„Hm, aber wer geht hier unten im Hochwasser mit einem Jagdgewehr spazieren?“, warf Otto ein. Kaspar ging zu Michel, „Was meinst Du? Wer hat so ein Gewehr?“ „Um diese Zeit geht niemand so einfach mit einem Jagdgewehr spazieren.“
„Da müssen wir noch drüber reden.“
Otto machte sich in die Richtung, die der Wirt als eventuellen Tatort vermutete. Hinter dem Kassenhäuschen weiter unter den Pfeilern empfing ihn nur noch wilde Siegaue. Kein Haus und kein Mensch, nichts war zu sehen. Matsch und Gestrüpp bedeckten teilweise noch die dicken Basaltsteine, direkt am Brückenpfeiler. Ein kleiner Pfad wurde im abfließenden Wasser erkennbar. Otto blieb stehen, um das wilde Ufergebüsch in Augenschein zu nehmen. Vor dem Stamm einer Kopfweide, der schief ins Wasser ragte, mündete der Mühlengraben in die Sieg.
„Hier könnte also der Bereich des Tatortes sein. Dann wollen wir mal schauen, ob wir irgendeinen Hinweis finden.“ Er rief seinen Trupp zu sich. „Kollegen, ich hoffe auf Stofffetzen an Ästen. Mörder und Opfer mussten sich hier durch die Wildnis schlagen, um an den Fluss zu kommen.“
Die Kollegen der Spurensicherung in Stiefeln und weißen Overalls verteilten sich, was einem schon Angst und Schrecken einjagen konnte.
Ein Angler, mit Stiefeln bis unter die Arme, erschien es Otto, ließ sich in der Mitte des Flusses nicht ablenken. „Ich habe einen Karpfen aufgespürt“, rief er stolz.
„Sagen Sie mal guter Mann, haben Sie die letzten Wochen in dieser Ecke auch Angler gesehen?“
„Ja hin und wieder sitzt schon mal einer hier am Ufer. Zwischen Mühlengraben und Sieg gibt es genug Rotaugen.“ Otto ließ seine Kollegen weiter suchen und machte sich zurück zur Gaststätte ‚Siegfähre‘, um Kaspar zu informieren. Der Leichenwagen fuhr vorbei und Dr. Winkler nickte aus dem Auto.
Lissy, hatte sich als neue Leiterin des Dezernates für Kunstraub trotz der Ermordung ihres Vaters, des bekannten Heimatforschers Heinrich von Berg, gut eingearbeitet. Er war kurz vor ihrem Dienstbeginn ermordet worden. Vor allem war es Kaspar Heimberg, der ihr väterliche Ratschläge gab. Es ging oft hoch her. Das bisherige Repertoire der Gaunereien in Troisdorf reichte von obskuren Firmen mit Mafia-Methoden, illegalem Kunstraub in Verbindung mit Hanfanbau, Schwarzmarkt für alle möglichen Betrügereien bis zum Raub großer Gemälde aus dem Bürgerhaus.
Die Ablenkung konnte ihre Trauer erleichtern. So kam der spektakuläre Kunstraub in Köln, dessen Spur in den Rhein-Sieg-Kreis führte, zur richtigen Zeit. Mit den Kollegen der Nachbarstädte wurde sie in die Recherchen eingebunden. Letztlich wurde der Gauner in Rotterdam festgenommen. Immerhin hatte sie den Alltag der Kunstraubdezernate kennengelernt.
Eigentlich wollte sie heute mal aufräumen. Sie hatte noch die Unterlagen auf dem Tisch über den besonderen Fall von Kunstdiebstahl im Stadtmuseum. Wie es den Tätern gelungen war, die Vitrinen zu öffnen, war bis jetzt für alle noch ein Rätsel.