Cover

Über dieses Buch:

Kuschelweiche Mädchenträume? Die sind eindeutig nichts für July: Sie ist Pessimistin aus Leidenschaft und immer auf das Schlimmste gefasst. Bis zu dem Tag, als sie einen Schlag auf den Kopf bekommt. Auf einmal hat July allerbeste Laune. Sieht die Dinge positiv. Freut sich des Lebens und ist sicher, dass die große Liebe näher ist, als sie für möglich gehalten hätte. Alles könnte so schön sein … wenn Julys neuer Optimismus sie nicht von einer Katastrophe in die nächste stolpern lassen würde. Sie braucht ganz dringend ihren alten Pessimismus zurück! Oder?

Über die Autorin:

Gabriella Engelmann, geboren 1966 in München, lebt in Hamburg. Sie arbeitete als Buchhändlerin, Lektorin und Verlagsleiterin, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen, Kinder- und Jugendbüchern zu widmen begann.

Bei dotbooks veröffentlichte Gabriella Engelmanns bereits die vier Kurzromane der Glücksglitzern-Serie »Ein Kuss, der nach Lavendel schmeckt«, »Zeit der Apfelrosen«, »Inselglück und Friesenkekse« und »Der Duft von Glück und Friesentee«, den Roman »Nur Liebe ist schöner« sowie die Kurzromane »Eine Liebe für die Ewigkeit«, »Verträumt, verpeilt und voll verliebt«, »Te quiero heißt Ich liebe dich«, »Kuss au chocolat« und »Dafür ist man nie zu alt«.

Die Website der Autorin: www.gabriella-engelmann.de
Die Autorin im Internet: www.facebook.com/AutorinGabriellaEngelmann

***

eBook-Neuausgabe November 2015

Copyright © der Originalausgabe 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/S_L

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-335-4

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Schluss mit lustig« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Gabriella Engelmann

Schluss mit lustig

Roman

dotbooks.

Für meine Liebsten: Steffi und Schnitzel-Peer

KAPITEL 1
Schlag nach bei Freud!

Mit dem Optimismus ist das so eine Sache: Er ist einfach nichts für Pessimisten. Und genau deshalb würde ich momentan am liebsten meine beste Freundin Mona ermorden. Denn die hört heute mal wieder gnadenlosen Mist im Radio:

Always look on the bright side of life.

Always look on the light side of life.

»Mona, kannst du das bitte abstellen? Diese Denk-positiv-Kacke turnt echt ab!«, kreische ich und biege Richtung Badezimmer.

If life seems jolly rotten.

There's something you've forgotten.

And that's to laugh and smile and dance and sing.

Doch der Song der Komiker von Monty Python bleibt nicht das einzige Ärgernis an diesem Samstagvormittag: Meine dunklen Locken sehen aus, als ob jemand aus Wollresten ein Käppi stricken wollte, und ein Pickel wohnt auf meiner Nase und scheint sich dort ziemlich wohlzufühlen.

Schön geht irgendwie anders!

Und die größte Katastrophe: Wir haben kein Nutella mehr.

Genervt starre ich erst auf mein Frühstücksbrettchen mit den Totenkopfmotiven, dann auf die Papierserviette mit den pinkfarbenen Herzchen und schließlich in das Gesicht meiner Freundin. Die blättert summend in einem Reiseprospekt, vor sich ein Brettchen mit Marienkäfern. Tja, so ist Mona: ein Knallbonbon an Frohsinn und guter Laune. Ein blonder Rauscheengel mit pickelfreiem Teint, einer zierlichen Stupsnase und den schönsten blauen Augen, die die Menschheit je gesehen hat. Ich liebe sie, ehrlich, aber manchmal macht sie mich einfach nur aggressiv.

»Sag mal, July, was hältst du davon ... « (By the way: Ich höre auf den außergewöhnlichen Namen July-Sadie. Und falls sich jetzt jemand fragt, warum, wende er sich bitte vertrauensvoll an meine Mutter.) »... spontan mit mir auf die Kanaren zu fliegen?«, fragt Mona, die Augen erwartungsvoll aufgerissen. Ja, sie kann sich über alles freuen. Besonders über schöne Aussichten: »Da sind jetzt dreißig Grad, wir können den ganzen Tag am Strand liegen, surfen, wandern und abends tanzen gehen. Und wenn wir zurückkommen, ist das Wetter in Hamburg bestimmt auch super ... «

Hmmmm.

Kanarische Inseln.

Ich weiß ja nicht ... Auf Fuerteventura möchte ich nicht tot überm Zaun hängen, auf Lanzarote gibt es nichts als rote Erde und einen Haufen Kamele, auf Gomera feucht-glitschigen Regenwald und auf La Palma ... andererseits: Ich möchte nirgendwo tot überm Zaun hängen!

»Kommt nicht in Frage«, sage ich deswegen entschieden. »Zu gefährlich!«

»Zu gefährlich?« Mona runzelt die Stirn.

»Aber klar. Hast du denn nicht Der Schwarm gelesen? Auf La Palma besteht akute Gefahr eines ausbrechenden Vulkans. Und wenn das passiert, regnet es nicht nur haufenweise Asche, sondern es entsteht auch noch ein Tsunami, der eine hundertzwanzig Meter hohe Welle vor sich hertreibt. Die kann sogar New York vernichten. Einfach so!«

»Äh«, macht Mona, was mich zufriedenstellt. Bevor sie mir weiter irgendwelche vollkommen absurden Ideen auf die Nase binden kann, schnappe ich mir die Mopo, das Drecksblatt, das meine Freundin trotz meines Protests immer wieder hier einschleppt. Mal sehen, mit welcher Horror-Schlagzeile sie heute ihren Lesern den Tag vermiesen wollen.

»Wie hoch schätzt du die Wahrscheinlichkeit ein, dass so etwas genau dann passiert, wenn wir beide dort sind?«, fragt Mona provokativ.

Doch mit dieser Masche kriegt sie mich nicht – das Spielchen kenne ich schon. Ich hasse es, wenn meine Umgebung die Ziegelstein-Theorie bemüht, um mich davon zu überzeugen, dass ein real existierendes Risiko nur ein Hirngespinst ist. Die soeben zitierte Theorie besagt, dass das Leben insgesamt eine gefährliche Angelegenheit ist und dass man – wenn man ein Rendezvous mit dem Tod hat – auch jederzeit von einem herabfallenden Ziegelstein erschlagen werden kann.

»Die Wahrscheinlichkeit liegt doch sicher bei 0,0000001 Prozent«, kartet Mona nach.

Ich kann aber auch hartnäckig sein: »Das haben sie vom großen Tsunami und dem Attentat auf das World Trade Center auch gesagt«, kontere ich grummelig und entschuldige mich innerlich bei den Opfern. Nicht dass mich irgendwann ein ähnliches Schicksal ereilt, nur weil ich sie für statistische Zwecke benutzt habe.

»Wetten, wir beide liegen gerade gemütlich auf der Luftmatratze, lassen uns die Sonne auf den Bauch scheinen, und schon geht's los. Du weißt doch: Das Grauen schlägt immer dann zu, wenn man es am allerwenigsten erwartet. Da könnte ich dir ungefähr fünfzigtausend Beispiele ...«

»Schon gut, schon gut, ich gebe auf !«, unterbricht Mona mich und schenkt uns beiden Tee ein. Dabei schüttelt sie den Kopf, wie immer nach meinen Ausführungen.

»Flieg doch mit Richy, wenn du unbedingt wegwillst«, schlage ich vor, Konstruktivität heuchelnd. In Wahrheit will ich nur in Ruhe den Artikel lesen, den die Mopo als Aufmacher hat:

FLASCHEN-MANN HAT WIEDER ZUGESCHLAGEN

Besagter Typ macht seit Wochen die Gegend um die Uni unsicher und brät wehrlosen Fußgängern vom Fahrrad aus eins mit der Flasche über. Von Motiv und Täter bislang keine Spur. Ein Armutszeugnis für die Hamburger Polizei, wenn man mich fragt. Die könnten doch mal ein paar Beamte für diesen Typen abstellen, aber nein, sie halten sich natürlich lieber damit auf, die Einhaltung des Standortschutzgesetzes auf St. Pauli zu überwachen oder gemütlich Kaffee zu trinken. Beamte eben. Falls ich vergessen haben sollte, es zu erwähnen: Mona und ich wohnen seit einem halben Jahr als WG in einer abgerockten, aber ultragemütlichen Altbauwohnung mitten auf dem Kiez. In der Talstraße 17, um genau zu sein.

Vom Balkon unseres Drei-Zimmer-Palastes sieht man Gay-Kinos, einen Sex-Shop und eine Bar. Die meisten Nutten kennen wir mit Namen, und wir wissen auch, ob's ein guter oder schlechter Tag für sie war – was die Einnahmen betrifft, selbstverständlich. Wir sind mit Mohammed, dem Besitzer des Kiosks um die Ecke, per Du und kennen jedes seiner neun Kinder. Ich finde es schöner, in dieser eigenen Welt zu wohnen als in einem versnobten Stadtteil. Wenn ich nur an Pöseldorf oder Harvestehude denke, kommt mir schon die Galle hoch.

Doch zurück zu Monas Urlaubsplänen: »Ich will aber mit dir fliegen!« Hui, jetzt hat sie wieder ihre besondere Stimme.

Ich beginne tatsächlich zu schwanken. Eigentlich ist die Idee, mal ein oder zwei Wochen zu verreisen, gar nicht so schlecht. Aber (ja, ich liebe das Wort »aber«) da gibt es, abgesehen vom Reiseziel natürlich, ein weiteres Problem: »Ich würde ja grundsätzlich gern mit dir fahren, aber im Gegensatz zu dir muss ich ein bisschen mehr für meine Kohle arbeiten.«

Das ist jetzt zwar gemein von mir, weil Mona ja nichts dafür kann, dass sie von ihren Eltern finanziert wird, solange sie auf einen Studienplatz wartet. Trotzdem muss man die Dinge auch mal beim Namen nennen!

»Aber du verdienst bei BrillantArt doch ganz gut ... «, wendet Mona ein, womit sie theoretisch ja recht hat.

Praktisch gibt es da allerdings ein klitzekleines Problem: »Momentan sieht es leider so aus, als würden die von einem Münchner Verlag geschluckt werden, und was das bedeutet, kannst du dir ja wohl denken ... « So – jetzt ist es raus.

Ich habe meine Sorge, die mich seit Wochen umtreibt, endlich laut ausgesprochen.

»Mehr Verantwortung, mehr Spaß, mehr Geld?!«, antwortet Mona, anstatt mich zu bedauern, und wieder einmal frage ich mich, wo bei ihr die Grenze zwischen Naivität und Optimismus verläuft. Dann sagt sie auch noch: »Ist doch total toll!«

Fehlt nur noch, dass sie vor Freude in die Hände klatscht.

»Ich würde es eher so ausdrücken: Umstrukturierungen, Kündigungen, Konsolidierung. Und als Erstes trifft es natürlich freie Autoren wie mich!« Ich bemühe mich, meine Stimme wie die einer knallharten Geschäftsfrau klingen zu lassen, damit Mona kapiert, dass die Sache ernst ist.

»Aber wie kommst du denn auf so einen Unsinn?«, fragt sie und schnappt nach Luft. Momentan sieht sie aus wie ein Karpfen auf Landgang. »Du redest dir doch nur wieder mal alles grundlos schlecht.«

»Wenn man die Andeutungen von Emilia ernst nehmen darf, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Magazin in eine Glamour- und People-Gazette umgemodelt wird. Da fackeln die Münchner nicht lange. Brillante Kultur ist passé, es lebe der schöne Schein!«, erkläre ich zynisch.

Emilia, die Prophetin meiner beruflichen Apokalypse, ist übrigens die Assistentin des Verlagsleiters Markus Quante und sollte es eigentlich wissen.

Schließlich geht sie regelmäßig mit ihm ins Bett.

»Ach Quatsch«, protestiert Mona und legt den Prospekt beiseite. Wurde aber auch Zeit, schließlich brauche ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

Doch Mona denkt gar nicht daran, mit mir gemeinsam Wunden zu lecken, sondern schnappt sich stattdessen die neue Life-Style, auch so ein Teufelszeug. Ich liebe meine Freundin. Aber mit ihrem fatalen Hang zu Frauenmagazinen, Daily Soaps und Casting-Shows macht sie es mir manchmal wirklich schwer. Ich wage gar nicht, daran zu denken, dass jemand mit ihren Interessen später Grundschullehrerin werden möchte. Was will sie ihren Schülern denn beibringen? Wie man sich bei der Show von Victoria's Secret als Model so bewegt, dass man nicht auf den Hintern fällt?

»Mehr als ach Quatsch hast du dazu nicht zu sagen?«

Immerhin werde ich bald zu den Ärmsten der Armen gehören, und Mona steht als Hauptmieterin im Mietvertrag – alleine kann sie sich unsere Wohnung gar nicht leisten. Aber darüber denkt sie natürlich nicht nach. Lieber wird die Gala zum hundertsten Mal durchgeblättert.

»Ehrlich gesagt nein«, sagt Mona und hat immer noch gute Laune. »Ich hab so was mittlerweile schon tausendmal gehört. Aber statt der erwarteten grauenhaften Katastrophe ist dann meistens etwas ganz Tolles passiert. Und so wird es auch diesmal sein. Wieso machst du dir eigentlich immer Sorgen über ungelegte Eier? Lass doch die Dinge einfach mal auf dich zukommen.«

Ich fasse es nicht! Mona nennt meine Existenzkrise ungelegte Eier?

»Du kannst dir doch immer noch Gedanken darüber machen, wenn es so weit ist, oder nicht?« Jetzt redet Mona mit mir wie eine Krankenschwester mit einem besonders schwierigen Patienten und legt auch noch ihre Hand auf meinen Arm.

Ich schüttele sie ab und stehe auf. »Dann ist es aber zu spät! Ich will vorbereitet sein, wenn Quante mir das Messer in den Rücken stößt.«

Mona grinst. »Wie theatralisch du immer bist!«

Wenn sie so weitermacht, passiert was ganz, ganz Schlimmes.

»Tu mir einen Gefallen und grins nicht so, Mona. Der Unterschied zu euch Frohnaturen ist, dass Leute wie wir damit umgehen können, wenn etwas Unerwartetes passiert. Wir tapern nicht mit der Think-Pink-Brille durch die Gegend und wundern uns fürchterlich, wenn uns die böse, böse Wirklichkeit brutal einholt! Wir rechnen mit allem und wissen, was zu tun ist, wenn uns eine Katastrophe ereilt!« Nun schreie ich fast, Mona grinst immer noch. Blöde Kuh!

»Du und deine melodramatischen Anfälle«, kichert sie. »Heb dir die lieber für dein Blog auf, anstatt dich in etwas hineinzusteigern, das vermutlich nie eintreten wird. Du bist eine Pessimistin, wie sie im Buche steht! So was hab ich echt noch nicht erlebt.«

»Ich bin keine Pessimistin, sondern Realistin, das ist ein ziemlich großer Unterschied!«, protestiere ich wütend.

Wir führen diese unsinnige Diskussion zum Thema innere Haltung leider häufiger. Irgendwie ist Mona fest davon überzeugt, dass ich eine echte Schwarzmalerin bin, die sich selbst im Weg steht und damit die sogenannte selffulfilling prophecy regelrecht heraufbeschwört. Als hätte ich einen Pakt mit dem Teufel, Werwölfen und Vampiren zusammen.

Ich kann ihre Befürchtungen nicht teilen. Ich würde mich eher als kritisch, vorsichtig und damit insgesamt äußerst klug bezeichnen. Und sollte ich wirklich eine Pessimistin sein, dann bin ich jedenfalls eine glückliche. So.

Denn als Optimist hat man keine Ahnung von den freudigen Überraschungen, die das Leben bereithält.

Warum kapiert meine liebe Freundin das eigentlich nicht? Will sie mich nicht verstehen? Irgendwann wird es böse mit ihr enden, sehr böse. Dann wird sie aufwachen und sagen: »Du hattest ja so recht, July, wie konnte ich nur so dumm sein?«

Aber anstatt das gleich zuzugeben, kommt nur: »Sei mir nicht böse, July, aber ich gehe jetzt lieber einkaufen. Hast du Lust, mitzukommen?«

Ich schüttle den Kopf, denn ich habe keinen Spaß daran, mein Geld für Mode und Wohnschnickschnack zu verballern. Mona hingegen LEBT für Handtaschen, weshalb wir in absehbarer Zeit bestimmt umziehen müssen. Ich kaufe lediglich schwarze Rollkragenpullis – die mir in Journalistenkreisen den Spitznamen Schwarze Feder eingetragen haben. Zu Recht, wie ich finde. Schwarze Feder klingt doch gut – unnahbar. Hart. Realistisch. (Ja, es klingt auch ein bisschen nach dem Häuptlingsnamen eines Indianerstamms, aber nur entfernt.)

»Soll ich dir was mitbringen?«, fragt Mona, während sie türkisfarbene Flip-Flops anzieht, die neben meinen schwarzen Stiefeln so grell leuchten, dass man Augenschmerzen bekommt.

»Nutella«, antworte ich spontan. »Übrigens: Ist es für die Schuhe heute nicht ein bisschen zu kühl? Du wirst dich hundertpro erkälten!«

Mona lacht. »Danke, Unke!« Sie schmatzt mir einen dicken Kuss auf die Wange. »Ist doch nur das kurze Stück. Aber lieb, dass du dich immer so rührend um mich sorgst. Wenn ich dich nicht hätte, würde ich manchmal sogar ganz ohne Schuhe aus dem Haus gehen.«

Ja, ohne Schuhe vielleicht – aber niemals ohne HANDTASCHE!

»Und wenn es nachher regnet?«

»Dann surfe ich eben auf den Pfützen, macht bestimmt Spaß. Außerdem wird es nicht regnen!«

»Die Wettervorhersage hat aber ... «

Weiter komme ich nicht, denn hinter Mona fällt die Tür ins Schloss, und ich bleibe allein mit meinen Gedanken.

Und weil ich gerade nichts anderes zu tun habe, schnappe ich mir die Life-Style, überfliege das Inhaltsverzeichnis und schüttle resigniert den Kopf. So einen Mist braucht doch kein Mensch. Wen interessiert es, ob Heidi Klum die tausendste Prada-Tasche gekauft hat? Wen bringt es weiter, wenn er weiß, dass Jennifer Aniston morgens um vier aufsteht und drei Stunden Sport macht, bevor sie zum Dreh fährt? Und dann natürlich das übliche Blabla: Ich sehe noch so gut aus, weil ich gute Gene habe, viel schlafe und ganz viel Wasser trinke (Hannelore Elsner).

Schließlich entdecke ich einen Psychotest, der mich darüber aufklären will, ob ich in die Kategorie »Pessimist oder Optimist« gehöre. Zehn Minuten später ist es amtlich: Ich bin Pessimistin. Ich habe nahezu sämtliche Fragen mit ja beantwortet. Fragen wie:

Sagen Sie häufig »Ich habe es geahnt«, wenn etwas Schlimmes passiert?

Denken Sie häufig »Das ist zu schön, um wahr zu sein«?

Empfinden Sie Ihre Umwelt zuweilen als erschreckend naiv?

Ist das Glas für Sie eher halb leer anstatt halb voll?

Um die Ursache für meine Negativität herauszubekommen, brauche ich keinen Psychologen. Hier spielt meine frühkindliche Prägung eine zentrale Rolle. Und alles begann mit meiner Geburt.

»Hey, ich bin zuerst dran!«, hätte ich damals mit Sicherheit protestiert, wenn ich schon hätte sprechen können.

Doch ich musste vor fast neunzehn Jahren hilflos mit ansehen, wie meine Zwillingsschwester vor mir das Licht der Welt erblickte und – zack – in den weichen Armen meiner Mutter lag, obwohl ich eindeutig näher am Geburtskanal gewesen war.

Ich folgte zwar in kurzem Abstand, aber dieser winzige Moment genügte offenbar, um enorme Weichen für mein späteres Leben zu stellen.

Natürlich will ich die Wirkung von Sternzeichen jetzt nicht überbewerten, aber man kann mit Fug und Recht sagen, dass ich es der Laune einer Ärztin zu verdanken habe, dass ich im Tierkreiszeichen des Skorpions geboren bin und Amelie in dem der Waage.

Skorpione – das muss man wissen – sind nicht nur für ihre Umwelt schwer zu ertragen, sondern leider auch für sich selbst. Im Gegensatz zur ausgeglichenen Waage.

Abgesehen von der Bürde dieses Tierkreiszeichens ist es auch kein besonders schönes Gefühl zu glauben, dass womöglich alles anders gekommen wäre, wenn nicht Doktor Carla Liebmilch sich beim Kaiserschnitt anders entschieden und mich vor Amelie ans Tageslicht befördert hätte.

KAPITEL 2
Her mit den Keksen! – Oder: Die Sache mit Leibniz

»Bin wieder da!«, flötet Mona mit noch besserer Laune als vorher und stellt ihre Einkäufe auf den Küchentisch. »Draußen scheint übrigens immer noch die Sonne, und es ist richtig warm! Hast du Lust, heute Abend in die Strandperle zu gehen?« Die Strandperle ist eine kleine Kneipe an der Elbe, wo man mit kaltem Bier oder Cola und Fischbrötchen im Sand sitzen und den vorbeifahrenden Containerschiffen zuschauen kann.

Ich nuschle ein undifferenziertes »Weißichjetztauchnich« und starre auf den Psychotest, während Mona trällernd ihre Einkäufe auspackt. Ausnahmsweise war sie wohl im Supermarkt statt in Boutiquen.

»Danke fürs Besorgen«, sage ich mit einem Nicken Richtung Einkaufstüte.

»Gern geschehen«, antwortet sie und verstaut die Lebensmittel zusammen mit der Nutella im Kühlschrank.

Das Telefon klingelt, und ich glotze dumpf vor mich hin, während Mona mit ihrem Freund Richy turtelt und sich mit ihm für einen Trip an die Elbe verabredet.

Ich nehme die Nutella wieder aus dem Kühlschrank (sonst ist sie genauso ungenießbar wie ich) und starre aus dem Fenster.

Und was mache ihr heute Abend›

Im Fernsehen gibt es sicher nur Mist, mein Blog ist fertig, und mir fällt niemand ein, den ich gern treffen würde.

Außer vielleicht Amelie, aber die ist gerade in Kalifornien und will Karriere beim Film machen.

»Ich halte das Genöle in Deutschland nicht mehr aus!«, hatte sie genervt gesagt und schwuppdiwupp einen Flug nach L.A. gebucht. Jetzt macht sie ein Praktikum bei einer Filmproduktion in der Stadt der Engel und hat jede Menge Spaß. Spaß. Spaß.

»Also, was ist? Kommst du jetzt mit oder nicht?«, ertönt es aus dem Badezimmer, das Mona gerade mit Jil Sander Sun vernebelt.

Mit diesem Duft läutet sie jedes Jahr den Sommer ein, was ich in diesem Fall eindeutig verfrüht finde. Man muss ja nicht gleich ausflippen, nur weil die Sonne mal kurz vorbeischaut.

»Nein danke, fahrt lieber allein«, antworte ich, obwohl ich immer noch nicht weiß, was ich machen soll. »Ich wünsch euch aber viel Spaß, grüß Richy von mir.«

Mona trollt sich ohne weiteren Kommentar in Richtung ihres Zimmers mit den bonbonrosafarbenen Wänden, die ich zum Würgen finde. In meinem Zimmer dominieren Erd- und Anthrazit-Töne.

Um mir die Zeit zu vertreiben, recherchiere ich den Begriff Optimismus im Netz.

Schaut man bei Wikipedia nach, steht dazu Folgendes: Optimismus ist der Glaube, dass alles ein gutes Ende findet. Ein wichtiger Vertreter dieser Theorie ist Gottfried Wilhelm Leibniz, der der Ansicht war, dass Gott in seiner Allmacht und Güte die beste aller denkbaren Welten geschaffen hat.

Sorry, lieber Herr Leibniz, aber ich muss Ihnen entschieden widersprechen.

Erstens glaube ich weder an Gott noch an den Weihnachtsmann, den Osterhasen oder den Yeti. Und zweitens frage ich mich, was wohl Menschen, denen es nicht gutgeht, von Ihrer Theorie halten.

Apropos Leibniz: Ich habe Appetit auf was Süßes. Während ich einen Butterkeks einer genauen Betrachtung unterziehe und nachzähle, ob er wirklich zweiundfünfzig Zacken hat, denke ich darüber nach, welche Vorteile es hat, Pessimistin beziehungsweise Negativistin zu sein.

Für mein Schreiben ist es auf alle Fälle super.

Mein Talent, Schwachstellen aufzuspüren, befähigt mich, messerscharfe Verrisse zu formulieren: In meinem Blog lasse ich mich zur Freude meiner Fans hemmungslos böse über Bücher, Filme, Ausstellungen oder Konzerte aus. Ich bin eben eine Freundin klarer Worte! Wenn ich etwas oder jemanden nicht mag, dann sage ich es unmissverständlich und geradeheraus. Und dann ist Schluss mit lustig!

Das Klingeln des Telefons unterbricht meinen schönen Gedankenfluss.

»Kannst du rangehen?«, bittet Mona, deren Aufbrezelaktion bereits gefühlte zehn Stunden dauert.

Am Telefon ist Sören, mein Ex-Freund. Oder vielmehr Ex-Affäre, denn zu einer wirklichen Beziehung habe ich es in weiser Voraussicht erst gar nicht kommen lassen. »Hi, July, na, wie geht's? Ich wollte fragen, ob du Lust hast, mit mir ins Uebel & Gefährlich zu gehen. Heute spielt Apocalyptica, das ist doch was für dich, oder?«

Ich überlege. Habe ich wirklich Lust, den Abend mit einem Typen zu verbringen, den ich aus guten Gründen aus meinem Leben gekickt habe?

»Nö, danke! Hab heute echt keine Lust wegzugehen«, antworte ich knapp, aber bestimmt. Jetzt bin ich mal gespannt, was Sören sagt, um mich umzustimmen.

Er sagt: »Da kann man dann wohl nichts machen.«

Ich bin beleidigt.

Was ist denn mit dem los?

Bin ich es nicht mehr wert, dass er um eine Verabredung mit mir kämpft? Wahrscheinlich bin ich sowieso nur eine Ersatzspielerin für irgendeine Tussi, die ihn hat hängenlassen.

»Ja, genau. Bis bald mal«, antworte ich so cool wie möglich. Dann lege ich auf, ohne abzuwarten, ob Sören noch etwas sagt. Das wäre dann auch erledigt.

Ich lasse die drei Monate Revue passieren, in denen ich mit ihm zusammen war. Kennengelernt haben wir uns bei einem Konzert von Tocotronic, anlässlich der Release-Party der CD Kapitulation. Sören jobbt bei einer Plattenfirma und schreibt nebenher Konzertkritiken.

Anfangs war ich hin und weg von ihm, seinen dunkelgrünen Augen, dem hintergründigen Humor, der ewig guten Laune. Doch dann merkte ich, dass auch andere Mädels anfällig für seinen Charme waren, und ging in die Offensive.

Ich machte Schluss, bevor er es wegen irgendeiner Tante tat, die tollere Haare und eine bessere Figur hatte – oder einfach nur besser gelaunt war.

Wir Skorpione dulden nämlich keine Nebenbuhlerinnen und neigen zu Eifersucht und Misstrauen. Außerdem sind wir extrem bindungsunfähig.

Anfangs kam Sören ganz gut mit meinen Macken klar, er empfand sie sogar als Herausforderung. Später legten sich seine Begeisterung und sein Verständnis für meine Schwächen etwas, und bevor sie gänzlich drohten zu verschwinden, verschwand ich lieber.

»Wer war das?«, fragt Mona, die endlich fertig ist und mal wieder total klasse aussieht, wie ich neidfrei zugeben muss.

»Och, das war nur Sören«, murmle ich und versuche zu tun, als sei nichts. »Er wollte heute Abend mit mir ins Uebel & Gefährlich ... «

Mona mag Sören und findet es bis heute unverständlich, dass ich ihn in die Wüste geschickt habe.

»Und du willst nicht mit«, konstatiert sie und fixiert mich mit ihren veilchenblauen Augen, die dramatisch mit lila Lidschatten und schwarzem Kajal ummalt sind. »Okay, dazu sage ich jetzt nichts mehr. Du weißt, wie ich darüber denke.«

Ja, ich weiß.

Ginge es nach ihr, stünden Sören und ich morgen schon in einer Kirche, um ergriffen »Ja, ich will« zu hauchen, ungeachtet der Tatsache, dass in Deutschland mittlerweile jede zweite Ehe geschieden wird. Und dass ich erst seit einem halben Jahr volljährig bin.

»Dann verrat mir mal, was du stattdessen machen willst. Hier herumsitzen und Trübsal blasen?«

Schlechte Laune, gepaart mit Zweifeln, kriecht in mir hoch. Warum muss sich samstags eigentlich alle Welt in irgendwelche Aktivitäten stürzen, als gäbe es kein Morgen mehr?

Andererseits sollte ich vielleicht wirklich lieber ausgehen, anstatt hier dumm herumzuhocken und die Wände anzustarren.

Zumal Mona die Küche vor kurzem in ihrem Farbenwahn auch noch pistaziengrün gestrichen hat ...

»Vielleicht gehe ich nachher noch ins Kino. Im Abaton läuft eine Wiederholung von Schmetterling & Taucherglocke in der Spätvorstellung.«

Mona ist schockiert: »Du willst dir an einem schönen Sommerabend allen Ernstes einen Film über einen Mann ansehen, der nach einem Schlaganfall gelähmt, taub und blind ist?«, fragt sie mit blankem Entsetzen im Gesicht.

»Ja, genau das will ich!«, antworte ich trotzig. So, wie Mona den Film schildert, klingt es in der Tat ein wenig heftig; sogar für meine Verhältnisse.

Aber das kann ich jetzt natürlich unmöglich zugeben.

»Na gut, wenn dich das glücklich macht. Aber pass auf dem Heimweg auf!«

Ich wünsche Mona einen schönen Abend und gebe ihr einen Abschiedskuss.

Ihre Warnung finde ich allerdings etwas übertrieben.

Was soll mir groß passieren?

Ich werde schon nicht gleich dem radfahrenden Irren von der Titelseite der Morgenpost in die Hände fallen.

Man muss ja nicht immer gleich vom Schlimmsten ausgehen!

***

Um ein Uhr morgens weiß ich, dass ich besser auf Mona gehört und mir ein Taxi genommen hätte, anstatt zu Fuß zu gehen.

Denn wie gesagt: Das Grauen schlägt immer dann zu, wenn man es am allerwenigsten erwartet ...

KAPITEL 3
Amnestie, Amnesie, Ameisen

»Können Sie mir sagen, wie viele Finger das sind?«, vernehme ich eine männliche Stimme wie durch Watte und sehe verschwommen etwas, das nach menschlichem Ermessen eine Hand sein könnte. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Meine Arme erwecken den Eindruck, als würden Ameisen auf ihnen Pogo tanzen.

»Mhhhm«, nuschle ich. Mein Mund ist trocken wie die Sahara, und ich habe Mühe, meine Lippen zu bewegen.

Was um Himmels willen ist los mit mir?

Ich versuche, mich aufzurichten, merke aber schnell, dass das keine gute Idee ist. Mein Nacken scheint die letzten Tage in einem Schraubstock gesteckt zu haben.

»Süße, du bist im Krankenhaus, weil du einen Unfall hattest«, klärt eine Frau mich auf, von der ich annehme, dass sie meine beste Freundin Mona ist. Sie steht am Rande meines Bettes, zusammen mit einem Herrn in blütenweißem Kittel. Oder vielmehr zwei Herren, die einander ziemlich ähnlich sehen.

Sind das etwa Zwillinge?

Ich kichere, zumindest, soweit ich dazu imstande bin. Mona und die beiden Ärzte sehen einander an.

»Geht's dir gut?«, fragt meine Freundin und streichelt liebevoll meine Stirn. »Deine Mutter kommt übrigens auch gleich, sie macht sich furchtbare Sorgen um dich.« Ach, wie lieb, wie tröstlich, wie wunderbar!

Mona ist hier, zwei freundlich lächelnde Ärzte, meine Mutter ist auf dem Weg. Ich bin gerührt von so viel Liebe und Zuwendung.

»Was war das denn für ein Unfall?«, will ich wissen, nachdem Mona mir ein Glas Wasser gereicht hat.

Sie antwortet nicht gleich, sondern wechselt einen Blick mit den Herren. Beide nicken.

»Okay, also gut ... «, beginnt sie stotternd. »Du hast eins mit der Flasche auf den Kopf bekommen.«

»Mit der Flasche?! Mit welcher Flasche?«

»Du kamst aus dem Kino, und Ecke Grindelallee hat es dich dann erwischt. Ein Passant hat dich auf dem Boden liegend gefunden und sofort den Krankenwagen gerufen. Die Polizei vermutet, dass du dem Typen in die Hände gefallen bist, der in den vergangenen Wochen in der Uni-Gegend mehrere Passanten attackiert hat. Du weißt schon, der Typ aus der Zeitung!«

Zeitung?!

Ah, ich erinnere mich dumpf und dunkel.

Ein Polizeipsychologe hatte gemutmaßt, dass der Täter durch die Schlagattacken seinen aufgestauten Frust kompensiert.

Der arme Mann hatte bestimmt eine schlimme Kindheit und müsste dringend zum Analytiker, um sie verarbeiten zu können, denke ich mitleidig.

Irgendwie bin ich ihm gar nicht böse.

Aber warum auch? Scheint ja nichts weiter passiert zu sein. Ich liege hier unter duftigen, kuscheligen Decken, und man kümmert sich rührend um mich. Was will ich mehr?

»Können Sie mir sagen, wie Sie heißen?«, fragt einer der beiden Ärzte. Seltsamerweise sagt sein Zwillingskollege dies synchron.

»Und Sie sind?«, frage ich keck. Ich glaube, die beiden wollen mit mir flirten, wie nett!

»Ich bin Doktor Tobias Merten«, stellt er sich vor.

Sein Bruder sagt dasselbe.

Merkwürdig!

»Können Sie mir sagen, welchen Wochentag wir heute haben? Oder noch besser: das genaue Datum?«

Ich richte mich auf, um meinen Kalender aus der Handtasche zu nehmen. Ich würde Tobias Merten furchtbar gern helfen. Er scheint nämlich sympathisch zu sein! Und er hat so schöne Augen! Vielleicht kann ich bei der Gelegenheit auch gleich einen Blick auf meinen Personalausweis werfen, denn dummerweise ist mir gerade mein Name entfallen. Ich habe wohl zu viel geschlafen. Wer entspannt ist, neigt durchaus dazu, mal etwas zu vergessen, das ist bekannt.

»Haben Sie Kopfschmerzen?«, fragt der Arzt weiter. Sein Kollege ist auf einmal verschwunden, vielleicht musste er zu einem Notfall.

Meine Hand greift auf der Suche nach der Tasche ins Leere.

Nanu?

»Ist Ihnen schwindelig? Oder übel?«, bohrt der Doc weiter.

So viele Fragen auf einmal, denke ich und lasse mich erschöpft ins Kissen fallen. Ich bin sooo müde ...

Weit entfernt, wie in einem Traum, höre ich Mona und Tobias Merten flüstern. Dabei fallen Wort wie partielle Amnesie, schwere Gehirnerschütterung, vierundzwanzig Stunden zur Beobachtung und keine Sorgen machen.

Ich beschließe, mir vorerst mal keinen Kopf zu machen, denn ebendieser scheint ja gerade etwas in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Also sollte ich ihn schonen und mich ein wenig ausruhen. Und wenn ich wieder wach bin, kann Mona mir bestimmt sagen, wo meine Handtasche ist. Oder – was mir fast noch lieber wäre – wie ich heiße ...

***

Als ich aufwache, sitzt meine Mutter am Bettrand. »Kind, was machst du nur für Sachen?«, fragt sie, und ich frage mich, weshalb sie so besorgt aussieht.

Ist doch alles gut.

»Wieso hast du denn nicht auf Mona gehört? Du bist doch sonst immer so vorsichtig?!«, jammert sie mit sorgenzerfurchter Stirn.

Ich streichle ihre Hand, die blass wie ihr Gesicht auf der Bettdecke liegt. Vermutlich denkt sie gerade daran, dass Papa kurz nach meiner Geburt gestorben ist ...

»Man kann sich doch nicht vor allem schützen, Mama. Wenn es danach ginge, dürfte ich keinen Schritt mehr aus dem Haus machen!«

Meine Mutter und Mona wechseln Blicke, deren Bedeutung ich mir nicht erklären kann. Wieso gucken die beiden, als sei ich ein Alien mit grünen Haaren und lila Kopftuch?

»Ja, äh, Liebes, da hast du wohl recht«, antwortet meine Mom und räuspert sich. »Zum Glück scheint alles gutgegangen zu sein. Gleich kommt Doktor Merten nochmal, und wenn du seine Fragen beantwortet hast, darfst du nach Hause.«

Genau in diesem Moment öffnet sich die Tür, und ich sehe, dass mein Doc nicht nur wunderschöne braune Augen hat, sondern auch das süßeste Lächeln der Welt. Hach!

»Und?«, fragt er strahlend. »Können Sie mir jetzt sagen, wie Sie heißen?«

»July-Sadie Wonnemeyer«, entströmt der Name problemlos meinen Lippen. Auch ich bin erleichtert.

Weil mir mein Name wieder eingefallen ist und weil er so schön ist. Und so originell.

Der Doc guckt irritiert, aber daran bin ich gewöhnt.

Nicht jeder mag meinen Namen.

Nachdem ich einige Formulare ausgefüllt habe und mein Blutdruckwert ein Lächeln auf das Gesicht der Krankenschwester gezaubert hat, verabschiede ich mich von Doktor Tobias Merten.

In amerikanischen Filmen wird man an dieser Stelle in einen Rollstuhl gesetzt und nach draußen gebracht, was aber in Deutschland nicht üblich zu sein scheint.

Dafür schickt mir Doc Merten einen langen Blick hinterher, wie ich feststelle, als ich mich noch zweimal nach ihm umdrehe. Dafür verzichte ich doch gern auf den Eskort-Service!

Schade, dass mein Aufenthalt hier nur so kurz war, ich hätte ihn gern näher kennengelernt. Ihn und seinen Bruder.

***