Elke Tesche

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Ausstieg auf Zeit – Eine Reise alleine ans andere Ende der Welt

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Ausstieg auf Zeit – Eine Reise alleine ans andere Ende der Welt

Elke Tesche

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

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Der Inhalt des Werkes wurde sorgfältig recherchiert, ist jedoch teilweise der Subjektivität unterworfen und bleibt ohne Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität.

Redaktion und Lektorat: Andreas Walter

Satz und Layout: Serpil Sevim

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Bildnachweis:

Alle Fotos stammen von der Autorin Elke Tesche, außer Coverbild unten (Fotograf: Jörg Heidan).

ISBN: 978-3-9449213-1-0

Hergestellt in Deutschland

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„Für meine Mutter,

die mich lieber zu Hause als in fernen Ländern sieht und

sich trotzdem für mich freuen kann.

Für meinen Vater,

der mich erfolgreich mit dem Australien-Virus infiziert hat.

Für Stefan,

der mich bei allem, was ich mit meinem Leben anfange,

versteht und bedingungslos unterstützt.“

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Karte

Prolog

Auf die Plätze, fertig, los!

Eine packende Angelegenheit

Der Startschuss

Hong Kong – Boxenstopp I

Kulturschock

Geschäftigkeit meets Gelassenheit

Stadt.Rund.Fahrt – Unterhaltung auf Rädern

Brisbane

Heitere Gelassenheit

Fraser Island – auf Sand gebaut

Fraser Island – Schiffswrack und Wasserfreuden

Bummeln, Strand und Internet

Sydney

ESDS (Elke sucht die Superstadt) – Die Siegerin

Prächtige Parks, kalte Schulter und Sonnenbrand

Kreuz und quer mit Fährverkehr

Blue Mountains – Blauer Dunst nach kaltem Start

Märkte und Strandschönheiten

Laufende Massen und Faulenzen am Wasser

Strandleben im Vorort und Luxus im Kino

Sündenbabel und alternative Stadtteile

Wetterkapriolen, „Indian Pacific“ und nette Gesellschaft

Broken Hill

Filmkulisse, Tea Time und Skulpturen

White Cliffs – Anarchie ist machbar

Kleinstadtcharme im Outback

Im „Indian Pacific“ gen Westen

Adelaide

Strandleben vom Feinsten

Innenansichten einer Stadt

„The Overland“– Zug um Zug

Melbourne

Graue Eminenz – fotogen mit sprödem Charme

Liebe auf den zweiten Blick, dafür umso heftiger

Great Ocean Road – Von der Küste das Beste

Sonntag in St Kilda – Lazing on a sunny afternoon

Abschied in technischen Nöten

Alice Springs und Rotes Zentrum

In the middle of nowhere

Kamele, viele Köpfe und ein Monolith

Auf Tuchfühlung

Kings Canyon, Albert und eine harte Rückfahrt

Shopaholic cool im Pool

Schöner Pfau und Bücherwahn

Abschied mit Hindernissen

Darwin und Nationalparks im Northern Territory

„The Ghan“

Die Wucht der Tropen, bekannte Gesichter und ein Kuchenkrokodil

Villen-Schick und Esoterik

Litchfield National Park

Nitmiluk National Park

Kakadu National Park – Campingfreuden und müde Wanderer

Kakadu National Park – bemalte Felsen und eine Reifenpanne

Süßes Nichtstun

Cairns

Zieleinlauf, Fauna satt und Ruhesitz

Portemonnaie & Laptop – in Strapazen vereint

Kuranda – Ausstieg auf Zeit in luftiger Höhe

Keine Pläne und viel Vorfreude

Great Barrier Reef – In aller Stille: Farbenrausch unter Wasser

Frühe Vögel und Fotoausbeute

Port Douglas – summer time and the living is easy

Feuerteufel beim Frühstück und eine warme Dauerdusche

Wasser und Gepäck im Überfluss

Mangosüßer Abschied und ein Bumerang in Lebensgefahr

Hong Kong – Boxenstopp II

Sinnliches Straßenleben, bei Freunden und Abenteuer Taxifahrt

Pralle Marktatmosphäre und eine Symphonie aus Licht

Ein Shopping-Rückfall, Alltagsleben und Cocktails mit Aussicht

Buddhas bis zum Abwinken und ein stilles Fußballspiel

Der Rückflug – Home Sweet Home

Epilog

Danke

Prolog

Reisen ist schrecklich. Koffer packen, schwere Fracht. Ständig umziehen, sich immer wieder an fremde Betten gewöhnen. Sich an jedem Ort orientieren. Gewohnheiten, gerade lieb gewonnen, wieder aufgeben. Neu justieren. Klimawechsel, von feuchter Hitze zu trockener Kälte und zurück. Andere Zeitzone, Überblick verlieren. Ein Overkill an Eindrücken, die Erlebnisdichte erdrückt. Begegnungen mit zu vielen unterschiedlichen Menschen, Sprachen, Eigenarten. Sagen die einen.

Reisen ist großartig. Nur das Nötigste im Gepäck, lässt sich die neue Leichtigkeit genießen. Wechselnde Quartiere verhindern, dass man träge wird, sich breit macht in den vier Wänden. Neue Orte halten den Geist wach, schärfen Sinne und Aufmerksamkeit. Keine eingetretenen Pfade langweilen. Ah, endlich ein kühler Wind nach der tropischen Hitze! Abwechslung tut gut. Begegnungen mit anderen Kulturen bereichern, erweitern den Horizont, lehren Toleranz. In der Fremde begreifen wir, wie anders man das Leben anpacken kann. Sagen die anderen. Ihnen möchte ich mich anschließen.

Zeit für einen Szenenwechsel. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich ignoriere die besorgten Stimmen aus meinem Umfeld und in meinem Kopf und kündige meinen Job. Acht Wochen gönne ich mir am anderen Ende der Welt auf dem kleinsten Kontinent, Australien. Alleine, aber nicht einsam. Ohne Auto, aber dennoch mobil. Auch im Kopf. Der ist bekanntlich rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

Mit neuem Reichtum gesegnet, kehre ich voller Dankbarkeit zurück. Die Schönheit dieses fernen Kontinents, der unerschütterliche Optimismus und Humor seiner Einwohner, die lebens- und liebenswerten Städte und all die kuriosen Erlebnisse und Erfahrungen, die ich gierig in mich aufsog, haben mich reich gemacht. Meine Währungen sind kompatibel und stabil im Wert: eine beglückte Seele und heitere Gelassenheit.

Auf die Plätze, fertig, los!

Was unbedingt mit muss.

Auf die Plätze, fertig, los!

Eine packende Angelegenheit

Reisepass, Visum, Flugticket, Bargeld, Kreditkarte, Reiseliteratur, Laptop und Kamera. Mehr brauche ich nicht. Aber etwas hatte ich übersehen. Dann fiel es mir ein. Kleidung! Doch die wird total überschätzt. Deshalb habe ich sie auf ein Minimum reduziert. Wie soll ich sonst in den Genuss kommen, meine Sozialstudien in den wunderbaren Waschsalons dieser Welt zu betreiben?

Puh, geschafft. Ich habe (es) gepackt. Der große Rucksack bringt – trotz zweier üppiger Reiseführer – bescheidene zwölf Kilo auf die Waage. Es fehlt nur noch der Kulturbeutel. Aber der wird sicher nicht zum Schwergewicht mutieren. Mein kleiner Rucksack dient als Handgepäck. Er wiegt mit Laptop schlappe sechs Kilo. Beide Gepäckstücke sind also Lichtjahre vom Maximum entfernt. Ich muss schon sagen: ich bin verdammt stolz! Und überlege bereits, nach meiner Rückkehr eine Beratungsstelle für Reisegepäckoptimierung zu eröffnen. Einen Namen für mein Business habe ich schon. „Elkes Handtäschchen“.

Der Startschuss

Montagmorgen. Außer mir macht sich heute noch eine weitere Elke auf den Weg in die Ferne. Gerne hätte ich mit ihr noch einen Kaffee am Flughafen Berlin-Tegel getrunken. Doch das fiel aus humanitären Gründen aus. Denn die Elke, die es nach Buenos Aires zieht, hebt schon kurz nach 6 Uhr ab. Und das ist für mich, die ich Australien im Sinn habe, dann doch entschieden zu früh. Beim nächsten Mal. Versprochen! So behält mein Lebensgefährte Stefan sein verdientes Exklusivrecht an mir und kann sich ungestört und ohne Publikum von mir verabschieden.

Berlin – Frankfurt. Ungefragt gönnt mir die Lufthansa einen Platz am Notausgang. So viel Bein kann ich gar nicht haben, wie ich hier ausstrecken könnte. Nun, es gibt härtere Schicksalsschläge. Überpünktlich landen wir in Frankfurt. Ich vertrödele die Zeit bis zu meinem Anschlussflug mit Auf- und Abwanderungen. Bei Zootieren nennt man so etwas Hospitalismus. Für mich muss erst noch ein passender Begriff gefunden werden.

Frankfurt – Hong Kong. Sicherheitscheck und Handgepäckkontrolle. Vor mir ist eine Gruppe von fünf aparten Asiatinnen dran. Sie sind spärlich, aber aufs Modischste gekleidet, dennoch artet die Chose in ein Desaster aus. Das Handgepäck jeder Einzelnen erreicht fast die Ausmaße meines eingecheckten Gepäcks. Es wird allerdings deutlich erleichtert: gleich literweise wandern flüssige Kosmetika in die Tonne. Die Mädels lachen und bedanken sich – gänzlich frei von Ironie – beim besorgten Servicemitarbeiter für Sicherheit. Eines der Mädels wird dann noch in eine separate Kabine beordert. Ihr Bügeleisen, das für einen Flug nach Hong Kong unerlässlich ist und deshalb auf gar keinen Fall im Handgepäck fehlen darf, muss sich ein paar gesonderten Checks unterziehen. Was auch immer darunter zu verstehen ist. Schnell flüstere ich dem gestressten Herrn vom Service zu, was Bügeleisen auf Englisch heißt und mache mich vom Acker. Mein Handgepäck bleibt unbeanstandet, was mich nach der Steilvorlage meiner asiatischen Mitreisenden nicht weiter verwundert.

It‘s boarding time. Eine freundliche Dame schnappt sich ihren Teil meiner Bordkarte. „Guten Flug! Ach nee, doch nicht.“ Sie bittet mich mit ernstem Blick zur Seite und teilt mir bekümmert mit, dass die Entertainment-Technik an meinem Sitzplatz ausgefallen ist. Sie möchte mir einen anderen Platz anbieten. Ich zögere. Hatte ich 66 K doch eigens schon beim Buchen des Fluges reserviert, da dieser sich in einer Zweierreihe am Fenster befindet, die zur Seite etwas „Auslauf“ gewährt. „Aber Sie werden sich zwölf Stunden langweilen!“, entgegnet sie entsetzt auf mein Nein. Und rückt erst dann mit der viel interessanteren Info raus: Der Sitz daneben ist frei und bietet somit ebenfalls unverhoffte Freiheit. Ich gebe nach. Wehe, die Filmauswahl ist schlecht.

Extrem freundliche asiatische Stewardessen geleiten mich charmant in den Flieger. Nur knapp allerdings entgehe ich dem ungeplanten Anschlag eines Mitreisenden, der allzu lässig seine Rollerskates über die Schulter schleudert. Unverletzt entere ich meinen Fensterplatz und stelle entzückt fest, dass Cathay Pacific nicht nur leere Nachbarplätze, sondern auch geschätzte zehn Zentimeter mehr Beinfreiheit gewährt als die Konkurrenz. Kleben meine Knie bei anderen Airlines fest am Vordersitz, halten sie hier komfortablen Abstand. Nein, mein Körper ist noch nicht geschrumpft. Dafür ist mein Gehirn zuständig, wenn es nicht genug Futter kriegt. Und à propos: mit dem vorbestellten vegetarischen Essen klappt auch alles. Irgendwie verdächtig.

Doch bevor ich mich dem süßen Nichtstun hingeben kann, lauert noch ein Verwaltungsakt auf mich. Zwei Zettelchen sind auszufüllen: Immigration card und ein Fragebogen zur Schweinegrippe. Ich muss detailliert angeben, wo ich in den nächsten sieben Tagen zu erreichen bin. Also krame ich umständlich die Unterlagen heraus. Auswendig kenne ich die Daten nicht. Noch nicht. Jedenfalls überbrücke ich sinnvoll die Zeit bis zum Abflug damit, Hoteladressen, Flugnummern etc. einzutragen. Der Start geht anschließend so pünktlich und unspektakulär über die Bühne wie der ganze Flug.

Hong Kong – Boxenstopp I

Kowloon Nathan Road

Hong Kong – Boxenstopp I

Kulturschock

Am frühen Morgen landen wir kurz nach 7 Uhr auf Lantau Island. Dort wurde vor ein paar Jahren Hong Kongs neuer Flughafen hingeklatscht. Seitdem ist auf diesem ehemals beschaulichen Fleckchen Erde ein klein wenig mehr los.

Nach einer unspektakulären Einreise wartet in der Ankunftshalle der Fahrer von Jetway Express auf mich und auf noch eine Handvoll anderer desorientierter Reisender. An dieser Stelle ist ein Geständnis fällig. Ich habe mir für meinen kurzen Zwischenstopp in Hong Kong entgegen sonstiger Gewohnheit ein Rundum-Sorglos-Paket gegönnt. Transfer von und zum Flughafen, zwei Hotelübernachtungen und eine halbtägige geführte Stadtrundfahrt. Dann habe ich schon mal den groben Überblick und kann mich am Ende der Reise genüsslich auf eigene Faust austoben. Denn dann stoppe ich wieder in Hong Kong. Ich habe das Vergnügen, vorne neben dem Fahrer sitzen zu dürfen. Für die erste Reihe brauche ich keine Öffentlich-Rechtlichen. Der Fahrer kämpft sich durch den morgendlichen Berufsverkehr, was uns Reisenden die Gelegenheit verschafft, uns in Ruhe das eine oder andere Faszinierende anzuschauen. Gigantische Wolkenkratzer vor bergiger, tropisch üppiger Naturkulisse, futuristische Autobahnbrücken, fremde Schriftzeichen auf den Straßenschildern, enge Straßenschluchten, ordentlich aufgereihte Handschuhe am Müllwagen – ich wünsche mir mehr als nur zwei Augen.

Mit Schirm, Charme und ohne Melone

Im Hotel angekommen, ist mir das Glück hold. Mein Zimmer, das mir eigentlich erst ab dem Nachmittag zusteht, ist schon fertig. Es ist erst kurz nach 9 Uhr, und der ganze Tag liegt mir zu Füßen. Das tut sonst niemand. Ich werfe meine Habe ins Zimmer und stürze mich nach Dusche und Klamottenwechsel ins Unbekannte. Denn wenn ich mich jetzt frei nach dem Motto „Nur ein paar Minütchen“ hinlege, dann bin ich geliefert, falle ins Koma und finde nicht rechtzeitig in den neuen Schlafrhythmus. Endlich bin ich Ihnen einmal voraus – wenn auch nur um sechs Stunden. Doch das wird noch besser, wenn ich erst in Australien bin.

Ich trete auf die Straße. Das Wetter klatscht mir hart und unerbittlich wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Die Temperaturen um 35 Grad herum könnte ich ertragen. Wäre da nur nicht diese brutale Luftfeuchtigkeit. Gefühlte 150 Prozent. Mindestens.

Ich wohne im Herzen Kowloons. Hier ist der Kaufrausch zu Hause: in allen Preisklassen. Auf der Nathan Road werde ich alle zwei Meter von Typen angequatscht, die mir billige Uhrenimitate andrehen oder mich in irgendwelche Läden lotsen wollen. Den ersten gönne ich noch ein freundliches Kopfschütteln. Die anderen werden Opfer meiner Arroganz. Ich ignoriere sie. Weil mir das Gelaber auf die Nerven geht. Weil ich müde und schon wieder hungrig bin – Frühstück gab es im Flieger heute Morgen schon um 5 Uhr. Weil ich hin- und hergerissen bin mit meinen Eindrücken von Hong Kong. Einerseits die traumhafte Lage am Meer, die beeindruckende Hochhauskulisse von Hong Kong Island, die trotz Gewusel und Enge gelassenen Menschen. Andererseits die stickige Luft, die vielen heruntergekommenen Ecken, die vollgestopfte Enge, der Leuchtreklamen-Overkill. Faszinierend und widersprüchlich zugleich.

Aber ich hüte mich, nach einem Tag ein Urteil zu fällen. Ich muss eine Nacht darüber schlafen und mir morgen den anderen interessanten Teil dieser Stadt, Hong Kong Island, ansehen. Am späten Nachmittag bin ich endgültig platt. Die lange Anreise, Schlafmangel, Hitzekeule und Jetlag schlagen zu. Bevor ich jedoch ins Hotel zurückkehre, treibt mich die Neugier in die nahe gelegene Temple Street. Ab 18 Uhr verwandelt sich diese tagsüber recht unscheinbare Gasse in einen lebhaften Nachtmarkt. Wer sich für Textilien, Leder- und Elektronikwaren interessiert, feilscht hier, was das Zeug hält.

Hoch oben auf dem Dach im 21. Stockwerk hat mein Hotel einen kleinen, aber feinen Swimmingpool. Ich werde mit einem exklusiven Ausblick auf die Stadt belohnt. Ich habe den Pool für mich alleine und ziehe genüsslich ein paar Bahnen. Feierabend.

Geschäftigkeit meets Gelassenheit

Der Tag heute wird kurz werden. So ist das, wenn man erst um 11 Uhr aufwacht und sich in einer Stadt befindet, die knapp nach 18 Uhr in eine sehr kurze Dämmerung verfällt, die sich wiederum noch vor 19 Uhr in Dunkelheit verwandelt. Wunderbar ausgeschlafen begebe ich mich in den Untergrund. Ich finde es immer wieder aufregend, in fremden Städten mit der U-Bahn zu fahren. Hong Kong macht es der Fremden leicht. Alles Wissenswerte steht auch auf Englisch da, das Netz ist übersichtlich, die Ticketautomaten geradezu vorbildlich selbsterklärend. Ein Blick ins Portemonnaie allerdings verrät: kein Kleingeld für den Automaten. Den Fahrschein bekomme ich bestimmt auch beim einschlägigen Kundenservice ein paar Meter weiter. Oder aber auch nicht: der junge Mann am Schalter reicht mir freudestrahlend kein Ticket, sondern den Gegenwert meines Scheines in Münzen rüber. Für den Ticketautomaten. Nun, auch gut. Ich tue, was zu tun ist und nehme die nächste U-Bahn. Sie ist brechend voll, genau wie der Bahnsteig. Geschubse, Gedränge, Generve und Gemecker? Fehlanzeige. Völlig entspannt, ruhig und gelassen arrangieren sich die Leute mit der Situation. Ich bin beeindruckt.

Drei U-Bahn-Stationen weiter tauche ich wieder an der Oberfläche auf und befinde mich auf Hong Kong Island. Hier weht heute eine leichte Brise. Von frisch kann indes keine Rede sein. Es ist eher eine Art, hm, nennen wir es Föhn. Ich verdränge die feuchte Hitze aus meinem Bewusstsein und nehme meine Umgebung wahr. Was ich sehe, gefällt mir, sehr sogar. Um mich besser orientieren zu können, schlage ich den kürzesten Weg zum Fährhafen, dem Star Ferry Pier, ein. Da mir noch was an meinem Leben liegt, überquere ich die Connaught Road auf dem überdachten Hochweg für Fußgänger. Dort trotten Menschenmassen in aller Ruhe gemächlich vor sich hin. Asiatische Gelassenheit oder Kapitulation vor der Hitze? Vermutlich von beidem etwas. Ich jedenfalls, die ich die Berliner Hetze gewöhnt bin, finde das mehr als angenehm.

Am Hafen angekommen, gönne ich mir einen eisgekühlten Früchtepunsch – ohne Alkohol. Nachdem der Flüssigkeitsverlust ausgeglichen ist, schaue ich mich in aller Ruhe um. Vor der spektakulären Skyline im Hintergrund ist eine riesige Baustelle. Die Krandichte erreicht in etwa die Größenordnung des Berliner Potsdamer Platzes vor zehn Jahren oder die der Hafencity in Hamburg aktuell. Ich bin schon gespannt, was mich erwartet, wenn ich beim nächsten Mal hierher zurückkehre. Nein, ich meine nicht den Stopp auf dem Rückflug von Australien Ende Oktober.

Statue Square

Gedankenverloren werfe ich einen Blick in mein Portemonnaie, um die Finanzlage zu überprüfen. Noch 1200 Hong Kong Dollar. Das macht rund 120 Euro in vielen bunten Scheinen. Denn Scheine gleichen Wertes sehen nicht unbedingt identisch aus: gleich drei Banken geben sie heraus und gestalten sie mit unterschiedlichen Motiven. Farblich ähneln sie sich. Die Größe der Scheine ist identisch. Immerhin.

Über die besagte Fußgängerbrücke begebe ich mich zurück ins Epizentrum des Geldes. Man gelangt mehr oder weniger zwangsläufig in diverse Nobel-Shopping-Malls, die geschickt ineinander übergehen und auf Namen wie Alexandra House, The Landmark und Prince‘s Building hören. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt eine berühmte Nobelherberge, das Mandarin Oriental Hotel. Mit kurzen Hosen, bequemen Sandalen, ärmellosem T-Shirt, Piratentuch auf dem Kopf (Devise „Rettet die Kopfhaut“) und lässig hochgesteckter Sonnenbrille betrete ich die Hotellobby. Ich belasse es bei einem kurzen Rundumblick und verlasse die edle Stätte gleich wieder. Denn es ist zu befürchten, dass die Übernachtungspreise mein Budget geringfügig übersteigen. Dies gilt sicher auch für die Anforderungen an ein angemessenes Outfit.

Komplizierte E-Mail-Adresse

Pause auf dem Statue Square. Ich packe Laptop und Headset aus und skype eine Runde mit Stefan, meinem in Berlin zurück gelassenen Lebensgefährten. Denn genialer Weise bietet die Stadt hier auf diesem Platz kostenlosen Internetzugang an. E-Mails checke ich bei der Gelegenheit auch noch. Großartig! Und wenn wir gerade dabei sind: auch Starbucks bietet kostenloses WLAN, begrenzt auf 20 Minuten, was ich bereits gestern getestet habe. Dazu muss man nur die üblichen Geschäftsbedingungen mit einem Klick bestätigen. Zwar war alles auf Chinesisch – keine Ahnung, was ich da alles akzeptiert habe – aber die nette Bedienung, die mir alles erklärte, schien so vertrauenswürdig. Die wenigen Internet-Cafés, die ich bisher wahrgenommen habe, hatten kein WLAN, sondern lediglich ihre eigenen Rechner, auf denen sie „verkabeltes“ Internet anbieten.

Während ich mit Stefan plaudere, gesellt sich eine kostümierte Dame zu mir auf die Bank. Als die Platzwächterin, Schaffnerin oder Polizistin registriert, was ich da tue, bricht sie in Begeisterungsstürme aus. Erst recht, als ich den Laptop zu ihr hindrehe und sie sich selbst sehen kann. Und Stefan, der zur allgemeinen Erheiterung den berufstypischen Mundschutz hochzieht und gespielt erschrocken schaut. Ich rede mit ihr Englisch, sie mit mir Chinesisch. Kantonesisch oder Mandarin? Ich weiß es nicht. Keine versteht die andere, aber wir lachen herzlich und scherzen gestenreich miteinander. Sehr kurzweilig und amüsant! Fast hätte ich meinen Gesprächspartner am anderen Ende der Welt vergessen.

Anschließend werfe ich einen kurzen Blick ins sehenswerte Foyer der Zentrale der Hong Kong & Shanghai Banking Corporation. Mit freundlicher Genehmigung des Wachpersonals darf ich auch ein Foto schießen. Dieses laut Reiseführer teuerste Gebäude der Stadt wurde von Sir Norman Foster in Brückenbautechnik konstruiert. Die Innenansicht ist wirklich beeindruckend! Wieder draußen im Freien, schlendere ich vorbei an St. John‘s Cathedral, der vermutlich ältesten anglikanischen Kirche Ostasiens und erklimme keuchend (das Klima!) die ansteigende Straße. Im idyllischen Hong Kong Park, ebenfalls in konsequenter Hanglage, erhole ich mich soweit wie möglich. Erschöpft kehre ich nach diesem intensiven Tag ins Hotel zurück. Schluss. Punkt.

Stadt. Rund. Fahrt – Unterhaltung auf Rädern

Der Tag fängt mit einer kleinen Schrecksekunde an. Beim Auschecken kündige ich vorsorglich an, dass ich bei meiner Rückkehr in dieses Hotel Ende Oktober recht spät abends ankommen werde. Die Dame an der Rezeption findet partout meine Buchung nicht in ihrem System. Wäre schon ärgerlich, denn gezahlt hatte ich vorab. Am Ende stellt sich heraus, dass sie beim Suchen meinen Vor- mit dem Nachnamen verwechselt hat. Alles in Butter!

9 : 30 Uhr. Ich werde zusammen mit einer Handvoll weiterer Touristen zur fünfstündigen Stadtrundfahrt abgeholt, die in meinem Rundum-Sorglos-Paket enthalten ist. Und genau hier beginnt das Problem. Wenn ich an dieser Stelle über alles berichte, was wir gesehen und vor allem gehört haben, wird aus diesem Kapitel ein eigener Reiseführer. Deshalb entscheide ich mich für die Rubrik „Was Sie immer schon über Hong Kong wissen wollten, aber noch nie zu fragen wagten“. Die seriösen touristischen Fakten weise ich in die Schranken von drei, vier Sätzen. Denken Sie aber bitte nicht, ich hätte nicht aufgepasst!

Wir absolvieren die Hong Kong Island Tour: Nach dem obligatorischen Stopp am Fährhafen besuchen wir Repulse Bay, einen populären Strand mit der riesigen Statue der Meeresgöttin Tin Hau und werfen einen Blick auf die Hausboote der Fischer im Taifun-Schutzhafen Aberdeens. Dort schippern wir auch eine halbe Stunde mit einem Sampan herum. Nicht fehlen darf natürlich ein Ausflug auf den Peak, dem 550 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Wahrzeichen Hong Kongs, von dem aus man einen fantastischen Blick auf die Insel, den Hafen und Kowloon werfen kann; auch wenn es heute etwas diesig ist. Und jetzt ist Schluss mit den touristischen Fakten.

Her mit dem Soziokulturellen! Unser Reiseleiter ist Vincent, ein Chinese aus Hong Kong, der sechs Jahre in Berlin gelebt hat und fließend Deutsch spricht. Um es vorweg zu nehmen: Sein bissiger Humor und sein starker Hang zur Ironie machen diese Tour zum absoluten Vergnügen. Dank des Mikrofons kommt auch der kleinste Wortwitz an. Was nicht selbstverständlich ist, sitzen doch im hinteren Teil des Kleinbusses noch je zwei Italiener und zwei Amerikaner mit je einem Stadtführer, der in ihrer Muttersprache mit ihnen kommuniziert. Hintergrund dieser kuriosen Verdichtung von Gruppen: dem Veranstalter fiel heute Morgen aus technischen Gründen ein Kleinbus aus. Großes Sprach- und Stimmengewirr!

Nicht mein Hotel

Jetzt zu unserem heutigen Schwerpunktthema: Wir könnten unbedenklich alles von den Straßenständen und Garküchen der Märkte essen, versichert Vincent. Vorausgesetzt, wir verlassen die Stadt noch am gleichen Tag, verschonen somit die Einwohner mit den Folgen und legen Wert darauf, im Flieger auf einem anderen Platz als gebucht gebettet zu werden. Erhöhte Aufmerksamkeit des Flugpersonals inklusive. Auch lernen wir, dass betuchte Russen sich gerne, wenn möglich auf dem Luftweg, bis aufs Hoteldach bringen lassen, es doch recht wenig Internet-Cafés gibt, da zu Hause jeder WLAN hat, die Neun für Chinesen eine Glückszahl ist, Fußgänger bestraft werden, wenn sie beim Überqueren der Straße bei roter Ampel erwischt werden, und die meisten Gerüste in der Stadt aus Bambus bestehen. Das Bautempo in der Stadt ist hoch. Alle drei Tage ist ein neues Stockwerk hochgezogen. Auch die horizontale Dimension kommt nicht zu kurz. Hong Kong wächst jedes Jahr um einen Quadratkilometer durch künstliche Aufschüttungen.

Eine gar wunderliche Geschichte weiß der eloquente Vincent von den Begleitumständen des Flughafenneubaus auf Lantau zu berichten. Tierschützer monierten, dass dort eine Froschart lebt, die es sonst nirgends gibt und die deshalb geschützt werden müsse. Den Neubau konnten sie damit nicht verhindern. Allerdings wurden die Tierchen weitgehend eingesammelt – und nach Australien verschifft. Nachdem der Flughafen eröffnet war, wurden trotzdem noch einzelne Frösche dort gefunden. Die Evakuierung war offenbar nicht vollständig erfolgt und somit nicht so verlaufen wie geplant. Das Ergebnis, warum auch immer: die Frösche wurden von Australien aus wieder nach Lantau zurückgeholt. Urlaub mit Rückkehrgarantie auf Staatskosten. Den Wahrheitsgehalt kann ich nicht überprüfen. Aber die Story ist gut – so oder so. Während Vincent munter erzählt, passieren wir die riesige Baustelle auf Hong Kong Island, die mir schon gestern auffiel. Heute erfahre ich, dass hier Regierungsgebäude entstehen.

Auch die Zahlenkombination 18 ist bei den Chinesen beliebt. Bedeutet sie doch, dass Reichtum sich ganz sicher einstellt, vor allem dank der Acht. Vincent zufolge hat ein wohlhabender Herr wohl eine siebenstellige Summe dafür gezahlt, um die 18 als Autonummer zu bekommen.

Diese ultramoderne Stadt entledigt sich gerne ihrer alten Gebäude. 20 Jahre gelten als alt. Die Steigung zum Peak, von dem aus die berühmte Sicht auf Hong Kong möglich ist, beträgt satte 27 Grad. Laufen Sie die mal! Wir fahren jedenfalls mit dem Bus hoch. Der Anblick ist atemberaubend. Vincent liefert augenzwinkernd auch eine mehr als einleuchtende Erklärung, warum die Bewohner Hong Kongs eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit aufweisen. Die Kosten für Erdbestattungen sind exorbitant hoch. Da braucht es ein Weilchen, bis man die Summe zusammengekratzt hat. Er murmelt etwas von 50 000 . Es handelt sich hierbei jedoch quasi um einen Grundstückskauf. Man kann unbegrenzt liegen bzw. irgendwann jemand anderen dort betten. Andere begnügen sich mit einer Feuerbestattung. Das Sterben muss man sich erst mal leisten können.

In Hong Kong ist es seit Ende der 1960er-Jahre verboten, Hunde und Katzen zu verspeisen. Trotzdem sieht man wenig von diesen beiden Spezies im Straßenbild. Das liegt jedoch eher an den winzigen Wohnungen, die selbst den Menschen kaum Platz lassen – rund drei Quadratmeter pro Nase. Es soll auch Stadtteile geben, in denen Hunde gänzlich verboten sind.

Soziales und Steuern: Inländer müssen sich hier nicht krankenversichern. Bei Behandlungsbedarf zahlt man pauschal rund fünf Euro. Und wie wird die Chose finanziert? Über Steuern. Die Einkommensteuer steigt in Stufen an. Höchste Stufe: 15