Hartwig Hansen

A–Z der Interventionen
in der Paar- und Familientherapie

Ein Praxishandbuch

Klett-Cotta

Impressum

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2013 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

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Umschlag: Jutta Herden, Stuttgart

Unter Verwendung eines Fotos von stock.adobe DOB RABE Media (Muscheln)

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89204-8

E-Book: ISBN 978-3-608-10383-0

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20297-7

Dieses E-book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

Vorwort: Mal was anderes

Einleitung: Was mir wichtig (geworden) ist

1. Basisinterventionen: Was mache ich eigentlich alles in einer Beratungsstunde?

Abwarten: Die Pausen machen die Musik

Anfangen: »Ihre Einsätze bitte!«

Ankerbojen: Orientierung auf hoher See

Aufträge/Ziele klären: Das Schlussverkaufsyndrom vermeiden

Begleiten beim Aussprechen: »Jetzt hört Ihr Mann zu.«

Billard: Über die Bande spielen

Den Dialog gestalten: Texte und Subtexte

Die Kunst des Indirekten: Lieferanteneingang gesucht

Empathie zeigen: Ohne Verstehen keine Veränderung

Erste-Hilfe-Maßnahmen: »Was wäre jetzt gut?«

Fragen: systemisch, zirkulär, hypothetisch und überhaupt nützlich

Informieren: Erläuterungen aus dem Berater-Baukasten

Konfrontieren: »Wann entscheiden Sie sich?«

Loben, loben, loben: Mehr von »Plan P«

Mit Unterschieden umgehen: Abwertung oder Abstimmung?

Satzvorgaben: Akzente setzen und weiterleiten

Skeptisch sein: Wer weiß, wofür das noch gut ist?

Umdeuten (Reframing): »In bester Absicht …«

Unterbrechen und Verlangsamen: So eine Art Selbstbehauptungstraining

Verabschieden: Aha-Erlebnisse, Komplimente, Wünsche

Was wirkt? – Aus einem besonderen Handbuch für die Praxis

Zum Ende kommen: Die Brisanz der letzten Minuten

2. Joker-Interventionen: Besondere Impulse setzen

Apokalyptische Reiter: Vorboten, auf die es zu achten gilt

Erinnerung an die Zukunft: Der Hoffnungs-»Dreh«

Fünf Freiheiten: Entscheiden müssen Sie!

Geschichten erzählen: Herr Nagel fasst einen Entschluss

Glaubenssätze: Leitsätze können Leidsätze werden

Hilflose Helfer oder: Die Mikado-Variante

Metaphern: Kochtopf, Eisberg und Faxgerät

MiniMax-Interventionen: Immer diese VW-Regel

Paradoxien – und Paradoxes als Gegenmittel

Problem-Körbe: Lausige Mücken und richtige Elefanten

Reflektierendes (Reflecting) Team: Die Karten werden neu gemischt

Spiegeln: »Wir machen Ihnen das mal vor …«

Splitting: Anwälte der Ambivalenz

Teufelskreise aufspüren: Kein Mensch kann Gedanken lesen

Verwechslungen orten: »Hört das denn nie auf … 

Vier-Fenster-Modell: Entscheidungshilfe an der Weggabelung

Witze und Comics: Therapeut: »Alkohol macht gleichgültig.« – Klient: »Ist mir egal.«

Wunderfrage: »Was ist dann auf dem Film zu sehen?«

Zitate-Sammlung: Der kunterbunte Zettelkasten

3. Handlungsbezogene Interventionen: »Sie könnten Folgendes tun…«

Drehbuch schreiben: Happy End und worst case

Entschuldigungskonten: Feder gegen Schmusestein

Fair streiten: »Vielen Dank, dass du mir zugehört hast!«

Fünf-zu-eins-Regel: Das Gegengift

Hausaufgaben: Die Medizin für zwischendurch

Münzwurf: Basta!

Rituale: Das gemeinsame Tun

Stopp-Signal vereinbaren: 20. März, Schwarzwaldklinik und andere rote Ampeln

Symptomverschreibung: Homöopathie fürs System

Verabreden zum Verabreden: »Wann würde es dir passen?«

Was kann Mann tun? oder: »Morgen besorge ich den Einkauf.«

Wetterbericht: Reden und fragen statt vermuten

4. Mediengestützte Interventionen: »Gut, das mal so vor sich zu sehen …«

Bilder der Familie: Zarte Bande und schnurrende Nilpferde

Briefe: Mit freundlichen Grüßen

Familienbrett: Herr Höger kommt auch noch ins Bild

Familienwappen: Fleißige Adler und stumme Maulwürfe

Familienzeitplan: Wer trifft wann wie auf wen?

Fotos aus der Familiengeschichte: »Wer hat eigentlich dieses Bild gemacht?«

Gefühlssätze ergänzen: Ein bisschen Ordnung schaffen

Genogramm-Arbeit: »Wie viele Geschwister müssen denn hier Platz haben?«

Killersätze: »Mein Gott, womit hab ich das verdient?!«

Kühlschrankzettel: Für die Sehnsucht nach alten Zeiten

Material: Vorschläge zur Ausstattung der Familientherapie-Praxis

Trennung – aber wie? oder: Wer behält welche Schlüssel?

Videoanalyse: Mienen, Tonfall, Körpersprache

Wie fühlen Sie sich heute? Gesichter von Ärgerlich bis Zuversichtlich

Zeichne ein Haus und erzähle: »Kramer gegen Kramer« und andere Zeiten

Zertifikate/Urkunden: »Ich bin zehn große Schritte vorangekommen.«

5. Erlebnisaktivierende Interventionen: »Wollen Sie mal etwas ausprobieren?«

Blumen gießen im Haus der Kindheit: »Die Bilder, der Geruch, das Gefühl …«

Darstellen der Familienkommunikation: »Können Sie uns das mal zeigen?«

Externalisierung: »Suchen Sie sich bitte mal was aus …«

Familienrekonstruktion und Aufstellungsarbeit

Geben/Nehmen-Übung: »Das fühlt sich an wie Butter, bleib doch mal so …!«

Ja/Nein-Übung: Die tanzende Dampfwalze

Museum der Verletzungen: Von Eintrittskarten und alten Wunden

Nähe/Distanz-Übung: Einladen. Stoppen. Spüren …

Reise zu der Liebe des Anfangs: Warum ausgerechnet dich?

Seile-Arbeit als Bild für Beziehungen: Verwicklung und Entwicklung

Seile-Arbeit: als Bild für Botschaften: Kauderwelsch auf dem blauen Draht

Skulptur-Arbeit: Zuerst »spricht« das Bild, dann sprechen die Beteiligten

Stühle-Arbeit mit dem »Als-ob-Stuhl«: »… so was wie selbstbewusster oder so.«

Stühle-Arbeit mit fehlenden Personen: Platzkarten verteilen

Stühle-Arbeit: Gespräch mit nicht (mehr) Anwesenden: »Der geht’s gut, die freut sich, mich zu sehen.«

Stühle-Arbeit mit inneren Anteilen: »Das war denen egal …«

Stühle tauschen = Perspektive wechseln

Symptomgestalt: Antworten mit allen Sinnen

Überlebenshaltungen darstellen: »Kann ich mich jetzt wieder bewegen?«

Zehn Minuten Neuanfang: Trottel und Klasse-Typ

Zeitreisen: Ernten auf geheimnisvollen Inseln

Gesamtliteraturübersicht

Vorwort: Mal was anderes

»Handle stets so, dass du die Anzahl deiner Möglichkeiten vergrößerst!«

Heinz von Foerster (1911  2002)

»Mal was anderes«, hatte mein Kollege in die Pausen-Runde gefragt, »gibt es eigentlich ein Buch, in dem wir diese ganzen Tricks und Techniken nachlesen können?«

Wir saßen in der Küche unserer Supervisorin um den großen Tisch herum und labten uns an dem Spontan-Büfett.

»Nee«, sagte die, »ich kenne keins, das müsstest du dann mal selbst schreiben.«

»Na ja«, sagte daraufhin mein Kollege, »so leicht ist das ja nicht. Aber praktisch wäre es schon.«

Dieses Gespräch liegt jetzt schon einige Jahre zurück – und es wurde Zeit, so ein Buch zusammenzustellen. So habe ich mich darangesetzt. Es ist ein Buch aus der Praxis für die Praxis – und die praktische Ausbildung.

Das heißt: Seine Grundlage sind die Gespräche mit Rat suchenden Paaren und Familien, die uns aufgesucht haben. Es ist in diesem Sinne im gedanklichen Dialog mit ihnen entstanden und transportiert so das »Live-Gefühl« einer Beratungssitzung.

Wenn ich in diesem Buch von »wir« oder »uns« spreche, meine ich gleichzeitig meine Kolleginnen, mit denen ich in den letzten Jahren – in guter Balance der Geschlechter – zusammengearbeitet habe. Diese Kooperation als Beratungspaar hat sich sehr bewährt, und ich habe sie – trotz erhöhtem Abspracheaufwand – sehr zu schätzen gelernt. Darüber hinaus arbeite ich auch allein.

Bei der Zusammenstellung des Buches hatte ich die Rückseite eines Pixi-Buches vor Augen, auf der sich folgende Anregung findet:

Male auf Tonpapier kleine Tiere auf, schneide sie aus und befestige an jedem eine Büroklammer aus Metall. Lege die Tierbabys in einen Karton und halte einen Faden hinein, an dessen Ende du einen Magneten geknotet hast (aus dem Bastelgeschäft). Kannst du die Tierbabys aus dem Karton angeln?

Oder mal etwas anders:

Schreibe die kleinen Interventionen auf, die sich in deiner Arbeit bewährt haben. Schildere sie so konturiert, dass sie leicht verständlich haften bleiben. Sammle sie in einem übersichtlich gestalteten Buch und vertraue darauf, dass der Impuls der Leser/innen im Bastelgeschäft der Beratung zur passenden Intervention führt. Viel Spaß beim Angeln!

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die beschriebenen Dialoge aus unseren Beratungen in vielem unterscheiden von Ihren Gesprächen. So ist sicher keine der beschriebenen Interventionen eins zu eins zu übertragen. Und schon gar nicht ist aus den geschilderten Ausschnitten auf die Gesamtberatung zu schließen.

Mein Bemühen war es, die konkrete Situation, in der der Magnet bei mir »klick« gemacht hat, nachzuempfinden und zu schildern. Die vielfältigen Theorien dazu finden Sie in anderen Büchern, unter anderem in den unter jeder Intervention genannten Titeln.

Es liegt auch in der Natur der Sache, dass ich nicht alle Interventionen aufnehmen konnte, die Sie kennen. Über jede Rückmeldung oder Vorschläge zur Erweiterung freue ich mich.

In diesem Sinn gilt weiterhin der oben zitierte ethische Imperativ von Heinz von Foerster, der mir in meiner Arbeit sehr wichtig geworden und die eigentliche Grundidee dieses Buches ist: »Handle stets so, dass du die Anzahl deiner Möglichkeiten vergrößerst!«

Damit nicht nur meine und Ihre Klienten, sondern auch wir weiterhin sagen können: Mal was anderes.

Literatur: Conni und das neue Baby. Hamburg, Carlsen Verlag, Pixi-Serie 160, Nr. 1429, 2005

Einleitung: Was mir wichtig (geworden) ist

Mein Diplom in Psychologie liegt jetzt über dreißig Jahre zurück, zwischendurch habe ich mich dem Büchermachen gewidmet und ab Mitte der Neunzigerjahre meine Möglichkeiten um die Paar- und Familientherapie sowie Systemische Supervision erweitert.

Auch dabei hat mir das »Angel-Theorem« geholfen. So habe ich mich in den verschiedenen Therapie- und Beratungsschulen auf die Suche nach den schönsten Fischen gemacht, um sie in meiner Praxis wieder ins Bassin zu lassen.

Während die Psychoanalyse und die Gesprächstherapie – ungeachtet ihrer unbestreitbar wichtigen Beiträge zu unserer Arbeit – fast ausschließlich auf die Macht der Worte vertrauen und die Verhaltenstherapie sich auf die Verhaltensanalyse und -modifikation konzentriert, geht es in der Systemischen und der Gestalttherapie oder dem Psychodrama schon lebendiger und ganzheitlicher zu. So kommt es mir so vor, als würden diejenigen Sitzungen mit Rat suchenden Paaren und Familien regelmäßig besonders wichtig und im positiven Sinne verwirrend, in denen wir »in Aktion« gekommen sind, das heißt die Stühle verlassen haben. Nach solchen Stunden wirken die Paare und Familien auf mich erfüllter und nachdenklicher als nach »Nur-reden-Treffen«.

Nur wer sagt einem, »wie man es macht«, worauf man achten muss, was man konkret sagen kann, welches Material man braucht?

Vielleicht dieses Buch.

Neben den erwähnten Therapierichtungen habe ich sehr profitiert von den Arbeiten des Hamburger Professors Schulz von Thun zu kommunikationspsychologischen Fragen, von den lösungsorientierten Ansätzen von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg oder der Arbeit von Milton Erickson, von Virginia Satir, Carl Whitaker, Richard C. Schwartz, Ron Kurtz, John Gray oder den literarisch-erzählenden Büchern Irvin D. Yaloms – von der »Mailänder« und der »Heidelberger Schule«, Hans Jellouschek, Michael Lukas Moeller, Arist von Schlippe, Michael Mary und natürlich besonders von der Ausbildung zum Paar- und Familientherapeuten bei Martin Kirschenbaum und Erika Johanna Trampe.

So können Sie sich in diesem Buch auf einen Methoden-Mix freuen, in dem Sie von jedem etwas wiederfinden und den Sie um Ihre Ideen und Methoden erweitern sollten (siehe auch → Informieren, S. 50).

Ich habe mich auf die Interventionen, Übungen und Techniken konzentriert, die Sie allein oder in Ko-Beratung vor Ort umsetzen können, also keine der in den letzten Jahren boomenden Aufstellungsmethoden aufgenommen (Näheres unter → Familienrekonstruktion und Aufstellungsarbeit, S. 185).

Ich mag die »Aktion« und ich mag in Büchern und Zeitschriften zum Thema vor allem die konkreten Schilderungen der Begegnung. Ein Buch des amerikanischen Familientherapeuten Walter Kempler erschien in Deutschland unter dem Titel »Erlebnisaktivierende Familientherapie. Psychotherapeutische, wachstumsorientierte, systemische Interventionen«. Und später das Buch von Roland Weber: »Paare in Therapie. Erlebnisintensive Methoden und Übungen«. Das finde ich spannend: Das Erleben fördern – oder besser, das Verstehen durch das Erleben fördern. Oder frei nach Virginia Satir: Arbeit mit und für die rechte Hirnhälfte. Das könnte eine Maxime auch dieses Buches sein. Eine zweite Maxime meiner Arbeitsweise könnte lauten:

»Das Herz erreichen« oder »Die Herzen zum Sprechen bringen«.

Eine dritte – auch für dieses Buch – teile ich meist ebenso meinen Klienten mit: »Ich kann Ihnen nichts versprechen. Ich werde mein Bestes tun.« Und weil ich Spaß am Aufschreiben der eigenen Erfahrungen aus den Beratungen habe, ist das alles zur Grundlage dieses Praxis-Handbuches geworden.

Zuerst dachte ich, ich könnte die Sammlung der Interventionen, Techniken, Methoden in der Paar- und Familienberatung und -therapie in vier Kapitel ordnen: Diagnostische (»Ach, so ist das bei uns …«), interaktive (»Ich wusste gar nicht, dass du mich so gut kennst …«), therapeutische (»Ich hätte da eine Idee …«) und »Hausaufgaben« (»Wenn Sie noch etwas ausprobieren möchten …«).

Bei der Umsetzung merkte ich dann aber, dass eigentlich jeder der beschriebenen Vorschläge zum Vorgehen in den Sitzungen alle vier Elemente enthält. Jede Frage, jede Arbeit mit Seilen, Stühlen oder Kissen, jede nonverbale Äußerung ist ja zugleich diagnostisch, interaktiv, anstoßend und »Hausaufgabe zum weiteren Verarbeiten«.

So habe ich nach einer neuen Ordnung gesucht und kam auf die – zugegeben fließende – Einteilung von Basis-, Joker-, Medien-, Handlungs- und Erlebens-Interventionen. Die → Querverweise zeigen, wie wiederum alles miteinander verwoben ist bzw. kombiniert werden kann.

Im Text sind die Instruktions- bzw. Interventionsformulierungen kursiv gesetzt, und natürlich sind sie alle als Vorschlag zu verstehen. Sie werden Ihre eigenen Formulierungen finden. Ich plädiere also entschieden für das Ausprobieren.

Am Anfang meiner Beraterarbeit hatte ich die Befürchtung, dass mir im entscheidenden Moment einer Zusammenkunft nichts oder nichts »Gutes« einfallen würde. Überraschenderweise hat sich diese Befürchtung rasch in Wohlgefallen aufgelöst. Besonders beruhigend fand ich dabei den Hinweis meines Ausbilders: »Wenn du nicht gleich reagierst und vielleicht etwas ›verschlafen‹ hast, sei beruhigt: Wenn es wirklich wichtig ist in diesem System, dann kommt es wieder und du kriegst eine zweite Chance.«

Und ich habe mich an das Bild mit den »Abfahrten« gehalten, die es in jeder Sitzung im Gesprächsfluss gibt. Jede Situation eröffnet eine Vielzahl an Möglichkeiten für die verschiedensten Interventionen.

Nur: Wie treffe ich die Auswahl? Auf welchen Impuls reagiere ich, für welche »Abfahrt« entscheide ich mich?

Dabei kann das Mitzählen der Finger helfen. Jeden Impuls, der mir wichtig erscheint, jede Information, die ich später vielleicht noch genauer erfragen möchte, kann ich – unabhängig von etwaigem Mitschreiben – »im Hinterstübchen« abspeichern und mir während des weiteren Zuhörens eine Gedächtnishilfe mit meinen Fingern machen:

Erste »Abfahrtsmöglichkeit« = 1. Finger: Nach dem Kennenlernen fragen.

Zweite »Abfahrtsmöglichkeit« = 2. Finger: Nach Ausnahmen vom Streiten fragen.

Dritte »Abfahrtsmöglichkeit« = 3. Finger: »Woher kennen Sie das Gefühl der Beklemmung?« und so weiter.

Wenn die Finger nicht mehr ausreichen, sollten Sie sich für eine »Abfahrt« entscheiden. Aber seien Sie sicher: Es wird nicht dazu kommen, dass Sie die Zehen zu Hilfe nehmen müssen. Denn ich habe rasch gelernt, dass es in der Beratung vor allem auch um die Kunst des Unterbrechens geht (siehe auch → Unterbrechen und Verlangsamen, S. 66). Also nur Mut, bleiben Sie »am Drücker«.

In der Regel werden Interventionen auch gern angenommen, wenn sie den Ratsuchenden neue Informationen über sich oder ihren Umgang miteinander vermitteln. Denn eigentlich ist es in der Beratung wie im deutschen Fernsehen. Das beste Programm wirbt mit dem Slogan »So hab ich das noch nie gesehen!« (arte – die Kunst der Unterhaltung).

Und noch etwas: Seien Sie nicht bange, vertrauen Sie Ihrem Gefühl und Ihren Impulsen. Teilen Sie sie mit den Paaren und Familien, die zu Ihnen kommen. Ich habe in der Beratung schon oft die Formulierung verwendet: »Sie bezahlen mich ja dafür, dass ich Ihnen sage, wie es mir geht, wenn ich mit Ihnen zusammenarbeite. Mein Eindruck ist . . ., mein Gefühl ist folgendes . . 

Um solche Sätze, solche konkreten Ideen zur Intervention soll es in diesem Buch gehen. Nehmen Sie diese Vorschläge bitte als Beispiele, als Anregung für Ihre eigene Praxis.

Und bleiben Sie neugierig, wie es dann doch wieder alles ganz anders kommt …

PS: In den Praxisbeispielen in diesem Buch verwende ich, um die größtmögliche Vertraulichkeit zu wahren, Abkürzungen der (veränderten) Nachnamen für die Beteiligten, und der Einfachheit halber sind dann in der Regel die Paare »verheiratet«, also Frau und Herr B., was natürlich in der Wirklichkeit nicht immer so ist. Hier meint es: Frau und Herr B. kommen als Paar in die Beratung, sie gehören zusammen. Zudem habe ich persönliche Daten und gegebenenfalls sonstige Zusammenhänge geändert.

Hamburg, März 2017

1. Basisinterventionen: Was mache ich eigentlich alles in einer Beratungsstunde?

Abwarten: Die Pausen machen die Musik

Das passt. »Abwarten« als erste Intervention. Denn das ist sie wirklich – sie scheint mir die wichtigste aller folgenden Interventionen zu sein, sozusagen Nicht-Intervention als Basismethode. Darauf vertrauen, dass die Menschen, die uns gegenübersitzen, den Prozess, ihren Prozess schon gestalten.

Wir dürfen genau hinschauen und aufmerksam zuhören. Nehmen wir uns die Zeit!

Wir müssen es nicht »stemmen«, »reißen« oder das »System knacken«. Üben wir uns in Zurückhaltung und in der Lenkung, in der Verlangsamung des Prozesses – schneller wird’s wieder von ganz allein.

Die Pausen machen die Musik, sie ermöglichen erst die berühmten inneren Suchprozesse.

Wie Sten Nadolny, in dessen Klassiker sich so schöne Sätze finden wie:

»Nicht der Navigator brauchte die Pause, sondern die Pause den Navigator.«

»Ohne Langsamkeit kann man nichts machen, nicht einmal Revolution.« oder

»Der Überblick ist kein guter Blick, denn er übersieht zu viel.«

Nadolny, Sten: Die Entdeckung der Langsamkeit. München, Piper Verlag, 47. Auflage 2012

Anfangen: »Ihre Einsätze bitte!«

Lassen wir zunächst die »Meister« zu Wort kommen:

»Gewöhnlich bin ich nach ein paar höflichen Begrüßungsworten erst einmal still. Dieses anfängliche Schweigen scheint mir zu entsprechen; es ist ein arbeitendes Schweigen, währenddessen jeder für sich beginnt, die gemeinsame Zeit und den Raum zu füllen. Manche füllen es mit Angst, manche mit Neugier oder Misstrauen, und wieder andere füllen es mit Geduld und spielen ein ›Wartespiel‹.«

Walter Kempler (Erlebnisaktivierende Familientherapie)

»Alles, was wichtig ist, sagen die Menschen in den ersten fünf Minuten der ersten Sitzung.«

Milton Erickson (Hypnotherapie)

»1. Regel: Beginne eine Sitzung nicht mit einer Frage. Eröffne lieber das Gespräch mit einer Aussage über die Erfahrung, die der Klient gerade macht und wie es ihm wohl dabei geht.

Oder warte einfach ruhig ab, dass er anfängt.«

Ron Kurtz (Hakomi-Therapie)

»Beiläufig fragte ich: ›Wer möchte mir denn sagen, was Sie hierher geführt hat?‹ (meine übliche Eröffnung) Ein rascher Austausch stummer Botschaften zwischen den Eltern endete damit, dass die Mutter für die Familie das Wort ergriff. Ich hatte diesen Zug erwartet. Meist ist es die Mutter. Die Frage, wer den Anfang macht, ist Teil eines heimlichen Ratespiels, das mich immer wieder fesselt: Bittet der Mann die Frau zu sprechen, oder ergreift er selbst das Wort?«

Salvador Minuchin (Strukturelle Familientherapie)

Und wie fangen Sie eine Beratung an?

Wahrscheinlich, wie auch all die »großen Namen«, mit einem Händedruck zur Begrüßung und dem »Vorlauf«, dem sogenannten »Joining« (übersetzt so etwas wie »sich gesellen zu«, »sich treffen«, »sich anschließen«) – das sind dann die ersten kleinen Schritte, Worte, Gesten zum Aufbau eines Arbeitsbündnisses, zum Einstieg in das System der Ratsuchenden. Und das geschieht eigentlich wie immer, wenn Fremde sich treffen – eine Bemerkung zum Wetter, zur Parkplatzsuche, zu den Räumlichkeiten, der Sitzordnung, natürlich alles »ein bisschen aufgeregter«, weil ja gleich etwas Wichtiges passieren soll. Wir bieten meist ein Glas Wasser an, damit man schon mal etwas zum Festhalten hat.

Jede erste Begegnung, jede Beratungssitzung beginnt anders, und es lohnt sich, auf die ersten eigenen Eindrücke, die ersten Wortwechsel und Bewegungen zu achten. All das können schon wichtige Informationen sein. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass die Erfahrungen eines Milton Erickson nützlich wären.

Auch das Vorgehen von Ron Kurtz (Aussage statt Frage) gefällt mir. Trotzdem finden Sie unter den → Fragen (ab S. 38) auch einige zur Eröffnung.

Übrigens: »Das Ziel der ersten Sitzung ist, dass die Klienten zur zweiten Sitzung kommen.«

Martin Kirschenbaum (Systemisch-integrative Familientherapie)

Ankerbojen: Orientierung auf hoher See

Jetzt haben wir also »abgewartet« und irgendwie »angefangen«.

Vielleicht tauchen schon die ersten »Turbulenzen« auf.

Wo geht’s also nun hin in unserer Barke auf stürmischer See?

Ich möchte Ihnen ein paar »Ankerbojen« vorstellen, die in Beratungsgesprächen hilfreich sein können.

Mit »Ankerbojen« meine ich einerseits das, worauf ich als mögliche Orientierungs- und Anknüpfungspunkte achte, und andererseits das, was ich dem Paar/der Familie für entspanntere und vielleicht befriedigendere Kommunikation ans Herz lege.

Das Beispiel der »direkten Ansprache« soll das veranschaulichen.

Nur in seltenen Fällen erlebt man in der Beratung von Anfang an »direkte Kommunikation«, das heißt, dass der Sprechende den Adressaten anschaut und ihn direkt anspricht. Ausreichend verwirrend kann dann die Frage sein: »Wen meinen Sie jetzt eigentlich konkret?« oder der fragende Hinweis: »Sie schauen mich an und sprechen mit Ihrer Tochter?« Oder noch deutlicher: »Wenn Sie möchten, dass Ihr Mann Sie versteht, müssen Sie ihm das direkt sagen.« (s. auch → Begleiten beim Aussprechen, S. 24)

Es handelt sich insofern um eine »Doppelboje«, als indirekte Kommunikation vor Ort in direkte verwandelt und damit gleichzeitig die »Spielregel: Direkte Ansprache« für die Beratung benannt und »mit nach Hause gegeben« wird. Und Sie können ergänzen: »Es soll noch immer Paare geben, die es kultiviert haben, aneinander vorbeizuhoffen, weil sie nicht direkt miteinander sprechen . . . Der Mensch kann vieles, Gedanken lesen aber noch nicht.«

(→ Teufelkreise aufspüren, S. 103)

Ein Schmunzeln ist Ihnen gewiss.

In ähnlicher Form können die bekannten Leuchtbojen: »Ich statt man!« und »Ich-Botschaft statt Du-Botschaft« exemplarisch und generell eingeführt werden.

Dicht daneben liegt dann auch schon die Ankerboje, die auf erstaunliche Weise die Wogen glätten kann: »Vorwürfe sind kontraproduktiv und verletzend – mit einer Formulierung in Wunschform erreichen Sie Ihr Ziel wahrscheinlich eher.« (s. auch VW-Regel → MiniMax-Interventionen, S. 90)

Und ein paar Seemeilen weiter im Gespräch bietet sich die Möglichkeit, auf die Spielregel »Konkret statt allgemein« hinzuweisen: »Was ist es genau, was Sie am Verhalten Ihrer Frau stört?« oder »Wie würdest du es im Einzelnen beschreiben, was dich in dieser Auseinandersetzung mit deinem Vater so gekränkt hat?« oder einfach »Können Sie ein Beispiel dafür nennen?«

Wenn die Wogen dann bereits eine stattliche Höhe erreichen, weil wir uns schon recht weit ins Tiefe gewagt haben, kann man mit der »Aha,-so-ist-das-bei-dir«-Regel eine Pause oder ein Wellental erreichen.

Diese Regel steht in enger Verbindung mit dem Hinweis auf das alarmierte Appell-Ohr, das mitunter zu Schmerzen und Verwirrung führt. Wenn es angepikst wird, folgt die verzweifelte Frage: »Was soll ich denn machen?!«, weil der Appell in der empfangenen Nachricht besonders wahrgenommen wurde (→ Seile-Arbeit als Bild für Botschaften, S. 200).

»Moment, Herr A., da fällt mir etwas auf. Sie möchten es Ihrer Frau gerne recht machen und fragen danach, was Sie tun können. Ich glaube, Ihrer Frau geht es auch darum, dass Sie sich darüber unterhalten, wie Sie etwas anders machen können. Und im Moment geht es ihr, wie ich glaube, erst mal darum, dass Sie es so annehmen, wie sie es für sich geschildert hat. Vielleicht wünscht sie sich von Ihnen so etwas wie den Satz: ›Ach, so ist das bei dir!‹ Einfach so. Noch gar nichts in Richtung Änderung. Einfach nur: ›Hmm, so ist das bei dir, jetzt versteh ich das.‹ Sie müssen noch gar nichts tun. Und wenn Sie das mal ausprobiert haben, bewirkt diese einfache Antwort im Alltag manchmal schon Wunder: ›Aha, so ist das bei dir!‹, und das Appell-Ohr klappt mal ein bisschen weg. Zuerst zuhören, dann Verstehen signalisieren, dann vielleicht gemeinsam nach einer Lösung suchen. Diese Reihenfolge ist wichtig, um Streit zuvorzukommen. Zuerst zuhören und Verstehen signalisieren . . 

Dahinter steht die einfache Erfahrung: Wer nicht verstanden worden ist, schaltet einen Gang höher, um verstanden zu werden. Wer sich dann immer noch nicht verstanden fühlt, generalisiert, greift auf »alte Beispiele« zurück, appelliert, »drängelt« und kritisiert – die Streit-Spirale kommt richtig in Fahrt. Die vermeintlich goldene Abwehrfrage »Was soll ich denn tun?« kommt viel zu früh und geht ins Leere, weil ein Verstehen, ein Annehmen der Sorgen und Nöte des Gegenübers noch nicht signalisiert wurde. Oder anders: Verstanden werden entspannt, hektische Änderungsfragen oder Tipps sind gut gemeint, lenken aber von der Verständigung ab.

Die »Aha,-so-ist-das-bei-dir«-Regel ist das glättende Öl auf brausender See.

Wie gesagt: »Ich glaube, Ihrer Frau geht es auch darum, dass Sie sich darüber unterhalten, wie Sie etwas anders machen können. Und im Moment geht es ihr, wie ich glaube, erst mal darum, dass Sie es so annehmen, wie sie es für sich geschildert hat.«

Natürlich gehört Wiederholung auch zum »Anker-Handwerk«. Jetzt möchte ich Sie im nächsten Schritt auf das verbindende Wörtchen zwischen den beiden Sätzen der oben genannten Intervention hinweisen.

Es ist das »und«, es hätte auch das »aber« sein können: »Aber im Moment geht es ihr …«

Die »Und-statt-aber«-Regel gilt eher für den internen »Sprachgebrauch« des Beratenden.

Das Wörtchen »aber« polarisiert, benennt oder erzeugt Gegensätze, Widersprüche, Spannung. Das Wörtchen »und« verbindet, ergänzt, stellt nebeneinander, macht vollständiger, entspannt.

Die Frage »Aber woher kommt das?« klingt fast aggressiv-herausfordernd, ein »Und woher mag das kommen?« deutlich »annehmbarer«. Ein kleiner Unterschied in der eigenen Wortwahl mit vielleicht unbewusster, aber großer Signalwirkung an die Klienten: Meistens ist das Leben nicht »entweder-oder«, sondern »sowohl-als-auch«, nicht »aber«, sondern eben »und« und »auch«.

Und nun gibt es im Zusammenhang mit dem sensiblen Appell-Ohr auch noch diese bestechend einfache und enorm wichtige Anker-Regel: »Gefühle sind Gefühle!«

Wenn Frau R. ausdrückt, wie es ihr geht, setzt das ihren Mann nach seinen Worten regelmäßig unter Druck. Er würde viel lieber Tipps bekommen, wie es ihr schnell besser gehen kann (s. auch → Was kann Mann tun?, S. 138). Männer hören oft Bedrohliches, wenn Frauen über ihre Gefühle sprechen.

Da hilft der Hinweis: »Gefühle sind Gefühle. Man kann sie nicht wegdiskutieren oder wegmachen. Sie wollen verstanden und angenommen werden. Punkt. Dann gibt es sogar die Chance, dass sie sich verändern. – Und nur dann.«

Oder: »Gefühle sind immer wahr. Man kann sich verrechnen, aber nicht verfühlen.«

Pause, sacken lassen, wichtige Intervention, hilfreiche Anker-Regel!

Und weil wir nun schon so schwer gearbeitet haben, zum Schluss eine Anker-Regel für uns: Es ist die 50 %-Regel; sie lautet: »Mindestens 50 % der Energie sollte im Prozess vom Klienten kommen.« Oder: »Um wessen Problem geht es eigentlich?«

Achten Sie auf Ihren Energiehaushalt, sonst finden Sie sich irgendwann allein auf hoher See, während die Klienten schon abgetaucht sind – oder zurück im Hafen.

Aufträge/Ziele klären: Das Schlussverkaufsyndrom vermeiden

Um bei dem Bild der Fahrt auf stürmischer See zu bleiben: Für den Punkt »Aufträge klären« gilt der Satz: »Wenn man den Hafen nicht kennt, weht kein Wind günstig.« (Senaca) Die Klärung des Auftrags der Ratsuchenden an den/die Berater bzw. die Markierung des Ziels ist von zentraler Bedeutung in der Beratung. Mit anderen Worten: Am Anfang steht das Ende. Warum?

Dazu ein neuer Vergleich: Nehmen wir auf der einen Seite die Leichtathletik, wo ja auch das jeweilige Ziel klar definiert ist: 400-Meter-Hürden-Lauf, die Latte beim Stabhochsprung überspringen, die Kugel möglichst weit stoßen.

Da weiß man, wohin es gehen soll, kann sich darauf einstellen und konzentrieren, die Kräfte mobilisieren – das Ziel vor Augen.

Ähnlich nützlich ist das Ziel in der Beratung, wobei die Wege nicht so gradlinig und die Medien vielfältiger sind als im Sport.

Das Gegenteil wäre der gute alte, fast schon abgeschaffte Schlussverkauf in den Kaufhäusern.

Lange vor der Tür unter widrigen Bedingungen warten und dann, wenn die Tür (der Beratung) endlich aufgeht, losstürmen, egal auf was – Hauptsache, man bekommt ein Schnäppchen ab.

Ich benutze insofern zur Auftragsklärung gerne die Formulierung: »Stellen Sie sich vor, bei Ihnen zu Hause ist etwas kaputt und Sie bestellen den Spezialisten. Dem müssen Sie ja auch sagen, was er reparieren soll – oder zumindest, wo Sie das Problem vermuten und wo er schauen könnte.

Wie ist das also bei Ihnen? Was für einen Auftrag haben Sie an mich/an uns?«

Dabei liegt die Definitionsmacht stets beim Gegenüber! Die Antworten werden meist erst mal »ins Unreine gesprochen«, und wir müssen im gemeinsamen Gespräch Auftrag bzw. Aufträge der Beteiligten spezifizieren und präzisieren – besonders interessant wird es natürlich, wenn klar wird, dass sich die individuellen Wünsche und Ziele unterscheiden.

Hilfreich kann dabei auch die Joker-Methode der → Problem-Körbe (S. 95) sein.

Oder wie wär’s, wenn wir das Paar über Kreuz oder die Familie zirkulär befragen?

»Was, meinen Sie, ist Ihrer Frau besonders wichtig, was hier geklärt werden sollte?«

Oder: »Hast du eine Idee, was dein Vater hier besprechen will?«

Oder: »Was müsste hier passieren, damit Ihr Sohn sagt: ›Das war ja eine gute Beratung‹?«

Auf jeden Fall sollten wir uns ausreichend Zeit für die grundlegende Klärung der Arbeitsbasis, das sogenannte Contracting, nehmen, denn die Gefahr des Schlussverkaufs (Endlich ist die Tür auf! – Wo sind die Schnäppchen?) ist groß.

Dabei hilft der Ruhe vermittelnde Satz: »Wir haben offenbar eine Menge vor, also müssen wir ganz langsam vorgehen

Aufträge sollten also von den Beteiligten selbst bestimmt werden. Hüten wir uns vor dem verlockenden Gedankenlesen oder der Haltung: »Ich weiß ja schon, was die brauchen! Ist doch immer das Gleiche.«

Hilfreich ist an dieser Stelle auch, seine eigene Neutralität, seine Allparteilichkeit durch die Befragung aller Beteiligten zum Ausdruck zu bringen.

Die Botschaft – implizit oder bei Bedarf auch explizit – lautet: »Ich werde versuchen, die Anwaltsrolle für alle zu übernehmen. Hier kommt jede/r zu Wort, ich bin Ihr Moderator mit Konflikterfahrung, nicht Ihr (Schieds-)Richter.«

Je klarer Auftrag und Ziel benannt werden können, desto leichter die Arbeit für alle Beteiligten (Sonderfälle → Die Kunst des Indirekten, S. 31).

  1. Aufträge und Ziele sollten positiv formuliert sein.
    Wenn ein »nicht« darin vorkommt, fragen wir mit einem »Was wollen Sie stattdessen?« nach.
  2. Es sollte deutlich werden, wie Auftrag und Ziel erreicht werden können/sollen: »Wie werden Sie das machen?«
  3. Aufträge bzw. Ziele sollten auf das Hier und Jetzt bezogen sein und spezifisch/konkret formuliert werden: »Wie wollen Sie das im Einzelnen umsetzen?«

Natürlich bietet es sich an, die (unterschiedlichen) Aufträge und Lösungswünsche auf dem Flipchart festzuhalten, damit sie in der Zukunft immer wieder überprüft bzw. modifiziert werden können.

Das ist nicht nur für die Paare und Familien eine Unterstützung, sondern auch für uns, denn wie oft haben sich meine Kollegin und ich schon verdutzt gegenseitig gefragt: »Was war noch mal der Auftrag vom Ehepaar M.? Was wollten die eigentlich ganz am Anfang von uns? Müssen wir da nicht noch einmal nachfragen?«

Es besteht in spannenden Beratungen mitunter die Gefahr, die ursprünglichen Anliegen aus den Augen zu verlieren und nach dem Motto »Die Baustelle müssen wir auch noch unbedingt bearbeiten« über das von den Ratsuchenden ursprünglich formulierte Ziel hinauszuschießen. Die Paare und Familien, die zu uns kommen, geben die Richtung an und sind möglicherweise mit ganz anderen Ergebnissen zufrieden, als wir vermuten.

Fazit: Erster Fokus in jeder Beratung = Auftrag bzw. Aufträge der Reihe nach erfragen, spezifizieren und notieren! Dann folgt – bei mehreren Zielen – die gemeinsame Abstimmung zur Frage: Mit welchem Auftrag fangen wir an?

Danach wird die Kunst darin bestehen, an diesem Auftrag »entlangzuarbeiten«, wozu sich in regelmäßigen Abständen die Fragen (an die Ratsuchenden oder mit der Kollegin im → Reflektierenden Team, S. 96) anbieten: »Sind wir auf dem richtigen Weg? Sind wir eigentlich noch am Auftrag dran? Was haben wir schon erreicht? Sollte das Ziel geändert werden? Wann kommen wir zu den damals zurückgestellten Aufträgen?«

Und noch einmal: Die Definitionsmacht bleibt auch dabei stets beim Gegenüber!

Aufschlussreiches und Vertiefendes zur Auftragsklärung findet sich u. a. in:

von Schlippe, Arist; Schweitzer, Jochen: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I – Das Grundlagenwissen. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 3. Auflage 2016, S. 235 ff.

PS: Ablehnen oder, sagen wir, hinterfragen darf man Aufträge allerdings auch, egal wie präzise sie formuliert sind …

»Er kam sofort zur Sache: ›Nun, ich will es ganz kurz machen. Ich bin nicht wie meine Frau, die immer um den heißen Brei herumredet. Ich komme direkt zum Punkt. Geben Sie mir meine Frau wieder, Doktor, die alte, wie ich sie kenne – genau so, wie sie früher war.‹«

Yalom, Irvin D.: Die Liebe und ihr Henker & andere Geschichten aus der Psychotherapie. München, btb Verlag, 14. Auflage 2013, S. 93

Begleiten beim Aussprechen: »Jetzt hört Ihr Mann zu.«

»Wo ist das Zittern lösender Schreie
Die große Schmelze Wort«

Benno Ohnesorg, 1961

Für mich ist Beratung, und vor allem die Arbeit mit Paaren und Familien, ein Synonym für das »Begleiten beim Aussprechen«.

Im Beziehungsalltag wird vieles – sei es, dass es gar nicht bewusst gemacht wurde oder werden konnte, sei es, dass Zeit und Möglichkeit fehlten – verschluckt, verschwiegen, vertagt, kurz: nicht ausgesprochen.

Das betrifft oft viele Gefühle, körperlich gespeicherte Erfahrung, quer durch die Bank: Ärger, Beschämung, Zufriedenheit, Enttäuschung, Verletzung, Erschöpfung, Verwirrung, Einsamkeit, Angst, Trauer und auch die kleinen Glücksmomente, die im Karussell des Alltags nicht (mehr) geteilt werden.

Nun entwickeln sich jedoch in dem, was unausgesprochen unter dem Teppich landet, giftige Gase für die Beziehung, die, wenn eine passende Lunte darangehalten wird, explodieren können. Das Ergebnis sind »dicke Luft« und eine schmerzliche Hilflosigkeit: Wieso passiert uns das, wo wir uns doch eigentlich lieben?

In der Beratung werden dann diese und viele andere Fragen dem Berater gestellt, und es entsteht – wenn man nicht aufpasst – eine »Kommunikation über Eck«: Hier sitzt das Paar, dort der Berater/die Beraterin. Die Frau beschwert sich beim Berater in lebendigen Worten, sie habe sich sehr verletzt gefühlt, als sie herausfand, dass ihr Mann sie betrogen habe.

Spätestens jetzt sollten Sie die Non plus ultra-Intervention in der Paar- und Familientherapie anwenden – es ist die Frage: »Haben Sie ihm das schon einmal direkt gesagt?«

Oft ist dann der Widerstand zu spüren bzw. das Gefühl der Sinnlosigkeit, das sich in einem Satz äußert wie: »Das hat doch keinen Zweck.«

Jetzt gilt es, nicht aufzugeben, sondern energisch zu ermutigen. Dem Aussprechen, der Aussprache den Weg zu bahnen.

»Versuchen Sie es noch einmal? Jetzt hört Ihr Mann Ihnen zu. Und ich bin ja auch noch da.«

Meist braucht es nicht mehr viel, um den Anfang zu finden.

»Können Sie Ihren Mann anschauen? Was wollten Sie ihm sagen? Jetzt hört er zu.«

Im Idealfall fordern Sie das Paar auf, seine Stühle zu nehmen, sich direkt gegenüberzusetzen und – mit erneuter Ermutigung – die Hände des Gegenübers zu ergreifen. Lassen Sie sich selbst nicht irritieren, meistens klappt es, und das Paar ist froh, wenn so ein direkter Kontakt wieder möglich wird, auf den es mitunter schon lange gewartet hat.

Oder eine Mutter gesteht mit den Worten »Ich weiß ja, dass ich das nicht hätte tun sollen«, sie habe das Zimmer ihrer 15-jährigen Tochter, die den Eltern große Sorgen bereitet und in der Beratung neben ihr sitzt, in der Nacht nach Drogen durchsucht, als sie vermeintlich »fest schlief«.

Diesen Vertrauensbruch nimmt Nathalie ihrer Mutter nach wie vor ausgesprochen übel.

Und wieder das Nonplusultra: »Hast du deiner Mutter eigentlich schon mal in Ruhe gesagt, wie es dir da im Bett ging, als du sie an deinem Schrank gehört hast und sie sagte, sie meine es doch nur gut mit dir? Wie wär’s, wenn ihr euch mal ein bisschen zueinander dreht und euch anschaut? Wie war das damals?«

Nach dieser »Aussprache« liefen erst die Tränen, und dann kam es zu einer aufrichtigen Entschuldigung der Mutter und sogar zu einem bewegenden Handschlag der Versöhnung. Ich spürte eine Gänsehaut. Die große Schmelze Wort hatte den Kloß im Hals aufgelöst. Das ermutigende Begleiten beim Aussprechen wird belohnt.

Benno Ohnesorg, 1961 in der Literaturzeitschrift teils-teils, zitiert aus: Timm, Uwe: Der Freund und der Fremde. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2005, S. 152 und S. 173

Die zwei Zeilen sind die letzten des wohl einzigen veröffentlichten Gedichts des Autors (1940  1967).

Billard: Über die Bande spielen

Bei dem in der systemischen Terminologie so prägenden Begriff des Zirkulären Fragens denke ich – ehrlich gesagt – ein bisschen an Kreisverkehr: rum und rum und rum, immer im Kreis herum … Ist ja vielleicht nicht verkehrt – aber praktisch vorstellen kann ich mir das besser mithilfe des Billard-Bildes. Man spielt in der Beratung mit mehreren Menschen eben öfter mal über die Bande. Und das klingt dann in etwa so:

»Haben Sie den Eindruck, Ihr Mann hat verstanden, was Sie gemeint haben?« Oder:

»Ich glaube ja, Herr D., Ihre Frau möchte jetzt noch gar nicht, dass Sie Lösungsvorschläge machen.« Oder:

»Darf ich versuchen zusammenzufassen, was Ihre Tochter aus meiner Sicht meint?«

Um im Bild zu bleiben: Die Gesprächskugel wird – klar adressiert, zum Beispiel mit Blickkontakt – auf den Weg gebracht und nimmt dabei die Bandeninformation für den Empfänger mit auf.

»Was, meinst du, will deine Mutter damit sagen?« – »Wenn Sie Ihren Mann einmal genau anschauen, was denken Sie, wie es ihm jetzt geht?« Oder:

»Und wenn Sie nun wissen, dass es Ihrem Sohn so wehtut, wenn Sie nichts zu seinem Zeugnis sagen, wie ist das dann für Sie?«

»Vielleicht ist es auch einfach so, dass Ihre Frau, Herr K., mal ein bisschen Zeit für sich haben möchte.«

Manchmal ist es auch sinn- und reizvoll – wie beim Billard –, über zwei Banden zu spielen: »Was denkst du, Tanja, läuft in deiner Mutter ab, wenn dein Vater vom frühen Tod seiner Mutter erzählt?« Oder: »Herr Z., was würde Ihr Ältester, Tobias, Ihrer Frau wohl antworten, wenn sie ihn bitten würde, mehr Rücksicht auf ihr Bedürfnis nach Sauberkeit im Haus zu nehmen?«

Witziger- und hilfreicherweise sind solche → Fragen (ab S. 38) oder auch → Satzvorgaben (S. 61) so etwas wie Abfahrten aus dem Kreisverkehr, der manchmal während der Beratung im Kopf entstehen kann.

Die hohe Schule des Billards demonstrierte einmal ein Patient einer psychiatrischen Station, auf der ich arbeitete. Am Ende der großen Visite fasste er den Kurzdialog mit der Oberärztin lapidar zusammen: »Es freut mich zu hören, dass es mir besser geht.«

So elegant soll man die schwarze Kugel »über die Bande« erst mal versenken.

Oder war das nun wieder ein »doppelter Rückläufer«?

Den Dialog gestalten: Texte und Subtexte

Kommunikation geschieht – vorerst ohne Bedingungen.

Bei einem Dialog hingegen gelten bestimmte »Spielregeln«. Zuerst unterscheidet er sich vom Monolog, der einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen versucht.

Der Dialog ist ein Gespräch