Für Little Ö

Kapitel 1 Einer von uns

Durchs Burgtor – und ab!

Max schießt in den hellen Morgen hinaus und saust über die Zugbrücke, dass sämtliche Schrauben an seinem Rad empört aufquietschen. Doch darauf kann er jetzt keine Rücksicht nehmen! Wenn er den Burgberg hinunterrast, holt er die Zeit wieder ein, die er eben beim Frühstück vertrödelt hat.

Also tritt Max noch kräftiger in die Pedale. Er saust an dem steinernen Ritter vorbei, der die Auffahrt zur Zugbrücke bewacht. An dem großen Schild Willkommen im Seniorenheim Burg Geroldseck und dem kleinen Schild Ruhebereich! Bitte langsam fahren. Dann legt er sich in die erste Kurve. Die fängt ganz harmlos an, aber weil sie plötzlich einen scharfen Rechtsknick macht, muss man höllisch aufpassen. Eine falsche Bewegung – und man sagt dem Fluss in der Schlucht Hallo!

Zack!, saust Max aus der Kurve heraus. Jetzt das lange, gerade Stück. Das ist so steil, dass die meisten Omas und Opas beim Runterfahren von ihren Rädern absteigen. Nicht Max. Er gibt noch mehr Gas! Der Fahrtwind rauscht und braust in seinen Ohren. Seine Klingel scheppert, und sein Schutzblech klappert.

Und weiter!

Max heizt durch die Kurven wie ein Rennfahrer. Dabei würde er viel lieber wieder trödeln. Und am allerliebsten umkehren und zur Burg zurückfahren.

Wegen Ole Schröder.

Max seufzt und strampelt. Wenn man mit seinem Erzfeind in eine Klasse geht, dann hat man kein leichtes Leben! Aber es wird noch viel schwerer, wenn man so dämlich ist und bei einem Fußball-Duell mitmacht. Mit einer Opa-Mannschaft von Burg Geroldseck!

Dabei wollte Max bloß, dass Ole endlich Respekt vor ihm hat!

Er seufzt noch lauter. Von wegen Respekt! Weil er mit den Opas verloren hat, strampelt er jetzt volle Kanne in die nächste Katastrophe rein!

 

Sie warten schon auf ihn.

Und sie sind wie immer zu viert.

Obwohl seine Füße in die Bremsen treten wollen, radelt Max weiter stur geradeaus über den Pausenhof. Direkt auf Ole Schröder und seine Kumpels zu. Denn die sollen nicht eine Sekunde denken, dass sie ihm Angst einjagen!

Max tritt so fest in die Pedale, dass die Schottersteinchen auf dem Pausenhof nur so zur Seite spritzen. Ein paar Erstklässler gucken erschrocken zu ihm herüber, und die Schülerlotsin wedelt wild mit ihrer Kelle herum. Soll sie doch! Die wird ja nicht dauernd von Ole Schröder und seinen Kumpels fies behandelt!

»Mensch, Opa, du fährst ja lahmer, als ’ne Kuh kackt!«

Na bitte. Da geht es schon los.

Max atmet tief ein. Dann springt er vom Rad und nickt Ole so cool wie möglich zu. Der lehnt lässig an einem der Fahrradständer und spielt mit seinem riesigen Angeber-Handy herum. Umringt von seinen Kumpels, die Max angrinsen wie ein Haufen Breitmaulfrösche.

»Und, Opa?« Ole schlendert auf Max zu, als wären sie die besten Freunde. »Was geht bei euch im Mumienbunker so ab?«

Oh Mann. Ole wird wohl noch in hundert Jahren Witze darüber reißen, dass Max mit seiner Mama in einem Altersheim wohnt. Dabei ist Burg Geroldseck das aufregendste Zuhause, das man sich nur wünschen kann!

Weil dort die Wilde Sieben wohnt.

Und wenn die jetzt hier wäre, könnte Ole was erleben! Dann würde er sich wünschen, er würde echten Mumien gegenüberstehen. Denn auch wenn Vera, Horst und Kilian alt und schrumpelig sind – die Wilde Sieben lässt sich von nichts und niemandem was gefallen! Schon gar nicht von so einer aufgeblasenen Dumpfbacke wie Ole!

Doch leider ist die Wilde Sieben nicht da.

»He, Sherlock Holmes!« Ole guckt so zufrieden, als hätte er sich was Mordskluges ausgedacht. »Wenn du mit deinen Alten-Knacker-Freunden Detektiv spielst … Fährst du dann auch im Rollstuhl rum?«

Ha. Ha. Ha.

Ole ist ja bloß neidisch, weil Max mit der Wilden Sieben schon einen echten Einbrecher geschnappt hat! Und dafür in der Zeitung gelobt wurde! Und wenn er wüsste, dass Max sogar einer Geisteroma das gruselige Handwerk gelegt hat, dann würde er vor Ehrfurcht keinen Pieps mehr sagen!

»Und, Sherlock …« Ole klopft auf Max’ Ranzen. »Haste dich von unserem Fußball-Duell erholt? Oder tun die Knochen noch weh?«

Max ballt seine Hände um den Lenker. Ole sollte mal schön still sein! Schließlich haben Max und die Opas nur ganz knapp gegen Ole und die Schulmannschaft verloren. Ein paar Minuten länger, und Max würde jetzt als Sieger hier stehen!

Aber natürlich sagt Max das nicht. Er sagt bloß: »Meinen Knochen geht’s gut. Und bei dir? Noch alle Ziegel auf dem Dach?«

Ole hört auf zu grinsen und guckt, als wäre Max ihm auf die Zehen getreten. Auch die Kumpels grinsen nicht mehr wie ein Haufen Breitmaulfrösche, sie gucken Max verwundert an. Dass er so cool reagiert, haben sie wohl nicht erwartet!

PUH.

Die Wilde Sieben hat recht gehabt! Max muss nur so tun, als hätte Ole nichts Fieses, sondern was total Normales gesagt. Denn wenn sich Max kein bisschen aufregt, dann verliert Ole bald die Lust am Fies-Sein und hört von alleine auf, Max dauernd fertigzumachen. Da ist sich die Wilde Sieben ganz sicher. Und weil Vera, Horst und Kilian zusammen schon über zweihundert Jahre alt sind, haben sie viel Erfahrung mit fiesen Typen!

Erleichtert lässt Max seinen Ranzen vom Rücken gleiten. Dann beugt er sich so zu seinem Fahrradschloss hinunter, dass Ole seine zittrigen Finger nicht sehen kann. Cool antworten ist eine Sache. Aber dabei auch cool auszusehen, ist gar nicht so leicht!

Klick, klick, macht das Fahrradschloss.

Krksch, krksch, macht ein Paar Turnschuhe auf den Schottersteinchen.

Aus den Augenwinkeln sieht Max einen Schatten auf sich zuschnellen. Doch ehe er sich wegducken kann, schlingt sich ein Arm um seinen Nacken, und – zack! – zappelt er bei Ole im Schwitzkasten.

Verdammter Kackmist!

War ja klar, dass Ole genau den Moment ausnutzt, in dem Max wegen seinem Fahrradschloss abgelenkt war! Und jetzt hilft auch das viele Coolsein-Üben mit der Wilden Sieben nichts. Ole ist und bleibt einen Kopf größer als Max!

Aber was ist das?

Ole drückt ja gar nicht so fest zu, wie er eigentlich könnte. Mehr so, als würden Max und er bloß freundschaftlich miteinander raufen.

»Schaut mal, der Opa hier.« Obwohl Oles Kopf direkt über Max schwebt, klingt seine Stimme seltsam gedämpft, und sein Pulli macht eklige Kratzgeräusche an Max’ Ohr. »Der kann richtig gut kicken, die Null! Der ist jetzt einer von uns!«

WIE, WAS?!?

Hat Max richtig gehört? Oder haben ihm seine Ohren einen Streich gespielt? So schnell kann Ole doch nicht die Lust am Fies-Sein verloren haben!

»Glückwunsch, ab heute gehörst du zu unserer Bande!« Ole quetscht Max noch einmal fest durch, dann lässt er ihn los und verpasst ihm einen heftigen Stoß. Max prallt gegen sein Rad. Die Klingel scheppert leise, und der Lenker bohrt sich in seine Rippen.

»Aber vergiss nicht.« Drohend kneift Ole die Augen zusammen: »Ich bin der Chef! Kapiert?!«

»Ja, klar!«, sagt Max hastig. Und weil er weiß, dass Anführer-Typen keinen Spaß verstehen, wenn sie sich als Chef aufspielen, starrt er harmlos auf den Boden.

Ding, dang, dong, gongt der Schulgong zum ersten Mal.

Krksch, krksch, krksch, machen die Turnschuhe von Ole und seinen Kumpels.

Dann ist es bei den Fahrradständern ganz still.

Max reibt sich den Nacken. Was für ein Morgen! Da will man nur von Ole Schröder und seinen Kumpels in Ruhe gelassen werden – und dann das: Jetzt ist man selber ein Kumpel!

Aber hat er es tatsächlich geschafft? Hat er sich durch das Fußball-Duell wirklich den Respekt von Ole und seinen Kumpels zusammengekickt?

Langsam hebt Max seinen Ranzen auf. Irgendwas ist an der Kumpel-Sache oberfaul. Das sagt ihm sein Detektivverstand. So schnell kriegen fiese Typen nicht plötzlich Respekt vor den Leuten, die sie die ganze Zeit fertiggemacht haben. Vielleicht ist diese Kumpel-Sache bloß ein neuer Trick? Damit Max sich entspannt und denkt, dass Ole und seine Kumpels ihn jetzt in Ruhe lassen.

Und dann schlagen die wieder zu.

Wie eine Katze, die eine Maus so lange wie Luft behandelt, bis sie unvorsichtig wird, und – zack! – ist sie Hackfleisch!

Ding, dang, dong, gongt der Schulgong zum zweiten Mal.

Max wirft sich den Ranzen über die Schulter und rast los. Egal, was Ole vorhat: Er wird nicht die Maus spielen!

Kapitel 2 Thorsti in Not

»Ruhe auf den billigen Plätzen!« Statt weiter mit der Kreide an die Tafel zu schreiben, fuchtelt Herr Weber so wild mit ihr herum, als ob er sie gleich durchs Klassenzimmer werfen will.

Wie alle in der 4b zieht Max den Kopf ein und versucht, so unauffällig wie möglich an seinem Platz zu sitzen. An der ganzen Schule gibt es keinen Lehrer, der mieser gelaunt ist als Herr Weber. Da braucht er sich nicht zu wundern, dass ihn alle den Mieseweber nennen!

»Freiwillige vor!« Herr Weber deutet zur Tafel, die er von oben bis unten mit Textaufgaben vollgekritzelt hat. Dann verschränkt er die Arme auf dem Rücken und marschiert die Tischreihen entlang. »Wer will anfangen?«

Nein, danke!

Max zieht den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern. Als Detektiv kann er eigentlich ziemlich gut logisch denken – aber weil Herr Weber nicht nur der Lehrer für Mathe, sondern auch der für Sachkunde ist, sind seine Textaufgaben immer knallvoll mit merkwürdigen Tieren. So voll, dass Max sie hundert Mal lesen muss, bis er kapiert hat, was er überhaupt ausrechnen soll!

»Keiner will? Gut, dann werde ich eben einen Freiwilligen aussuchen.« Herr Weber streckt seinen Zeigefinger aus. Doch bevor der auf jemanden zeigen kann, wird die Tür aufgerissen, und Laura kommt ins Klassenzimmer gestürmt.

Oh, oh. Jetzt gibt’s bestimmt gleich ein ordentliches Donnerwetter! Beim Zuspätkommen verwandelt sich der Mieseweber nämlich in den noch schlimmeren Motzeweber!

»Laura Butz!«, schimpft Herr Weber los. »Warum bist du zu spät?!«

Arme Laura!

Max weiß, dass er schleunigst was tun muss, um den Motzeweber von ihr abzulenken. Schließlich sitzt er neben ihr! Und Sitznachbarn müssen zusammenhalten! Doch gerade als er den Mund aufmachen will, um sich freiwillig für eine Textaufgabe zu melden, redet Laura los.

»Ich komme zu spät, weil …« Laura guckt auf ihre Schuhe. »Weil, ich hab auf dem Schulweg … etwas gesehen … einen … äh … einen interessanten Vogel.«

Oje. Max schluckt. Er ist ja auch nicht besonders gut im Ausreden-Erfinden, aber Laura sollte wirklich dringend üben. Das mit dem Vogel glaubt ihr der Mieseweber nie!

»So. So.« Herr Weber lässt das Kreidestück von einer Hand in die andere fallen. »Ein interessanter Vogel hat dich also aufgehalten.«

»Ja«, sagt Laura bloß. Und dabei klingt sie so mechanisch wie ein Roboter.

Max zieht die Nase kraus. Irgendwas stimmt nicht mit Laura. Die blubbert doch sonst immer so viel, dass einem beim Zuhören schwindelig wird!

»So. So«, sagt Herr Weber wieder. »Dann schreibst du sicher gerne einen Aufsatz über diesen interessanten Vogel. Und zwar bis morgen! Und wehe, es sind nicht mindestens drei Seiten!«

»Ja«, sagt der Laura-Roboter.

»Gut, gut.« Herr Weber nickt zufrieden. Dann zeigt sein Zeigefinger auf Julian in der dritten Reihe. »Da haben wir ja unseren Freiwilligen für die erste Textaufgabe!«

Weiter hört Max nicht zu. Denn jetzt, wo Laura sich auf ihren Stuhl fallen lässt, kann er ihre Augen von Nahem sehen – und die sind an den Rändern genauso rot wie ihre Locken!

Laura hat geweint.

Und das bestimmt nicht wegen einem interessanten Vogel!

Sofort fängt Max an, wie ein Detektiv zu denken: Was ist auf dem Schulweg passiert? Ist Laura mit dem Rad hingeknallt?

Aber ihre Hosenbeine haben keine Löcher an den Knien. Und ihre Hände sind auch nicht aufgeschürft.

Hat jemand Laura fies behandelt?

Das kann Max sich nicht vorstellen. Laura gehört zu Oles Bande – da traut sich niemand, sie fies zu behandeln.

Oder ist Laura heute bloß mit dem falschen Fuß aufgestanden?

Mädchen heulen ja manchmal wegen den komischsten Sachen!

Und sie reden gerne über ihre Gefühle. Deswegen flüstert Max: »Alles okay?«

»Ja, klar!«, flüstert Laura zurück. »Alles okay!«

Ist es nicht. Das kapiert Max sofort. Denn von Vera hat er gelernt, dass man nicht nur auf das hören darf, was jemand sagt. Man muss auch immer beobachten, was dieser jemand dabei tut. Weil man so sehen kann, ob dieser jemand einem die Wahrheit erzählt. Wenn Leute lügen, konzentrieren sie sich nämlich bloß auf ihre Lügengeschichten – und vor lauter Konzentration passen sie zum Beispiel nicht auf ihre Hände auf. Und schwupps!, zuckt eine Hand im falschen Moment und zeigt nach links, obwohl der Mund rechts gesagt hat!

Körpersprache nennt Vera das. Und die muss es wissen! Schließlich war sie früher eine berühmte Schauspielerin! Und damit sie besser schauspielern kann, hat sie dauernd die Körpersprache von anderen Leuten beobachtet.

So, wie Max gerade die Körpersprache von Laura beobachtet hat. Er hat also genau gesehen, wie ihre Finger den Radiergummi zusammengequetscht haben. Wenn der ein Keks wäre, dann hätte sie jetzt nur noch Krümel in der Hand!

Klarer Fall: Hier ist etwas ganz und gar nicht okay. Aber was? Braucht Laura vielleicht Hilfe? Vielleicht sogar die von einem Detektiv?

»Ist echt alles in Ordnung?«, flüstert Max. »Du siehst so traurig aus.«

Lauras Mund schweigt. Dafür reden wieder ihre Finger los. Sie biegen und kneten den Radiergummi. Biegen und kneten. Dann stößt Laura einen tiefen Seufzer aus, und Max weiß, dass gleich ihr Mund losreden wird.

»Mein Dackel Thorsti, er …« Lauras Finger biegen und kneten, was das Zeug hält. »Er ist WEG

Das letzte Wort platzt so laut aus Laura heraus, dass Herr Weber für einen Augenblick Julian und die Textaufgabe vergisst und zu ihr guckt.

Oh, oh. Max hält die Luft an. Doch zum Glück ist Laura im Unschuldig-Gucken besser als im Ausreden-Erfinden. Mit einem Kopfschütteln dreht sich Herr Weber wieder zur Tafel.

»Ist er weggelaufen?« Max flüstert so leise, dass er sich selbst kaum hört.

»Ja. Ich meine, nein. Ich weiß auch nicht.« Laura rutscht näher. »Ich war gestern mit ihm im Park. Gassi gehen. Und da hab ich ihn kurz von der Leine gelassen. Und dann …«

Lauras Flüsterstimme zittert, und Max sieht, wie sie angestrengt schluckt, um nicht loszuheulen. Jetzt muss er aufpassen, was er sagt. Ein falsches Wort – und Laura bricht in Tränen aus!

»Und dann?«, fragt Max vorsichtig.

»Dann war er weg. Dabei gehorcht Thorsti aufs Wort! Er haut nur ab, wenn er den Eiswagen sieht. Er liiiiebt Eis …« Lauras Flüsterstimme zittert so stark, dass Max am liebsten ihre Hand nehmen würde, um sie zu trösten. Aber wenn das jemand sieht! Dann geht das fiese Gehänsel von vorne los, und Max ist der verliebte Opa!

»Ich hab mit meinen Eltern gesucht, bis es dunkel war«, flüstert Laura weiter. »Keine Spur von Thorsti! Und vorhin bin ich noch mal durch den Park gerannt.«

Aha. Deshalb war Laura also zu spät.

»Thorsti war die ganze Nacht alleine draußen! Vielleicht ist ihm was Schreckliches passiert!« Laura schluckt und schluckt.

Und auch Max muss schlucken. Wenn sein Kater Motzkopf eine ganze Nacht verschwunden wäre – er würde durchdrehen vor Sorge! Nicht eine Sekunde könnte er still sitzen und Mathe lernen, während Motzkopf da draußen vielleicht gerade von wilden Hunden verfolgt wird. Oder nicht mehr von einem hohen Baum herunterkommt. Oder in einem Müllabfuhrlaster zur Müllhalde braust, weil er auf der Suche nach Keksen mal wieder in eine Mülltonne gefallen ist. Und wenn die Müllmänner dann nicht aufpassen, dann …

STOPP!

Max schüttelt den Kopf. Er darf sich jetzt nicht von blöden Horror-Gedanken ablenken lassen! Als Detektiv muss er immer cool bleiben und Ruhe bewahren. Sonst kann er nicht messerscharf nachdenken und kombinieren. Und genau das sollte er jetzt schleunigst tun! Denn wer einen Einbrecher und eine gruselige Geisteroma schnappt – der findet auch einen verschwundenen Hund!

Zack!, fischt Max sein schwarzes Detektiv-Notizbuch aus seinem Ranzen und klappt es auf. Dann schreibt er los:

14. Sebtember, 8 Uhr 32 (in Schule): Befragung von Hundebesietzerin (Laura)

Fall: Hund (Torsti) ist verschwunden (schon eine Nacht weg!)

Tatort: Park in Geroldsfingen (Deutschland)

Besondere Kenzeichen: Torsti liebt Eis!

Beschreibung von Hund:

»Thorsti schreibt man mit h!«, flüstert Laura empört, und ihre Locken streifen Max’ Wange, so nah hat sie sich zu ihm herübergebeugt.

Pffff. Dass Mädchen auch immer überall mitlesen müssen!

Schnell kritzelt Max über alle Torstis ein h.

Laura tippt auf den letzten Punkt und flüstert: »Thorsti ist ein Rauhaardackel. Ein total süßer! Mit braun-schwarzem Fell. Ich hab ihn, seit ich drei bin. Und jetzt seh ich ihn vielleicht nie wieder!«

Bevor Max etwas Tröstendes antworten kann, trifft ihn ein Papierkügelchen am Ohr. Und eines landet auf Lauras wilden Locken.

»Hey, ihr!«, zischt Ole aus der letzten Reihe und wedelt mit seiner Gummischleuder herum. »Was ist los?«

»Mein Hund ist verschwunden«, zischt Laura aus der ersten Reihe zurück.

»Der fette Dackel? Ist er geplatzt?«

Natürlich verwandeln sich die Kumpels von Ole sofort in grinsende Breitmaulfrösche. Und natürlich ist Ole noch nicht fertig.

»Hey, Laura! Mach dir nix draus. Dein Dackel war eh hässlich! Der sah aus wie ’ne Wurst auf vier Beinen!«

Dieser verdammte Ole!

Max guckt zu Laura. Die starrt stur auf die Tafel und tut so, als würde sie nichts von Oles fiesem Geflüster mitkriegen. Richtig cool sieht das aus. Aber Max weiß genau, dass Laura sich kein bisschen cool fühlt. Schließlich hat er selbst oft genug wegen Ole so dagesessen und auf die Tafel gestarrt!

Und da macht es in Max’ Kopf ganz laut KLICK, und er kapiert, was los ist: Er hat mit Laura den Platz getauscht! Jetzt ist er in Oles Bande – und sie draußen. Weil Ole immer jemanden braucht, den er fies behandeln kann.

Jemand, der in einem Altersheim wohnt.

Jemand, der einen moppeligen Dackel hat.

Und morgen ist es dann vielleicht jemand, der …

Max guckt sich in der 4b um. Jemand, der eine dicke Brille hat wie Finn. Oder Segelohren wie Emma. Dann tauschen die den Platz mit Laura. Und irgendwann ist wieder Max der Opa dran!

»Hey, Laura! Vielleicht ist dein Dackel ja überfahren worden. Dann musst du nur nach ’nem großen Fettfleck suchen!«

Auch nach diesem fiesen Ole-Geflüster starrt Laura weiter cool auf die Tafel und sagt keinen Pieps. Aber Max kann sehen, wie ihr Kinn zittert. Und wie Tränen in ihren Augen glitzern.

Jetzt reicht’s.

»OLE SCHRÖDER!« Max springt so heftig auf, dass sein Stuhl nach hinten auf den Boden kracht. »HALT DEINE KLAPPE! DU BESCHEUERTER FURZKOPF

Im Klassenzimmer wird es mucksmäuschenstill. Herr Weber und die 4b starren Max so verblüfft an, als würde er durch die Luft schweben. Selbst Ole kriegt vor lauter Staunen den Mund nicht mehr zu!

Mit einem Schlag ist Max’ Wut verpufft, und er steht da und weiß nicht weiter. Und natürlich fangen seine Wangen ausgerechnet jetzt zu pochen und zu brennen an. Gleich wird sein Gesicht mal wieder leuchten wie eine Tomate!

Aber auch das Gesicht von Herrn Weber beginnt zu leuchten. In Dunkelrot.

Oh. Oh. Mieseweber-Alarm!

»Max Bergmann!«, donnert Herr Weber los. »Solche Schimpfwörter will ich hier nicht hören! Du entschuldigst dich auf der Stelle bei Ole!«

Entschuldigen? Bei dem Blödmann? Eher futtert Max die Kreide auf! Und den nassen Schwamm dazu!

Er verschränkt die Arme vor der Brust und schüttelt trotzig den Kopf.

»Du willst dich nicht entschuldigen?« Herr Weber starrt Max wieder verblüfft an. Doch nur für ein paar Sekunden. Dann zeigt er auf die Klassenzimmertür und donnert: »Du gehst jetzt raus auf den Flur! Ich hole dich in fünf Minuten!«

»Herr Weber!« Laura wedelt mit ihrem Arm. »Der Max hat gar nix gemacht! Er hat bloß …«

»Ruhe! Ich habe keine Lust, zu diskutieren! Max vor die Tür! Sofort!«

Tsss. Dass Lehrer immer denken, sie wüssten ganz genau, was in ihrer Klasse abgeht – dabei haben sie keine Ahnung! Und Unschuldige müssen vor die Tür!

Aber Max hat auch keine Lust, mit dem Mieseweber zu diskutieren. Er richtet sich so stolz auf, wie Vera es ihm gezeigt hat: den Rücken gerade, die Schultern durchgedrückt, den Kopf erhoben. Dann marschiert er durchs Klassenzimmer. Alle gucken ihn bewundernd an. Alle bis auf Ole. Der guckt wie eine Katze, die gleich Hackfleisch aus einer Maus machen wird. Als Max an der letzten Reihe vorbeikommt, zischt er: »Hey, Max, du bist wieder raus aus meiner Bande! Geh mit Laura spielen, du Mädchen!«

Kapitel 3 Schlimm, schlimmer, Oma Schlimmi

Wenn man beim Mieseweber zu spät kommt, gibt’s ein ordentliches Donnerwetter. Wenn man bei Schwarzwurscht-Karle zu spät kommt, muss man hungern!

Missmutig knallt Max die Tür vom Rabenturm hinter sich zu. Er will gar nicht wissen, was für ein leckeres Mittagessen er heute verpasst hat. Bestimmt hat Schwarzwurscht-Karle wieder so gut gekocht, dass alle Omas und Opas und Schwestern vor Begeisterung geklatscht haben!

Bei diesem Gedanken knurrt Max’ Bauch los, dass der ganze Rabenturm bebt und wackelt.

Nun ja. Beinahe.

Max stapft die Wendeltreppe hinauf. Dass Schwarzwurscht-Karle auch so streng sein muss! Da kommt man zehn Minuten zu spät, und schon ist das Büfett im Rittersaal abgeräumt! Und Schwarzwurscht-Karle will nicht mal das kleinste Fleischbällchen herausrücken!

Wer trödelt, muss zu Hause essen.

Ja, wie denn, wenn der Kühlschrank leer ist?!

Max weiß, dass er froh sein kann, wenn er in der Küche ein paar gammlige Nudeln findet. So oft, wie seine Mama in letzter Zeit das Einkaufen vergisst.

Und überhaupt. Max kickt mit dem Fuß gegen die letzte Steinstufe. An allem ist bloß dieser bekloppte Ole schuld! Wenn der nicht die Luft aus Max’ Reifen gelassen hätte, dann hätte Max nicht zu Fuß durch die Gegend latschen müssen. Erst zusammen mit Laura auf der Suche nach Thorsti. Und dann alleine den ewig langen und ewig steilen Burgberg hinauf!

Max pfeffert seinen Ranzen gegen die Wohnungstür. Das hätte er Schwarzwurscht-Karle alles sagen sollen! Dann hätte der verstanden, dass Max nicht einfach herumgetrödelt hat. Aber natürlich ist Max mal wieder rot geworden wie eine Tomate und hat kein Wort rausgekriegt!

Er reißt die Wohnungstür auf. Wird er eben gammlige Nudeln essen! Und wenn er davon Bauchweh kriegt oder vielleicht sogar eine Blinddarm-Entzündung, dann wird Schwarzwurscht-Karle sehen, was er angerichtet hat! Und dann wird er sich wünschen, er hätte Max was zu essen gegeben. Fleischbällchen oder …

WUSCH! – saust ein rot-weißer Kugelblitz an Max vorbei und schießt mit einem fröhlichen Maunzen die Wendeltreppe hinunter.

Oh nein. Statt an Schwarzwurscht-Karle hätte Max mal lieber an Motzkopf denken sollen! Denn der nutzt jede Gelegenheit zum Ausbrechen.

Und zum Einbrechen.

Obwohl sein Bauch ganz leer ist, wird Max schlecht. Erst vorgestern hat seine Mama nicht aufgepasst, und Motzkopf ist aus dem Rabenturm entwischt und in die Wohnung von Oma Finkeldei eingebrochen. Und dort hat er alle Kekse aufgefuttert und ein Nachthemd zerfetzt. Noch so eine Katastrophe kann Max heute nicht gebrauchen!

»Motzkopf!« Während Max die Wendeltreppe hinunterrast, dröhnt seine Stimme durch den Rabenturm, als würden hundert Maxe brüllen. »Sei vernünftig! Das gibt bloß wieder Ärger!«

Doch Motzkopf hat nicht die geringste Lust, vernünftig zu sein. Als Max die letzten Stufen der Wendeltreppe erreicht, kann er nur hilflos mitansehen, wie sich Motzkopf durch das offene Schießschartenfenster quetscht – und laut fauchend ins Freie springt.

Ein Cowboy müsste Max jetzt sein!

Dann könnte er auf einem Pferd hinter Motzkopf hergaloppieren und ihn in Nullkommanix mit einem Lasso einfangen. Aber Max ist kein Cowboy. Und deswegen muss er auf seinen eigenen Beinen durch die Burg rennen. Zuerst über den sonnenheißen Burghof. Dann am alten Backhaus vorbei zum Burggarten hinüber. Dort setzt sich Motzkopf vor das geöffnete Gartentürchen und leckt sich ganz unschuldig die Pfoten. So als ob er plötzlich doch noch vernünftig geworden wäre und nur darauf wartet, dass Max ihn endlich einfängt und nach Hause bringt.

Das kann er haben!

Max duckt sich hinter einen verwelkten Blumenbusch und schleicht sich leise an. Was nicht leicht ist, wenn man so laut schnauft und keucht wie die Omas bei der Morgengymnastik.

Noch vier Schritte.

Motzkopf leckt sich die Pfoten.

Noch zwei Schritte.

Motzkopf guckt Max an.

Können Katzen grinsen?

Ja. Eindeutig: Motzkopf grinst Max an. Und gerade als Max einen Fuß hebt, um den nächsten Schritt zu machen, schlägt Motzkopf blitzschnell einen Haken und flitzt in den Burggarten. Dort prescht er über die Wiese und saust mitten durch die Gemüsebeete von Schwarzwurscht-Karle.

Und Max flitzt, prescht und saust hinterher. Zum Glück ist niemand im Burggarten! Zum Glück pennt die ganze Burg, weil die Omas und Opas ihren Mittagsschlaf halten!

Die ganze Burg?

Nein, nicht die ganze Burg. Auf der Wäscheleine hängen weiße Bettlaken – und dahinter steht jemand.

Obwohl Max von diesem Jemand nur einen großen Schatten sieht, bekommt er eine megafiese Gänsehaut. Denn die Füße von dem Schatten stecken in roten Gesundheitslatschen. Und auf Burg Geroldseck gibt es nur eine Person, die solche Schuhe trägt.

Die Oberschwester Cordula.

Wer jetzt nicht weiß, was eine Oberschwester ist – der muss sich bloß einen superstrengen Hausmeister vorstellen. Einen, der Kinder nicht leiden kann. Einen, der jeden Tag neue Regeln erfindet. Und der dann durch die Schule schleicht und nur darauf wartet, jemanden dabei zu erwischen, wie er gegen eine von diesen tausend Regeln verstößt. Und den verpetzt er dann beim Direktor, und wenn der Verpetzte stundenlang nachsitzen muss, dann fegt er vor dem Klassenzimmer den Pausenhof und pfeift fröhliche Lieder vor sich hin.

Genau so ist eine Oberschwester.

Und die Oberschwester Cordula hasst Katzen noch mehr als Kinder. Oder besser gesagt: einen Kater. Weil Motzkopf so viel Unfug anstellt wie hundert Kinder zusammen. Und deshalb ist es ihm strengstens verboten, die Wohnung im Rabenturm zu verlassen!

Aber Motzkopf ist kein Kater, der Angst vor einer Oberschwester hat.

Mit hoch aufgerichtetem Schwanz spaziert er seelenruhig unter den Bettlaken hindurch. Direkt auf die roten Gesundheitslatschen zu!

Am liebsten würde Max sein Gesicht in die Bettlaken drücken, damit er die nächste Katastrophe nicht mitansehen muss. Und sich die Zeigefinger in die Ohren stopfen, um das Geschimpfe nicht zu hören, das …

»REGEL NUMMER 2

… jetzt losbricht.

»RAUCHEN IST AUF DER GANZEN BURG ALLERSTRENGSTENS VERBOTEN

Hä? Motzkopf raucht doch nicht! Hat die Oberschwester Cordula vor lauter Aufregung die falsche Regel benutzt?

Vorsichtig schiebt Max die Bettlaken ein bisschen auseinander und lugt durch den Spalt.

Oha. Wenn die Lage nicht so ernst wäre, würde Max jetzt laut loslachen. Denn die Oberschwester Cordula schimpft nicht mit Motzkopf – sondern mit Stumpen-Rudi, dem Opa aus dem Südflügel! Und so wie es hinter seinem Rücken qualmt, hat er mal wieder heimlich eine Zigarre geraucht! Obwohl der Arzt ihm das Rauchen allerstrengstens verboten hat!

»Ist doch bloß ein klitzekleines Zigarettchen, meine verehrteste Oberschwester.« Stumpen-Rudi hebt flehentlich die Hände. »Das braucht Dr. Vollmer doch nicht zu erfahren!«

Nie hätte Max gedacht, dass ein Opa so riesengroße Hundewelpen-Augen machen kann. Die sind ja besser als die, die er selbst immer macht, um das Herz von seiner Mama zu erweichen!

Aber so gerne er sehen würde, ob Stumpen-Rudis Hundewelpen-Augen das Herz von der Oberschwester Cordula erweichen können – Max muss Motzkopf weiterverfolgen!

Und der saust schnurstracks zum Südflügel hinüber. Denn dort wohnen die Omas mit den Keksen. Die Omas, die gerne ihre Fenster sperrangelweit offen stehen lassen, damit sie auch ja alles mitkriegen, was auf der Burg passiert.

Verdammter Kackmist!

Max rast die steile Außentreppe zum Wehrgang hinauf. Dort stürmt er an der eisernen Kanone vorbei. An den Pechrinnen und Schießscharten.

Und den ersten offen stehenden Oma-Fenstern.

Dann macht der Wehrgang einen Knick, und Max guckt direkt auf ein Fenster – und Motzkopf guckt von der anderen Seite der Scheibe zurück.

Oh nein.

Max muss die Fenster nicht abzählen, um zu wissen, in welche Wohnung Motzkopf eingebrochen ist. Zum zweiten Mal an diesem Tag bekommt er eine megafiese Gänsehaut.

»Motzkopf!« Max hebt die Hände so flehentlich wie Stumpen-Rudi bei der Oberschwester Cordula. »Du musst da sofort rauskommen. Bitte. Du kannst in jede andere Wohnung einbrechen, aber nicht in diese!«

Motzkopf legt den Kopf schief, als müsste er erst mal über Max’ Worte nachdenken.