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Susan Arndt

Feminismus im Widerstreit

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Susan Arndt, geb. 1967, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin; Deutsch- und Englisch-Studium in Berlin und London; 1997 Promotion mit einer Arbeit zur nigerianischen Literatur; 1997/98 Forschungsaufenthalt in Oxford. Gegenwärtig arbeitet sie an ihrer Habilitationsschrift zur afrikanischen Literatur.

Susan Arndt

Feminismus im Widerstreit

Afrikanischer Feminismus

in Gesellschaft und Literatur

U N R A S T

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Umschlagfotos: Eckhard Breitinger, Berlin
Satz: Jörn Essig-Gutschmidt, Münster

Meinem Vater
in dankbarer Erinnerung

Inhalt

Danksagung

Die Ignoranz des Feminismus. Statt eines Vorwortes

»Wer hat Angst vorm Feminismus?« Einführende Bemerkungen

»Ich bin keine Feministin, aber keine Feministin bin ich auch nicht.« Die Feminismusdebatte in Afrika

Feminismus im interkulturellen Streit. Afro-amerikanische und afrikanische Alternativkonzepte zum Feminismus

Afrikanischer Feminismus. Eine Definition

Strömungen der afrikanisch-feministischen Literatur. Eine Klassifikation

Versöhnlerischer Optimismus und militante Resignation. Das Spektrum der afrikanisch-feministischen Literatur

Von Versöhnung und Optimismus. Reformerische afrikanisch-feministische Literatur

Die Ignoranz überwinden. The Graduate und Grace Ogots Vorstellungen von einer reformierten Gesellschaft

Bescheidener Widerstand. Neue Perspektiven auf kinderlose Ehen in Ifeoma Okoyes Behind the Clouds

»Zwei Männer können nicht zusammen leben.« Kinderlosigkeit, Ehe und weibliche Selbstbestimmung in Flora Nwapas Efuru

Vom Glauben an Veränderungen und Komplementarität. Transformatorische afrikanisch-feministische Literatur

Vom Tropfen auf dem heißen Stein. Über die Selbstbestimmung von Frauen in Akachi Adimora-Ezeigbos Kurzgeschichte Ubaaku

Über Frauen, die das Glück anderer Frauen in der Hand haben. Mariama Bâs Une si longue Lettre

»Es ist unmoralisch für eine Frau, sich selbst untergehen zu lassen.« Frauenleben in Buchi Emechetas The Joys of Motherhood

Von Schätzen und Zerstörern. Männerfiguren in Bessie Heads Kurzgeschichte The Collector of Treasures

Resignation und Aggression. Radikale afrikanisch-feministische Literatur

Von brutalen Männern und blinden Frauen. Pat Ngurukies Kurzgeschichte Mother of Daughters

»Als ich tötete, tat ich es mit der Wahrheit und nicht mit einem Messer.« Nawal El Saadawis Eine Frau am Punkt Null

Jenseits der Differenz von Schwarz und Weiß. Neue Betrachtungen der globalen Frauensolidarität in Calixthe Beyalas Tu t’appelleras Tanga

Afrikanisch-feministische Literaturen und womanistische Theorien

Anmerkungen

Bibliographie

Danksagung

Meine Beschäftigung mit dem Feminismus und mein Interesse für ihn ist ursächlich aus zunächst eigenen Beobachtungen heraus entstanden. Es schlug zu Buche, daß ich in der Gesellschaft und bis hin zu Freunden und Bekannten feststellen mußte, daß trotz zumeist großer aufklärerischer Gesten eine gleichberechtigte Partnerschaft, die wirklich in allen Lebenslagen und im Alltag auf dem Prinzip der Gleichberechtigung beruht, auch in der deutschen Gesellschaft noch längst keine Regel darstellt. Um so mehr bin ich glücklich, daß ich nunmehr seit vielen Jahren mit einem Mann zusammenlebe, für den Gleichberechtigung tatsächlich Normalität ist. Mein Sascha war überdies der wichtigste Diskussionspartner im Entstehungsprozeß dieses Buches. Er hat mir geholfen, wenn ich im Wust meiner Gedanken und Ideen weder Ein- noch Ausgang zu erkennen glaubte. Von unschätzbarem Wert ist auch die Liebe, Kraft und Zeit, die er mir stets zu geben vermag.

Besonders dankbar bin ich für die Liebe und die vielfältige – mit Worten nicht zu würdigende – Kraft und Unterstützung, die mir meine Mutter stets zu geben vermag. Beim Schreiben dieses Buches waren meine Gedanken stets bei ihr. Mein Dank gilt auch der vielfältigen Hilfe, die ich von Dorle erhielt. Auch all den anderen, die mich bei der Erarbeitung dieses Manuskriptes mit Ideen, Ratschlägen und Kritiken bereicherten, sei gedankt: Dies ist zuallererst Akachi Adimora-Ezeigbo, die dieses Manuskript mit großer Akribie las und mich mit unbequemen Fragen dazu brachte, unklare Thesen und Formulierungen zu überdenken. Herzlich sei auch Eckhard Breitinger gedankt, unter dessen geistiger Schirmherrschaft dieses Projekt geboren wurde. Die Studierenden meiner Seminare »Feminismus in der Literatur« und »Strömungen der afrikanisch-feministischen Literatur« waren die wichtigsten Inspirator/innen dieses Projektes. Mit entscheidenden Kritiken und Gedanken haben mich auch Svenja Becherer, Eva Kaufmann, Marion Pape, Katharina Schramm, Andrea Sperk und Flora Veit-Wild bereichert. Ganz besonders möchte ich auch der VW-Stiftung, die die Forschung zu diesem Buch finanziell unterstützte sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die diese Publikation ermöglichte, danken. Schließlich möchte ich besonders unseren Söhnen Max und Joshua für ihre Liebe und ihr Verständnis danken – auch wenn es für sie noch keinen Unterschied macht, ob ich am Computer arbeite oder sie mit Addy Junior auf Entdeckungsreise gehen.

Die Ignoranz des Feminismus. Statt eines Vorwortes

Schlägt man in einem Wörterbuch aus der DDR unter dem Stichwort »Feminismus« nach, stößt man dort auf Erklärungen wie etwa »Überbetonung des Weiblichen, weibische Art; Verweiblichung bei Männern«1. Einen Hinweis auf Feminismus als emanzipatorische Bewegung, die auf eine Veränderung von Geschlechterbeziehungen abzielt, wird man vergebens suchen. Dies harmoniert mit der Tatsache, daß es – zumindest der offiziellen Sicht nach – in der DDR keinen Feminismus gab. Es hieß ja, daß alle Menschen gleichberechtigt seien, also bedurfte man auch dieser emanzipatorischen Bewegung nicht. In logischer Konsequenz gab es in der DDR auch keine Bücher über feministische Theorien. Ja, es war sogar verboten, sich als Feministin zu bezeichnen. Auch wenn der Feminismus in der Bevölkerung letztlich dennoch nicht wesentlich unbekannter war als in anderen europäischen Ländern, begegneten ihm viele Menschen in der DDR – und auch hier manifestiert sich eine Parallele zu anderen Teilen der Welt – mit Vorbehalten. Dies hing vor allem mit der Existenz stereotyper Vorstellungen vom Feminismus zusammen. Viele reduzierten den Feminismus auf Männerhaß und lesbische Liebe. Die meisten jedoch waren ganz einfach nicht am Feminismus und seiner Interpretation der Welt interessiert. So wurde eben auch gemeinhin akzeptiert, daß Kinder und Hausarbeit den Frauen oblagen, während führende Positionen in Politik, Kultur und Wissenschaft vor allem von Männern vertreten wurden. Im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland gingen jedoch mehr als 90% aller DDR-Frauen arbeiten (einschließlich Lehrlinge und Studentinnen). Während sie dadurch also im offiziellen Raum einen festen und gewichtigen Platz innehatten, bestand der Nachteil darin, daß sie einer Doppelbelastung als Mutter und Hausfrau einerseits und im Berufsleben andererseits ausgesetzt waren – eine Situation, die Männer so nicht kannten. Die meisten Menschen der DDR störten sich jedoch nicht daran. Die wenigen Feministinnen versuchten über Kontakte ins Ausland an theoretische Schriften von Autorinnen wie Virginia Woolf, Simone de Beauvoir, Elaine Showalter und Helene Cixous zu gelangen. Als Hanna Behrend, meine damalige Hochschullehrerin, die eine überzeugte Feministin war und ist, mich im Rahmen eines privaten Forschungskreises an diese Theorien heranführte, war ich fasziniert, ohne mich bis ins Detail angesprochen zu fühlen. Als ich jedoch den ersten Roman einer afrikanischen Schriftstellerin las – Buchi Emechetas The Joys of Motherhood –, überkam mich sofort ein Gefühl der Nähe. Dies läßt sich sicher nicht rational erklärten, denn in letzter Konsequenz ähnelte die Situation einer Weißen Frau aus der DDR mehr der einer Weißen Frau aus Westeuropa als der einer Nigerianerin wie Buchi Emechetas Protagonistin Nnu Ego. Dennoch waren es afrikanische Schriftstellerinnen wie Flora Nwapa, Buchi Emecheta, Mariama Bâ und Nawal El Saadawi, die aus mir eine Feministin machten. Ich las begierig jedes Buch einer afrikanischen Schriftstellerin, an das ich herankommen konnte.

In der Umbruchsphase von 1989/90 hatte ich ein anderes einschneidendes Erlebnis mit dem westlichen Feminismus, der mich dem afrikanischen nahebrachte. Zu dieser Zeit begannen sich ostdeutsche Feministinnen offiziell zu organisieren und zu institutionalisieren. Es gab keine Treffen der Ostdeutschen, bei dem nicht auch Feministinnen aus dem Westen anwesend gewesen wären. Viele von ihnen erweckten den Eindruck, als seien sie nur gekommen, um ihren ›ostdeutschen Schwestern‹ beizubringen, worum es beim Feminismus eigentlich geht, ohne dabei gleichzeitig auch willig und bereit zu sein, den Frauen aus der DDR zuzuhören. In patronisierender Art und Weise überrannten viele von ihnen die Frauen aus dem Osten mit Argumentationen und Problemen, die diese nicht interessierten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie eine Frau aus der DDR verwirrt ihren Redebeitrag abbrach, als eine westdeutsche Frau ihr aggressiv ins Wort fiel, nachdem sie gesagt hatte »Ich als Dreher sehe das so …« Die Frau aus Westberlin wollte die Rednerin darauf hinweisen, daß sie eine Dreherin sei; leider machte sie dies zu aggressiv. Weil die Diskussionen so stark von den Frauen aus den alten Bundesländern dominiert wurden, fanden es viele Frauen aus der DDR, die sich in einem feministischen Selbstfindungsprozeß befanden, schwierig, sich mit dem (westdeutschen) Feminismus zu identifizieren. Die Folge war, daß viele von ihnen sich dagegen sperrten, als Feministinnen bezeichnet zu werden, während sie gleichzeitig doch feministisch dachten. In diesem Zustand der Verwirrung stieß ich auf einen Artikel der Nigerianerin Chikwenye Ogunyemi, in dem sie deutlich machte, daß viele afrikanische Feministinnen, die bestehende Geschlechterverhältnisse kritisch beleuchten, dem patronisierenden Verhalten vieler Weißer Feministinnen gegenüber Afrikanerinnen, das sich mit einer Ignoranz gegenüber afrikanischen Besonderheiten paart, reserviert gegenüberstehen. Ich erfuhr, daß sich aus diesem Grund auch viele Afrikanerinnen schwer damit tun, sich mit dem Feminismus zu identifizieren. Angeregt durch Ogunyemis Aufsatz las ich noch viele weitere Artikel zu dieser Problematik, woraus ich auch viel für meine eigenes Verständnis als Feministin lernte. Jahre später, nachdem ich schon als Afrika-Literaturwissenschaftlerin arbeitete und ein Forschungsstipendium für das St. Anthony’s College (Universität Oxford) erhielt, besann ich mich auf diese Zeit zurück, und beschloß, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie der Feminismus in Afrika rezipiert, diskutiert, definiert und praktiziert wird. Das vorliegende Buch ist ein Ergebnis dieser Arbeit.

Im Rahmen der Erörterungen dieses Buches beziehe ich mich primär auf Texte von afrikanischen Akademikerinnen und Schriftstellerinnen. Obgleich viele von ihnen sich auch im aktuellen feministischen Tageskampf ihrer Länder engagieren, sie diesen mitgestalten und von ihm geprägt werden, bleibt festzuhalten, daß das Buch nur ein bestimmtes Stimmenspektrum berücksichtigt. Das ist vor allem methodischen Erwägungen zuzuschreiben, denn die Auseinandersetzung mit Repräsentantinnen feministischer NGOs und Frauen aus anderen sozialen Bereichen als der intellektuellen Mittelklasse würde ganz andere Forschungsmethoden und Herangehensweisen notwendig machen, als jene, die diesem Buch zugrunde liegen. Aus meiner Kenntnis der Situation heraus würde ich die These formulieren, daß die in diesem Buch herausgearbeiteten Tendenzen sich zwar bestätigen würden, im Detail aber weiterführende und ergänzende Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Erste Studien zu diesem Thema, die zumeist einen regionalen Schwerpunkt haben, liegen schon vor.2 Aber letztlich steckt auch die Forschung auf diesem Gebiet noch in ihren Anfängen. Vor allem wäre es interessant, die theoretischen und schriftstellerischen Positionen, die in diesem Buch vorgestellt werden, mit den konkreten Aktivitäten feministischer Organisationen zu vergleichen. Aber das wäre ein anderes Buch, das noch darauf wartet, geschrieben zu werden.

»Wer hat Angst vorm Feminismus?«3 Einführende Bemerkungen

»Von weißen wie schwarzen Frauen muß man im Plural sprechen; eine Schwarz-Weiß-Malerei wird niemandem gerecht.«

(M. J. Daymond)4

»Worin auch immer die Unterschiede zwischen dem schwarzen und dem weißen Feminismus bestehen mögen, kann es keinen Zweifel darüber geben, daß beide bestimmte ästhetische Positionen teilen.«

(Akachi Adimora-Ezeigbo)

»Wenn mich Leute von Zeit zu Zeit ganz unumwunden fragen, ob ich eine Feministin sei, antworte ich darauf nicht nur mit ›Ja‹, sondern ich bestehe sogar darauf, daß jede Frau und jeder Mann eine Feministin bzw. ein Feminist sein müsse – insbesondere wenn er oder sie davon überzeugt ist, daß Afrikaner/innen Verantwortung für Land, Reichtum und Leben in Afrika sowie die Last der afrikanischen Entwicklung tragen sollten.«

(Ama Ata Aidoo)

Auf der Londoner Buchmesse 1984 empörte sich die nigerianische Schriftstellerin Flora Nwapa im Gespräch mit der US-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Alison Perry darüber, daß sie, bloß weil sie über Frauen schreibe, immer wieder ›beschuldigt‹ werde, eine Feministin zu sein. Mit dem Feminismus wolle sie jedoch wegen dessen Anti-Männer-Haltung nichts zu tun haben. Allenfalls könne sie sich mit Alice Walkers Womanismus identifizieren.5 Einige Jahre später, im Juli 1992, nahm Nwapa, die zu den Pionierinnen und wichtigsten Repräsentantinnen der afrikanischen Frauenliteratur gehört, an einer Frauenkonferenz in Nsukka (Nigeria) teil, auf der das Verhältnis Schwarzer6 Frauen zum Feminismus debattiert wurde. In einer Diskussion erklärte sie über ihre Haltung zum Feminismus:

»Als ich vor Jahren durch Nordamerika und Europa tourte, wurde ich oft gefragt, ›Sind Sie eine Feministin?‹ Ich leugnete, eine Feministin zu sein. ›Bitte lassen Sie mich damit in Ruhe. Ich bin keine Feministin.‹ Sie aber sagten, ›All ihre Texte, alles ist doch über Feminismus.‹ Und ich sagte, ›Nein, ich bin keine Feministin.‹ Buchi Emecheta ihrerseits sagt: ›Ich bin eine Feministin mit einem kleinen ›f‹ (was auch immer Buchi damit meinen mag). Nachdem ich nun Obioma7 am Montag und Ama [Ata Aidoo; S.A.] heute gehört habe, werde ich wohl hinausgehen und sagen, daß ich eine Feministin mit einem großen ›F‹ bin, weil Obioma am Montag gesagt hat, daß es beim Feminismus um Möglichkeiten geht; es gibt Möglichkeiten, es gibt Optionen. Laßt uns nicht davor zurückschrecken, zu sagen, daß wir Feministinnen sind. Wir brauchen einander, wir brauchen einander sehr. Weltweit brauchen wir einander.«8

Im Dezember desselben Jahres wurde Nwapa in New York von der Afroamerikanerin Marie Umeh gefragt, was sie dazu sage, daß Katherine Frank sie für eine Radikalfeministin halte. Die Weiße nordamerikanische Literaturwissenschaftlerin Frank ist umstritten, weil sie die Literatur Emechetas, Nwapas und anderer afrikanischer Autorinnen durch eine westliche radikalfeministische Brille gelesen und sie dadurch oftmals regelrecht ›vergewaltigt‹ hat.9 Daß Nwapa eine solche Vereinnahmung ihrer Texte ablehnt, kann nicht verwundern. Nahezu folgerichtig antwortete sie deswegen auf Umehs Frage: »Ich denke nicht, daß ich eine Radikalfeministin bin. Ich akzeptiere nicht einmal, daß ich eine Feministin bin. Ich akzeptiere nur, daß ich eine normale Frau bin, die über das schreibt, was sie kennt.«10

Einen ähnlichen Standpunkt formulierte Nwapa 1990 im Gespräch mit drei Journalisten der nigerianischen Zeitschrift Quality, die – wie ihre Kommentare und Fragen11 sowie der Titel des Interviews (Some ANA12 Members are Crazy) verraten – sich massiv an ihrer emanzipatorischen Gesinnung stießen. Ihre Distanz zu Nwapas Geisteshaltung kulminierte in der Frage, ob Nwapa etwa eine Feministin sei. Diplomatisch beruhigte Nwapa die erhitzten männlichen Gemüter: »Ich verwende das Wort nicht, weil ich das Wort nicht mag.«13

Analog zu Flora Nwapa ist die Mehrzahl der afrikanischen Autorinnen,14 die in ihren literarischen Texten die Situation von Frauen kritisch beleuchten, unentschieden darüber, ob sie Feministinnen sind oder nicht – oder besser, ob sie sich als Feministinnen bezeichnen (lassen) sollten oder nicht. In logischer Konsequenz gibt es keine unumstrittene Bezeichnung für jene Strömung der afrikanischen Literatur, die bestehende Geschlechterverhältnisse kritisiert. Das Fehlen einer begrifflichen Bestimmung spiegelt gleichsam metaphorisch die kontroverse Debatte um den Feminismus in Afrika. Diese Diskussionen darzustellen, ist ein Anliegen dieses Buches. Eingangs ist zu erörtern, wie das Eintreten von Afrikanerinnen für eine Transformation von Geschlechterverhältnissen am besten bezeichnet werden kann. Aus diesem Grund werden zunächst die antifeministischen Ressentiments vieler Afrikaner/innen, die für die Umstrittenheit des Feminismus verantwortlich sind, diskutiert. Sodann werden die afrikanischen und afroamerikanischen Alternativkonzepte zum Feminismus vorgestellt, wobei sie sowohl mit dem Weißen westlichen Feminismus als auch miteinander zu vergleichen sind. Auf der Grundlage dieser Erörterungen komme ich zu dem Schluß, daß das Bestreben von Afrikanerinnen, bestehende Geschlechterverhältnisse zu transformieren, am besten als afrikanisch-feministisch bezeichnet werden kann. Was diesen afrikanischen Feminismus ausmacht, soll im Anschluß daran beschrieben und definiert werden. Aufbauend auf diese Überlegungen soll die afrikanisch-feministische Literatur definiert werden. Diese Definition bedeutet selbstverständlich nicht das Ende der Kontroverse über den Feminismus in der Literatur. Allerdings ist mit ihr die Hoffnung verbunden, daß mit ihrer Hilfe erstmals anhand von klar faßbaren Kriterien darüber befunden werden kann, ob ein literarischer Text einer afrikanischen Schriftstellerin feministisch ist oder nicht. Sogleich soll diese Definition, in komparativistischer Perspektive, auch einen produktiven Beitrag zum westlichen Diskurs über das Wesen feministischer Literaturen leisten.

Analog zur ethnischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Heterogenität des afrikanischen Kontinentes sowie zu den unterschiedlichen individuellen Hintergründen, Erfahrungen und Persönlichkeiten afrikanischer Schriftstellerinnen gibt es eine Vielzahl von Versionen der afrikanisch-feministischen Literatur. Folglich kann hier nicht mehr als ein kleinster gemeinsamer Nenner aller afrikanisch-feministischen Literaturen beschrieben werden, der als nützliches und praktikables Label dienlich sein kann. Um jedoch auch der Heterogenität afrikanisch-feministischer Literaturen Rechnung zu tragen, werden auch ihre Spielarten diskutiert und in einem Klassifikationsmodell gebündelt. Mit Hilfe von ausgewählten Interpretationen afrikanisch-feministischer Texte von Grace Ogot (Kenia), Ifeoma Okoye (Nigeria), Flora Nwapa (Nigeria), Akachi Adimora-Ezeigbo (Nigeria), Mariama Bâ (Senegal), Buchi Emecheta (Nigeria), Bessie Head (Südafrika/Botswana), Pat Ngurukie (Kenia), Nawal El Saadawi (Ägypten) und Calixthe Beyala (Kamerun) wird diese Klassifikation dann auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft, illustriert und exemplifiziert.

In dieser Studie wird oftmals ganz allgemein von afrikanischen Frauen, afrikanischem Feminismus, afrikanisch-feministischer Literatur usw. die Rede sein. Damit soll keineswegs die ethnische, kulturelle, soziale, ökonomische, politische und religiöse Heterogenität Afrikas negiert werden. Das Operieren auf der allgemeinen Afrika-Ebene ist vielmehr methodischen Erwägungen zuzuschreiben. Damit bewege ich mich in einem allgemeinen Trend anderer Studien, die den Feminismus in Afrika thematisieren. Die Mehrzahl der Studien zur Rolle des Feminismus in Afrika sowie der Aufsätze, in denen afrikanische Alternativkonzepte zum Feminismus vorgestellt werden, bezieht sich auf Afrika im allgemeinen. Folglich wird auch ganz prinzipiell von afrikanischen Frauen und vom afrikanischen Feminismus gesprochen.15 Dies ist besonders interessant, da die meisten dieser Studien von Nigerianerinnen geschrieben wurden. Dies würde zwar den Gedanken nahelegen, die Frage nach der Rolle des Feminismus in Afrika am Fallbeispiel Nigerias zu erörtern. Doch letztlich wäre es methodisch nicht seriös, von Nigeria zu sprechen, wenn die Wissenschaftlerinnen aus Afrika ganz allgemein von Afrika reden. Hinzukommt, daß angesichts des gesamten Kontextes des globalen Diskurses über Feminismus eine allgemeine Diskussion afrikanischer Feminismen deutlich interessanter, relevanter und aussagekräftiger zu sein scheint, als eine Studie über eine einzelne Region. Im Kontext der von mir aufgeworfenen Fragestellung erscheint ein Vergleich des Weißen westlichen Feminismus mit dem afrikanischen Feminismus ergiebiger zu sein, als ein Vergleich des, sagen wir, nigerianischen mit dem englischen oder US-amerikanischen Feminismus. Zudem steht man im Kontext der Feminismusdebatte keineswegs nur allein dadurch besser da, daß man sich dem gesamtafrikanischen Ansatz verweigert. Denn der Verzicht darauf, auf dieser ganz allgemeinen Ebene zu operieren, stellt einen vor die schwierige Frage, auf welcher Ebene der Gegenstand der Studie sowie die Begrifflichkeiten dann angesiedelt werden sollten. Es wäre zum Beispiel möglich, bestehende Ländergrenzen als Kriterium zu nehmen. Und natürlich ist es auch sinnvoll und ergiebig, zwischen dem nigerianischen und dem südafrikanischen Feminismus zu unterscheiden. Aber sowohl der nigerianische als auch der südafrikanische Feminismus sind, beispielsweise, ebenfalls nicht mehr als Konstrukte, die der tatsächlichen Heterogenität der nigerianischen und südafrikanischen Feminismen nur bedingt Rechnung tragen. Angesichts der ethnischen Pluralität Nigerias und Südafrikas wäre es zum Beispiel angebracht, vom Yoruba-Feminismus oder Feminismus der Zulu zu sprechen. Aber wer oder was ist ein Yoruba oder ein Zulu…? Und was machen wir mit Frauen wie Chikwenye Ogunyemi, der Begründerin des afrikanischen Womanismus, die in einem Igbo Dorf geboren wurde, in eine Yoruba-community eingeheiratet hat und heute in den USA lebt? Vor allem aber, und das ist noch schwerwiegender, hätten wir mit der Berücksichtigung ethnischer Besonderheiten noch lange nicht der kulturellen, sozial-ökonomischen und religiösen Vielfalt Nigerias oder Südafrikas sowie den individuellen Erfahrungen einzelner Nigerianerinnen oder Südafrikanerinnen Rechnung getragen. Letztlich verkörpert jede Afrikanerin eine eigene Sicht auf die Geschlechterverhältnisse sowie die Problemlage von Frauen und haben alle in Afrika lebenden Feministinnen eigene Vorstellungen von möglichen Zielen und Optionen der Frauenbewegung. Wo also könnte die Spezifizierung enden, um unzulässige Verallgemeinerungen zu vermeiden?

Angesichts dieser diffizilen Situation habe ich mich trotz der Komplexität und Diversität der Situation und Positionen afrikanischer Frauen dafür entschieden, die von mir vorgestellte Fragestellung mit Blick auf Afrika im allgemeinen zu erörtern. Im Bemühen, nur Aussagen zu machen, die tendenziell tatsächlich für weite Teile des Kontinents zutreffend sind, bin ich jedoch gezwungen, mit Verallgemeinerungen zu arbeiten, die wenig Raum für regionale Besonderheiten lassen. Um der Heterogenität der Sachlage zumindest ansatzweise Rechnung zu tragen, werde ich, wann immer es sprachlich möglich ist, mit dem Plural operieren und, wo immer es absolut unerläßlich ist oder es sich anbietet, regional spezifizieren.

»Ich bin keine Feministin, aber keine Feministin bin ich auch nicht.« Die Feminismusdebatte in Afrika

Die Unsicherheit afrikanischer Schriftstellerinnen darüber, wie sie sich zum Begriff und Konzept des Feminismus verhalten sollen, steht in engem Zusammenhang mit der Tatsache, daß dem Feminismus in afrikanischen Ländern mit sehr vielen Vorbehalten begegnet wird. Diese antifeministischen Ressentiments gehen maßgeblich auf stereotype Vorstellungen vom Wesen des (Weißen westlichen) Feminismus zurück, die zwar vereinzelt zutreffen mögen, der Heterogenität (Weißer) Feminismen jedoch keineswegs Gerechtigkeit zuteil werden lassen. Die nigerianische Schriftstellerin Akachi Adimora-Ezeigbo schreibt über die Ablehnung des Feminismus: »Trotz seiner noblen Ziele wird der Feminismus oftmals mißverstanden. Einige Menschen meinen, der Feminismus schwöre Visionen von aggressiven Frauen herauf, die versuchen, wie Männer zu sein, die sich nachlässig kleiden und grundlegende weibliche Attribute aufgeben.«16 Tatsächlich wird der Feminismus immer wieder mit dem Radikalfeminismus und dieser mit Männerhaß, Penisneid, der Ablehnung afrikanischer Traditionen, dem grundsätzlichen Verneinen von Mutterschaft und Ehe, dem Favorisieren lesbischer Liebe und dem Bestreben gleichgesetzt, die Geschlechterverhältnisse in ihr Gegenteil zu verkehren.17 Einerseits ist diese Stereotypisierung in der Regel eine bewußte und psychologisch logische Verkürzung der Realität, die hilft, das Fremde und Angsteinflößende besser verunglimpfen zu können. Andererseits bestärken Schlagwörter wie diese natürlich auch bestehende Ressentiments und Ängste. Tatsächlich begegnen viele Afrikaner/innen dem Feminismus mit Furcht. Sie befürchten – letztlich zurecht –, daß der Feminismus das tradierte Rollenverhalten der Geschlechter angreifen und verändern könnte. Die Hauptsorge der Männer ist dabei, daß sie ihre Privilegien verlieren könnten. Obgleich der Feminismus beispielsweise auch an der Macht kratzt, die Schwiegermütter über die Frauen ihrer Söhne haben, ist der eventuelle Verlust von Privilegien nicht die Motivation der antifeministischen Haltung von Frauen. Sie empfinden es, und dies trifft ebenfalls auf Skeptiker unter den Männern zu, als bedrohlich, das Alt-Bekannte, das Gewohnte zu verlieren – das, was sie als ›Normalität‹ kennen lernten. Dem Feminismus wird also – wie jeder neuen politischen und kulturellen Bewegung – von vielen Menschen mit einer Zurückhaltung und Furcht begegnet, mit der Fremdes prinzipiell zu kämpfen hat. Aus der Vielzahl von Ängsten heraus wurden von Männern und Frauen, die kein Interesse an einer Veränderung der Geschlechterverhältnisse haben, verschiedenartige Argumentationslinien gegen den Feminismus entwickelt.18

Die Äußerung Leopold Senghors, des ersten senegalesischen Präsidenten und Poeten der Negritude, repräsentiert eine der unter diesen Kritiker/innen vorherrschenden Meinungen: »Entgegen einer heute weit verbreiteten Meinung braucht die Afrikanerin nicht befreit zu werden. Sie ist schon seit vielen Tausend Jahren frei.«19 Es gäbe also gar keine geschlechtsspezifische Unterdrückung. Der Nigerianer Chinweizu, einer der wichtigsten afrikanischen Kulturtheoretiker und Vordenker der Dekolonisation, hat ein Buch über die Anatomie weiblicher Macht geschrieben, in dem er sich gar in der These verliert, daß es an der Zeit sei, daß sich Männer unter dem Dach des Maskulinismus von der Unterdrückung und Diskriminierung durch Frauen befreien. »Männer mögen die Welt regieren«, schreibt er, »aber Frauen regieren die Männer, die die Welt regieren.«20 So kommt er zu dem fragwürdigen Schluß:

»Der Feminismus ist eine Bewegung gelangweilter Matriarchinnen, frustrierter Wildfänge und krankhafter Nörglerinnen; jeder dieser Frauentypen hat seine eigenen Gründe dafür, mit dem matriarchalischen Paradies, welches die traditionelle Welt der Frauen nun einmal ist, unzufrieden zu sein … Der Feminismus ist eine Revolte im Paradies; und die feministischen Rebellinnen gefährden die uralten matriarchalischen Privilegien aller Frauen.«21

Tatsächlich fallen viele afrikanische Frauen durch ihre starke Persönlichkeit und ihr dominantes Wesen auf. Sie sind die Herzen der Familien, die alle Fäden des familiären und kommunalen Lebens in der Hand zu halten scheinen. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, agieren Frauen jedoch eher aus der zweiten Reihe heraus. Im öffentlichen gesellschaftlichen Leben wie auch in der Familie eröffnen sich Frauen nur inoffizielle Einflußmöglichkeiten. Die offizielle Macht ist in aller Regel Männern vorbehalten. Hinzukommt, daß es in allen Sphären des öffentlichen und familiären Lebens eine Geschlechterhierarchie gibt, die Frauen deutlich benachteiligt, wenn nicht gar diskriminiert. In ländlichen Gebieten verrichten Frauen mehr als 90% aller täglich anfallenden Arbeiten. Sie stehen lange vor ihren Männern auf und kommen abends lange nach ihnen zur Ruhe. Auch außerhalb des Hauses verrichten Frauen die deutlich schwereren Arbeiten. So dekken sie beispielsweise den Wasser- und Feuerholzbedarf ihrer gesamten Familie ab. Zudem verrichten sie die körperlich anstrengendste Feldarbeit, wobei ihnen jedoch der Anbau der king crops, der wertvollsten Feldfrüchte wie z.B. Jams, von Männern ›abgenommen‹ wird. Auch im urbanen Leben sind Frauen geforderter als Männer, weil die Erziehung der Kinder wie auch sämtliche Hausarbeiten eindeutig als Frauenarbeiten definiert sind. Frauen sind so der Doppelbelastung von Familie und Beruf ausgesetzt, wobei sie in sämtlichen gesellschaftlich bedeutsamen Machtpositionen in der Wirtschaft, Politik und im Bildungssektor akut unterrepräsentiert sind. Trotz ihrer unableugbaren Leistungen werden Frauen im öffentlichen Denken nur allzuoft auf ihre Rolle als Ehefrau oder Mutter reduziert und als den Männern unterlegen angesehen. Ihnen sind eklatante Menschenrechte versagt. So gelten sie beispielsweise immer als Eigentum eines Mannes – ihres Vaters oder aber ihres Ehemannes. Eine der perfidesten modernen Formen dieses Eigentum-Status ist, daß Frauen in vielen Ländern Afrikas ohne die Einwilligung ihres Mannes keinen Arbeitsvertrag unterschreiben oder kein Visum beantragen dürfen. Analog dazu dürfen Frauen in einigen Ländern nur mit Erlaubnis ihres Mannes einen Kredit bei einer Bank aufnehmen. Dadurch geraten sie in finanzielle Abhängigkeit vom Mann, die sie oftmals durch ein Sich-Besinnen auf alternative Kreditformen zu kompensieren versuchen. Auch der Schwiegerfamilie gegenüber haben Frauen nur Pflichten, aber keine Rechte. Stirbt der Mann, so ist für gewöhnlich einer seiner Brüder der direkte Erbe. Obwohl die Frau den gemeinsamen Wohlstand in aller Regel maßgeblich miterarbeitet, hat sie keinerlei Verfügungsgewalt darüber. Sie verliert ihr gesamtes Hab und Gut, wodurch sie in eine finanzielle und soziale Abhängigkeit von ihrer Schwiegerfamilie gerät. In aller Regel wird sie dann, so will es das Levirat, mit ihrem ehemaligen Schwager vermählt, damit sie ›versorgt‹ ist. Ihre persönliche Meinung spielt dabei ebensowenig wie bei der ersten Eheschließung eine Rolle. Andere frauenfeindliche Institutionen sind die genitale Beschneidung, die Zahlung des Brautpreises und die Polygynie22. Auch wenn in vielen Ländern Afrikas versucht wird, diesen patriarchalischen Strukturen Einhalt zu gebieten, ist es eine klare Verhöhnung der Lebenssituation von Frauen, Feminismus als eine »Revolte im Paradies« zu bezeichnen.

Daß es durchaus nötig ist, Frauen von den vorherrschenden Geschlechterkonventionen zu befreien, wird auch aus der Stoßrichtung einer anderen weit verbreiteten Argumentationslinie sichtbar. Hier wird gern das Bild der fünf Finger einer Hand bemüht, die zwar alle ähnlich aussehen und doch verschieden sind und unterschiedliche Funktionen innehaben. Dieses Gleichnis stützt die Argumentation, daß die Natur Männer und Frauen nicht zufällig so verschieden geschaffen habe. Ihnen kommen nun einmal unterschiedliche soziale Funktionen und Wirkungskreise zu. Da die Frauen die Kinder bekommen, müsse auch die Erziehung und Versorgung der Kinder ihnen obliegen. Folglich, so lautet der wenig überzeugende Schluß, können die öffentlichen gesellschaftlichen Funktionen auch nur von Männern wahrgenommen werden.23

Andere Kritiker/innen des Feminismus behaupten, daß Afrikanerinnen, die mit dem Feminismus sympathisieren, nicht mehr als willenlose Nachahmerinnen des Weißen westlichen Feminismus seien.24 So beschwerte sich Ama Ata Aidoo, eine der wichtigsten afrikanischen Schriftstellerinnen, die schon seit den 1950er Jahren afrikanisch-feministische Literatur publiziert: »Wir hören ständig, daß der Feminismus eine Sache sei, die nach Afrika importiert wurde, um die positiven Beziehungen zwischen afrikanischen Frauen und Männern zu ruinieren.«25 Meist ist dieser Vorwurf mit der Unterstellung verbunden, Feministinnen verleugneten ihre afrikanische Identität, ihre Geschichte und ihre spezifischen Probleme und seien Opfer der Kolonisierung des Denkens und des Bewußtseins. Im Bemühen, dieses Argument zu entkräften, haben feministische Wissenschaftlerinnen immer wieder darauf hingewiesen, daß Frauen in traditionellen afrikanischen Gesellschaften bereits vor der kolonialistischen Invasion feministisch gelebt haben.26 Kolawole schreibt zum Beispiel: »In vielen afrikanischen Sprachen gibt es kein Synonym für Feminismus im Sinne der westlichen Definition. Dennoch kennt und praktiziert die Mehrheit afrikanischer Frauen das Konzept von Gruppenaktivität unter Frauen, das auf der Idee des Gemeinwohls in sozialen, kulturellen, religiösen und politischen Angelegenheiten basiert.«27 In diesem Zusammenhang sind zum Beispiel die traditionellen Frauenverbände wie die Vereinigungen von Töchtern oder Ehefrauen einer väterlichen Verwandtschaftslinie oder aber Jahrgangsgruppen zu nennen, in denen Frauen unter anderem bei familiären und finanziellen Problemen solidarische Unterstützung fanden und finden. Zudem sei erwähnt, daß afrikanische Frauen im Kreis ihrer Familie und auch – wenngleich in deutlich geringerem Maße und vor allem inoffiziell – in ihren Gemeinschaften schon immer selbstbewußt, einflußreich und mächtig waren.28 Daran gibt es keinen Zweifel, aber die Position, daß der Feminismus in Afrika einzig und allein auf afrikanische Wurzeln zurückgehe, ist ebenfalls problematisch, weil mit dieser Position die katalytische Funktion des Weißen westlichen Feminismus auf den afrikanischen völlig außer Acht gelassen wird. Ama Ata Aidoo meint in diesem Sinne:

»Die [westliche; S.A.] Frauenbewegung hat definitiv unsere Überzeugung bekräftigt, daß es notwendig ist, die Entwicklung von Frauen in jeder uns möglichen Weise voranzutreiben. Aber man darf sich das nicht so vorstellen, daß jemand morgens aufwachte und feststellte, daß über die Entwicklung von Frauen gesprochen wird und man auf diesen Zug aufspringen sollte – nein. Was passierte, war, daß der eigene Glaube und die eigene Überzeugung bestätigt wurden. Bei uns sagt man, wenn Du eine Trommel nimmst, um auf ihr zu spielen, und niemand einstimmt, machst Du Dich lächerlich. Die von der Frauenbewegung dargebotene Hilfe ist mit den Menschen vergleichbar, die die Trommel nehmen und mit Dir zusammen spielen.«29

Zudem ist es problematisch, den Einfluß, den afrikanische Frauen stets hatten, in jedem Fall als feministisch zu bezeichnen, weil weder die Frauen noch die genannten Organisationen diesen Einfluß geltend machten, um bestehende Geschlechterverhältnisse in Frage zu stellen oder zu überwinden – das aber ist dem Feminismus wesenseigen. Es kann jedoch argumentiert werden, daß die Wurzeln afrikanischer Frauenbewegungen zum großen Teil in traditionellen afrikanischen Gesellschaften zu finden sind. Aber die Existenz des Feminismus in Afrika hat auch viel mit dem Einfluß des Weißen westlichen Feminismus zu tun. Schlußfolgernd bleibt festzuhalten, daß der Feminismus kein bloßer Import ist und daß eine Identifikation mit dem afrikanischen Feminismus nicht impliziert, daß afrikanische Frauen ihre Identität verleugnen würden.

Auch wenn der Feminismus in Afrika traditionelle und rurale Wurzeln hat, sind es vor allem Städterinnen der intellektuellen Mittelklasse, die sich von feministischen Ideen angesprochen fühlen. Sie sind es, die den Feminismus-Diskurs in Afrika führen und die sich in feministischen Verbänden und Bewegungen organisieren. Deswegen muß sich der Feminismus auch den Vorwurf gefallen lassen, daß er eine elitäre Bewegung sei.30 Diese Tatsache darf allerdings nicht zu dem Schluß verleiten, der Feminismus habe keine Relevanz für Afrika oder sei gar ›unafrikanisch‹. Schließlich sind diese feministisch ausgerichteten Angehörigen der Mittelklasse ein integrativer Bestandteil afrikanischer Gesellschaften.

Schließlich werden Menschen, die feministische Ideen vertreten, darüber belehrt, daß die derzeitige Situation in Afrika keinen Raum für feministischen Luxus böte, weil die Armut und die politischen Mißstände, der Rassismus und/oder auch die Klassenfrage schwerwiegendere Probleme als die Gecshlechterfrage darstellten.31 In Ländern, die tiefe Narben kolonialer Willkür, neokolonialistischer Militärdiktaturen, von Armut, Hunger und Kriegen tragen, und die sich gegen westliche Kulturdominanz zu behaupten versuchen, wiegen Vorhaltungen wie diese begreiflicherweise schwer. Nur wird bei dieser Argumentation übersehen, daß das Engagement für die Verbesserung der Lebenssituation der Frau alles andere als zwingend das Aufbegehren gegen andere soziale, politische, ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Unterdrückungs- und Diskriminierungsformen ausschließt.

Die genannten Positionen können die Existenz des Feminismus in Afrika nicht wirklich gefährden, da Sympathisantinnen und potentielle Vertreterinnen des Feminismus – also jene, auf die es hierbei wirklich ankommt – sie in der Regel nicht teilen würden. Es ist jedoch folgenschwer für den Feminismus, daß auch viele afrikanische Männer und Frauen, deren Weltanschauung an sich mit feministischen Grundideen korrespondiert, dem Feminismus mehr oder weniger distanziert gegenüber stehen. Dabei greifen sie vor allem auf drei Argumentationsmuster zurück. Einer ihrer Hauptvorwürfe lautet, daß Weiße Feministinnen gegenüber frauenpolitisch aktiven Afrikanerinnen ausgerechnet Mechanismen praktizieren, die sie selbst anderweitig Männern vorwerfen: Ignoranz und Arroganz. Den Weißen Feministinnen wird vorgehalten, daß sie entweder nicht über den Tellerrand ihrer eigenen Gesellschaft hinausschauen und folglich die spezifischen Probleme afrikanischer Frauen ignorieren oder marginalisieren32 – dieser Vorwurf gilt vor allem den liberalen Feministinnen33 – oder aber ins andere Extrem verfallen – und hier sind vornehmlich die radikalen und marxistischen Feministinnen gemeint – und sich anmaßen, im Namen aller Frauen sprechen zu können. Bevormundend belehrten sie ihre ›afrikanischen Schwestern‹, wobei sie ihre eigenen Anschauungen und Erfahrungen der Bewertung der Lebenssituation sowie der emanzipatorischen Vorstellungen afrikanischer Frauen(bewegungen) zugrunde legten, ohne wirklich über die Situation und die Probleme von Frauen afrikanischer Länder informiert zu sein.34 Dem Weißen westlichen Feminismus wird also Kulturimperialismus vorgeworfen.35

Während dieser Vorwurf den Weißen westlichen Feminismus, wenn auch nicht zwangsläufig alle Weißen Feministinnen, an seiner Achillessehne trifft, ist das zweite Argument, das von frauenpolitisch engagierten Afrikanerinnen zur Begründung ihrer antifeministischen Ressentiments angeführt wird, stärker zu hinterfragen: Sie meinen, daß sie wenig mit dem Feminismus anfangen und erst recht nicht unter dessen Schirmherrschaft agieren könnten, weil dieser sich allein auf die Geschlechterfrage konzentriere, sie die Geschlechterverhältnisse jedoch nur im Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Problemen wie Rassismus, Neokolonialismus, (Kultur-)Imperialismus, sozial-ökonomischen Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmechanismen, religiösem Fundamentalismus sowie diktatorischen und/oder korrupten Systemen betrachteten.36

Dieser Vorwurf hat für die verschiedenen Spielarten des Feminismus in ganz unterschiedlichem Maße Berechtigung. Während der radikale und der liberale Feminismus beispielsweise in der Tat die Geschlechterfrage isoliert thematisieren, ist die theoretische Grundlage des marxistischen Feminismus – nicht zuletzt infolge des Einflusses des (oftmals marxistischen) afroamerikanischen Feminismus – die sogenannte tripple oppression: Wie auch andere Feministinnen wie z.B. jene, die der autonomen Bewegung nahestehen, gehen marxistische Feministinnen von einer Dreieinigkeit von ›race‹37, ökonomischem Status und Geschlecht aus. Ihre Vorstellung von einer gesellschaftlichen Radikalerneuerung basiert auf der Überzeugung, die patriarchalische Gesellschaftsordnung könne nicht abgeschafft werden, ohne daß zugleich auch jegliche Form von rassistisch motivierter Unterdrückung und Ausgrenzung sowie das markante ökonomischsoziale Gefälle in allen Gesellschaften überwunden werden würden.38 Afrikanische Feministinnen werfen dem marxistischen Feminismus allerdings vor, daß sein theoretisches Konzept keineswegs tatsächlich ein integraler Bestandteil seiner Tagespolitik sei. Den Problemen von Afrika und Afrikaner/innen würden, beispielsweise, meist bloß gesonderte Veranstaltungen oder Sonderausgaben von Zeitschriften oder Buchreihen gewidmet. Es handelt sich also um Tokenismus.39 Gewichtig ist jedoch auch der Einwand von Obioma Nnaemeka, daß diese Dreieinheit ›race‹-Klasse-Geschlecht für afrikanische Verhältnisse viel zu kurz greift.40 Tatsächlich berücksichtigt der afrikanische Feminismus den gesellschaftlichen Kontext weitaus komplexer. Allerdings darf auch nicht vernachlässigt werden, daß sich einige Frauenorganisationen und -bewegte – und diese These basiert auf meiner bisherigen Auseinandersetzung mit Manifesten und politischen Aktionen afrikanischer Frauenbewegungen sowie mit der schöngeistigen Literatur – vornehmlich oder gar ausschließlich auf die Geschlechterfrage konzentrieren.41 Alles in allem wird hier deutlich, daß der obige Vorwurf für den (Weißen westlichen) Feminismus als Konglomerat ganz verschiedener feministischer Strömungen so pauschal nicht haltbar ist. Die Position, daß der Weiße westliche Feminismus – und zwar im prinzipiellen Unterschied zum afrikanischen – allein auf die Kategorie Geschlecht zentriert sei, muß relativiert werden.

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