Faust - der Tragödie dritter Teil

Und allegorisch, wie die Lumpen sind,
Sie werden nur um desto mehr behagen.

Goethe, Faust,
der Tragödie zweiter Teil

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Einfaches Zimmer. Lieschen tritt auf.

Lieschen.
Ich bin das Lieschen, das am Brunnentrog
Einst des Gespräches mit dem Gretchen pflog.
Erinnert euch, wie sie aus meinem Munde
Vom Bärbelchen vernahm die schlimme Kunde.
Weil ich nun damals so moralisch sprach,
Ließ mir der Herr in seiner großen Gnade
Des Fegefeuers heiße Qualen nach
Und läutert mich auf minder hartem Pfade.
Er wählte mich nach meines Lebens Endung
Zu sonderlich bedeutungsvoller Sendung,
Ernannte mich zu hochgewicht'ger Stelle:
Im Himmelsvorraum, an der heil'gen Schwelle
Darf ich als Fausti Seelenfreundin leben,
Bis wir gereift, ins Heiligtum zu schweben.
Das arme Gretchen, das zu hart gebüßt:
Ihr ist jedwede Läuterung erlassen,
Als sel'ger Geist ward sie schon längst begrüßt
Im sel'gen Kreis, den keine Worte fassen,
Sie wohnt in der Verklärten Sitz
Zu hoch für eines Dichters Witz.
Vernehmet nun, was ich getreu berichte
Von Doktor Fausts seitheriger Geschichte.
Als er zum Himmelseingang ward erhoben,
Erklang ein Ruf posaunenhaft von oben:
»Es hat nicht ohne Recht
Der Kritiker Geschlecht,
Voran der Geist, der stets verneint
Und stets als ihr Regent erscheint,
Den scharfen Einwand vorgebracht,
Der viele Leser stutzig macht,
Der Geisterwelt präsentes edles Glied,
Nicht ganz so strebend hab' es sich bemüht,
Als nötig, es zu retten
Aus Satans Ketten;
Darum ward resolvieret,
Wird hiermit dekretieret:
Faust soll vorerst dahüben
Noch eine Zeit sich üben,
Soll zur Erinnrung an sein Amt auf Erden
Im mystischen Vorraum vor dem höchsten Himmel
Bei sel'ger Knaben munterem Gewimmel
Präzeptor werden!
Dies soll mit gewissen Entbehrungen,
Mit prüfenden Erschwerungen,
Mit Lockungen, die wir nach unserem Plan
Dem Satan selbst bewilligt han,
Verbunden sein!
Und obendrein
Erfolgen dann weitere Übungen,
Versuchende heilsame Trübungen,
Zum Prozess,
Was noch verhüllt bleibt unterdes.
Dies soll ergehn über unsern Knecht!
Conclusum! Vidit! Es ist recht.« –
Erlaubt, dass ich hier nebenbei bemerke,
Ein Wink in Goethes eigenem Dichterwerke
Sei als Motiv, worauf der Spruch sich stützt,
Vom höchsten Consistorium benützt:
Da Fausti Seele – freilich fast zu prompt –
Mit Engelpost zur Himmelspforte kommt,
Im Puppenstande zwar zunächst,
Dann aber reißend schnelle wächst,
So singen dort die sel'gen Knaben –
Ihr werdet's ja gelesen haben
Und kennt den pädagogisch schönen Text:


        »Er überwächst uns schon
        An mächtigen Gliedern,
        Wird treuer Pflege Lohn
        Reichlich erwidern.
        Wir wurden früh entfernt
        Von Lebechören,
        Doch dieser hat gelernt,
        Er wird uns lehren.«


Was nun das himmlische Dekret
Unter den Prüfungen versteht,
Die an den neuen Stand sich knüpfen
Nebst andern, die dann weiter folgen sollen:
Lasst nur das Drama weiter hüpfen,
So wird sich alles euch entrollen.
Ich melde jetzt – ihr werdet es verlangen –
Genauer, was mit mir ist vorgegangen.
Nicht fern von diesem himmelnahen Ort
Steht ein Gebäude, edler Bildung Port,
Ein Institut, Feld für Erziehungssaat,
Vorhimmlisches Töchterpensionat,
Wo man das Herz sowohl als auch den Geist
Im Guten, Wahren, Schönen unterweist.
Da wird der Sinn geseiet und gesichtet,
Im deutschen Stil, in Logik und Musik,
Literatur, Kritik sowie Physik,
Vor allem in der Unschuld unterrichtet.
»Religion für Töchter« war die Blume
Des Unterrichts. Des Herrn Direktors Muhme
Trug sie uns vor; wie tief und klar,
Ich vergess es nie!
Ihr schöner Standpunkt war
Gemäßigt freisinnige Theologie. –
Manch Gröbliches, was mir vom alten Stande
Noch anhing, tat mir ab die Gouvernante.
Wahr ist es leider, dass ich gerne klatschte,
Wenn ich mit andern zu dem Brunnen patschte;
Weit hinter mir mit Gelte und mit Krug
Liegt jetzt dieser lasterhafte Zug.
Ich reifte, machte mein Examen,
Und als den Faust hierher die Engel nahmen,
Ward ich als Hausverwalterin,
Als weise Unterhalterin,
Als Warnerin, als Mahnerin,
Vollkommenheitsanbahnerin
Dem Waller nach dem Himmelszelt
In Gnaden beigesellt.
(Sie geht an den Tisch, deckt weiter, tritt aber noch einmal vor.)
Doch ob der Anstalt zu Herrn Doktors Essen
Hätt' ich noch einen Hauptpunkt fast vergessen.
Der gute Valentin! Da muss ich nun
Vom Bärbelchen zugleich Erwähnung tun:
Der Valentin, kein anderer, war ihr Schatz,
Ein Leichtfuß schien er mir, ein Flatterspatz;
Ich sprach: »Er ist ein flinker Jung,
Hat anderwärts noch Luft genug.«
Wie unrecht! Er war treu! Allein er fiel,
Und Treu und Leben fand ein frühes Ziel.
Und als zu ihr die Trauerkunde kam,
Sie trug es nicht, die Arme starb vor Gram.
Doch ihm und ihr war für so schweres Leid
Entschädigung von seltener Art bereit:
Er durfte hier am Rand der Himmelshallen
Für müde Pilger, die zum Gipfel wallen,
Ein Wirtshaus, eine Brauerei errichten,
Wohin zur Labung kurze Zeit sie flüchten.
Die Bärbel kocht, er schenkt, und alle Gäste
Befinden sich, so hört man, auf das beste.
Jedoch für meinen guten Faust,
Der hier so friedlich mit mir haust,
Ist dieser Umstand keine Kleinigkeit.
Warum? Die Antwort ist bereit,
Der nächste Auftritt bringt sie schon
Mit mächtiger Sensation.
Hiemit sind dann die Proben eingeläutet,
Die jener Ausspruch dunkel angedeutet.
Ach Gott, mir ist es angst und bang
Vor dem geahnten Sturm und Drang!
Doch schimmert Licht des Trostes in die Nacht,
Ein Himmelsbote hat es überbracht:
Es ist ein milder Zusatzparagraph
Zum strengen Machtwort, das den Teuren traf:
Der Valentin, der handfest tücht'ge Klopfer,
Auf Erden einst des Fausti blut'ges Opfer,
Jetzt christlich ihm versöhnt nach Möglichkeit,
Soll ihm zur Hilfe, wenn die schwersten Proben
Ihn etwan aus dem Gleichgewicht geschoben,
Mit seiner Muskel Boxkraft sein bereit.
Seht hier die Klingel: kommt's zu schwer,
So darf ich ziehn und er eilt her.
Genug, es ist des Mittagessens Hora,
Euch grüßt des Schauspiels Chorus oder Chora.
(Verneigt sich und tritt an den Tisch zurück.)


Zweiter Auftritt

Faust tritt ein.

Lieschen (nimmt ihm Hut und Mantel ab).
Bist müde, mein Verehrter! Komm, gib her!

Faust.
Ach, wie war heut die Mühe wieder schwer!
Wie schmeckte mir ein gutes Gläschen Wein!

Lieschen.
Mein guter Heinz, du weißt, es darf nicht sein!
Hier steht die Milch, komm her, ich schenk dir ein.

Faust.
Ach ja (er nimmt und trinkt mit Widerwillen),
und Hunger setzt's, nach solcher Last!
Was gibt's zu essen, sag, was hast?

Lieschen.
Du weißt es ja, Heuschreckentag ist heut,
Doch morgen gibt es liebliches Gebäck
Von wildem Honig.

Faust.         Widriges Geschleck!
O schmale Kost, o harte Prüfungszeit!
So lebt kein Proletarier,
Kein Züchtling, Vegetarier!

Lieschen.
Beherrsche dich, denk immer an den Zweck!

Faust.
Ich bitte, darf ich denn mit Fug mich nicht beschweren?
Den Jungen soll ich Faust, den zweiten Teil, erklären!
Ja, das macht Hunger, das macht Durst!
Wie lechzt man da nach Bier, nach Wein, nach Wurst!
Dabei darf ich den Stecken zwar besitzen,
Doch ihn bei schwerer Strafe nicht benützen,
Soll, was sie auch für Bubenstreiche treiben,
Für ausgesuchten Schabernack,
Geduldig wie ein sanfter Engel bleiben!
O das verfluchte Schlingelpack!

Lieschen.
Heinrich!

Faust.
Verzeih, dass mir das starke Wort entflohn,
Ein Rückfall war's in alten Erdenton!
O wolle du nur fort und fort,
Als Hüterin, als Seelenhort,
Wenn mich des Zornes raue Geister zwacken,
Mich reinigen von diesen Erdenschlacken,
Hier an des Himmels Ranft
Weiblich gelind und sanft
Zu höheren Gefilden
Mich bilden!

Lieschen.
O nein, mein Guter, du auch bildest mich,
Ich dich durch des Gefühles zarte Bande,
Du mich mehr mit dem männlichen Verstande;
O Wechselbildung schön und förderlich!
O Wonne, zu des höchsten Himmels Hallen
Einander bildend so emporzuwallen!

Faust.
Ja, das ist schön und wäre schöner noch,
Wär' die Diät um etwas besser doch!
Dich, Holde, tadl ich nicht
Ums magere Gericht,
Du folgst ja nur, ich weiß es lange schon,
Dem Wortlaut höherer Instruktion.
Des Leibs Entbehrung,
Der Geistabklärung
Zweckvolle Mehrung,
Sie soll den alten Erdenbengel
Filtrieren bis zum reinen Engel;
Und doch ist's hart, doch ist es halt zu viel,
Zu steiler Weg zu dem erhabenen Ziel,
Wenn man vom Schulstaub kommt so hungrig, so verschwitzt,
Mit tiefem Atemzug zu Tisch dann endlich sitzt
Und findet da das traur'ge Einerlei,
Kartoffel, Lattich, fade Pflanzenkost
Und nur am Sonntag dünnen Apfelmost.
O Lieschen, du mit deinem Weibermagen,
Du ahnest nicht, was solche Kur will sagen!
Warum dies Leben, wie Johann der Täufer?
Ich war ja doch kein Fresser und kein Säufer!

Lieschen.
Noch andre Formen treibt die Üppigkeit,
Gedenke reuig der arkadischen Zeit!
Warum bist du zur Prüfung da?
Gedenk, o Faust, der Helena!

Faust.
Ach, geh mir weg, es sei dir nicht verhehlt:
Symbolisch war ich nur mit ihr vermählt,
Man tat nur so, es war der pure Schaum,
Phantasmagorisch schattenhafter Traum!

Lieschen.
Den Blocksberg, Faust, vergiss nicht ganz!
Da führte dich der arge Reisebruder
Zu Tanz mit wem? Pfui, Faust, zu welchem Tanz!

Faust.
Das waren dennoch allerliebste Luder!

Lieschen.
Heinrich, mir graut vor dir!

Faust.
Ach Gott, verzeih!
Verzeih, dass ich so tief zurückfiel!
Des Ärgers, Hungers, Durstes Tyrannei
Reizt zynisch mich zum alten groben Stil!
Vergiss das rohe, unanständ'ge Wort
Und bilde mich nur immer weiter fort!

Lieschen.
Der Stil nur wär' es? Ist's nicht der Gedanke?

Faust.
Es waren freilich gar so reizend schlanke.

Lieschen (nach einem Blick in den Spiegel).
Faust, Faust, sei jetzt doch mehr für das Gesetzte,
Nur das Solide sei dir das Geschätzte!
Die starken Reden lass dem Valentin,
Dem Mann des Volkes gehen sie eher hin.

Faust.
O er, gefällt durch meinen Degenstoß,
O wie beneid ich ihm sein jetzig Los!
Nicht Macbeth konnt' in seiner Seele Leiden
So schmerzlich den Gemordeten beneiden!
Mir vor der Nase steht sein wohnlich Haus,
Und wirbelt da des Herdes Rauch heraus,
Hör ich vom Anstich den vertrauten Klang,
Vergnügter Gäste Schwatzlärm und Gesang,
Und denk ich, wie's dem Guten ist zu gonnen,
Wenn abendlich am Himmel sinkt die Sonnen,
Dass er in sich geht und denkt,
Wo man einen guten schenkt,
Da ist mir – ach, wie kann es anders sein!
Als zög' mich Zaubermacht hinein!
Wohl sag ich mir im Namen der Moral
Den Grund und Zweck von dieses Darbens Qual,
Doch ist es jedem eingeboren,
Dass sein Gefühl hinan und vorwärts strebt,
Wenn vor dem Geist in Stille reif gegoren
Mit holdem Dampf ein Sauerkräutchen schwebt,
Wenn zart geräuchert neben Schweines Rüssel
Ein Wurstpaar dampfet in der wackeren Schüssel,
Hienebst – verzeih! Ich muss ein wenig schmatzen –
Bayrische Knödel oder Schwabenspatzen,
Dazu ein Tröpfchen edles, firnes Nass
Vom Keller aus dem Lagerbiergelass. –


 

Dritter Auftritt

Die Decke öffnet sich, es erscheint in einem rötlichen Lichtkreis Mephistopheles mit einem Orchester von höllischen Geistern, die, als Köchinnen und Kellnerinnen gekleidet, in einer Küche beschäftigt sind; er dirigiert mit dem Taktstock.

Gesang der Geister.
Schwindet beengende,
Mönchisch bedrängende,
Traurige Wände!
Weichet behände
Traulichen Räumen
Freundlicher Küche!
Schüsseln umsäumen,
Blanke, die Ränder,
Pfannen die Ständer;
Quillet hervor,
Steiget empor,
Holder Gerüche
Reizparadies.
Denn an dem Herde
Flinker Gebärde
Stehet die nette
Köchin Babette,
Drehet das fette
Gänschen am Spieß. –

Weitre Gewahrung
Zeiget daneben
Salzigen Harung,
Welcher soeben
Neben Kartöffelein,
Die sie gerädelt fein,
Stehet parat,
Kleingeteilt aufzugehn,
Angemacht aufzustehn
Im ölgenetzeten,
Essigdurchsetzeten
Räsen Salat.

Doch in Kamines Schoß
Drängen sich klein und groß
Bis zu dem Firste,
Locken und winken
Rauchige Schinken,
Zungen und Würste,
Ziehn um die niedliche,
Um die gemütliche,
Die appetitliche
Köchin, die drehende,
Sorglich besehende,
Schwebenden Kranz.
Fertig nun findet sie,
Ziehet vom Spieße die
Brätelnde, schmorende,
Nasebetorende,
Goldschimmerhäutliche,
Brodelnde, bräutliche,
Rundliche Gans.

Wie sie sich beuget,
Wie sie sich neiget
Über die Schüssel,
Klirren bewegt,
Rasseln die Schlüssel,
Lange und kurze,
Blinkend am Ringe
Stählerner Zwinge,
Die sie am Schurze
Amtsgemäß trägt.

Doch der gewaltigste
Unter denselbigen
Öffnet aufs baldigste
Zu dem gewölbigen
Keller die Tür;
Dort aus dem kluftigen,
Dunkeln Gelass
Luget herfür
Strotzend von duftigen,
Alten und reinen
Tiroler Weinen,
Strotzend von hopfigem,
Malzgehalttropfigem
Kraftelixiere
Lagernder Biere
Fass.

Faust (sich den Mund wischend).
Oh, oh, oh!
O das ist nicht von Stroh!

(Gebärden des Entzückens, hierauf Versinken in einen träumerischen Zustand. Er schläft ein. Der Geisterchor ist verschwunden, die Decke schließt sich wieder, Mephistopheles erscheint hinter Faust.)

Mephistopheles (ad Spectatores).
Da bin ich. Fasst den Satz in seiner Tiefe:
Wo Prüfung ist, ist auch das Negative!
(Sich über Faust beugend und die dürren Hände über ihn ausstreckend.)
Er schläft, so recht, nun ist er wieder mein!

Lieschen.
O weh, o weh, der Böse wieder da!

Mephistopheles.
Altbackne Trutschel, freilich, ja.

Lieschen.
Weh, schläfert er ihn gänzlich ein,
So hat er gewonnen,
Hat ihm den Geist umsponnen!
(Zu Faust, indem sie ihn rüttelt.)
Wach auf, wach auf, sonst bist du ja verloren!

Faust (im Schlaf redend).
Hörst du das Gänselein am Spieße schmoren?

Lieschen (ihn stärker rüttelnd).
Ermanne dich, da steht der Hölle Sohn!
Komm zu dir! Auf, er packt dich schon!
Vertreib ihn mit Gebet,
Sonst wird's zu spät!

Faust (erwachend).
Ach, lass mich fort, du bete nur und bleibe!
Ich breche auf und stürze in die Kneipe!
Was ist die Himmelsfreud? Ein leerer Traum
Verglichen mit der Kneipe trautem Raum!
Fühlt' ich nicht immer ihren Wert?
Bin ich der Schlucker nicht, der Schlechtbehauste,
Der Unmensch, den am magern Herd
Der grimme Durst, der dürre Hunger zauste?
Und seitwärts du mit wohlerzognen Sinnen
In dieser Hütte dürft'gem Möbelzelt
Und all dein häusliches Beginnen
Umfangen von der engen Küchenwelt?
Dich, deinen Frieden muss ich untergraben,
Du, Kneipe, willst und sollst dies Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Angst verkürzen!
Was geschehen, mag's gleich geschehen!
Genießen will ich noch des Lebens Würzen
Und meinethalb zugrunde gehen!

Mephistopheles (reißt ihn empor, um ihn fortzuzerren).
Gehörest mir,
Nur her zu mir!

Lieschen.
O Not, o Not! Er raset, er ist hin!
Jetzt ist es Zeit, jetzt schell ich Valentin!
(Zieht die Glocke.)


Vierter Auftritt

Valentin (mit einer Malzschaufel).
Was soll's, was gibt's?

Faust (in Krämpfen).
O hin zu dir! zu dir!
Nur einen guten Bissen reiche mir!
Nur einen guten Tropfen
Aus Malz und Hopfen!
Nur einen einzigen Pokal
Von dunkelrotem Spezial!
Nur einen! Reiche mir aus deinen Fluten
Nur einen kühlen Becher der Erquickung,
Ach, ich vergeh in diesen Lechzegluten,
Errette mich vom Qualtod der Erstickung!

Valentin (zu Lieschen).
Zum Brunnen mit dem Eimer schnell,
Füll ihn mit Wasser aus dem frischen Quell,
Und übern Kopf schütt ihm die kalte Flut!
Ein Sturzbad ist in solchem Falle gut.

Lieschen.
Ich weiß, das Physikalische
Wirkt öfters aufs Moralische;
Soll schnell geschehen, der Brunnen ist nicht fern,
Dabei denk ich der alten Zeiten gern. (Ab.)

Mephistopheles (die linke Hand an Faust, mit der rechten den Degen ziehend, zu Valentin).
Gleich nimm ihn mit dir, schenk ihm ein!
Wo nicht, sollst du des Teufels sein!
Den Degen sieh, mit dem ich dich gelähmt!
Gedenke, Lümmel, wie man dich gezähmt!

Valentin.
War keine Kunst, dein Degen war gefeit,
Der meine nicht, doch jetzt ist andre Zeit!
Gleich sind die Waffen hier
Im höheren Revier,
Mein Instrument ist himmlisches Ärar,
Ist zauberfest geweihtes Mobiliar!


(Sie fechten.)

Mephistopheles.
Verflucht, wie seine Schaufel saust! (Taumelt.)

Valentin.
So, Hund, jetzt spür auch meine Faust!
(Schlägt ihn.)
Und hast du meine Faust gespürt,
So spüre, wie mein Arm umschnürt,
Wie er dich rüttelt, schüttelt, schnellt,
Zur Tür hinaus im Fluge prellt!

(Er fasst ihn um den Leib, schüttelt ihn; Lieschen zurück, sie übergießt Faust.)

Faust.
Sie gießet, sie schüttet
Die himmlische Quelle,
Der Busen wird ruhig,
Das Auge wird helle!

(Valentin wirft mit einem Schüttelruck schnellend den Mephistopheles zur Tür hinaus. Faust zusehend:)

Ei, wie der's kann! Recht so, hinaus!
Hinaus, hinab in seiner Hölle Graus!

Mephistopheles (sich zurückwendend).
Frohlocke nicht, wenn ich für diesmal kusche,
Wart nur, wart nur, bis ich dich einmal dusche!


Fünfter Auftritt

Harfentöne von oben, hierauf:

Gesang unsichtbarer guter Geister.
Glücklich erstanden –

Faust.
Horch, welche reinen Töne!

Lieschen.
Von himmlischer Schöne!
Nicht lockend, lullend,
Sinnkitzelschnullend,
Nicht jenen gleich phrenetisch,
Nein, hoch ästhetisch.

Gesang derselben Geister.

Glücklich erstanden!
Selig der Sterbliche,
Welcher die reizende,
Küchengewerbliche,
Sinneneinheizende,
Brätelnde, schmalzige,
Fleischliche, gänsliche,
Prickelnde, salzige,
Angenehm brenzlige,
Wurstliche, fettige,
Lockend Babettige,
Lüsterne, kitzliche,
Gaumenerhitzliche,
Weinlich bespitzliche,
schmatzende, bitzliche,
Malzige, hopfige,
Spundenfortklopfige,
Seideleinspritzliche,
Gärende, bockige,
Schäumende, flockige,
Mittelbar nützliche
Prüfung –
wenn auch mehr nur tatsächlich, mehr dem Erfolg als dem Verdienste nach –
bestanden.


Faust (zu Valentin).
Lass dich umarmen, den ein Gott mir schickte
Als Retter aus dem Rausch, der mich umstrickte!
Du scheinst – ich sag es ohne Phrasendunst –
In jener seltenen, expedienten Kunst,
Hinauszuschmeißen, an die Luft zu setzen,
Des echten Hausknechts amtlichem Ergetzen,
Ein wahrer Techniker zu sein.

Valentin.
Sieh zu und lerne, liebes Doktorlein,
Ich bin ein Kerl, der etwas kann,
Wie ich, so macht's ein rechter Mann!
Half dir nicht einst, dem üppigen Minnesänger,
Mit seinem Schwert der schnöde Rattenfänger,
Dem jetzt der Zauber in der Scheide blieb,
Wie hätt' ich damals weidlich dich gezwiebelt
Mit unpariertem tücht'gem Stoß und Hieb!
Du bist und bleibst – es sei mir nicht verübelt,
Man grollt ja nicht in diesem Heiligtumb –
So hier wie dort halt ein Charakterlump!

Faust.
Wart nur, wart nur! das sag ich meinem Düntzer!

Valentin.
Was scher ich mich um diesen Zopf?
Zeig's ihm nur an, dem tausendfachen Münzer
Von Goethes letztem Hosenknopf!
Siehst du's denn aber gar so gern,
Wenn Famel schreiben über ihren Herrn? –
Doch jetzt gehen, es muss,
Denn jetzt bin ich dein Famulus!
Vorwärts mit mir durch Höllen Qualm und Schwaden,
Mit mir, der Arm und Schenkel hat und Waden!

Faust.
Der Mensch ist wacker, zuverlässig, stet,
Doch fehlt's ihm fühlbar an Humanität!

Lieschen.
Heut soll uns nichts beleidigen,
Wir werden ihn noch schmeidigen,
Wir bilden ihn, wir schleifen ihn noch fein,
Den ungeschliffnen Edelstein.
Umarmet mich, mir ist vor Freude weinrich,
Komm, Valentin, komm, hochgeschätzter Heinrich!
(Man hört eine Glocke läuten.)
Die Glocke ruft, jetzt zu dem Lehrerstuhle,
Gekühlter Freund, und halte deine Schule!


 

Sechster Auftritt

Ein Schulzimmer. Es treten lärmend ein, mit Schulsäcken, Büchern, dreißig selige Knaben, nehmen nach und nach Platz auf den Bänken. Mephistopheles steckt den Kopf zur Türe herein:

Mephistopheles.
Gut' Morgen, holde Jugend, liebe Fratzen!

Knaben (jubelnd).
Oho! der lustige Kauz ist wieder da!

Mephistopheles (ist eingetreten).
Heut setzt's wohl Tatzen?

Knaben.
Wieso, wieso? Ihr wisset ja,
Er darf nichts tun, darf uns nicht schlagen!

Mephistopheles.
Wollt ihr's mal recht drauf wagen?
Nun sagt mir doch, ihr allerliebsten Tocken,
Was denkt ihr heut ihm wieder einzubrocken!

Karlchen.
Hier eine Kugel Pech, ich schmier's auf den Katheder.

Mephistopheles.
Auch gut, da klebt er fest mit seines Sitzteils Leder.

Fritzchen.
Ich habe da Knallerbsen mitgebracht.

Mephistopheles.
Nun ja, ihr Dass, wenn er auftritt, es ergötzlich kracht;
Doch bin ich stets ein Freund vom Neuen;
(zieht ein Schächtelchen aus der Tasche)
Kommt her, da guckt, ich hab euch was!

Knaben (ihn umringend und drängend).
Ei, wie, lass sehen, was ist das?

Mephistopheles.
Platz, süßer Pöbel, Platz!
(Hält Gustelchen die Schachtel ans Ohr.)
Hörst, Äffchen, wie es krabbelt?
Wie's rutscht und schiebt und zappelt?

Gustelchen.
Ach, Maienkäfer!

Mephistopheles.         Ja, mein liebes Kind!
Ich haschte sie heut Nacht nur so geschwind,
Wie ich vom Blocksberg schlendernd stieg herunter;
Ich dachte schmunzelnd just an jene Nacht,
Wo ich mit Faust denselben Weg gemacht.
Blitz, welcher lust'ge Saus und Braus!
Der Hexentanz, was für ein Schmaus!
Es war so munter wie in Wien beim Sperl,
Und damals, ja, war Faust ein anderer Kerl!
Wie unverzagt schritt er bergan mit mir!
Das Drama ging nicht weiter, aber wir,
Und einem Rest von Goethes Epigrammen,
Die mit den Xenien nicht gepasst zusammen,
Verschafft' ich bei der Geisterzunft
Noch leidlich eine Unterkunft!
Nun, wie ich da so bummle ohne Sorgen,
So schwärmten denn die Käfer gegen Morgen,
Sie summten fröhlich ihre Frühlingslieder,
Es spukte wohl selbst durch die Käferglieder
Die herrliche Walpurgisnacht –
Blitz, wer hat aufgemacht?

Knaben.
Der Fritz, der Fritz!

Mephistopheles (gibt ihm eine Ohrfeige).
Da hast du was für deinen Wunderfitz!
(Beschwörend, die offene Schachtel hinaushaltend.)
Der Herr der Maienkäfer, Schwaben,
Der Wanzen, Spinnen, Läuse, Schaben,
Der Schlangen, Kröten, Krokodile,
Vampire, Molche, Armadille,
Der Herr der Würmer und Lazerten,
Der Herr des Krebsgangs auf der Erden,
Er schickt euch das Verhängnis!
Zurück in das Gefängnis!

(Die Käfer fliegen in die Schachtel.)

Mephistopheles (zu Gustel, der sich des Deckels bemächtigt hat).
Klapp zu, klapp zu!
So, jetzt ist Ruh!
Da nimm's, und wenn der Lehrer ist im Zug,
Mach auf und lass den Tierchen ihren Flug!
Doch halt, es fällt mir noch ein Stückchen ein,
Das soll das beste noch von allen sein!
Langt vom Katheder mir den Stecken!

FritzchenKarlchen und andere (ihn holend und bringend).
Was mag er wohl bezwecken?

Mephistopheles (zieht ein Messerchen und schneidet am Stecken).
Wir ringeln ihn.

Knaben.
Was ist denn das?

Mephistopheles.
Sancta Simplicitas!
Wie, ihr, in allen Bubenstreichen