Cover

Über dieses Buch:

Venedig ohne Touristen? – Für Caruso und seine Katzenbande undenkbar, denn schließlich spendieren die vielen Menschen den Vierbeinern ihre täglichen Mahlzeiten. Eine Reihe mysteriöser Mordfälle droht jedoch die Urlauber aus der beliebten Lagunenstadt zu vertreiben. Das muss unter allen Umständen verhindert werden! Und so nehmen die Detektive um den schlauen Kater die Fährte des Täters auf – die Spur reicht weit in die Vergangenheit zurück und hat mehr mit Caruso zu tun, als dieser zunächst ahnt...

Über die Autorin:

Christiane Martini, geboren in Frankfurt am Main, ist Diplom-Musiklehrerin und Absolventin des Konzertexamens. Sie leitet ihre eigene Musikschule »CasaMusica« und ist Dozentin für Blockflöte, Querflöte und Klavier. Neben eigenen Kompositionen hat sie auch zahlreiche musikalische Lehrwerke verfasst. Christiane Martini ist nicht nur Musikerin, sondern als Autorin in verschiedenen Genres zu Hause. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Nähe von Frankfurt und wurde von ihrer Heimatstadt Dreieich mit einem kulturellen Förderpreis für Musik und einem Stipendium ausgezeichnet.

Christiane Martini veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Mops Maple« und »Saitensprung mit Kontrabass«, den historischen Roman »Die Meisterin aus Mittenwald«, die Katzenkrimis um Kater Caruso sowie die heiteren Kriminalromane »Tote Oma im Weihnachtsfieber«, »Tote Oma mit Schuss«, »Tote Oma auf Eis« und »Tote Oma Ahoi!«. Die letzten drei »Tote Oma«-Bände sind im Sammelband »Mord mit Seebrise« erhältlich.

»Tote Oma mit Schuss« ist zudem Teil des Sammelbands »Morden im Norden - Vier Krimis in einem eBook«.

Die Reihe um den schlauen Kater Caruso und seine Katzenbande umfasst die folgenden Bände:
»Meisterdetektiv auf leisen Pfoten – Carusos erster Fall«
»Venezianischer Mord – Carusos zweiter Fall«
»Die venezianische Schachspielerin – Carusos dritter Fall«
»Schatten über der Serenissima – Carusos vierter Fall«
Alle vier Fälle sind auch im Sammelband erhältlich:
»Mord in der Lagunenstadt – Kater Caruso ermittelt in Venedig«

***

eBook-Neuausgabe Januar 2016

Copyright © der Originalausgabe 2005 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, www.maria-seidel.de, unter Verwendung von istockphoto/bellabrend, neyro2008, Erhan telik, chaoss, LavandaPrint

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-311-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Meisterdetektiv auf leisen Pfoten« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Christiane Martini

Meisterdetektiv auf leisen Pfoten

Carusos erster Fall

dotbooks.

Die italienischen Wörter und Wendungen sind im Glossar erklärt.

Meinem wunderbaren Mann gewidmet, der mit mir die Liebe zu Venedig teilt.

Wenn ich ein anderes Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig.

Friedrich Nietzsche

PROLOG

Ächzend schloss sich die schwere Tür von San Marco hinter dem Abbé, durch dessen Beine eine schlanke schwarze Katze schlüpfte. Mit dem Brevier in der rechten Hand und den Noten unter dem anderen Arm wollte er gerade die Stufen in den nebligen Morgen hinabsteigen, als ihn eine maskierte Gestalt überraschend an der Schulter packte und in einen dunklen Winkel neben dem Eingang der Basilika zog.

»Abbé, Ihr müsst mir die Beichte abnehmen«, sprach der Unbekannte atemlos. »Jetzt gleich, hier an Ort und Stelle.«

Don Abbé Antonio Vivaldi blickte in das weißmaskierte Gesicht. Der jährlich stattfindende Karneval in Venedig hatte vor kurzem begonnen. Während dieser Zeit hatten alle Bürger Venedigs Narrenfreiheit und erfüllten sich so manchen abenteuerlichen Wunsch.

»Wisst Ihr nicht, dass ich schon lange keine seelsorgerischen Pflichten mehr wahrnehme?«, fragte Vivaldi ruhig.

»Dennoch könnt Ihr als Priester mir die Beichte nicht verweigern: Ihr müsst mir zuhören, es geht um ein kleines Menschenleben.«

Vivaldi drückte das Brevier erschrocken an seine Brust, und da begann die Gestalt aufgeregt zu erzählen:

»Giulietta, die Mutter eines kleinen Mädchens, ist bei seiner Geburt gestorben. Sie war eine Nonne, von außergewöhnlicher Anmut und Schönheit, und ich verliebte mich in sie, als ich sie das erste Mal sah.«

In diesen Tagen war es nicht nur in Venedig nichts außergewöhnliches, dass eine Nonne es mit der Keuschheit nicht so genau nahm. So war es auch Vivaldi bekannt, dass Nonnen zur Karnevalszeit aus ihren Klöstern entwichen und mit ihren Liebhabern in den engen und dunklen Kanälen Venedigs frivole Gondelfahrten unternahmen und in den Gassen erotische Abenteuer erlebten. Auch hatte er gehört, dass es Nonnen gab, die außerhalb der Karnevalszeit ein skandalumwittertes Leben führten und in tief ausgeschnittenen Kleidern ihre männlichen Besucher empfingen.

»Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, dass ich der Vater des kleinen Mädchens bin. Dennoch fühle ich mich verpflichtet, etwas für sie zu tun. Aus diesem Grund möchte ich Euch etwas geben, eine Apanage, die ausschließlich dem Kind zum Wohle gereichen soll. Ihr seid der Maestro di Violin' im Ospedale della Pietà. In diesem Findelhaus weiß ich das Kind gut aufgehoben. Bitte sorgt für das Mädchen und lasst ihm später eine musikalische Ausbildung angedeihen. Ihr Name ist Maria Giulietta.«

Die Gestalt zog einen kleinen Beutel aus der Tasche und legte diesen auf Vivaldis Hand, die das Gebetbuch noch immer gegen seine Brust drückte.

»Bitte nehmt diesen Beutel mit Diamanten an Euch. Sie sind unter unangenehmen Umständen in meinen Besitz gelangt, aber bei Euch werden sie Gutes tun. Veräußert sie, wann immer es zum Wohle des Kindes notwendig ist.«

Die Gestalt näherte sich nun Vivaldis Gesicht.

»Ich möchte Euch noch sagen, dass ich nicht der Einzige war, der diese Frau so begehrt hat. Mächtige Männer waren von ihrem Liebreiz angezogen, und es war mir, als hätte ich vor ihrer Tür die Gestalt des Dogen gesehen.«

Die letzten Worte hatte der Mann geflüstert, sodass Vivaldi den Atem hatte anhalten müssen, um ihn verstehen zu können. Er erschauerte innerlich, die Kälte der Kirchenwand kroch seinen Rücken hinauf.

Bevor er eine Regung zeigen konnte, verschwand die Gestalt im Nebel.

1. KAPITEL

Eine samtige Katzenstimme klang durch die Abenddämmerung. Caruso, der stolzeste Kater von ganz Venezia, saß in der Nähe des Canal Grande auf dem Rand eines prächtig verzierten Brunnens und sang. Andächtig lauschte seine Katzenbande, die sich wie immer um diese Zeit um ihren Anführer geschart hatte.

Carusos schlanke Gestalt reckte sich, als er zum hohen C ansetzte.

»Njiiiiii«, jaulte es weithin hörbar. Dann senkte er seinen Kopf und maunzte etwas tiefer und schmelzend schön moduliert: »Njau-njau-njaaaaau-au-auooo ...«

Die Katzen schnurrten ergriffen. Rossi, der Rote, zwinkerte Fredo, dem Flinken, zu. So kann nur Caruso singen, sagte sein Blick. Unser Capo ist einfach der Größte.

Caruso setzte gerade zu einer zarten Cantilene an, als ein kleiner Kater herbeisprang.

»Attenzione!«, durchschnitt seine aufgeregte Stimme Carusos Gesang.

Alle zuckten zusammen. Caruso sah das Entsetzen im Gesicht des kleinen Corriere-Katers und unterbrach sofort seinen Gesang. Die Katzen waren traurig und wütend zugleich, dass das schöne Konzert so jäh unterbrochen wurde. Alle Augen richteten sich unwirsch auf den kleinen Kater. Was konnte nur so Aufregendes geschehen sein?

Caruso sprang mit einem gekonnten Satz zum Corriere.

»Erzähl, Amico, was gibt's für Neuigkeiten?«

»Stellt euch vor, es ist ein Menschenmord geschehen«, sprudelte der kleine Kater hervor, sichtlich erleichtert, dass er endlich Gehör fand. »Die Leiche liegt in einer Gondel am Canal Grande, ganz in der Nähe der Rialto-Brücke!«

»Schon wieder ein Mord«, brummte Caruso nachdenklich. »Das häuft sich hier in der letzten Zeit. Vor einer Woche wurden doch erst zwei Menschen tot aufgefunden. Eine junge Frau, die als Leiche im Canal Misericordia schwamm und ein älterer Mann, der stranguliert in einem Motorboot lag. Und nun erneut ein Toter?«

Alle schauten ihn gespannt an. Caruso überlegte einen Moment konzentriert und blickte dabei in die Runde seiner Katzengang. Dann gab er sich einen Ruck.

»Ich muss euch ein Geheimnis erzählen ... Mein Freund Camillo, der Kater des Ispettore, hat mir berichtet, dass die Polizei es immer seltener schafft, die Mordfälle hier in der Stadt aufzuklären«, begann er vorsichtig.

Dass Camillo eigentlich Camilla hieß und seine heimliche Geliebte war, musste die Gang nicht wissen. Denn Camilla war hässlich und würde von der Gang mit Sicherheit nicht als würdige Partie für den Capo akzeptiert.

Caruso gab ein unwilliges Maunzen von sich und fuhr fort:

»Wenn sich erst herumspricht, dass hier in Venedig rätselhafte Morde geschehen, dann ist das schlecht. Schlecht für Venedig. Schlecht für uns. Ihr wisst, cari amici miei, dass die Leute vor allem wegen der Gondeln und Kanäle hierher kommen. Wenn da Leichen in Gondeln liegen und niemand genau weiß, was geschehen ist, dann kommt bald kein Tourist mehr her. Dann kriegen die Leute es mit der Angst zu tun und bleiben lieber zu Hause. Und was das bedeutet, wisst ihr selbst. E allora?«

Er blickte auffordernd in die Runde.

»Keine Pescheria mehr und keine Fischabfälle für uns?«, entfuhr es Ornella, der schlanken Schwarzen.

Gleich darauf kniff sie erschrocken ihre grünen Augen zusammen. Hatte sie sich jetzt verraten? Denn gerade heute Mittag noch hatte sie sich heimlich mit ihrem Freund Rocco am Canal Grande getroffen, an der Seite des Kanals, wo die Fischabfälle landen, und hatte dort zusammen mit ihm ein königliches Katzenmahl genossen. Doch das durfte Caruso nicht wissen, denn Rocco gehörte nicht zur Gang.

Der Capo nickte nur.

»Esatto«, bestätigte er. »Genau. Auch die Hotels werden sparen und schließlich sogar schließen müssen, wenn keine Gäste mehr kommen. Das würde bedeuten, dass auf uns Katzen ganz andere, härtere Zeiten zukämen!« Sein rotes Fell leuchtete wie Feuer im warmen Licht der Abendsonne. »Wollt ihr das, amici miei?«

»No«, maunzte es einstimmig aus zehn Katzenkehlen zurück.

»Der Name Venedig wird Kriminalität bedeuten, Mafia, eine überforderte Polizei, so wie in vielen anderen Städten auch«, fuhr Caruso eindringlich fort und seine bernsteinfarbenen Augen funkelten. »Es wird keine Ehre mehr sein, sich gatto di Venezia nennen zu können. Der stolze Name unserer geliebten Stadt wird in den Schmutz gezogen, er wird nicht mehr gleichgesetzt mit Liebe und Romantik, sondern mit Gefahr, Schmutz, Blut und Tod. Wollt ihr das, verehrte gatti e gatte?«

»No, no, nooooo!«

»Bene.« Caruso sprang vom Brunnen, machte einen Buckel und strich der Reihe nach an seinen Katzen vorbei. »Jetzt muss ich euch noch etwas furchtbares erzählen, was uns Katzen betrifft.«

Er hielt einen Moment inne, dann fuhr er behutsam fort:

»Seit einiger Zeit beobachten Camillo und ich, dass Kollegen von uns aus Venedig verschwinden.«

»No!« Ein Raunen ging durch die Gang. »Das ist doch unglaublich!«

Caruso nickte grimmig. »Camillo und ich haben gesehen, wie ihnen einige Männer an der Pescheria mit Netzen und Fangkörben auflauern und sie einfangen.«

Er legte eine Pause ein und ließ die entsetzliche Mitteilung wirken.

»Warum, fragt ihr euch nun sicher, und wer steckt dahinter?«

Die Katzen blickten ihn starr vor Entsetzen an.

»Zunächst hatten Camillo und ich darauf auch keine Antwort, aber wir haben uns am Fischmarkt hinter einer Abfalltonne auf die Lauer gelegt und haben ein Gespräch zweier Männer mit angehört.«

Die Katzen rückten aufgeregt noch etwas näher zusammen.

»Es geht um ein Labor in Padua, das für medizinische Versuche ausschließlich Katzen benötigt. Sie sind auf der Suche nach einem Impfstoff für eine mysteriöse Krankheit, deren Namen ich noch nie zuvor gehört habe. Sie benötigen für ihre Versuche zähe, kräftige und kämpferische Tiere.«

Caruso stoppte seine Erzählung. Es ging ein Furcht erregendes Protestgemaunze um den Brunnen. Der Capo hob die Tatze und sogleich verstummten die erbosten Katzen.

»Was können wir tun, fragt ihr euch nun sicher«, fuhr er schließlich fort.

Die Gang rückte, so nah sie konnte, an Caruso heran. Keiner wollte ein Wort des Capo verpassen.

»Wir werden den Menschen zeigen, dass Venedig anders ist als all die schmutzigen Städte, in denen Verbrechen geschehen, die niemals aufgeklärt werden«, erklärte Caruso und wedelte bekräftigend mit seiner schwarzen Schwanzspitze. »Wir Katzen werden dafür sorgen, dass unser Venedig sauber bleibt. Eine Stadt der Liebe und der Romantik, in der sich jeder Mensch gerne und gefahrlos aufhalten kann und in der Katzen mehr sind als lausige Straßenvagabunden, die man einfängt! Wir werden den Mord aufklären und damit zeigen, wie wichtig wir Katzen für Venedig sind.«

Mit einem eleganten Satz sprang er wieder auf den Brunnenrand.

»Gemeinsam werden wir in die Katzengeschichte dieser Stadt eingehen, aber nicht nur dieser Stadt, nein, in aller Welt werden wir bekannt werden als Caruso, der Meisterdetektiv von Venedig und seine Gang!«

Die Katzen miauten Beifall.

»Sag uns, was wir zu tun haben!« Fredo sprang ebenfalls auf den Brunnenrand und empfing den kameradschaftlichen Pfotenschlag des Capo.

Ihm folgte Uno, der Einäugige. Nach und nach sprang die ganze Gang auf den Brunnenrand und scharte sich dicht um Caruso.

Der schnurrte zufrieden und wandte sich wieder an den kleinen Corriere-Kater.

»Erzähl uns alles, was du über diesen Mord weißt«, forderte er ihn auf.

Ob Rocco etwas bemerkt hat?, ging es Ornella durch den Kopf. Doch sie hütete sich, es laut zu sagen. Sie würde ihn bei nächster Gelegenheit darauf ansprechen. So bald wie möglich!

Der Corriere maunzte verlegen.

»Eigentlich war das schon alles, was ich weiß«, gestand er. »Inzwischen ist sicher bereits die Bande der Kanalratten auf dem Weg zur Leiche.«

»Wir müssen vor den Ratten bei dem Toten sein«, sagte Caruso sofort. »Erstens, wie sieht das aus: eine Leiche, die schon von den Ratten zerfressen ist!? Zweitens werden die Ratten alle wichtigen Spuren beseitigen, und dann können wir nicht einmal die Todesursache feststellen.«

»Los, beeilen wir uns«, maunzte Ornella.

***

Die Katzengang machte sich mit großen Sprüngen in Richtung Tatort auf, allen voran Caruso. Sie liefen dicht an der Häuserreihe der Calle Racchetta entlang zur Strada Nuova, überquerten den Campo S. Bartolomeo und erreichten schließlich den Canal Grande.

Sie hatten Glück: Die Ratten waren noch nicht am Tatort. Da lag er, der Tote, in einer riesigen Blutlache, mitten in einer eleganten Gondel. Caruso sprang sachte hinein und schnupperte gründlich an der Leiche und an der Blutlache.

»Riecht alles noch ganz frisch«, stellte er fest. »Der Mord muss sich erst vor kurzem zugetragen haben. Ich schätze, ungefähr vor einer knappen halben Stunde, so gegen achtzehn Uhr.«

Zu seiner Gang gewandt ordnete er an: »Avanti, avanti, suchen wir weitere Anhaltspunkte: Fredo und Rossi, ihr untersucht die Füße und die Beine, ich übernehme –«

»Vengono!«, unterbrach ihn Unos erschreckte Stimme vom Ufer her. »Die Ratten kommen!«

Alle verstummten und lauschten. Ja, Uno hatte Recht: Raschelnde, wispernde Geräusche näherten sich, und da bogen sie auch schon um die Ecke: etwa zwanzig Ratten mit Furcht erregenden Fratzen. Rasch sprang Caruso aus der Gondel.

»Ciao, Caruso«, tönte Galluzzio, der Anführer der Ratten, und baute sich respektlos vor dem Capo auf, »sieht man sich auch mal wieder, eh? Das da«, er machte eine Kopfbewegung zur Gondel mit dem Toten hin, »ist unser Ratten-Fressen, klar? Also macht euch davon. Oder soll es einen Kampf geben?«

Die Katzengang wich zurück. Auf einen Kampf mit den Ratten wollte es keiner ankommen lassen, die Kerle hatten verdammt scharfe Beißer.

Caruso warf seiner ängstlichen Gang einen tadelnden Blick zu. Dann trat er mutig einen Schritt vor.

»Es soll einen Zweikampf geben«, bestimmte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, »eine eurer Ratten gegen einen unserer Kater. Die Siegerpartei bekommt die Leiche.«

Insgeheim hoffte er, dass die Ratten einen solchen Kampf annehmen würden, denn die Stärke der Ratten lag vor allem in ihrer großen Zahl, das hatten die Katzen bei vergangenen Kämpfen schmerzhaft genug erfahren.

Galluzzio ging nach kurzer Überlegung auf Carusos Vorschlag eines Zweikampfs ein.

»D'accordo«, sagte er mit drohendem Unterton, »Alfredo, unsere beste Ratte, wird kämpfen!«

Caruso warf einen unbehaglichen Blick auf Alfredo. Ein Biss von dieser riesigen Ratte, und man könnte dahin sein, dachte er. Wir müssen unseren zähesten Kater aufstellen, der noch alle sieben Katzenleben hat, denn die wird er vielleicht brauchen. Sechs Mal kann er tödlich verletzt werden, aber erst bei der siebten tödlichen Verletzung müsste er sterben ... Fredo?, überlegte er. Nein, der ist zwar der Flinkste, aber zu klein.

»Renaldo wird antreten«, entschied er laut. Renaldo konnte herrlich hohe und schnelle Sprünge machen, damit würde Alfredo sicher nicht rechnen.

Renaldo trat ohne zu zögern vor. Schon sprang Alfredo auf ihn zu. Der Kampf begann.

Mit einem nervtötenden Quietschen feuerten die Ratten ihren Kämpfer an. Die Katzen lärmten ohrenbetäubend für ihren Renaldo.

»Mach ihn fertig!«, quietschten die Ratten.

»Zeig ihm deine Krallen«, fauchten die Katzen.

Die Ratte ging erneut mit einem Satz auf Renaldo los. Der Kater erkannte sofort die Situation und sprang zur Seite, doch die Ratte erwischte ihn am Schwanz. Renaldo schrie auf und mit ihm alle Katzen. Er blutete ganz fürchterlich, doch Alfredo hatte nun seinen Zorn geweckt, und jetzt ging der Kampf erst richtig los. Renaldo scheuchte die Ratte hin und her, bis sie ermüdete und ihre Bewegungen langsamer wurden. Schließlich holte der Kater zum siegbringenden Angriff aus und zog der Ratte seine Kralle quer über das Gesicht. Alfredo taumelte, benommen vorn Schmerz, zurück und konnte nicht weiterkämpfen.

Die Katzen jubelten. Jetzt war es Caruso, der sich überlegen vor Galluzzio aufbaute.

»Wir haben gewonnen! Dein bester Kämpfer muss sich wohl erst mal wieder erholen«, maunzte er triumphierend.

Galluzzio fletschte noch einmal wütend die Zähne, aber dann gab er seiner Bande ein Zeichen, sich zurückzuziehen.

Ornella schmiegte sich anerkennend an Renaldo und leckte an seiner Wunde. Dankbar schaute ihr der Kämpfer in ihre grün funkelnden Augen.

***

»Cari amici, wir haben keine Zeit zu verlieren«, mahnte Caruso und deutete mit der Pfote zu dem Toten hinüber. »Wir müssen den Mörder finden!« Erneut lief er zur Gondel. »Fredo, Rossi, kommt mit mir, wir wollen den Toten näher betrachten.«

Vorsichtig schlich er an die Leiche heran.

»Ihr beiden untersucht ihn wie besprochen untenherum, ich sehe mir den Oberkörper näher an.«

Die drei Kater schnüffelten vorsichtig an dem toten Körper, schoben ihre Schnauzen unter die Kleidung und prägten sich alles ein.

»Sieht aus, als hätte ihn eine Kugel getroffen«, murmelte Caruso.

»Könnte auch ein Messer die Todesursache gewesen sein, Capo?«, warf Fredo ein.

Caruso schüttelte den Kopf. »Dagegen sprechen die Schmauchspuren auf seiner Jacke. Da, seht ihr?«

Fredo und Rossi schauten sich die Stelle an, die Caruso ihnen zeigte. Dann nickten sie sich zu und warfen Caruso einen bewundernden Blick zu. Der Capo verfügte wirklich über einen bemerkenswerten detektivischen Spürsinn!

Caruso nahm die Bewunderung mit gewohnter Würde entgegen. Dann sprang er auf den Rand der Gondel und balancierte halsbrecherisch zu ihrem anderen Ende. Was war das? Da war offensichtlich etwas neben das Sitzkissen gefallen. Er machte einen Satz dorthin. Eine Patronenhülse!

»Da haben wir es!«, rief er den beiden anderen zu und deutete mit der Pfote auf seinen Fund. »Dies ist bestimmt die Hülse zu dem tödlichen Geschoss!«

Er schlich zu dem Toten zurück und schaute sich den Oberkörper noch einmal genau an.

»Es ist ein Durchschuss«, sagte er zu Fredo, der ihm neugierig gefolgt war.

»Und was machen wir jetzt, Capo?«