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Über dieses Buch:

Wenn Caruso eines nicht mag, dann ist es Unruhe in seiner geliebten Lagunenstadt – doch schon wieder ist ein Mord geschehen: Ein Familienmitglied der angesehenen Schokoladenfabrikbesitzer Bancini wird ermordet aufgefunden und gleichzeitig verschwindet ein überaus wertvolles Rezeptbuch. Nur eine Katze wird Zeuge der heimtückischen Tat und alarmiert sofort die Detektivbande um den schlauen Kater Caruso. Die Vierbeiner verfolgen die Spur des Mörders durch Venedigs Gassen – und geraten dabei selbst in Lebensgefahr …


Über die Autorin:

Christiane Martini, geboren 1967 in Frankfurt am Main, ist Diplom-Musiklehrerin und Absolventin des Konzertexamens. Sie leitet ihre eigene Musikschule „CasaMusica“ und ist Dozentin für Blockflöte, Querflöte und Klavier. Neben eigenen Kompositionen hat sie auch zahlreiche musikalische Lehrwerke verfasst. Christiane Martini ist nicht nur Musikerin, sondern als Autorin in verschiedenen Genres zu Hause. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Nähe von Frankfurt und wurde von ihrer Heimatstadt Dreieich mit einem kulturellen Förderpreis für Musik und einem Stipendium ausgezeichnet.

Christiane Martini veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane Mops Maple und Saitensprung mit Kontrabass, den historischen Roman Die Meisterin aus Mittenwald sowie den heiteren Kriminalroman Tote Oma mit Schuss.

In der Reihe um den schlauen Kater Caruso und seine Katzenbande erscheinen bei dotbooks:

Meisterdetektiv auf leisen Pfoten – Carusos erster Fall
Venezianischer Mord – Carusos zweiter Fall
Die venezianische Schachspielerin – Carusos dritter Fall
Schatten über der Serenissima – Carusos vierter Fall

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Überarbeitete Neuausgabe Januar 2016

Copyright © der Originalausgabe 2006 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel www.atelier-seidel.de

Titelbildabbildung: istockphoto/bellabrend; neyro2008; Erhan telik; chaoss; LavandaPrint

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-312-5

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Christiane Martini

Venezianischer Mord

Carusos zweiter Fall

dotbooks.

Meinen Eltern

in Liebe und Dankbarkeit gewidmet

Ergeben Sie sich Ihrer Gier nach Schokolade ohne Komplexe und falsche Schuldgefühle, denn denken Sie daran: Kein vernünftiger Mensch ist ohne einen Funken von Wahnsinn!

La Rochefoucauld

PROLOG

Giovanni Bancini betrat den kleinen Raum. Jeden Freitag trafen sich hier die Herren des Schokoladenclubs Cioccolatino, um die neuesten und edelsten Pralinenkreationen zu kosten. Doch heute war es ganz still. Bancini schaute sich skeptisch um, zwei tiefe Furchen zwischen seinen Augen. Die Sorge um die Schokoladenfabrik seines Vaters zeichnete sein Gesicht. Es sah nicht gut aus mit den Umsätzen. Und wenn er nicht wollte, dass die Fabrik in Kürze Bankrott gehen würde, so musste schleunigst etwas geschehen.

Endlich betrat Signore Abbandoni den Raum. Er ging auf Bancini zu, reichte ihm zum Gruß die Hand und schüttelte sie für einen kurzen Moment.

»Kommen wir gleich zur Sache«, begann Abbandoni. »Wenn Sie mir eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Praline präsentieren können, die sich im großen Stil vermarkten ließe, so gewähre ich Ihnen den Kredit, über den wir kürzlich gesprochen haben.«

Tatsächlich wusste Giovanni Bancini von solch einer Praline. Die Rezeptur stand in einem Schokoladenbuch, das vor vielen Jahren im Besitz seiner Familie gewesen war. Jedoch war das Buch durch eine Heirat seiner Ururgroßmutter an das berühmte Caffè Fiorellino übergegangen. Häufig hatte ihm sein Großvater eine Geschichte erzählt, die dieser wiederum von seinem Großvater gehört hatte. Sie handelte von einer außergewöhnlichen Pralinenkreation.

Der Lichtschein einer kleinen Kerze, die auf einem Tisch stand, erhellte den Raum. Fünf Signori in weißen Kitteln standen um ein Gefäß herum, in dem eine Masse aus Schokolade, Zimt, Anis, Harissa und einem giftigen Satanspilz zu erstarren begann. Der Pilz verlor in der Kombination mit den anderen Zutaten seine lebensbedrohliche Wirkung. Stattdessen wandelte sich die tödliche Substanz in einen halluzinogenen Stoff um.

»Hoffentlich haben wir diesmal die genaue Dosierung gefunden.«

»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte ein dicker Signore, »ich bin mir sicher, dass wir es dieses Mal schaffen werden.«

»Das haben wir beim letzten Versuch auch gedacht, da hielt aber der Rausch nur wenige Minuten an«, meinte daraufhin ein groß gewachsener Herr mit Schnauzbart.

Einer der Männer hatte sich etwas abseits gestellt und schrieb etwas in ein Buch.

»Bancini, so kommen Sie schon her, es ist so weit.«

Die Herren nahmen einen Löffel zur Hand, tauchten ihn in das Gefäß und kosteten dann von der Schokolade. Nach wenigen Sekunden gerieten die Männer in den beabsichtigten Rausch.

Eine kleine Katze, die unter einem Medizinschrank in der Apotheke saß, beobachtete aufmerksam die Männer. Sie sah, wie diese nun lallend und halluzinierend durch den Raum torkelten. Der dicke Signore stieß gegen den großen Medizinschrank, sodass die kleinen Fläschchen, die darinnen standen, scheppernd gegeneinander stießen. Gefäße, die auf der Ablage standen, fielen klirrend zu Boden.

Plötzlich ergriff einer der Männer ein Messer, das auf dem Apothekenschrank lag, und stach es unvermittelt einem hageren Signore, der gerade auf ihn zutorkelte und ihn umarmte, tief ins Herz.

Es dauerte eine Weile, bis die Männer wieder zu sich kamen. Als sie den Toten und das viele Blut sahen und sich klarmachten, was sie angerichtet hatten, gerieten sie in Panik. Nur einer blieb ruhig, Signore Bancini. Er hatte im Rausch, ohne es zu wollen, Signore Carradi erstochen. Er war merkwürdigerweise sehr gefasst und geistesgegenwärtig.

»Niemals darf jemand erfahren, was hier passiert ist. Das Buch darf in keine fremden Hände geraten«, befahl er. Darin waren sich alle einig und nickten.

»Wir werden von diesen Pralinen nur geringe Mengen herstellen und sie ausschließlich für medizinische Zwecke verkaufen, Sie sind doch sicher meiner Meinung?«

Er blickte in die verstörten Gesichter seiner Kollegen. Sie nickten wieder, auch in diesem Punkt waren sie sich einig.

»Und wir werden von dieser Praline noch eine weitere Sorte anfertigen, die allerdings eine weniger berauschende Wirkung haben wird.«

Auch jetzt nickten die Männer. Bancini nahm das Buch, in das er zuvor etwas hineingeschrieben hatte, in die Hände.

»Alle Pralinenrezepte kommen in dieses Schokoladenbuch, und deren Zusammensetzungen werden dort genau notiert. Das Buch darf unter gar keinen Umständen in fremde Hände geraten. Ich werde es hier in der Apotheke im Schrank mit den Opiaten einschließen. So wird es diese Apotheke niemals verlassen. Sind Sie damit einverstanden?«

Bancini schaute jedem der Männer nacheinander ins Gesicht.

»Sì, d'accordo«, sagten sie und schauten ihn erleichtert an.

In Windeseile räumten dann die Signori die Apotheke auf, wischten alles Blut auf und schafften den toten Mann nach draußen. Als sie die Apotheke verließen, schlüpfte ein kleiner Junge mit tränenverschmiertem Gesicht aus dem Apothekenschrank und folgte ihnen. Er sah, wie die Signori den Toten in einem Hinterhof nahe der Apotheke ablegten und sich danach sogleich aus dem Staub machten. Der Mann wurde am nächsten Tag gefunden. Der Mord wurde nie aufgeklärt.

1. KAPITEL

Leise wirbelten die Schneeflocken durch Venedig. Caruso und Camilla lagen in dem kleinen Garten eines venezianischen Malers unter einer Ligusterhecke, die ein weiß verzuckertes Dach schützend über sie hielt. Camilla hatte sich zusammengerollt vor Caruso gekuschelt und schmiegte sich an seinen seidig behaarten Bauch, der eine wohlige Wärme ausstrahlte. Liebevoll leckte Caruso jede einzelne Schneeflocke, die durch die Zweige rieselte, von ihrem Fell. Camilla schnurrte zufrieden.

»Gut, dass Castello heute mal keinem Verbrecher hinterherjagt und wir uns nicht einmischen müssen.«

Der Ispettore war nämlich zu einem ganz besonderen Ereignis eingeladen worden: zur Hochzeit von Isabella Carradi, der bezaubernden Tochter des Besitzers des berühmten Caffè Fiorellino, und Giovanni Bancini, dem Sohn eines sehr bekannten Schokoladenfabrikanten. Hoch angesehene und berühmte Persönlichkeiten zierten die Gästeliste.

»Da ist mir übrigens gestern so ein schnöseliger, schokoladenbrauner Kater am Canal Grande begegnet«, meinte Caruso nachdenklich und streifte unwirsch mit seinem Schwanz die Hecke, sodass ein feines Schneegestöber auf sie niederrieselte. Dann verzog er das Gesicht affektiert und sprudelte los:

»Ich bin Sir Burma. Mein Herrchen ist eigens wegen einer ganz besonderen Hochzeit angereist und hat mich in einem Körbchen, das mit rotem Samt ausgeschlagen ist, mitgenommen. Noch nie hat mein Herrchen eine Reise ohne mich gemacht.«

Caruso streckte nun den Kopf in die Höhe, um sich noch mehr in Szene zu setzen. »Ich bin sein Glücksbringer und habe einen ganz langen Stammbaum. Meine Vorfahren lebten in burmesischen Tempeln und galten schon immer als Glückskatzen.«

Camilla amüsierte sich köstlich und blickte in Carusos überheblich verstellte Miene. Er wollte gerade weitererzählen, da gab sie ihm einen kräftigen Schubs, sodass er hinterrücks umfiel und in dem frischen Schnee landete. Camilla warf sich auf ihn, und so kugelten sie maunzend durch den verschneiten Garten des Malers, vorbei an einem kleinen Brunnen und einem grimmig dreinblickenden Löwenkopf. Als sie an einen moosbewachsenen Blumenkübel anstießen, vernahmen sie plötzlich laute Stimmen und hektische Schritte. Caruso und Camilla sprangen schnell auf und eilten wieder unter die Hecke.

Sie saßen nun nebeneinander und lauschten mit gespitzten Ohren auf das Treiben hinter dem Garten. Camilla zitterte etwas vor Kälte und drückte sich an Caruso. Dieser saß hoch konzentriert und mit angespanntem Körper da.

»Da stimmt doch etwas nicht«, maunzte er leise.

Caruso und Camilla verharrten einen Moment ganz still, aber sie hörten nur, wie patschende Schritte davoneilten. Dann wurde es wieder ruhig auf der Strada Nuova. Diese Straße lag wie das ganze Cannaregio-Viertel etwas abseits der üblichen Touristenpfade.

Camilla leckte an ihrer rechten Pfote, der Schnee brannte unangenehm daran. Dann neigte sie ihren Kopf zu Caruso und blickte ihn bewundernd an. Seine Haltung war edel und stolz. Sie spürte das Kribbeln in seinen Pfoten, vielleicht einem neuen Fall auf der Spur zu sein. Caruso war etwas ganz Besonderes, ein außergewöhnlicher Meisterdetektiv.

»Ich muss schauen, was da los ist, verzeih, Camilla.«

Und schon schlüpfte Caruso unter der Hecke hervor. Doch Camilla folgte ihm. Sie sprangen durch den kleinen Garten zum Tor und spähten hinaus. Trotz des Schneetreibens waren ungewöhnlich viele Menschen unterwegs, die schnellen Schrittes zum Rialto gingen. Die beiden schlanken Katzen drückten sich durch die schmalen Stäbe und suchten in einer dunklen Nische der nächsten Hauswand Schutz. Caruso ließ seinen Blick die Straße entlangschweifen, zart schimmerten die pastellfarbenen Hausfassaden durch die Schneeflocken. Eine Frau mit endlos langen Beinen, die in hohe Stiefel gehüllt waren, trat aus einem Antiquitätenladen und freute sich mit ihrem gelangweilt dreinblickenden Begleiter über den Erwerb einer Murano-Glasvase.

»Darling, oh, how nice is this shining vase!«

Da haben ja tatsächlich zwei Touristen ihren Weg in diese wunderschöne Straße gefunden, dachte Caruso.

Er interessierte sich nicht weiter für sie und blickte sich wachsam um. Nun kamen erneut Menschen schnellen Schrittes an ihnen vorbei. An ihrer Aussprache erkannte er, dass es sich um Einheimische handelte.

»Veloce, wir müssen zur Piazza.«

»Vielleicht ist irgendetwas auf der Piazza San Marco passiert. Komm, wir sehen uns dort um«, maunzte Caruso leise. Camilla nickte zustimmend.

Sie sprangen dicht an den Häuserwänden entlang, vorbei an Modegeschäften, alten Handwerksbetrieben und gemütlichen Bars. Plötzlich trat ein Mann, für das Wetter in ungewöhnlich glänzenden Schuhen, aus einem Geschäft. Caruso musste seinen Lauf stark abbremsen, sodass Camilla unsanft von hinten an ihn stieß. Caruso gab ein unwirsches Stöhnen von sich. Schnell schlüpften sie unter die nächstgelegene Treppe.

»Scusami, was ist los?«

»Zitto, sei still«, gab Caruso leise als Antwort.

Sie blickten unter der Treppe hervor und sahen, dass der Mann aus einem Cioccolatino-Laden herausgetreten war. Er hielt eine kleine Tüte Pralinen in der Hand. Ein zarter Flockenflaum setzte sich auf sein lichtes Haar. Der schmale Kopf hatte ein rosiges Gesicht, in dessen Mitte eine große spitze Nase thronte. Auch seine Schultern wurden weiß, nur die Schuhspitzen gestatteten keine weißen Flocken, sondern ließen den Schnee sofort schmelzen. Der Mann öffnete in aller Ruhe die kleine Tüte, nahm sich mit spitzen Fingern eine Praline heraus und steckte sich diese andächtig in den Mund.

Caruso lief das Wasser im Maul zusammen, er konnte den Schokoladenschmelz auf seiner Zunge spüren, wie er Besitz von allen Geschmacksnerven ergriff und köstlich den Rachen hinunterglitt. Er leckte sich sehnsüchtig mit seiner Zunge über die Schnauze. Erst als der Mann fertig gekaut hatte, gab dieser eine genussvolle Äußerung von sich.

»Hmmmmmm, bene.«

»Hmmmmiau cioccolatino«, maunzte nun auch Camilla.

Ein kalter Windzug blies in diesem Moment unter die Treppe und bedeckte Camilla mit reichlich Schnee. Sie schüttelte sich heftig und rückte noch näher an Caruso heran.

»Hab ich dir eigentlich erzählt, dass meine Urururgroßtante einmal ein ganz schreckliches Schokoladenerlebnis hatte, bei dem ein Mann ermordet wurde?«, wisperte sie ihm leise ins Ohr.

Caruso schüttelte verneinend den Kopf, ohne seinen Blick von dem Mann abzuwenden, der noch immer auf dem gleichen Fleck stand und sich bereits die nächste Praline genussvoll in den Mund schob.

Caruso konnte sich einfach nicht losreißen und weitereilen. Noch nicht! Die Art, wie der Mann den Schokoladengenuss zelebrierte, erregte Carusos Sinne.

So begann Camilla zu erzählen:

»Vor langer, langer Zeit war eine meiner Tanten eine angesehene Hauskatze der Apothekerfamilie Bancini in Venedig. In der Apotheke dieser Familie wurden, dem Berufsethos eines Apothekers entsprechend, nur geringe Mengen Schokolade hergestellt und verkauft. Alle wunderbaren Rezepte wurden detailgenau in ein Schokoladenbuch geschrieben. Dieses Buch wurde wie ein Geheimnis von der Familie gehütet, denn es war bei der Kreation einer Praline mit einer berauschenden Wirkung ein Mann ums Leben gekommen. Alle Anwesenden hatten geschworen, dass das Schokoladenbuch, in dem auch die Rezeptur dieser Praline genau beschrieben wurde, ausschließlich in der Apotheke bleiben sollte.

Eines Tages heiratete die Tochter des Apothekers den Gründer des Caffè Fiorellino, in dem heute die Hochzeitsfeier stattfindet.«

Carusos linkes Ohr spitzte sich bei dieser Bemerkung.

»Als besonderes Hochzeitsgeschenk bekamen die Jungvermählten damals dennoch das Schokoladenbuch. Der Apotheker nahm dem jungen Paar den Schwur ab, dass sie auch weiterhin nur geringe Mengen Schokolade produzieren und diese ausschließlich im Caffè Fiorellino verkaufen würden.«

Camilla hielt in ihrer Erzählung inne und blickte Caruso an, der sie inzwischen aufmerksam anschaute.

»Das sind wirklich interessante Zusammenhänge«, maunzte er und streifte mit seiner schwarzen Schwanzspitze Camillas Rücken.

»Hat deine Tante erzählt, ob es noch Nachfahren der Apothekerfamilie gab?« Caruso streckte sich und klopfte mit der rechten Tatze auf den Boden, um die kleinen Schneematschklumpen, die sich darunter befanden, abzuschütteln.

»Die sind, soweit ich weiß, alle durch die Pocken ums Leben gekommen.«

»Und deine Tante, wie ist sie durch die Zeit der Pocken gekommen?«

»Meine Tante hatte sich in einen jungen getigerten Kater verliebt und war mit ihm rechtzeitig aus Venedig auf einem Schiff nach Alexandria abgehauen. Ihre Sehnsucht führte sie allerdings einige Zeit später wieder nach Venedig zurück.«

Caruso strich sich über seine langen Barthaare.

Seltsam, dass ausgerechnet heute, wo mir Camilla diese Geschichte erzählt, eine bedeutende Hochzeitsfeier im Caffè Fiorellino stattfindet. Wenn das nicht doch etwas zu bedeuten hat?!

Caruso fielen die köstlich aussehenden Pralinen im Schaufenster des Caffès ein, die er so oft bewunderte, wenn er dort vorbeischlenderte. Versonnen fuhr er sich mit der Zunge über seine Schnauze und strich mit seiner Pfote erneut über seine Barthaare. Daran konnte Camilla erkennen, dass Caruso am Nachdenken war.

»Wollen wir weiter?«, fragte sie vorsichtig.

»Sì, andiamo.« Caruso blickte sich nach dem Mann um, aber der war inzwischen verschwunden.

Caruso und Camilla sprangen an einigen Läden vorbei. Sie kamen zum Campo S. Sofia, der durch den Schnee ganz verzaubert wirkte. Ein Blumenkübel, eine rote Bank, die Balkons und die Laternen an den Häusern, alles war weiß verzuckert. In eine Häuserfront war eine Kirche eingebaut, dort traten einige Menschen heraus und hoben beglückt die Arme in den Himmel, um den Schnee willkommen zu heißen.

»Auf der gegenüberliegenden Seite muss sich jetzt die Pescheria befinden«, sagte Caruso sehnsüchtig und warf einen Blick hinüber zum Fischmarkt. Aber die Flocken ließen den Hintergrund verschwimmen. Er ahnte nur, wie die Menschen ihren Fang anpriesen:

»Silbrig schimmernde Sardinen, rosa glänzende Doraden, riesige blauschwarze Schwertfische, würzige Tintenfische, herrlich duftende Garnelen und himmlisch schmeckende Makrelen ...«

Caruso musste sich zusammenreißen. Erst die Pralinen und nun der Fisch. Das war fast zu viel für seinen hungrigen Katerbauch.

Vorbei an zahlreichen Geschäften, über einige Brücken hinweg und durch verwinkelte Wege, gelangten sie schließlich zum Ponte di Rialto. Auf der anderen Seite der Brücke war Markt am Rialto, und es herrschte reger Betrieb. Viele Menschen drängten sich zielstrebig über die Brücke, in Richtung Piazza San Marco. Obwohl auch Caruso und Camilla dort hinwollten, mussten sie zunächst unbedingt ganz nach oben auf die Brücke. Denn der Blick von dort oben war einfach grandios. Es gelang ihnen, behände hinaufzuspringen, und das war bei den glatten Stufen und dem Schneematsch gar nicht so einfach gewesen. Oben angekommen, drückten sie sich an die Mauer. Im Sommer gab das Mauerwerk wunderbare Kühle von sich. Jetzt aber war es unangenehm kalt.

Sie schauten durch die Brückenpfosten über den Canal Grande, und es bot sich ihnen ein zauberhafter Anblick.

»Sieh nur, Caruso«, rief Camilla begeistert, »Venedig hat ein kaltes Winterkleid angezogen!«

Weiße Mützen zierten die sonst so nackten Dächer, Pfähle, Stufen, Balkons und Geländer. Auch die Gondeln und sogar die Gondolieri waren mit Schnee bedeckt. Nur die goldenen Kuppeln und Türme ließen den Schnee sofort schmelzen und lugten bizarr hervor.

Eine verschneite Gondel, mit einem eng beieinander sitzenden Paar, geführt von einem fröhlich dreinblickenden Gondoliere, fuhr unter dem Ponte di Rialto hindurch und ließ das Wasser gegen seine alten, steinernen Füße schwappen.

Caruso maunzte leise: »Jetzt in einer Gondel sitzen!«

Romantische Fahrten durch die verschneite Idylle Venedigs waren etwas ganz Besonderes. Auch für die Einheimischen, denn einen verschneiten Winter gab es in Venedig nur ganz selten.

Da der Schnee auf der Brücke geschmolzen war, patschten zahlreiche Schuhe und Stiefel durch den Schneematsch und machten die beiden Katzen unangenehm nass. Caruso mochte das gar nicht. Ungewolltes Duschen verabscheute er, und mit schmutzigem Wasser schon gar.

»Che schifo, pfui Teufel«, entfuhr es ihm angewidert. Der Wind hatte aufgefrischt und blies ihm nun auch noch dicke Flocken ins Gesicht.

***

Sandiago hatte so schnell wie möglich seinen Platz am Fenster des Caffè Fiorellino verlassen und versteckte sich unter einer Bank auf der Piazza San Marco, um erst einmal nachzudenken. Er atmete aufgeregt und zitterte. War das, was er glaubte, eben gesehen zu haben, wirklich möglich?

Dabei hatte sein Mittag so schön begonnen. Sandiago hatte sich ein gemütliches Plätzchen in einem Garten hinter dem Fiorellino gesucht. Er hatte sich unter einen riesigen Oleanderbusch gekuschelt und von dort aus versucht, die kleinen Flocken mit seiner rechten Pfote aufzufangen. Aber leider waren sie alle sogleich geschmolzen. Nachdem er das einige Zeit getan hatte, war er über den Hinterhof zu einem Fenster des Caffè Fiorellino hinaufgesprungen, um sich dort auszuruhen. Nach einer Weile hatte er neugierig hineingeblickt, denn er hatte ein seltsames Geräusch gehört.

Mal sehen, was da drinnen so vor sich geht, hatte er gedacht.

Dummerweise war der Vorhang zugezogen. Dennoch konnte er die Schattenrisse der Gestalt sehen und erahnen, was sie in diesem Moment tat.

Ein Mann mit einem Buch in der Hand hatte das Zimmer betreten. Er schien offensichtlich etwas zu suchen, bückte sich und schaute sich in dieser Haltung im Zimmer um. Plötzlich, als der Mann vornüber gebeugt dastand, kam eine weitere Person ins Zimmer. Diese zögerte nicht einen Augenblick und schlug dem sich bückenden Mann einen Gegenstand auf den Kopf. Dann beugte sich die Gestalt zu dem Mann, der nun am Boden lag, hinunter. Sofort darauf verließ sie mit dem Buch, das sie in die Jackentasche steckte, schnellen Schrittes das Zimmer.

Sandiago war erstarrt sitzen geblieben, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er wartete eine Weile, doch als sich der Mann nicht erhob, war er so schnell wie möglich davongesprungen. Und nun saß er wie benommen unter der Bank.

Was soll ich denn nur tun? Ob der Mann wirklich tot ist? Aber vielleicht lebt er noch? Ich muss einen Arzt holen! Doch welcher Arzt würde mir, einem miauenden Kater, schon folgen, ging es ihm geschwind durch den Kopf?

Der kleine schwarzweiß getupfte Kater ließ seinen Blick über die Piazza hin zur Piazzetta schweifen. Sein Blick blieb an den riesigen Säulen haften, auf denen der heilige Theodor mit einem Krokodil und der geflügelte Löwe aus Bronze thronten.

»Wie sagt doch ein venezianisches Sprichwort«, maunzte Sandiago mutig: »Hüte dich vor dem Platz zwischen den Säulen. Dort wurden doch früher Hochverräter und Verbrecher mit dem Schwert enthauptet. Das wäre doch ein idealer Ort, um dem Mann eine Falle zu stellen. Ich muss jemanden finden, dem ich vertrauen kann und der mir hilft.«

Sandiago fühlte sich stark. Er reckte sich und stieß dabei mit dem Kopf unsanft an die Bank.

»Accidenti, verflixt noch mal!«

Er schüttelte sich reichlich benommen, verfolgte aber seinen Gedanken. Nur einer kann sich dieser Sache annehmen: Caruso, der schlaueste Kater weit und breit. Aber wo werde ich ihn finden?

Fondente di cocco Amaretto cioccolatino
Kokosflocken-Amaretto-Pralinen

Zutaten für 40 mittelgroße Pralinen:

60 G ROSINEN

200 G KUVERTÜRE HALBBITTER

¼ SCHNAPSGLAS AMARETTO

200 G MARZIPANROHMASSE

170 G NOUGAT

50 G KOKOSFLOCKEN FÜR DIE FÜLLUNG

50 G KOKOSFLOCKEN ZUM GARNIEREN

ETWAS PUDERZUCKER

Die Rosinen in Amaretto einlegen.
Das Nougat in große Würfel schneiden und in deren Mitte mehrere Amaretto-Rosinen drücken. Jeden Würfel zu einer Kugel formen und in den Kokosflocken wälzen. Das Marzipan auf etwas Puderzucker dünn ausrollen und in Quadrate einteilen. Die Kokoskugeln damit umhüllen. Die Kuvertüre in einem Topf über heißem Wasserbad zum Schmelzen bringen. Nacheinander die Marzipankugeln darin mit einem spitzen Stäbchen eintauchen, bis sie von der Schokolade gänzlich umhüllt sind. Die Praline herausnehmen, abtropfen lassen und auf ein Backpapier legen. Jede Praline mit Kokosflocken bestreuen, anschließend erkalten lassen.

Quelle: Christiane Martini

2. KAPITEL

Burma hatte sich heimlich in den Saal geschlichen, was gar nicht so leicht gewesen war. Denn überall wimmelte es von Gästen. Herren in dunklen Jacketts wandelten zigarettenrauchend zwischen Hochzeitssaal und Eingang hin und her. Attraktive Damen schwebten vom Hochzeitssaal zur Toilette und wieder zurück, um sich die Lippen mit Farbe zu bepinseln und sich die Haare nachzufrisieren. Das hatte Burma sehen können, als die Tür zur Damentoilette von einer jungen Schönheit in einem langen glitzernden Kleid für einen Augenblick weit geöffnet wurde, um gleich darauf von ihr wieder dezent geschlossen zu werden. Außerdem liefen ständig Bedienungen durch das Caffè und machten es fast unmöglich, sich zu verstecken.

Dennoch hatte Burma es geschafft. Er war einem Gast hinterhergeschlichen, der den Weg durch ein Seitenzimmer genommen hatte, das durch eine große dunkle Tür mit dem Hochzeitssaal verbunden war. Es war die Sala della Provincia gewesen. Dies hatte Burma den Ausführungen der Signora entnommen, die sich für die Ausstattung begeisterte:

»Oh, meraviglioso. Es sieht aus, als wäre man auf dem Land. Diese erdigen Farbtöne, überall die Terrakottavasen, der herrliche Lavendelduft, die braunen Fliesen. Meraviglioso!«

Burma hatte entnervt die Nase gerümpft, denn die Signora hatte eine äußerst schrille Stimme.

Bevor sie die Tür zum Hochzeitssaal öffnete, hatte sie sich noch einmal ordnend über ihre gelockten Haare und ihren engen Rock gestrichen. Dann war sie in den Saal geschritten, und Burma war unbemerkt hindurchgeschlüpft und unter den nächstmöglichen Tisch gekrochen.

An den fruchtigen Düften hatte er recht schnell bemerkt, dass es das Nachtischbüfett war, unter dem er saß. Und da hockte er noch immer.