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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2192

 

Wider den Seelenvampir

 

Sie sind Ehrwürdige Wissenschaftler – doch sie planen den finalen Anschlag

 

von Claudia Kern

 

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In den Weiten der Galaxis Tradom steht offensichtlich die Entscheidung zwischen den Flotten aus der Milchstraße und der Inquisition der Vernunft bevor. Mit schweren Einheiten operieren Arkoniden, Terraner und Posbis unter dem Kommando von Perry Rhodan in Tradom, fast 400 Millionen Lichtjahre von zu Hause entfernt.

Dieser Einsatz über riesige Entfernungen ist nur zu schaffen, weil ein Sternenfenster erlaubt, die unglaubliche Distanz quasi in Nullzeit zu überbrücken. Und erst wenn die Inquisition der Vernunft geschlagen ist, können sich die Milchstraße und ihre Bewohner in Sicherheit wiegen.

Die letzten Gefechte brachten den Herrschern des Reiches Tradom einige verheerende Niederlagen ein. Grund genug für manchen im Reich, sich einer Rebellion anzuschließen, die immer weitere Kreise zieht. Es geht WIDER DEN SEELENVAMPIR ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Postal Evvy – Der 6-D-Mathematiker setzt sich über Traditionen und Bedenken hinweg.

November – Der Souverän der Vernunft verfolgt seinen letzten Plan.

Perry Rhodan – Der Terraner kommandiert die Flotte der Verbündeten aus der Milchstraße.

Jorvool Pavar – Der Ehrwürdige Wissenschaftler wächst über sich selbst hinaus.

1.

KATAPULT-Hort

11. Mai 1312 NGZ

 

Navra Tayreic hatte diese Ahnungen, seit er sie kannte. Sie rieselten gewissermaßen seit Jahren aus ihrem Spender in ihr Bewusstsein, erfüllten es mit Sorge und mit Angst, mit der unaussprechlichen Furcht vor dem Kommenden. Und doch bewahrte sie ihre Gefühle stärker und intensiver, als es die meisten anderen Ehrwürdigen Wissenschaftler taten.

»Sag, liebst du mich?«, fragte sie ihn, so, wie sie immer wieder fragte. Ihre leicht geschlitzten Augen irrlichterten silbern im schmalen Gesicht, die Ziersteine auf den Wangen funkelten mit.

»Ich liebe dich.« Postal Evvy sagte es und beugte sich leicht nach vorne. »Das weißt du, und das wirst du immer wissen.«

»Willst du mit mir alt werden?«, kam ihre zweite Frage. Er kannte sie gut, führte dieses Gespräch nicht zum ersten Mal. Es war fast zum Ritual geworden.

»Ich will mit dir alt werden und eines Tages Kinder zeugen«, beteuerte er. »Nachkommen, in deren Erinnerung wir einmal weiterleben, auch wenn wir tot sein werden. Nachkommen, die von unseren wissenschaftlichen Errungenschaften ebenso schwärmen werden wie von unserer persönlichen Ausstrahlung.« Er atmete kräftig durch. »Und sie werden unsere Spender aufbewahren, wie es die Tradition verlangt.«

Er sah das Bild schon vor sich. Zwei Spender, die im Zentrum der Wohneinheit schwebten, umgeben von flirrenden Hologrammen, die von Arbeit und Aufopferung kündeten, von großem Ehrgeiz und unglaublichen Erfolgen.

Postal Evvy wollte Kinder haben, die seine Gedanken in die Zukunft trugen und von seinen Arbeiten zehrten. Und er wusste, dass Navra ebenso dachte.

Sie sah ihn an, verzog den Mund. Ihre rötlich eingefärbten Zähne blitzten verführerisch.

Navra war nicht schön ... für ihn war sie einfach atemberaubend. Wann immer Postal Evvy seine langjährige Gefährtin anschaute, spürte er ein warmes Gefühl, das wie eine zusätzliche Dosis Zuuy durch seine Adern floss und ihm mehr Lebensenergie schenkte.

Sie war Wissenschaftlerin wie er, beschäftigte sich mit anspruchsvollen Themen der Hypermechanik und deren Umsetzung auf technisch-mechanische Bereiche, war also eher eine Praktikerin in diesen Fachbereichen. Er selbst hatte sich auf sechsdimensionale Mathematik und deren Umsetzung konzentriert, galt im Allgemeinen als einer der führenden Theoretiker seines Volkes. Postal Evvys grundlegende Arbeiten gehörten jetzt schon zu den Klassikern seiner Zunft.

Beide Dhyraba'Katabe standen sich direkt gegenüber. Am liebsten hätte er ihre feine Haut berührt, hätte die schlanken Finger in die Öffnungen ihres Anzugs geschoben, die feinen Schläuche ihres Spenders gestreichelt ...

Postal Evvy verschob den Gedanken. Sie konnten sich nicht berühren. Sie befanden sich in unterschiedlichen Abteilungen innerhalb des Hortes, Kilometer voneinander entfernt. Aber er liebte ihre Unterhaltungen, die sie immer wieder einschoben, die seine Gefühle für die Gefährtin nur weiter vertieften.

Die Darstellung des Hologramms wirkte täuschend echt. Sie ließ sich sogar berühren, wenn Postal Evvy das Zusatzmodul aktivierte. Mit den Fingerspitzen konnte er dann tatsächlich über simulierte Haut streicheln.

Aber das tat er nie. Es wäre ihm wie eine Art von Untreue erschienen, etwas Künstliches so anzufassen, wie er es mit Navra tat, wann immer sie unter sich waren. Zudem hätte er ihren Atem nicht gespürt, ihren Geruch nicht wahrgenommen. Es wäre eine künstliche Begegnung gewesen, und sie wäre fremder gewesen als jedes Gespräch über die Hologrammverbindung.

Ohnehin traten sie viel zu selten in direkten Kontakt. Es ist die Pflicht eines Ehrwürdigen Wissenschaftlers, den Aufgaben zu folgen, die ihm gestellt werden, führte er sich eine der uralten Regeln zu Gemüte und erinnerte sich an ihre Bestimmung. Persönliche Begegnungen waren Glück und deshalb selten genug.

Die beiden Dhyraba'Katabe hatten ihre Aufgaben, die sie immer wieder in andere Bereiche des Hortes oder gar in die Weiten der Galaxis Tradom führten. Es wäre unklug gewesen, hätten sie darauf bestanden, gemeinsame Einsatzbereiche zugewiesen zu bekommen.

Alles, was Aufmerksamkeit weckte, war schlecht. Den Unauffälligen gehörte die Zukunft. Erst recht in diesen Tagen ...

»Was tust du gerade?«, fragte sie sanft. Der Sechs-D-Mathematiker wusste, dass sie ihn vermisste. Er registrierte den leisesten Unterton in ihrer Stimme.

»Ich darf nicht darüber sprechen.« Er verzog sein Gesicht. »Es ist ein Geheimprojekt. So geheim, dass ich es nicht einmal dir erzählen darf, und du bist mindestens genauso eine Geheimnisträgerin.«

Es war die Wahrheit, und er wusste, dass sie es ebenfalls wusste. Trotzdem fühlte er sich unwohl, seine Gefährtin mit solchen Aussagen abspeisen zu müssen.

»Und du?«, fragte er vorsichtig. »An welchem Projekt arbeitest du gerade?«

»Ich darf zwar darüber sprechen, aber du würdest nur lachen. Eine reine Technikfrage, bei der es vor allem um Eindämmen geht. Es kommt mir selbst dermaßen unbedeutend vor ...«

»Du neigst zu Untertreibungen. Wahrscheinlich ist dein Projekt noch sehr viel wichtiger und geheimnisvoller als das meine. Wir sollten ...«

Auf einmal bemerkte er, wie Navras Züge geradezu versteinerten. Sie schien plötzlich durch ihn hindurchzusehen – auf einen imaginären Punkt, der irgendwo hinter Postal Evvy lag. Das Leuchten in ihren Augen schien zu verblassen, ihr Mund zog sich zusammen.

Hastig holte sie Luft, und dann stieß sie einen erstickten Laut hervor.

»Was ... was ist, Navra?«, stammelte er. »Was geschieht ...?«

Navra streckte Postal die Arme entgegen. Erst dachte er, sie wollte ihm gewissermaßen die Hände reichen und ihn auffordern, sie zu ergreifen – als eine Geste der Zärtlichkeit und der Verbundenheit.

Aber dann geschah etwas, das noch nie geschehen war und das er noch nie in den Jahren ihres Zusammenseins gefühlt hatte: Auf einmal spürte er eine Art von Ekel und Widerwillen in sich aufsteigen, eine körperliche innere Abwehr.

»Nein!«, keuchte Navra Tayreic. Ihre Stimme klang gepresst, als habe sie auf einmal unglaubliche Schmerzen, als quetsche sie jemand.

Der 6-D-Mathematiker verstand immer noch nicht. Die Wissenschaftlerin sah so blass aus, so verletzlich, so ... verzerrt und entsetzt.

Entsetzt? Woher kam dieses unglaubliche Entsetzen, diese namenlose Angst in ihren vorher so munter flackernden Augen?

Und sie flüsterte mit ersterbender Stimme: »Postal! Hilf mir! Bitte! Hilf mir ...!«

Das Hologramm begann zu flackern, die gesamte Darstellung geriet ins Wanken. Navras dreidimensionale Abbildung riss Augen und Mund weit auf, starrte in Panik an ihm vorbei.

Postal Evvy glaubte bereits den verstörten Schrei zu hören, als die Projektion jäh erlosch. Es gab keinen technischen Hinweis des Projektors, keine kurze Erläuterung über ein Akustikfeld.

Kein Flackern. Keine sonstigen Interferenzen. Seine Lebensgefährtin und ihr Hologramm verschwanden, als hätte sich Navra plötzlich eines anderen besonnen und abgeschaltet.

Der Dhyraba'Katabe ahnte mit einem Anflug von Grauen und Verzweiflung, dass sie eben das nicht getan hatte.

 

*

 

Wie erstarrt blieb Postal Evvy sitzen. Er holte tief Luft, während er vor sich hinstarrte. Was war geschehen? Welche Macht hatte Navra geradezu abgeschaltet? Griff der Feind aus der fremden Galaxis nun auch nach ihnen, waren nach den Valentern nun die Dhyraba'Katabe dran?

Ohne einen konkreten Gedanken fassen zu können, strich er über seinen Tabe'ir, die braune Ganzkörpermontur, die ihn einhüllte. Sogar von außen war zu spüren, wie durch Millionen filigraner Bahnen das Zuuy floss und über den Anzug an seine Haut herangeführt wurde.

Die Nährflüssigkeit lief über sein Gesicht und in den Anzug, der seinen Körper umhüllte. Er konzentrierte sich auf das gleichmäßige Geräusch und auf die Kühle, die sie ausstrahlte.

Postal Evvy musste ruhig sein, wenn er auf den Gang hinaustrat, gefasst und mit einem klaren Verstand. Es gab hoffentlich eine vernünftige Erklärung für Navras Verhalten. Vielleicht war es ein Scherz – Navra scherzt nicht, widersprachen seine Gedanken – oder ein technischer Ausfall. An einen Angriff der so genannten Terraner glaubte er nicht.

Ein Teil von ihm wusste allerdings genau, dass er sich belog. Noch einmal atmete er durch, dann machte er sich zum Aufbruch bereit. Zwei Sonden aktivierte er noch, die er in den Kragen seines Tabe'irs steckte. Sie sollten seinen Weg aufzeichnen, falls ihm etwas geschah. Vielleicht fand er einen Hinweis darauf, was passiert war, und konnte entsprechend reagieren.

Postal verließ sein Quartier und eilte den Gang hinab. Der Sektor, in dem sich Navras Labor befand, lag relativ nahe, dennoch zog sich der Weg dorthin schier unendlich in die Länge. Sicherheitshalber benutzte der 6-D-Mathematiker keinen Transmitter, sondern vertraute sich den schnellen Rollbändern und Antigravbahnen an.

Der Dhyraba'Katabe spürte, wie sich jede Faser seines Körpers anspannte. Wie er vergeblich versuchte, einen normalen Atemrhythmus zu erreichen. Wie sich sein Denken in ein wüstes Tohuwabohu verwandelte.

Keiner seiner Mitarbeiter, die ihn in diesem Augenblick gesehen – schlimmer noch: gesprochen – hätten, wäre auf die Idee gekommen, den stets klug und überlegen wirkenden Mathematiker vor sich zu sehen. Postals Körper hatte längst begriffen, was geschehen war. Sein Herz hämmerte, seine Haut wurde trocken unter der feuchten Schicht, und doch weigerte sich sein Verstand, das Unausweichliche zu akzeptieren.

Schließlich erreichte er sein Ziel. Noch vor dem geschlossenen Trennschott, hinter dem sich Navra seinen Informationen zufolge befand, ging er in die Knie. Auf einmal hatte er das Gefühl, von einer herabschwebenden, unsichtbaren Stahlplatte nach unten gedrückt zu werden.

Der Druck war kaum erträglich. Die Luft schien zu gefrieren. Der Wissenschaftler atmete buchstäblich Eiskristalle. Sein Körper erstarrte. Selbst die Gedanken drohten zu gerinnen.

Er wusste auf einmal ganz genau, was es bedeutete. Er hatte all die Berichte gehört und gelesen; man munkelte immer wieder, auch wenn es nicht offiziell war. Postal wusste, was geschehen war. Nicht die Fremden aus der Milchstraße hatten das Verhängnis über seine Gefährtin gebracht ...

Von irgendwoher nahm er dennoch die Kraft, den Arm auszustrecken. Er betätigte den Türöffner. Kurz wurde er überprüft; nur Millisekunden dauerte dieser Check.

Dann sprang fauchend das Schott vor ihm zurück.

 

*

 

Einen Inquisitor darf man nicht schauen ... Praktisch jeder im Reich Tradom, der zu den engeren Zirkeln der Macht gehörte, kannte diesen Spruch. Und ein Dhyraba'Katabe auf einem Hort war automatisch eine wichtige Stütze des Reiches, vor allem dann, wenn es sich um eine Führungskraft handelte.

Doch in diesem Augenblick war Postal Evvy keine bedeutende Führungskraft, kein 6-D-Mathematiker, sondern nur ein Dhyraba'Katabe, der wissen wollte, was mit seiner Lebensgefährtin geschehen war. Er eilte in die Halle, in der Navra zuletzt gearbeitet hatte, sah mit einem Blick einige zusammengesunkene Körper, spürte die unheimliche Atmosphäre und ...

... und sah mitten im Raum eine Gestalt, die er nicht sehen durfte. Jene Gestalt, die der Albtraum eines jeden Geschöpfes des Reiches Tradom war ...

... und die ihn allein durch ihre Anwesenheit wie beiläufig dazu zwang, sich auf den Boden zu werfen, in den imaginären Staub, bevor er überhaupt darüber nachdenken konnte. Postal presste sein Gesicht so fest gegen den Stahl, dass er das Gefühl hatte, seine Knochen darin zu zermalmen ...

Er spürte, wie sich der Spender auf seinem Kopf verschob, wie die Zufuhr des Zuuy kurz stockte, und er drückte seinen Kopf nach unten, schloss die Augen, hielt den Atem an und dachte nur noch an eines.

Man darf einen Inquisitor nicht schauen. Man darf ihn nicht schauen. Nie.

Mit geschlossenen Augen lag er da. Die Gestalt, die er gesehen hatte, musste ihn wahrgenommen haben; hinter ihm schloss sich eben das Schott, wie er hörte. Jetzt blieb ihm nur der Glaube an eine unendliche Gnade.

Kein Inquisitor. Erst recht nicht der Souverän der Vernunft. Bei der Inquisition und ihren Herren – nein! Nicht das!

Aber kein Flehen konnte etwas an dem ändern, was längst geschehen war. Der 6-D-Mathematiker hörte ein Rascheln, hörte Schritte, die wie das Schaben Millionen kleiner Käferbeine klangen, und sah, obwohl er die Augen fest geschlossen hielt, wie ein Schatten über ihn fiel.

Er wagte kaum mehr, erneut Luft zu holen. Noch immer fühlte sich alles so eisig an, als würde er den Weltraum selbst in seine Lungen zwingen. Warum tötete ihn das unheimliche Wesen nicht, das die Galaxis und einige andere Sterneninseln in seinem Würgegriff hielt? Warum verschonte es ihn noch? Nahm es ihn nicht für voll? War sein Appetit gestillt?

Navra ...

Es war, als müsste er nur unentwegt an seine Gefährtin denken, um zu verhindern, dass der Schatten sie mitnahm. Postal Evvy war sicher, dass er diese Begegnung nicht überleben würde – und fast wünschte er es sich.

War nicht der Tod die einzige Chance, Navra noch einmal wiederzusehen? Ihr weiter nahe zu sein? Sie erneut berühren zu können, selbst wenn sie beide dann nichts mehr waren, was greifbaren Halt bot?

Eine halbe Ewigkeit verstrich. Der Mathematiker spürte den Druck auf seinem Geist, bemerkte das Ziehen in seinem Bewusstsein, ahnte mehr, als dass er es wusste, wie die Ohnmacht nach ihm griff.

Der Schatten lag über ihm und wollte nicht weichen. Postal Evvy hörte den schnaufenden Atem, der in seinem Gehör widerhallte und der nicht leiser wurde – bis er irgendwann erkannte, dass er selbst es war, den er so deutlich vernahm.

Und immer wieder Gedanken an Tod und Verlust. Und an Wut, Angst, Schmerz, Dunkelheit, die ihn erwartete, falls der Schatten nie mehr weichen wollte ...

Dann war es auf einmal vorbei. Die unsichtbare Klaue, die ihn niedergedrückt hatte, wich, als habe es nie die unheimliche Bedrohung gegeben.

Postal Evvy atmete zitternd durch. Dann hob er vorsichtig das Gesicht, das ihm auf einmal nicht mehr wie zerschmettert vorkam. Alles war nur seiner Einbildung entsprungen. Langsam richtete er sich auf, rückte seinen Spender gerade.

 

*

 

Taumelnd kam Postal Evvy auf die Beine, blickte sich kurz um. Keine düstere Gestalt war mehr zu sehen, von der eine eisige Ausstrahlung ausging, kein Geräusch war mehr zu hören. Selbst das allgegenwärtige Summen der Maschinen schien verstummt zu sein.

Durchsichtige Formenergiewände trennten die Halle in verschiedene Arbeitsbereiche ab. Gigantische Arbeitsfläche erstreckten sich über Hunderte von Metern. Teilweise flimmerten noch die Hologramme über ihnen, sprachen computergesteuerte Anlagen zu den Benutzern, die nicht mehr antworten konnten.

Und überall lagen tote Dhyraba'Katabe. Sie waren in allen Stellungen gestürzt, über Arbeitsflächen und Sitzgelegenheiten, auf Formenergietafeln und auf den Metallplast. Vor Grauen verzerrte Gesichter, deren Augen sich in die Unendlichkeit richteten, starrten zur Decke der Arbeitshalle.

Der Geruch des Zuuy, das aus Hunderten von Spendern gelaufen war und überall den Boden besudelte, hing wie eine Wolke in der Luft. Postal atmete flach, wollte nicht, dass sich seine Sinne erneut vernebelten. Langsam bewegte er sich nach vorne, Schritt um Schritt, als könne er das Meer der Toten um sich herum noch gar nicht wahrhaben.

Dann erstarrte er. »Navra«, flüsterte er.

Sie lag keine fünf Schritte von ihm entfernt in sonderbarer Haltung am Boden zwischen Scherben. Zuuy hatte sich um ihren Körper wie ein See verteilt. Die verbogenen Drähte des Spenders ragten empor, waren verworren, als habe sie jemand in unbändiger Wut zusammengeknüllt.

Irgendetwas war zu Bruch gegangen. Säureartige Flüssigkeiten hatten sich miteinander vermengt und flossen um die reglose Gestalt. Dort, wo sie Navra berührten, kräuselten sich Dämpfe nach oben. Ätzender Geruch lag in der Luft.

Noch bevor er neben Navra kniete und seine Hände suchend über ihren Anzug gleiten ließ, wusste er, dass jede Hilfe und jede Hoffnung zu spät kam.

Der Souverän der Vernunft war durch die Halle gewandelt. Er hatte sich genommen, was sein Recht war.

Ein beliebiges Leben unter so vielen anderen, die er schon ausgesaugt, misshandelt und gequält hatte.

Warum?, schrie Postal dem fliehenden Schatten lautlos hinterher. Warum hast du nur sie genommen – und nicht auch mich?

Er würde den Inquisitor ewig hassen – wenngleich es ihm in diesem Moment noch nicht bewusst war. Auch wenn er Tage brauchte, um zu begreifen, dass Postal Evvy in dem Arbeitssaal neben Navras Leiche gestorben war.

Ein anderer, ihm selbst fremd gewordener Dhyraba'Katabe durchwanderte im Anschluss daran den Hort und gaukelte anderen vor, der Alte zu sein.

Er beobachtete sich dabei wie aus weiter Ferne. Nichts von dem, was er tat, interessierte ihn mehr; seine Handlungen erschienen ihm sinnlos und dumm.

Der 6-D-Mathematiker existierte nur noch für einen einzigen Moment, der bald kommen würde, kommen musste. Mit großer Geduld wartete er.

2.

LEIF ERIKSSON

15. Mai 1312 NGZ