ILKKA
REMES

DAS ERBE DES BÖSEN

Thriller

Aus dem Finnischen
von Stefan Moster

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ERSTER TEIL

1

Im Sucher der Kamera sah man das unbewegte Meer, in dem sich schwere Wolken spiegelten. Der orange leuchtende Punkt einer Schwimmweste durchbrach den glatten Wasserspiegel. Ein zehnjähriges Mädchen schwamm im Wasser und fröhliche Schreie hallten durch die Luft.

Olivia.

Die Kamera schwenkte etwas zur Seite, fixierte dann eine Frau im Bikini, die am Ende des Bootsstegs hockte und von dem Mädchen nass gespritzt wurde. Die Frau stand auf, ihre blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Wohlproportionierter Körper, weiße Haut, kein Hinweis darauf, dass sie schon vierzig war. Der herangezoomte Ausschnitt erfasste eine ganze Weile das Bikinihöschen, das die Frau über ihrem Po zurechtzog.

Katja.

Der Sucher glitt am Steg entlang zum Ufer. Auf einem Brett, das sie als Bank über die Steine gelegt hatten, saß ein Junge mit einer Fernbedienung in der Hand. Er stand auf und lief zu seinem Modellauto, das im Sand stecken geblieben war.

Emil.

Der Mann nahm die Kamera von den Augen. Hinter dem dichten Laubwerk war er vom Steg aus nicht zu erkennen.

Da waren sie: Olivia, Katja und Emil.

Rolf Narva hätte doch seinen Stock mitnehmen sollen. Er blieb stehen, wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn und versuchte, tief durchzuatmen, ohne zu wissen, ob der leichte Schwindel von der Anspannung kam oder von dieser schon so früh am Morgen schweißtreibenden Hitze.

Das dreistöckige Haus vor ihm sah genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte. Nichts hatte sich verändert. Auch nicht die Flügeltür und das Bogenfenster darüber.

Nur war jetzt rechts neben der Tür eine Tafel mit dichter Beschriftung angebracht.

Rolf spürte, wie er beim Lesen anfing zu zittern.

IN DIESEM GEBÄUDE BEFAND SICH VON 1927 BIS 1945 DAS KAISER-WILHELM-INSTITUT FÜR ANTHROPOLOGIE, MENSCHLICHE ERBLEHRE UND EUGENIK. DIE DIREKTOREN EUGEN FISCHER UND OTMAR VON VERSCHUER LIEFERTEN MIT IHREN MITARBEITERN WISSENSCHAFTLICHE BEGRÜNDUNGEN FÜR DIE MENSCHENVERACHTENDE RASSEN- UND GEBURTENPOLITIK DES NS-STAATES.

Die Buchstaben waren gut lesbar. Sie waren aus Messing gegossen und für die Ewigkeit gedacht.

DIE VOM REICHSFORSCHUNGSRAT BEWILLIGTEN UND VON DER DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT FINANZIERTEN ZWILLINGSFORSCHUNGEN DES SCHÜLERS UND PERSÖNLICHEN MITARBEITERS VON VERSCHUER, JOSEF MENGELE, IM KZ AUSCHWITZ WURDEN IN DIESEM GEBÄUDE GEPLANT UND DURCH UNTERSUCHUNGEN AN ORGANEN SELEKTIERTER UND ERMORDETER HÄFTLINGE UNTERSTÜTZT …

Rolf senkte den Blick. Als er wieder hochsah, merkte er, dass er einem jungen Mann, der wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war, in die Augen starrte.

Unwillkürlich wich er dessen Blick aus und las auf den blauen Schildern links neben der Tür, wen das Gebäude heute beherbergte: das Institut für Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin. Der durchdringende, harte Blick des jungen Mannes mit den Locken brachte Rolf dazu, rasch weiterzugehen. Es fiel ihm schwer, das Gleichgewicht zu halten, er musste sich an der Kühlerhaube eines geparkten Wagens abstützen. Der Mann machte keine Anstalten, ihm zu helfen, sondern musterte ihn neugierig.

Schließlich ging Rolf mit unruhig pochendem Herzen auf der Ihnestraße davon, ohne sich noch einmal umzublicken.

Wie oft hatte er vor jener Flügeltür auf Ingrid und Katharina gewartet. Auch damals war es Spätsommer gewesen, aber wesentlich regnerischer und kühler als jetzt. Und auch damals hatte sein Herz heftig gepocht. Zu jener Zeit war es stark gewesen wie eine Strömberg-Wasserpumpe, jetzt schlug es schwächer und machte bisweilen derartige Verrenkungen, dass ihm immer häufiger die Angst vor dem letzten Herzschlag die Kehle zuschnürte.

Ein letztes Mal drehte Rolf sich zu dem Haus um. Tiefhängende dunkle Wolken trieben darüber hinweg. Auf der Straße fuhren keine Autos, nur das Gurren der Tauben brach die Stille.

Katharina …

Rolf hätte sich gern auf einer Bank ausgeruht, aber dafür musste er zuerst den Aufruhr in seinem Inneren loswerden, und das gelang ihm einfach nicht. Ihm war kalt und gleichzeitig schwitzte er, dieses Dahlem, überhaupt dieses ganze Berlin, brachte ihn noch viel mehr aus der Fassung, als er es befürchtet hatte. Außerdem war er zu warm angezogen. In Helsinki war es schon herbstlich gewesen, doch als er gestern Abend in Tegel aus dem Flugzeug gestiegen war, schlug ihm drückende Schwüle entgegen.

Die Gedanken in seinem Kopf sprangen hin und her, dabei waren die Erinnerungsbilder mindestens ebenso scharf wie das, was seine Augen vor ihm wahrnahmen. An der Ecke Garystraße war statt des Restaurants jetzt eine Feinkosthandlung. Einen Moment lang bildete Rolf sich ein, Katharina und Ingrid an der Tür des Hauses zu sehen, im lebhaften Gespräch …

Aus der Brusttasche seines Hemdes drang der flötende Klingelton seines Handys. Rolf zog es heraus und drückte mit steifen Fingern die Taste mit dem grünen Hörerr.

»Was gibt’s?«, sagte er, ohne sich die Mühe zu machen, einen freundlicheren Ton anzuschlagen.

»Ich wollte nur mal fragen, wie es dir geht«, antwortete Erik.

»Gut. Ich rufe dich an, wenn Grund dazu besteht.«

Rolf wollte das Handy wieder einstecken, aber er verfehlte die Brusttasche, und es fiel auf die Straße. Missmutig bückte er sich, um es aufzuheben. Seine Bewegungen waren schwerfällig und langsam, der Rücken schmerzte.

Sogleich bereute er es, Erik gegenüber so schroff gewesen zu sein, schließlich machte sich der Junge nur Sorgen. Rolf fand seinen körperlichen Zustand ja auch keineswegs perfekt, aber er war nicht der Meinung, dass man ihm ständig nachspionieren musste. Früher, als Erik noch in den Windeln lag, war Rolf oft mehr als ein Drittel des Jahres auf Reisen gewesen, und noch im letzten Jahr hatte er mehrere Fernreisen gemacht. Im Vergleich dazu lag Berlin quasi vor der Haustür.

Rolf untersuchte das Telefon genau. Es schien nicht eine Schramme abbekommen zu haben. In der Materialtechnik hatte man tatsächlich große Fortschritte gemacht. Nicht auszudenken, was für eine Erleichterung es gewesen wäre, wenn ihm seinerzeit schon Verbundstoffe zur Verfügung gestanden hätten.

Langsam ging er bis zur Harnackstraße weiter. Hier war Katharina immer in den Bus gesprungen und nach Hause gefahren. Vor seinem inneren Auge sah Rolf ihre funkelnden braunen Augen, ihr langes dunkles Haar, die Lippen, die sich zu einem Lächeln bogen, ihr kleines Muttermal im Mundwinkel.

Ihr wärt ein schönes Paar, hatten die Leute gesagt. Aber Hans war mutiger gewesen. Später dann … Doch daran wollte Rolf sich auf gar keinen Fall erinnern.

In der Garystraße war ein modernes, helles Gebäude entstanden, mit der Aufschrift FREIE UNIVERSITÄT BERLIN, HENRY-FORD-BAU. In der Boltzmannstraße war jedoch alles wie früher. Alte Einfamilienhäuser inmitten von Gärten – und schließlich seine Schule.

Bewegt betrachtete Rolf das braune, dreistöckige Gebäude mit dem vertrauten Zwiebelturm. Durch die Tür unter dem Turm waren damals so viele junge Menschen gegangen, voller Energie und jugendlichem Tatendrang, das ganze Leben noch vor sich.

Er hatte das Gebäude brandneu in Erinnerung – inzwischen bröckelte der Putz von den Wänden. An der Tür stand »Max-Planck-Institut«. Auf der Rückseite ragte noch immer der sogenannte »Turm der Blitze« auf, in dem der damals hypermoderne, zum Teilchenbeschleuniger ausgebaute Hochspannungsgenerator für kernphysikalische Elemente untergebracht war.

Rundum war es still. Rolf machte kehrt und tastete im Gehen nervös nach dem Zettel mit der Adresse in seiner Tasche. Er spürte, wie die Anspannung in seinem Magen brannte. Katharina zu begegnen hieß, der Vergangenheit ins Gesicht zu sehen – einer schmerzlichen Vergangenheit. Aber er war fest entschlossen, noch ein letztes Mal den Versuch zu wagen, alte Wunden zu heilen, tiefe, noch immer klaffende Wunden.

Wie Katharina wohl aussah? Und wie er wohl in ihren Augen aussehen würde …

2

Morgendunst schwebte über dem unbewegten Meeresspiegel um die Insel Pellinki an der finnischen Südküste, unweit von Porvoo. Ein gleichmäßig gebräunter Mann in kurzen Jeans stand mit dem Messer in der Hand neben einem Felsbrocken, dessen Oberseite flach war wie ein Tisch. Die Klinge des Messers war blutverschmiert, ebenso der Zeigefinger des Mannes, der auf den Bauch des aufgeschlitzten Barsches deutete.

»Und was ist das?«, fragte Erik Narva seine neben ihm hockende Tochter.

»Der Magen«, antwortete Olivia.

»Nein, der Magen ist hier. Das sind die Kiemen. Der Fisch braucht Kiemen, um zu atmen.«

»Unter Wasser gibt es doch gar keine Luft«, sagte Emil, der neben seiner Schwester kauerte. Wenn er in Finnland war, sprach er ein korrektes Finnisch mit etwas stärkerem Akzent als seine Schwester. »Wie kann der Fisch denn da atmen?«

»Das Blut transportiert Sauerstofff, genau wie beim Menschen.«

Erik wischte die Messerklinge am Gras ab, steckte das Messer in die Scheide und gab es Olivia zurück. »Als ich klein war, hatte ich Biologieunterricht bei Omi. Sie zeigte mir zum Beispiel, wie man eine Ratte aufschnitt.«

»Igitt.«

»Nein, das war interessant«, sagte Erik lächelnd. Er warf den Fisch ins Wasser und blickte auf das alte Breitling-Chronometer an seinem Handgelenk. »Überlassen wir den Barsch den Möwen als Leckerbissen. Habt ihr eure Sachen schon gepackt?«

»Papa«, sagte Emil mit leicht drängendem Unterton. »Können wir nicht noch hierbleiben? Ein paar Tage?«

Zärtlich fuhr Erik dem Jungen durchs gelockte, blonde Haar und schwieg. Emil erwartete auch gar keine Antwort auf seine Frage, die er ohnehin jedes Jahr am Ende ihres Finnlandurlaubs stellte. Erik wunderte sich kein bisschen darüberr, dass es Emil hier gefiel. Er selbst war als Kind nur selten in der Heimat seines Vaters gewesen, aber umso unvergesslicher waren die Aufenthalte für ihn bis heute. Die Flüge von Florida über London zum alten Flughafen von Helsinki hatten ewig gedauert, und das Finnland der Siebzigerjahre war ein spannender, mystischer Ort in unmittelbarer Nachbarschaft der Sowjetunion gewesen – und im Vergleich zu Amerika in allem hintendran. Der Unterschied zum Finnland der Gegenwart war frappierend.

Die Kinder gingen zum Haus zurück, Erik blieb noch eine Weile am Ufer und schaute nachdenklich aufs Meer. Die Rückkehr nach England und in den Alltag kam wieder mal viel zu früh. Der Urlaub hatte seinen Zweck nicht erfüllt: Erik war innerlich nicht zur Ruhe gekommen, zu viele berufliche Projekte hatte er mit in den Urlaub genommen, die seine Energie aufgezehrt hatten. Er war Mitbegründer und Miteigentümer der Firma Gendo, einem erfolgreichen Biotechnologieunternehmen, das gerade in Verhandlungen mit China über das bedeutsamste Geschäft seiner Geschichte steckte.

»Erik!«

Katjas energische Stimme setzte Erik in Bewegung. Etwas widerwillig machte er sich auf den Weg zum Haus. Der Pfad, der stellenweise mit Kiefernnadeln übersät war, fühlte sich herrlich weich an unter den nackten Fußsohlen. Das Haus war ein Landhaus mit Mansardendach aus den zwanziger Jahren, aus Holz gebaut und in denkbar schlechtem Zustand. Sie hatten es sieben Jahre zuvor gekauft, in dem Jahr, in dem Emil geboren wurde. Mittlerweile hatten sie sogar schon mehrere Weihnachten hier verbracht, denn dank der drei Kachelöfen wurde es jetzt auch im Winter warm.

Auf der Veranda schnitt Katja gerade Olivia die Haare. Das Mädchen saß still auf einem Hocker, während die Schere klapperte und exakt geschnittenen blonden Flaum fallen ließ. Katjas Haare waren noch feucht, sie hatte sie mit einem violetten Handtuch zusammengebunden. Sie sah entspannt und attraktiv aus, aber ihr Kommandoton verdarb den Eindruck gleich wieder: »Hast du schon das Holz gehackt?«

»Gleich.«

»Ja, ja, ›gleich‹. Und dabei bleibt es dann wieder. Das Holz wird nass, die ganze Sägerei war umsonst, und im Winter …«

»Ich habe gerade meinen Vater angerufen. Er war seltsam kurz angebunden.«

Katjas Hände hielten einen Moment inne. Sie schaute Erik an.

»Was meinst du damit? Gesundheitliche Probleme?«

»Glaube ich nicht. Er klang so, als wollte er in Ruhe gelassen werden.«

»Rolf mag es nicht, wenn man ihm nicht mehr zutraut, dass er alleine klarkommt. Aber es wäre höchste Zeit, dass er sich daran gewöhnt.«

»Die ganze Reise hat etwas Merkwürdiges.«

»Wieso? Hat er dir denn nichts davon erzählt?«

»Angeblich war er bloß noch nie in Berlin und will sich die Stadt jetzt mal anschauen.«

»Du machst dir zu viele Gedanken. Deine Mutter hat übrigens gerade angerufen. Sie hat die Blumen gegossen und nach der Post gesehen.«

Erik seufzte. »Ich habe ihr doch gesagt, das ist nicht mehr nötig. Wir sind doch bald wieder da.«

»Ingrid genießt es, zu uns kommen, wenn das Haus leer ist. Beziehungsweise wenn ich nicht zu Hause bin …«

»Du redest hässlich über Omi«, sagte Olivia.

»Aber nein. Ich sage nur die Wahrheit, und das ist nicht hässlich. Ingrid war auch in der Firma«, fuhr Katja fort, und es gelang ihr, dabei gleichgültig und vorwurfsvoll zugleich zu klingen. »Lass sie doch. Das stört keinen.«

Katja verkniff sich ungern jeden weiteren Kommentar zu diesem Thema und herrschte Erik stattdessen an: »Und wie wär’s jetzt vielleicht mal mit dem Holz?«

»Ich muss erst noch schnell in Peking anrufen, bevor dort Feierabend ist.«

Erik ging zum oberen Teil des Grundstücks hinauf, zu dem Holzhaufen, der mit vereinten Kräften dort bereits gewachsen war. Katja stammte von einem Bauernhof. Sie war bei ihnen diejenige, die sich um die praktischen Dinge kümmerte. Erik zog das Handy aus der Tasche. Er hatte es während des Urlaubs zu oft in Gebrauch gehabt. Trotzdem spürte er ein angenehmes Kribbeln, als er jetzt im Speicher nach der Nummer des China-Repräsentanten von Gendo suchte.

Rolf war angespannt und durcheinanderr. Er saß auf der Rückbank eines Taxis, das von einem älteren Türken durch Wilmersdorf gesteuert wurde. Rolfs linke Hand zitterte ein wenig, und als er in Dahlem das Taxi bestiegen hatte, war ihm wieder leicht schwindlig gewesen. Er versuchte sich zu beruhigen, indem er sich auf den lebhafter werdenden morgendlichen Verkehr konzentrierte.

Die Stadt kam ihm fremd vor, die meisten Gebäude waren erst auf den Kriegsruinen entstanden. Und so schaute Rolf mit ganz neuen Augen auf Berlin, ähnlich wie bei seinem ersten Besuch 1937, und dabei verspürte er eine Wehmut, die ihm einen tiefen Stich versetzte. Jene Zeit lag einerseits in weiter Ferne, als gehörte sie zum Leben eines anderen Menschen, andererseits hatten die Erinnerungsbilder geradezu schmerzhaft scharfe Konturen. Vor seinem inneren Auge flimmerte die Ostsee rings um die S. S. Ariadne auf ihrem Weg nach Stettin. Er stand an Deck, warmer Wind streichelte seine Haut, und er war voller Erwartung und Tatendrang. Er befand sich auf der Reise ins Land seiner Träume, ins Mekka der Wissenschaft und der Technik. Wilhelm Konrad Röntgen, Max Planck, Fritz Haber, Werner Heisenberg … In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren über die Hälfte der naturwissenschaftlichen und medizinischen Nobelpreise an deutsche Wissenschaftler gegangen. Und die größte Macht hatte Deutschland auf dem Gebiet der Physik, insbesondere der neuen Physik, der Quantenmechanik und der Kernphysik.

Möglichst bald nach seiner Ankunft in Berlin wollte Rolf dem von Walter Villiger entworfenen Zeiss-Planetarium einen Besuch abstatten, wo man für jeden gewünschten Breitengrad die Umlaufbahnen der Planeten darstellen konnte. Denn mehr als an der Physik war Rolf an der Astronomie interessiert, obwohl er beschlossen hatte, den Rat seines Vaters zu befolgen: besser als Hauptfach Physik studieren, damit seien die Berufsaussichten wesentlich günstiger als im Bereich der Astronomie. Sein Vater musste wissen, wovon er sprach, denn er war Dozent für Mathematik an der Universität Helsinki.

Rolf fuhr aus seinen Gedanken auf, als das Taxi in einer ruhigen Nebenstraße in Charlottenburg zum Stehen kam.

Niebuhrstraße 35. Die Adresse, die Katharina ihm gegeben hatte.

Große Laubbäume beschatteten die Straße, es herrschte eine fast geisterhafte Atmosphäre der Erstarrung.

Rolf zahlte und stieg mühsam aus dem Taxi. Auf dem Gehweg betrachtete er das kunstvolle, massive Haus, holte tief Luft und ging langsam auf die mit Schnitzereien versehene Eichentür zu. Die Namensschilder am Klingelbrett waren teilweise stilvoll gedruckt, andere waren eilig bekritzelte Pappstücke oder Klebestreifen.

KATHARINA KLEVE stand auf dem Schild der Wohnung mit der Nummer 18. Fünfter Stock.

Rolf zögerte einen Moment, bevor er mit zittrigem Finger den Klingelknopf drückte. Das elektrische Schloss surrte, und er öffnete die schwere Tür. Im halbdunklen Treppenhaus war eine Reihe Briefkästen angebracht. An ihnen vorbei ging es zu einem alten Lift mit Gittertürr. Er sah fast so aus wie in dem Haus im Helsinkier Stadtteil Katajanokka, in dem Rolf wohnte – und so wie in dem Haus, in dem er Anfang der Vierzigerjahre zum ersten Mal mit Ingrid zusammengewohnt hatte.

Heftig ruckelnd bewegte sich der Aufzug nach oben. Dabei kam Rolf ein seltsamer Gedanke. Katharina hatte unter einer solchen Höhenangst gelitten, dass sie unbedingt im Erdgeschoss wohnen wollte, als sie seinerzeit mit Ingrid eine Studentenwohnung in Dahlem suchte. Und wenn sie die physikalische Fakultät besuchte, weigerte sie sich, den »Turm der Blitze« zu betreten. Rolf fragte sich, ob es möglich war, dass ein Mensch im hohen Alter seine Phobien verlieren konnte. Langsam setzte der Lift seine Fahrt nach oben fort. Rolf korrigierte den Sitz seines digitalen Hörgeräts, betrachtete sich selbst im dunkel-fleckigen Spiegel und kämmte sich das spärliche Haar. Was für einen Schrecken würde es Katharina einjagen, wenn sie einen Greis vor sich sah, der in ihrer Erinnerung ein Mann im besten Alter war?

In seinem tiefsten Inneren war Rolf sich jedoch der Tatsache bewusst, dass er sich viel mehr vor dem fürchtete, was er selbst beim Anblick von Katharina empfinden würde, nach allem, was geschehen war … Ihren Briefen nach zu urteilen war sie immerhin noch rüstig, zumindest geistig.

Rolf zog das Gitter auf, trat aus dem Aufzug und blieb vor einer kunstvoll verzierten Tür stehen. Wie es aussah, führte Katharina ein Leben in soliden Verhältnissen.

Rolf brauchte eine Weile, um seinen Mut zusammenzunehmen. Er versuchte, möglichst aufrecht zu stehen und einen munteren, freundlichen Ausdruck in sein Gesicht zu bringen. Schließlich läutete er.

Er war überrascht, als ein etwa dreißigjähriger Mann die Tür öffnete.

»Herr Narva, bitte treten Sie ein«, sagte der dunkeläugige Mann freundlich und ließ Rolf an sich vorbei. Er war ordentlich gekleidet, hatte starke Augenbrauen und dichte, braune Locken. Ein Verwandter von Katharina?

Er ging in ein kühles, schattiges Wohnzimmer voran, streckte dort die Hand aus, und stellte sich als Dieter Hoffmann vor.

»Frau Kleve hat sehr auf Sie gewartet, aber leider musste sie gestern wegen starker Hüftbeschwerden in die Klinik. Sie hat mich gebeten, Sie dorthin zu fahren. Mein Wagen steht unten.«

Rolf nickte. In gewisser Weise erleichterte ihn der Aufschub dieser besonderen Begegnung. Er blickte sich interessiert um. Die Wohnung war überraschend modern, das galt auch für die hellen Möbel. Auf einer Kommode standen gerahmte Fotos. Rolf ließ den Blick darüber schweifen: Katharina am Strand, vielleicht in Sotschi, irgendwann in den Siebzigerjahren, auch im Alter von über fünfzig noch rank und schlank. Auf dem zweiten Bild war sie wesentlich älter. Sie trug einen Rucksack, und im Hintergrund sah man nebelverhangene Berge und den Teil eines Cafés mit polnischem Schild. Diese Aufnahme konnte aus der Tatra stammen. Auf den Fotos wirkte Katharina glücklich. War es ihr gelungen, die Gespenster der Vergangenheit aus ihren Erinnerungen zu verbannen?

Zumindest hielt sie nichts aus ihrer Geschichte versteckt, denn unter den Bildern waren auch alte Schwarzweißfotos. Rolf kniff die Augen zusammen. Zu seinem Erstaunen war auf einem Hans zu erkennen, der einige Monate zuvor gestorben war und von dem sich Katharina schon Anfang der Fünfzigerjahre hatte scheiden lassen. Hans sah auf dem Foto aus, wie er immer gewesen war: ein eleganter Charmeur im hellen Anzug.

Dann richtete Rolf seine Aufmerksamkeit auf ein Bild, das Katharina mit zwei anderen Frauen zeigte. Es war von schräg unten aufgenommen, und die Frauen schauten vor wolkenlosem Himmel an der Kamera vorbei und lächelten. Alle drei waren schön, und sie strahlten die Frische und den Zukunftsglauben der Jugend aus.

Plötzlich stutzte Rolf. Er kannte die beiden anderen Frauen auf dem Bild. Auch sie hatten in Dahlem Medizin studiert. Er erinnerte sich sogar an eine von ihnen: Hilda. Und im selben Augenblick erkannte er, was an dem Bild nicht stimmte.

Nachdem es gemacht worden war, hatte sich herausgestellt, dass Hans und Hilda ein Verhältnis hatten. Hans hatte Schluss gemacht, und Katharina war daraufhin bereit gewesen, Hans zurückzunehmen. Wenig später hatten sie geheiratet.

Warum, um Himmels willen, hatte Katharina ein Foto von der Geliebten ihres Mannes hier stehen? Ein Mensch konnte vielleicht seine Höhenangst überwinden, aber niemals den Betrug durch einen Geliebten. Auch nicht Jahrzehnte danach. Rolf wusste das aus eigener, bitterer Erfahrung nur zu gut.

»Sind Sie soweit?«, fragte der lächelnde Hoffmann mit der Hand auf der Türklinke.

Rolf räusperte sich leicht. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich meine Medikamente im Hotel vergessen habe. Die muss ich zuerst holen.«

»Ich kann Sie gern hinbringen.«

»Nein«, sagte Rolf entschieden. Zu entschieden. Er durfte seinen Argwohn nicht verraten. »Diese Begegnung ist für mich nicht leicht. Aus verschiedenen Gründen … Ich möchte ein wenig spazieren gehen, für mich alleine sein, und nachdenken. Das verstehen Sie doch?«

Hoffmann nickte, aber das Lächeln in seinem Gesicht war verschwunden. Diese Veränderung in der Miene des Mannes machte Rolf nervös. Er hatte gelernt, die Gesichter der Menschen zu lesen wie mathematische Formeln und technische Zeichnungen. Das war die Voraussetzung für sein Überleben gewesen.

»Könnten wir uns in einer Stunde wieder treffen?«, fragte er.

»In welchem Hotel wohnen Sie denn?«

»Im Hotel Kurfürstendamm, in der Nähe des Zoos«, log Rolf.

»Ich bin in einer Stunde da.« Hoffmann öffnete die Tür, und Rolf ging an ihm vorbei ins Treppenhaus. Der Mann sah ihm nach.

Draußen bog Rolf in die Bleibtreustraße ein und ging an Restaurants, Antiquitätenläden und Galerien vorbei zum Kurfürstendamm. Erst dort blieb er vor dem Bulgari-Schmuckgeschäft stehen, auf dem noblen, grünen Boulevard, über den der Montagsverkehr strömte. Sein schneller Schritt hatte ihn außer Atem gebracht, sein Puls wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Er bereute es, sich am Morgen nicht mehr Zeit für das Frühstück gelassen zu haben.

Je mehr er darüber nachdachte, umso zweifelhafter kamen ihm Hoffmanns Worte und überhaupt die ganze Situation vor. Was war da los? Warum trieb Katharina ein solches Spiel mit ihm? Konnte es damit zu tun haben, dass … Natürlich nicht. Auf keinen Fall. Allein der Gedanke daran war paranoid.

Und doch drängten sich die alten, dunklen Geschichten in Rolfs Gedanken, die Zeiten, an die er sich nicht mehr erinnern wollte. Auch damals hatte er auf der Hut sein müssen, kleinste Zeichen deuten, die Absichten der Menschen wittern – und er hatte Angst gehabt, immerfort Angst gehabt …

Er zog das Telefon aus der Tasche. Dort war eine SMS von Erik eingegangen.

»ALLES OK? RUF AN!«

Verärgert löschte Rolf die Nachricht. Sein Blick fiel auf eine Bushaltestelle, wo ein elegant gekleideter Mann den Fahrplan studierte. Rolf fragte ihn höflich nach der Telefonnummer der Auskunft. Ohne Probleme bildete er die Wörter und Sätze, obwohl er seit Jahrzehnten die deutsche Sprache nicht mehr aktiv gebraucht hatte.

Die Auskunft kannte keine Katharina Kleve. Rolf dachte kurz nach, rief dann noch einmal an und bekam, was er suchte. Es gab nur eine Person mit dem Namen Arno Plögger. Arno war der Bruder von Hans, dem Exmann von Katharina – und der einzige Mensch, der etwas über Katharina wissen konnte.

Es war seltsam, jemanden anzurufen, den man seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte. Nachdem Plögger sich gemeldet hatte, stellte sich Rolf vor und sprach ihm sein Beileid über den Tod seines Bruders aus, auch wenn der Todesfall bereits mehrere Monate zurücklag.

Plögger erinnerte sich sofort an Rolf. Er schien ein bemerkenswertes Gedächtnis zu haben …

»Bist du in Berlin?«, fragte Plögger.

»Ich wollte Katharina treffen, aber wie es aussieht, habe ich ihre Adresse verloren.« Rolf sah keinen Anlass, den wahren Grund für seinen Besuch zu nennen.

»Du bist in Berlin, um Katharina zu sehen?«

»Könntest du mir ihre Adresse geben?«

»Sicher …«

Nach einem Moment kam der offenbar erstaunte Plögger ans Telefon zurück und gab Rolf die Adresse eines kleinen Pflegeheims in Lichtenrade im Südosten von Berlin.

Rolf bedankte sich und sagte: »Es wäre schön, irgendwann einmal über die alten Zeiten zu reden. Es gibt nicht mehr viele, die sich daran erinnern können.«

»Vielleicht ist das auch besser so«, gab Plögger ungeniert zurück, und beide wussten, dass dies nicht nur ein Scherz war. Während des Krieges hatte Hans oft zu Rolf gesagt, dass ihm die Begeisterung seines kleinen Bruders in den Reihen der Hitlerjugend nicht gefiel, und erst recht nicht später in der Waffen-SS. Arno war der einzige Mensch, den Rolf kannte, der in Frankreich, auf dem Balkan und später, schon im Offiziersrang, in Russland in der SS gedient hatte. Er war mit Aufgaben betraut gewesen, die Hans augenscheinlich peinlich gewesen waren und von denen er darum nur ausweichend gesprochen hatte. Rolf war davon nur das Wort »Einsatzgruppe« in Erinnerung geblieben. Was es damit auf sich hatte, war ihm erst lange nach Kriegsende klar geworden.

Er steckte den Zettel mit Katharinas Adresse ein und machte sich auf den Weg, ein Taxi zu suchen.

Arno Plögger saß in der Küche seiner kleinen, kargen Wohnung in Neukölln, trank Bier direkt aus der Flasche und dachte über den Anruf von Rolf Narva nach.

Dann beschloss er, sein Glück zu versuchen.

Wenn dieser Hoffmann schon so ein unwahrscheinliches Interesse an dem toten Hans und dessen Exfrau an den Tag gelegt hatte, konnte er durchaus auch an einem Mann interessiert sein, der immer noch hinter Katharina her war.

Und wenn Hoffmann sich für etwas genügend interessierte, war er unter Umständen auch bereit, für Informationen zum Objekt seines Interesses zu zahlen.

Plögger nahm den Zettel zur Hand, auf dem er Hoffmanns Nummer notiert hatte. Natürlich glaubte er nicht einen Moment daran, dass »Hoffmann« der richtige Name des Mannes war.

3

Rolf saß in einem Taxi, das in Lichtenrade auf einer kleinen, kurvenreichen Straße durch den Laubwald fuhr. Den Zettel mit Katharinas Adresse hielt er in der Hand. Es war kurz vor zehn, in einer Viertelstunde würde Hoffmann ihn vor dem Hotel Kurfürstendamm erwarten.

Sollte er nur warten.

Die überraschende und seltsame Entwicklung hatte Rolfs Sinne und Gedanken geschärft. Der Anruf bei Hans’ Bruder war wie die Kontaktaufnahme mit einer anderen Welt gewesen: der Welt der Vergangenheit. Hans’ Tod hatte Rolf berührt, obwohl er Hans seit Jahren nicht gesehen hatte. Der schöne Berliner, wie ihn neidische Freunde und Widersacher genannt hatten, war Rolfs erster richtiger Freund in Deutschland gewesen. Ein Freund, mit dem er acht Jahre lang mehr geteilt hatte, als sich irgendein Mensch auf der Welt vorstellen konnte.

Der erste Herbst in Berlin hatte Rolf geradezu in einen Rausch versetzt. Wissenschaft und Technik blühten, der Geist der Zeit war an glatten, geraden Autobahnen und der klaren Linienführung von Olympiastadion und Flughafen Tempelhof ablesbar. Zu Rolfs besonderer Freude herrschte im Land eine große Begeisterung für Raketen und Raumfahrt, ausgelöst durch den Science-fiction-Film ›Frau im Mond‹ von Fritz Lang. Das Heer hatte in Peenemünde ein riesiges Raketenentwicklungszentrum gegründet, mit Labors, Windkanälen und Abschussrampen. Fritz von Opel veranstaltete Vorstellungen für das Volk, bei denen alle möglichen Fahrzeuge von der Straßenbahn bis zum Schlitten mit Hilfe von Raketen in Schwung gebracht wurden. Und Rolf hatte sogar Raketenliebhaber aus dem »Verein für Raumschifffahrt« kennengelernt.

Das Großartigste für ihn war jedoch sein Erfolg im Studium. Rolf konnte sich noch immer an das Gefühl erinnern, von dem er durch und durch erfüllt war, als er an einem regnerischen Herbsttag des Jahres 1938 mit Hans im Zimmer von Professor Reitiger stand. Der nüchterne, unspektakuläre Vorgang war die Wasserscheide in Rolfs Leben gewesen. Das erste Studienjahr hatte er mit Bravour absolviert, das wusste er selbst. Aber erst im Zimmer des Professors war ihm bewusst geworden, dass er tatsächlich zu der kleinen Elite zählte, die aus der Masse der Studenten ausgesiebt worden war. Sie, die Besten, setzten ihre eigenen Untersuchungen fort und wurden dabei von den erfahrensten Professoren angeleitet.

Ihr Alter – oder genauer gesagt ihre Jugend – war dabei gar nicht entscheidend. Was zählte, war der Funke zwischen den Ohren. Werner Heisenberg, der Halbgott aller Physiker, war erst einundzwanzig Jahre alt gewesen, als er Anfang der Zwanzigerjahre in Göttingen Bekanntschaft mit Niels Bohr schloss. Bohr war eingeladen worden, eine Vorlesung zu halten. Er war fast vierzig und berühmt wegen seiner Forschungen zum Aufbau des Atoms, Heisenberg hingegen nur ein vielversprechender Student. Dennoch entspann sich zwischen ihnen eine Freundschaft, da Bohr die Begabung des jungen Heisenberg erkannte.

In gleicher Weise, schien Rolf, war auch seine Begabung erkannt worden. Aber mindestens so zufrieden wie mit seinem Fortkommen im Studium war er mit dem Studentenleben. Der Berliner Vorort Dahlem war das »Oxford Deutschlands«, Wiege der Spitzenforschung und Campus ehrgeiziger junger Wissenschaftler. Rolf hatte Hans’ ehemalige Klassenkameradin Katharina kennengelernt, die dort Medizin studierte. Sie hatte schüchtern und still gewirkt, stammte aus bescheidenen Verhältnissen und war in Rolfs Augen schön wie ein Engel: warme, braune Augen, Grübchen, wenn sie lächelte. Und sie lächelte oft, vor allem, wenn sie Rolf sah. Das verwirrte den jungen Mann zunächst und brachte ihn mehr als einmal zum Erröten, auch wenn Katharina ihrerseits ganz und gar arglos war.

Ihre schwedische Kommilitonin und Zimmernachbarin Ingrid hingegen … Nun ja, Ingrid war ein Fall für sich. Anfangs fiel es Rolf schwer, sich auch nur einzugestehen, dass ihm die Schwedin gefiel, denn sie hatte so vieles an sich, was ihm fremd war. Ingrid Stormare: ein blondes, lebenslustiges Mädchen, das es direkt aus den vornehmsten Stockholmer Kreisen nach Berlin verschlagen hatte. So hatte Rolf zunächst gedacht. Ingrids Vater war Fabrikant gewesen und hatte einer der zahlreichen, bis aufs Blut zerstrittenen nationalistischen Parteien Schwedens vorgestanden.

Das Taxi fuhr auf einen von gewaltigen Buchen beschatteten Vorplatz mit großer Rasenfläche. Leichter Sprühregen fiel aus den Wolken, der Ort wirkte wie von der übrigen Welt vergessen. Das Pflegeheim war in einem mehrfach verzweigten Backsteinhaus aus dem 19. Jahrhundert untergebracht, an dessen Wänden wilder Wein emporrankte. Ein kastenförmiger Anbau war mit karoförmigen Eternitplatten verkleidet, die bereits schwarz geworden waren und Moos angesetzt hatten.

Was für eine Katharina würde er hier vorfinden, fragte sich Rolf. Seine Stimmung verdunkelte sich zunehmend. Und wer war dieser Hoffmann? Sollte er auf die Begegnung mit Katharina besser verzichten und nach Hause verschwinden? Natürlich nicht. Katharina sollte ihm selbst erklären, was das alles zu bedeuten hatte.

Rolf zahlte und stieg aus dem Taxi. Am Rande des Geländes waren zwei Kleinwagen in schlechtem Zustand sowie ein Porsche aus den Sechzigerjahren geparkt, auf dem Rolfs Blick einen Moment verweilte. Seinerzeit in Amerika hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich so einen anzuschaffen, aber schließlich wollte er doch kein deutsches Auto und begnügte sich mit einer Corvette. Damals war er wohlhabend gewesen – ein Mann in seinen besten Jahren auf der Höhe seiner Karriere bei der NASA. Die ganze Familie hätte in der Corvette keinen Platz gehabt, aber nach der Scheidung hatte viele Jahre lang nur Erik mit ihm im Wagen gesessen. Wenn er seinen Sohn zu Ingrid brachte, dauerte die Fahrt von Cape Canaveral nach Miami auf den breiten, trockenen Straßen Floridas oft weniger als drei Stunden.

Rolf ging auf den Haupteingang zu. Die Anspannung ließ ihm den Schweiß auf die Stirn treten, und in den Schläfen kündigte sich pochend ein Kopfschmerz an. Er hatte Katharina vor fünfzig Jahren zuletzt gesehen, doch daran mochte er jetzt nicht denken. Sie hatten beide schwere Fehler gemacht in ihrem Leben – aber sollte es nicht trotzdem möglich sein, sich nach allem endlich auszusöhnen?

Der Brief, den Katharina ihm vor einem Monat geschickt hatte, war eine vollkommene Überraschung für ihn gewesen. Wenige nüchterne Zeilen, der Wunsch, ihn zu sehen. Zunächst hatte er beschlossen, nicht zu antworten, aber irgendetwas ließ ihn nicht ruhen. Man konnte die Dinge nicht ungeklärt lassen, nicht jetzt, da die Gelegenheit bestand, noch einmal miteinander zu reden. Und so hatte er Katharinas Wunsch entsprochen und einem Treffen zugestimmt, wenn auch zögernd.

Rolf stieg die Eingangstreppe hinauf. In einem Blumenkübel am Rand wuchs das Unkraut meterhoch.

Rolf drückte den Klingelknopf aus Keramik. Er wartete kurz, dann klingelte er noch mal, diesmal länger. Nichts tat sich. Er versuchte, durch das Türfenster hinter dem schmiedeeisernen Gitter hineinzuspähen, aber er sah nur sein eigenes, zerfurchtes Gesicht im schwarzen Glas.

Plötzlich fuhr er zusammen. Auf der anderen Seite der Tür war nun doch jemand zu erkennen, unmittelbar vor ihm: eine Frau in weißem Kittel, die Hände in die Hüften gestemmt, reglos.

Unwillkürlich wich Rolf einen Schritt zurück. Er überlegte eine Sekunde, was er tun sollte, und beschloss, noch einmal zu läuten.

Erst da drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Tür ging einen Spaltbreit auf. Die ältere Frau in der Schwesterntracht war zu stark geschminkt und übermäßig gebräunt.

»Was wollen Sie?«, fragten ihre schmalen Lippen, deren Konturen sie exakt nachgezogen hatte.

»Ich bin gekommen, um Katharina Kleve zu besuchen.«

Der Blick der Schwester bohrte sich in Rolfs Augen. »Frau Kleve?«

»Ja. Vielleicht trägt sie auch den Namen ihres früheren Mannes … Plögger.«

»Nein, ich weiß, wer Frau Kleve ist.«

Widerwillig trat die Frau zur Seite und ließ Rolf in eine kühle, halbdunkle Vorhalle ein, an deren Ende eine breite Treppe nach oben führte. Auf beiden Seiten der Treppe stand eine außergewöhnliche, kleine Skulptur, eine Mischung aus Engel und Teufel. Rolf registrierte den neugierigen, reservierten Blick der Frau, antwortete aber nicht auf ihre unausgesprochene Frage. »Hier entlang.« Die Schwester ging voran, der große Schlüsselbund in ihrer Hand klimperte. Vor einer hohen Flügeltür blieb sie stehen und öffnete. Rechts und links eines kurzen, schwach beleuchteten Ganges sah man Türen voller Dellen und Schrammen. Rolf hatte den Geruch eines starken Reinigungsmittels in der Nase. Schritt für Schritt wurde er unruhiger.

Unter das Geräusch der Schritte mischte sich plötzlich der Klingelton seines Handys. Rolf meldete sich nicht. Der Ton wurde immer lauter, und parallel dazu wuchs Rolfs Unmut. Das war bestimmt wieder Erik. Konnte ihn der Junge nicht mal einen Moment in Ruhe lassen?

Die Schwester blieb vor einer der grauen Türen stehen und suchte nach dem passenden Schlüssel. Das Handy war inzwischen wieder verstummt.

»Warum ist die Tür abgeschlossen?«, flüsterte Rolf.

Die Frau antwortete nicht.

Sie fand den Schlüssel und sperrte auf. Unsicher betrat Rolf den hohen Raum. Darin war es durch die dichten Eichen vor dem Fenster ziemlich dunkel. Die altmodische Lampe auf dem Nachttisch verbreitete ein gelbliches Licht. Das Bett war leer, die abgewetzte, geblümte Tagesdecke faltenlos glatt gezogen.

In der Ecke, am Rand des Lichtkreises, stand ein Sessel, der an den Nähten ganz ausgefranst war. Rolfs Augen jedoch starrten gebannt auf das Wesen, das da im Sessel saß. Kaltes Entsetzen durchfuhr ihn.

Das Gesicht der Frau erinnerte an einen Totenschädel, der nur noch mit einer dünnen Hautschicht bespannt war. Auf der mit Leberflecken gesprenkelten Kopfhaut wuchsen hier und da noch ein paar Haarbüschel. Langsam drehte die Frau den Kopf in Rolfs Richtung, und das gelbe Licht fiel auf ihr Gesicht. Die Augen lagen tief in den Höhlen, und sie schauten Rolf geradewegs an: matte, braune Augen.

Katharinas Augen.

Mit aller Kraft versuchte Rolf, seine Erschütterung zu verbergen. Er machte einen vorsichtigen Schritt auf den Sessel zu. Katharina fixierte ihn konzentriert und hob langsam die rechte Hand. Ihre Finger waren dünn und steif.

»Rolf … Um Himmels willen … Was ist passiert?«, fragte ihre überraschend kräftige Stimme. »Haben sie dich doch erwischt?«, fuhr sie fort, wobei sie die Stimme zum Flüstern senkte. »Was haben sie mit dir gemacht? Du siehst fürchterlich aus.«

Abrupt sah Katharina zur Tür. »Sind sie hinter dir her?«

»Nein, Katharina …«

»Während der ganzen Fahrt von München hierher habe ich solche Angst gehabt …«, sagte sie mit zitternder Stimme.

Rolf beugte sich vorsichtig zu ihr hinunter, um sie zu umarmen. Er hatte einen Kloß im Hals. Katharina hatte ihn sofort erkannt. Sie wirkte zerbrechlich, zugleich aber auch zäh, wie ein Vogel. Rolf war zutiefst erschüttert – zu lebhaft erinnerte er sich noch daran, wie er Katharina das letzte Mal umarmt hatte. Damals war sie eine starke, gesunde Frau gewesen.

Dünne, kühle Finger umfassten Rolfs Kopf und führten ihn an Katharinas Wange. Sie roch nach Seife. Rolf spürte ihre Haut und blieb gebeugt stehen, obwohl ihm der Rücken so wehtat.

»Wovor hattest du Angst, Katharina?«, flüsterte er.

Sie rührte sich nicht und hielt Rolf fest umklammert.

»Ach, Rolf«, seufzte sie gequält.

Rolf versuchte sich ihrem Griff zu entziehen, aber ihre Hände waren überraschend kräftig.

»Ach Rolf …«, sagte sie noch einmal, leise und ganz heiser, und ließ schließlich los. »Ich hatte schwere Wochen in München. Schrecklich viel Arbeit. Doktor Strughold verlangt sehr viel.«

Langsam ging Rolf zu dem Sessel, der Katharina gegenüber stand. Er befürchtete, den Aufruhr seiner Gefühle nicht verbergen zu können. Auch wenn Katharina wohl kaum etwas davon merken dürfte.

»Der Luftkrieg wird unsere Niederlage besiegeln«, fuhr Katharina mit wachsender Erregung fort. »Göring setzt alle unter Druck, damit neue Mittel zur Verringerung der Verluste gefunden werden. Die Wissenschaft soll helfen. Wir Wissenschaftler sind jetzt in der Pflicht.«

Auf einmal war Rolf von eisiger Gewissheit erfüllt. Katharina konnte ihm auf keinen Fall einen Brief nach Helsinki geschickt haben. Das musste jemand anderes getan haben.

Katharina beugte sich nach vorn und flüsterte beunruhigt: »In welcher Höhe können die Piloten der Luftwaffe noch überleben? Was warnt den Flieger davor, dass die Luft zu dünn wird und die Gefahr besteht, das Bewusstsein zu verlieren?«

Rolf hörte nur zwei Fragen in seinem Kopf hämmern: Wer hatte ihm diese Briefe geschickt? Und warum?

»Wir wissen es jetzt.« Katharina sah ihm in die Augen, auf einmal wesentlich ruhiger als zuvor. »Die Tabelle ist letzte Woche fertig geworden. Sie liegt bei Doktor Strughold, die Tabelle. Wir haben dafür neunhundertvierundsechzig Spalten ausgefüllt. Eindeutige Zahlen auf Karteikarten. Die Wissenschaft ist unbestechlich. Eine Tabelle ist von uns erwartet worden, und eine Tabelle haben wir erstellt.«

Oder war es doch möglich, dass Katharina nur zeitweise in ihren Erinnerungen versank? Dass sie in klaren Momenten vielleicht doch in der Lage war, Briefe zu schreiben?

»Die Luftwaffe hat uns eine Unterdruckkammer der Bauart Ruff zur Verfügung gestellt«, sagte Katharina beinahe sentimental. »Sie ist in einem Lkw-Anhänger eingebaut. Der Druck lässt sich so weit senken, dass er den Bedingungen in mehr als zwanzig Kilometern Höhe entspricht.«

Rolfs Aufmerksamkeit wurde zwangsläufig auf Katharinas Worte gelenkt. Sie blickte ihm unverwandt in die Augen.

»Ich dürfte darüber nicht sprechen, aber ich muss. Ich habe so selten die Gelegenheit, Bekannte zu treffen … Die erste Karte war die schwierigste. Ein Zigeuner mit dunklen Augenbrauen, ein sanfter, ruhiger junger Mann. Mit Doktor Ruff sah ich durch das kleine Beobachtungsfenster zu, wie er in der Kammer stand, sehr ängstlich. Laut Ruff handelte es sich bei dem Mann um eine freiwillige Versuchsperson. Der Druck wurde gesenkt. Ich schrieb alle Reaktionen auf.«

Katharina sprach ruhig, aber ihre Mundwinkel hatten angefangen zu zucken. »Als sich das Vakuum verdichtete, schien der Mann verrückt zu werden. Er riss sich vor Schmerzen die Haare aus und zerkratzte sich den Kopf und das Gesicht … er schlug mit beiden Händen gegen die Wände und schließlich auch mit dem Kopf, weil der Druck auf die Trommelfelle so stark war …«

Rolf holte tief Luft. Er hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, laut geschrien, Katharina geschlagen, die Flucht ergriffen. – Die Flucht ergriffen … wieder einmal. Augen schließen und Ohren zuhalten, das hatte er immer schon gekonnt.

Dann wurde Katharinas Stimme wieder ganz sachlich. Sie referierte nur noch. »Ich blickte auf den Druckmesser und schrieb auf, in welcher Höhe es zum Platzen der Trommelfelle, zum Verlust des Bewusstseins kommt. Wann der Tod eintritt. Am Ende lässt das Vakuum die Lunge zusammenfallen …«

Kummer und Erschütterung ergriffen Besitz von Katharinas Gesicht. »Und jetzt habe ich alle Zahlen vergessen«, flüsterte sie. »Die Zahlen sind Gold wert, und ich habe sie vergessen. Aber Doktor Ruff hat sie noch … Er hat sie Strughold übergeben, alles ist da, die Karten und die Tabellen, nicht wahr?«

Rolf hätte Katharina am liebsten mit der Hand den Mund verschlossen und sie geschüttelt. Warum konnte diese Frau nicht still sein? Mit Mühe brachte er ein Nicken zustande. »Sicher. Alles ist bei Strughold. Ich habe die Tabellen selbst gesehen. Niemand verlangt, dass du die Werte auswendig weißt.«

»Ich könnte nicht einmal mehr Zahlen aufschreiben. Meine Finger gehorchen mir nicht, sie sind steif.« Katharina lachte nervös auf und blickte auf ihre Hände wie auf fremde Gegenstände. »Ich verstehe das nicht, noch im Zug von München hierher habe ich Mutter einen Brief geschrieben …«

»Sagt dir der Name Hoffmann etwas? Dieter Hoffmann?«

Katharina schüttelte den Kopf.

»Warte hier«, sagte Rolf. »Ich muss kurz mit jemandem sprechen.«

Rolf wollte aufstehen, aber Katharina bedeutete ihm mit der Hand, sitzen zu bleiben.

»Geh nicht. Ich will reden … Ich weiß nicht, ob ich als Wissenschaftlerin in Dachau mein Bestes geben konnte. Ich wollte das Vertrauen, das Doktor Strughold in mich setzte, nicht enttäuschen, aber ich weiß nicht, ob mir das gelungen ist.«

»Es ist dir gelungen, Katharina.« Rolf ergriff ihre Hand und streichelte sie zärtlich. »Es ist dir außerordentlich gut gelungen. Weißt du wirklich nicht mehr, was nach jenen Zeiten geschehen ist? Ich muss dir etwas gestehen … Ich will diese Dinge nicht mit ins Grab nehmen. Hör zu. Es gibt da eine Kassette, auf der ich alles erzähle. Absolut alles. Obwohl ich dir versprochen habe …«

Es sah aus, als wäre Katharina aufgeschreckt, oder als hätte sich ihr Blick zumindest vorübergehend geschärft. »Nach den Versuchen mit der Unterdruckkammer machten einige von uns mit Vibrationsexperimenten weiter. Ich habe mich Kälteversuchen zugewandt.«

»Katharina«, unterbrach Rolf sie und drückte ihre Hand. »Reden wir nicht mehr über diese …«

»Die Versuchsperson, ein junger Kommunist, wurde in einem Fliegeroverall in eiskaltes Wasser gesteckt«, fuhr Katharina unbeirrt fort. »An die Werte erinnere ich mich noch«, sagte sie erleichtert. »Nach fünfundfünfzig Minuten verlor der Mann das Bewusstsein. Seine Körpertemperatur, rektal gemessen, betrug 32,2 Grad. Der Puls wurde vollkommen unregelmäßig, die Atmung erschwert, die weiße Zone breitete sich Zentimeter für Zentimeter von den Fingern und den Füßen her aus, sehr schmerzhaft. Der Tod trat erst ein, als die Körpertemperatur auf 25,6 Grad gesunken war …«

Rolf löste vorsichtig den Griff um Katharinas Hände, obwohl er sie lieber gewaltsam von sich geschleudert hätte und aus dem Zimmer marschiert wäre – ein letztes Mal. Aber Katharina klammerte sich an seine Arme und ließ ihn nicht aufstehen.

»In der letzten Versuchswoche hatten wir zwei russische Kriegsgefangene, die nackt in das Eisbecken kamen …«

Während sie sprach, kritzelte Katharina mit steifen Fingern etwas auf ein Stück Papier, das auf dem kleinen Tisch neben dem Sessel lag.

»Normalerweise erfolgte die Bewusstlosigkeit innerhalb von einer Stunde, aber die beiden waren nach zwei Stunden noch bei Bewusstsein. Nach drei Stunden sagte der eine zum anderen: Genosse, bitte den Offizier, uns zu erschießen. Der andere erwiderte: Erwarte von den faschistischen Hunden keine Gnade. Das war schrecklich … Sich so etwas anhören zu müssen, wo man doch nur seine Arbeit machte.«

Rolf sah auf den Zettel, auf den Katharina mit zittriger Hand geschrieben hatte: WIR WERDEN BELAUSCHT.

»Danach gaben sich die Russen die Hand und verabschiedeten sich voneinander. Der Versuch ging noch zwei Stunden weiter, bis sie schließlich im Eisbecken starben … Sie wurden ins Schwabinger Krankenhaus zur Obduktion gebracht.«

Rolf machte eine Kopfbewegung zu Katharinas Zettel hin und flüsterte: »Gestapo?«

Katharina schüttelte den Kopf.

Mit sanfter Gewalt befreite Rolf sich aus ihrem Griff und stand auf.

»Geh nicht … Wohin willst du?« Ihre Stimme war angespannt und heiser, ihr Gesichtsausdruck besorgt. »Zu Ingrid? Ist sie immer noch …«

»Ich komme bald wieder.« Rolf ging zur Tür und drückte auf die Klinke. Es war abgeschlossen.

Wieder klingelte das Handy in seiner Tasche. Katharina näherte sich ihm mit wackligen, tastenden Schritten. Rolf hämmerte mit der Faust gegen die Tür, dass es schmerzte.

»Warum ist die Tür abgeschlossen?«, fragte er.

»Sagte ich das nicht bereits? Sie ist immer abgesperrt, sie lassen mich nicht hinaus …«

Rolf ging rasch zum Bett und drückte den Alarmknopf. Aber inzwischen hatte man auf sein Hämmern reagiert, und die Schwester von vorhin schloss die Tür auf. »Was ist hier los?«

Erleichtert schlüpfte Rolf an ihr vorbei auf den Gang. Die Schwester machte die Tür hinter ihm zu.

»Ist sie immer so?«, fragte Rolf außer Atem, mit zitternder Stimme. »Lebt sie nur noch in der Vergangenheit?«

»Ich habe vor zwölf Jahren hier angefangen, und zumindest in dieser Zeit ist sie immer so gewesen. Ich dachte, Sie kennen ihren Zustand …«

Rolf eilte zur Eingangshalle. Durch ein Fenster sah er draußen einen roten Audi-Kombi vorfahren.

»Bekommt sie Besuch?«, fragte Rolf.

»So gut wie nie. Nur in der letzten Zeit …« Rolf wollte nachfragen, aber sein Blick heftete sich auf den Mann, der draußen aus dem Wagen stieg.

Hoffmann.

»Der Mann dort«, wollte Rolf von der Schwester wissen, »haben Sie den schon mal gesehen?«

Die Schwester blickte nach draußen. Ein zweiter Mann war aus dem Wagen gestiegen und schloss sich Hoffmann an. Sie gingen beide mit schnellen Schritten auf das Gebäude zu.

»Ich weiß nicht«, sagte die Schwester unsicher. Seltsam unsicher. Log sie?

»Gibt es noch einen anderen Weg nach draußen als den Haupteingang?«

Die Schwester sah Rolf verdutzt an. »Die Hintertür ist in der Küche«, sagte sie zögernd.

»Bringen Sie mich hin.«

Die Schwester wandte sich nach links und ging durch einen kahlen Speisesaal in die Küche. Dort saß vor den gekachelten Wänden eine junge Frau in weißem Kittel. Sie war blass und wirkte leicht stumpfsinnig. Als sie die Schwester sah, stand sie auf.