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André Müller sen. · Peter Hacks

Nur daß wir ein bischen klärer sind

Der Briefwechsel 1989 und 1990

Herausgegeben von den Korrespondenten

Eulenspiegel Verlag

An Müller Berlin

Lieber André, die Wirsing (mit, glaube ich, ihrem Hilde-brandt hinter sich) ist keine dumme Truppe; sie hat dem Schulz seine Winke gut aufgefangen. Daß sie aus der »Jona«-Dramaturgie ableitet, daß ich der Zensur anhange, scheint an Genie zu grenzen. Sie hat es aber bloß aus der Zensur-Forderung aus meinem Dramatiker-Manifest.

Jedes Wort von Schulz übrigens widerspricht jedem Partei-papier seit dem Plenum. Honecker sagt jetzt, was ich sage; (seine Rede zur KP-Gründung war vorzüglich, nicht eine Lüge mehr als nötig). Also werde ich sehr bald wieder verboten sein.

Du schuftest am Shakespeare, ich an Jahn; willst Du Dich da beschweren? Aufbau behauptet, sie hätten eine dreibändige Kasette herzustellen vor: mit 1 Hacks-Band, 1 Ascher-Band und 1 Jahn-Band. Ich sehs noch nicht. Es wäre ein Erfolg, fast ein Durchbruch.

Die Lage, lieber André, sie ist unzweifelhaft schwanger. Aber was für ein Dezember wieder. Mit dem Nebel, der vor meinen Augen, und dem Nebel, der in meinem Kopf ist, kann ich nicht erkennen, ob sie einen kleinen Herakles oder ein kleines Monster zu gebären vorhat.

Gremlica wird die Kugelköpfe nachdrucken.

Behandle den Schernikau gut und vertrauensvoll. Er ist ein sicherer Mann.

Bleib gesund.

Peter

3.1.1989

Zur Einführung. Müller und Hacks war vergleichsweise zeitig aufgefallen, daß Erich Honecker unter Gorbatschow begonnen hatte, sich von der revisionistischen Politik, die er seit dem VIII. Parteitag betrieb, abzuwenden, und daß in der DDR mit keinem Widerstand gegen die Liquidation des Staates durch Gorbatschow mehr zu rechnen war als ausgerechnet und allein dem seinigen.

Hacks an Müller, Siebenschläfer 1988: »Das größte Geheimnis ist Honecker. Ich habe seit 20 Jahren noch immer nicht heraus, was er beabsichtigt. Seit 20 Jahren bietet er die DDR zum Verkauf an, und seit 20 Jahren hat er sie noch auf dem Ladentisch liegen. ... Warum versäumt er, Apparat, Parteibrauchtum, Schule und Eigentumsform marktgängig zu machen? Warum wird er in dem Grade störrischer, in dem Gorbatschow luschiger wird? Warum wird jetzt sein Sturz besprochen?«

Müller an Hacks, 22. 7. 1988: »Ich gestehe, daß ich über Honecker auch schon die seltsamsten Vermutungen gehabt habe. Ich schwanke zwischen vier Lesarten ...«

Noch aus der Andropow-Zeit stammt Hacks’ Tragödie »Jona«. Semiramis, Königin in Ninive, meint Honecker; sie hat ihren Vorgänger Schamsch (Ulbricht) umgebracht und richtet das Reich von Assur durch Unfähigkeit zu Grunde. (Der Sarkophag des historischen Königs Schamasch Adat befindet sich auf der Museumsinsel zu Berlin. Man kann sagen, dieser Herrscher sei, wie Ulbricht, in Berlin begraben). Anfang 1989 nun befindet sich Hacks in der Lage, daß sein bisher ungespieltes Stück gegen Honecker, auf den er inzwischen seine letzte Hoffnung setzt, von den inzwischen honeckermordenden Medien (etwa auch Elmar Fabers Aufbauverlag, Manfred Wekwerths Berliner Ensemble und Gerhard Ebert im Neuen Deutschland) plötzlich gefragt und geradezu überlaufen ist. Die Rede im vorliegenden Brief geht von der Zweimonatsschrift »Sinn und Form«.

*

Sibylle Wirsing, Dieter Hildebrandt, Westberliner Kritiker.

Die Zensur-Forderung aus meinem Dramatiker-Manifest, Hacks hatte ein illegales Komitee der DDR-Dramatiker verleitet, von der Regierung die Einführung der Zensur in der DDR zu verlangen.

Schulz, Max Walter Schulz, Chefredakteur von »Sinn und Form«, der, nach jahrelanger Verweigerung, Hacks’ »Jona« im (Dezember)-Heft 6-1988 abgedruckt hatte.

Gremlica, richtig: Hermann L. Gremliza, Herausgeber der Zeitschrift »konkret«.

Die Kugelköpfe, Hacks: »Die kleinen Männer mit den Kugelköpfen«, eine physiognomische Betrachtung über die Ähnlichkeit zwischen M. Gorbatschow und R. Bahro; »Perestroika ist einfach das russische Wort für New Age«; Erstdruck in Thomas Metschers und André Müllers Zeitschrift »Kultur und Gesellschaft« 11/12 1988.

An Hacks Köln, 3. 2. 1989

Liebster Peter,

»Schöne Wirtschaft« ist eingetroffen. Meinen herzlichen Glückwunsch. Ich nehme es nachher mit nach Juntersdorf und lese es dann zum vierten Male; einzelne Kapitel habe ich noch öfter gelesen, und das Manuskript lag fast ein Jahr auf meinem abendlichen Büchertisch. Der Teufel mag wissen, weshalb mich das so interessiert. Aber die Privatuniversität von Herdecke studierte die gleiche Sache; ich lieh einer Dozentin das Manuskript zum lesen. Sie vervielfältigte es und reichte es rum. Es ist denen aber zu marxistisch.

Ansonsten lebe ich schlecht. Diese blöden Parteikämpfe erreichen einen, auch wenn man nicht will, und erreichen sie einen, ärgert man sich. Mies will die Einheit erhalten und gibt also ständig der Opposition nach, die frecher ist als vorher. Was er Montags halbwegs richtig sagt, widerruft er Dienstags, mit Entschuldigungen an die O., als falsch. Es ist unerträglich. Ich werde für die letzte Nummer mit Manuskriptentzug bestraft. Im übrigen hatten wir immer recht, wenn wir die Apoisten nicht mochten. Was davon in die DKP geraten ist, entlarvt sich Tag für Tag als Ratte: Stalins Verbrechen in der Pädagogik, Stalins Verbrechen in der Gartenkunst, Stalins Verbrechen in der Sexualwissenschaft. Wenn ich die Nummern füllen will, muß ich das nur nehmen. Ganze Rattenscharen kommen. Und was von der APO nicht zu den »Erneuerern« zählt, taugt auch nicht. Nicht einer taugt davon. Es sind jeweils die 19, von denen in »Schöne Wirtschaft« gehandelt wird.

Das Schlimmste ist aber: man kann sich dem Rattenklüngel nicht wirklich entziehen. Ich versuche es unentwegt und scheitere damit.

Ich schicke Dir in den nächsten Tagen, was ich von »Candide« geschrieben habe. Es ist der Versuch für mich selber, um festzustellen, ob der von mir gedachte Stil geht. An Fabel für die Bundesrepublik habe ich nur: er sucht das Fräulein, findet und verliert sie wieder und wird am Ende mit ihr als angeblicher Agent entlarvt und in seine Gärtnerei zurück-geschickt. Die Schwäche der Fabel rührt aus ihrem Mißbrauch für Zeitkritik. Aber ich will ihn kurz durch die Ausbeutung (zwei oder drei kurze Kapitel) schicken, lang durch die romantischen Lösungsversuche der Weltverbesserer und am Ende noch kurz durch die Kunst. Wobei ich immer die ironisch erklärenden Kapitel einschiebe, die ich mir ausgedacht habe. Ob das geht – ? Laß uns darüber reden.

Ich fliege am 25. 2. und möchte Spätnachmittags zum Tee kommen. Im übrigen lebe die DDR!

Mit herzlichen Grüßen, Dein

André

»Schöne Wirtschaft, Ästhetisch-ökonomische Fragmente«, von Peter Hacks, Aufbau Verlag 1988.

Mies, Herbert Mies, Vorsitzender der DKP bis 1990.

Die letzte Nummer, »Kultur und Gesellschaft« 11/12 1988.

»Candide«, Romanentwurf von André Müller über einen russischen Emigranten in die BRD.

Die 19, gemeint sind jene 19 von 20, die nach Adam Smith auf einer Universität das Ziel nicht erreichen, von »ihrem Geist ihr Brot« zu haben. Zitiert in Hacks »Schöne Wirtschaft«.

An Hacks Köln, 21. März 1989

Liebster Peter,

ich gratuliere Dir ganz herzlich zu Deinem Geburtstag und hoffe, Du hast ihn mit einer guten Flasche Rotwein gebührend begangen – aber notiere die Marke irgendwo, die Forscher des künftigen Jahrtausends werden sie wissen wollen.

Ich war 14 Tage schwer krank, ein infektiöser Durchfall, der mich acht Pfund Gewicht und die Kraft von drei Monaten gekostet hat.

Dafür habe ich inzwischen das tiefere Gesetz der neueren sowjetischen Wirtschaftsentwicklung begriffen. Es lautet: auf jede wirtschaftliche Pleite antwortet der Kreis um Gorbatschow mit einer neuen Enthüllung über die Untaten Stalins.

Anbei eine Zeitung dieses Kreises, bzw. die Kopie des Titelblattes. Aber sie wird nicht gelesen. Die deutschsprachige Prawda ist auch schon wieder eingestellt worden.

Mit herzlichen Grüßen, Dein

André

Eine Zeitung dieses Kreises, »Moskau News« 1988/1989.

An Hacks Köln, 28. 3. 1989

Liebster Peter,

Schernikau hat mir auf eine Mahnung hin einen Fahnendurchschlag seines Buches geschickt, das bei Konkret erscheinen wird. Die Titelseite fehlt, und so weiß ich nicht, wie es heißt, aber es ist jene Sammlung von Beobachtungen, BRD sieht BRD, DDR sieht BRD usw. Ich nehme an, Du kennst es.

Ich bin keinesfalls so sicher wie Du, daß es sich bei dem Jungen um einen sicheren Mann handelt. Meine Gründe: Das sind tausend aphoristische Beobachtungen, aber das wird nirgendwo Kunst, ein Ganzes, eine Sache, die einen Anfang und die ein Ende hat. Ich habe das fast sichere Gefühl, er kann nicht mehr, und er wird möglicherweise niemals mehr können. Natürlich ist er zur Zeit einigermaßen auf unserer Seite, und selbst wenn ich die vielen falschen oder dummen Beurteilungen mit Jugend entschuldige, bleibe ich immer noch bei der Einschränkung: einigermaßen. Er neigt zur intellektuellen Geschwätzigkeit, und er neigt sehr zu diesem Konkret-Stil jenes Idioten, der dort immer Schallplatten bespricht. Und mir mißfällt ebenso wie Dir dieses ständige Herumprotzen mit seinem Schwulsein. Ich habe die schwulen Liebesgedichte von Shakespeare immer für ebenso schön gehalten wie jene an die schwarze Dame. Ich würde mit Begeisterung einen schwulen Liebesroman lesen, wenn der nach den gleichen Kriterien gebaut wäre wie ein guter Liebesroman gebaut sein muß. Aber irgendwo stinkt mir das alles nach »Fortschrittlichkeit«. Am meisten jedoch stört mich dieses Unvermögen zur Form. Die gewählte Ordnung ist nach der Art: Einfälle des Morgens, des Mittags, des Abends und der Nacht. Entsprechend austauschbar sind sie. Die nachgemachten Erika-Runge-Interviews sind reiner Scheiß. Um nicht mißverstanden zu werden, ich habe oft hell gelacht, mich oft amüsiert und sehr vieles richtig gefunden. Aber mindestens so viel auch nicht. Ich habe ihn in Verdacht, daß er weder weiß, was Marxismus, noch, was Form ist. Ich hoffe sehr, ich irre mich. Natürlich werde ich Auszüge drucken, aber die zu machen, überläßt er mir, was mir nicht behagt, da ich natürlich Rosinen suchen gehe. Soll ich das? Ich bin sehr unsicher.

Boris Jelzin ist also der neue Superstar. Ist die Einschätzung richtig, daß die Wähler den Apparat einfach insgesamt für die von G. verursachte Mißwirtschaft verhauen haben? O Demokratie.

Herzlichst, Dein

André

Schernikaus Buch, »Die Tage in L.«

Bei »konkret«, Dorothee Gremlizas Konkret Literatur Verlag.

Erika-Runge-Interviews, Erika Runge: »Bottroper Protokolle«, 1968.

Boris Jelzin, Sowjetischer Politiker jener Jahre.

An Müller Berlin

Liebster André, die erbetene Rotwein-Marke lautet: »Bordeaux, abgefüllt in Bordeaux, appellation: ›Bordeaux‹«;

Hersteller: Krikelkrakel Ypsilanti. Man erhält sie im Inter-shop.

Dein Durchfall (von dem ich wünschen muß, daß es kein Durchfall-Ost war) bekümmert und wundert mich. Es gibt hiergegen unfehlbare Tabletten, außer man versäumt, rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Ich gebe zu, genau diesen Fehler vor zwei Jahren gemacht zu haben.

Ich will die »Berlin-News« herausgeben.

Frau Oelschlegel hat sich und ihren Partner in »Quartett« ausgezogen und im übrigen gesorgt, daß der Text akustisch unverständlich blieb. Die Generalprobe war ein Durchfall, ich hoffe, ein infektiöser.

Heins »Artus«-Drama wurde von der dresdener BL zu zwei Probeaufführungen verurteilt, mit der Maßgabe, daß, falls die erfolgreich verliefen, keine Uraufführung stattfinden dürfe. (Das Stück behandelt die Frage, was, nachdem der Sozialism sich als undurchführbar erwiesen, zu tun sei. Ich habs nicht gelesen. Es soll ganz nett sein).

Im TV war »Homburg« mit Mühe und Solter. Die Regie hatte entdeckt, daß der Kurfürst Honecker ist, und ihn folglich schlecht behandelt, und ferner, daß der Prinz Gorbatschow ist, und ihn folglich (aus Feigheit) schlecht behandelt, und so gab es zwei Stunden Null-Handlung. Das »In Staub mit« wurde gesprochen, freilich akustisch unverständlich.

– Die von Dir entdeckte ökonomische Gesetzmäßigkeit, die Entlarvungen Stalins betreffend, ist hiermit ins marxistische Schatzkästlein aufgenommen.

– Mir tut dies und das weh, vor allem die Arbeit.

Seid vergnügt.

Peter

1. 4. 1989

Frau Oelschlegel, Vera Oelschlegel, Intendantin des Theaters im Palast.

»Quartett«, von Heiner Müller.

Heins »Artus«-Drama, »Die Ritter der Tafelrunde« von Christoph Hein.

Die Arbeit, Hacks arbeitete am zweiten Teil seines Buchs »Ascher gegen Jahn. Ein Freiheitskrieg«: »Hauptsächliche Nebenpersonen«.