Über dieses Buch:
Ganz Venedig fiebert der traditionellen Schachmeisterschaft entgegen, doch dann wird einer der Spieler ermordet aufgefunden – und schon stecken Kater Caruso und seine Detektivfreunde wieder mittendrin in einer rasanten Jagd nach dem Täter. Denn nur die menschenscheue Katzenliebhaberin Signora Esmeralda hat den Mord beobachtet und alarmiert die Vierbeiner. Doch die Suche wird zum Wettlauf gegen die Zeit, denn schon bald wird Esmeralda von einem traumatischen Erlebnis aus ihrer Kindheit eingeholt und sieht sich beim Spiel der Könige dem Mörder gegenüber …
Über die Autorin:
Christiane Martini, geboren in Frankfurt am Main, ist Diplom-Musiklehrerin und Absolventin des Konzertexamens. Sie leitet ihre eigene Musikschule »CasaMusica« und ist Dozentin für Blockflöte, Querflöte und Klavier. Neben eigenen Kompositionen hat sie auch zahlreiche musikalische Lehrwerke verfasst. Christiane Martini ist nicht nur Musikerin, sondern als Autorin in verschiedenen Genres zu Hause. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Nähe von Frankfurt und wurde von ihrer Heimatstadt Dreieich mit einem kulturellen Förderpreis für Musik und einem Stipendium ausgezeichnet.
Christiane Martini veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Mops Maple« und »Saitensprung mit Kontrabass«, den historischen Roman »Die Meisterin aus Mittenwald«, die Katzenkrimis um Kater Caruso sowie die heiteren Kriminalromane »Tote Oma im Weihnachtsfieber«, »Tote Oma mit Schuss«, »Tote Oma auf Eis« und »Tote Oma Ahoi!«. Die letzten drei »Tote Oma«-Bände sind im Sammelband »Mord mit Seebrise« erhältlich.
»Tote Oma mit Schuss« ist zudem Teil des Sammelbands »Morden im Norden - Vier Krimis in einem eBook«.
Die Reihe um den schlauen Kater Caruso und seine Katzenbande umfasst die folgenden Bände:
»Meisterdetektiv auf leisen Pfoten – Carusos erster Fall«
»Venezianischer Mord – Carusos zweiter Fall«
»Die venezianische Schachspielerin – Carusos dritter Fall«
»Schatten über der Serenissima – Carusos vierter Fall«
Alle vier Fälle sind auch im Sammelband erhältlich:
»Mord in der Lagunenstadt – Kater Caruso ermittelt in Venedig«
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eBook-Neuausgabe Februar 2016
Copyright © der Originalausgabe 2007 Piper Verlag GmbH, München
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Maria Seidel, www.atelier-seidel.de, unter Verwendung von istockphoto/bellabrend, neyro2008, Erhan telik, chaoss, LavandaPrint
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-468-9
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Christiane Martini
Die venezianische Schachspielerin
Carusos dritter Fall
dotbooks.
Meinen Kindern Katharina und Victor gewidmet, die sich mit großer Freude und Begeisterung Venedig erlaufen haben.
Regina regit colorem.
Die Dame bestimmt die Farbe.
Gierig verschlang die herbeieilende Dämmerung die letzten Strahlen des Tages.
Esmeralda und ihre Freunde spielten Verstecken, oben auf dem Hügel zwischen den vielen Weinstöcken, die zu einem vornehmen Anwesen gehörten. Prächtige Trauben hingen an den Reben und warteten darauf, gepflückt zu werden. Das Gekicher und das Geschrei der Kinder waren bis zum Haus hinunter zu hören. Fröhliche und unbeschwerte Stimmen.
Doch plötzlich wurde es ganz still.
Eine schmutzige Hand hatte ihr den Mund zugehalten. Ein starker Arm hatte sie gepackt und einige Meter mit sich gezerrt.
»Esmeralda, wo bist du?«, rief eines der Kinder.
»Esmeralda!«
Sie wollte antworten, doch die Hand, die ihr den Mund zupresste, ließ keinen Laut heraus. Sie trat mit dem Fuß, zappelte und versuchte, dem Mann in die Hand zu beißen, doch der lockerte seinen Griff nicht im Geringsten. Plötzlich hob er sie hoch und zwängte sie in den Kofferraum eines Autos. Es wurde finster ringsum. Tränen der Furcht rannen ihr über die Wangen. Außer sich vor Entsetzen schlug sie gegen den Kofferraumdeckel und schrie, so laut sie konnte. Panik erfasste sie, die Kehle schien sich zuzuschnüren und ihr die Luft zu nehmen. Ein schreckliches Gefühl von Enge erfasste sie. Das Haar klebte ihr nass am Kopf; wie eine Ertrinkende kämpfte sie um ihr Leben.
Dann versank sie in der Dunkelheit des Schreckens und wurde ohnmächtig.
Ein frischer Morgenwind blies über den Campo Sant'Agostin und rüttelte an den verwitterten Klappläden der alten Villa. Umringt von ihren Katzen, saß Signora Esmeralda Stiviso in einem prächtigen Lehnstuhl. Bartolomeo, der Papagei der alten Dame, hockte schweigend auf seiner Schaukel in einem silbernen Käfig auf dem Tisch. Es war still in dem großen, hohen Raum. Nur ab und zu waren das Schnurren der Katzen, das leise Quietschen der Schaukel und das Klappern der Fensterläden zu hören.
Die Signora trug die weißen Haare zu einem Knoten im Nacken zusammengesteckt. Die leicht gebogene Nase zierte eine dunkle Brille, und um die Schultern hatte sie eine gestrickte, flauschige Decke gelegt. Sie war noch immer in ihr langes Nachthemd gekleidet. Die Augen hielt sie geschlossen. Doch sie schlief nicht. Ihre Finger kraulten unentwegt das Fell einer kleinen grauen Katze, die sie erst kürzlich in den Kreis ihrer Vierbeiner aufgenommen hatte. Es war Camilla, die Katze des Ispettore Castello und Gefährtin von Caruso, dem venezianischen Katzen-Meisterdetektiv.
***
Camilla war im Sestier San Polo unterwegs gewesen, um die herrliche Sommerluft zu genießen. Sie war einer kleinen Maus gefolgt, die frech ihr Spiel mit ihr getrieben hatte.
»Du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht!«, hatte sie gepiepst.
Dadurch hatte sie aber Camillas Ehrgeiz nur noch mehr angespornt. Die Katze hatte sie über den Campo San Polo gejagt, vorbei an einem Abfallkorb, bis zu einem Brunnen. Doch die kleine Maus hatte geschickte Haken geschlagen, und Camilla hatte es nicht geschafft, sie zu erwischen. Dann hatte das Mäuschen Camilla beschimpft und dabei eine grimmige Fratze gezogen.
»Du bist eine ausgesprochen hässliche Katze.«
Da war ihr Camilla wütend hinterhergesprungen und hatte überhaupt nicht aufgepasst, wohin sie getreten war. Unglücklicherweise verfing sie sich mit einer Pfote in einem Brunnengitter und kam nicht mehr frei. Sie litt fürchterliche Schmerzen und schrie bitterlich. Immer wieder versuchte sie, sich aus dem Gitter zu befreien, zog und drehte die Pfote. Aber alle Mühen und Qualen waren vergeblich, sie konnte sich nicht selbst befreien. Ängstlich blickte sich die graue Katze um.
»Ist vielleicht irgendjemand in der Nähe, der mir helfen kann?«
Da schaute sie in das gütige Gesicht einer alten Signora, die geradewegs auf sie zukam. Sie hatte ihr verzweifeltes Maunzen offenbar gehört.
»Povera micina, armes Kätzchen«, sagte die Dame freundlich, als sie bei Camilla angelangt war. »Ich habe dich und die Maus eine ganze Weile von dort drüben beobachtet.«
Sie zeigte auf eine alte Bank, die auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes stand.
»An dieser Stelle hat sich erst letzte Woche ein burmesischer Kater die Pfote geklemmt.« Camilla zuckte überrascht mit dem rechten Ohr.
Burmesischer Kater – das könnte Sir Burma sein. Der ist aber doch seit dem letzten Fall meines Ispettore spurlos verschwunden. Das ist ja hochinteressant.
Die Signora bemerkte Camillas überraschten Gesichtsausdruck und erzählte weiter.
»Es geht ihm schon wieder viel besser. Ich habe ihm einige Umschläge mit Calendula-Kräutern aus meinem Garten gemacht.«
Sie streichelte Camilla über den Kopf.
»Lass mich dir auch helfen, kleine Micina.«
Vorsichtig griff die alte Dame in das Gitter, und mit einem geschickten Griff befreite sie Camilla. Die Katze maunzte noch einmal lautstark auf.
»Accidenti, verflixt, tut das weh!«
Aber dann leckte sie sich erleichtert die Pfote und schnurrte die Signora freundlich an.
»Mille grazie, ohne dich wäre ich verloren gewesen.«
Die alte Dame lächelte und meinte: »Schau, da vorn läuft der kleine Übeltäter!« Camilla konnte gerade noch das Hinterteil mit dem langen Schwanz der frechen Maus sehen, die flink in einen Seitenweg huschte.
Sanft strich die Signora über Camillas kurzes Fell.
»Darf ich dich mit zu mir nach Hause nehmen? Dort wohnen noch viele andere Katzen, die mir zugelaufen sind und denen ich geholfen habe. Was meinst du?«
Camilla überlegte und schnurrte dabei vor sich hin. »Ich wüsste zu gern, ob es sich bei dem Kater wirklich um Sir Burma handelt. Außerdem könnte meine Pfote fürsorgliche Hilfe gebrauchen. Und für so etwas hat mein Ispettore sowieso keine Zeit.« Zustimmend miaute Camilla die Signora an.
»Bene, dann werde ich dich erst einmal wieder aufpäppeln, und du überlegst dir, ob du bleiben oder lieber wieder gehen möchtest. D'accordo?«
Camilla nickte und schaute in das faltige Gesicht der alten Dame. Viele Furchen und Sorgen entdeckte sie da. Vor allem aber blickten Güte und Liebe aus den vergissmeinnichtblauen Augen.
Was mag diese Frau nur Schlimmes erlebt haben?, fragte sich Camilla besorgt.
Vorsichtig nahm die Signora die Katze auf den Arm.
»Das kriegen wir wieder hin, glaub mir«, sagte sie sanft, strich Camilla über den schlanken Kopf und drückte sie liebevoll an ihren üppigen Busen.
Signora Stiviso strahlte angenehme Wärme aus und duftete wunderbar nach Lavendel. Camilla war es nicht gewohnt, von einer Frau liebkost zu werden. Zumeist war es Caruso, der sie verwöhnte, oder Ispettore Castello, der sie streichelte und auf den Schoß nahm. Dann erzählte er ihr von seinen neuesten Fällen oder von seinen Sorgen und Problemen. Und davon gab es im Moment ziemlich viele. Camilla atmete tief durch.
»Povero Castello.«
***
Castellos Chef Benedetto Venuto hatte ihm seit Längerem den Umgang mit Katzen bei der Aufklärung seiner Fälle verboten. Doch beim letzten Mal hatte Castello erneut Camillas Hilfe und die von Caruso, dem schlauen venezianischen Katzen-Meisterdetektiv, und seiner Bande angenommen. Nun hatte ihm sein Chef vor zwei Wochen die Suspendierung angedroht, falls er nicht von den Katzen ließe.
Venuto hatte sein Verbot damit begründet, dass er zahlreiche Beschwerdebriefe und unfreundliche Anrufe bekommen habe. Polizei und Katzen, das passe nicht zusammen, habe man ihm vorgeworfen. Dies hatte aber nicht ganz der Wahrheit entsprochen.
Venuto hatte nur einen einzigen unangenehmen Brief vom Rechtsanwalt des Täters erhalten. Ansonsten hatten sich viele Venezianer sehr lobend über die Vierbeiner geäußert.
***
Venutos Verbot hatte mit einem persönlichen Katzenproblem zu tun. Er trug ein bitterböses Geheimnis mit sich herum. Venuto mochte Katzen nicht streicheln und konnte es nicht ausstehen, wenn sie ihm um die Beine strichen. Und er verabscheute auch ihren Geruch. Er hatte eine regelrechte Katzenphobie. Dies lag an einem schlimmen Katzenstreich, den er in seiner Kindheit angestellt hatte.
Benedetto Venuto war in den Schulferien zu Besuch bei seinem Großvater gewesen. Aus Übermut hatte er einen schwarzen Kater am Schwanz gepackt und ihn im Kreise herumgeschleudert. Dann hatte er einfach losgelassen, und der hilflose Kater war in einer Mistgabel gelandet und wurde von ihren gewaltigen Zacken aufgespießt. Entsetzlicherweise war er nicht gleich gestorben. Er zappelte und schrie jämmerlich. Venuto wusste sich nicht anders zu helfen, als mit einer Schaufel immer und immer wieder gezielt nach dem Kater zu schlagen. Endlich hatte das Tier sich nicht mehr gerührt und war tot stecken geblieben.
Venutos Großvater war sehr streng. Hätte er die Sache herausbekommen, wäre Venuto von ihm sicher mit einem Ledergürtel grün und blau geschlagen worden. Also musste der tote Kater beiseitegeschafft werden. Venuto zog ihn aus den Zacken der Mistgabel heraus und packte ihn in einen Beutel, den er im Schuppen fand. Er legte noch einen Stein dazu und machte einen festen Knoten. Dann warf er den Beutel in einen nahe gelegenen Teich. Dort versank der ermordete Kater.
Noch als Mann träumte Venuto oft von diesem bösen Streich. Er erwachte dann schweißgebadet und wünschte sich, sein Großvater hätte alles erfahren. Die Strafe, die er tatsächlich bekommen hatte, war viel schlimmer als die Schläge, die er damals erhalten hätte. Es war sein schlechtes Gewissen, das an ihm nagte und mit dem er leben musste.
Vielleicht versuchte er deswegen, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Und war aus diesem Grund bei der Polizia gelandet.
***
Der Busen der Signora hüpfte beim Gehen leicht auf und ab. Camilla fand diese zarten Bewegungen äußerst amüsant und angenehm und schnurrte zufrieden.
Sie gingen die schmale, verwinkelte Calle Bernardo entlang, vorbei an typisch venezianischen Souvenirläden, und bogen dann in die Rio Terrà Seconda ein, eine der Gassen, die vor vielen Jahren einmal ein Fluss gewesen waren.
Schließlich kamen sie zu einem kleinen Platz. Er hatte eine bezaubernde Wirkung auf Camilla und zog sie sofort in seinen Bann.
Zartblühende Oleanderbüsche wuchsen in mächtigen Kübeln. Zypressen, Kirschlorbeer und Zitronenbäumchen in Terrakottatöpfen wechselten sich ab. Ein herrlicher Duft flutete über den Campo und strich über Camillas Näschen hinweg.
»Hmmmm«, miaute sie erfreut.
»Schön, dass dir der Platz gefällt. Ich nenne ihn immer Piazza Paradiso«, meinte die alte Dame daraufhin mit heiterer Stimme. »Noch ein paar Schritte, und wir sind da, meine Kleine.«
Camilla ließ ein erleichtertes Schnurren hören, denn allmählich musste sie sich wieder einmal strecken und an der Pfote lecken.
Nach wenigen Metern war es so weit, und die Signora ging auf eine ehrwürdige alte Villa zu. Diese war von einem gusseisernen Zaun umschlossen, hinter dem sich ein herrlich blühender Garten befand. Camilla wurde ganz andächtig, als sie durch das große Tor schritten, das mit feinen Rosetten verziert war.
Ein schmaler Weg führte auf die Villa zu. Er war mit zahlreichen Lavendelpflanzen gesäumt. Die kleine Katze war völlig hingerissen.
»Das muss ich unbedingt Caruso zeigen«, maunzte sie verzückt und vergaß für einen Moment die schmerzende Pfote.
Vor der dunklen Tür der Villa befand sich eine Treppenstufe, auf der große und kleine Töpfe mit Rittersporn, Margeriten, Phlox und Akelei standen. Der Eingangsbereich war mit gelben und roten Rosen umrankt. An den Wänden kroch stolz wilder Wein in die Höhe. Zu beiden Seiten des Weges befand sich eine Rasenfläche, auf der jeweils ein Obstbaum stand. Kirsche zur Rechten und Apfel zur Linken.
Die alte Dame öffnete die schwere, mächtige Haustür, und heraus drängte eine bunte Schar – Katzenkollegen und Bekannte von Camilla. Mit fröhlichem Maunzen begrüßten sie die Signora. Diese setzte sich mit Camilla auf die oberste Stufe der Treppe.
»Schaut mal, wen ich dabeihabe! Die kleine graue Katze hat sich die Pfote verletzt.«
»Ciao, Camilla, wie schön, dich zu sehen! Aber was hast du denn angestellt?« Renaldo aus Carusos Gang, der sie sofort erkannt hatte, kam ihr besorgt entgegen.
Das könnte ich dich auch fragen, dachte sie. Doch dann erzählte sie ihm von ihrem Missgeschick.
»Hier wird es dir gut gehen. Die Signora ist erste Katzensahne. Und sie kann kochen ...« Vor Verzückung schwang er den buschigen Schwanz wild hin und her.
»Ich schau hier ab und zu vorbei, um mir ein paar Leckerbissen abzuholen«, meinte er verschmitzt. Immer mehr Katzen scharten sich um die beiden.
»Ist das nicht Carusos Gefährtin?«, hörte Camilla einen braunen Kater fragen.
»Das könnte sie sein«, stimmte ein schwarz-weiß gesprenkelter Kater zu und gab dem anderen mit der Tatze einen Hieb in die Seite.
»Stracciatella, sei still!«, mischte sich nun ein Kater mit gelocktem Haar ein und schob sich vor ihn.
»Verzeih seine Unwissenheit, Camilla! Wie schön, dass wir dich hier begrüßen dürfen.«
Über Camillas Gesicht huschte ein Lächeln. Der Kater, der nun vor ihr stand, sah aus, als hätte er eine krause Dauerwelle.
»Ist schon in Ordnung«, sagte sie dann mit gefasster Miene. »Wer bist du?«
»Ich heiße Gustavo, und das sind meine beiden Freunde: Stracciatella und Largo.«
Er deutete mit der Tatze auf den braunen und den schwarz-weiß gesprenkelten Kater. Die beiden nickten Camilla freundlich zu.
»Ciao, Camilla, scusa, wir haben dich nicht gleich erkannt.«
Und dann schrien die Katzen wild durcheinander:
»Evviva Caruso, er ist der Größte!«
»Ein Katzenhoch auf den Meisterdetektiv! Evviva!« Ein wildes Katzengegröle scholl durch den Garten der alten Dame. Verwundert musterte sie die Schar, die sich um Camilla versammelt hatte. Dann strich sie der verletzten Katze nachdenklich über den Rücken.
»Oh, tesoruccio mio, du scheinst ja eine wichtige Katzenpersönlichkeit zu sein! Da will ich aber bestens dafür sorgen, dass du rasch wieder ganz gesund wirst.«
Camilla schaute in die Augen der gütigen Signora. Es schien ihr, als verstünde die alte Dame die Sprache der Katzen. Aber lag da nicht auch etwas Beängstigendes in ihrem Blick?
Ob sie etwas bedrückt? Oder ob sie etwas Erschreckendes erlebt hat?, fragte sich Camilla insgeheim. Eindringlich betrachtete sie die alte Dame. Dann maunzte sie entschlossen. »Ich komme noch hinter dein Geheimnis!«
***
Die Wunde an Camillas Pfote verheilte schnell und gut. Die Katze des Ispettore schätzte die Zuneigung der Signora außerordentlich. Aber es trieb sie auch fort zu Caruso. Ein paar Tage hatte sie ihn nun schon nicht mehr gesehen.
»Der Gute macht sich sicherlich große Sorgen. So lange waren wir noch nie voneinander getrennt, ohne zu wissen, was der andere treibt und wie es ihm geht. Morgen mache ich mich auf den Weg«, maunzte sie freudig.
Vorsichtig blickte sie die Signora an. Sie genoss nun schon eine ganze Weile ihre Streicheleinheiten und wollte nicht, dass sie damit aufhörte. Doch es wunderte sie sehr, dass die alte Dame heute Morgen noch gar nicht frühstücken mochte, obwohl ihr Bauch lustig vor sich hin knurrte. Auch Camillas Katzenmagen meldete sich allmählich.
Die Signora schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Gedankenverloren kraulte sie Camillas Nacken. Tuttavia! Jedoch! Plötzlich hielt die alte Dame inne.
»Ich muss euch etwas erzählen, micini miei«, hauchte sie mit beunruhigter Stimme. Für einen Augenblick war es mucksmäuschenstill im Raum.
Dann fuhr die Signora mit ernster Stimme fort: »Letzte Nacht habe ich etwas Schreckliches mit angesehen.«
Die Katzen hoben erschrocken die Köpfe und blickten die Signora fragend an. Bartolomeo öffnete den frechen Schnabel, doch er brachte kein Wort heraus.
Auch Camilla musterte das sorgenvolle Gesicht der alten Dame und spitzte aufmerksam die Ohren.
Das Duell beginnt.
Esmeralda und Riccardo beginnen ihre Schachpartie mit der italienischen Eröffnung.
Caruso genoss die Morgenstille. Er hatte sich zeitig auf den Weg gemacht, um einen ungestörten Spaziergang durch Venedigs Gassen zu machen. Kein einziger Mensch war unterwegs. Auf niemanden musste er Rücksicht nehmen. Caruso fand es wunderbar, unbehelligt in der Mitte der Straße gehen zu können. Stolz schritt der schlaue Katzen-Meisterdetektiv dahin. Ein genaues Ziel hatte er noch nicht vor Augen.
»So gehört sich das«, maunzte er erfreut.
In der Calle Larga Foscari hielt Caruso für einen Moment neben einem bunt bewachsenen Hortensienkübel inne. Auf den Blättern der Pflanze glänzten Dutzende kleiner Tautropfen. Übermütig stieß er mit der schwarzen Schwanzspitze gegen eines der Blätter. Schon rann ein Tropfen herab, rollte ihm über die vorwitzige Nase, die er ganz nahe an eine Blüte geschoben hatte. Belustigt rieb er sich mit der Pfote darüber und warf einen prüfenden Blick auf die andere Straße. Dort blinzelten die ersten Sonnenstrahlen durch den zarten Morgendunst. Wie dünne Arme schienen sie sich durch das Nebelnetz zu strecken und sich an den alten Fassaden festhalten zu wollen.
»Gigantesco! Sieht das großartig aus!«, maunzte Caruso begeistert.
Die Seite, auf der Caruso sich befand, lag noch völlig im Schatten der Häuser. Feuchte Kälte, die noch von der Nacht zurückgeblieben war, kroch an seinem kraftvollen Körper herauf. Ein frischer Wind blies um die Ecken. Caruso schüttelte sich.
»Wenn jetzt eine dunkle Gestalt aus dem Dunst auftauchen würde ...
Gespannt hielt er den Atem an. Doch es blieb still. Caruso entspannte sich wieder und beobachtete weiterhin fasziniert, wie die Sonnenstrahlen immer mehr an Freiheit gewannen, Besitz von den verblichenen Häuserfronten nahmen und den unliebsamen Nebel verdrängten.
Ein Fensterladen wurde aufgestoßen. Der Kopf einer Signora mit zerzaustem Haar schaute heraus. Sie blickte kurz auf die Gasse hinunter und verschwand sogleich wieder. Das Fenster ließ sie geöffnet. Kurz darauf hörte Caruso Musik aus dem Radio und die Stimme der Signora, die lauthals sang. Der Empfang des Senders und die Intonation der Dame waren äußerst schlecht. Caruso schüttelte sich.
Wenige Minuten später wurde ein grün verwitterter Fensterladen geöffnet. Weitere folgten. Morgendliches Leben kehrte ein in die alte Gasse Donà Onesta.
Seltsam, dachte Caruso, die Menschen sind ja heute früh dran. Aber das hängt bestimmt mit dem Schachwettbewerb im Hotel Pettirosso zusammen.
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Der Schachwettbewerb war bei den Spielern ganz besonders beliebt. Alle zwei Jahre trafen sich in der Serenissima die Besten ihres Fachs und spielten drei Tage lang gegeneinander. Dem Sieger winkte ein beträchtlicher Geldbetrag in Höhe von fünfzehntausend Euro. Und ein kostenloser einwöchiger Aufenthalt in Venedig, in einem Hotel seiner Wahl.
Auch für die Schachfans war es ein außergewöhnliches Ereignis. Durch den Erwerb einer Exklusivkarte war es ihnen möglich, im selben Hotel wie die Teilnehmer zu wohnen. Dadurch erhielten sie Gelegenheit, einige Spieler persönlich zu sprechen und ihnen beim Einspielen und während des Wettbewerbs zuzusehen. Der Lern- und Strategieeffekt war hierbei durch nichts zu übertreffen.