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Über dieses Buch:

Endlich: der ersehnte Heiratsantrag! Leider schlägt Ludovicas Herz nicht halb so schnell wie erwartet. Aber lauwarme Gefühle sind besser als gar keine, oder? Doch dann stolpert sie dem charmanten Blumenverkäufer Emilio geradewegs in die Arme. Ein Blick aus seinen dunklen Augen und Ludovica weiß: Mit lauwarm kann sie sich nicht zufrieden geben ... Auch das Leben von Lori wird kräftig durcheinandergewirbelt: Ihr ebenso gutaussehender wie arroganter Nachbar treibt sie regelmäßig zur Weißglut – und lässt in ihrem Bauch Schmetterlinge flattern ... Daran, dass Italiener zum Anbeißen süß sind, wird die taffe Restaurantbesitzerin Raffaela ebenfalls erinnert, als sie im Urlaub ihrer Jugendliebe wiederbegegnet. So viel ist passiert, und doch sind die alten Gefühle sofort wieder da ...

Mit drei sommerlichen Liebesromanen schreibt sich Roberta Gregorio mitten ins Herz ihrer Leserinnen – gönnen Sie sich eine Auszeit mit einem Ausflug in das schöne Land am Mittelmeer und genießen Sie la Dolce Vita!

Über die Autorin:

Roberta Gregorio, geboren 1976 in Bayern, ist staatlich geprüfte Fremdsprachenkorrespondentin. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie im tiefsten Süden Italiens, wo sie am kleinen, grünen Schreibtisch mit Blick aufs Meer ihrer Fantasie freien Lauf lässt.

Bei dotbooks erscheinen auch ihre Romane:

»Italienische Küsse«
»Im Schatten der Zitronenbäume«
»Das kleine Restaurant des Glücks«
»Stille Nacht, Herz erwacht. Eine weihnachtliche Liebesgeschichte«

Sowie ihre Heiligen-Trilogie:

»Mit Liebe, Herz und Gloria«
»Ein Halleluja für die Liebe«
»Wie im Himmel so im Herzen«

Und die Heiligen-Trilogie im Sammelband:
»Sommerduft und Rosenknospen«

Der Roman »Das kleine Restaurant des Glücks« ist auch im Sammelband »Ein Restaurant zum Verlieben« enthalten.

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Aktualisierte Originalausgabe Juni 2019

Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel »Amore gut, alles gut« bei dotbooks

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock/JeniFoto, Guschenkova, Anna Kamniska, arogant, suns07butterfly, Dave85 und 0512

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95824-536-5

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Roberta Gregorio

Der Sommer der Zitronenblüten

Drei Romane in einem eBook

dotbooks.

Barbara, das Brautkleid und der Blumenmann

Kapitel 1

»Ich denke, wir sollten heiraten.«

Ludovica starrte ungläubig auf ihr Handy, nur um es sich gleich wieder ans Ohr zu halten. Sie hatte sich wohl verhört? Was genau meinte ihr Freund Agostino damit? War das jetzt ein versteckter Antrag? Stumm schimpfte Ludovica auf all die Filmemacher und Schriftsteller, die Generationen von Mädchen mit ihrer romantischen Auffassung der Liebe irreführten.

Romantik! Pffft!

So etwas gab es gar nicht. Zumindest nicht in ihrer Beziehung, und das war ihr meistens auch ganz recht so.

»Was meinst du?«, hakte Agostino nach.

Gute Frage.

Mit größter Mühe riss Ludovica sich zusammen. Immerhin kannte sie Agostino schon seit Jahren. Sie wusste also nur zu gut, dass er zu mehr nicht fähig war. Besonders nicht, wenn es darum ging, Gefühle zu zeigen.

»Das hat Zeit, Ago.«

»Aber du bist schon über 30.«

Fantastisch. Das wurde ja immer besser.

»Ja und?«

»Ich meine ja nur. Du wirst halt nicht jünger. Wie stellst du dir das vor? Mit dem Kinderkriegen und so?«

Ahhhhh.

Ludovica wollte ganz laut schreien. Sie hasste die Richtung, in die dieses seltsame Gespräch ging.

»Ago, ich muss Schluss machen. Kundschaft. Sehen wir uns später?«

»Ist gut. Bis dann.«

Ja, bis dann.

Ludovica steckte ihr Handy in die Hosentasche und lehnte sich gegen die Wand. Keine Kundschaft. Aber das war immer wieder ein guter Vorwand, wenn sie jemanden schnell loswerden wollte. Und so sollte es doch nicht sein, nicht wahr? Eine Frau sollte ihren Freund nicht loswerden wollen, oder? Dennoch ging es Ludovica sehr oft so. Agostino war einfach anstrengend. Und pedantisch. In jeder Lebenslage. Sogar beim Sex.

Gleichzeitig war er aber loyal. Und niemals böse. Immer neutral-freundlich. Zu jedem.

Du bist viel zu wählerisch, pflegte Ludovicas Mutter stets zu sagen. Und sie hatte recht. Das war Ludovica tatsächlich. Vor allem, wenn es um ihr Leben ging. Aber an Agostino war sie irgendwie hängengeblieben. Was sie als recht gutes Zeichen deutete. Immerhin waren sie nun schon seit drei Jahren zusammen. Es hatte keine Höhen und Tiefen gegeben. Ganz im Gegenteil, ihre Beziehung stellte eine flache Gerade dar. Keine weltbewegenden Emotionen, aber auch kein Drama. Klang gut. Dennoch fehlte es Ludovica manchmal an Action.

Geräusche drangen aus der Backstube an Ludovicas Ohr. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass Mara, ihre Teilhaberin, Freundin und Kollegin, heute mal recht pünktlich war.

»’Ngiorno«, meldete sich Mara wenig später und gesellte sich zu Ludovica an den Verkaufstresen.

Mara sah, wie meistens, total zerknautscht, zerknittert und zerrissen aus. Ihr Haar stand wahllos in alle Richtungen ab. Ihre Hose steckte am linken Bein in der Socke. Und ihr Pulli wies ein enormes Loch am Ärmel auf.

Trotz ihres eher abschreckenden Auftretens, konnte sich Ludovica keine Person vorstellen, mit der sie lieber gearbeitet hätte.

Gemeinsam hatten Ludovica und Mara vor etwa genau einem Jahr Salernos erste Cupcake-Konditorei eröffnet. Während Mara für den praktischen und kreativen Teil verantwortlich war – also konkret Cupcakes buk und stets neu interpretierte –, kümmerte sich Ludovica um den viel langweiligeren Teil des Marketings und des Rechnens. Schichtweise standen die zwei Frauen im Verkauf. Nur knapp nach der Mittagszeit, wenn die nahe gelegene Schule schloss und die Schüler sich in ihrem kleinen Laden geradezu stapelten, arbeiteten sie Seite an Seite an der überschaubaren Ladentheke.

»Ich kann die Augen kaum offen halten«, gab Mara zu und gähnte dabei demonstrativ.

Mara bereitete die Cupcakes jede Nacht frisch für den nächsten Tag zu. Was sie ziemlich schlauchte.

»Wir sollten uns überlegen, bald mal jemanden einzustellen, der dir zur Hand geht«, schlug Ludovica vor. »Ich bekomme sonst echt noch ein schlechtes Gewissen.« Ihr war klar, dass Mara den unbequemeren Teil der Aufgaben trug.

»Du bist das Zahlengenie. Können wir uns das bereits leisten?«

»Na ja. Wie du weißt, zahlen wir noch den Ofen ab …«

Mara kratzte sich am Kopf. »Nee. Dann lass mal. Das schaffe ich schon noch eine Weile.«

Und dann betrat der erste Schüler den Laden, und Ludovica und Mara konnten nichts anders tun, als einen Cupcake nach dem anderen über die Ladentheke zu reichen und dafür zu kassieren.

Danach aber, als auch der letzte Teenie gegangen war, setzten sich Ludovica und Mara gemeinsam in die kleine Sitzecke. Das machten sie gerne und so oft sich ihnen die Möglichkeit bot. Mara hatte eine duftende Tasse Tee vor sich stehen. Ludovica hingegen trank Cappuccino aus Sojamilch und Gerstenkaffee. Und Mara rümpfte auch prompt die Nase.

»Ich weiß echt nicht, wie du das Zeug runterbekommst, Ludo.«

»Ist lecker. Magst du mal?«

Mara machte eindeutige Würgegeräusche. »Gott bewahre.«

Ludovica lachte. Maras Gestik war erheiternd. Sie konnte so wunderbar theatralisch sein. In der Tat hatte Mara vor der Eröffnung der Cupcake-Konditorei ihr Glück als Schauspielerin versucht, dabei sogar einige gute Theaterrollen ergattert. Letztendlich war es ihr aber zu erniedrigend geworden, um Rollen zu betteln.

»Wie läuft es daheim?«, fragte Ludovica, um das Thema zu wechseln.

»Gut. So wie es als Mutter und Ehefrau halt läuft.« Mara zuckte mit den Schultern, blies in ihren Tee und nahm einen großen Schluck. Im Gegensatz zu Ludovica war Mara längst verheiratet und Mutter. »Wie steht’s mit dem langweiligen Agostino?« Mara mochte Agostino nicht und machte kein Geheimnis daraus.

»Ich glaube, er hat mir heute einen Antrag gemacht«, gestand Ludovica und leckte sich den Sojaschaum von der Lippe.

Mara schreckte bei dieser Nachricht überrascht auf. So überrascht, dass ihr Tee dabei überschwappte und sich über den kleinen, runden Bistrotisch ergoss.

»Häh? Wieso glaubst du das nur? Hat er oder hat er nicht?«

»Ja, das weiß ich eben nicht so genau. ›Ich denke, wir sollten heiraten.‹ Genau das hat er gesagt.«

Mara wischte den Tisch sauber und sah ihrer Freundin dann gerade ins Gesicht.

»Dir ist schon klar, dass dein Guter es nicht einmal zustande bringt, dir einen ordentlichen Antrag zu machen? Ich denke, wir sollten heiraten! Was soll denn das heißen?«

»Na ja, so wie ich ihn kenne, sollte das schon ein Antrag sein.«

Ludovica löffelte ihre Tasse leer, stellte sie dann vorsichtig auf die Untertasse.

»Auf jeden Fall ein ganz doofer Antrag.«

»Du, ich kann auch nicht sagen, dass ich vor Begeisterung einen Meter hoch gesprungen bin. Aber so ist er halt, der Ago.«

»Genau. So ist er. Die Frage ist nur, willst du den Rest deines Lebens mit so einem Mann verbringen?«

»Keine Ahnung«, gab Ludovica offen zu.

»Keine Ahnung ist falsch, Ludo. Keine Ahnung ist eine ganz bescheuerte Voraussetzung. Roberto ist für mich nicht keine Ahnung. Nie. Roberto ist mein Leben. Keine Sekunde zweifle ich daran. Selbst dann nicht, wenn wir mal streiten, verstehst du?«

Ja, irgendwie schon.

Roberto und Mara. Das war Leidenschaft. Liebe. Feuer.

Agostino und Ludovica. Das war … Ja, was war es nur? Allerhöchstens lauwarme Suppe.

Aber lauwarme Suppe war doch irgendwie tröstlich, aufbauend, verlässlich.

Mara seufzte.

»Klar verstehe ich dich, Mara. Ich glaube aber nicht an die große Liebe, die alles andere in den Schatten stellt. Das gibt es nur selten. Im Film. Vereinzelt wohl auch im richtigen Leben. Aber wahre Liebe ist so selten, dass ich meine Zeit nicht mit der Suche danach verschwenden will.«

»Und deshalb gibst du dich mit Agostino zufrieden? Du spinnst! Wirf deine Chancen nicht ins Klo, Ludo! Irgendwo da draußen läuft er herum, dein Idealpartner. Der Mann, der dein Herz erobert. Glaub dran!«

Wenn sie das nur könnte.

***

Ludovica hatte den Rest des Tages damit verbracht, über die Worte ihrer Freundin nachzudenken. Mara hatte sie durcheinandergebracht. So richtig. War Agostino am Ende doch nicht der Richtige für sie?

Ruhig war es in den engen Nebenstraßen, die Ludovica einschlug, um nach Hause zu gelangen. Sie wohnte in einem hässlichen, anonymen Gebäude. Nein, sie mochte ihre Wohnung wirklich nicht. Aber Besseres konnte sie sich nicht leisten, nicht nach der großen Investition für den Laden. Müde blickte sie am Haus hoch. Überall hing unordentlich Wäsche herunter, hier und da bröckelte der Putz. Kein schöner Anblick. Aber in der Küche brannte Licht, was nur bedeuten konnte, dass Agostino da war. Er besaß den Hausschlüssel und ging bei Ludovica ein und aus, meist, um sich um Sofia Loren, ihre Katze, zu kümmern. Agostino schlief gerne mal bei Ludovica, obwohl er an der Amalfiküste, also außerhalb der Stadt, arbeitete. Dort hatten sie sich auch kennengelernt. Genauer, in seinem kleinen Laden, wo Agostino selbsthergestellte Lederwaren verkaufte. Taschen, Geldbörsen, Etuis, sogar Schmuck.

Eher zufällig war Ludovica auf seinen winzigen Geschäftsraum gestoßen, der sich in einer schmalen Gasse von Positano befand. Eigentlich war Ludovica Anfang Oktober an einem Sonntag nach Positano gefahren, um sich zu sonnen. Das Wetter war aber so schnell umgeschlagen, dass sie ihr Handtuch bald wieder eingepackt hatte. Ihr war nichts anderes übrig geblieben, als sich die ganzen kleinen Geschäfte anzusehen, um die Zeit zum Mittagessen zu überbrücken, dass sie unbedingt in einem angesagten Restaurant zu sich nehmen wollte. Und dabei hatte sie Agostinos »Artigianato della Pelle« entdeckt. Von außen wirkte das Geschäft eher anonym. Ludovica aber war neugierig geworden, dachte daran, dass sie eine neue Tasche gut gebrauchen konnte.

Sie waren in das Gespräch gegangen und hatte letztendlich Agostino zum Mittagessen eingeladen. Ja! So und nicht anders herum.

Und der Rest war eben Geschichte.

Ohne große Motivation stieg Ludovica in den alten, arg abgenutzten Fahrstuhl und fuhr in den vierten Stock. Das Erste, was sie bemerkte, als die Fahrstuhltür sich öffnete, war, dass es im Treppenhaus seltsam roch. Abendessen. Aus vier verschiedenen Haushalten. Die Mischung verursachte ihr beinahe ein Schwindelgefühl und erinnerte sie daran, dass sie an diesem Tag noch nicht sehr viel gegessen hatte. Vielleicht hatte Agostino ja eine Kleinigkeit zubereitet. Er machte ganz passable Pasta.

Ludovica schloss ihre Haustür auf und musste ihre Augen erst an das unerwartete Dämmerlicht gewöhnen. Hoppla. Kerzen? Angestrengt dachte Ludovica nach, ob sie auch die letzte Stromrechnung rechtzeitig bezahlt hatte.

Doch. Hatte sie.

»Ago?«

Es rumorte verdächtig aus dem Wohnzimmer.

»Ja. Hier.«

Etwas verunsichert schloss Ludovica die Tür hinter sich ab und betrat den schummrigen Flur. Dabei setzte sie ihren Fuß auf irgendetwas Weiches. Mist. Hatte Sofia Loren schon wieder in den Flur gekotzt?

Nein.

Bei näherem Betrachten schloss Ludovica das aus.

Unter ihrer Fußsohle klebte nämlich ein Rosenblatt.

Kapitel 2

Was zum Teufel …?

Der gesamte Flur war mit Rosenblättern ausgelegt. Cielo! Das würde nachher eine Menge Arbeit machen, diese rote Pracht wieder einzusammeln.

»Was ist denn hier los, Ago?« Ludovica suchte die Wand nach dem Lichtschalter ab. Agostino kam ihr aber zuvor.

»Nicht!«, sagte er. Und sein Ton war so flehentlich, dass Ludovica innehielt. »Komm, ich führe dich ins Wohnzimmer.«

»Okay …«

Irgendetwas stimmte hier nicht. Und Ludovica war sich nicht sicher, dass sie herausfinden wollte, was Agostino im Schilde führte.

Es ging weiter mit Überraschungen. Im Wohnzimmer war der kleine Couchtisch festlich gedeckt. Wein, wieder Blumen, wieder Kerzen und irgendetwas, was nach Pizza aussah.

Angestrengt dachte Ludovica nach. Hatten sie etwa Jahrestag? Wann waren sie noch mal zusammengekommen?

Ach, und wenn schon! Agostino krümmte doch sonst auch keinen Finger, wenn es darum ging, wichtige Daten ihrer Beziehung zu zelebrieren.

Und dann war Agostino plötzlich weg.

Nein, nicht so richtig. Vielmehr war er nur weg aus Ludovicas Blickfeld. Er kniete nämlich. Direkt vor ihr. Ob er etwas verloren hatte?

»Was machst du denn da, Ago?«

Ludovica griff sich an den Kopf, genau da hin, wo es richtig übel anfing zu pochen. Das fehlte ihr gerade noch. Migräne!

»Ich habe heute extra im Internet recherchiert. Da stand, dass man das so macht!«, gab Agostino beinahe trotzig zur Antwort.

»Dass man was so macht?« Ludovica verstand einfach nicht. Sie wollte nicht verstehen.

»Na, das mit dem Heiratsantrag und so.«

»Oh!«

Ja. Jetzt hatte er es gesagt. Und kniete noch immer vor ihr. Ludovica blickte sich in ihrem Wohnzimmer um. Es war ihr selbst fremd. Ihre Gedanken fingen an, sich endlos in ihrem Kopf zu drehen, während Agostino sie erwartungsvoll ansah und dabei schwieg.

Hatte er die Frage denn jetzt ausgesprochen? Verwirrt massierte Ludovica ihre Schläfen.

Das Schweigen wurde viel zu laut. Glücklicherweise kam Sofia Loren und schmiegte sich an Ludovicas Beine. Das war eine konkrete, ehrliche Geste, die sie langsam aus ihrer Starre holte.

»Und was jetzt?«, forderte Ludovica Agostino heraus. Wenn, dann schon richtig!

»Ja, jetzt …«, nervös rückte Agostino seine Brille zurecht und nahm dabei Ludovicas Hand. Seine Finger fühlten sich an wie weich gekochtes Gemüse, was sie bravurös ignorierte. »… jetzt möchte ich von dir wissen, ob du meinst, wir sollten heiraten.«

Wieso musste er das so formulieren? Konnte er nicht einfach so etwas sagen wie ›Ich liebe dich, willst du mich heiraten?‹ oder ›Willst du meine Frau werden?‹ oder ›Nimm mich zum Mann!‹. Es gab doch wirklich Millionen von Möglichkeiten, diese eine Frage zu formulieren. Warum musste Agostino sich die unvollkommenste aussuchen?

Du bist viel zu wählerisch, tönte die Lieblingsaussage ihrer Mutter mal wieder in ihrem Kopf. Ludovica hatte doch jetzt Rosen. Und Kerzen. Und einen Freund, der vor ihr niederkniete. Und einen Ring. Oder etwa nicht? Agostino machte keine Anstalten, irgendwo einen herausholen zu wollen. Gut, dann halt keinen Ring. Aber sonst passte doch alles. Oder fast.

Warum klopfte dann aber ihr Herz nicht aufgeregt gegen ihren Brustkorb? Warum spürte sie keinen einzigen Schmetterling im Bauch? Warum wurden ihre Knie nicht weich? Und warum konnte sie sich so gar nicht vorstellen, mit Agostino vor dem Altar zu stehen?

Weil sie wählerisch war.

So.

Und deshalb würde sie jetzt diesen verkorksten Antrag annehmen. Jawohl!

»Ja, Agostino, ich denke, wir sollten heiraten!«

Ludovica fand, dass ihre Stimme dabei klang, wie direkt aus einem Horrorfilm importiert: schrill, übertrieben, krank.

Agostino riss auch prompt die Augen auf. Er war ganz offensichtlich erstaunt. Was wiederum Ludovica nervte. Wollte er etwa ein Nein?

»Oh. Hervorragend. Herzlichen Glückwunsch!«

Endlich erhob sich Agostino, und Ludovica ignorierte das vollkommen unangebrachte ›Herzlichen Glückwunsch‹.

»Dann sind wir jetzt also verlobt?« Sie wollte es doch noch einmal auf den Punkt bringen. Nicht, dass sie am Ende irgendetwas missverstanden hatte.

»Sieht so aus, ja. Und ich denke, wir sollten das Ganze ziemlich zügig über die Bühne bringen.« Agostino zog Ludovica mit sich auf die Couch.

Oh Gott. Alles, aber auch alles, was Agostino zum Thema Heiraten sagte, klang so falsch! Deshalb schwieg Ludovica lieber. Sie wollte den kaputten Moment nicht noch kaputter machen.

»Ist mein Geburtstag als Datum okay? Ich meine … dann muss ich mir kein anderes Datum merken.«

Ihr wurde langsam schlecht.

Dann aber nahm sie wahr, dass es gerade April war. Und Agostinos Geburtstag war Anfang Juni.

»Bist du von Sinnen? Wie soll ich denn eine Hochzeit in so wenig Zeit organisieren?«

»Ludo, das überlasse ich dir. Das wirst du schon machen!«

***

Das Telefonat, um ihrer Mutter von dem bevorstehenden Ereignis zu erzählen, verlief recht unspektakulär.

»Ma, ich heirate.«

»Tatsächlich? Wen denn?«

Wen schon?

»Meinen Freund?«

»Den Agostino?«

»Was denkst du denn, wie viele Freunde ich gleichzeitig habe?«

»Wann?«, lenkte ihre Mutter ab.

»Am 5. Juni.«

»Geht das nicht eher?«

»Eher? Juni ist doch schon bald.«

»Du meinst Juni 2014?«

»Natürlich.«

»Oh.«

»Und ich bin nicht schwanger!«

»Habe ich auch nicht behauptet.«

»Ma, ich kenne dich und errate deine Gedanken problemlos …«

»Na gut. Muss ich irgendetwas machen?«

»Nur zur Hochzeit kommen.«

»Das lässt sich vereinbaren …«

Oh, wie zuvorkommend!

Das Gespräch mit Mara hingegen wurde anstrengend. Richtig, richtig anstrengend.

»Nur über meine Leiche!«

»Komm schon, Mara, sei nicht immer so theatralisch!«

»Na schön. Dann nenn mir einen guten Grund, der mich umstimmt!«

Schwierig. Mara war aber auch nicht leicht umzustimmen. Ludovicas Kopf war jedenfalls leer. Je länger sie darüber nachdachte, desto trostloser erschien ihr der Inhalt ihres Gehirns.

»Siehst du! Du hast keine Argumente! Dann sag mir wenigstens, warum du ihn heiraten willst!«

Puh! Ludovica hasste tiefgründige Gespräche mit Mara. Sie wollte dabei immer so viel wissen und hinterfragte auch noch alles.

»… weil wir schon so lange zusammen sind?«, versuchte sie es.

»Falsche Antwort! Gib mir eine bessere!«

»… weil es Zeit wird, eine richtige Familie zu gründen?«

»Falsch! Falsch, falsch, falsch. Auf diese Frage gibt es nur eine richtige Antwort: Weil ich ohne ihn nicht leben kann!«, schrie Mara nun fast.

Und Ludovica traf dieser Satz härter als eine Ohrfeige. Sie musste sich setzten und ging hinüber zur Sitzecke, wobei Mara ihr folgte wie ein Schatten.

»Ist es so, Ludo? Kannst du ohne Agostino nicht leben?«, fragte Mara nun viel sanfter und nahm dabei ihre Hand, setzte sich ihr gegenüber, suchte ihren Blick.

Zum ersten Mal dachte Ludovica darüber nach. Wie war das eigentlich? Konnte sie ohne Agostino nicht leben? Was ging in ihr vor, wenn sie ihn ein paar Tage lang nicht sah? Wie schrecklich fand sie die Vorstellung eines Lebens ohne Agostino?

Die Antworten erschreckten sie allesamt zutiefst.

Agostino war nicht ihr Lebensinhalt. Eher eine Randerscheinung.

»Ich kann schon ohne ihn leben. Und du könntest auch ohne deinen Mann leben, Mara, sei ehrlich!«, startete Ludovica einen Gegenangriff.

»Ja, vielleicht könnte ich es sogar, Ludo. Aber ich würde ihn bei jedem Atemzug vermissen. Ich vermisse ihn sogar jetzt. In diesem Augenblick, Ludo. Geht es dir auch so?«

Wieder horchte Ludovica in sich hinein. Vermisste sie Agostino? Nicht die Spur! Aber sie hatte sich doch auch erst vor ein paar Stunden von ihm verabschiedet. Er hatte bei ihr geschlafen, sie hatten zusammen gefrühstückt und dann hatte er sich auf zur Arbeit gemacht. Sie konnte Agostino doch nach so wenig Zeit nicht wirklich vermissen.

»Ich vermisse ihn nicht. Aber das muss doch nichts heißen!«

»Ich denke hingegen, dass das alles heißt. Du liebst ihn nicht. Oder zumindest nicht richtig. Lass es sein. Gib nicht auf. Es gibt sie, die wahre Liebe.«

»Mag sein. Aber ich habe gar keine Lust, sie zu finden!«

Und in dieser Aussage steckte so viel Wahrheit. Immerhin hatte Ludovica mitbekommen, was mit einer Frau passieren konnte, wenn eben diese wahre Liebe beendet wurde. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, da war Ludovica neun Jahre alt. Sie hatte die Hölle auf Erden erlebt. Und die totale Gleichgültigkeit ihrer zurückgebliebenen Mutter gegenüber. Nein, so wollte Ludovica nicht enden.

»Ich weiß, was du denkst«, behauptete Mara, die Ludovicas Hand noch immer nicht losgelassen hatte. »Liebe ist nicht immer nur glücklich und schön. Aber das Risiko ist es wert. Glaub mir!«

»Schon möglich. Aber das ist mir egal. Ich werde Agostino heiraten. Und morgen beginnt die Suche nach dem Hochzeitskleid!«

Zumindest diese Freude würde Ludovica sich nicht nehmen lassen. Egal, wie wenig ihr Herz bei der Sache war, gut aussehen wollte sie auf jeden Fall.

»Also gut. Diese Runde geht an dich. Aber glaube ja nicht, dass ich mich geschlagen gebe«, erwiderte Mara resignierend. »Und zum Kleiderkauf gehst du nicht ohne mich! Nur dass du es weißt!«

Ha!

Ludovica hatte sich doch gedacht, dass sie Mara mit dem Kleid ködern könnte.

***

Die beiden machten sich also schon am nächsten Tag auf Kleidersuche, nachdem sie abends den Laden abgeschlossen hatten. Glücklicherweise hatten die Kleidergeschäfte bis 20 Uhr offen, so dass sie die paar Stunden noch ideal nutzen konnten.

»Also, ich komme jetzt zwar mit, aber ich bin trotzdem nicht glücklich mit deinem Entschluss«, stellte Mara gleich klar und hakte sich bei Ludovica unter.

»Ich weiß, MaraCara!«

MaraCara, so nannte Ludovica ihre Freundin immer, wenn sie sie fröhlich stimmen wollte. Und tatsächlich gelang ihr das. Es stellte sich eine recht ausgelassene Shopping-Laune ein, die Ludovica schlagartig verging, als sie den ersten Brautmoden-Laden betraten. Sie mochte die Atmosphäre nicht. Und die Verkäuferin. Und die Kleider. Und noch viel weniger die Preise. Sie konnte sich auch gar nicht vorstellen, tatsächlich so ein übertriebenes, raschelndes, funkelndes Ding zu tragen. Irgendwie verströmten die Kleider keinen Charme. Das sagte sie auch Mara.

»Irgendwie anonym, oder?«

»Ja, so sind sie halt die Brautkleider …«

Nach dem dritten Brautmoden-Geschäft war Ludovica doch ziemlich deprimiert. Kein einziges Kleid hatte in ihr das Verlangen geweckt, es anzuprobieren.

»Vielleicht bist du doch nicht zur Hochzeit bereit«, bemerkte Mara irgendwann wie beiläufig.

Nein. Nein, nein, nein. Ludovica wollte nicht, dass das Gespräch wieder in diese Richtung ging. Die Hochzeit war beschlossene Sache. Es fühlte sich nicht perfekt an, aber Ludovica begann, sich mit dem Gedanken anzufreunden.

»Doch. Ich bin bereit. Aber jetzt brauche ich einen Soja-Cappu.«

Würgegeräusche von Mara, die Ludovica natürlich ignorierte. Sie zog ihre Freundin einfach in eine enge Gasse, wo es eine Bar gab, von der Ludovica wusste, dass sie Soja-Milch führte.

»Ich warte draußen auf dich!« Mara weigerte sich vehement, die Bar zu betreten, die nur Gesundes führte und vegane Kuchen anbot.

»Wenn du meinst …«

Ludovica ließ sich nicht abhalten. Sie brauchte diese kurze Pause einfach, um sich zu sammeln. Ganz ehrlich, sie war vollkommen durcheinander. Alles ging so schnell … Gefiel ihr deshalb kein einziges Kleid? Sie blickte auf ihre Armbanduhr. So spät schon? Das konnte sie vergessen. Heute würde das sicher nichts mehr werden. Sie stand an der Bar, fuhr sich müde durch das dicke, schwarze Haar, welches sie rigoros kurz trug. Der Barista ließ sich Zeit. Schäumte die Soja-Milch gemächlich auf, nahm extrem langsam die aufgewärmte Tasse und reichte nach gefühlten Ewigkeiten das Resultat an seine Kundin. Mit der freien Hand griff sie nach ihrer Tasse und führte sie vorsichtig an den Mund. Als ihre Lippen die Tasse beinahe schon berührten, nahm Ludovica eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr.

Mara.

Wortlos stellte Mara sich zu ihr an den Tresen, schob den Arm ihrer Freundin wieder in Richtung Untertasse und somit weg von Ludovicas Mund.

»Hey! Was soll das?«

Ludovica drehte sich zu ihrer Freundin. Ein bisschen sauer war sie jetzt schon. Sie verstand ja, dass Mara keine Soja-Milch mochte, aber das ging jetzt doch zu weit. Dann aber bemerkte sie Maras Gesichtsausdruck: geradezu ekstatisch! Aufgeregt irgendwie.

»Ist was?«

»Hiermit verkünde ich dir offiziell, dass ich dein Brautkleid gefunden habe.«

Kapitel 3

»Jetzt? Wo denn bitte?«

»Da draußen! In so einem kleinen Innenhof.«

Mara war so aufgeregt, dass sie bei jedem Wort hüpfte. Was Ludovica ziemlich anstrengte, weil sie das Gesicht ihrer Freundin nicht anvisieren konnte. Sie wollte feststellen, ob Mara noch alle Tassen im Schrank hatte. Beim Thema Tasse erinnerte sie sich auch wieder an ihren Soja-Cappuccino, den sie nun ruhig und gelassen wieder an ihre Lippen führen wollte.

»Was machst du denn da, Ludo?«

»Trinken?«

»Das hat doch Zeit. Komm jetzt!«

Und wieder das anstrengende Hüpfen. Ludovica kannte Mara lange genug, um zu wissen, dass Widerstand zwecklos war. Sie zahlte und folgte ihrer Freundin. Schaute in alle Richtungen, konnte aber keinen Laden entdecken.

»Wo genau hast du das Kleid noch mal gesehen?« Ludovica ließ sich von Mara am Ärmel die Gasse entlang zerren.

»Hier vorne!«

Noch immer sah Ludovica weder eine Leuchtschrift noch eine Vitrine. »Bist du sicher?«

Sie gingen ein paar Meter weiter in das Labyrinth aus engen Gassen, tiefer in die antike Innenstadt von Salerno. Dass da irgendwo ihr Kleid sein sollte, bezweifelte Ludovica stark. Taubendreck und modrige Ecken, ja, aber ein Hochzeitskleid?

Dann hielt Mara jedoch an und zog Ludovica scharf nach rechts in einen anonymen Innenhof. Dort sah sie sofort die Vitrine, die mit ihrer sanften Beleuchtung so etwas wie Wärme ausstrahlte. Un po’ di Vintage, stand da in ganz schlichten weißen Buchstaben an der Ladentür.

»Ach nee, Mara, ist das so ein Secondhandshop mit übelriechender, dreckiger Kleidung?«

Mara liebte es, sich in Secondhand-Klamotten zu kleiden. Ludovica weniger.

»Sei nicht immer so negativ, ja?«

»Mara, lass gut sein. Mich bekommen da keine zehn Pferde rein!«

»Tu. Es. Einfach.«

Mara nahm Ludovicas Gesicht in beide Hände, was ihr ziemlich schwer fiel, da sie viel kleiner war als ihre Freundin. Sie suchte den Blickkontakt. Und irgendetwas in ihrem Blick überredete Ludovica, es zu probieren.

»Von mir aus. Aber kaufen tu ich da drinnen gar nichts!«

»Das wird sich zeigen.«

Widerwillig folgte Ludovica Mara ins Ladeninnere. Eine blutjunge Verkäuferin sah gelangweilt auf. In ihrer Hand hielt sie ein Handy. In ihrem auffallend roten Mund war ein Kaugummi, den sie offensichtlich sehr gerne herzeigte. Demonstrativ tippte sie mit ihrem roten Fingernagel auf ihre Armbanduhr.

»Wir schließen gleich.«

Kein Buonasera, kein Hallo.

»Nur eine Minute!«, bat Mara und kam Ludovica dabei zuvor, die bereits wieder gehen wollte. Es gab da nämlich etwas, was Ludovica noch weniger mochte als Secondhand-Kleidung: diese Art von Verkäuferinnen, die ihre Arbeitszeit mit null Motivation einfach nur absaßen.

Die Verkäuferin nickte genervt.

»Wäre nett, wenn sie dieses Mal etwas kaufen würden!«, setzte sie auch noch hinzu. Und schon war sie wieder mit ihrem Handy beschäftigt.

Ludovica konnte sich gerade eine Million Läden vorstellen, in denen sie jetzt lieber gewesen wäre. Aber Mara war kaum mehr zu halten, zog sie einfach ins Ladeninnere. Es tat sich vor ihnen ein enormer Raum auf, den man von außen gar nicht erahnte. Dunkel, lieblos. In diesem Raum roch es auch tatsächlich nicht wirklich erfrischend. Dennoch bahnte sich Mara ihren Weg, während Ludovica ihr ein bisschen angeekelt folgte und ihren Blick hin und her schweifen ließ, in dem Versuch, die Massen an Kleidung richtig wahrzunehmen. Aber sie hatte keine Chance. Der Laden war einfach zu voll.

Erst als Mara abrupt stehen blieb, hob auch Ludovica den Blick, der direkt auf eine gesichtslose Schaufensterpuppe fiel. Sie war scheußlich, fast ein bisschen beängstigend. Aber das Kleid, das sie trug … das war … perfekt!

Es war so schön, dass es Ludovica schier den Atem verschlug. Ohne hinzulangen konnte sie sehen, dass der Stoff schwer und edel war. Seide vielleicht. Einfacher Schnitt, aber raffiniert. Ärmellos, mit einem herrlichen V-Ausschnitt, der von einer delikaten, blass-rosa Stoffrose verziert wurde. Es war hinten länger als vorne und hübsch tailliert. Ein Traum.

Ludovica blickte sich erschrocken um, weil sie einen Schrei gehört hatte. Dann aber nahm sie war, dass sie selbst geschrien hatte. Das wiederum fand sie so komisch, dass sie in hysterisches Gelächter ausbrach. Mara sah ihre Freundin eine Zeit lang verwundert an, lachte aber dann selbst, wobei sie wieder hüpfte. Und Ludovica machte mit. Schrie, lachte und hüpfte, weil sie wusste, dass sie vor ihrem Hochzeitskleid stand.

Schwer zu sagen, wie lange das so ging. Vielleicht aber eine Weile zu lang, denn irgendwann kam die unmotivierteste aller Verkäuferinnen mit einem teilweise genervten, teilweise beunruhigten Blick. Die beiden verstummten augenblicklich.

»Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte die Verkäuferin wohl eher, um klar zu machen, dass sie nichts aber auch rein gar nichts für Mara und Ludovica tun wollte.

»Meine Freundin probiert das Kleid schnell an, ja?«

»Aber wir schließen gleich.«

»Sorry, Bambina, aber hier wird gar nichts geschlossen, bevor nicht diese Dame dieses Kleid anprobiert hat. Capito?«

Die Verkäuferin schluckte. Nickte. Mara konnte sehr überzeugen sein. »Capito!«

Unerwartet flink machte sie sich daran, das Kleid von der Schaufensterpuppte zu nehmen. Mara und Ludovica sahen sich inzwischen nach einer Umkleide um.

»Oben!«, war die einfache Auskunft der Verkäuferin. Tatsächlich bemerkten die Freundinnen eine schmale Treppe, die in einen weiteren Raum führte. Eine Tür verbarg eine winzige Kammer mit einem Spiegel und einem Stuhl.

»Tolle Umkleidekabine, echt!«

»Beklag dich nicht dauern, Ludo!«

Und wahrlich betrat Ludovica die Umkleide ohne weiteren Kommentar. Tapfer. Denn sie litt eigentlich an Platzangst. Es war auch viel zu stickig darin. Aber ein paar Atemübungen machten sie bereits ruhiger.

»Ich zieh mich dann schon mal aus, damit die Verkäuferin uns nicht vor Wut ermordet!«

»Geht klar. Ich warte hier und reiche dir dann das Kleid, ja?«

»Ist gut. Danke.«

»Danken kannst du mir später.«

Ludovica setzte sich auf den wackligen Stuhl, zog langsam ihre Schuhe aus. Dann die Hose. Puh, was war das stickig. Ludovica kam sich vor wie in einem Sarg. Und sie konnte die Panik schon langsam spüren, irgendwo unter der Fußsohle. Sie atmete ein paarmal ganz tief ein und aus, fuhr sich durchs Haar und merkte dabei, dass sich auf ihrer Stirn ein leichter Schweißfilm gebildet hatte.

»Lächerlich!«, sagte Ludovica zu sich selbst. Als Selbstmotivation.

»Was?«, kam es von draußen.

»Nichts, Mara. Alles gut!«

Ludovica zog sich weiter aus und stieß dabei regelmäßig gegen die Wände, bis sich endlich etwas tat. Mara klopfte an.

»Hier ist es!«

Ludovica öffnete, nahm das Kleid an sich und wunderte sich, wie schwer es war.

»Danke!«

»Brauchst du Hilfe?«

»Nee, das mache ich schon.«

Vorsichtig schloss Ludovica die Tür wieder. Aus unerfindlichem Grund wollte sie in diesem Moment für sich sein. Allein. Nur sie und das Kleid. Beinahe ehrfürchtig hielt sie es hoch, hielt es dann vor sich und betrachtete sich im Spiegel. Sie hatte das Kleid noch nicht einmal an und doch war Ludovica bereits klar, dass es perfekt passen würde.