Literaturverzeichnis

Berckhan, Barbara: Die etwas intelligentere Art, sich gegen dumme Sprüche zu wehren. Weltbild-Verlag, 2001

Birkenbihl, Vera F.: Kommunikationstraining, mvg-verlag, 2000

Birkenbihl, Vera F.: Rhetorik – Redetraining für jeden Anlass. Urania-Verlag, 1997

Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Droemer/Knaur, 2001

Carnegie, Dale: Rede. Verlag lebendiges Wort, 1992

Eisler-Mertz, Christiane: Die Sprache der Hände. mvg-verlag, 1997

Eisler-Mertz, Christiane: Handdeutung. Falken-Verlag, 2000

Eisler-Mertz, Christiane: Mit Worten überzeugen. mvg-verlag, 1998

Eisler-Mertz, Christiane: Selbstsicherheit durch Körpersprache. Goldmann-Verlag, 1989

Eisler-Mertz, Christiane: Vom Saulus zum Paulus. Chiron-Verlag, 1998

Hofmeister, Roman: Das neue Handbuch Rhetorik Seehamer-Verlag, 1999

Mertz, Bernd A: Esoterik. Ullstein-Verlag, 1996

Mertz, Bernd A: Magisch reisen Ägypten. Goldmann-Verlag, 1991

Mertz, Bernd A: Magisch reisen Griechenland. Goldmann-Verlag, 1991

Molcho, Samy: Körpersprache als Dialog. Mosaik-Verlag, 1988

Pöhm, Matthias: Frauen kontern besser. Midena-Verlag, 2000

Pöhm, Matthias: Nicht auf den Mund gefallen! mvg-verlag, 2000

Schlüter, Barbara: Rhetorik für Frauen. mvg-verlag, 1998

1

Kapitel

Die Blickpunkt-Ausreden

Die alltäglichen Umgangsformen:
miteinander reden, ohne zu lügen

Die Blickpunkt-Ausreden sind keine Lüge, nicht mal eine Schwindelei – man hat eben einen anderen Blickpunkt. Oder einen anderen Standpunkt, eine andere Meinung. Und sie enthalten meistens ein Körnchen Wahrheit, Übrigens fast immer in positiver Tendenz: schmeichelnd, beschwichtigend, beschönigend, zustimmend, tröstend.

Die Blickpunkt-Ausreden gehören zu den Umgangsformen, den Begegnungen, die wir als Erwachsene lernen und befolgen. Man braucht übrigens keine spezielle Anleitung dazu. Fast alle Leute eignen sich diese so genannte „zwischenmenschliche Kommunikation“ ohne Schwierigkeiten an. Man echauffiert sich dabei nicht und tut keinem weh. Aber vor allem: Diese Blickpunkt-Ausreden sind ein unerlässlicher und sehr notwendiger Selbstschutz! Wenn wir uns so oder so verhalten, haben wir eine nette kleine Tarnkappe auf, die unseren echten momentanen Zustand verbirgt.

Muss ja auch keiner gleich merken, dass ich heute miese Laune habe, weil der Ehemann mich so wütend gemacht hat! Muss ja auch keiner gleich merken, dass ich im Beruf gerade eine Schlappe zu verkraften habe! Muss ja auch keiner gleich merken, dass ich ganz fahrig und zittrig bin vor Aufregung, weil ich mich morgen mit dem Kollegen von nebenan treffe und mir schon ganz schwindelig wird vor Entzücken nur vom Daran-Denken! Die ablenkenden Blickpunkt-Ausreden schaffen eine unverbindliche und angenehme Atmosphäre und schützen meine blanke Haut wie ein Handschuh. Man gibt sich und seinen wahren Gefühlen und Meinungen keine Blöße.

Bitte beachten Sie:

Natürlich verwenden wir all diese belanglosen Ausreden, um unseren momentanen Zustand – Gleichgültigkeit, Vergesslichkeit oder Unsicherheit – zu kaschieren. Aber ein Hauptgewicht ruht eben auch auf dem unbewussten Bollwerk: Bloß keine Auseinandersetzung! Bloß keine tief schürfende Meinung äußern! Bloß kein Urteil abgeben! Bloß keine Fragen stellen oder gar entscheidende Antworten geben müssen!

Wir schlängeln uns mit den Blickpunkt-Ausreden um all diese Probleme herum. Oft haben wir einfach keine Lust Oft haben wir einfach keinen Mut Meistens aber wollen wir diese Personen gar nicht näher in unsere Privatsphäre hereinlassen! Und die ihre interessiert uns auch nicht.

So haben wir überall die kunstvollen Netze der Konversation ausgespannt Ein bisschen variiert das Niveau – vielleicht bei den Rotariern oder einem diplomatischen Empfang im Gegensatz zum Abendtreff in „Charly’s Ecke“ oder beim Dämmerschoppen „Zur Tante Frieda“. Aber der Unterschied ist nur im Ton und bei der Wortwahl zu spüren.

Ich war vor Jahren einmal bei einem Mittagessen der Rotarier, einfach und unaufwändig sollte es sein, die Kinder der Mitglieder hatten die Bewirtung übernommen und füllten uns die Teller mit Hausmacher-Kartoffelsuppe. Die Doktor- und Professorentitel waren in der Überzahl und auch der Wagenpark vor dem Gasthof war äußerst repräsentativ. Die Unterhaltung war lebhaft und gepflegt Hinterher fiel mir wieder der alte Witz von dem Paris-Besucher ein, der nach seinen amourösen Erlebnissen auf der verruchten Place Pigalle gefragt wurde. Und er sagte: „Ja … na ja … da war es schließlich doch genauso wie in Dingolfing.“

Wie in Dingolfing war auch die Unterhaltung der elitären Rotarier – Kinder, Krankheit, Reisen, Beruf. Ein bestimmtes Umfeld ist prägend für unsere unverbindlich freundlichen verbalen Streicheleinheiten. Wir begegnen einander mit meistens beschönigenden Ausreden – und wir trennen uns wieder ohne Eindruck, aber auch ohne einen Druck.

Wir haben uns für die verschiedensten Lebenslagen einen Vorrat an immer wiederkehrenden Redewendungen zurechtgelegt, die wir mühelos parat haben, wenn wieder so eine ähnliche Situation eintritt Die Wortwahl und die entsprechenden Sätze sind dem jeweiligen sozialen oder gesellschaftlichen Umfeld angepasst Da gehört man hinein, da spricht man die gleiche Sprache, die anderen verstehen, wie es gemeint ist Man plätschert im selben Fahrwasser. Oft ist es auch eine Generationsfärbung, die den Grundton angibt.

Eine Gruppe ganz junger Menschen wird von einem bestimmten Gesprächs- und Begrüßungsmuster geprägt sein. Schon ein Treffen von Kommilitonen in der Mensa, auf dem Campus, bei Seminaren wird von völlig unterschiedlichen Gesprächsfetzen oder Floskeln diktiert und unterscheidet sich gravierend etwa vom Wochenstammtisch in einer kleineren Stadt.

Wir lernen die uns vertrauten Begrenzungen unserer Wortwahl, unserer Interessen altersgemäß bereits im Kindergarten und in der Schule. In den verschiedenen Berufsausbildungen wachsen wir dann in ein Umfeld hinein, das uns von unserer Bildung, unserem finanziellen und gesellschaftlichen Status her vertraut ist.

Innerhalb der gleichen Altersgruppe werden in der Kindheit und Schule kaum Ausreden verwendet Wohlgemerkt – Ausreden! Man benutzt die rüde Fäkaliensprache, um etwas anzuprangern oder auch sich selbst zu verteidigen – völlig ungeniert Das ist toll und das machen alle.

„Mann, der Arsch hat mich angeschissen, also so was! Dem sollte man in die Eier treten, so ’ne Scheiße!“ Und in dieser Tonart geht es lautstark und munter weiter – in der U-Bahn, im Bus, auf der Straße. Der Wortschatz ist auf ein Minimum reduziert Und auch im kumpelhaft deftigen Freundschaftston wird nicht zimperlich verfahren. „Mann, du bist echt blöd! Ist doch Kacke, was du da gesagt hast! Idiotisch! Du kriegst gleich eine geknallt, wenn du so was nochmal machst Du kotzt mich an, echt!“ Ausreden braucht man noch nicht – nicht unter seinesgleichen!

Für Erwachsene ist es verblüffend, dass diese Angriffe oder Beschuldigungen einhergehen mit Geknuffe, Stoßen, Boxen untereinander, mit Kreischen und Lachen. Bei Mädchen oft mit hysterischem Gekicher und Geschrei, bei Jungen mit angeberischem Brüllen und Lärm verbunden. Dieses „Ihr geht uns alle nichts an“, „Wir sind die Größten“ schließt alle anderen aus. Die unartikulierten Sprachfetzen, das dauernde Wiederholen der Schlagworte, das rüde Benehmen ist für die Umwelt unverständlich. Eltern wappnen sich in dieser Phase ihrer Kinder mit Geduld und hoffen, dass sie bald vorbeigeht.

Einzeln oder in der Familie sind diese Jugendlichen sehr viel umgänglicher, in der Gruppe eine bellende Meute. Man bemüht sich weder um Erklärungen noch um Entschuldigungen oder gar Ausreden. Die hebt man sich noch einige Zeit für diejenigen auf, die die Macht haben: Lehrer und Ausbilder, oder für die, die Geld geben: Eltern und Verwandte.

Nun wird man erwachsen, hat Familie, einen Beruf und natürlich gewisse gesellschaftliche Verpflichtungen.

Wie gehen wir damit um?

Ein Foyer, eine Versammlung, ein Vortrag, Räume, in denen Menschen zufällig zusammentreffen, sind geradezu Brutstätten für Ausreden und Flunkereien. Jeder macht mit, jeder weiß es, jeder schwindelt nach Herzenslust und keiner fürchtet eventuelle Folgen. „Wie schön, dich zu sehen! Ich wollte dich schon die ganze Zeit anrufen, aber immer kam was dazwischen!“ „Fein, dass es Ihnen wieder besser geht, ich habe so oft an Sie gedacht!“ „Ich war länger weg, sonst hätte ich mich gemeldet! Und der Trubel mit der Familie, das kennen Sie ja auch!“ „Und es ist heute wieder ein so gelungenes Fest! Alles so schön arrangiert! Man hat sich solche Mühe gegeben!“

Sagt da einer die Wahrheit? Kaum. Aber alle bezwecken damit das Gleiche: rundum angenehmes Stimmengeplätscher, verbale Streicheleinheiten, wohliges Nackenkraulen. Und ehe man gefragt wird und antworten muss, haben wir alle so nette Ausreden parat Würden wir alle lächelnd nicken und Trallala, Ruckedigu oder Doremifasolasido sagen – es wäre fast dasselbe. Das ist die gängige und vertraute Form, Gewissensfragen zu umgehen oder Wahrheiten auszuweichen, die dann oft heißen müssten: „Gott, ist das langweilig! Wieder die blöde Meier dabei!“

„Wer ist denn die Person – kenn ich die – ja, aber woher?“

„Waren Sie nicht krank? Krebs? Wirbelsäule? Na, egal, vergesse ich sowieso!“

„Hoffentlich können wir bald gehen und das Gelaber hier ist zu Ende!“

Kurze Zeit später wissen alle nicht mehr, wie munter ihnen die liebenswürdigen Unwahrheiten über die Lippen perlten.

Besonders erfindungsreich sind die Teilnehmer an künstlerischen Veranstaltungen wie Premieren, Festgalen und Ehrungen. Was sagen Sie aber auch zu den Schauspielern und Sängern, die Sie eigentlich mies fanden, die Ihnen aber strahlend und erwartungsfroh entgegentreten?! Hier wird es schon schwieriger und diffiziler! Aber Kollegen und vor allem Kolleginnen haben da eine Perfektion entwickelt, um die Wahrheit zu verschleiern: „Elvira! Du hast hinreißend ausgesehen in dem roten Kleid – einfach umwerfend! Und es stand dir so gut – ich konnte mich nicht satt sehen! Und es passte so schön zu deinen Haaren!“ Oder: „Karl-Anton! Du warst einfach wieder die Erscheinung! Eine Ausstrahlung – ein Flair – unverwechselbar! Das Stück sonst … Du verstehst, was ich meine … da brauche ich mich nicht näher zu äußern! Aber du – wie gesagt …“ Denn unausgesprochen steht bei so einer Premiere oder einer Feier in so erwartungsfroher Atmosphäre die Frage im Raum: Wie war ich? War ich gut?

So kann man das Umgehen dieser Antworten als Ausreden mit rosaroter Brille bezeichnen. Sie gehören zu den Blickpunkt-Ausreden.

Von diesen allgemeinen Blickpunkt-Ausreden ist es ein kleiner Schritt zu den Ausreden im direkten Gespräch – besonders im Familien- und Freundeskreis. Hier werden Sie fast immer feststellen, dass man kleine Schönheitsfehler gern wegretuschiert. Je älter die Menschen werden, umso stärker ist das Bedürfnis, die Zugehörigkeit zu Kindern, Enkeln oder näheren Verwandten zu betonen.

1. Familienberichte

Familienberichte – besonders von Festtagen – werden von ihrer besten Seite wiedergegeben. Der oft rührende Wunsch, zu erzählen, wie beliebt man noch ist, lässt dann solche Feiern in besonderem Glanz erstrahlen. Nicht, dass man andere neidisch machen will, nein, man möchte nur zeigen, wie gut man es mit den eigenen Kindern getroffen hat Geburtstage und Weihnachten, Ostern oder Muttertag sind daher häufig für die Angehörigen eine moralische Verpflichtung, der mehr oder weniger gern nachgekommen wird. Aber es wird ja so erwartet …

Mir ist lebhaft in Erinnerung, wie außer sich und fast ratlos meine Mutter war, dass in irgendeinem Jahr eine Reise meines Bruders und eine andere von mir genau um den Muttertag herum geplant waren. Da unsere Besuche sonst sehr regelmäßig und häufig stattfanden, konnte ich ihren Kummer gar nicht verstehen. „Aber das kommt doch nicht auf das Datum an! Ich besuche dich doch vorher und bald hinterher“, versuchte ich sie zu beschwichtigen. Es gelang mir nicht „Gerade am Muttertag! Wo alle immer sagen: Du hast so liebe Kinder! Was werden die denken, wenn ausgerechnet am Muttertag keiner zu mir kommt!“

Mein Mann schlug beruhigend vor: „Sag doch einfach, der Schwiegersohn war es. Der hat die Reise gebucht!“

Später erfuhr ich – vertraulich – von einer guten Bekannten meiner Mutter: „Ich weiß ja, Sie wären natürlich am Muttertag da gewesen. Aber ein Schwiegersohn … na ja, der denkt halt nicht wie eine Tochter!“

Soll ich Ihnen etwas gestehen? Ich habe diese Ausrede nicht dementiert. Das ungetrübte Bild der Kinder wollte sie von all ihren Freundinnen nicht angezweifelt sehen. Und so wird eine momentane Ausrede nahtlos in das Lebensbild eingeflochten.

Auch solche Schilderungen kennen Sie:

„Das Hotel, das die Kinder ausgesucht haben, war eigentlich sehr hübsch – bisschen zu laut, aber die Busse vor der Tür, da konnte man alle Ziele leicht erreichen. Und bei dem Nieselwetter der letzten Woche ganz angenehm – und die Kinder mussten ja auch nach dem Wochenende gleich wieder weg …“

Die Blickpunkt-Ausrede will den Eindruck erwecken: Die Kinder meinen es doch so gut! Man scheut oder schämt sich die Wahrheit zu sagen. Die könnte lauten: „Ein lautes, recht lieblos ausgesuchtes Hotel, möglichst preiswert Das Wetter war scheußlich, dauernd musste man mit dem Bus fahren, und die Kinder waren nicht vier, sondern nur zwei Tage da.“

Aber das ist ein hässlicher Blickpunkt Nein, man sieht es anders. Das Glas ist noch halb voll.

2. Urlaubsberichte

Urlaubsberichte beherzigen meist getreulich den dauernd eingebläuten Werbeslogan: Die schönsten Wochen des Jahres! Alle schwärmen von diesen Tagen. Also musste es schön gewesen sein. „Der Kurs war recht teuer, aber das wusste ich – es wurde ja auch so viel geboten, innere Einkehr und Selbstbesinnung, Trance und Reiki und so was … Für mich war alles neu, leider oft in Englisch, das war nicht leicht zu verstehen – aber so was muss man ja auch mal mitmachen, ich bereue das nicht … ein ganz neues Erlebnis!“

Wer genau hinhört, merkt die Einschränkungen. Aber man will ja positiv denken! Und schließlich erlebt nicht jeder so einen ungewöhnlichen Urlaub. Da kann nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen sein.

Oder vielleicht so:

„Also Umbrien war toll, richtig toll! Einmal hatten wir sogar ein 5-Sterne-Hotel mit riesigem Schwimmbad. Na ja, das war zwar noch nicht auf, weil es zu kühl war. Aber auch toll das Essen! Und der Chianti! Ja, die Kunstwerke waren auch super, so viele Kirchen, die Namen kann man gar nicht behalten! Und die Maler! Alles wurde uns ja stundenlang ausführlich beschrieben vom Reiseleiter. Bei so ’ner Studienreise soll man ja auch was mitbekommen. Das ist schon sehr anstrengend, jeden Tag eine andere Stadt. Aber doch echt toll alles, wirklich!“

Glücklicherweise hat das Gedächtnis meist alle positiven Eindrücke parat Man will auf keinen Fall zugeben, dass es eigentlich eine Strapaze war und die vielen Madonnen und Heiligen ja doch alle recht gleich aussahen. Man hatte schon gar nicht mehr zugehört, wann all die italienischen Maler mit den schwierigen Namen gelebt haben. Nein, so kann man das nicht sehen. Alle Leute, die schon mal in Umbrien waren, haben auch begeistert davon erzählt.

Die Blickpunkt-Ausreden von Reisen und Urlauben sind besonders häufig. Man scheut sich zuzugeben, dass die Kunstbegeisterung unserer Bekannten uns nicht ergriffen hat oder dass die Folklore der alten Klöster und verwinkelten Gassen ziemlich armselig und verwahrlost wirkte. Und dauernd diese kaputten Säulen und Mauerreste bei den Ausgrabungen – was finden die Leute nur daran? Und so fällt man lieber nicht aus dem Rahmen der allgemeinen Bildung und Begeisterung. Wenn es doch alle so loben … In der Rückschau ist der Urlaub gelungen und man ist bald selbst überzeugt: Der war echt toll!

3. Geschäftsberichte

Bei Anschaffungen und Käufen sind die Blickpunkt-Ausreden ein zusätzlicher Selbstschutz.

„Das war absolut günstig, 10.000 für die alte Karre! Na ja, zuerst hieß es 14.000, aber die Leute nehmen immer den Mund zu voll, und dann ist im Endeffekt doch nicht so viel drin. Die Reifen waren ja auch nicht mehr 1 a, und er hat gar nicht gemerkt, dass die linke Tür ein bisschen klemmt, haha – ein Glück, dass ich den Wagen los bin. Der Müller hat auch gesagt, 10.000 wäre noch ein Schnäppchen, und der versteht was von Autos!“

Da werden mit leicht gefärbten Ausreden Blößen verdeckt, die man nicht jedem zeigen will. Mich hat man nicht übers Ohr gehauen! Bei diesen Argumenten fällt es besonders leicht, mit der Zeit selbst daran zu glauben, wenn man sie nur oft genug und überall erwähnt und wiederholt.

„Ich sag ja immer, Holzauge, sei wachsam! Mir kann der Hauswirt doch damit nicht dumm kommen! Hab mich vorher schlau gemacht. Ja, natürlich muss ich renovieren – das weiß ich auch! Aber wie – das entscheide ich! Soll der doch dann klagen – von mir kriegt er keinen roten Heller obendrauf. Soll er seinen Maler nur bestellen – ich weiß schon, was ich dann machen werde!“

Und Wochen später:

„Ich hatte es einfach satt – meine Güte! Hab ich eben noch alle Türen machen lassen – war ja ein Aufwaschen. Und mit dem Maler stand ich ja so gut … Du verstehst, was ich sagen will, haha! Die paar Mäuse mehr – trifft ja zum Glück keinen Armen!“

Je mehr man darüber spricht, umso glatter und glaubhafter die Worte. Im Endeffekt – hat man nicht sogar ein Schnäppchen gemacht?

Vertrauten Menschen wird man vielleicht die Wahrheit sagen. Die Blickpunkt-Ausreden sind uns allen geläufig. Meistens merken wir sie gar nicht. Die anderen umso häufiger. Aber da es alle machen, kommt niemand auf die Idee, dies als Ausreden zu bezeichnen.

Bitte beachten Sie:

Es gibt glückliche Naturen, die fast immer und ohne Arg stets eine rosarote Brille tragen. Es schält sich einfach das Positive heraus. Das Glas ist eben halb voll.

Die Umwelt schwankt ein bisschen in ihrer Meinung: Für die einen sind sie beneidenswert sonnige Frohnaturen – für die anderen hoffnungslos blauäugige Dummis. – Auch da kommt es auf den Blick-Punkt an!

4. Die barmherzigen Lügen

Die barmherzige Ausrede: Was man sagen sollte
und was man besser verschweigt

Hier liegen viele schwere Konflikte an der Schmerzgrenze. Was soll man beispielsweise jemandem sagen, der schwer erkrankt ist, und was einem Menschen, dessen Ableben bevorsteht?

Viele Jahrhunderte hindurch gab es die Tröstung des Glaubens und die Verheißung auf himmlische Erlösung. Wird dies mit Überzeugung ausgesprochen und mit ebensolcher innerer Überzeugung angenommen, bedarf es keiner anderen Worte. Doch unsere westliche Zivilisation hat in vielen Jahrzehnten in diesem Punkt eine große Veränderung erfahren. Lange Lebensdauer, medizinische Kenntnisse, um sich greifende Glaubenszweifel stellen Angehörige, Freunde, Behandelnde immer intensiver vor die Frage: Sage ich die Wahrheit – sage ich eine Teilwahrheit – oder wähle ich die Lüge?

Eine rasant anwachsende Literatur befasst sich mit diesem Konflikt. Es ist unendlich schwer, hier die richtige Entscheidung zu treffen. Vor Jahren las ich eine Notiz, die mich sehr beeindruckte. Theodor Storm litt in seinen letzten Lebensjahren an schweren Magenkrämpfen und Schmerzen. Zuletzt wussten die engsten Angehörigen, dass es für den Darmkrebs keine Heilungs- und Überlebenschancen gab. Man betreute den Kranken liebevoll und wies immer wieder darauf hin, dass die so lästigen Magenbeschwerden bei guter Pflege eines Tages vorüber sein würden.

In dieser Zeit schrieb Storm sein wohl bedeutendstes Werk „Der Schimmelreiter“, besessen und zutiefst auf seine Arbeit konzentriert. Er konnte die Novelle trotz aller Schmerzen beenden. Ob es die aufopfernde Pflege war, die Hoffnung, dass sein Leiden enden würde? Oder berührte ihn das bis zuletzt durchgehaltene Verschweigen der bösen Wahrheit, diese barmherzige Lüge so sehr, dass ungeahnte Schöpferkräfte geweckt und aktiviert wurden? Dass es sein unausgesprochener Dank und seine Gemütsbewegung über so viel Liebe waren, die ihn beflügelten und über die Todesangst hinauswachsen ließen? Mir scheint die zweite Möglichkeit für einen schöpferischen Menschen wahrscheinlicher. Die Wahrheit hat man übrigens nie erfahren.

Barmherzige Lügen – wie man auch zu ihnen steht – haben mit Ausreden nicht das Geringste zu tun.

Eine der schwersten Aufgaben ist es – und wir kommen alle einmal in eine solche Situation –, einen Trauernden zu trösten. Was soll man da sagen?

Sie wissen, wie nahe liegend die Worte sind: Gott hat ihn zu sich genommen, er hat jetzt seinen Frieden im Herrn. – Er wird immer um dich sein und dir zur Seite stehen. – Er ist ja stets bei dir, so wie Gott bei dir ist.

Glaubensstarke Menschen finden in diesen Verheißungen Trost und Halt. Weniger religiös Verwurzelte können im ersten Schmerz in solchen Worten eine Linderung, eine Hilfe erfahren. Wenn Sie selbst aber an solche göttliche Verbindungen nicht glauben, sprechen Sie diese Sätze aus Verlegenheit und weil es alle sagen und es überall geschrieben steht, nicht nach! Sie, können sagen: Es ist eine Gnade, dass er von den Schmerzen erlöst wurde. Oder: Es ist eine Gnade, dass er so ohne Schmerzen hinübergegangen ist Wo Sie das nicht sagen können, schweigen Sie, umarmen Sie den Verzweifelten, weinen Sie mit ihm und zeigen Sie stumm Ihr Mitgefühl und Ihr Dabeisein.

Burschikose Naturen überbrücken oft ihre Betroffenheit mit Schlagworten: „Wir müssen alle mal dran glauben!“

„Es trifft halt jeden!“

„Das Leben geht auch wieder weiter, was soll’s!“

„Es sind eben immer die Besten, die ins Gras beißen!“

„Wir sind ja auch noch für dich da! Die Zeit heilt alle Wunden – das haben wir selbst erlebt!“

Das sind die „Harte Schale-weicher Kern“-Ausreden vor der eigenen Rührung. Bitte versuchen Sie es lieber mit Schulterklopfen oder Schnäuzen, Abwenden oder Räuspern. Das ist in einem solchen Fall die beste Ausrede vor eigenen Gefühlen – eine Ausrede ohne Rede, sondern mit Schweigen.