Günther F. Klümper

In Trümmern studieren

Erinnerungen eines Studenten an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg

AQUENSIS

M e n s c h e n

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Der Autor / Das Buch

Vorwort

Heimkehr

Auf der Suche

Universität Münster

Studienalltag

Die Mutter

Der Vater

Wohnen

Weitblick

Studienbuch

Benno von Wiese

Professoren der ersten Stunde

Kurt Schumacher

In der Schweiz

ASTA

Italienische Reise

„Christmas University“ in Combloux-Megève

Coup de foudre

Referendariat

Weihnachten 1951 – ein Stimmungsbild

Littérature à l‘estomac

Paris

Spanien

Krefeld

Nachwort

Impressum

Günther F. Klümper:

In Trümmern studieren – Erinnerungen eines Studenten an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg

Copyright by AQUENSIS Verlag Pressebüro Baden-Baden GmbH 2016

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, photomechanische Wiedergabe jeder Art, elektronische Daten, im Internet, auszugsweiser Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsunterlagen aller Art ist verboten.

Alle Fotos: Privat-Archiv Günther F. Klümper

Lektorat: Gereon Wiesehöfer

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN 978-3-95457-159-8

www.aquensis-verlag.de

www.baden-baden-shop.de

Der Autor

Günther F. Klümper

Jahrgang 1923, lebt seit 1986 in Baden-Baden. Nach einem Studium in Anglistik, Romanistik und Germanistik lehrte er drei Jahrzehnte lang an Höheren Schulen im In- und Ausland außer in seinen Fächern noch Philosophie und Kunstgeschichte. Seit seiner Pensionierung gehören Lesen und Schreiben zu seinen Lieblingsbeschäftigungen.

Das Buch

Im vierten Band seiner Erinnerungen erzählt Günther F. Klümper von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, vom Leben inmitten Trümmern, von der Zeit des Aufbruchs und des Neuanfangs. Er beginnt ein Studium in Münster (Westf.), lernt neue Freunde kennen, ist neugierig auf die Welt und geht auf Reisen. Und es ist wie immer eine Freude, ihn dabei lesend zu begleiten.

Gaudeamus igitur

iuvenes dum sumus.

post iucundam iuventutem

post molestam senectutem

nos habebit humus

Lasst uns also fröhlich sein,

solange wir noch jung sind.

Nach einer fröhlichen Jugend,

nach beschwerlichem Alter

wird uns die Erde haben!

Vorwort

Dieser Text beruht nicht auf Tagebuchaufzeichnungen, was mir die Arbeit an ihm erleichtert hätte, sondern auf meinen Erinnerungen. Diese beruhen natürlich auf Erlebtem. Aber wenn das Erlebte nicht bewusst erlebt worden ist, wenn das Erlebte schon undeutlich, ungenau, unbegreiflich war, weil seine Bedingungen, weil die Zeit selbst verworren und nur schwer zu begreifen war, wie können da die Erinnerungen der Realität entsprechen? Trotz alledem glaube ich behaupten zu dürfen, dass er in seinem Geist der damaligen allgemeinen Wahrnehmung entspricht.

Heimkehr

Als von der Natur mit Optimismus und Frohsinn ausgestatteter Volksgenosse in einer schweren Zeit hatte ich den Zweiten Weltkrieg bis auf einige Schrammen heil überlebt. Die damals übliche, von den Alliierten zur Buße für anhaltenden Widerstand eingerichtete ideologische Kur hinter Stacheldraht hatte mir die durch Adolf überstrapazierte Vorsehung erspart. Nach einer nur vierwöchigen Internierung in amerikanischer Obhut durfte ich in das zivile Leben, wenn auch mit ungewisser Zukunft, zurückkehren.

Dem Tausendjährigen Reich war – entgegen den Erwartungen seines Erfinders – eine Lebensdauer von nur zwölf Jahren eingeräumt worden. Die allgemeine Begeisterung als Pimpf, Hitlerjunge und – last but not least – als Soldat teilend, hatte ich, den Marschallstab im Tornister, versucht, das Vaterland teils in einer Art Vorwärtsverteidigung, teils in einer Fülle von Frontbegradigungen – was eine euphemistische Umschreibung für Rückzug und Flucht war – zu verteidigen.

Als eine bedingungslose Kapitulation dem allen ein Ende gesetzt hatte, machte ich mich auf den Weg von Osten nach Westen, um meine Angehörigen wiederzusehen, wenn sie denn noch lebten, um die Trümmerlandschaft mit eigenen Augen zu besichtigen, um am Wiederaufbau in irgendeiner Weise mitzuarbeiten.

Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat es immer wieder Völkerwanderungen größeren oder kleineren Ausmaßes gegeben. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war es mal wieder soweit, dass Tausende in alle Himmelsrichtungen unterwegs waren. Ich ließ mich von der Woge der Umhergetriebenen mit fortreißen und gelangte schließlich nach wochenlangem Fußmarsch in meine angestammte Heimat.

Da stand ich nun, ich armer Tor, ausgemustert und vorläufig militärisch nicht mehr verwendbar. Ich fragte mich – wen hätte ich auch sonst fragen sollen in einer Zeit, da alle ratlos waren: „Ja, was nun …?“ Davor war aber noch die dringlichere Frage nach dem „Wohin?“ zu klären. Ich wusste, dass ich bei meinen Verwandten östlich des Rheins willkommen sein würde, hatte ich dort doch als Kind und Jugendlicher einen guten Eindruck hinterlassen. Das kleine Dorf im Münsterland hatte vermutlich den Krieg unbeschadet überstanden, weil es dort nichts zu bombardieren gab, wogegen in meiner Heimatstadt linksrheinisch Industriebetriebe lohnende Ziele für die täglich anfliegenden feindlichen Geschwader gewesen waren.

Der Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe hatte den Mund wieder einmal zu voll genommen, als er verkündete: „Wenn auch nur ein feindliches Flugzeug unser Reichsgebiet überfliegt, will ich Meier heißen!“ Er musste sich dann im Volke, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, Meier nennen lassen.

Der Gedanke, dass meinen Eltern und jüngeren, noch nicht waffentauglichen Geschwistern etwas Schreckliches zugestoßen sein könnte, und der Rhein, der ohne Brücken, die gesprengt worden waren, gewiss unüberwindlich geworden war, ließen es mir ratsam erscheinen, bei meinen Verwandten anzuklopfen. Mein Onkel, der von Beruf Schreiner war, betrieb nebenbei eine kleine Landwirtschaft, die ihn, meine Großmutter, meine Tante und mich, den abgemagerten Heimkehrer, ernähren konnte, wogegen in meinem Elternhaus auf der linken Seite des Rheins Schmalhans Küchenmeister gewesen sein dürfte.

Ein warmer, sonniger Mai tat sein Bestes, um die allgemeine Not zu lindern. Nicht nur die Bäume schlugen aus, auch die Hoffnung auf eine Zukunft, die nur besser sein konnte als die jüngste Vergangenheit, keimte allerorten, auch auf den Ruinen.

Ich sollte mich nicht getäuscht haben. Ich wurde mit Erleichterung darüber, dass ich noch am Leben war, und mit offenen Armen empfangen.

Ich machte mich in der Landwirtschaft so nützlich, dass man gerne für mein leibliches Wohl sorgte. Mein geistiges dagegen lag sehr im Argen: Was sich in acht Jahren an höherer Schulbildung vor dem Krieg bei mir angesammelt hatte, war in viereinhalb Kriegsjahren wegen militärischer Inanspruchnahme weitgehend verloren gegangen. Es war alles für die Katz gewesen. Nach einem anstrengenden zehnstündigen Muskeltraining in der frischen Landluft raffte ich mich, todmüde, am Abend noch auf, um meine Notabiturkenntnisse zu reaktivieren. Die Universitäten waren nach dem Ende des Krieges einstweilen noch geschlossen. Erst zum Sommersemester 1946 öffneten etliche ihre Tore. Der Andrang war aber so groß, dass man für einige Fächer einen Numerus Clausus als Regulativ hatte einführen müssen. Mein Wunsch, Medizin zu studieren, konnte mir nicht erfüllt werden, weil ich wenigstens das Physikum hätte vorweisen müssen, was ich nicht konnte, weil ich mich im Alter von 17 Jahren freiwillig zum Wehrdienst gemeldet hatte aus Furcht, ich könnte zum als Blitzkrieg angekündigten Spektakel zu spät kommen. Einige wenige meiner Klassenkameraden, die es nicht so eilig wie ich gehabt hatten, oder die von ihren Eltern eines Besseren belehrt worden waren, konnten nach Ende des Krieges ihr Studium als höhere Semester fortsetzen.

Auf der Suche

Ich beteiligte mich an dem aufkommenden Einschreibetourismus und reiste von Universität zu Universität, um die auf mich wartenden Aufnahmeformulare auszufüllen in der Hoffnung, dass, wieder daheim, eine frohe Botschaft eintreffen würde. Beim Militär hatte ich nicht nur das Waffenhandwerk, sondern auch das Warten erlernt. Es hieß dort: „Die Hälfte der Zeit seines Lebens wartet der Soldat vergebens.“ Diese Weisheit kam mir jetzt gut zustatten. Zuerst wartete eine immense Schar Bildungshungriger darauf, dass die Universitäten ihre Tore endlich wieder öffneten. Dann hieß es, einen Studienplatz ergattern.

Bahnfahrten waren damals spottbillig. Für ein paar Zigaretten konnte man das, was von Großdeutschland übrig geblieben war, kreuz und quer auf der Suche nach einer noch halbwegs funktionierenden Universität bereisen und kennenlernen. Wie im Mittelalter die fahrenden Scholaren, so zog ich von Universität zu Universität, um mein Glück zu versuchen – vergebens. Da es das Vaterland, dessen sprichwörtlicher Dank uns gewiss sein sollte, nicht mehr gab, hieß es, sich ohne Groll in Geduld zu üben. Als Möchtegernstudiker entdeckte ich bei mir die Fähigkeit, für mich selbst zu denken. Es war erst noch ein kleines Pflänzchen, das da in mir keimte, aber immerhin. Nach mehr als vierjähriger Abstinenz vom eigenen Denken schnupperte ich endlich akademische Frühlingsluft. Man bedenke, dass ich hatte andere für mich denken lassen müssen. Erich Kästner, ein großartiger gebrauchspoetischer Gesellschaftskritiker, hat zu diesem Thema in seinem Gedicht „Kennst du das Land, wo die Kanonen blüh‘n?“ auf den Barras anspielend wie folgt gereimt: „Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will – und es ist sein Beruf, etwas zu wollen – steht der Verstand erst stramm und zweitens still. Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen …“

Mit wenig Gepäck zog ich umher, lernte Land und Leute kennen und hielt mich für einen vom Schicksal Begünstigten, weil ich immer wieder in ein gemachtes Bett zurückkehren konnte. Ich fühlte in mir einen Wilhelm Meister rumoren, der nicht genug Land und Leute kennenlernen konnte, um sich durch sie selbst kennenzulernen, damit aus dem Pflänzchen ein Baum würde.

Abertausende „Alte Kämpfer“ wie ich waren unterwegs, um einen Studienplatz zu erkämpfen. Von der Wiege bis zur Bahre ist man zwar eine durchgängige Person, aber damit noch keine Persönlichkeit. Wer erreicht schon diese ideale geistig-seelische Mitte, in der er in sich selbst ruht!?

Nach der oben genannten Devise über das Warten legte ich mir ein dickes Fell zu und versuchte, mir die Wartezeit durch die Hoffnung auf eine glückliche Nachricht durch freiwilligen Einsatz im Ackerbau zu verkürzen.

Endlich brachte mir der Postbote, den ich hätte umarmen mögen, das Angebot der Universität Münster, wo ich einen Studienplatz in den Fächern Romanistik und Anglistik einnehmen könne. Ich entschuldigte mich in Gedanken beim Hippokrates, froh darüber, ihm noch keinen Eid geleistet zu haben, und folgte meinen literarischen Neigungen, die im Grunde doch größer waren als die medizinischen. Ausgehungerten Geistes begann ich das Studium der Romanistik und Anglistik, ohne eine klare Vorstellung von den diesen Fächern adäquaten Berufsaussichten zu haben, was mir auch im Grunde vollkommen schnuppe war.

Wir von der „Zwanzigergeneration“ hatten es allemal verlernt, die Zukunft zu planen; wir hatten begriffen, dass das Leben ein Abenteuer voller Zufälle und Überraschungen ist, in das man sich wagemutig wie in eine hoch anrollende Woge hineinwirft in der vagen Hoffnung, an irgendein sicheres Gestade geworfen zu werden.

Bevor ich mich einschreiben konnte, musste ich eine Intelligenzprüfung ablegen. Man vermutete also, nicht ganz zu Unrecht, dass den Kriegsteilnehmern nicht nur ihre Schulkenntnisse abhandengekommen waren, sondern auch ihr Verstand. Die Fragen, die mir dann gestellt wurden, ließen meinerseits Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der Ministerialbeamten aufkommen, die sich diese Prozedur ausgedacht hatten. Sie möchten also Französisch studieren? – Ja, gerne. – Gibt es noch andere romanische Sprachen? – Ich zählte sie auf. Mein Inquisitor staunte nicht schlecht, als ich ihm außer Italienisch, Spanisch und Portugiesisch noch Rumänisch nannte. Ich war während des Krieges in Rumänien herumgekommen, wo ich mich mit Latein, Französisch und Italienisch, die mir noch rudimentär zur Verfügung gestanden hatten, hatte verständlich machen können. Sein Staunen wurde noch größer, als ich dem allen noch das Rätoromanische hinzufügte. Zum Abschluss des Gespräches kam die Frage: „Und wo in der Welt ist Englisch die Verkehrssprache?“ Auch darauf wusste ich eine den Prüfer befriedigende Antwort.

Schließlich durfte ich mich an der geisteswissenschaftlichen Fakultät in dem Bundesland einschreiben, in dem ich vor meiner militärischen Laufbahn meinen letzten zivilen Wohnsitz gehabt hatte.

Die Universitätsstadt, die für mehr als vier Jahre mein geistig-seelisches Zuhause werden sollte, war so schön, dass ich wieder einmal feststellen konnte, dass das Schicksal es gut, sehr gut mit mir meinte. Ich brauchte nicht einmal wie die meisten meiner Kommilitonen und Kommilitoninnen den „Studentenhilfe e. V.“ um Unterstützung bei der Wohnungssuche bemühen, weil ich bei der Mutter eines Freundes, den ich bei der Kartoffellese kennengelernt hatte, und die als Kriegerwitwe mit geringer Rente darauf angewiesen war, sich durch Vermietung von drei Zimmerchen ein kleines Zubrot zu erwirtschaften, unterkommen konnte.

Auch mein Vater meinte es gut mit mir. Er rief mich hin und wieder an und fragte, ob ich auch eifrig studiere und wie lange noch. Als Geschäftsmann sah er den Wert eines Studiums vornehmlich in der Höhe des Ertrags, den es eines Tages abwerfen würde. Was meinen Eifer anginge, versicherte ich ihm, da könne er unbesorgt sein. Das Studium mache mir großen Spaß. Was die Dauer anbeträfe, da sei ich überfragt, weil, besonders ein Philologiestudium in seiner Vielseitigkeit dazu reize, seine Fühler nach allen Seiten hin auszustrecken. Es sei so etwas wie ein Studium generale, was ich versuchte, ihm auseinanderzusetzen. Er unterbrach dann immer schon nach ein paar Minuten und kam auf familiäre Angelegenheiten zu sprechen. Väter neigen zur Ungeduld, wenn ein Sohn eine andere Laufbahn eingeschlagen hat als sie selbst. Zudem war mein Verhältnis zum schnöden Mammon, wie ich das Geld im Allgemeinen mir gegenüber zu bezeichnen pflegte, immer ein recht oberflächliches ja geradezu gleichgültiges gewesen, was einem Geschäftsmann nur schwer begreiflich zu machen ist. Das sollte sich radikal ändern, als ich später eine eigene Familie zu ernähren hatte und ich ein ansehnliches Vermögen auch als Erfolgs- und Statussymbol zu betrachten lernte, ohne ihm allerdings wie einer Droge zu verfallen.

Mein um zehn Jahre jüngerer Bruder Benno, das Nesthäkchen, das es verstand, noch als Erwachsener die Obhut des Elternhauses für sich fruchtbar zu machen, hatte einen besseren Draht zu unserem Vater, weil er dessen Erwartungen besser zu erfüllen versprach. Er wurde dann auch Vertreter für Damenhüte einer renommierten Düsseldorfer Firma.

Universität Münster

Die Westfälische Landesuniversität Münster, die Wilhelms-Universität, verdankte ihren Namen dem endgültig letzten deutschen Kaiser Wilhelm II., der die bis dahin als Akademie tätige Institution in den Rang einer Universität erhoben hatte. Zieht man ihre Vorgeschichte in Betracht, so ist sie ebenso altehrwürdig wie Heidelberg, Freiburg und andere berühmte akademische Einrichtungen. Schon 1612 empfahl der damalige Regens eines Priesterseminars, ein Jesuit namens Matthäus Tympius, in seiner Schrift „Erhebliche und wichtige Ursachen warum in der wohllöblichen Stadt Münster eine hochberühmte Universität oder Academiam zu fundieren und zu stiften seyen sollen“ die Gründung einer Uni in der Bischofsstadt. 1631 vergaben Kaiser Ferdinand II. und Papst Urban VIII. die dazu notwendigen Gründungsprivilegien. Kaiser Wilhelm II. erhob am 1. Juli 1902 die Akademie wieder in den Rang einer Universität.

Schloss Münster als Ruine

Die Stadt Münster in Westfalen war von Bomben nicht verschont geblieben, aber das Hauptverwaltungsgebäude, die Hüfferstiftung, die auf bürokratischen Umwegen nach einem berühmten Orthopäden, der am 5. Mai 1902 dazu den Grundstein gelegt hatte, so benannt worden war, hatte die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg fast unbehelligt überstanden und konnte den reibungslosen Ablauf der Immatrikulationsformalitäten gewährleisten.

Von den etwa 39 größeren Universitätsgebäuden waren 13 total zerstört und 22 so stark beschädigt worden, dass es bei dem herrschenden Materialmangel noch Jahre dauern sollte, bis alles wieder aufgebaut sein würde. Nur vier Gebäude waren unbeschadet davongekommen. Am 25. August 1945 begrüßte Prälat Georg Schreiber, der erste Nachkriegsdirektor der Uni Münster, sieben Geburtsjahrgänge, nämlich die von 1920 bis 1927, die gleichzeitig zum Studium drängten.

Die Vorlesungen und Seminare mussten vorläufig in Baracken stattfinden, weil die Steinbauten nur noch als Ruinen in Umrissen zu erkennen waren. Die endgültige Zulassung zum Studium war an die Auflage geknüpft, beim Wiederaufbau mitzuhelfen. Studenten wie auch Studentinnen wurden dazu angehalten, noch brauchbares Baumaterial aus den Schuttbergen herauszuklauben, zu reinigen und zu stapeln, damit die Maurer sich dessen bedienen konnten. Drei Monate Hilfsarbeiterdienst und jeweils eine Woche in den Semesterferien bis zum völligen Wiederaufbau des Campus waren die Regel und wurden mit einer warmen Mittagsmahlzeit pro Tag vergütet, was dazumal von Studenten/​Studentinnen ohne ruralen Background gerade mal zum Überleben reichte. Ohne Hamsterfahrten in die gesegnete Umgebung der Universitätsstadt konnte man seine Arbeitskraft auf die Dauer nicht erhalten. Ein starker Bohnenkaffee als Aufputschmittel, als Droge also, stand uns nicht zur Verfügung. Wir mussten uns mit einem gleichfarbigen Getränk, das nur den Durst stillte, begnügen. Es wurde aus einer Mischung von gerösteter Gerste, Roggen, Dinkel, Eicheln und Bucheckern hergestellt und durch die Bezeichnung als „deutscher Kaffee“ geschmacklich aufgewertet. Umgangssprachlich wurde dieses Gebräu als Muckefuck bezeichnet, als Mocca faux (frz), also als falscher Kaffee.

Als ich 1951 mein Staatsexamen ablegen konnte, war das fürstbischöfliche Schloss, in dem die meisten Hörsäle vor dem Krieg untergebracht waren, noch nicht wieder vollständig aufgebaut. Erst 1954 sollte es soweit sein. Vergessen waren inzwischen die Pläne der britischen Besatzungsmacht, die den völligen Abriss des Schlosses vorgesehen hatte, um Platz für Truppenunterkünfte zu schaffen!