image

Rasso Knoller

Schweden
Ein Länderporträt

image

Rasso Knoller

Schweden

Ein Länderporträt

image

1. Auflage, April 2016
entspricht der 1. Druckauflage vom April 2016
© Christoph Links Verlag GmbH, 2016
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0
www.christoph-links-verlag.de; mail@christoph-links-verlag.de
Umschlagentwurf und Innengestaltung: Stephanie Raubach, Berlin
Karte: Christopher Volle, Freiburg
Lektorat: Günther Wessel, Berlin

ISBN 978-3-86284-331-2

Inhalt

Vorbemerkung

Einleitung

Bullerbü und Wohlfahrtsstaat

Kuschelland ist abgebrannt

So funktioniert Schweden

Wählen, regieren, repräsentieren

Die Königin der schwedischen Herzen und der König bei der Kissenschlacht

Die schwedischen Parteien

Die Sozialdemokraten: Die ewige Regierungspartei

Die Linkspartei: Mehrheitsbeschaffer ohne Regierungsamt

Die Grünen: Im Kampf für den ungespritzten Apfel

Die Konservativen: Das bürgerliche Gegenmodell

Die Liberalen: Liberal, neoliberal, marginal

Die Zentrumspartei: Ja, nein, vielleicht – Anti-Atomkraftpartei auf Abwegen

Die Christdemokraten: Lieber Ausländer als Schwule

Die Schwedendemokraten: Schwiegermutterlieblinge mit »Ausländer raus«-Politik

Nordische Zusammenarbeit

Lieber gemeinsam als allein

Gemeinsam schießen in Richtung Osten

Das Schwedenbild im Norden: Schwedenwitze und ein Sieg im Eishockey

Minderheiten: Die Finnen ins Töpfchen, die Roma ins Kröpfchen

Die Sami: Touristenguide statt Rentierzüchter

Schwede sein, Glück allein

Immer schön bescheiden bleiben – und nicht streiten

Wenn Flirten zur Qual wird

Duzen: Bror Rexed hat’s erfunden

Tack, tack, tack – Freundlichkeit ist bei den Schweden Pflicht

Entspannter Problemlöser: Die Kaffeepause

Ehrgeiz ist aller Laster Anfang

Die Zlatanisierung Schwedens

Erziehung: Der schiefe Turm von Pisa

Das Jedermannsrecht: Machet auf das Tor

Wohnmobilfahrer und Beerenpflücker

Die schwedische Geschichte

Ein kurzer Blick zurück

Die Wikinger

Die Großmachtzeit von 1611 bis 1719

Der Zweite Weltkrieg

1986: Die Ermordung Olaf Palmes

Mein Freund, der Staat

Reiches Schweden: relativ

Das Ende des Wohlfahrtsstaates

Der »Dritte Weg« in die Sackgasse

Das Glück wird im Kopf gemacht

Der gläserne Schwede

Transparent seit 1766

Der Staat zieht die Vorhänge zu

Die Steuererklärung macht das Finanzamt

Karl-Bertil sorgt für Gerechtigkeit. Ein schwedisches Weihnachtsmärchen

Der gute große Bruder

Korruption: Zu Hause hui, im Ausland pfui

Spionieren für Obama

Assange und die Frauen, oder Assange und die Freiheit?

Ladies first?

Monster Mann?

Hexen und Bauersfrauen

Die Genossenschaft der Frauen

Frauen ins Parlament

Mama hat die Hosen an

Die Mutti bleibt am Kinderbett

Der Sprache muss endlich genderneutral werden

Ein Mann für die Gleichheit

Prostitution: Wer zahlt, hat unrecht

Die Wirtschaft: Autos, Möbel und Kernkraftwerke

Früher die Ärmsten, heute (fast) die Reichsten

Atomenergie: Der Ausstieg aus dem Ausstieg

Saab und Volvo auf der Fahrt nach Peking

Ikea aus Holland

Zuflucht im hohen Norden

Willkommen im Drei-Kronen-Land?

Human oder naiv?

Eine Kluft spaltet das Land

Der Schlagbaum senkt sich

Entwicklungshilfe: Von Eins auf Sieben

Typisch schwedisch

Pippi Langstrumpf, Lördagsgodis und Fredagsmys

Mit dem Bratt-Buch gegen Alkoholmissbrauch

Wenn die Sonne Überstunden macht

Blutiges Schweden

Telefonanruf aus Waterloo

Am wichtigsten ist der Eishockeysieg

Der Vater des Elchwarnschilds

Anhang

Lesetipps

Danksagung

Basisdaten

Karte

Zum Autor

Vorbemerkung

Bevor ich loslege, zwei generelle Bemerkungen: In einem Leserbrief zu meinem Finnlandbuch aus dieser Reihe hatte mir jemand mitgeteilt, dass nicht alle Finnen so seien, wie in meinem Buch beschrieben. Jeder Mensch sei doch ein Individuum.

Das ist richtig. Bücher über ein Land und dessen Menschen sind aber nur möglich, wenn man generalisiert. Deswegen: Nicht jeder Schwede ist so, wie in diesem Buch beschrieben. Manche Eigenheiten treffen aber doch auf so viele zu, dass sie einem interessierten Beobachter ins Auge fallen; dass es Sinn macht, von »typisch schwedisch« zu sprechen.

Und ein weiterer Hinweis: Ich habe in diesem Buch aus Gründen der Lesbarkeit immer die männliche Form verwendet, auch dann, wenn beide Geschlechter gemeint sind. Wenn ich vom Schweden spreche, ist also in der Regel auch die Schwedin gemeint.

Einleitung

Bullerbü und Wohlfahrtsstaat

Wann immer eine Rangliste der Guten erstellt wird, steht Schweden weit oben. Wer zahlt die meiste Entwicklungshilfe? Wer nimmt die meisten Flüchtlinge auf? Welches Land hat die meisten weiblichen Parlamentsabgeordneten? Wo engagiert man sich am meisten für den Umweltschutz? Wer war schon über 200 Jahre in keinen Krieg mehr verwickelt? Die Heimat von Pippi Langstrumpf und den gemütlichen roten Holzhäuschen sorgt weltweit für Kuschelfaktor. Doch das Idyll hat ein paar Kratzer.

Krank sollte man beispielsweise nicht werden in Schweden. Auf einen Arzttermin hat schon mancher so lange warten müssen, dass sich die Therapie erübrigt hat. Staatliche Überwachung, die man hierzulande noch tapfer bekämpft, ist in Schweden in weiten Bereichen normal. Rechtes Gedankengut gewinnt auch in Schweden immer mehr Anhänger, und in der Frage der Atomkraft hat man zwar schon 1980 den Ausstieg beschlossen; auch hier war man Vorreiter. Inzwischen ist man auch Vorreiter beim Ausstieg vom Ausstieg – jetzt sollen die Atomkraftwerke noch eine Generation lang für Strom sorgen. Das Vorzeigeland Schweden ist ein Land voller Gegensätze – eine Behauptung, die man im Land selbst vermutlich energisch bestreiten würde. Denn die wichtigste Eigenschaft eines richtigen Schweden ist sein schier unstillbares Bedürfnis nach Harmonie.

Als ein Land, in dem alle lieb zueinander sind, so sieht man Schweden auch im Ausland. Viele Deutsche waren noch nie in Schweden, aber irgendwie sympathisch finden die meisten das Land doch – unbekannterweise. Wer kann schon was gegen Pippi Langstrumpf haben, gegen Wälder, die vollgestopft sind mit Elchen und gegen Blaubeerkuchen. Schweden ist in der Vorstellung der meisten Deutschen wie ein alter Volvo. Solide, zuverlässig und richtig gut – aber vielleicht auch ein bisschen langweilig. Für die Schwedenbegeisterung der Deutschen gibt es inzwischen sogar ein eigenes Wort. Man spricht vom Bullerbü-Syndrom, wenn wir Deutschen uns Schweden als heile Welt imaginieren. Eine Welt voll bunter Holzhäuschen, blauer Seen und glücklicher Menschen. Auch wenn am heimischen Fernseher heile Welt gefragt ist, greift man gern zum Schwedenklischee. Und wenn die Nordleute davon nicht selbst genug liefern können, dann basteln wir es uns einfach selbst. Die Schnulzenschreiberin Inga Lindström, deren Romane die Vorlage für die endlose Reihe fernsehsonntäglicher Schwedenhappen sind, ist in den Augen vieler Deutscher die bekannteste und erfolgreichste »schwedische« Schriftstellerin. Mit richtigem Namen heißt die Dame allerdings Christiane Sadlo und kommt vom Bodensee. Als Frau Sadlo aus Ravensburg könnte sie die Sehnsüchte der Deutschen aber nicht so leicht bedienen. Dieter Bächle, Locationscout für die Lindströmfilme, antwortet in einem Interview auf die Frage, was er mit den Filmen vermitteln wolle, schlicht und einfach: »Dass das Leben wunderbar ist!«

Dass wir das Leben in Schweden so wunderbar finden, hat vielleicht auch mit frühkindlicher Prägung zu tun. Denn fast jedes deutsche Kind wächst mit Pippi Langstrumpf, Karlsson vom Dach und Ronja Räubertochter auf. Wer beim Buchversender Amazon den Suchbegriff »Reiseführer Schweden« eingibt, stellt fest, dass auf neun von zehn Covern entweder ein gemütliches Schwedenhäuschen und/oder ein kuscheliger Elch abgebildet ist. Wohl kein Land der Welt lässt sich so einfach durch seine Klischeebilder beschreiben. Und: Auf den ersten Blick scheinen die auch noch zu stimmen. Rote Häuschen gibt es schließlich zuhauf und jede Menge Elche trotten wirklich durch die grünen schwedischen Wälder. Allerdings löst sich manches Klischee schnell auf, wenn man es hinterfragt, wenn man – in übertragenem Sinne – die Tür zum Schwedenhaus öffnet und sich im Inneren ein wenig genauer umsieht. Zu diesem Rundgang hinter die Kulissen will Sie dieses Buch einladen.

Kuschelland ist abgebrannt

In den letzten Jahrzehnten ist Schweden dem Rest der Welt ähnlicher geworden. Die Zeiten, in denen sich das neutrale Land aus allen Konflikten heraushalten konnte, Wirtschaftskrisen souverän trotzte und sich die Schweden vom Vater Staat sicher beschützt und versorgt fühlen konnten, sind vorbei. Die Zeiten, als man im Paradies eine blau-gelbe Flagge hochzog, liegen lange zurück. Vielleicht kann man sogar den Tag benennen, an dem Schweden anfing, ein ganz normales Land zu werden – den 28. Februar 1986. An jenem Tag wurde der damalige Ministerpräsident Olof Palme auf dem Heimweg vom Kino von einem unbekannten, bis heute nicht gefassten Attentäter erschossen. Noch ein zweites Mal erschütterte ein Politmord das Land. Im September 2003 stach ein Verrückter die damalige Außenministerin Anna Lindh beim Einkaufen nieder.

Es hat sich viel verändert im Drei-Kronen-Land seit Mitte der 1980er Jahre. Irgendwann wurden die Wohltaten, die Schweden seinen Bürgern bescherte, zu teuer, beziehungsweise – und das ist eine andere Lesart – die bis dahin herrschende Solidarität zwischen Vermögenden und Bedürftigen bröckelte. Aus dem »Volksheim«, in dem jeder für jeden einstand, entwickelte sich ein neoliberaler Staat, in dem die Ellenbogen ausgefahren werden.

Anfang der 1990er Jahre war das Staatsdefizit auf zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung angestiegen – das war der höchste Wert aller westlichen Industrieländer –, die Inflationsrate schnellte auf zehn Prozent hinauf und auch die Arbeitslosenrate kletterte in den zweistelligen Bereich. Die Sozialdemokraten hatten das schwedische »Volksheim« erbaut, sie waren es auch, die es jetzt renovierten – oder, auch hier gibt es eine zweite Lesart, abrissen. Die Regierung unter Ministerpräsident Göran Persson kürzte damals das Arbeitslosengeld und die Sozialhilfe, lockerte den Kündigungsschutz und nahm bei der Rente Streichungen vor.

Vor allem im Gesundheitswesen hat man damals eisern gespart, jedes vierte Krankenhaus wurde geschlossen. Da die Schweden aber nicht einfach aufhörten, krank zu werden, hat das Land seitdem ein riesiges Problem und ein neues Wort. Von der hälsokö, der »Gesundheitsschlange«, spricht man, wenn man monatelang auf eine Behandlung warten muss. Der populäre Witz, dass man in schwedischen Krankenhäusern ausgezeichnet versorgt werde, falls man die Wartezeit bis zur Behandlung überlebt, ist zu nahe an der Wahrheit, als dass man über ihn lachen könnte.

Doch auch in der Krise waren die Schweden wieder Vorbild, diesmal aber für eine andere Klientel. Während in den 1960er bis 1980er Jahren viele Regierungen in Schweden Anregungen holten, wenn es darum ging, ihren Sozialstaat auszubauen, war das Land jetzt Vorbild beim Abbau desselben – auch für Gerhard Schröder und seine Hartz-IV-Truppe. Die schwedischen Einsparungen hatten damals schnell Wirkung gezeigt und die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht. Das wollte auch Kanzler Schröder in Deutschland schaffen und nahm sich die nordischen Genossen zum Vorbild. Allerdings vergaß er dabei, dass die Schweden ihre Kürzungen von einem wesentlich höheren Niveau aus begonnen hatten. Die leidige Krankenhausgeschichte einmal ausgenommen, versorgte man die Bürger, selbst nach Durchsetzung aller Sparmaßnahmen, immer noch mehr als in Deutschland davor. Eine Verarmung ganzer Gesellschaftsschichten hat es deswegen in Schweden bisher nicht gegeben. Allerdings zeigen sich auch dort inzwischen die Langzeitfolgen der Einsparungen. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden auch in Schweden größer. Anders als Gerhard Schröder nach der Jahrtausendwende, musste sein Kollege Göran Persson in den 1990er Jahren sein Sparprogramm vor der Öffentlichkeit nicht groß verteidigen. Wie auch sonst immer, wenn die Regierung etwas beschloss, hatten die Bürger die Sparbeschlüsse klaglos akzeptiert. Die manchmal erschreckende »Obrigkeitshörigkeit« der Schweden, die ihren Politikern absolut nichts Böses zutrauen, lässt sie bereitwillig alles erdulden, was ihnen auferlegt wird. Auch dass die Schweden heute das am besten überwachte Volk Europas sind, stört dort nur wenige – Vater Staat wird’s schon richten.

So funktioniert Schweden

Wählen, regieren, repräsentieren

Ganz schnell kann man erklären, wie die Schweden ihre Abgeordneten wählen: Die 349 Mitglieder des Riksdags werden nach dem Verhältniswahlrecht für vier Jahre gewählt. Das Land ist in 29 Wahlkreise eingeteilt, die je nach Größe zwischen zwei und 36 Abgeordnete in den Stockholmer Reichstag entsenden. Wahltag ist immer ein Sonntag im September. Die Sperrklausel liegt bei vier Prozent. Wenn jedoch eine Partei, die landesweit an der Vier-Prozent-Hürde scheitert, in einem Wahlkreis mehr als zwölf Prozent der Stimmen gewinnt, erhält sie trotzdem die ihr dort zustehenden Mandate. Dadurch sollen nach dem Willen des Gesetzgebers Regionalparteien oder Parteien, deren Wähler konzentriert in einer Region leben, besser geschützt werden – in der Praxis kam diese Ausnahmeregel aber noch nie zur Anwendung. Der Reichstag wählt den Ministerpräsidenten, statsminister, der dann die Minister der Regierung ernennt.

Es ist durchaus üblich und kein Zeichen einer politischen Krise, wenn nach einer Wahl eine Minderheitsregierung gebildet wird, die sich dann für jede einzelne Abstimmung die Zustimmung von Teilen der Opposition sichern muss. Dass dies bisher problemlos funktioniert hat, hat sicher auch mit der schwedischen bzw. nordeuropäischen Mentalität zu tun, in der der Konsensgedanke eine wichtige Rolle spielt. Ob das Modell auch weiter Bestand haben kann, muss sich noch zeigen, denn erstmals seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1921 hat mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten eine große Partei die Szene betreten, die sich weit außerhalb der bisherigen politischen Landschaft ansiedelt. Noch weigern sich aber alle demokratischen Parteien im Reichstag, mit den Schwedendemokraten zusammenzuarbeiten.

Das Staatsoberhaupt ist aber nicht der Chef der Regierung. An der Spitze des Staates steht der König bzw. die Königin. Momentan ist das Carl XVI. Gustaf, der hierzulande besonders deswegen bekannt ist, weil er mit einer Deutschen verheiratet ist. Vor einigen Jahren kam der König in die Schlagzeilen, weil ihm ein Biograph eine Affäre unterstellte. Trotzdem: Das Königshaus, das allein repräsentative Aufgaben erfüllt, ist völlig unumstritten und stellt einen wichtigen Identifikationsfaktor für die Menschen dar. Eine Abschaffung der Monarchie ist nur für eine Minderheit der Schweden eine Option.

Allenfalls im Ausland – bevorzugt in Deutschland – nimmt man immer wieder die Diskussion über die Abschaffung der Monarchie auf. 1966 beispielsweise spekulierte Die Zeit darüber, dass nach dem Tode von König Gustav VI. Adolf Kronprinz Carl Gustaf nicht den Thron besteigen würde – 59,8 Prozent der Schweden hätten sich alternativ für einen gewählten Präsidenten ausgesprochen. Und Die Zeit wusste sogar: »Bei Politikern aller Parteien und vor allem bei Journalisten und Schriftstellern gibt es starke Widerstände«, Widerstände und Bedenken, die »wohl auch von der Mehrheit der politisch denkenden Bevölkerung geteilt« würden. Als Gustav VI. Adolf sieben Jahre später starb und Carl Gustaf König wurde, gab es keinerlei Proteste. Auch das 2010 vom Stern kolportierte »Entsetzen« über die 1,25 Millionen Euro kostende Hochzeit zwischen Kronprinzessin Victoria und Daniel Westling wurde von der schwedischen Bevölkerung nicht geteilt. Der Stern war zwar überzeugt: »Jetzt haben Kritiker sogar die Abschaffung der gesamten Monarchie gefordert – Wasser auf die Mühlen der Schwedischen Republikanischen Vereinigung.« Dass die Republikanische Vereinigung landesweit gerade einmal 5000 Mitglieder zählt, war dem deutschen Magazin aber entgangen.

Natürlich geht es bei Königs in Stockholm inzwischen auch gendermäßig korrekt zu. Das heißt, seit dem neuen Thronfolgegesetz von 1980 wird immer das älteste Kind des Königspaares, ohne Rücksicht auf dessen Geschlecht, Thronfolger. Nächste schwedische Königin wird also die derzeitige Kronprinzessin Victoria werden.

Die Königin der schwedischen Herzen und der König bei der Kissenschlacht

Dass Deutschland und Schweden eine besonders enge Beziehung haben, liegt auch an der Königin. Königin Silvia, mit bürgerlichem Namen Silvia Renate Sommerlath, kam 1943 als Tochter eines deutschen Industriellen zur Welt und hat mehr als die Hälfte ihres Lebens in Schweden verbracht. Sie lebt dort seit 1976. Die Schweden mögen ihre Silvia. Man findet es gut, dass sich die Königin für allerlei soziale Belange einsetzt, Kinder in Entwicklungsländern unterstützt und sich für geistig behinderte Menschen engagiert. Sie hat unzählige Stiftungen gegründet und ist Schirmherrin von über 60 wohltätigen Organisationen. Mehrfach schon wurde sie für ihr Engagement ausgezeichnet.

Lange Zeit zählte das schwedische Königspaar zu den wenigen Throninhabern Europas, die ohne große Skandale auskamen. Das änderte sich dann 2010, als der Journalist Thomas Sjöberg in dem Enthüllungsbuch Carl XVI. Gustaf – Der widerwillige Monarch den König beschuldigte, in Stripclubs und Bordellen mit Prostituierten und Popsternchen wilde Partys gefeiert zu haben. Sogar ein Name wurde genannt: Die ehemalige Popsängerin Camilla Henemark soll eine der Auserwählten gewesen sein. Vielleicht wäre der ganze Skandal schnell vergessen worden, hätte sich Carl Gustaf nicht selbst zu Wort gemeldet. In einem Interview schaffte er es, sich so ungeschickt auszudrücken, dass danach eigentlich alle den bis dahin sehr dünnen Indizien des Journalisten glaubten. Camilla Henemark sah nun wohl die Stunde der schnellen Krone gekommen – allerdings nicht der auf dem Kopf, sondern der in der Börse – und veröffentlichte 2012 nun ihrerseits eine Biographie. In dem Buch Adieu, du süßes Leben konzentrierte sie ihre Ausführungen zwar mehr auf die Beschreibungen von Kissenschlachten und Besäufnissen mit Lakritzschnaps, doch immerhin deutete sie so viel an, dass man nur schwer glauben konnte, dass der Monarch nach der Kissenschlacht zurück ins eigene Bett schlüpfte.

Schweden wäre nicht Schweden, hätte man nicht einen ganz eigenen Umgang mit der Affäre gefunden. Die Mehrheit war, nachdem sich die Anfangsempörung gelegt hatte, der Meinung, auch ein König habe ein Recht auf ein Privatleben. Eine besondere Note bekam die Affäre aber dadurch, dass angeblich auch Prostituierte beim königlichen Liebesspiel dabei gewesen sein sollen. Und da hören für die Schweden Spaß und persönliche Selbstverwirklichung auf – auch für den König. Das Anbieten von sexuellen Dienstleistungen ist in Schweden zwar nicht strafbar, sie in Anspruch zu nehmen allerdings schon. Weil sich Freier in Schweden strafbar machen, hätte das in diesem Fall auch der König getan. Nachgewiesen werden konnte Carl Gustaf dieses Vergehen nie, aber vermutlich wollte an diesem Tabu auch kein noch so investigativer Journalist rütteln.

Kennengelernt haben sich Carl Gustaf und Silvia 1972 bei den Olympischen Spielen in München, wo Silvia Sommerlath als Hostess für die Betreuung der Staatsgäste zuständig war. Das machte sie im Falle des schwedischen Königs offenbar so gut, dass der sich vom Fleck weg in sie verliebte. Es habe sofort »klick« gemacht, erzählte Carl Gustaf später einmal. Geheiratet hat das Liebespaar trotzdem erst vier Jahre nach dem ersten Blickkontakt, und anfänglich hat es seine Liebe sogar versteckt. Schuld an der Heimlichtuerei war das schwedische Thronfolgegesetz. Das besagte damals nämlich noch, dass ein Kronprinz, der eine Bürgerliche ehelicht, auf den Thron verzichten muss, ein König aber nicht. Deswegen musste Carl Gustaf, damals noch Kronprinz, erst zum König gekrönt werden, bevor seine Liebe zu der deutschen Bürgerlichen publik werden durfte.

Nach der Hochzeit flogen Silvia Sommerlath die Herzen der Schweden zu. Die heimische Presse jubelte und beglückwünschte den König, er habe mit der Heirat die beste Entscheidung seines Lebens getroffen. Nur einige wenige blieben skeptisch, war Silvia doch eine Deutsche und zudem ein paar Jahre älter als ihr Gemahl. Beides war für so manchen traditionsbewussten Königstreuen im Land doch erst mal starker Tobak – ungeachtet aller schwedischen Toleranz. Doch auch die Kritiker zeigten sich von der neuen Königin schnell begeistert. Und in der Folge des Skandals um Carl Gustaf nahm die Beliebtheit der Königin nochmals zu. Die gab nämlich nicht den öffentlichen Racheengel, sondern vollzog ihre royalen Verpflichtungen weiterhin mit Bravour.

Das mögen die Schweden. Wenn auch im Schloss ganz normale Menschen zu sitzen scheinen und die Königin in der Krise genauso bescheiden bleibt wie die Kassiererin im Supermarkt um die Ecke.

Die schwedischen Parteien

Die Sozialdemokraten: Die ewige Regierungspartei

Im schwedischen Reichstag sind momentan acht Parteien vertreten, traditionell stärkste Partei mit dem höchsten Stimmenanteil bei allen Reichstagswahlen seit 1917 ist die Sozialdemokratische Partei, Sveriges socialdemokratiska arbetareparti, SAP. Bis auf wenige Jahre stellte sie, wie auch gegenwärtig mit Stefan Löfven, den Ministerpräsidenten. Die SAP ist aber nicht nur die größte, sondern auch die älteste Partei des Landes – sie wurde 1889 gegründet. Von Anfang an zeichnete sie eine enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften aus. Während des Ersten Weltkriegs führten innerparteiliche Kämpfe zu einer Spaltung der Partei, der radikale linke Flügel wurde ausgeschlossen und gründete die Sozialdemokratische Linkspartei, die später zur Kommunistischen Partei wurde. Im März 1920 bekleidete mit Hjalmar Branting erstmals ein Sozialdemokrat das Amt des Ministerpräsidenten. Seitdem ist das der Regelfall in Schweden. Bürgerliche Regierungen waren bis in die 1990er Jahre allenfalls kurze Intermezzi. In den 1930er und bis zur Mitte der 1940er Jahre stellte Per Albin Hansson als Ministerpräsident die Weichen für eine schwedische Politik, die noch bis zur Jahrtausendwende Auswirkungen hatte. Das »Volksheim« wurde zum Begriff eines »fürsorglichen Staates«, der Schritt für Schritt die Sozialleistungen ausbaute. Der sich daraus entwickelnde Wohlfahrtsstaat, der seine Bürger zwar mit hohen Steuern belegte, ihnen dafür aber eine Art »Rundumversorgung« von der Geburt bis zum Tod bot, war lange Zeit weltweites Vorbild für linke Politik. Je mehr sich der Wohlfahrtsstaat etablierte, desto größer wurde auch die Zustimmung für die Sozialdemokraten. Den Gipfel ihres Wahlerfolges erreichten sie bei den Wahlen 1968, als sie mit 50,1 Prozent die absolute Mehrheit erreichten.

Erstmals ins Wanken kam die Macht der Sozialdemokraten in den 1970er Jahren, als das Land infolge der Ölkrise in eine wirtschaftliche Schieflage geriet und sich die Partei zudem durch ihr Eintreten pro Kernenergie von einem Teil ihrer Wähler entfremdete. Die Folge war die Abwahl des damaligen Ministerpräsidenten Olof Palme bei den Reichstagswahlen 1976. Die nachfolgende bürgerliche Regierung hielt in unterschiedlichen Zusammensetzungen mehr schlecht als recht bis 1982 durch. Dann eroberte Olof Palme die Macht zurück und blieb bis zu seiner Ermordung im Februar 1986 Ministerpräsident. Wieder war es eine Wirtschaftskrise, die die Sozialdemokraten das zweite Mal in der Nachkriegszeit straucheln ließ, doch das bürgerliche Intermezzo war auch diesmal kurz. In den 1990er Jahren machten sich die Sozialdemokraten daran, den Sozialstaat, den sie aufgebaut hatten, Stück für Stück zu demontieren. Die neoliberalen Ideen, die sie sich damals auf die Fahnen schrieben, waren später auch Vorbild für die deutsche Regierung Schröder-Fischer und deren Hartz-IV-Programm. In der Frage des EU-Beitritts trat die Parteispitze für die Pro-Seite ein. Die Basis war hier in ihrem Meinungsbild ebenso gespalten wie später, als es darum ging, über die Einführung des Euro abzustimmen. Die wurde bei einer Volksabstimmung im Jahre 2003 mit deutlicher Stimmenmehrheit abgelehnt. Durch ihre Sparpolitik hatten die Sozialdemokraten während der Regierungszeit von Göran Persson ihren linken Flügel verprellt, zudem war Persson wegen seines arroganten Auftretens auch als Person unbeliebt. Trotz ordentlicher Wirtschaftsdaten verloren die Sozialdemokraten die Reichstagswahlen von 2006 und kehrten erst 2014 mit Stefan Löfven wieder an die Regierung zurück.

Die Linkspartei: Mehrheitsbeschaffer ohne Regierungsamt

Die Linkspartei, Vänsterpartiet, war oft der »Steigbügelhalter« für die Sozialdemokraten. Obwohl sie mit deren Politik durchaus nicht immer übereinstimmte, unterstützte sie im Zweifelsfall die sozialdemokratischen Minderheitsregierungen im Reichstag. Die Partei war 1917 aus einer Abspaltung der Sozialdemokraten entstanden – hieß zunächst Sozialdemokratische Linkspartei, benannte sich ab 1921 in Kommunistische Partei Schwedens um und folgte bis in die 1960er Jahre hinein dem sowjetischen Kurs. Dann setzte sich der eurokommunistische Flügel durch, die Partei nahm zunehmend von Moskau unabhängige Positionen ein. Der Richtungswechsel kam 1967 auch durch die Umbenennung der Partei in Vänsterpartiet kommunisterna, Linkspartei Kommunisten, zum Ausdruck. Man verabschiedete sich nun auch offiziell von revolutionären Gedanken und bekannte sich zur parlamentarischen Demokratie. 1977 spalteten sich die orthodox kommunistischen Mitglieder der Partei ab und gründeten die Arbetarpartiet kommunisterna, die es aber nie zu landesweiter Bedeutung brachte. Der nächste politische Richtungswechsel kam erneut durch einen Namenswechsel zum Ausdruck. 1990 strich man den Zusatz »Kommunisten« aus dem Parteinamen, firmierte als Linkspartei und definierte sich als sozialistisch und feministisch. In den 1990er Jahren näherte sich die Partei unter der damals sehr populären Parteivorsitzenden Gudrun Schyman immer mehr den Sozialdemokraten an. Anders als diese nahm sie aber einen deutlichen Anti-EU-Standpunkt ein. Die Wähler belohnten dies und bescherten der Partei 1998 mit zwölf Prozent das beste Wahlergebnis bei Reichstagswahlen. Mit seltenen Ausschlägen nach oben und unten bewegt sich die Partei seitdem auf einem Level zwischen vier und sechs Prozent bei den Reichstagswahlen. 2014 kamen die Linken auf 5,7 Prozent der Stimmen.

Die Grünen: Im Kampf für den ungespritzten Apfel

Auch die Grünen, Miljöpartiet de gröna, unterstützen im Reichstag in wichtigen Fragen meist die Sozialdemokraten gegen die bürgerlichen Parteien. Im Gegensatz zu Deutschland spielte die 1981 gegründete Partei noch bis in die Mitte der 1990er Jahre eine nur marginale Rolle. Zwar konnten die Grünen 1988 in der Folge der Atomkatastrophe von Tschernobyl, von der Schweden stark betroffen war, mit 5,5 Prozent der Stimmen in den Reichstag einziehen. Da die Anti-Atom-Position in Schweden damals schon sehr glaubwürdig von der Zentrumspartei besetzt war, gelang den Grünen mit dieser Thematik jedoch nicht der große Durchbruch und schon bei den nächsten Wahlen scheiterten sie wieder an der Vier-Prozent-Hürde. Erst nach den Wahlen von 1994 etablierte sich die Partei als konstante Kraft in der schwedischen Politik.

Im Gegensatz zu Deutschland waren die Grünen in Schweden nie eine Partei, die sich gegen das Establishment richtete – der Weg in die politische Mitte war für sie also kürzer als für ihr deutsches Pendant. Heute ähneln sich die beiden Parteien sehr. Hier wie dort engagiert man sich eher für das intellektuelle Bürgertum als für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Kürzungen im Sozialbereich unterstützen die Grünen meist klagend, aber problemlos, solange sie nur sicher sein können, dass das Gemüse im Ökomarkt um die Ecke den höchsten Ansprüchen genügt. Im politischen Spektrum der schwedischen Parteien kann man die Grünen rechts der Sozialdemokraten verorten. Die Reichstagswahlergebnisse der Grünen liegen relativ konstant zwischen viereinhalb und sieben Prozent.

Die Konservativen: Das bürgerliche Gegenmodell

Die konservative Moderata samlingsparti ist die große bürgerliche Gegenspielerin der Sozialdemokraten. Die Partei wurde 1904 unter dem Namen Allmänna valmansförbundet, Allgemeiner Wählerbund, gegründet. Als wichtigste nationalkonservative Kraft war die Partei in den 1920er Jahren sehr erfolgreich, später wurde sie aber eher als Blockiererpartei ohne eigene Visionen wahrgenommen. Dreimal änderte die Partei ihren Namen, 1938 nannte sie sich Högerns riksorganisation, Reichsorganisation der Rechten, 1952 einfach Högerparti, Rechtspartei, und 1969 nahm sie schließlich den heutigen Namen an.

Nach Jahrzehnten des Niedergangs – sie war inzwischen die kleinste Partei des bürgerlichen Lagers – richteten sich die Moderaten in den 1970er Jahren neu aus, politisch bewegte man sich mehr Richtung Mitte. Die Partei war an den bürgerlichen Koalitionsregierungen zwischen 1976 und 1982, nach 1991 und zwischen 2006 bis 2014 beteiligt. In den beiden letzten Fällen stellten sie mit Carl Bildt und Fredrik Reinfeldt auch den Ministerpräsidenten.

Inzwischen sind die Moderaten längst wieder die stärkste Kraft im bürgerlichen Lager. Nachdem sie 2010 mit 30,1 Prozent das beste Ergebnis bei den Reichstagswahlen erzielt hatte, kam die Partei 2014 auf 23,3 Prozent der Stimmen.

Die Liberalen: Liberal, neoliberal, marginal

Die Folkparti liberalerna, die schwedischen Liberalen, sind eine sehr traditionsreiche Partei. Gegründet wurde sie Anfang des 20. Jahrhunderts, den heutigen Namen nahm sie 1934 an. Während des Zweiten Weltkriegs, als Schweden sich vor dem Einmarsch deutscher Truppen fürchtete und die meisten Parteien deswegen eine sehr ausgeprägte Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitlerdeutschland betrieben, bewiesen die Liberalen etwas mehr Rückgrat und positionierten sich als die am wenigsten deutschenfreundliche Partei.

In der Nachkriegszeit waren die Liberalen zunächst die mit Abstand größte bürgerliche Partei und fuhren damals einen Mittelkurs zwischen Marktwirtschaft und der Politik des rundum vorsorgenden Wohlfahrtsstaates der Sozialdemokraten. Die Folkparti propagierte damals den Begriff der bottentrygghet, einer Art Grundabsicherung für alle Bürger, die sich darüber hinaus um ihre eigene Versorgung kümmern müssten. Dieses Konzept ähnelt dem Modell, das die deutschen Sozialdemokraten im Zuge der Schröder-Regierung etablierten.

In den 1970er Jahren vollzogen die Liberalen einen Schwenk nach links, in dessen Folge sie sich für mehr staatliche Steuerung aussprachen und sie partiell auch mit der sozialdemokratischen Regierung von Olof Palme zusammenarbeiteten. Nachdem die Wähler dies nicht honorierten, folgte die Rochade nach rechts. Die Folkparti beteiligte sich nun auch an den bürgerlichen Regierungen zwischen 1976 und 1982.

Als die erste bürgerliche Koalitionsregierung 1978 wegen interner Streitigkeiten scheiterte, stellte die Folkparti für kurze Zeit allein eine Minderheitsregierung. In den 1990er Jahren wandelte sich die Folkparti – analog zur deutschen FDP – zu einer unternehmerfreundlichen Partei, die die Interessen der Reichen in der Gesellschaft vertrat. Sie definierte sich nun nahezu ausschließlich wirtschaftsliberal. Während die Partei vorher regelmäßig Wahlergebnisse im zweistelligen Bereich einfahren konnte, rangiert sie seitdem, mit Ausnahme eines positiven Ausreißers im Jahr 2001, zwischen fünf und (selten) neun Prozent.

Die Zentrumspartei: Ja, nein, vielleicht – Anti-Atomkraftpartei auf Abwegen

Die Zentrumspartei, Centerpartiet, wurde 1913 unter dem Namen Bondförbundet, Bauernbund, als Partei der Landwirte gegründet. Zunächst war sie eine reine Klientelpartei, Ende der 1960er engagierte sie sich aber vermehrt auch in anderen Politikbereichen, besonders in der Umweltpolitik. Im Unterschied zu ihren deutschen Kollegen waren die schwedischen Bauern nämlich nie die Bremser des Umweltschutzes, sondern im Gegenteil die treibende Kraft. In den 1970er Jahren entwickelte sich das Zentrum zur führenden Anti-Atomkraftpartei und lockte damals auch Wähler über die Blockgrenzen hinweg an. Bei den Wahlen 1973 war die Partei der große Gewinner und erzielte mehr als 25 Prozent der Stimmen – zum Regierungswechsel reichte es aber noch nicht. Das bürgerliche Lager verfügte nach der Wahl über die gleiche Anzahl der Sitze im Reichstag wie die von der Linken unterstützte sozialdemokratische Regierung. Bei strittigen Entscheidungen kam es daher häufig zu einer Pattsituation, die durch einen Losentscheid aufgelöst werden musste. Der Reichstag von 1973 ging deswegen als »Lotteriereichstag« in die schwedische Geschichte ein. Als Konsequenz daraus wurde ab den nächsten Wahlen das Abgeordnetenhaus um einen Sitz, auf 349 Abgeordnete, verkleinert. So konnte keine Pattsituation mehr entstehen. 1976 behauptete das Zentrum seinen Stimmenanteil und jetzt war die Zeit reif für einen Regierungswechsel – Thorbjörn Fälldin, der Parteivorsitzende des Zentrums, wurde Ministerpräsident. Nach sechsjähriger Regierungszeit verlor das bürgerliche Lager schließlich die Wahl von 1982; danach ging der Wähleranteil des Zentrums stark zurück. 1991 bis 1994 war die Partei dann erneut eine von vier Koalitionsparteien in der bürgerlichen Regierung, zwischen 1995 und 1998 unterstützte man aber die sozialdemokratische Minderheitsregierung in wirtschaftlichen und ökologischen Fragen. Im neuen Jahrtausend verabschiedete sich das Zentrum Schritt für Schritt von seinen traditionellen Positionen. Inzwischen verfolgt man eine neoliberale Politik mit gewerkschaftskritischem und mittelstandsfreundlichem Programm. Selbst beim einstigen Paradethema, der Kernenergie, hat man einen Schwenk vollzogen. Maud Olofsson, die damalige Vorsitzende der Partei, legte im Februar 2009 den jahrzehntelangen Anti-Atomkraftkurs ad acta und verwendete als Begründung für das Umdenken das folgende, für so manches einfache Parteimitglied schwer nachvollziehbare Argument: »Ich tue diesen Schritt zum Wohle meiner Kinder und Enkel.« Mit ähnlichen Argumenten, nämlich die Welt für die Kinder erhalten zu wollen, hatte sich das Zentrum bis dahin gegen die Atomkraft gewandt. Immerhin: Auch wenn das Ziel ein anderes wurde, die Argumentation war dieselbe geblieben. Da auch diese radikale Wende nicht zum gewünschten Erfolg führte, hat man sich im aktuellen Parteiprogramm in diesem Punkt auf Floskeln beschränkt und vertritt nun die Auffassung, dass es innerhalb einer Generation keine Atomkraftwerke in Schweden mehr geben solle und man bis dahin neue Meiler nur dort bauen darf, wo schon alte stehen.

Letztmals konnte das Zentrum bei den Reichstagswahlen 1988 mehr als zehn Prozent der Stimmen gewinnen, seitdem bewegt man sich in einem Bereich zwischen fünf und achteinhalb Prozent. Da die bäuerlichen Stammwähler immer weniger werden, die Partei durch die Aufgabe ihrer Anti-Atomkrafthaltung ihren »Markenkern« aufgegeben hat und weil sich die meisten ihrer Anliegen auch in den Programmen der anderen bürgerlichen Parteien wiederfinden, kämpft sie bei jeder Wahl aufs Neue ums Überleben.

Die Christdemokraten: Lieber Ausländer als Schwule

Die Christdemokraten, Kristdemokraterna, sind die kleinste Reichstagspartei. Sie stehen den Freikirchen nahe und treten für streng christliche Werte ein. Deswegen lässt sich die Partei auch ideologisch nur schwer verorten. In der Familienpolitik vertritt sie beispielsweise eine streng konservative Linie, bei den Themen der Sozial- und Flüchtlingspolitik, dem christlichen Ideal der Nächstenliebe folgend, dagegen oft Positionen, die man eher im linken Spektrum verorten würde. Die deutschen C-Parteien werden deswegen im Programm ihres schwedischen Namenszwillings nur sehr partiell Übereinstimmungen finden.

Die schwedischen Christdemokraten wurden erst 1964 gegründet, konnten aber anfänglich mit ihrer streng kultur- und moralkonservativen Linie kaum Wähler hinter sich vereinen. Der Stimmenanteil der Partei blieb über zwei Jahrzehnte bei allen Reichstagswahlen bei unter zwei Prozent. Erst als sich die Partei 1987 von Grund auf reformierte und sich auch in der Sozial- und Umweltpolitik engagierte, wurde sie auch für Wählerschichten abseits der Kirchen interessant. 1991 übersprangen die Christdemokraten erstmals die Vier-Prozent-Hürde und konnten sogleich einen Minister in der bürgerlichen Koalitionsregierung stellen. Auch in der nächsten bürgerlichen Regierung zwischen 2006 und 2014 stellten die Christdemokraten wieder einen Minister. Interessanterweise erzielen die Christdemokraten ihre besten Wahlergebnisse in Gnosjö, einem ländlichen Wahlkreis, der einen der höchsten Ausländeranteile im Land hat. Dort bemüht man sich extrem um die Integration der Zugezogenen. Der »Geist von Gnosjö«, Gnosjöandan, ist in ganz Schweden bekannt und beschreibt dieses Engagement. 1995 ließ ihn sich der Landkreis sogar markenrechtlich schützen.

Die Schwedendemokraten: Schwiegermutterlieblinge mit »Ausländer raus«-Politik