75265.png
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://d-nb.de abrufbar.
 
Für Fragen und Anregungen:
info@rivaverlag.de
 
Originalausgabe
4. Auflage 2016
© 2016 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Redaktion: Antje Steinhäuser/Dennis Sand
Umschlaggestaltung: Okan Boyraz
Umschlagabbildung: Sascha HEKS Haubold
Layout, Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
 
ISBN Print 978-3-86883-832-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-136-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-137-1
 
Weitere Infos zum Thema:
www.rivaverlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter:
www.muenchner-verlagsgruppe.de





Alles, was ich in diesem Buch erzähle, habe ich tatsächlich so erlebt. Da ich mit meiner Geschichte jedoch niemandem schaden möchte, habe ich einen großen Teil der Namen durch Pseudonyme ersetzt und auch einige Details abgeändert.

Inhalt


Intro
11.04.2012, Berlin
Kapitel 1
Peter Pan
Kapitel 2
Freier Fall nach oben
Kapitel 3
Nie wieder arbeiten
Outro
Berlin, Präsidentensuite des »Waldorf Astoria«, 2016
Nachwort von Arafat Abou-Chaker
Danke

Intro

11.04.2012, Berlin

Ein Ende ist immer auch ein Anfang, aber was versteht man schon von Anfängen, wenn man glaubt, am Ende zu sein? »Pack alles ein, Bruder«, rief Kay und schmiss mir eine Packung Mülltüten rüber. Er war extrem nervös und starrte dauernd aus dem Fenster.

Ich schaute mich in seiner kleinen Wohnung um. An den Wänden hingen neun Goldplatten, drei weitere waren an die Wand gelehnt. Es gab einen Tisch, auf dem ein Fernseher stand, und ein Bett. Mehr war hier nicht.

»Was soll ich denn einpacken, Dicka?«

»Alles, was wichtig ist«, sagte er und starrte wieder aus dem Fenster. Es war weit nach Mitternacht. Ich schaute mich noch einmal um, nahm dann die Goldenen Schallplatten und steckte sie in jeweils eine Mülltüte.

»Fertig«, sagte ich.

»Bruder, mein Vater müsste jeden Moment hier sein. Bitte, bitte geh noch mal runter und schau, ob da keine Araber stehen.«

»Du glaubst doch nicht wirklich, dass dich irgendjemand hier abstechen wird.«

Kay starrte weiter aus dem Fenster und spielte nervös an seiner Snapback rum.

»Du hast keine Ahnung.«

 

Ich ging vor die Haustür und zündete mir eine Kippe an. Richtiges Dreckswetter. Ich sah mich um. Die Straße war komplett leer. Vom Ku’damm hörte man ein paar besoffene Kinder rumgrölen und ein schwules Pärchen lief auf der anderen Straßenseite durch den Regen. Mehr war nicht los. Ich war mir nicht sicher, ob Kay nicht einfach paranoid geworden war in den letzten Wochen. Zu viele Partys, zu viele Abstürze. Aber was, wenn er recht hatte? In den letzten Wochen war so viel verschiedenes Zeug auf mich eingestürzt, dass ich keine Ahnung mehr hatte, was ich überhaupt noch glauben sollte.

Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen. Kay war zu diesem Zeitpunkt mein engster Freund. Und er stand gerade an seinem Fenster, starrte panisch auf die Straße und fürchtete um sein Leben. Ich sah mich noch einmal um. An der Straßenecke standen tatsächlich zwei Typen. Ich konnte sie nicht erkennen. Sie trugen Hoodies und hatten die Kapuzen aufgesetzt. Sie schauten in meine Richtung. Nach ein paar Sekunden zogen sie weiter.

»Ich werde hier noch paranoid«, dachte ich mir und griff nach meinem Handy. Kay rief an.

»Alles cool da unten?«

»Ja, Dicka, alles cool. Chill.«

 

»Oh Mann, Olli hätte schon längst da sein müssen.«

Ich schaute auf die Hauptstraße und sah einen Sportwagen um die Ecke biegen.

»Ich glaube, er kommt gerade«, sagte ich und legte auf.

Der schwarze Porsche hielt direkt vor mir, mitten auf dem Gehweg. Olli stieg aus. Kays Stiefvater. Seine grauen Haare waren komplett zurückgegelt. »Yo, Shindy, mein Lieber. Alles gut? Wo ist Kenneth, geht’s ihm gut?«

»Jaja, cool.«

Wir gingen zusammen hoch in die Wohnung.

»Na, endlich bist du mal da«, begrüßte Kay ihn. »Lass mal Sachen zusammenpacken und abhauen.« Wir griffen uns die Mülltüten mit den Goldenen Schallplatten und legten sie in meinen alten Audi A3, drei quetschten wir bei Olli in den Porsche auf die Rückbank. Wo noch Platz war, packten wir Müllsäcke voller Klamotten hin. Ich verstand nicht, warum wir hier drei Stunden auf ihn gewartet hatten. Er sollte uns helfen, Kays Sachen zu transportieren, und kam in seinem Porsche ohne Rücksitz und ohne Kofferraum an.

Andererseits hätte Kay auch gar keine Sachen gehabt, die man hätte transportieren können, aber das war mir in diesem Moment einfach egal.

»Ich fahre vor«, sagte Olli. »Wir treffen uns dann in Ulm.«

Kay und ich stiegen in mein Auto und rasten mit 190 Sachen über die Autobahn von Berlin Richtung Süden. Er therapierte mich die ganze Fahrt über. »Dicka, das war die beste Entscheidung unseres Lebens. Wir mussten das machen, wir mussten da weg. Wir lassen uns nicht ficken, Bruder. Niemand fickt uns.«

Ich nahm einen Schluck Red Bull, eine Zigarette und schaute auf die Straße. Es regnete immer noch. Ich überlegte, ob ich das Autoradio anmachen sollte. Einfach nur um den Redefluss von Kay etwas zu übertönen. Ich schaute ihn an. Er presste sich in den Beifahrersitz. Man merkte, wie es in ihm arbeitete.

»Ich bin kein Sklave.«

»Bist du auch nicht.«

 

Nach einer Stunde war er wieder etwas ruhiger geworden.

»Jetzt gibt es kein Zurück mehr«, sagte Kay.

Er hatte recht. Berlin war jetzt Geschichte.

 

Im Morgengrauen klingelte Kays Handy. Er hielt mir das Display hin: »Ari ruft an. Halt mal bei der nächsten Tanke«. Ich fuhr rechts ran, er stieg aus und rief Arafat zurück. Bevor er die Anruftaste drückte, bat er um mein Handy. Er wollte das Gespräch aufzeichnen. Ich bekam nicht mit, was die beiden besprachen. Ich hörte Ari nur durch das Telefon schreien, dass die halbe Raststätte davon wach wurde. Nach einiger Zeit stieg Kay wieder in den Wagen.

»Und?«, fragte ich.

»Ich habe alles aufgezeichnet. Es gibt jetzt kein Zurück mehr.« Er wiederholte das wie ein Mantra.

»Fahr weiter.«

Ein paar Minuten später klingelte sein Handy wieder. Bushido rief an. Die beiden telefonierten bestimmt eine Stunde. Es war ein relativ ruhiges Gespräch. Aber es endete ebenfalls damit, dass Bushido ins Telefon schrie.

»Weißt du was, du Bastard? Du bist einfach nur ein Bastard.« Dann legte er auf.

 

Wir näherten uns Ulm. Es war schon wieder hell draußen und der Regen hatte aufgehört. Dort setzte ich Kay in einer Gasse in der Innenstadt ab.

»Danke, Bruder. Ich melde mich, pass auf dich auf«, sagte er. »Wir lassen uns von niemandem ficken.«

»Okay, du auch, Dicka.«

»Mach dir keine Gedanken, ich habe jemanden, der uns hilft. Das wird alles wieder.«

Ich glaube, er sagte das mehr zu sich selbst als zu mir. Ich nahm einen letzten Zug von meiner Kippe, schnipste sie aus dem Fenster und warf einen Blick auf die Tankanzeige. Ich hatte nicht mal genug Geld in der Tasche, um noch einmal zu tanken. Ich hoffte, dass ich die Strecke bis nach Stuttgart noch schaffen würde. Bis nach Stuttgart. Bis nach Hause. Weiter konnte ich im Moment nicht denken. Ich hatte keine Ahnung, wie es jetzt für mich weitergehen sollte.

 

Mein Handy vibrierte Ich zog es aus meiner Jeans und öffnete die SMS, die ich bekommen hatte. Sie war von Bushido. »Ich hätte dir mehr zugetraut, als dass du gehst, ohne Danke zu sagen.« Bushido war richtig enttäuscht, das merkte man seiner SMS an.

»Ich wollte einfach gar nichts sagen, bis die Sache zwischen euch und Kay geklärt ist«, schrieb ich ihm zurück. Ohne zu ahnen, dass dieser Typ mich ein Jahr später zu einem verfickten Rapstar machen würde.