0 Inhalt
0 Einleitung
0.1 Konzeption und Anspruch des vorliegenden Buchs
0.2 Aufbau des vorliegenden Buchs
I Leichte Sprache: Konzept und Funktion
1 Leichte Sprache in soziolinguistischer Perspektive
1.1 Leichte Sprache im Varietätengefüge des Deutschen
1.1.1 Gebrauch/Reichweite
1.1.2 Medialität/Medienspezifik
1.1.3 Entstehung
1.1.4 Kodifizierung/Normiertheit
1.1.5 Erwerbsbedingungen
1.2 Sprachbewertung: Leichte Sprache als Provokation und Stigma
1.2.1 Leichte Sprache als Provokation
1.2.2 Leichte Sprache als Stigma
1.3 Funktionen Leichter Sprache
1.3.1 Partizipationsfunktion
1.3.2 Lernfunktion
1.3.3 Brückenfunktion
1.4 Zusammenfassung
2 Geschichtlicher Hintergrund und Genese der aktuellen rechtlichen Situation
2.1 Geschichte des Konzepts
2.1.1 Lesbarkeitsindizes
2.1.2 Regulierte Varietäten: Leichte Sprache und Plain English
2.1.3 Kommunikative Inklusion von Personen mit Behinderung
2.2 Rechtliche Grundlagen
2.2.1 Grundgesetz, Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
2.2.2 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)
2.2.3 Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV und BITV 2.0)
2.2.4 Nachteilsausgleich
2.3 Zusammenfassung
3 Regelwerke
3.1 Netzwerk Leichte Sprache
3.2 Inclusion Europe
3.3 BITV 2.0
3.4 Konvergenz und Divergenz zwischen den Regelwerken
3.4.1 Mediale und visuelle Gestaltung
3.4.2 Schriftzeichen
3.4.3 Morphologie
3.4.4 Lexik
3.4.5 Syntax
3.4.6 Semantik
3.4.7 Text
3.5 Prüfen
3.6 Kritische Würdigung
3.7 Regeltabelle
4 Verstehen und Verständlichkeit
4.1 Perzeption und Verstehen
4.1.1 Perzeption
4.1.2 Verstehen
4.2 Perzipierbarkeit und Verständlichkeit
4.2.1 Perzipierbarkeit
4.2.2 Verständlichkeit
4.2.2.1 Lesbarkeit
4.2.2.2 Lesefreundlichkeit
4.3 Verstehens- vs. Verständlichkeitsprüfung von Texten in Leichter Sprache
4.3.1 Prüfung von Perzeption und Verstehen
4.3.2 Prüfung von Perzipierbarkeit und Verständlichkeit
4.3.2.1 Automatisierte Prüfung
4.3.2.2 Prüfung über Korrektor(inn)en
4.4 Zusammenfassung
5 Adressat(inn)en von Texten in Leichter Sprache
5.1 Die Heterogenität der Adressatenschaft von Leichte-Sprache-Texten
5.2 Primäre Adressat(inn)en von Texten in Leichter Sprache
5.2.1 Heterogenität der primären Adressatenschaft von Texten in Leichter Sprache
5.2.2 Zur Terminologie: Lernschwierigkeiten vs. geistige Behinderung
5.2.3 Lernschwierigkeiten
5.2.4 Geistige Behinderung
5.2.5 Demenz
5.2.6 Prälinguale Hörschädigung / Gehörlosigkeit
5.2.7 Aphasie
5.2.8 Analphabetismus
5.2.9 Deutsch als Zweitsprache (DaZ)
5.3 Sekundäre Adressat(inn)en
5.3.1 Wahrnehmung von Leichte-Sprache-Texten durch sekundäre Adressat(inn)en
5.3.2 Lektüre von Leichte-Sprache-Texten durch sekundäre Adressat(inn)en
5.3.3 Umgang mit sekundären Adressat(inn)en von Leichte-Sprache-Texten
5.4 Indirekte Adressierung der primären Adressatenschaft
5.5 Adressatenzuschnitt – Möglichkeiten der Qualitätssicherung
5.6 Zusammenfassung
6 Übersetzen in Leichte Sprache
6.1 Einführung
6.2 Intralinguale Übersetzung im Feld der Übersetzungsdimensionen
6.3 Barrierefreie Kommunikation und Übersetzen in Leichte Sprache
6.4 Zum Common Ground zwischen Ausgangstextautor(inn)en und Zieltextadressat(inn)en
6.5 Übersetzungswissenschaftliche Ansätze
6.6 Äquivalenzbezogene Übersetzungsansätze und Übersetzen in Leichte Sprache
6.7 Übersetzungsregeln und Hilfsmittel
6.7.1 Übersetzungsregeln
6.7.2 Übersetzerische Hilfsmittel
6.7.2.1 Wörterbücher
6.7.2.2 Terminologiemangementsysteme
6.7.2.3 Translation-Memory-Systeme
6.7.2.4 Tools zur Verständlichkeitsprüfung
6.8 Handlungstheoretische Übersetzungsansätze und Übersetzen in Leichte Sprache
6.9 Rezeptionsweisen von Informationen in Leichter Sprache und deren Auswirkungen auf die Zieltexte
6.9.1 Rezeption durch eigenständige Lektüre
6.9.2 Rezeption durch auditive Perzeption
6.9.3 Rezeption in einer mündlichen Interaktionssituation mit anderen Personen
6.10 Zusammenfassung
II Struktur Leichter Sprache
7 Das Zeichensystem: Form – Inventar – räumliche Ordnung
7.1 Die Form der Schriftzeichen
7.1.1 Schrifttypen
7.1.2 Schriftgruppen
7.1.3 Schriftarten
7.1.4 Schriftauszeichnung
7.2 Das Inventar der Schriftzeichen
7.2.1 Buchstaben
7.2.2 Ziffern und Zahlen
7.2.2.1 Zahlen und Zahlwörter (Numeralia)
7.2.2.2 Zahlen und Zahlkonzepte
7.2.2.3 Zahlen in Maßangaben
7.2.3 Sonderzeichen
7.2.4 Interpunktionszeichen
7.2.4.1 Die syntaktischen Zeichen
7.2.4.2 Die kommunikativen Zeichen
7.2.4.3 Defektzeichen – Markierung von Inkohärenz/Unvollständigkeit
7.2.4.4 Das Inventar der Interpunktionszeichen – Standardsprache und Leichte Sprache im Vergleich
7.3 Typografie – die räumliche Ordnung der Schriftzeichen
7.3.1 Die typografischen Formate der Standardsprache
7.3.2 Das typografische Basisformat von Texten in Leichter Sprache
7.3.2.1 Typografische und syntaktische Struktur
7.3.2.2 Typografische und thematische Struktur
7.3.2.3 Linearität und Hyperstruktur
7.3.3 Zusammenfassung
7.4 Multikodalität und Bildlichkeit
7.4.1 Text-Bild-Relationen
7.4.1.1 Passung
7.4.1.2 Bezugsgrößen
7.4.1.3 Bezugsarten
7.4.1.4 Die Anordnung von Text und Bild – der „Split-Attention-Effekt”
7.4.2 Bildtypen
7.4.2.1 Abbilder
7.4.2.2 Visualisierungen
7.4.2.3 Karten
7.4.2.4 Piktogramme
7.4.3 Bildfunktionen
7.4.3.1 Zeigefunktion
7.4.3.2 Situierungsfunktion
7.4.3.3 Konstruktionsfunktion
7.4.4 Multikodalität in der Standardsprache
7.4.5 Zusammenfassung
8 Morphologie
8.1 Flexionsmorphologie
8.1.1 Nominale Flexion – Leichte Sprache als Drei-Kasus-System
8.1.1.1 Nominativ, Akkusativ und Dativ in Leichter Sprache
8.1.1.2 Der Genitiv und seine Ersatzkonstruktionen
8.1.1.3 Fazit
8.1.2 Verbale Flexion
8.1.2.1 Genus Verbi – Aktiv und Passiv
8.1.2.2 Modus – Indikativ und Konjunktiv
8.1.2.3 Tempus
8.1.3 Zusammenfassung
8.2 Wortbildung
8.2.1 Erweiterungsmuster – Komposition substantivischer Stämme
8.2.2 Der Bindestrich im Deutschen
8.2.3 Komplexe Wortstrukturen in Leichter Sprache
8.2.4 Zusammenfassung
9 Lexik
9.1 Der Wortschatz des Deutschen
9.1.1 Quantitäten
9.1.2 Qualitäten – Inhaltswörter und Funktionswörter
9.2 Inhalts- und Funktionswörter in Leichter Sprache
9.2.1 Inhaltswörter in Leichter Sprache
9.2.1.1 Fremdwörter
9.2.1.2 Fachwörter
9.2.1.3 Eigennamen
9.2.2 Funktionswörter in Leichter Sprache
9.2.2.1 Präpositionen
9.2.2.2 Artikel
9.2.2.3 Pronomen
9.2.2.4 Adverbien
9.3 Zusammenfassung
10 Syntax
10.1 Satzgefüge – Subordination
10.1.1 Relativsätze
10.1.2 Adverbiale Nebensätze
10.1.2.1 Konditionalität
10.1.2.2 Kausalität
10.1.2.3 Temporalität
10.1.2.4 Adversativität
10.1.2.5 Konzessivität
10.1.2.6 Finalität
10.1.3 Ergänzungssätze
10.1.4 Zusammenfassung
10.2 Satzreihen – Koordination
10.2.1 Die Art der Verknüpfung: Asyndese und Syndese
10.2.2 Die Verknüpfer
10.2.3 Die verknüpften Einheiten: Satzexterne und satzinterne Koordination
10.2.4 Das Verknüpfungsresultat: Distributive und nicht distributive Koordination
10.2.5 Zusammenfassung
10.3 Wortstellung
10.3.1 Die Satzklammer
10.3.2 Vorfeldbesetzung
10.3.3 Die Satzgliedabfolge im Mittelfeld
10.3.4 Zusammenfassung
11 Semantik
11.1 Frames bzw. Frames und Scripts
11.2 Semantische Phänomene jenseits des Einzelworts
11.3 Mentale Räume
11.3.1 Faktisches
11.3.1.1 Vergangenes
11.3.1.2 Räumlich Fernes
11.3.1.3 Fiktionales
11.3.1.4 Gegenstände und Ereignisse ohne räumliche, temporale oder fiktionale Verschiebung
11.3.1.5 Zusammenfassung
11.3.2 Potenzielles
11.3.2.1 Zukünftiges
11.3.2.2 Modales
11.3.2.3 Konditionales
11.3.2.4 Zusammenfassung
11.3.3 Kontrafaktisches
11.3.3.1 Irreale Konditionalität
11.3.3.2 Negation
11.3.3.3 Zusammenfassung
11.3.4 Metaphern
11.3.4.1 Zum Metaphernverbot bei Inclusion Europe und beim Netzwerk Leichte Sprache
11.3.4.2 Metaphern und Blending
11.3.4.3 Die Rolle der Metaphern im menschlichen Denken und Sprechen
11.3.4.4 Arten des Umgangs mit Metaphern
11.3.4.5 Zusammenfassung
11.4 Zusammenfassung
12 Text
12.1 Die Textebene in den Leichte-Sprache-Regelwerken
12.2 Eigenschaften von Texten
12.2.1 Begrenzung
12.2.2 Kohärenz
12.2.2.1 Grammatische Kohärenz
12.2.2.2 Thematische Kohärenz
12.2.3 Kommunikative Funktion
12.2.4 Ganzheit
12.3 Divergenzen zwischen Text- und Sprachstruktur
12.3.1 Reduktion und Addition
12.3.2 Zeichenebene
12.3.2.1 Interpunktion
12.3.2.2 Listen- statt Textmodus
12.3.2.3 Bilder in Leichte-Sprache-Texten
12.3.3 Morphologie
12.3.3.1 Flexionsmorphologie
12.3.3.2 Mittelfeldentlastung
12.3.3.3 Wortbildungsmorphologie
12.3.4 Lexik
12.3.4.1 Beschränkung der lexikalischen Vielfalt
12.3.4.2 Reduktion des Funktionswortschatzes
12.3.4.3 Umgang mit Fach- und Fremdwörtern
12.3.5 Syntax
12.3.5.1 Verzicht auf komplexe nominale Strukturen und Nebensätze
12.3.5.2 Satzgliedstellung
12.3.6 Semantik
12.3.6.1 Aufbau von Frames als additive Strategie
12.3.6.2 Reduktion bei den Spacebuildern
12.3.6.3 Darstellung von Kontrafaktizität ohne Konjunktiv
12.3.6.4 Auflösen von Implizitem
12.4 Strategien auf Textebene
12.4.1 Verfahren der typografischen Gestaltung
12.4.1.1 Zwischenüberschriften und Randglossen
12.4.1.2 Einrückungen
12.4.1.3 Listen
12.4.1.4 Einsatz von Bildern
12.4.2 Verfahren der Adressierung
12.4.2.1 Orientierung und direkte Adressierung der Adressat(inn)en
12.4.2.2 Höflichkeit
12.4.3 Verfahren der metakommunikativen Kommentierung
12.4.3.1 Explizite Benennung der Textfunktion
12.4.3.2 Verwendung von Textverweisen
12.4.3.3 Verfahren der Themenrahmung
12.5 Zusammenfassung
13 Strukturprinzipien Leichter Sprache
13.1 Die Kernfunktion Leichter Sprache
13.1.1 Verständlichkeit – Orientierung an der konzeptionellen Mündlichkeit
13.1.2 Perzipierbarkeit – Typografische und informationelle Aufbereitung
13.2 Leitprinzipien Leichter Sprache
13.2.1 Das Prinzip der Proximität
13.2.2 Das Prinzip der maximalen Explizitheit
13.2.3 Das Prinzip der Kontinuität
13.3 Die Struktur Leichter Sprache im Überblick
13.4 Leichte Sprache und Standardsprache im Vergleich – Isolation vs. Integration
14 Leichte Sprache – Einfache Sprache – Standardsprache
14.1 Einfache Sprache und Leichte Sprache – Abgrenzungen
14.2 Konstruktionsprinzipien Einfacher Sprache
14.2.1 Modellbildung
14.2.2 Orientierungskriterien
14.2.3 Ableitungsrichtung
14.2.4 Addition und Reduktion / Auf- und Abbau
14.3 Sprachliche Komplexität als Kontinuum – Verfahren der Anreicherung
14.3.1 Kategoriale Anreicherungsskalen
14.3.2 Kategorieninterne Anreicherungsskalen
14.3.3 Interrelationen
14.4 Typografische Komplexität als gestuftes Kontinuum
14.4.1 Mikrostruktur
14.4.2 Makrostruktur
14.4.3 Multikodalität/Bilder
14.4.4 Schriftzeichen – Form und Inventar
14.5 Textpragmatik
14.6 Zusammenfassung
Literatur
0 Einleitung
Die vielfältigen Funktionen, die die schriftliche Kommunikation in literalen Gesellschaften erfüllen muss, führen zu immer komplexer werdenden Vertextungspraktiken, die sich zu je spezifischen Textmustern und Textsorten verdichten. Je länger eine Diskurstradition besteht, desto verdichteter und damit undurchdringlicher werden die Konventionen, die sie stabilisieren und sichern. Das reicht bis hin zu Spezialdiskursen, die überhaupt nur noch von einer kleinen Gruppe von Experten rezipiert und verstanden werden können. Das Textuniversum literaler Gesellschaften ist damit notwendig und konstitutiv exkludierend: Kein Gesellschaftsmitglied verfügt über eine umfassende Literalitätskompetenz, wenn darunter die Fähigkeit verstanden wird, sämtliche Textkonventionen und -traditionen zu kennen und sie aktiv für die Produktion und für die Rezeption von Texten zu nutzen.
Um dennoch für umfassendere Partizipationsmöglichkeiten zu sorgen, unterhalten literale Gesellschaften eine reiche intralinguale Übersetzungspraxis, die Informationen aus Fachtexten für ein breiteres Publikum aufbereitet (etwa Wissenschaftsjournalismus, Experten-Laien-Kommunikation, Lehrwerke etc.).
In diese Tradition lässt sich auch die Leichte Sprache stellen. Im Gegensatz zu durchschnittlich sozialisierten Gesellschaftsmitgliedern ist bei den Zielleser(inne)n von Leichte-Sprache-Texten die Zugänglichkeit zu Texten jedoch maximal eingeschränkt: Als ungeübte Leser(innen) verfügen sie nicht über hinreichende Texterfahrung; insgesamt können sie kaum auf die konzeptionelle Schriftlichkeit als Wissensressource beim Lesen zurückgreifen; darüber hinaus ist teilweise auch die Sprachfähigkeit, die visuelle oder die auditive Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt.
Leichte Sprache greift deshalb tiefer als alle anderen Formen der didaktischen Informationsaufbereitung in die Ausgangsstrukturen ein.
0.1 Konzeption und Anspruch des vorliegenden Buchs
Gegenwärtig ist Leichte Sprache noch weitgehend ein Praxisphänomen. Sie wurde aus der Behindertenrechtsbewegung heraus entwickelt und in den vergangenen Jahren vor allem von den Mitgliedern des Netzwerks Leichte Sprache getragen. Auch die gegenwärtigen Regelwerke sind überwiegend aus der Praxis heraus entstanden.
Inzwischen hat Leichte Sprache eine rechtliche Abstützung erfahren: Gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention, die 2009 auch in Deutschland in Kraft getreten ist, haben Personen mit Kommunikationseinschränkungen ein Recht auf barrierefreie Kommunikation. In der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) von 2011 wird Leichte Sprache neben der Gebärdensprache als Mittel der Wahl zur Umsetzung dieses Anspruchs postuliert.
Die Praxis-Regelwerke halten dem daraus erwachsenden Erfordernis nach Übersetzung auch fachlicher Texte in Leichte Sprache jedoch noch nicht stand. Die Regeln sind intuitiv konzipiert und bieten bislang keinen ausreichend präzisen Rahmen.
Ein Beispiel: Metaphern sollen gemäß den Regelwerken von Inclusion Europe (2009) und des Netzwerks Leichte Sprache (BMAS 2013) vermieden werden. Das ist zunächst ein intuitiver Befund, der gut mit Forschungsergebnissen der kognitiven Linguistik konvergiert – die Verarbeitung von Metaphern ist nachweislich kognitiv anspruchsvoll. Dennoch ist ein generelles Metaphernverbot nicht umsetzbar, denn Metaphern gehören fest zum System einer jeden, auch der Leichten Sprache; etwa werden in der Standardsprache ebenso wie in der Leichten Sprache lokale Metaphern gebraucht, um temporale Konzepte auszudrücken (vor drei Stunden, in drei Minuten, am 7. Dezember). Das Metaphernverbot muss also präzisiert werden: Welche Arten von Metaphern bereiten Probleme und wie ist mit ihnen umzugehen? Welche Metaphern sind verzichtbar, welche nicht? Übersetzer(innen) brauchen darüber hinaus eine Orientierung für ihre Textpraxis: Was tun, wenn im Ausgangstext Metaphern erscheinen?
Und so ist Leichte Sprache auch ein Forschungsdesiderat: Es bedarf einer wissenschaftlich fundierten Analyse der bestehenden Regelwerke, um konkrete Regelhypothesen aufstellen zu können, die im nächsten Schritt einer empirischen Prüfung zu unterziehen sind. Ziel ist es dabei, jenseits der Vertextungspraxis das System der Leichten Sprache greifbar zu machen: Wir gehen davon aus, dass Leichte Sprache eine regulierte Varietät des Deutschen und folglich auf allen Ebenen des Sprachsystems linguistisch beschreibbar ist. Das vorliegende Buch liefert hierzu einen Beitrag.
Einen wichtigen Ausgangspunkt bilden für uns die allgemein zugänglichen Praxis-Regelwerke der Leichten Sprache: die Regeln des Netzwerks Leichte Sprache (BMAS 2013), von Inclusion Europe (2009) sowie die in Anlage 2 der BITV 2.0 formulierten Vorgaben für die Bereitstellung von Informationen in Leichter Sprache. Diese Regelwerke stellen wir in ihrer Leistung, aber auch in ihren Grenzen dar. Wir nehmen jeweils zunächst die Gültigkeit der postulierten Regeln an und untersuchen im nächsten Schritt, welche Konsequenz die jeweilige Regel für das System der Leichten Sprache hat und inwiefern sie ggf. zu modifizieren ist. Dabei gehen wir von der kontrastiv-linguistischen Perspektive aus und beschreiben das System der Leichten Sprache auf der Folie der deutschen Standardsprache. Der Blick auf die Standardsprache bleibt dabei naturgemäß selektiv. Im Fokus steht die Frage, was diejenigen sprachlichen Mittel, die durch die Regeln der Leichten Sprache beschnitten werden, in der Standardsprache leisten. Was leistet der Genitiv? Was Konjunktiv oder Präteritum und was die Negation? Welche kompensatorischen Mittel stehen zur Verfügung, wenn Leichte Sprache ohne diese Kategorien auskommen muss? Stehen diese kompensatorischen Mittel möglicherweise im Gegensatz zu anderen Regeln? Der Genitiv beispielsweise erscheint häufig in komplexen Nominalphrasen (das aktuelle Problem der jungen Generation) ; und sowohl der Genitiv als auch komplexe nominale Strukturen sind in Leichter Sprache verboten. In der Standardsprache können komplexe Nominalphrasen in Nebensatzkonstruktionen aufgelöst werden (das Problem, das die junge Generation gegenwärtig hat). Gemäß den Regelwerken enthalten Sätze in Leichter Sprache jedoch nur eine Aussage, Nebensätze sind nicht lizenziert. Dieses kompensatorische Mittel der Standardsprache zur Auflösung komplexer Nominalphrasen mit Genitiv kollidiert daher in Leichter Sprache mit einer anderen Regel. Der Wegfall des Genitivs ist folglich in Leichter Sprache nicht leicht zu kompensieren, da auf allen Ebenen nur ein reduzierter Inventarbestand zur Verfügung steht. Bei der möglichen Übersetzung der vorliegenden Konstruktion, die junge Generation hat gegenwärtig ein Problem, bleibt die Verwendung von gegenwärtig als typisch schriftsprachlich geprägter und morphologisch komplexer Ausdruck kritisch. Es stellt sich also immer wieder und auf allen Ebenen die Frage, welche Mittel eingesetzt werden können, um Ersatz für standardsprachliche Strukturen zu finden, die nicht zum System der Leichten Sprache gehören. Dieser Frage wird im vorliegenden Buch systematisch nachgegangen, denn ihre positive Beantwortung ist die Grundlage für den Nachweis, dass mit Leichter Sprache eine funktionierende, wenngleich eingeschränkte Varietät des Deutschen vorliegt.
Unsere Studie baut auf der Forschungsliteratur zu unterschiedlichen Gegenstandsbereichen auf. Dabei kann ein Projekt dieser Breite keine Vollständigkeit erreichen. Ziel ist es vielmehr, Anknüpfungspunkte zu unterschiedlichen Disziplinen und Themenbereichen aufzuzeigen, die es ermöglichen, Leichte Sprache angemessen zu konzeptualisieren. Zentral ist für uns die linguistische Forschungsliteratur zu den einzelnen behandelten Themenbereichen (Soziolinguistik, Morphologie, Syntax, Semantik etc.). Neben der im engeren Sinne linguistischen Literatur beziehen wir uns auf die Verständlichkeitsforschung aus der Psychologie und der Fachkommunikationsforschung. Hinzu kommt die Forschung, die sich mit den Verstehensvoraussetzungen und Kommunikationseinschränkungen der unterschiedlichen Adressatengruppen von Leichter Sprache beschäftigt. Ein solcher Ansatz läuft im gegenwärtigen Diskurs Gefahr, als defizitorientiert wahrgenommen zu werden, eine Zugriffsweise, die sich zunehmend in der Kritik sieht. Wir halten diese Vorgehensweise dennoch für geboten, da es für eine präzise Fassung der Regeln notwendig ist, die Kommunikationsbedürfnisse der Adressatenschaft möglichst genau zu kennen.
Manche Regeln Leichter Sprache beschneiden das System der Standardsprache in einer Weise, die für die Leser(innen) an der Grenze der Akzeptabilität liegt. Ein Beispiel ist der Verzicht auf Personalpronomina der dritten Person in anaphorischer Funktion (Karla durfte die Katze füttern. Sie weinte vor Glück. / Sie war schon ganz ausgehungert): Dieser Verzicht stellt einen schwerwiegenden Texteingriff dar, der einer guten Begründung bedarf. Die Forschung zu unterschiedlichen Formen von Behinderung (Demenz, prälinguale Hörschädigung) hat jedoch erwiesen, dass Personen mit diesen Behinderungsbildern mit pronominalen Anaphern häufig erhebliche Schwierigkeiten haben, so dass der Verzicht auf pronominale Anaphern als gerechtfertigt erscheint. Auch allgemeine kognitiv-linguistische Studien stützen den Befund, dass pronominale Anaphern schwer zu prozessieren sind.
Nicht nur hier, sondern auch bezüglich anderer Phänomene erweist sich, dass in der Forschung disziplinenübergreifend eine hohe Konvergenz mit den Leichte-Sprache-Regeln besteht: Negation, Präteritum, Abstrakta, peripherer Wortschatz oder Wörter und Sätze jenseits einer bestimmten Länge, die in den Regelwerken indiziert sind, werden auch in unterschiedlichen Forschungsansätzen als kognitiv anspruchsvoll herausgestellt. Insofern steht die Forschung zu Leichter Sprache, anders als zunächst zu vermuten wäre, nicht ganz am Anfang, sondern kann sich auf einen reichen Ertrag aus den genannten Disziplinen stützen. Es zeigt sich darüber hinaus auch, dass die Regelwerke in einer robusten Tradition des Verständlichmachens von Texten stehen und bei all ihren Grenzen als Ausgangspunkt für die linguistische Betrachtung durchaus geeignet sind.
Die Aussagen, die wir formulieren, haben selbst nicht den Status von Regeln. Es handelt sich vielmehr um Hypothesen und Konsequenzen aus den Annahmen der Regelwerke und der einschlägigen Forschung unter Beachtung der Interrelation der bestehenden Regeln. Nur eine Aussage pro Satz zuzulassen bedeutet, dass satzinterne Koordination und Subordination nicht möglich sind. Dies wiederum zieht es nach sich, dass das Komma nicht zum System der Leichten Sprache gehört und das System der Interpunktionszeichen in Leichter Sprache mithin von dem der Standardsprache abweicht. Aus den Verschränkungen der Regeln untereinan der leiten sich Erkenntnisse über das System Leichter Sprache ab, das sich entlang der unterschiedlichen sprachlichen Ebenen beschreiben lässt.
Die Orientierung an den Regelwerken bringt es dabei mit sich, dass manche Regeln in unterschiedlichen Kapiteln, aber jeweils unter anderem Fokus behandelt werden. Die Regel „Nur eine Aussage pro Satz“ hat, wie eben ausgeführt, Auswirkungen auf unterschiedliche Sprachebenen (mindestens Syntax, Interpunktion und Text) und wird folglich mehrfach wieder aufgegriffen. Andere Regeln, insbesondere aus der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, fassen Phänomene ganz verschiedener Art in jeweils einer Regel zusammen, so dass die entsprechenden Verweise mehrfach im Text erscheinen müssen.
Die Hypothesen und Konsequenzen, die aus der forschungsgeleiteten Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Regeln erwachsen, formulieren wir möglichst präzise und fassen sie in den Kapiteln jeweils in möglichst übersichtlicher Form zusammen. Die Ausführungen haben damit zwar nicht den Status von Übersetzungsregeln, aber sie können, solange sie nicht empirisch widerlegt sind, in der konkreten Übersetzungspraxis zur Konsultation genutzt werden, so dass sich das vorliegende Buch durchaus auch als Nachschlagewerk für Übersetzer(innen) lesen lässt, die sich für schwierige Fragen Orientierung holen wollen. Die Kapitel sind kleinteilig untergliedert; zusammen mit den intensiven buchinternen Verweisungen erleichtert diese Struktur das Nachschlagen auch in ganz praktischer Hinsicht.
Wir arbeiten durchgehend mit einer Vielzahl von Beispielen, um die beschriebenen Phänomene zu illustrieren. Die Exemplifizierung entspricht dabei jeweils den Erfordernissen des Gegenstands, so dass sowohl empirische als auch, wie in der germanistischen Grammatiktheorie durchaus üblich, konstruierte Beispiele verwendet werden. Konstruierte Beispiele kommen dabei überwiegend dort zum Einsatz, wo sprachliche Einzelphänomene dargestellt werden, denn diese treten in einem komplexitätsreduzierten konstruierten Beispiel oft deutlicher hervor als in empirischen Belegen, die sich in ihrer Komplexität kaum je auf ein einzelnes Problem reduzieren lassen. Immer dann, wenn die Textebene in den Blick kommt (bei uns insbesondere in den Kap. 6, 7 und 12), greifen wir tendenziell auf empirische Belege zurück, denn dann geht es häufig gerade darum, Komplexität fassbar zu machen. Manche empirischen Beispiele nehmen dabei die Ausgangstexte zur Grundlage und konstruieren Musterlösungen in Leichter Sprache, andere reflektieren publizierte Leichte-Sprache-Übersetzungen unterschiedlicher Provenienz.
0.2 Aufbau des vorliegenden Buchs
Das Buch gliedert sich in zwei Großkapitel: Im ersten Großkapitel werden Konzept und Funktion, im zweiten wird die Struktur Leichter Sprache beschrieben.
Großkapitel I: Leichte Sprache – Konzept und Funktion
In Großkapitel I wird Leichte Sprache im gesellschaftlichen Kontext verortet: Wir beschreiben ihre soziolinguistische und rechtliche Situierung, ihre historische Genese und ihren aktuellen Regulierungszustand, Profil und Bedürfnisse der Adressatenschaft und schließlich die angemessene und funktionsgerechte Erstellung von Texten in der konkreten Übersetzungspraxis.
Kapitel 1 Leichte Sprache in soziolinguistischer Perspektive stellt dar, welche Ausprägung Leichte Sprache unter den Varietäten des Deutschen hat und wie sie von den gesellschaftlichen Akteuren wahrgenommen wird. Leichte Sprache wird als regulierte Varietät des Deutschen mit einem charakteristischen soziolinguistischen Profil beschrieben. Wir zeigen die Überschneidungen zu Xenolekten einerseits und zu Plansprachen andererseits auf und belegen, dass die Leichte Sprache insgesamt ein untypisches variationslinguistisches Profil aufweist. Dieses Profil bringt es mit sich, dass die Personen, die auf Leichte Sprache angewiesen sind, sich potentiell einer Stigmatisierung ausgesetzt sehen, während sich privilegierte Gesellschaftsgruppen in teils scharfer Form von ihr abgrenzen. Außerdem arbeiten wir heraus, welche Funktionen Leichte Sprache für die Adressat(inn)en und die Interaktion mit ihnen hat, und formulieren im Vorgriff auf die folgenden Kapitel Hypothesen, wie ihr diesbezügliches Potenzial nutzbar wird.
Kapitel 2 Geschichtlicher Hintergrund und Genese der aktuellen rechtlichen Situation verortet das Konzept der Leichten Sprache im Diskurs der Bemühungen um politische Teilhabe. Die Inklusionsbewegung, deren Instrument Leichte Sprache ist, versteht sich einerseits als gesellschaftliche Kraft, ist aber andererseits inzwischen ein Rechtsgegenstand, so dass sich für Personen mit Behinderung konkrete Ansprüche ableiten, auch mit Blick auf die Leichte Sprache. Wir gehen hier u. a. auf den Nachteilsausgleich ein, in dessen Rahmen Leichte Sprache bereits als Mittel der Wahl implementiert ist. Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt die Entwicklung und zugleich die Entwicklungspotenziale von sprachlichen Erleichterungssystemen in heterogenen Sprachgemeinschaften.
Kapitel 3 Regelwerke nimmt die bestehenden, öffentlich zugänglichen Regelwerke in den Blick. Diese beruhen weitgehend auf erfahrungsnahen Intuitionen, die sich als überwiegend gut herausstellen werden: Die meisten Regeln haben, wie sich insbesondere im zweiten Großkapitel zeigen wird, zumindest einen „wahren Kern“, d. h. eine gewisse Grundplausiblität und Relevanz. Andererseits sind die Regeln, wie bereits eingangs ausgeführt, überwiegend wenig präzise und häufig übergeneralisierend; beide Aspekte sollen aufgezeigt und darüber hinaus Konvergenz und Divergenz der diskutierten Regelwerke herausgearbeitet werden.
Kapitel 4 Verstehen und Verständlichkeit setzt sich mit der kognitionswissenschaftlichen, psychologischen bzw. kognitiv-linguistischen und fachkommunikationswissenschaftlichen Verstehens- und Verständlichkeitsforschung auseinander. Dabei nehmen wir zunächst die Leser(innen) in den Blick und stellen dar, wie Perzipieren und Verstehen von Texten funktioniert und inwiefern diese Prozesse bei der Leichte-Sprache-Leserschaft beeinträchtigt sein können. Aus der Perspektive der Texte identifizieren wir Perzipierbarkeit und Verständlichkeit als Grundkonstanten Leichter Sprache, die auf allen Ebenen des Sprachsystems einzulösen sind und deren Realisierung zusätzlich Gestaltungsvorgaben für die Oberfläche konkreter Leichte-Sprache-Texte nach sich zieht.
Kapitel 5 Adressat(inn)en von Texten in Leichter Sprache wendet sich den intendierten Nutzergruppen von Leichte-Sprache-Texten zu. Personen mit Kommunikationsbehinderungen haben ein Recht darauf, dass ihnen Texte in Leichter Sprache angeboten werden. Die Regeln Leichter Sprache müssen sich an den Kommunikationsbedürfnissen dieser Adressatenschaft ausrichten. Darüber hinaus gibt es weitere Personengruppen, die aufgrund ihrer eingeschränkten Lesefähigkeit ebenfalls auf Leichte Sprache angewiesen sind, ohne dass sie einen Rechtsanspruch auf Kommunikationserleichterung hätten. Das Kapitel gibt einen Abriss über die potenziellen Adressat(inn)en Leichter Sprache und die charakteristischen Einschränkungen, die zu einer Erschwernis bei der Rezeption standardsprachlicher Texte führen. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass es auch indirekte Adressierungen unterschiedlicher Art gibt: sekundäre Adressat(inn)en, die keine Beschränkung der Lesefähigkeit haben, Leichte-Sprache-Angebote in fachlichen Kontexten aber gern wahrnehmen, und Expert(inn)en, die im Umgang mit der primären Adressatenschaft Leichte-Sprache-Texte als Kommunikationsbausteine einsetzen.
Kapitel 6 Übersetzen in Leichte Sprache wendet den Blick auf die Übersetzungstheorie und beschreibt Leichte Sprache als Gegenstand der Übersetzungswissenschaft. Übersetzen in Leichte Sprache wird als überwiegend intralingual und intrakulturell sowie teilweise intersemiotisch beschrieben. Wir loten äquivalenzbezogene und handlungstheoretische übersetzungswissenschaftliche Ansätze mit Blick auf ihre Anwendbarkeit auf das Übersetzen in Leichte Sprache aus. Äquivalenzbezogene Ansätze stützen die Entwicklung von Übersetzungsregeln und übersetzerischen Hilfsmitteln – beides drängende Desiderate der übersetzungswissenschaftlichen Leichte-Sprache-Forschung. Handlungstheoretische Ansätze eröffnen einen Blick auf die Funktionalität der Zieltexte in der Zielsituation, machen unterschiedliche Ausprägungen des Verhältnisses von Ausgangs- und Zieltext plausibel und schärfen den Blick für unterschiedliche Entstehungs- und Rezeptionsformen der Zieltexte.
Großkapitel II: Struktur Leichter Sprache
In Großkapitel II wird die Struktur Leichter Sprache entlang der unterschiedlichen Ebenen des Sprachsystems von der Zeichen- bis zur Textebene beschrieben.
Dabei wird die aktuelle Regulierungspraxis auf der Grundlage der Vorannahmen aus dem ersten Teil evaluiert, modifiziert und präzisiert. Dies erlaubt es uns im Anschluss, allgemeine Strukturprinzipien Leichter Sprache zu beschreiben, die sie als funktionale Varietät des Deutschen charakterisieren, und Leichte Sprache im Feld komplexitätsreduzierter Varietäten zu verorten.
Kapitel 7 Zeichensystem untersucht die in Leichter Sprache zur Verfügung stehenden Zeichen, wobei zunächst symbolische, weiterführend aber auch indexikalische und insbesondere ikonische Zeichen in den Blick genommen werden. Durch die besonderen Anforderungen an die Perzipierbarkeit von Leichte-Sprache-Texten einerseits und die Komplexitätsreduktion bei den syntaktischen Mitteln andererseits gewinnt die räumliche Ordnung der Zeichen durch die Typografie besondere Bedeutung. Das Erfordernis nach der Erläuterung und Veranschaulichung bei gleichzeitig begrenzter Aufnahmekapazität der Rezipient(inn)en hat wiederum Konsequenzen für den Einsatz von Bildern in Leichte-Sprache-Texten, die in diesem Kapitel beschrieben werden.
Kapitel 8 Morphologie beschreibt die Auswirkungen, die sich aus der Anwendung der Leichte-Sprache-Regeln auf die Flexions- und Wortbildungsmorphologie ergeben. Leichte Sprache wird durch den Wegfall des Genitivs zum Drei-Kasus-System; auch die Verbalflexion ist reduziert: Leichte Sprache ist ein Zwei-Tempus-System (Präsens, Präsens Perfekt), ein Ein-Modus-System (Indikativ) und ein Ein-Genus-Verbi-System (Aktiv). Die Reduktionen folgen dabei systematisch beschreibbaren Markiertheitshierarchien. Das Kapitel thematisiert Herausforderungen und Lösungsansätze, die sich durch die Reduktionen flexionsmorphologischer Formen bei der Übersetzung in Leichte Sprache ergeben. Bei der Wortbildungsmorphologie konzentrieren wir uns auf das im Deutschen höchst produktive Wortbildungsmittel der Komposition. Weil lange Komposita die Perzeption und das Verstehen von Wörtern erschweren, wird in den Regelwerken durchgängig eine Trennung der Kompositionsbestandteile durch den Bindestrich vorgeschlagen. Wir setzen uns mit diesem Vorschlag in orthografietheoretischer und psycholinguistischer Perspektive auseinander und schlagen mit dem Mediopunkt einen alternativen, weniger belasteten Segmentierungsmarker vor.
Kapitel 9 Lexik versucht die Frage zu beantworten, wie die Regel, Leichte-Sprache-Texte sollten „einfache“ (BMAS 2013) bzw. „leicht verständliche Wörter“ (Inclusion Europe 2009) verwenden, dahingehend präzisiert werden kann, dass sie jenseits der individuellen Intuition operationalisierbar wird. Dabei identifizieren wir auf der Basis der Prototypentheorie Kriterien, die es erlauben, überindividuelle Entscheidungen für die Wortauswahl für Leichte-Sprache-Texte zu treffen. Die Verwendung von Fremdwörtern, Fachwörtern und Eigennamen sowie strukturelle und konzeptionelle Erfordernisse an Worterklärungen in Leichter Sprache werden gesondert diskutiert. Darüber hinaus gehen wir auf Funktionswörter, insbesondere auf Präpositionen, Artikel, Pronomen und Adverbien ein, die in Leichter Sprache jeweils ein spezifisches Funktionsprofil aufweisen.
Kapitel 10 Syntax zeigt die Auswirkungen auf, die sich aus dem Subordinations- und Koordinationsverbot für das System der Leichten Sprache ergeben: Leichte Sprache verfügt ausschließlich über autonome Einzelsätze, mit denen auch Konzepte ausgedrückt werden müssen, die in der Standardsprache über Nebensätze oder Koordinationskonstruktionen versprachlicht werden. Wir diskutieren, wie mit Nebensätzen aus Ausgangstexten umgegangen werden kann, und machen konkrete Vorschläge für die Reformulierung unterschiedlicher Arten von Relativsätzen, adverbialen Nebensätzen und Ergänzungssätzen. Bei den Koordinationskonstruktionen nehmen wir die in Leichter Sprache erlaubten Konjunktionen in den Blick und zeigen auf, welche Konsequenzen ihre Verwendung für die Textkonstruktion hat. Zuletzt skizzieren wir Probleme, die mit der Wortstellung verknüpft sind: Thematisiert wird die Klammerstruktur deutscher Sätze, die für die Leichte-Sprache-Leserschaft eine Herausforderung darstellen kann, sowie die variable Vorfeldbesetzung im Spannungsfeld zwischen Verstehensanforderungen und den Anforderungen an eine plausible textuelle Themenführung.
Kapitel 11 Semantik beschreibt die Anforderungen an Leichte Sprache, die sich daraus ergeben, dass in standardsprachlichen Texten Frames und Scripts aktiviert werden, die den Adressat(inn)en von Leichte-Sprache-Texten nicht zur Verfügung stehen. Thematisiert wird außerdem, wie standardsprachlich etablierte Wirklichkeitsentwürfe (etwa Fiktionalität, Potenzialität, Kontrafaktivität) in Leichter Sprache wiedergegeben werden können. Mit Fauconniers Modell der mentalen Räume wird die kognitive Komplexität dieser Gegenstände greifbar; es eröffnen sich aber zugleich auch Pfade für mögliche Überträge in Leichte Sprache. Auf der Basis der Metapherntheorie von Fauconnier/Turner wird außerdem die Verwendung bzw. das Erfordernis der Vermeidung von Metaphern in Leichter Sprache diskutiert.
Kapitel 12 Text eröffnet dann den Blick auf die Konsequenzen, die sich einerseits aus der Regelreduktion und andererseits aus den additiven Verfahren wie beispielsweise Erläuterungen für die Textebene ergeben. Die Ausprägung von Leichter Sprache auf den anderen sprachlichen Ebenen steht dabei zunächst einmal in deutlichem Widerspruch zu den Anforderungen der Textebene. Es zeigt sich, dass die Leichte-Sprache-Regeln zwar lokal die Verständlichkeit erhöhen, dass dies jedoch dramatische Auswirkungen auf globale Texteigenschaften wie Kohäsion, thematische Entfaltung oder auch Ausprägung von Textsorten hat. Die Textebene bedarf mithin eigener Anreicherungsstrategien, die lokale Reduktions- und Additionsverfahren zumindest teilweise kompensieren. Entsprechend bringen wir Vorschläge für eine Gestaltung der Textebene Leichter Sprache ein.
Kapitel 13 Strukturprinzipien Leichter Sprache eröffnet in der Zusammenschau den Blick auf die Kernfunktion und die Prinzipien Leichter Sprache und gestattet es, das Profil dieser Varietät in Abgrenzung vom Standard präzise kategorial zu fassen. Als Leitprinzipien identifizieren wir das Prinzip der Proximität im Bühler’schen Sinne, das Prinzip der maximalen Explizitheit und das Prinzip der Kontinuität, die auf allen sprachlichen Ebenen wirksam werden. Sprachtypologisch wird Leichter Sprache mit ihrer Tendenz zur Degrammatikalisierung das Format einer isolierten Sprache bzw. Varietät zugewiesen.
Kapitel 14 Leichte Sprache – Einfache Sprache – Standardsprache misst dann den Raum zwischen den beiden Polen Standardsprache und Leichte Sprache aus und verortet dort das Konzept der Einfachen Sprache, die als Kontinuum entworfen wird. Wir schlagen hier Verfahren vor, mit denen Texte gegenüber dem Standard dynamisch und individuell vereinfacht werden bzw. umgekehrt Texte gegenüber der Leichten Sprache sowohl sprachlich als auch typografisch sukzessive angereichert werden können, um zu einem begründeten Kontinuum von sprachlichen und typografischen Leichtigkeitsgraden zu gelangen.
In Großkapitel II folgen wir dem Prinzip vom Kleinen zum Großen. Die behandelten Phänomene greifen allerdings auch auf andere Weise ineinander, so dass auch andere Abfolgen der Kapitel denkbar gewesen wären. In Kap. 7 und Kap. 9 geht es um das Inventar der Leichten Sprache, in Kap. 8 und Kap. 10 um die grammatischen Strukturen. Aus dieser Perspektive hätte sich eine Abfolge Zeichensystem/Lexik als Inventar und Morphologie/Syntax als Grammatik ergeben.
Unsere Entscheidung hat jedoch gute Gründe, die sich unmittelbar aus dem Gegenstand Leichte Sprache ergeben: Das Fehlen von Mitteln und Strukturen auf den unteren Ebenen wirkt sich auf die jeweils höhere Ebene aus. Aus der Beschreibung der unteren Ebenen ergibt sich mithin das für die oberen Ebenen zur Verfügung stehende Material.