Vorwort


Sind Sie in Ihrem Leben nicht dort, wo Sie hinmöchten? Das könnte ein Grund sein, warum Sie dieses Buch in die Hand genommen haben. Vielleicht haben Sie einen Misserfolg zu beklagen, sind unzufrieden oder sogar unglücklich? Auch möglich, dass Sie ein hohes Ziel anstreben, das Ihnen sehr am Herzen liegt. Möglicherweise sind Sie aber einfach neugierig, wie man auf den Verlauf seines Lebens Einfluss nehmen kann. Denn inwiefern Genetik, Erziehung, Schicksal, Tüchtigkeit und Glück eine Rolle in unserem Leben spielen, ist in der Tat rätselhaft.

Ich selbst kann von mir sagen, dass ich ein glückliches, unkompliziertes Leben führe. Wesentliches habe ich erreicht und mein Leben verläuft auf Kurs. Das soll nicht heißen, dass noch Träume offen sind. Doch betrachte ich dies eher als Normalzustand und keineswegs als Grund, unglücklich zu sein. Meine Erfahrung sagt mir, dass mir auch der Rest noch zufallen wird. Wobei bis dann wohl schon wieder neue Ziele auf meiner Liste stehen werden.

Das war allerdings nicht immer so. Es gab in meinem Leben lange Phasen der Verwirrung, Stagnation, Unzufriedenheit und dem Ringen um die richtige Perspektive. Einige Kapitel endeten gar desaströs und ich bin glücklich, dass sie vorüber sind. Die Wende trat ein, als ich aufhörte, mich um Erfolg, Wohlstand, gute Beziehungen, Glück und all jene Dinge zu bemühen, denen viele von uns beflissen nacheifern.

Ich hörte damit auf, weil meine Anstrengungen ganz einfach nicht das gewünschte Ergebnis erbrachten. Es schien „dem Leben“ egal zu sein, wie ich mich benahm und strampelte; die Weichenstellungen erfolgten offenkundig nach anderen Kriterien jenseits meines Einflusses. Manchmal fühlte ich mich wie in einem Auto, das nach rechts fuhr, wenn ich das Steuerrad nach links drehte; wenn ich Gas gab, bremste es. Während vieles misslang, worum ich mich redlich bemüht hatte, fielen mir Erfolge auch immer wieder völlig unverdient in den Schoß. Ich hatte mehr als genug Gründe, an der Gerechtigkeit des Lebens zu zweifeln. Einen Buchtitel wie „Steuere dein Leben“ hätte ich mit einem ironisch-neidischen Lächeln quittiert.

Eines fand ich aber bald heraus, auch wenn ich es lange nicht wahrhaben wollte: Ohne „mich“ gelang vieles besser. Mit „mich“ meine ich einen Teil von mir, und zwar den seriösen, gewissenhaften, engagierten, perfekten, der sich bemühte und an Normen und Konventionen orientierte. Wenn ich alles lockerer nahm, die Maßstäbe an mich senkte, Planung reduzierte und dem Zufall mehr Raum einräumte, funktionierte verblüffenderweise vieles viel, viel besser.

Inspiriert wurde dieser Wandel auch durch meine Erfahrung als Verhaltenstrainer. Auf einigen meiner Gebiete war ich erfolgreicher als auf anderen. Kommunikationstrainings oder Verkaufsschulungen funktionierten wunderbar. Im Verkauf beispielsweise gibt es eine überschaubare Anzahl von Konzepten und Verhaltensfertigkeiten. Wenn man diese beherrscht, führen Verkaufsabläufe meist zu einem Abschluss (vorausgesetzt der Kunde hat ein Budget und das Produkt ist einigermaßen konkurrenzfähig). Bei Mentaltrainings musste ich erkennen, dass auch motivierte Teilnehmer nicht zu überzeugenden Resultaten gelangten. Mein psychologisches Rüstzeug half ihnen nicht und meine Rezepte schienen nicht zu funktionieren. Wie sollten sie auch, ich kam ja selbst nicht damit zurecht.

Für mehr als ein Jahrzehnt unterließ ich die Lehrtätigkeit auf diesem Gebiet. Ich interessierte mich eher dafür, wie ich selbst zu einem glücklichen Leben gelangte und wandte mich beruflich anderen Herausforderungen zu. Ich nutzte die Zeit, um ein besseres Verständnis der psychologischen Vorgänge im Lebensablauf zu gewinnen und funktionierende Konzepte zu entwickeln. Das Ergebnis präsentiere ich Ihnen in diesem Buch. Lebenssteuerung ist ein einfaches Rezept, das anzuwenden Ihnen leicht fallen wird. Es verhalf mir zu vielem, von dem ich nur träumen konnte.

Ich beginne meine Ausführungen mit dem „gesunden Menschenverstand“, mit alltäglichen Erfahrungen, wie fast jeder sie erlebt. Als Psychologe hole ich weitere Erklärungen aus der wissenschaftlichen Psychologie. Damit kommt man schon ein gutes Stück weiter, leider aber nicht ans Ziel, nicht auf den Gipfel. Es ist wie mit den Seilbahnen: Diese führen meist zu einer Bergstation. Um auf den Gipfel zu gelangen, ist noch ein Fußmarsch notwendig.

Der solide Boden wissenschaftlicher Psychologie reicht nicht, um uns ein erfolgreiches und glückliches Leben zu bescheren. Wir müssen im praktischen Leben auf Erkenntnisse zurückgreifen, die noch nicht das Gütesiegel „wissenschaftlich geprüft“ tragen, also individuelles und kollektives Erfahrungswissen. Auch Erkenntnisse aus anderen Wissensgebieten helfen. Ich werde mich in diesem Buch auf Nachbar- und Grenzgebiete begeben, wie die Physik, die Metaphysik (was nach der Physik kommt) und die Religion (was die sinnliche Erfahrung übersteigt).

Auf dem Fußmarsch zum Gipfel existieren noch Pfade und Wegweiser, doch manchmal fehlen selbst diese; nun muss man den Weg in eigener Verantwortung finden. Dabei kann man sich verlaufen oder in ein Unwetter geraten. Zu diesem Abschnitt Ihrer Entwicklung erhalten Sie in diesem Buch ebenfalls Anleitung.

Einige Zutaten zu meinem „Rezept“ sind bekannt, einige seit mehr als zweitausend Jahren, andere erst seit Kurzem. Die eine oder andere Zutat füge ich neu hinzu. Mein Beitrag besteht jedoch weniger darin, Neues zu präsentieren, sondern Zutaten zu einem funktionierenden Gericht zusammenzuführen, darunter auch „Gewürze“, mit denen Sie nicht rechnen werden. Wenn Sie bei einem Kuchen das Backpulver weglassen, geht er nicht auf. Ein Rezept muss komplett sein. Viele wissenschaftliche und traditionelle Anleitungen konzentrieren sich auf einen Ausschnitt an Erkenntnissen und formen daraus eine Praxis, einige verabsolutieren diesen Ausschnitt. Dies führt zum immer gleichen Resultat: Die Sache scheint zunächst zu funktionieren, es gibt Anfangserfolge (der Kuchen im Ofen nimmt Farbe an). Doch dann tritt Stagnation ein, die Angelegenheit wird mühsam und man verliert das Interesse („der Kuchen geht nicht auf und niemand will ihn am Ende essen“).

Sie lesen jedoch kein bloßes Rezeptbuch. Ich möchte, dass Sie verstehen, warum ein Ratschlag funktioniert. Darum muss ich Sie ab und zu auf einen theoretischen Ausflug entführen, was durchaus eine gewisse Anstrengung erfordert. Doch es lohnt sich, denn Sie können alles viel besser auf Ihr persönliches Leben anpassen, wenn Sie die Gesetzmäßigkeiten kennen.

Eine Entschuldigung muss ich bei den Leserinnen anbringen. Ich verwende keine Doppelanreden, wie „Leser/Leserinnen“. Das empfinde ich als holprig. Begriffe wie „der Leser“ verstehe ich nicht geschlechtsspezifisch, sondern sie bezeichnen Ihre Funktion als lesende Person.

Danken möchte ich meinen Beratungsklienten und Seminarteilnehmern. Ihre Fragen waren meist eine Herausforderung und an ihren Beispielen und Erfahrungen habe ich ebenso viel gelernt, wie sie hoffentlich von mir. Marion Gerstel danke ich für die treffenden und witzigen Illustrationen, ebenso für ihre schonungslose Kritik, die wesentlich zur Verbesserung des Buchs beigetragen hat. Besonderer Dank gebührt Verena Keller für ihre konstruktive Auseinandersetzung mit dem Buch und ihre exzellenten Tipps. Dank ihr hat das Buch den nötigen Schliff erhalten. Einschließen in meinen Dank möchte ich alle Testleser, die sich die Mühe gemacht haben, das Buch in verschiedenen Entstehungsphasen zu lesen und zu kommentieren.

Zum Abschluss eine Warnung: Im Klappentext von Ratgeberbüchern können Sie oft Haftungsausschlüsse folgender Art lesen: „Die vorliegenden Ratschläge wurden vom Autor sorgfältig geprüft. Er kann jedoch keine Garantie für deren Funktionieren und keine Haftung für allfällige negative Auswirkungen übernehmen.“ Ich garantiere Ihnen im Gegensatz dazu Folgendes: Mit der Lektüre dieses Buches wird sich die Sicht auf Ihr Leben zwangsläufig verändern. Wenn Sie die Lebenssteuerung anwenden, werden merkwürdige und anfänglich verwirrende Dinge geschehen. Die ersten Erfolge mögen klein sein, vielleicht entdecken Sie sie erst später, was einen spezifischen Grund hat. Es wird spürbare Bewegung in Ihr Leben kommen. Sie werden nicht nur Fortschritte feststellen, sondern auch Ihren Spaß daran haben. Dies wird Sie ermutigen, die erworbenen Werkzeuge vollumfänglich zu nutzen und Ihre Lebensqualität auf ein Niveau zu heben, von dem Sie bisher nur träumen konnten.


Edgar P. Gass


Auf der Suche nach Glück


Verhelfen Wegleitungen zum Glück?

Alle Menschen wollen „Erfolg“ haben und ein „glückliches“ Leben führen. Wenigen gelingt es automatisch und ohne groß nachzudenken. Die Glücklichen! Viele brauchen und suchen Anleitung. Darum hat die „Ratgeberliteratur“ eine lange Tradition. Wer einen Buchladen betritt, kann die Fülle dieser Gattung nicht übersehen. Ich erwähne einige Klassiker:1

Florence Scovel Shinn: The Game of Life and How to Play it, 1925. Florence Scovel Shinn war eine Schauspielerin und Illustratorin im New York des beginnenden 20. Jahrhunderts. Sie hat Schulungen in Lebenspraxis erteilt und Bücher verfasst. Darin geht sie von der Kraft der Gedanken und des Wortes aus und verbindet dies mit einem tiefen und pragmatischen christlichen Glauben. Für mich besonders einleuchtend sind die Deutungen vieler Bibelstellen als Beschreibung mentaler (geistiger) Vorgänge.

Napoleon Hill: Denke nach und werde reich, 1928. Das Buch ist nur drei Jahre später erschienen, bildet jedoch einen Kontrapunkt, denn Hill spricht mit seiner Methodik mehr den Verstand an. Er war Journalist und hatte Jura studiert. Er verfasste Biografien und lernte so einen der damals reichsten Männer Amerikas kennen, den Industriellen Andrew Carnegie. Dieser glaubte, Erfolg könne in einer Art Formel erfasst werden. So liess er Hill ungefähr 500 sehr reiche Menschen nach deren Geheimnis befragen. Neben einer positiven Beeinflussung des Unterbewusstseins spielen bei seinen Empfehlungen Systematik und Disziplin eine ausschlaggebende Rolle. Die Tellerwäscher-Karrieren jener Epoche schwingen mit und suggerieren: Jeder kann mit diesem Ansatz Millionär werden!

Norman Vincent Peal: Die Kraft des positiven Denkens, 1952. Er ist der Inbegriff und Vater des „positiven Denkens“. Er war protestantischer Pfarrer, aber ohne Berührungsängste mit traditionellen, ausserhalb der christlichen Religion entstandenen Gedanken. Der göttliche und daraus abgeleitet der menschliche Geist bilden den entscheidenden Ursprung von allem, sei es Erfolg, Reichtum, Glück oder das Gegenteil. Er verbindet dies problemlos mit der christlichen Religion, was ihm die Kritik eingetragen hat, er mache aus dem Christentum ein Erfolgsrezept. Doch müssen Christen arm und erfolglos sein?

Shakti Gawain: Stell dir vor. Kreativ visualiseren, 1978. Man kann diese Autorin der New-Age-Bewegung zuordnen. Das war jene kulturell-geistige Welle, die Anfang der 70er Jahre das kommende „Wassermann-Zeitalter“ beschwor und ihre populäre Ausprägung in der Hippie-Kultur fand. Das Wassermann-Zeitalter sollte gekennzeichnet sein durch Umdenken und eine neue Rationalität auf allen Wissens- und Lebensgebieten, eine Art zweiter Aufklärung. Bestehende Gegensätze sollten überwunden werden. So verschmolzen kulturkritische, esoterische, religiöse und wissenschaftliche Gedanken, einige meinen auf befruchtende Weise, für andere war alles immer nur ein Hirngespinst. Vertreter waren beispielsweise der Psychologe Michael Murphy oder der Physiker Fritjof Capra. Shakti Gawain lehrt in ihrem Buch, wie man Gedanken gezielt nutzt (visualisiert) und wie das Leben dadurch kreativer und erfolgreicher wird.

Bärbel Mohr: Bestellungen beim Universum, 1998. Mohr war Betriebswirtin, jedoch eine breit interessierte und kreative Person, die sich mit Persönlichkeitsentwicklung befasste. Ihr erstes Buch wurde wohl auch deshalb ein Bestseller, weil sie mit dem Enthusiasmus eines Neulings ans Werk ging, der Altbekanntes für sich neu entdeckt. Sie hat mit dem Begriff „Bestellungen beim Universum“ prägnant vermittelt, dass Kräfte im Universum existieren, die wir für ein erfolgreiches Leben nutzen können.

Doch warum sind wir nicht alle schon höchst erfolgreich und glücklich angesichts dieser Fülle von Wissen und Anleitung? Taugen diese Rezepte vielleicht nicht viel?

Glaube und positives Denken reichen nicht

Eine übereinstimmende Botschaft dieser Bücher lautet: Glaube an dein Ziel und du wirst es erreichen! Sicherlich haben Sie diesen Satz schon oft gehört. Je nach Standpunkt haben Sie ihm zugestimmt oder kritisch die Stirn gerunzelt. In ihrer Allgemeinheit ist die Aussage richtig, in ihrer Ungenauigkeit ist sie gleichzeitig falsch, ja sogar kontraproduktiv. Denn die meisten interpretieren sie so, dass man sich mit aller Energie auf ein Ziel stürzen und alle seine Hoffnungen und Erwartungen darauf richten soll. Flugs wären wir damit in einer gefährlichen Haltung, die wir später beschreiben wollen, und die oftmals genau zum Gegenteil dessen führt, was wir anstreben. Oder sie meinen, es reiche, positiv zu denken und sich die Sache einzureden. Doch hierbei fehlt oft die nüchterne Analyse des Ziels, welche den Verstand befriedigt ebenso wie die emotionale Klärung, welche die Seele mit ins Boot holt. Man kann eine Sache nicht herbeireden; positives Denken allein reicht nicht.

Es hilft auf jeden Fall, wenn ich vom Glauben beseelt bin, dass ich ans Ziel gelangen werde. Und zweifellos ist die konstruktive Beeinflussung unseres Denkens ein wichtiger Faktor. Mit beidem befassen wir uns auch in diesem Buch. Doch sein Lebensglück allein darauf aufzubauen wäre ebenso töricht, wie aus Wasser und Salz Brot backen zu wollen.

Ein weiterer Grund für das Misslingen liegt darin, dass viele Menschen solche Bücher lesen und begeistert mit der empfohlenen Praxis beginnen. Meist stellen sich erste Erfolge ein. Seltsamerweise erlahmen viele nach kurzer Zeit in ihren Anstrengungen um eine bewusste Lebensführung. Es ist ähnlich wie bei den Diäten. Mit einiger Anstrengung gelingt es, Kilos zu verlieren. Doch irgendwie kehren sie zurück. Und der „Jo-Jo-Effekt“ setzt ein: Zunehmen – Diät – Abnehmen – Zunehmen – Diät usw. Und irgendwann sagen manche: Zum Teufel mit den Diäten! Und damit haben sie Recht.

Fehlt es also vielen am Durchhaltewillen, an der Ausdauer, um im Leben an ein Ziel zu kommen? Mit Sicherheit. Eine Diät erfordert Disziplin; der Erfolg, und damit das Erfolgserlebnis, stellen sich nicht sofort ein. Wer zu früh aufgibt, hat verloren.

Erfolg und Glück dank Disziplin?

Fragen wir uns also: Finde ich zu meinen Zielen und meinem Glück, wenn ich disziplinierter werde und unvermeidbare Durststrecken zu überwinden lerne? Zu dieser Frage gibt es ein klassisches psychologisches Experiment, den sogenannten „Marshmallow-Test“. Der Psychologe Walter Mischel stellte in den Jahren 1968 bis 1974 Vorschulkinder vor die Wahl, ein Marshmallow, das vor ihnen auf dem Tisch lag, entweder vorzeitig zu essen, oder eine bestimmte Zeit zu warten, bis der Versuchsleiter wieder käme; dann bekämen sie zwei Marshmallows.2 Sie könnten den Versuchsleiter jederzeit mit einer Glocke vor Ablauf der Zeit rufen, dann dürften sie das Naschwerk essen, aber eben nur eines.

Abbildung 1

In den Nachuntersuchungen der folgenden Jahre und Jahrzehnte zeigte sich, dass die Kinder, die warten konnten, sich auch im Erwachsenenleben besser gedulden konnten, mehr Ausdauer und Frustrationstoleranz zeigten. Sie waren schulisch und beruflich erfolgreicher und bewiesen eine größere Sozialkompetenz als die „Unbeherrschteren“. Selbstkontrolle ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die Fähigkeit, Bedürfnisbefriedigung aufzuschieben und gewisse Frustrationen auszuhalten, führt über längere Sicht zu einem erfolgreicheren und vermutlich glücklicheren Leben. Doch kann eine Methode richtig sein, die vornehmlich auf Entbehrung, Disziplin und Durchhaltewillen beruht? Nein. Es braucht auch Erfolgserlebnisse, Freude, Spaß, damit man etwas weiterführt. Denn auch der Mischel-Test endete immer mit dem Genuss von Marshmallows.

Disziplin und Erfolgserlebnisse – ein unschlagbares Paar

Wir haben bisher erst von der halben Wahrheit gesprochen. Denn lohnt es sich im Marshmallow-Test wirklich zu warten? Wenn man Marshmallows mag, dann schon. Und wenn man sich darauf verlässt, dass man am Ende auch wirklich zwei bekommt – statt bloß einem.

In Versuchsvarianten wurde das bewiesen: Wenn der Versuchsleiter in den Augen der Kinder zuverlässig war (wenn er schon einmal ein Versprechen gehalten hatte), waren sie in der Lage, länger zu warten, als wenn er sich zuvor als unzuverlässig erwiesen hatte.3 Banal im Grunde, aber entscheidend. Wenn ich glaube, dass mich eine Diät ans Ziel führt, bringe ich mehr Disziplin auf. Wenn ich glaube, dass eine Erfolgsmethode das ersehnte Ergebnis bringt, praktiziere ich sie länger. Mit anderen Worten: Ich muss an den Erfolg glauben, bevor dieser eintritt. Ich muss eine geistige (mentale) Entscheidung treffen, schon bevor ich beginne und ich muss diesen Glauben aufrechterhalten, bis der Erfolg eintritt oder sich zumindest abzeichnet. Dann setzt ein Selbstverstärkungsmechanismus ein: Der Erfolg bestärkt mich im Handeln und gibt Kraft durchzuhalten, selbst wenn einmal eine Durststrecke auftritt. 

Glauben braucht einen Grund. Leerer Glaube ohne Erfahrungsbasis erlahmt. Eine Quelle des Glaubens kann die Beobachtung von Bezugspersonen sein (der verlässliche Versuchsleiter im Marshmallow-Experiment), ebenso überzeugt das Vorbild von Idolen, Autoritäten und anderen respektierten Menschen. Oder natürlich die eigene Erfahrung. Darum sind schnelle Erfolge wichtig, auch wenn sie vorerst klein sein dürfen.

Deshalb könnten wir versucht sein, ein weiteres Rezept zu formulieren: Lebe diszipliniert. Glaube an dein Ziel. Die kleinen und großen Erfolge auf diesem Weg bestärken dich und verleihen Mut für weitere beharrliche Anstrengungen, selbst wenn du auch einmal Misserfolge einstecken musst. Am Ende kannst du so Großes erreichen. Dies ist das Erfolgsrezept motivierter junger Leute, von „dynamischen Aufsteigern“ und von „Tellerwäscherkarrieren“. Es braucht wohl ein bisschen „Glück“ von Außen, dann funktioniert es. Andere scheitern jedoch auf diesem Weg aus vorhersehbaren Gründen.

Simple Rezepte sind Strohfeuer

Simple Rezepte halten sich hartnäckig am Leben, weil sie Begeisterung wecken und kurzfristig Erfolge begünstigen. Das ist an Diäten gut zu beobachten: Wer eine Diät antritt, hat die Entscheidung gefällt, einen zentralen Aspekte seines Lebens zu verbessern. Darüber darf man glücklich sein und der Entschluss verleiht Motivation. Ganz gleich welcher Diät oder welchem Fitnessprogramm Sie sich verschreiben: Sie werden in den allermeisten Fällen ein paar Kilos abnehmen. Dieser Zwischenerfolg spornt Sie an weiterzumachen. Und wenn Sie nun auch noch etwas Disziplin und Selbstkontrolle aufbringen, sind erstaunliche Resultate möglich. Einige Menschen verlieren innerhalb von Wochen und Monaten viele Kilos und kommen ihrer Wunschfigur nahe. Doch wie sieht es in ein, zwei Jahren damit aus?

Ich sah das Interview mit einem ehemaligen Finanzchef eines als sehr erfolgreich bekannten Diätprogramms. Er wurde damit konfrontiert, dass nach ein paar Jahren nur rund 16% der Teilnehmer noch bei ihrem Wunschgewicht waren. Wie man denn so etwas als Erfolg verkaufen könne? Er meinte lächelnd, für den finanziellen Erfolg sei das sehr gut, denn diese Personen kämen als Teilnehmer wieder zurück. Ich glaube, in der Gestaltung unseres Lebens wünschen wir uns doch etwas nachhaltigere Erfolge!

Sicher kennen Sie das sprichwörtliche Anfängerglück. Es ist der Elan des begeisterten Amateurs, dem einiges gelingt, weil er unbekümmert und mit Schwung an die Sache geht und noch nicht um alle Klippen weiß. Ich erinnere mich an einen Vortrag von Bärbel Mohr in Basel. Sie berichtete, dass die Leute am Anfang mit der „Bestell-Methode“ oft mehr Erfolg hätten als später. Wenn die Anfangserfolge abflauen – warum auch immer – erlahmt auch der Eifer und bald lässt man es wieder. Man hört also nicht nur deswegen mit einer Sache auf, weil man zu den Personen mit geringerer Selbstkontrolle gehört („Marshmallow-Experiment“), sondern weil der langfristige Erfolg ausbleibt. Wie eingangs erwähnt war mein Eindruck als Verhaltenstrainer, dass meine Anleitungen die Teilnehmer nicht wirklich zum Erfolg führten. Meinen Konzepten fehlten offenkundig wichtige Zutaten.

Somit machte ich mich auf die Suche nach funktionierenden Rezepten bzw. den entscheidenden Zutaten, welche dem schon Bekannten zum Durchbruch verhelfen. Ich tat dies durch Versuch und Irrtum, durch Beobachtung meiner persönlichen Fortschritte und Rückschläge. Ich hatte die Chance von Hunderten von Menschen zu lernen, die ich in meiner Tätigkeit als Unternehmensberater und Verhaltenstrainer traf und zum Teil über Jahre beobachten konnte. Darunter unscheinbare Menschen, normale Angestellte, begnadete Führungskräfte, Tyrannen, kreative Unternehmer, biedere Verwalter, brillante Verkäufer ebenso wie „Schwätzer“. Von einigen lernte ich das private Umfeld kennen. Viele wandten sich mit geschäftlichen und privaten Problemen an mich, und meine Tätigkeit bestand zunehmend aus Coaching- und Beratungsgesprächen.

Nebst dem „Labor des Alltags“ waren meine Quellen die Begegnungen mit Persönlichkeiten, die Wesentliches auf dem Gebiet der Kommunikation und des persönlichen Fortschritts vermitteln konnten, z.B. Ruth Cohn, Thomas Gordon, Roger Fisher, Bärbel Mohr, Bill Coller, sowie viele, deren Werke mich faszinierten.

Um die Lebenssteuerung erfolgreich anzuwenden, müssen Sie nicht sonderlich begabt sein und auch Menschen mit wenig Selbstkontrolle kommen ans Ziel. Ebenso sind Alter, Geschlecht, Intelligenz und Bildung nicht von großer Bedeutung. Es braucht auch keine besondere Anstrengung, im Gegenteil, Sie können ruhig etwas loslassen und sich den schönen Dingen des Lebens zuwenden.

Bevor wir uns an die konkrete Anleitung wagen, sollten wir uns jedoch die Frage stellen: Wie soll der Kuchen am Ende aussehen? Was ist Erfolg? Und worin besteht Glück?

„Erfolg“ – ein Begriff führt in die Irre

Mit dem Erfolg sind wir rasch fertig. Er ist eine Worthülse. Schon die Wortanalyse zeigt es: Er-folg – das, was als Folge einer Aktion er-folgt. Wir denken und handeln, das führt zu Ergebnissen. Ob das Ergebnis etwas Gutes oder Schlechtes darstellt, bleibt auf der Ebene des ursprünglichen Wortsinns offen. Ob wir uns dabei glücklich fühlen ebenso. Gut illustriert dies die buchhalterische Definition. Nach Verrechnung aller Umsätze und Kosten resultiert in der Erfolgsrechnung immer ein Erfolg, entweder ein positiver (Gewinn) oder ein negativer (Verlust). Natürlich streben wir den Gewinn an. Aber es ist unbestritten, dass unser Wirtschaften während des Jahres zu einem so oder so gearteten Er-folg führt.

Deshalb ist es irreführend und gefährlich, unbedacht von Erfolg zu sprechen. Zu leicht verbergen sich dahinter Klischees, undurchdachte und naive Erwartungen und manchmal gefährliche Sackgassen. Die Klischees hinter dem Wort sind oft von der Gesellschaft suggerierte Ziele, wie „Karriere“, „Geld“, „traute Familie“, „gesichertes Alter“ usw. Sie können eine zeitweise Zufriedenheit und Beruhigung spenden, Glück vermitteln sie selten. Der Weg zu diesen Zielen ist gepflastert mit Anstrengung, Entbehrung und übermäßiger Disziplin. Es werden Hypotheken aufgenommen, nicht nur auf Häuser, sondern auch auf die Lebensqualität in Form von vorläufigem Verzicht auf Glück, um es später nachholen zu wollen. Doch wenn man am Ziel angekommen ist, stellen sich oft Langeweile, Leere, Enttäuschung oder gar ein Desaster ein. Und das erwartete Glück verschiebt sich erneut auf eine spätere Zukunft.

Was wir somit direkt anstreben sollten ist vielmehr „Glück“, beziehungsweise „glücklich zu sein“. Die Vielfalt von Ereignissen, die Menschen in ein Glücksgefühl versetzen, macht es nicht leicht, das Wesentliche zu entdecken: Ein Lottogewinn? Ein Orgasmus? Ein erfolgreicher Geschäftsabschluss? Eine harmonische Beziehung? Das gemütliche Zusammensein mit Freunden? Die eigenen Kinder heranwachsen sehen? Einen Garten anlegen? Einen Marathonlauf durchhalten? Ein unmenschliches Straflager überleben? ….

In Wirklichkeit suchen wir Glück

Vorweg: Wir sprechen zunächst vom Lebensglück (happiness). Doch auch das Zufallsglück (luck) ist eine spannende Sache. Ab und zu muss man im Leben einfach Glück haben. Ob man dem vielleicht etwas nachhelfen kann? Davon später mehr.

Manche erfolgreiche Menschen sind unglücklich, was uns an prominenten Sängern oder anderen Stars ab und zu vor Augen geführt wird. Einige fragen sich dann: Aber er oder sie hatte doch alles? Wie kann man da nur so unglücklich sein oder in Sucht oder Suizid abgleiten? Erfolg ist die Beschreibung eines gesellschaftlich anerkannten oder von einem selbst angestrebten Resultats. Glück ist das Gefühl, das einen dabei begleitet.

Das ergibt zahlreiche Möglichkeiten, trotz äußerem Erfolg unglücklich zu sein: Wenn ich von den anderen für etwas gelobt werde, was mir nicht viel bedeutet. Wenn Erfolg im Beruf mit Mankos im privaten Leben kontrastiert. Wenn mein Erfolg nicht so groß ist, wie ich ihn mir erhofft hatte usw. Auch umgekehrte Konstellationen existieren: Ich relativiere den äußeren Misserfolg und führe trotzdem ein glückliches Leben. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf Lebensbereiche, welche sonst von äußerem Erfolg überschattet und verdrängt werden. Beispielweise macht mich die meditative Beschaulichkeit in der Natur glücklich, für die ich in einem erfolgreichen, geschäftigen Leben keine Zeit fände.

Achtsamkeit – Glück im Innehalten

Dieser Ansatz wird unter dem Begriff „Achtsamkeit“ vertreten: Man soll seine Aufmerksamkeit bewusst und ohne Wertung auf die Gegenwart, auf die sinnliche Wahrnehmung, auf die unmittelbare Umgebung und ebenso auf das Innenleben richten.4 Statt also beispielsweise schon morgens unter der Dusche und beim Frühstück über die Pflichten und Sorgen des Tages zu sinnieren, sollte man auf die wahrnehmbaren und aktuellen Erfahrungen achten, das wohlig warme Wasser der Dusche, den Duft des Kaffees, die Fragen der Kinder am Morgentisch und dergleichen. Oder man soll innehalten, sich zum Beispiel auf den Balkon setzen, ins Leere schauen und ganz ruhig den eigenen Atem beobachten. Das schafft Raum für Gedanken, Gefühle und Sinnzusammenhänge, die im Trubel des Alltags untergegangen wären. Vielleicht hilft sogar der eine oder andere Gedanke bei der Bewältigung des Tages. Man entspannt sich und baut Stress ab.

Dieses Glück des Augenblicks geht in Richtung dessen, was wir später als „Reduktion der Wichtignahme“ bezeichnen werden: Dem Alltag und seinen Zielen und Sorgen weniger Bedeutung beimessen, Energie und Aufmerksamkeit abziehen. Wir werden sehen, dass uns gerade das enorm hilft, erfolgreicher zu werden, auch wenn es zunächst paradox klingt.

Wohlbefinden – Glück als stille Zufriedenheit

Achtsamkeit ist eine Form des Wohlbefindens, ein Glück, welches kurze Momente bis zu einem ganzen Leben umfassen kann. Es ist das stille, beschauliche Glück, jenes Lebensglück, das man oft einfach als Zufriedenheit bezeichnet, obwohl die beiden Begriffe nicht identisch sind. Ein weiteres Glück ist das Hochgefühl als ein herausragender intensiver Glücksmoment. Dieses Glück ist ekstatisch, rauschhaft und von begrenzter Dauer. Schließlich gibt es das Glück, das aus der Erfahrung eines Lebens-Sinns erwächst. Als erste Annäherung könnten wir dabei an Menschen denken, die unter schwierigen Umständen oder unter großen Entbehrungen leben, in ihrer Aufgabe oder ihrem Schicksal jedoch einen Sinn erkennen. Solche Menschen bezeichnen sich oft ebenfalls als glücklich oder erleben ihr Leben als geglückt.

Die demografische Glücksforschung zeigt eindrücklich, dass das Lebensglück eine recht subjektive Angelegenheit ist. Wenn objektive wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren zählen, stehen regelmäßig Länder wie Dänemark, die Schweiz usw. an der Spitze der Rangliste, Länder wie Simbabwe, Burundi usw. am Schluss. Wenn nach dem individuellen Glücksempfinden gefragt wird, kehrt sich das Bild um. Nun stehen Länder wie Bangladesch, Aserbaidschan, Nigeria usw. weit vorne; sie weisen einen hohen Anteil an armen Menschen auf und sind wenig entwickelt. Länder mit hohem Pro-Kopf-Einkommen erscheinen erst auf den mittleren Rängen.

Ein Zitat soll dies illustrieren:5 „Europäische Forschungsreisende der jüngeren Zeit sahen, rochen und fühlten das Elend Bangladeschs und kamen zu dem Schluss: ‚Das ist kein Leben.’ Aber fragen wir die dürre kleine Frau im zerrissenen Sari, die bei Sonnenuntergang in den Ruinen des uralten buddhistischen Klosters von Paharpur im Nordwesten Bangladeschs hockt. ‚[…] Mir geht es gut, ich esse zweimal am Tag.’ Zweimal, das ist in der Tat nicht schlecht. Und sie lacht so, dass der Blick auf ihre Zahnstummel vollständig frei ist. Weder Frau Mujahi noch ihr 23-jähriger Sohn Musun haben je ferngesehen, sie wissen nicht, welches Glück Weichspüler für Frotteetücher verheißen oder welches Gefühl von Freiheit eine bestimmte Automarke vermittelt. Wenn sie Geld hätte, würde Frau Mujahi den Sohn verheiraten oder seine Nachtblindheit behandeln lassen. Aber unglücklich? Nein, nein. ‚Very, very happy’ sei sie, selbstverständlich, sie lebe ja, und zwar in einer Familie und ‚unter dem großen wunderbaren Himmel’“.

Ich will damit nicht suggerieren, wir sollten doch mit weniger zufrieden sein, sondern bloß einen ersten Hinweis darauf geben, dass unser Glück im Sinne von längerdauerndem Wohlbefinden davon abhängt, was wir erwarten. Und diese Erwartung liegt vollkommen in unserem freien Ermessen.

Glück im selbstbestimmten Handeln – Flow

Etwas anders sieht es aus, wenn wir die ekstatischen Glücksmomente anschauen, die der Psychologe Mihaly Csíkszentmihályi prägnant beschrieben und erforscht hat.6 Bekannt geworden sind seine Beispiele von Chirurgen oder Sportlern, die in vollkommener Selbstvergessenheit und vollkommener Hingabe in ihrer Tätigkeit aufgehen, fast trancehaft und perfekt im Ablauf. Csíkszentmihályi hat dafür den Begriff „Flow“ benutzt, der sich durchgesetzt hat. Die Bedingungen für solche Glücksmomente sind präzise beschreibbar. Ich erläutere sie später. Dann werden Sie erfahren, warum dieses Glück erst erfahrbar wird, wenn wir frei von Angst sind und uns ohne Anstrengung auf eine Tätigkeit einlassen.

Die erwähnten Beispiele erwecken zu Unrecht den Eindruck, Flow-Erlebnisse seien nur möglich in herausragenden Tätigkeiten, wie sie eben ein Chirurg oder Sportler praktiziert. Csíkszentmihályi und andere berichten jedoch über Flow-Erfahrungen aus ganz anderen Bereichen, die man nicht gerade mit Glück in Zusammenhang bringt, etwa Fließbandarbeit7 oder das Leben älterer Bäuerinnen in den Apenninen, die täglich enorme Lasten schleppen.8

Diese Ergebnisse legen nahe, dass Glück viel damit zu tun hat, ob wir unser Leben als selbstbestimmt wahrnehmen und es selbst aktiv an die Hand nehmen; Auswahlmöglichkeiten und Freiheit sind ausschlaggebend. Doch hat ein Fließbandarbeiter dieser Freiheit? Oberflächlich gesehen nicht. Wenn er jedoch selbst beginnt zu experimentieren, wie er seine Handgriffe verändern und verbessern kann, schafft er sich innerhalb des engen Korsetts des Arbeitstaktes einen Freiraum und erlebt seine Tätigkeit als selbstbestimmt und spannend. Csíkszentmihályis Beschreibungen von Glücksmomenten zeigen, dass es zunächst die Tätigkeit ist, die uns glücklich macht; erst dann folgt das Ergebnis, der Erfolg. Manchmal ist das Ergebnis materiell wertvoll (Chirurgen gehören zu den bestverdienenden Berufen), manchmal spielt das Ergebnis keinerlei Rolle, wie im Spiel des Kindes.

Damit sind wir nahe bei der Definition des Aristoteles (384–322 v. Chr.), der Glück als das ansah, was der Mensch um seiner selbst willen anstrebt und nicht, um etwas anderes damit zu erreichen. Wir können hinzufügen, dass man manchmal gerade dann am meisten erreicht, wenn man sich nicht besonders darauf konzentriert.

Der Kirchenvater Augustinus (354–430 n. Chr.) schrieb hingegen pragmatisch, Glück sei, das zu bekommen, was man sich wünscht, Glück als Erreichen eines individuellen Zieles. Glück besteht allerdings nicht darin, etwas zu erreichen, was andere oder die Gesellschaft als erstrebenswert vorgeben, zum Beispiel ein bestimmtes Wohlstandsniveau, sondern etwas, das man als Wahlmöglichkeit in seinem Leben sieht und anstrebt.

Diese pragmatische Definition entspricht dem, was ich in diesem Buch unter Glück verstehe: Erreichen, was man anstrebt, in diesem Sinne Er-folg haben, wobei das Ziel etwas Individuelles und gut Durchdachtes sein sollte. Ausschlaggebend ist dabei, dass schon der Weg Spaß macht und Glücksgefühle vermittelt, nicht erst die Ankunft am Ziel. Er soll locker beschritten werden und nicht Stress verursachen (Achtsamkeit), er soll Freude bereiten, ja faszinieren (Flow). Dass ab und zu eine Schwierigkeit oder Enttäuschung überwunden werden muss, widerspricht dem nicht. Mit Sicherheit ist ein Weg jedoch dann der Falsche, wenn er vornehmlich mit Anstrengung und Entbehrung gepflastert ist.

Mehr als Glück – Lebenssinn

Manche suchen bekanntlich nach dem Sinn des Lebens, dem Sinn einer Beziehung, aber auch dem Sinn einer Krankheit, eines Schicksalsschlags oder dergleichen. Wilhelm Schmid definiert Sinn folgendermaßen:9 „Davon, dass etwas ‚Sinn macht‘, ist immer dann die Rede, wenn Zusammenhänge sichtbar werden, wenn also einzelne Dinge, Menschen, Begebenheiten, Erfahrungen nicht isoliert für sich stehen, sondern in irgendeiner Weise aufeinander bezogen sind. So lässt sich sagen: Sinn, das ist Zusammenhang. Sinnlosigkeit demzufolge Zusammenhanglosigkeit.“ Zusammenhanglose Wörter ergeben keinen Sinn, ein wohlgeformter Satz hingegen erscheint sinnvoll.

Sinn-Krisen sind Lebensphasen, in denen ein Mensch wichtiger Zusammenhänge in seinem Leben beraubt wird oder sie nicht mehr also solche erlebt: Er fühlt sich beispielsweise ohne den Zusammenhang einer Partnerschaft isoliert. Er fragt sich, wozu er leben soll, wenn ihm seine Aufgabe abhandengekommen oder eine schwere Enttäuschung widerfahren ist. Das Wiederherstellen des Zusammenhangs würde ihn glücklich machen. Ja selbst das Gewahr werden, dass ein Zusammenhang besteht und dieser nicht unterbrochen ist (eine Partnerschaft, eine Aufgabe usw.) kann ein Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit erzeugen.

Ein „reiches“, erfülltes Leben enthält viele Zusammenhänge: Ein gesunder Körper, der die schönen Dinge des Lebens genießen kann. Geordnete, sichere Lebensumstände. Ein gewisser Komfort. Anregende soziale Kontakte, gute Beziehungen zu einem Partner, einer Familie, einem Freundeskreis. Ein Beruf, eine Position, eine Aufgabe. Anerkennung. Interessante Tätigkeiten, Abwechslung. Hobbys, Kunstgenuss. Teilhabe am öffentlichen Leben. Engagement, Fortschritt, Erkenntnis. Welchen Ausschnitt daraus jemand als seinen spezifischen Lebenssinn betrachtet, ist äußerst individuell. Doch jeder hat einen Sinnanspruch. Wenn er erfüllt wird, fühlt sich ein Mensch glücklich. Wenn er fehlt, löst dies die Suche nach Sinn und Glück aus.

Allerdings kann die Sinnerfahrung über das Glück hinausgehen. Einem kranken Menschen werden viele Glückserfahrungen im Bereich des Wohlbefindens und des ekstatischen Erlebens mangeln. Er erblickt aber möglicherweise in seiner Krankheit einen Sinn, weil sie ihn zum Nachdenken und Umdenken gebracht hat. Er wird sein Leben trotz allem als sinnvoll und in einem höheren Sinn als glücklich erleben. Gleiches gilt beispielsweise für Menschen in verantwortungsvollen Aufgaben, sei es in der Familie oder in einem öffentlichen Amt, die Einschränkungen auferlegen, deren Mission ihnen jedoch einen starken Lebenssinn vermittelt.

Es gibt eine Vielzahl von Lebenskonstellationen mit komplexen Kombinationen von Glücks- und Sinnerleben. Es scheint jedoch, dass die Sinnerfahrung tatsächlich an oberster Stelle dieser Pyramide steht. Ein sinnvolles Leben ist meist auch glücklich. Ein sinnlos erlebtes kann jedoch ein abgrundtiefes Unglücksgefühl erzeugten und zur Verzweiflung führen, auch wenn das Leben ansonsten reich und erfüllt erscheinen mag. In diesem Sinn ist es verständlich, dass Wilhelm Schmid meint, dass Glück auch nicht das allerwichtigste sei im Leben. Doch könnte eine solche Feststellung leicht als sarkastisch empfunden werden. Oder würden wir zu einem hungernden Menschen sagen: „Essen ist nicht das Wichtigste im Leben“? Der Hunger nach Glück ist unbändig und mit keinen philosophischen Überlegungen zu befriedigen. Wir wollen und müssen jene Dinge und Konstellationen herbeiführen, die uns nach unserer Auffassung glücklich machen.

Welches Lebensglück suchen Sie?

Eine schöne Umschreibung aller drei Arten von Lebensglück, des einmalig Rauschhaften, des dauerhaft Beschaulichen und des Sinnhaften, gibt das chinesische Sprichwort: „Wenn du eine Nacht glücklich sein willst, betrink' dich. Wenn du ein Jahr lang glücklich sein willst, heirate. Und wenn du ein Leben lang glücklich sein willst, pflege einen Garten.“

Abbildung 2

Es ist somit notwendig, sehr gut darüber nachzudenken, was man in seinem individuellen Leben als Er-folg verbuchen möchte und worin man sein Glück finden will. Es gibt vermutlich so viele individuelle Erfolgs- und Glücksdefinitionen, wie es Menschen gibt auf der Erde. Diese Frage ist darum noch wichtiger als jene, wie man denn schließlich an sein Ziel gelangt. Ich werde ihr ein eigenes Kapitel widmen und sie wird uns wie ein roter Faden durch das Buch begleiten. Wenn es gelingt, unsere ureigensten Wünsche, Ziele und einen individuellen Sinn zu entdecken, kann bereits dies ein tiefes Glücksgefühl auslösen, unabhängig davon, ob die Umwelt darin einen Erfolg erblickt oder nicht. Und wenn es gelingt, solche Ziele auf ausbalancierte Weise zu erreichen, so dass nicht ein Ziel auf Kosten eines anderen geht, ist vollkommenes Glück möglich.


Locker weiter kommen statt sich abzustrampeln


„Take it easy“ als Lebensmaxime?

Es gehört zu den anerkannten Gemeinplätzen, dass manches leichter funktioniert, wenn man es locker nimmt. Jeder hat schon beobachtet, wie er bei einem Geschicklichkeitsspiel ins Schwarze traf, als er unbefangen und bloß spaßeshalber mitmachte. Anfänger genießen oft das sprichwörtliche Anfängerglück, weil sie sich ohne große Erfahrung, aber auch ohne große Erwartung an eine Sache wagen.