Über das Buch

Dieses E-Book besteht aus Teilen der beiden Bände Elias Canetti "Aufzeichnungen für Marie-Louise" und Elias Canetti, Marie-Louise von Motesiczky "Liebhaber ohne Adresse"

 

Auf dem Land nahe der durch deutschen Bombenangriffe zerstörten Stadt London lernen sich zwei Wien-Flüchtlinge kennen, die sich nie zuvor begegnet sind: die Malerin Marie-Louise von Motesiczky, Kind aus reichem Haus, die ihre alte Mutter und eine Hausangestellte bei sich hat, und der Schriftsteller Elias Canetti, der zusammen mit seiner Ehefrau Veza ein bettelarmes Leben führt. Über fünfzig Jahre erstreckt sich die Liebesgeschichte zwischen »Pio« und »Muli«, die Künstlerfreundschaft zwischen »Mulo« und »dem Canetti«.

 

Hanser E-Book

 

 

 

Elias Canetti

 

Aufzeichnungen für

Marie-Louise

 

Elias Canetti und

Marie-Louise Motesiczky

 

Liebhaber ohne Adresse

Briefwechsel 1942–1992

 

 

Carl Hanser Verlag

 

ISBN 978-3-446-25349-0

Aufzeichnungen nach der Erstausgabe: Aus dem Nachlass herausgegeben von Jeremy Adler

© 2005, 2016 Elias Canetti Erben Zürich, Carl Hanser Verlag München

Briefe nach der Erstausgabe: Herausgegeben von Ines Schlenker und Kristian Wachinger

© 2011, 2016 Elias Canetti Erben Zürich, Carl Hanser Verlag München

© Carl Hanser Verlag München 2016

Umschlaggestaltung: S. Fischer Verlag / www.buerosued.de

Bild: Marie-Louise von Motesiczky, Provence 1948

 

 

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Aufzeichnungen für Marie-Louise

 

Keiner will die Türe sein.

 

Drei- oder viermal im Tage schüttelte er sich selber herzlich die Hand, statt der Besuche, die nie kamen, und immer brachte er sich überraschende Neuigkeiten mit.

 

Sie kämpfen zwischen den Zehen, im Nabel, in den Nüstern, sie kämpfen im Hintern, unter den Achseln, in den Ohren und im Mund, es gibt keinen versteckten Ort, kein Zollbreit, keine Pore tief, wo sie nicht auf Leben und Tod miteinander kämpfen.

 

Die Nationen sind Freudenmädchen und Klageweiber.

 

Sie schneiden ihren Opfern erst Ohren und Namen ab; dann hören die niemand rufen; dann kann die niemand rufen; und sind nur noch Hände.

 

Er kann nur noch unter Tieren lachen.

 

Er bemühte sich in der Hölle vernünftig zu bleiben.

 

»Zu Hause« war für ihn ein Haufen von vergilbten Bohnen.

 

Im letzten Kriegsjahr wurde auf jede Träne eine Buße von 10 Reichsmark gelegt. In die Herzen der Mütter wurden Mikrophone eingebaut.

 

Wüßte ich, wer aus ihm spricht, aus diesem, aus jenem, aus dem andern! Soviel Tote suchen nach lebenden Stimmen und wie stoßen sie einander fort! Härter noch als bei uns Lebenden ist ihr Kampf untereinander, sie kämpfen um viel mehr; und der Geschlagene bei ihnen ist nie tot, nur vertrieben. Mögen sie nur dieser niedrigen Rauferei fähig sein, ich segne sie, ich segne sie für dieses letzte bißchen Leben; und sie können mich besetzen, schütteln und quälen, wenn sie nur irgendetwas tun. Tote, o geliebte Tote, wie möchte ich euch kennen und erfreuen und beschenken, mit vollen schönen Stunden meines kurzen Lebens!

 

Die Krähen über dem gelben Korn geben mir das heftigste Gefühl des Lebens.

 

Als er jung war, hatten die Propheten Gesichter von Michelangelo; er sah sie oft an und sie waren ihm freundlich und vertraut. Jetzt haben sie ihre Worte wieder gefunden, ihre Gesichter sind nirgends und o wie er sie fürchtet!

 

Die Besessenheit kommt ihn wieder an, was soll er den ruhigen Augen sagen.

 

Die Tiere wissen vom Feuer mehr als wir Menschen ahnen; aber sie können es nicht rufen und jagen

 

Die Namen der Münzen tönen von der Zärtlichkeit vieler Hände.

 

Um ganz Tod zu sein, sucht sie sich Insekten zum Töten aus.

 

Er will heimlich sterben, um niemand den Triumph zu gönnen, und als letztes Mahl ißt er sein Testament.

 

Christus ist zu öffentlich gestorben; sein Opfer ist zu einem ewigen Anreiz geworden.

 

Er wünscht sich verschieden eingerichtete Ohren, jedes für andre Welten und alles was für beide notwendig wäre, im Hirn.

 

Er fürchtet sich vor Jedermann: der König der Klugen.

 

Sein Bier schmeckt ihm nicht mehr so gut: der Krieg schaut aus dem Krug.

 

Er kann nicht leben, ohne wenigstens auf die Straße zu trampeln.

 

Unter Kommunismus stellt er sich vor, daß niemand Befehle von ihm entgegennimmt; wie sollen die Leute marschieren, wenn keiner kommandiert; und wie sollen sie gehen, ohne zu marschieren.

 

Er ist so stolz, daß er Gott immer was schenken möchte.

 

Bei jedem sitzt die Seele woanders: der hat sie in den Lungen, jener im Darm; die hat sie im Herzen und jene im Geschlecht; bei mir fühlt sie sich am wohlsten in den Ohren.

 

Er hat zu spät geheiratet, er kann mit niemand mehr verwachsen; so sind sie ein ratloses Paar und halten einander immer die falschen Stellen hin.

 

Er hat sich eine tiefe Verehrung für alte Leute bewahrt: er bewundert an ihnen jedes Jahr, das er selbst nicht erlebt hat. Er betet Kinder an: sie sind ihm heilig für jedes Jahr, das er nicht mehr erleben wird.

 

Im Stammeln ist man dem Ursprung der Sprache näher.

 

Er tut keiner Fliege was zuleid: sie sind ihm nicht fleischig genug.

 

Jede Wolke hat die Zukunft in sich; man versteht es nur nicht, sie zu lesen.

 

Er sammelte Blätter; auf großen Tischen breitete er sie nebeneinander aus. Wenn welche am Vergilben waren, tauschte er sie gegen andre ein. Für die Gealterten hatte er ruhige Kammern, in denen es nie zu gehäuft zuging; und nur er durfte darin rascheln. Auf den Tischen aber sah es immer grün und frisch aus; mit ganz wenig Leim waren die Blätter festgemacht; der Wind trug sie nie davon, so waren sie endlich vor ihm sicher; und doch blieb ihnen eine gewisse, wenn auch beschränkte Beweglichkeit. Er liebte es, sie ordentlich und überschaubar vor sich zu haben. An dem Bäumen hatte ihn ihre Unregelmäßigkeit gestört, eines stand schief, das andere grade, und sie strebten auf keine sehr vornehme Weise in die Höhe. Er nahm sie von ihrem Wettbewerb herunter und gab ihnen gleichmäßig Licht. Der Kampf war zu Ende, und keines stieß das andre weg, der Leim sorgte für Friedlichkeit und regelmäßiges Verhalten. Früher war er mißbilligend, bei aller Leidenschaft für Blätter, an Bäumen vorübergegangen; er schämte sich ihrer Kletterei; etwas wurmte ihn, wenn er zusehen mußte, wie die einen immer unten blieben, während die andern es sich oben im vollen Lichte gut sein ließen; auch waren diese viel weiter von ihm weg und er strafte sie für ihren Hochmut, indem er nur Blätter sammelte, die seiner Hand erreichbar waren; höher ging er nie. Er dachte oft mit Vergnügen daran, welches traurige Schicksal den Blättern bevorstand, die er verschmähte: sie fielen zu Boden und vermoderten. Kein Hahn krähte nach ihnen. In seiner Sammlung aber waren sie, solange sie sich frisch hielten, gepflegte und geehrte Objekte, und selbst danach ging es ihnen in den Alterskammern so gut, als es bei ihrer immerhin großen Anzahl möglich war. Er verstand etwas von den Wünschen der Blätter: er las sie aus den Adern, und wenn er eines dieser leuchtenden Geschöpfe gegen die Sonne hielt, so wußte er nach wenigen Augenblicken, wie ihm zumute war. Seinen Händen war eine eigene Haut für Blätter gewachsen; er hütete sich wohl, sie Menschen zu geben, und nur aus diesem Grunde war er in ein Land übersiedelt, wo das Händeschütteln nicht Sitte war. Er hätte auf den Umgang mit Menschen überhaupt leicht verzichtet, aber es lag ihm daran, die Ehre, die er seinen Blättern tat, öffentlich zu bekunden, und so mußte er manchmal Leute in seine Räume laden. Da führte er sie, mit leichter Herablassung, an Tischen und Tischen vorbei, auf denen Tausende von Blättern lagen, in den edelsten Gesten, und alle offensichtlich mit ihrem Schicksal sehr zufrieden. Er gab nur knappe Erklärungen ab; denn er wußte, wer es nicht in sich hatte, würde es nie wirklich erlernen. Aber seine Worte waren so gefaßt, daß sie den Blättern Ehre machten; keiner verließ die Sammlung, ohne etwas von der Scheu zu verspüren, die diese wunderbaren Geschöpfe verdienen, und manche, leider zu wenige, gingen vorsichtiger auf ihren Wegen und trachteten sehr, nicht auf gefallene Blätter zu treten. Auch sie sprachen wenig und nicht laut von ihrem neuen Erlebnis; ein Kult breitete sich aus, bloß durch Beispiel und ganz ohne Predigt; einige legten selber eine Blättersammlung an. Solchen half er aber nicht; er vermied es, sie zu beraten; sie sollten ihre eigenen Erfahrungen machen; und nie verriet er, was mit den welkenden Blättern geschah; es war strengstens verboten, das Altersasyl zu betreten.

 

»Retten« war das Wort, das die stärksten Bewegungen in seinem Herzen auslöste. Ozeane von Geschöpfen und Beziehungen waren da, zu retten, und er brachte es nie zu mehr als zur heftigen Gebärde des Herzens.

 

Sie lebt in einer Wüste von Erwartung.

 

Immer ist die Zukunft falsch: wir haben zuviel Einfluß auf sie.

 

Die Einsamkeit ist ein Versuch des Menschen, von allen lebenden Punkten des Universums gleich weit entfernt zu sein, denn sie alle wollen ihn fressen.

 

Die Anfälle von Angst kommen mit einer Regelmäßigkeit, die sie verdächtig macht: es gibt Monatsängste, Wochenängste, Tag- und Nachtängste. Sie melden sich, als wären sie bloß dazu da, die Zeit zu markieren.

 

Traurigkeit und Trägheit, die bitteren Brüder.

 

Er hat soviel Ziele, daß er gar nicht schießt.

 

Die geistigen Moden bereichern sich, während sie vergessen sind, und kehren plötzlich erwachsen und anmaßend zurück.

 

Er macht immer etwas Neues, um nie alt zu werden: aber es ist dieses Neue, das am ältesten macht.

 

Der Regen ist der Zins des Himmels an die Erde, für seine wolkige Beute.

 

Man erträgt die Andern, die in derselben Sprache schreiben, nicht, wenn man sie kennt. Etwas, sei es an ihren Motiven, sei es an ihrer Leistung, hat man immer auszusetzen. Sie irritieren einen durch ihre Widersprüche oder durch ihre vollendete Eigenart, je nachdem. Vielleicht kommt es gerade darauf an, daß der schreibende Mensch extrem reagiert und in Seinesgleichen etwas wie Unterdrückung wittert. Aber er darf diesem defensiven Impuls nicht zu häufig nachgeben. Es ist am besten, er hält sich von denen, die nie wirklich seinesgleichen sein können, fern; und wenn für sie die Welt eine Beute ist, bleibt sie ihm eine Luft.

 

Ganz besonders nimm dich in acht vor jeder Philosophie, die das Leben auf ein einziges Prinzip zurückzuführen sucht. Immer handelt es sich dabei um eine Reduktion des Lebens; um seine Verarmung und Mechanisierung; um irgendeine göttliche Tyrannei; der Gott kann auch ein Lehrling sein.

 

Sympathie für die dualistischen Formen des Denkens; es mag viel zwischen den zwei Grundprinzipien zerrieben werden, aber es bleibt unzweifelhaft mehr erhalten als bei dem früheren. Mir selbst am nächsten liegt ein Dualismus, dessen einer Pol pluralistisch geartet ist: so hat man drei Waffen für die Untersuchung der Welt gewonnen: man behandelt das Viele, das Eine (als seinen Gegensatz) und in ihrer Wirkung aufeinander die Zwei.

 

Mit Hingabe ist einer noch kein Dichter, es braucht auch rhythmische Härten.

 

Eine Stunde Lektüre von Nietzsche, erzwungen und feindselig wie sie ist, weckt dennoch alle falschen und totgesagten Ambitionen in einem. Wie muß er auf andre gewirkt haben!

 

Fasse dich kurz: dein Tag hat vierzig Jahre; zwei davon schneidet der Neid ab, es bleiben wenige Monate: du bist um all diese Eile zu alt.

 

Die chinesische Lyrik scheint für die kultivierten Leute alles zu ersetzen, was früher dem »Genre« nachhing. Das fremde Klischee ist aber nicht darum weniger eines, weil es bei der Übersetzung auf solche Schwierigkeiten stößt.

Mich haben, gestern zum erstenmal, alte chinesische Gedichte (in der englischen Übersetzung von Waley) sehr deprimiert – ihre Feinheit, ihre Sentimentalität, ihre Kälte, ihre Nüchternheit, ihre allzuvertraute Traumsprache (und man will doch in jedem Traum wenigstens etwas Neues). Es mag die völlige Reimlosigkeit eine zu große Lockerung des chinesischen Gefüges bedeuten; ich kann das nicht beurteilen. Aber auf jeden Fall, abgesehen von möglichen Unzulänglichkeiten der Übersetzung, ist eines klar: die Ferne dieser Gedichte vom Mythischen. Ihr Glanz ist einer von Bildern und nicht vom Leben. Selbst die Gefühle darin sind gemalt. Die Tendenz geht auf Balance und Beständigkeit. Man kann ruhig werden, aber nicht erfüllt. In allen menschlichen Angelegenheiten scheinen die vorbildlichen und anerkannten Beziehungen durch; aber ohne Leidenschaft sind diese tot. Trotzdem ist die Wendung jeder Situation eine subjektive, immer weiß man, es ist, was zu sehen ist, durch ein gewisses Auge gegangen. Sie sind alle wie beim Fischen gedichtet, an sehr ruhigen Gewässern, und dem Leben so äußerlich wie die Schuppen dem Fisch. Man darf lange nicht in die Bibel geblickt haben, um das zu ertragen. Vielleicht bin ich durch die Bibel für alles verdorben, was keinen Strom hat, weil es keinen haben will. Aber wie bringen die Weisesten den Blutkreislauf zum Stehen? In den starken Stellen der Bibel hat man dieses herrliche Schlagen und Pochen, und selbst während der Mensch träumt, im Schlafe, steht sein Blut nicht still.

Das chinesische Gedicht ist eine viel bewußtere Auswahl, als man sie sonst gewöhnt ist; manches Bedeutende und Schöne in der französischen Lyrik des vorigen Jahrhunderts kommt dem nahe, aber auf dem Untergrund einer mächtigen romantischen Bewegung, der Verwandlung das natürlichste Element ist. Bei den Chinesen sieht es so aus, als wäre gerade im Gedicht die Verwandlung, von der das Leben des Volkes voll ist, verboten; es ist eine skeptische Lyrik, von hohen Beamten oder Fürsten geschrieben, denen daran liegt zu zeigen, wie frei von Aberglauben sie sind.

 

Er ist eifersüchtig auf ihre abgeschnittenen Fingernägel.

 

Er kann vor sich selbst kein Geheimnis bewahren, er träumt zu leicht.

 

Da kommt Einer, der die Vögel zwingt, alle gleich rasch zu fliegen.

 

Er fürchtet sich vor dem nächsten Jahrhundert, weil er nicht weiß, wer dann regieren wird. Er will weder Kinder noch Kindeskinder. Er will sterben, solange er sich noch auskennt. Er verabscheut die Namen neuer Länder, besonders wenn sie sich an der Stelle andrer bilden, die er selbst bereist hat. Nun gar erst neue Sprachen und neue Redner, die heute auf der ganzen Erde niemand verstehen könnte!

 

Er schlug sein Bett zwischen zwei Worten auf, so ging er im Traum nicht verloren.

 

Immer sticht eine Wahrheit der andern in die Ferse.

 

Der Sterbende haucht seine Seele nicht aus, er ißt sie.

 

Schon um weniger zu wissen, wüßte ich gern mehr.

 

Der Doppelgänger, der Ka, das Eidolon, für die Meisten der Kamerad, ist für Viele jetzt die Frau geworden. Besonders in England sind solche Doppelgänger-Ehen häufig. Der Respekt, den man seiner Frau entgegenbringt, ist zum guten Teil ein Respekt vor dem eigenen Abbild. Man achtet einander, weil man immer zusammen ist. Was die Frau an Herrschaft dabei gewinnt, verliert sie als Frau. Sie bewegt sich in parallelen Gesten zum Mann und darf nicht aus seiner Art schlagen. Am ehesten kann sie noch Frau sein, wenn er und sie nicht beisammen sind; da sieht sie ihm entgegen, statt neben ihm herzugehen.

 

Er hat alle paar Jahre eine neue Mutter, und hat jede verzweifelt gern. Er ist jetzt achtzig und seine letzte Mutter gerade zwanzig.

 

Den Klugen fressen die Motten.

 

Er sitzt auf Kohlen, aber sie wollen nicht glühen.

 

Lauter Herren, Misters, Messieurs, Señores, Signori: ja wer bleibt da noch zum Treten übrig?

 

Er fürchtet alles, weil er nichts vergessen kann.

 

Man hat die Hunde zu wenig studiert: sie sind das »Menschliche« in Quintessenz, und wie unmenschlich ist es!

 

Wer den Erfolg anbetet, ist auf jeden Fall verloren: wenn er ihn hat, wird er ihm ähnlich; wenn er ihn nicht hat, verzehrt er sich in der falschesten Sehnsucht.

 

In einer weniger kommerziellen Zeit hieß der Erfolg noch Ruhm; vielleicht war er damals schöner.

 

Ich fürchte mich vor den Sternen, die ich nicht kenne.

 

Gottes Freunde sind über seine Größe ganz verzweifelt.

 

Der Mensch hat die Wahl im Alter zu Holz oder zu Stein zu werden. Das Holz duftet, aber der Stein ist noch härter.

 

Man kann sein Unglück nur verwinden, indem man es spielt.

 

Er denkt, er denkt, bis seine Finger vor Müdigkeit krachen und er sie unversehens auf die letzten glimmenden Scheite wirft.

 

Die Disziplin jeder Kunstform ist mörderisch: der Mensch kann noch viel mehr als gehorsam und sparsam sein.

 

Der Mensch verdient kein Privatleben.

 

Man wird müde, um dieser heftigen Pein der Ergriffenheit zu entgehen.

 

Die Ruhe des Menschen hängt von einem Sandkorn ab, um das seine tonnenschwere Eitelkeit plötzlich zuviel wiegt.

 

Man kann alles töten: einen Menschen, ein Werk, einen Namen und selbst einen Gott, aber keine wirkliche Liebe.

 

Man unterschätzt die Empfindlichkeit eines Menschen, mit dem man zu jeder Zeit sprechen kann.

 

Durch das Alte Testament geht eine Geschichte: der Kampf des Wortes gegen das Abbild. Haben die Juden den Haß gegen das Bild aus Ägypten mitgebracht? War für sie selbst die Schrift der Ägypter aus falschen und unverständlichen Bildern zusammengesetzt? Hatten sie einen bestimmten Tempel, um darin dem Abbild eines Gottes zu frönen? Dafür spricht die Errichtung des goldenen Kalbes, wie aus Gewohnheit. – Jedenfalls ist ihr Haß gegen das Bild von unausdenklichen Folgen gewesen. Mehr als die schöne und vielgestaltige Philosophie der Griechen hat ihre beharrliche Ranküne ausgerichtet. Man könnte es verstehen, wenn die Anbeter und Bewunderer der Bilder zu einem Rachebund gegen die Juden zusammengetreten wären und an einem einzigen Tage alle Buchstaben der Welt verbrannt und ausgerottet hätten.

 

Ich möchte die Bibel so auf mich einwirken lassen, als ob ich nicht von Juden stammte, wie etwas Fremdes und ganz neu Entdecktes, durch einen glücklichen Zufall ausgegraben. Ich bin immer mehr davon überzeugt, daß sie mir zu den kühnsten Schlüssen verhelfen kann, so als sei sie noch überhaupt nie gelesen worden.

 

Gott als Politiker: es ist ein schwieriges und gefährliches Unternehmen, die Methoden genau zu bestimmen, mittels deren es Gott geglückt ist, seine Diktatur über die Erde auszubreiten. Man muß ganz ohne Haß und Parteilichkeit sein, ohne Sympathie für die eigenen Vorfahren, deren er sich zu seinem Unternehmen bedient hat. Man darf es ihm nicht verargen, daß ihm mehr Zeit zu Gebote stand als seinen menschlichen Adepten. Man muß ihm kühl, mit Neugier und Staunen zusehen, und ihm ja nicht den Prozeß machen; sonst ist man gleich wieder mitten in einem Schaustück, bevor man ihn noch recht kennt. Der Gott der Bibel ist interessant, es hat nie ein machtgierigeres Geschöpf gegeben: er straft nur nach Verrat; er belohnt nur den treuen Dienst; und er tritt mit dem Anspruch auf, alles zu besitzen, weil er alles gemacht hat.

 

Das Staunen lebt vom Zufall. Im Gesetz erstickt es.

 

Der Mensch muß seine Ideale zuweilen, um ihnen neue Kraft zu geben, verbergen; sonst wird er dumm.

 

Der Mensch ist das Maß aller Tiere.

 

Sisyphus liebt seinen Stein, weil er ihn schleppt.

 

Die Bibel ist sein Kissen und er träumt von Bathseba.

 

Eine Sprache macht die andere elastisch.

 

Eine Zeit, in der man von Deutschen, Franzosen und Engländern wie von Assyrern, Medern und Persern spricht, mit leisem Befremden, daß man sie überhaupt erwähnt.

 

Man spitzte ihn zu einem langen Pfahle zu; man pflanzte ihn öffentlich auf; bald hatte er tausend Anbeter.

 

Er lügt nicht, er lächelt.

 

Sein Gedächtnis haßt ihn; es meldet sich immer dann, wenn er den Mund halten sollte.

 

Der Eroberer findet nicht mehr aus der Landkarte zurück.

 

Der Dümmste gelangt am leichtesten ans Ziel: er sieht nichts anderes. Chauffeure, Piloten, Einbrecher, Mörder.

 

Die Ethik des alten Mannes ist seine Gesundheit.

 

Das Gleichgewicht der Denker wird durch ihre Verachtung für Märchen gestört. – Meditationen über alle Märchen und Mythen. Welch eine Theologie, welch eine Scholastik müßte das ergeben, da doch die eine Geschichte Christi für unsere ganze Scholastik ausgereicht hat.

 

Sentimentalität ist die Bestechlichkeit der Güte.

 

Er zieht täglich eine frische Freundschaft an und schickt die alten in die Wäscherei.

 

An den Tieren haben sie das Schlachten gelernt. Jetzt brauchen sie eine Gattung von Göttern, um es an diesen zu verlernen.

 

Die Erde hält das Treiben dieser Läuse nicht mehr aus und richtet sie mit einer Springflut zugrunde.

 

Die Eile der Toten: sie wollen so rasch wie möglich aus dem Bereich der Explosionen hinweg.

 

Er hat den kleinen Finger seines Jüngsten aus dem Krieg gerettet.

 

Bei der Zählung zeigte es sich, daß man fast allen Tanks die Herzen ausgeschnitten hatte; und bei den wenigen Ausnahmen schlug es zu heftig.

 

Nach dem Krieg muß jeder der lacht sterben, weil der den Krieg so leicht vergessen hat.

 

Es wird ihn niemand überleben; denn jeder, der ihn ertragen hat, ist gestorben.

 

Alle Waffen werden abgeschafft und im nächsten Krieg ist es nur noch erlaubt zu beißen.

 

Die lustigen Städte gehen in Flammen auf, die Häuser wiehern, die Kirchen schnauben, in den unterirdischen Kellern sammeln sich Seen von Bier und verrunzelten Worten an, und darin die Leichen der Trinker.

 

Auf der Friedenskonferenz wird beschlossen, Europa die gerechte Chance zu geben, die es sich in einem schweren und langjährigen Kriege verdient hat. Es soll alles von gleich auf beginnen. Um das möglich zu machen, wird zuerst einmal eine interterritoriale Flotte von Bombern gebildet, die alle Städte, welche durch Zufall noch stehen, vernichtet.

 

Mit Hohn ist nichts getan, mit Liebe nicht, mit Güte nicht, mit Rache nicht, mit Glauben nicht, mit Sühne nicht, mit Stolz nicht, mit Leben nicht, mit Tod nicht – o womit soll denn etwas getan sein?

 

Im letzten Krieg hatten die Deutschen noch Handschuhe an; aus Eisen zwar und sie schlugen damit ins Gesicht; aber immerhin sie nannten sie Handschuhe.

 

Steinerne Ohren, Augen voll Wärme und Mitgefühl.

 

Ihn quälen die verschlossenen Koffer im Hause. Er hat nicht die Schlüssel zu ihnen, aber es ist sein Haus.

 

Er heiligt sich selbst: sammelt seine Spiegelbilder im Wasser, gräbt die Spuren seiner Schritte aus und trägt sie heim; mißt die Zunahme seines Schattens; versteinert seine Ausscheidungen; verlängert seine Haare, um Jahre; faßt seine Nägel ein, bis sie schmerzen; und flattert auf dem Echo seiner ältesten Worte.

 

Man scheut sich, eine Landschaft mit Worten zu benennen, die ihr fremd sind, als könnte sie das verändern.

 

Die Verzweiflung des Gesicherten tönt wie das Gebet des Priesters: sie kommt nicht aus der Not.

 

Die leibliche Begegnung, nach der die Geister sich immer sehnen, ist ihre größte Enttäuschung. Immer bleibt der eine voll von Entsetzen und Ekel über den andern zurück; immer sind beide darin im Recht.

 

Auf das Verhältnis von Lachen und Staunen allein kommt es an.

 

Die Liebe hat immer einen Bandwurm, und er wächst mit ihr.

 

Er wäre gern sein eigener Vater gewesen, und gleich die Mutter dazu.

 

Ich hasse die Ecken des Menschen, seine unverdauten Befehle.

 

Schicksale haben etwas Heiliges, in jedem Falle.

 

Der Lügner will oft nur länger reden.

 

Wer seinen Instinkten frönt, der geht an ihrer Feindschaft untereinander zugrunde. Wer Verstand hat, ist immer alt. O schwere, o schwerste Wahl!

 

Das Normale ist ein Zimmer ohne Türen und Fenster. Es ist rätselhaft, wie einer da hineingerät. Aber es gibt Pläne davon, und viele sitzen gern darübergebeugt.

 

Die verschiedenen Sprachen, die einer haben müßte: eine für seine Mutter, die er später nie wieder spricht; eine, die er nur liest und nie zu schreiben wagt; eine, in der er betet und von der er kein Wort versteht; eine, in der er rechnet, und alles Geldliche gehört ihr; eine, in der er schreibt (aber keine Briefe); eine, in der er reist; in dieser kann er auch seine Briefe schreiben.

 

Es sah aus wie beschriebenes Papier. Aber es war eine Sprache, die noch keiner entziffert hatte.

 

Die Völker halten sich für unerschöpflich; sonst wären sie nicht alle ausgestorben.

 

Gott ist an der Profanation seines Namens zugrunde gegangen, nun können sie lange nach ihm rufen.

 

Es ist zuwenig daran gedacht worden, was von Toten wirklich lebendig bleibt, zerstreut in den anderen; und es ist keine Methode erdacht worden, diese zerstreuten Reste zu nähren und so lange als möglich am Leben zu erhalten.

Die Freunde eines toten Mannes kommen an bestimmten Tagen zusammen und sprechen nur über ihn. Sie machen ihn noch mehr tot, wenn sie nur Gutes über ihn sagen. Sie sollten lieber streiten, für oder gegen ihn Partei nehmen, geheime Streiche von ihm berichten; solange es noch Überraschendes über ihn zu sagen gibt, verändert er sich und ist nicht tot. Die Pietät, die ihn auf einem bestimmten Stand zu konservieren sucht, ist gar nicht freundschaftlich. Sie entspringt der Angst und will ihn nur irgendwo harmlos halten, wie im Sarg und in der Erde. Damit der Tote, auf seine dünnere Weise, weiter lebt, muß man ihm Bewegung gönnen. Er soll zornig sein, wie früher, und im Zorn ein unerwartetes Schimpfwort gebrauchen, das nur dem bekannt war, der es berichtet. Er soll zärtlich werden; die ihn streng und erbarmungslos kannten, sollen plötzlich erleben, wie er lieben konnte. Beinahe wünschte man sich, jeder der Freunde hätte seine Rolle des Toten darzustellen, und aus allen zusammen wäre er dann da. Man könnte auch bei diesen Festen allmählich Jüngere und Nicht-Initiierte zulassen, damit sie, soweit es ihnen möglich ist, den ihnen Unbekannten noch erleben. Gewisse Gegenstände, die mit ihm zusammenhängen, sollten von Hand zu Hand gehen, und es wäre schön, wenn bei jeder jährlichen Zusammenkunft zu einer Geschichte sich auch ein neuer bis dahin geheim gebliebener Gegenstand fände.

 

Man muß sich von Zeit zu Zeit, besser oft, am besten immer, auf etwas beziehen, das sehr weit von einem weg ist und auf das man gar keinen Einfluß hat. Seit die Sterne so weit weggerückt sind, eignen sie sich besser dazu als Gott. Denn sie sind immer wieder sichtbar, und sie bleiben sich gleich. Es sind ihrer viele und es könnten ihrer noch mehr sein. Sie senden einem Licht, und man weiß, daß man ihnen keines wiedergeben kann.

Liebhaber ohne Adresse