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Melina D`Angeli

Ein Hauch von Liebe

Liebesroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel:

Ein Hauch von Liebe

Liebesroman

von Melina D’Angeli

 

Text Copyright © 2016

Covergestaltung: Chris Gilcher - http://design.chrisgilcher.com

Alle Rechte vorbehalten

 

Fassung: 1.02

 

Die Geschichte ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und/oder realen Handlungen sind rein zufällig.

 

Ein ganz herzliches Dankeschön geht an meine fleißigen Testleserinnen:

Birgit & Lia

 

Inhalt

 

Ein Hauch von Liebe

Nur ein Hauch – geht das überhaupt?

Gerade beim Thema Liebe würde doch fast jeder sagen: ganz oder gar nicht?

Und wenn es tatsächlich nur ein Hauch ist, was bedeutet das denn dann für eine mögliche gemeinsame Zukunft?

Das fragt sich auch Caroline Schuster. Schon seit Monaten sieht sie sich nur noch einem Scherbenhaufen gegenüber. Als Leben würde sie den freiwillig schon lange nicht mehr bezeichnen. Nicht nur, dass ihr Vater gerade erst gestorben ist – nein! – ihre Mutter meint seither auch, dass es Caros Aufgabe sei, die Geschicke der Familie zu lenken. Irgendwann leidet sogar ihr Job als Redakteurin bei einem angesagten Yellow-Press-Magazin unter ihrem Privatleben. Als letzte Rettung schlägt ihr Boss einen Business-Trip in die Staaten vor. Aber dort erwarten Caro schon neue Probleme: Zum Beispiel ein überaus erfolgreicher Buchautor, der an allem Interesse hat, außer an Interviews. Dieser Matthew Pullman erweist sich als harte Nuss. Um die zu knacken, muss Caro auch ihre letzten Bedenken über Bord werfen und nicht nur ihr Innerstes entblößen.

Herzensdinge sind eben alles, aber nicht einfach!

 

Melina D’Angeli: Meine Bücher beschäftigen sich übrigens mit ganz normalen Frauen, die – außerhalb von Model-Maßen, Silikon-Tuning oder Botox – mit dem Leben und seinen alltäglichen Herausforderungen zu kämpfen haben. In dieser Welt haben die wenigsten Männer einen Waschbrett-Bauch oder fahren Porsche … ;)

 

Am Ende des Buchs folgt noch eine kleine Leseprobe von ›Der Prinz auf dem Fahrrad‹

 

Alle Bücher von Melina D’Angeli

 

Aus der Reihe Küssen kann man nicht alleine:

- »Alles auf Anfang …« (Teil 1)

- »Einer mit H.E.R.Z.« (Teil 2)

- »Zwei Herzen in einem Bauch« (Teil 3)

- »Finale« (Teil 4)

 

- »Der Prinz auf dem Fahrrad« (Ein humorvoller Liebesroman)

- »Ein Hauch von Liebe« (Liebesroman)

- »Zwei Mäuse oder: Liebe ist unsterblich« (Ein humorvoller Liebesroman)

 

 

Aktuelle Informationen, Newsletter-Service und Aktionen findet ihr (noch) auf der Homepage von Thomas Herzberg, der mich dort als Gast aufgenommen hat :)

 

ThomasHerzberg.de

1


»Kannst du mir wenigstens verraten, wie das funktionieren soll?« Meine Kollegin Sandra stand mit hängenden Schultern vor meinem Schreibtisch. Sie wirkte wie ein Häufchen Elend und versuchte, mich mit ihrem typischen Welpenblick zu verunsichern. »In nicht mal sechs Stunden machen wir die Kiste zu und gehen in den Druck. Und du sagst, dass du mit deinem Artikel über unseren Starfußballer und seine nächtlichen Eskapaden noch nicht mal halb fertig bist.« Sie zuckte die Achseln. »Wie stellst du dir das vor, Schätzchen? Wir haben die Bilder ganz vorne drauf und noch keinen Text dazu. Das wird nicht gut aussehen, fürchte ich.«

»Ich hab bis Nachmittag in der Redaktionssitzung gehockt«, erwiderte ich viel zu giftig. Schon bemühte ich mich, meinen Ton ein bisschen zu entschärfen. »Eric hat angefangen und dann kam Rosenbaum. Der hat geredet und geredet …«

»Lass mich raten: Dabei ist mal wieder nicht besonders viel herausgekommen, richtig?«

»Und selbst das wäre noch freundlich ausgedrückt.« Ich reckte mich und ließ ein animalisches Stöhnen erklingen. »Manchmal frage ich mich, wie so ein Typ Vorstandsvorsitzender werden konnte. Und noch mehr, wie der jemals einen einzigen Artikel mit eigenen Händen verfasst hat.«

»Apropos Artikel … was ist denn jetzt?«, drängelte Sandra.

»Tu mir bitte einen Gefallen, Süße. Verschaff mir so viel Zeit, wie möglich. Und ich verspreche dir, dass ich mir die Fingerchen wund schreibe. Okay?«

»Aber nur, weil du es bist! Jeder anderen würde ich die kalte Schulter zeigen, und sie …«

»Ich weiß! Und deshalb bist du auch die Beste. Nein – die Allerbeste!«

»Kannst du das vielleicht Tom erzählen? Wenn’s geht, genau so

»Ist bei euch Turteltauben mal wieder dicke Luft?« Ich musste mir sogar auf die Unterlippe beißen, um nicht zu lachen. »Also, habt ihr euch …?«

»Unser aktueller Status ist off!«, informierte mich Sandra mit schiefem Grinsen. Wobei ihr dieser Umstand nicht sonderlich viel auszumachen schien. »Er hat am Wochenende seine Sachen gepackt und meinte, dass er nicht mehr zurückkäme.«

»Das hat er die letzten zehn Male auch gemeint«, erwiderte ich in beiläufigem Ton. Hauptsächlich, weil der wesentliche Teil meiner Aufmerksamkeit schon wieder meinem Monitor gehörte. Schließlich musste der Artikel fertig werden – schnellstmöglich!

»Wenn ich ehrlich bin, dann glaube ich sogar, dass es besser so wäre«, grübelte Sandra laut vor sich hin. Sie war schon im Begriff, sich aus dem Staub zu machen.

»Ich mag diese ON/Off-Beziehungen. Vorausgesetzt, dass ich nicht selbst ein Teil davon bin.« Jetzt war es wohl in Ordnung zu lachen. Zumindest hatte ich das entschieden und brauchte eine ganze Weile, um mich wieder einzukriegen. »Wenn es nach mir geht, dann könnt ihr gerne noch ein bisschen so weitermachen. Für solch eine Unterhaltung muss man ansonsten nachmittags den Fernseher einschalten. Aber da verschwende ich meine Zeit ja mit Arbeit.«

»Du bist doch eine widerwärtige Schlange«, empörte sich Sandra künstlich und zog von dannen. Mich hinterließ sie mit einem Artikel, der mich in etwa so viel interessierte, wie das Balzverhalten der Nebelkrähen bei Vollmond. Aber es half nichts. Also hämmerte ich weiter auf meiner Tastatur herum und sog mir Geschichten aus den Fingern, die ich nicht mal selbst glauben wollte.


Als ich an diesem Abend das Büro verließ, war es schon nach neun. Wie immer beschloss ich auch dieses Mal, nie wieder zurückzukehren. Eigentlich auch eine Art ON/Off-Beziehung, die jeden Abend endete, um schon am nächsten Morgen von Neuem zu beginnen. Aber das spielte in diesem Moment keine Rolle, denn ich befand mich in der seltsamen Halbwelt zwischen meinem Arbeitsplatz und meinem Zuhause. Unser Büro befand sich am Rödingsmarkt, mitten im Zentrum Hamburgs. Zur gleichnamigen U-Bahn-Station waren es nur ein paar Schritte für mich. Hier war alles noch relativ normal. Aber wenn ich dann die U3 am Hauptbahnhof verließ, kam mir das an jedem Tag immer mehr wie ein Abenteuerurlaub in Absurdistan vor.

Auf meinem Weg zum nächsten Zug musste ich das Bahnhofs-Gebäude kurz verlassen und einen großen Platz überqueren. Hier begegnete man Allem und Jedem. Eine Odyssee, bei der jeder einzelne Eindruck selbst die kühnsten Erwartungen bei Weitem übertraf. Und wenn ich dann endlich in der nächsten U-Bahn saß, schaute ich nur noch in die typischen toten Gesichter. Während ich den ganzen Tag Glanz und Glamour auf Hochglanzfotos betrachtete, hieß mich hier die nüchterne und nicht selten bedrohliche Realität willkommen.

Wenn ich allerdings – eine gute halbe Stunde später – aus dem Bus kletterte und kurz darauf die Tür zu meinem kleinen Zwei-Zimmer-Paradies mitten in Hamburg-Sasel aufschloss, dann war die Welt wieder halbwegs in Ordnung. Zumindest, bis das Telefon für gründliche Ernüchterung sorgte. Und das ließ in letzter Zeit nur selten lange auf sich warten. Ich hatte gerade erst meine Handtasche verstaut und meinen Jutebeutel in der Küche aufgehängt, da hörte ich es im Wohnzimmer schon klingeln. Ich brauchte nicht einmal auf das Display zu schauen und meldete mich mit einer Stimme, die meinen aktuellen Gemütszustand hoffentlich eins zu eins widerspiegelte: »Hallo, Mama. Wie geht’s dir heute?«

»Du bist aber wieder spät zu Hause«, begann meine Mutter, im Gegensatz zu mir, ohne Begrüßung. Außerdem sollte sie eigentlich wissen, dass ich solche Frontalangriffe überhaupt nicht leiden konnte. »Du musst aufpassen, dass man dich bei dieser Zeitung nicht verheizt. Hätte dein Vater damals auf mich gehört, dann wäre er vielleicht noch …«

»Mama!« Irgendwie musste ich meine Mutter stoppen. Nicht schon wieder dieses leidige Thema! Damit verbunden die üblichen Standard-Predigten: Was alles passiert wäre, wenn … und schlussendlich das Fazit, dass alle besser daran täten, rechtzeitig auf sie zu hören.

»Ich weiß, dass du solche Dinge nicht hören magst, Schatz. Aber es ist nun mal so!«

»Apropos – ist noch was? Ich bin nämlich todmüde und hab seit heute Mittag nichts mehr gegessen. In der U-Bahn bin ich zwei Mal zusammengezuckt, weil ich dachte, dass ein Hund hinter mir knurrt. Aber das war mein Magen«

»Du musst einfach regelmäßiger essen, Kleines. Ich habe deinem Vater oft genug gesagt, dass er …«

Es gab Momente, in denen war das Maß voll. Übervoll! Also hatte ich kurzentschlossen die Reißleine gezogen. Besser gesagt, den kleinen Knopf mit dem roten Telefon darauf gedrückt.

Und ich hatte den Hörer gerade erst in die Ladeschale zurückgelegt, als das Ding schon wieder zu klingeln anfing. Vermutlich wurde es Zeit, mal gründlich die Bedienungsanleitung zu studieren. Irgendwie musste es doch möglich sein, den Knochen zum Schweigen zu bringen, auch ohne dafür die Batterien zu entfernen.

Auf dem Weg in meine winzige Küche beschloss ich, in Zukunft – um meiner selbst willen – deutlich rigoroser zu verfahren. Während alle mit diesem neumodischen Begriff Burnout herumliefen, war ich mir sicher, längst mittendrin zu stecken. Und was meine Mutter anging, so musste sie endlich verstehen, dass ich nicht mehr als ihr seelischer Abfalleimer fungieren konnte. Wollte! Dieser Abend hatte eine neue Runde eingeläutet. Die nächste Episode in einem Spiel, bei dem es am Ende grundsätzlich keine Gewinner gab. Das machte die Sache noch verrückter.

Das Telefon hatte gerade erst zu klingeln aufgehört, da fing es gleich von Neuem an. Mit langen Schritten stapfte ich in mein Wohnzimmer zurück, riss den Hörer von der Ladeschale und bölkte wütend hinein: »Mama! Ich kann nicht mehr, verstehst du? Ich bin völlig am Ende!«

»Ich auch«, erklang eine Männerstimme am anderen Ende. Die konnte ich nicht mal sofort einordnen. »Aber was deine Mutter betrifft – davon trennen mich noch ein paar Zentimeter.«

»Sehr witzig, Stefan!« Mittlerweile wusste ich, wer für diesen nächsten Überfall verantwortlich war. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie spät es ist?«

»Früher erreicht man dich doch ohnehin nicht.« Diese Rechthaberei war typisch für meinen Exfreund. »Seit wann hast du denn deinen Anrufbeantworter abgeschaltet?«

»Seitdem zu befürchten steht, dass du mich auch weiterhin mit Anrufen nervst. Was willst du, Stefan? Ich bin todmüde und musste gerade eben schon meine Mutter abwürgen, weil …«

»Ist es soweit? Beginnt zwischen euch beiden endlich der lange überfällige Abnabelungsprozess?« Stefan schenkte mir eines seiner ganz besonders überheblichen Lachen. »Wenn es nach mir ginge, wäre ich dazu bereit, es noch mal mit dir zu versuchen. Wir könnten ja …«

Klick! Ich muss sagen, langsam gewöhnte sich mein voreiliger Daumen daran, diesen ultimativen Problemlöser in Rot zu drücken. Und danach musste ich den Hörer auch nicht wieder in die Ladeschale zurückverfrachten, denn ich hatte so lange an diesem seltsamen Deckel auf der Rückseite herumgefummelt, bis mir endlich die Batterien entgegenfielen.

Herrlich … diese Ruhe!

Zum ersten Mal seit Wochen hatte ich das Gefühl, als könne ich mich innerlich zurücklehnen und entspannen. Ich musste an diesem herbeigesehnten Zustand so lange festhalten, wie es nur möglich war. Ihn bestenfalls für einen kurzen Moment loslassen, wenn ich etwas essen oder trinken wollte. Oder auf der Toilette. Auf jeden Fall aber würde ich diesen seltenen Gast mit ins Bett nehmen und ihn dort umklammern, bis wir Arm in Arm einschliefen. Ich malte mir immer noch einige weitere farbenfrohe Details aus, als es an meiner Wohnungstür klingelte. Kurz darauf hörte ich, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Danach war es überflüssig, zu überlegen, wer dort kam, um mein gerade erst errichtetes Paradies mit einem Baseballschläger zu zertrümmern.

»Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, Kleines. Außerdem scheint dein Telefon irgendwie kaputt zu sein – du warst plötzlich weg.«

Ich stand mittlerweile vor meiner Kommode und schaute einen Briefbeschwerer an. Ein abgrundtief hässliches Relikt, das ich vor über zehn Jahren von meinem Vater zum bestandenen Abitur geschenkt bekommen hatte. Meine Hoffnungen hatten sich seinerzeit auf ein erstes eigenes Auto fokussiert. Kein Wunder also, dass ich ein wenig enttäuscht war, nachdem ich nur dieses fürchterliche Ding und eine Karte ausgepackt hatte. Aber das Teil wog rund zwei Kilo und würde sich vermutlich hervorragend eignen, um meine Mutter damit zu erschlagen. Vielleicht auch, weil sie meinen Vater damals auf hinterhältigste Weise bei seinem üblen Scherz unterstützt hatte. Denn erst am nächsten Morgen, als ich nach der Abiturfeier verkatert aufwachte, stand mein schwarzhumoriger Erzeuger mitten im Zimmer und klimperte mit einem Schlüssel. Der gehörte zu einem rosafarbenen R5, dem ich auch meinen Spitznamen während des Studiums zu verdanken hatte: Tante Rosa.

»Du musst dich besser organisieren, mein Schatz«, setzte meine Mutter ihre Offensive unerwartet fort. »Hier sieht es ja aus wie bei Hempels unterm Sofa.«

»Woher weißt du denn, wie’s da aussieht?«, erkundigte ich mich gähnend. Jetzt schlurfte ich an meiner Mutter vorbei in Richtung Küche. Dort angekommen, zog ich die Kühlschranktür auf und holte ein Paket Käse heraus. Schon auf dem Rückweg ins Wohnzimmer stopfte ich mir die erste Scheibe in den Mund und ließ mich auf meine Couch fallen.

Aber die seltsame Frau, in deren Uterus ich dereinst herangereift war, wollte anscheinend nicht lockerlassen und setzte bereits zu einem neuen Vorstoß an: »Dein Vater wäre ohne mich untergegangen. Wenn ich ihm nicht jeden Morgen seine Brote gestrichen und seinen Kaffee gemacht hätte, dann wäre er vermutlich verhungert.«

»Und jetzt ist Papa trotzdem tot. Das hilft also auch nicht mehr.« Mein Kopf plumpste auf ein dickes Kissen, von dem aus mich sonst Garfield angrinste; der Kater, der keine Montage mochte. Bei mir war das anders. Seitdem ich mich auch an den meisten Samstagen ins Büro schleppte, gelang es mir eigentlich nur noch sonntags, ein halbwegs glaubwürdiges Lächeln zu produzieren.

»Kannst du mir sagen, wie es bei dir weitergehen soll?« Meine Mutter war offensichtlich noch nicht fertig. »Schätzchen, du bist gerade mal dreißig … da solltest du langsam damit anfangen, dir Gedanken über das große Ganze zu machen. Als ich in deinem Alter war, wusste ich schon ganz genau, was ich …«


Irgendwann war ich wohl eingeschlafen. Als ich aufwachte, war meine Mutter verschwunden. Trotzdem hatte sie nicht dieses Gefühl mitgenommen, das sich von Tag zu Tag mehr in mir breitmachte. Sinnlosigkeit! Man konnte es nicht anders nennen. Nichts ergab mehr einen Sinn und ich fühlte mich nur noch wie eine Maschine, die ihren Dienst tut und ansonsten in einer verstaubten, dunklen Lagerhalle auf den nächsten Tag wartete. Alles in mir schrie nach Veränderung. Jede einzelne Zelle lechzte nach etwas Neuem, aber auch nach etwas Altbekanntem, das ich viel zu lang nicht mehr oder vielleicht sogar noch nie richtig gespürt hatte: Liebe.


2


Ich hatte es an diesem Morgen tatsächlich geschafft, relativ pünktlich aufzubrechen. Schon beim Frühstück – einem schwarzen Kaffee und einer Schale Cornflakes dazu – hatte ich beschlossen, meinem wütenden Drang nach Veränderungen endlich Taten folgen zu lassen. Regelrecht beschwingt sprang ich also am Rödingsmarkt aus dem Zug der U3 und landete auf dem Bahnsteig. Meinen rechten Absatz schien die neu in mir aufgekeimte Energie unterdes noch nicht erreicht zu haben. Mit anderen Worten: Das Teil brach einfach ab und schlitterte sogar ein Stück über den glatten Betonboden. Ich machte mir nicht mal mehr die Mühe, ihn aufzuheben, sondern humpelte stattdessen schon in Richtung Rolltreppe. Zuerst dachte ich noch daran, auch den zweiten abzubrechen. Das hatte ich mal in irgendeiner Werbung gesehen und fand es damals irgendwie hipp.

Unten auf dem Bürgersteig erinnerte ich mich plötzlich an ein ungeschriebenes Gesetz, das in unserem Büro seit jeher galt. Frauen hatten bei uns Absätze zu tragen. Wer nicht auf mindestens zehn Zentimetern herumstöckelte, und sei es noch so unbeholfen, der war entweder prüde oder lesbisch. Ich überlegte also tatsächlich, ob ich die Rolltreppen noch mal hochfahren und auf dem Bahnsteig nach dem kleinen Schlingel suchen sollte. Kopfschüttelnd verwarf ich diesen albernen Gedanken und setzte mich wieder in Bewegung. Nur weil ich mal einen Tag lang nicht auf Stelzen herumlief, würde mir hoffentlich keiner unterstellen, dass ich ein Verhältnis mit der Briefträgerin angefangen oder mein Schmuckkästchen auf eBay versteigert hätte.

Als ich kurz darauf hinter meinem Schreibtisch angekommen war, schaute ich auf den Teppichboden, der sich unter meinem Jutebeutel zunehmend verfärbte. Ich stemmte mich noch mal hoch und verfolgte mit den Augen meinen eigenen Weg durchs Büro. Eine Spur brauner Tropfen – das war der Kakao aus meiner Thermosflasche – schlängelte sich in unregelmäßigen Abständen von der gläsernen Eingangstür genau bis zu meinen Füßen. Die waren mittlerweile übrigens nackt, weil ich meine Schuhe einfach ganz ausgezogen hatte. Und als ich wieder aufsah, erkannte ich Sandra, die aus Erics Büro gerast kam. Sie sah aus, als wäre sie im Aquarium – so nannten wir den quadratischen Glaskasten hinter vorgehaltener Hand – nicht unserem Chefredakteur, sondern Gevatter Tod persönlich begegnet. Einen Moment später stand sie zitternd vor mir. Sie sah aus, als wolle sie sogar weinen. Und so hatte ich meine Kollegin und Freundin noch nie zuvor erlebt.

»Was ist los?«, erkundigte ich mich vorsichtig grinsend. »Hat er dir endlich einen Antrag gemacht?«

Ohne ein Wort zu sprechen, warf mir Sandra ein druckfrisches Exemplar unseres Hochglanzmagazins auf den Schreibtisch. Und weil sie eben nichts sagen wollte, überflog ich eilig das Titelblatt und saß kurz darauf nur noch mit offenem Mund da. »Hab ich das geschrieben?«, stammelte ich mit Grabesstimme.

Sandra nickte nur. Jetzt kullerte tatsächlich die erste Träne über eine ihrer Wangen.

»Und das ist genauso in den Druck gegangen?«, vergewisserte ich mich zur Sicherheit, obwohl ich die Antwort natürlich kannte. »Wie konnte das denn bloß passieren?«

Endlich schaffte es Sandra, ihr Schweigen zu brechen: »Als du fertig warst, hab ich es nur überflogen und genauso freigeschaltet. Die Drucker saßen mir im Nacken und ich hab nebenbei …«

»Was hast du nebenbei?« Ich versuchte, meinen Tonfall unter Kontrolle zu halten. Es war zwar Sandras Job, meine Fehler zu eliminieren. Aber ich war keine von der Sorte, die nach oben hangelte und dabei nach unten trampelte. Deshalb fuhr ich noch gefühlvoller fort: »Sag schon, Süße. Was hast du nebenbei …?«

»Ich hab mit Tom telefoniert«, gab Sandra ganz ehrlich zu. Danach wich sie meinen Blicken hartnäckig aus.

»Also ist der Status jetzt wieder On?«, stellte ich nüchtern fest und schaffte es sogar, ein Lächeln zu produzieren. Selbstverständlich spielte Sandras Liebesleben in diesem Moment nicht die geringste Rolle. Aber es lenkte mich zumindest für ein paar Sekunden von der gefühlten Katastrophe ab, die dort in Hochglanzfarben auf meinem Schreibtisch lag und mich immer gehässiger angrinste.

Sandra nickte und ich fiel irgendwann sogar mit ein. Wir schauten uns an und schwiegen einfach nur noch. Es gab Schlimmeres! Zum Beispiel ein Erdbeben oder einen Vulkanausbruch … oder eine Epidemie mit …

»Eric will dich sofort sehen«, presste Sandra mühevoll heraus und riss mich damit aus meinen gedanklichen Horrorszenarien. »Aber vielleicht solltest du ihm lieber noch ’ne Stunde aus dem Weg gehen. Als ich raus bin, sah er aus, als würde er mich am liebsten umbringen.«


***


»Hast du deine Zahlen von dieser Woche gesehen?« Jeff Torres schaffte es kaum, seine Stimme im Griff zu halten. Es schien fast so, als wollten sich seine Worte vor lauter Freude überschlagen. »Platz eins, vier und sieben. Und das sind nur deine Titel in den Top10. Im Moment hast du täglich an die vierzigtausend Downloads und das entspricht etwa auch derselben Zahl in harten Dollars.« Torres machte eine kurze Pause. »Bist du eigentlich noch da?«

»Klar!« Matthew Pullman gab ein müdes Schnaufen von sich und musste sich räuspern, bevor er fortfahren konnte: »Das klingt ja alles ganz toll, Jeff. Aber wie du weißt, geht es mir nicht allein um die Kohle.«

»Worum dann?«

»Komm … das Thema hatten wir schon oft genug.« Matthew lachte, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle. »Wenn wir uns heute zusammensetzen, und anfangen, darüber zu diskutieren, dann kommen wir auch in zwei Wochen nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Wir sollten also bei unserer erprobten Verfahrensweise bleiben.«

»Und die wäre?«

»Ich schreibe und du verkaufst … schließlich bist du mein Agent.«

»Womit wir auch schon beim Thema wären.« Torres` Stimme hatte sich eine winzige Spur verändert. »Du hast deinem Agenten für diesen Monat ein neues Buch versprochen. Hier bei mir gehen jeden Tag mindestens fünfhundert Mails ein. Deine Leserinnen laufen irgendwann Amok, wenn du nicht bald was Neues rausbringst.«

»Und du meinst vermutlich auch noch, dass du mit Druck irgendwas besser machst – oder womöglich schneller?«

»Weiß nicht. Ich wollte doch nur mal …«

»Nein!« Zum ersten Mal schien Matthew Pullman zu hundert Prozent in dieser Unterhaltung angekommen zu sein. »Es geht nicht schneller, wenn du mich nervst. Und es wird auch nicht besser oder einfacher … oder mir kommen plötzlich haufenweise Ideen, die ich vorher nicht hatte.« Er räusperte sich ein weiteres Mal. »Ich brauche einfach noch ein bisschen Zeit! Verstehst du das?«

»Ja, schon. Aber …«

»Wenn nicht, dann ist es mir übrigens auch egal, Jeff. Schönen Tag noch.«


***


»Bezahlen wir dich so schlecht oder warum trägst du keine Schuhe mehr?« Eric saß an seinem Schreibtisch und schaute grinsend an mir auf und ab. Was mich betraf, so war ich froh darüber, dass sich seine Wut offensichtlich zum größten Teil verzogen hatte. »Setz dich! Wir müssen reden.«

Ich tat, wie befohlen und sah ihn einfach nur mit großen Augen an. In meinem Hinterkopf lief der übliche Film ab. Eric Zimmermann, 37 … ein typischer Karriere-Mensch. Abgesehen davon, dass er seinen Körper mindestens fünfmal in der Woche ins Fitnessstudio schleppte, war auch sein Gesicht ein echter Hingucker. Er war einer der wenigen Typen, an denen ein Dreitagebart männlich und nicht etwa ungepflegt aussah. Dazu kamen seine raspelkurzen pechschwarzen Haare, die am ehesten zu einem amerikanischen GI und nicht zu einem Chefredakteur gepasst hätten. Und dann diese Augen, die sich bis in den hintersten Winkel einer weiblichen Seele bohren konnten, um dort Wünsche zu wecken, über die ich deshalb nicht sprechen kann, weil sie nicht jugendfrei wären. Aber wenn ich eines in meinem Leben gelernt hatte, dann war es, dass man mit einem Arbeitskollegen nichts anfing – erst recht nicht mit seinem Chef.

Niemals! Nie und nimmer!

»Die Sache mit dem Titel ist mehr als ärgerlich«, begann Eric jetzt mit neutraler Stimme von Neuem. Damit hatte er es auch geschafft, den rosaroten Ballon in meinem Kopf innerhalb einer Nanosekunde zum Platzen zu bringen. »Ich hatte heute Morgen schon Rosenbaum in der Leitung. Er würde am liebsten Köpfe rollen sehen.«

»Dann soll er sich keinen Zwang antun«, erwiderte ich im Ton eines bockigen Schulmädchens, das gerade erst den Zenit seiner Pubertät erreicht hatte. »Ich nehm die Sache auf mich – Sandra kann nichts dafür.«

»Aha!«

»Was soll das bedeuten? Was heißt hier aha?«

»Ich wusste, dass du genauso reagierst«, schleuderte mir Eric lächelnd entgegen. »Und genau deshalb habe ich ihm gesagt, dass so etwas eben passieren kann.«

»Und ... wie hat er reagiert?«

»Als ich ihm versprochen habe, dass es nicht wieder vorkommt, hat er endlich lockergelassen.«

»Besonders glücklich siehst du dabei aber nicht aus.«

Erics Lächeln wurde noch breiter. »Liegt vielleicht daran, dass ich am Ende sogar meinen eigenen Hut in den Ring geworfen habe.«

»Also hast du …?«

»Richtig! Ich hab ihm gesagt, dass ich weder ohne dich, noch ohne Sandra weitermachen werde.«

»Und damit hat sich Rosenbaum zufriedengegeben? Das passt gar nicht zu ihm.«

»Ist ihm auch nicht leichtgefallen. Aber irgendwann hat er die Kröte doch geschluckt.«

»Mahlzeit!«

»Womit wir beim Thema wären: Hast du Lust auf den Chinesen um die Ecke?«

Ich tat einen Moment lang so, als würde ich überlegen, und schüttelte am Ende energisch den Kopf. »Ne … der ist mir viel zu hässlich. Selbst wenn das der letzte Kerl auf der Welt wäre.«


3


»Von deinem Patzer auf der Titelseite mal abgesehen, war dein Artikel übrigens klasse.«

Ich zuckte zusammen, denn ich hatte gar nicht bemerkt, dass Eric sich von hinten an mich herangeschlichen hatte. Warum auch immer – plötzlich spürte ich seine warmen kräftigen Hände auf meinen Schultern. Seine kreisenden Daumen fanden zielsicher genau die Stellen, an denen es sonst wehtat.

»Also meinst du, ich bekomme doch noch etwas auf die Reihe?«, flüsterte ich mit quietschender Stimme.

»Du bist mein bestes Pferd im Stall – auf jeden Fall machst du am meisten Mist.«

Ich packte seine Hände, die noch immer an meinen Schultern herumkneteten. »Wenn du nicht gleich damit aufhörst, dann knöpfe ich meine Bluse auf und zerre dich auf die Damentoilette.« Plötzlich sah ich Erics Hände direkt vor meinem inneren Auge. Die hatten es mir übrigens ganz besonders angetan. Lange Finger, nicht zu dick und auf keinen Fall zu dünn. Die Nägel perfekt manikürt, was in seinem Fall nicht mal weibisch wirkte. Und wenn er mir an seinem Schreibtisch gegenübersaß und beim Reden mit hochgekrempelten Ärmeln an seinem Briefbeschwerer herumspielte, dann zeichnete sich an seinen Unterarmen jede einzelne Muskelfaser ab. Ein Anblick, den ich stundenlang hätte genießen können.

»Hör auf, ich werd ganz wuschig davon«, protestierte ich ein weiteres Mal.

Eric lachte und hielt abrupt inne. Hätte ich blöde Ziege doch bloß meinen vorlauten Schnabel gehalten. Wenn einer so gut massieren konnte, und das, ohne Geld dafür zu verlangen, dann war sowas fast mit einem Sechser im Lotto vergleichbar.

»Was ist jetzt, hast du Hunger? Falls der Chinese über dich herfallen will, gehe ich dazwischen. Versprochen!«

Ich schnappte meine Handtasche und stand bereits auf meinen Füßen, als Eric mich erneut skeptisch musterte. »Kann es sein, dass du irgendwas vergessen hast?« Er zog die Brauen hoch und sah dabei wie ein Schuljunge aus. Und was für einer!

Jetzt schaute auch ich an mir herunter und wackelte kichernd mit meinen nackten Zehen. Außerdem stellte ich fest, dass es wohl höchste Zeit wurde, meinen Fußnägeln eine neue Lackschicht zu spendieren. Oder wenigstens mit Nagellackentferner zu Werke zu gehen, bis ich Gelegenheit für eine Intensivbehandlung hätte. Schon langte ich in meine unterste Schreibtischschublade und zog ein paar Badelatschen daraus hervor. Meine Engel aus Gummi, die ich immer abends, wenn kaum mehr jemand im Büro war, gegen meine Hochhackigen eintauschte. Der einzige Moment übrigens, in dem ich mich hier wie ein Mensch und nicht wie eine buntbeklebte Litfaßsäule fühlte.

Eric trug es wie ein Mann. Während er in seinem perfekt sitzenden dunkelblauen Anzug vorwegstolzierte, folgte ich ihm ein Stück versetzt. Als wir Sandra passierten, schenkte mir die kleine Kröte noch schnell ein schiefes Grinsen, das ich mit herausgestreckter Zunge kommentierte.

Erst im Fahrstuhl fand mein Boss seine Stimme wieder. »Momentan läuft alles bestens«, stellte er lachend fest. Und selbst ich fiel mit ein, ungeachtet der Tatsache, dass ich nicht mal genau wusste, was er mit seiner Schwärmerei meinte.

»Unsere Zahlen steigen von Ausgabe zu Ausgabe«, fuhr Eric munter fort. »Wenn das so weitergeht, können wir uns bald die Werbekunden aussuchen.«

»Und das, obwohl man unsereins und die Printmedien schon lange als Dinosaurier in der Steinzeit verpönt«, gab ich mit erhobenem Finger zu bedenken. »Aber, wie sagt man doch so schön – Totgesagte leben länger.«


***


Matthew Pullman saß an seinem Schreibtisch, die Hände im Nacken verschränkt, und betrachtete seine Arbeit der letzten zweieinhalb Stunden. Auf der Schreibmaschine, die vor ihm stand, hatten schon sein Vater und sein Großvater herumgehackt. Vorletzten Monat erst hatte er das gute Stück vollständig überarbeiten lassen. Die komplette Mechanik war brandneu, das lästige Farbband ein für alle Mal gegen einen chipgesteuerten, rotierenden Druckkopf ausgetauscht. Der Monteur hatte ihn mit großen Augen angeschaut und ihm kopfschüttelnd seinen Kostenvoranschlag präsentiert.

»Wenn Sie so wollen, bleibt letztendlich nur das Gehäuse unverändert. Alles andere muss ich austauschen«, hatte der Kerl ihn mit breitem Südstaaten-Akzent informiert. »Aber selbst wenn ich die Teile einigermaßen günstig einkaufen kann, kommen da mindestens tausend Dollar zusammen. Das wollen Sie doch nicht wirklich! Dafür bekommen Sie fünf nagelneue Schreibmaschinen. Und jede davon ist zehnmal besser, als Ihre.«

Matthew hatte dem Typen am Ende dieser fruchtlosen Debatte fünfhundert Dollar extra hinterlassen und ihm noch mal eindringlich klargemacht, dass es diese und nur diese Maschine sein sollte. Und keine andere! Niemals!

Er starrte erneut auf das leere Blatt vor sich, das wie eine unbescholtene Jungfrau zwischen Bügel und Rolle klemmte; begierig darauf wartete, endlich die Unschuld an ihn und seine Finger zu verlieren. Aber keinen Satz, kein Wort … nicht mal einen einzigen Buchstaben hatte er in den letzten zweieinhalb Stunden zustande gebracht. Sein Kopf fühlte sich wie ein Kürbis an, den vorwitzige Kinder ausgehöhlt und mit einer Kerze darin zu Halloween auf einen Stock gespießt hatten.

Nichts! Keine Geschichte, kein Kapitel, nicht mal eine winzige Szene wollte vor seinem inneren Auge Gestalt annehmen. Früher, als er einen Roman nach dem anderen heruntergehackt hatte, da waren es so viele Ideen gewesen, dass er es sich sogar erlauben konnte, notfalls die Hälfte davon wieder zu vergessen. Schließlich hatte er gelernt, dass sich nur wirklich gute Einfälle nachhaltig festsetzen. Das wirkte wie ein Filter. Alles, was er vergaß, war es auch nicht wert, daran weiterzuarbeiten oder festzuhalten.

Es kam selten genug vor. Aber wenn er abends mal für ein paar Minuten seinen Computer einschaltete, dann fand er dort bestenfalls zusätzliche Frustration. Hochwichtige Artikel über mangelnde Kreativität oder gar Schreibblockaden, denen man als Autor entschlossen die Stirn bieten musste. Wie ein ideenloser Ritter mit einer Lanze aus weichem Gummi im Kampf gegen eine Horde Söldner mit Maschinengewehren. Darüber hinaus gab es haufenweise Werbung für Bücher, in denen einem jemand erklärte, wie man einen Bestseller schrieb. Vermutlich fragte sich nicht nur Matthew, warum sich diese selbsternannten Genies noch immer mit Ratgebern herumschlugen, statt einfach selbst einen Bestseller zu schreiben und danach im Geld zu baden.

In seiner Schublade lagen insgesamt vier Manuskripte. Eines davon war fast fertig, ein weiteres etwa zur Hälfte und die beiden letzten, zumindest phasenweise, auf einem guten Weg dorthin. Aber das war alles Schrott! Wenn er sich eines davon zur Hand nahm und es durchblätterte, hätte er kotzen können. Da war kein Leben drin, kein Gefühl und nicht mal eine Spur von Humor. Das waren farblose, oberflächlich erzählte Geschichten, die nicht mal das richtige Leben spielen konnte.

Er musste etwas tun! Aber was? Jeff Torres und sein Gelaber waren ihm völlig egal. Er könnte sich wahrscheinlich auf die faule Haut legen und würde noch in drei Jahren jeden Monat von dem Geld leben können, das er täglich verdiente. Aber das war’s nicht, was er wollte. Schreiben war für ihn wie eine Droge. Ein Elixier, ohne das sein Leben kaum einen Sinn machte. Nur, dass es sich in diesem Fall um ein Elixier handelte, das er selbst herstellen musste. Und genau das war das Problem – denn er schien das Rezept vergessen zu haben.


***


»Ich nehme die Entenbrust süßsauer«, flötete Eric der winzigen Chinesin entgegen, die grinsend auf ihrem Block herumkritzelte. Wahrscheinlich verstand sie ohnehin kein Wort außer Entenbrust und süßsauer. »Dazu nehme ich ein stilles Wasser.« Jetzt warf Eric einen erwartungsvollen Blick über den Tisch, aber es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was er von mir wollte.

»Ach so … das nehm ich auch.«

Die Chinesin schaute mich verwirrt an. Ich hatte also mit meiner Vermutung recht.

»Entenbrust süßsauer und stilles Wasser!«, betonte ich Wort für Wort. Da konnte ich am Ende nur gespannt sein, was ich auf den Teller bekam.

»Wie geht’s dir?«, fragte Eric, nachdem die Kellnerin von dannen geeilt war.

»Gut.« Ich hatte meine Mimik nicht unter Kontrolle, deshalb gelang es mir nicht, mein Misstrauen zu verbergen. »Wieso fragst du?«

»Keine Angst!« Er lachte und schüttelte den Kopf. »Ich will dir nichts Böses.«

»Sondern?«

»Mir ist nur aufgefallen, dass du immer …« Er machte eine kurze Pause und überlegte. »… verbissener wirst. Ich erinnere mich noch an früher, da hast du viel häufiger gelacht.«

»Vielleicht liegt es ja daran, dass ich nichts mehr zu lachen habe.«

Eric runzelte die Stirn. Leider musste ich wieder einmal feststellen, wie gut er aussah, ganz gleich, welches Gesicht er auch aufsetzte. »Aber das hat doch hoffentlich nichts mit mir zu tun, oder?«

»Natürlich nicht!«, fauchte ich mit künstlicher Empörung zurück. »Bei mir steht im Moment einfach alles Kopf.«

»Stress mit deinem Freund?«

»Exfreund!« Ich gab ein freudloses Lachen zum Besten. »Und je mehr er Ex wird, desto mehr lässt auch der Stress nach. Die Sache ist aus, ein für alle Mal.«

Eric lachte und schwieg nur deshalb, weil die Kellnerin eine winzige Schüssel mit Salat und eine weitere Miniaturausgabe mit der Tagessuppe vor uns abstellte. »Guten Appetit«, sagte er jetzt und tauchte schon den Porzellanlöffel in das dunkle Gebräu, das am ehesten wie Altöl aussah. »Dann will er sich also mit seinem neuen Status nicht anfreunden?«

Ich schaute verwirrt auf. Mittlerweile galt auch meine Aufmerksamkeit zum größten Teil der Suppe. Wort für Wort nahm ich Erics Frage auseinander und verstand endlich, was er eigentlich meinte. »In einer Beziehung sollte man aneinander wachsen«, begann ich nachdenklich mit meiner eigenen Definition. »Man stützt sich, wenn man gestützt werden muss, und motiviert sich gegenseitig, falls man es mal mit einem Durchhänger zu tun bekommt.«

»Und das war bei euch beiden nicht so?« Eric lächelte, was mir in diesem Moment irgendwie unpassend vorkam.

»Wenn es so gewesen wäre, dann stünde der Status nicht auf Ex.« Ich nahm einen weiteren Löffel von der Suppe und fuhr erst fort, nachdem ich den heruntergeschluckt hatte. »Ich kann keinen Mann gebrauchen, der Probleme damit hat, wenn eine Frau Karriere macht.«

»Also, hast du mehr Geld verdient als er?«

»Nicht ganz! Aber das wäre ein Thema, über das wir uns mal beizeiten unterhalten sollten.«

Eric lachte schon wieder und stocherte jetzt mit seiner Gabel im Salat herum. »Es ist dir vielleicht noch nicht aufgefallen – aber auf dem Ohr bin ich taub. Völlig taub!«

Eine Pause entstand. Ich hob den Blick und sah, dass Eric mich erneut prüfend musterte. Bevor ich fragen konnte, fuhr er mit seltsamer Stimme fort: »Ich hatte eigentlich einen Anschlag auf dich vor.«

»Was bedeutet denn eigentlich? Hast du deinen Plan geändert?« Dazu muss man natürlich sagen, dass Eigentlich eigentlich ein Unwort ist. Denn wenn einer daherkommt, und sagt: »Es geht mir eigentlich gut«, dann heißt das doch, dass es ihm tatsächlich nicht besonders geht. Wahrscheinlich sogar schlecht. Ich bin eigentlich zufrieden, ich habe eigentlich einen guten Job … und ein anderer möchte sich eigentlich nicht scheiden lassen, tut es am Ende aber doch. Ich selbst versuche schon seit der Schule und meinem Deutsch-Leistungskurs, diese sinnlose Floskel aus meinem Wortschatz zu verbannen.

Es gelingt mir auch. Eigentlich!

»Und … worum geht es bei deinem Überfall? Hast du ein Hotelzimmer um die Ecke gebucht?«

Eric ignorierte meinen Witz völlig. Obwohl in jedem Witz ja auch ein bisschen Wahrheit steckte. Und wenn er in diesem Moment gesagt hätte, dass zwei Straßen weiter ein Bett und eine Flasche Schampus auf uns warteten, dann hätte ich vielleicht sogar zugeschlagen.

»Ich habe eine ganz interessante Aufgabe für dich«, begann er mit ungewohnt ernster Miene. »Es geht um einen Autor, der sich mit der Presse – man könnte sagen – ein wenig schwertut.«

»Wer ist es? Kenn ich den Knaben?«

»Matthew Pullman.«

»Nie gehört. Wer soll das denn sein?«

»In den USA ist der Typ ein gefeierter Superstar«, erklärte mir Eric geheimnisvoll. Außerdem musste ich feststellen, dass dabei sogar seine Augen zu leuchten anfingen. Und ich brauch wohl keiner Frau zu erklären, dass haselnussbraune, leuchtende Männeraugen schon so manchen Schlüpfer zum Glühen gebracht haben. »Laut seinem Agenten verdient der Kerl momentan rund vierzigtausend Dollar …«

»Vierzigtausend Dollar im Monat!«, unterbrach ich ihn fassungslos. »Ich mache doch irgendwas falsch, wenn du mich fragst.«

»Und ich meinte nicht vierzigtausend im Monat – sondern am Tag.«

»Am Tag! Du willst mich verarschen, richtig?«

»Eigentlich nicht.«

»Eigentlich?«