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MAANI • DER HEILIGENSCHEINORGASMUS

In alter Rechtschreibung

SAMA MAANI

Der Heiligenscheinorgasmus

und andere Erzählungen

DRAVA

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DRAVA VERLAG • ZALOŽBA DRAVA GMBH
9020 Klagenfurt/Celovec
www.drava.at

© dieser Zusammenstellung 2016 bei Drava Verlag GmbH,
Klagenfurt/Celovec

ISBN 978-3-85435-813-8

Gewidmet dem Andenken an meinen Freund
Gerhard Hammerschmied

Inhalt

Der Heiligenscheinorgasmus

Zeitzeugenstunde

Silvester

Die Geschichte meines Dünnseins

Der, der sterben wird

Erika

Anmerkungen

Der Heiligenscheinorgasmus

Mein Leben in Zürich begann mit einer Lüge. Unmittelbar nach meiner Ankunft im Zürcher Hauptbahnhof hatte ich im Cafe Les Arcades einen entkoffeinierten Cafe Creme bestellt, als sich eine dunkelhaarige, mittelalte Frau mit Aktentasche, eine Zürcherin, wie ich annahm, an meinen Tisch setzte. Die Zürcherin mit der Aktentasche lächelte mich in der freundlichen, aber unaufdringlichen Art der Zürcher Menschen an und fragte im Hochdeutsch der Deutsch-Schweizer, wo ich denn herkäme. Ich wurde puterrot im Gesicht und starrte eine Zeit lang auf die schmutziggelbe Stuckdecke des Bahnhof-Cafes. Schließlich begann ich, anfangs leise und wie verschämt flüsternd, zu erzählen. Mein Vater, behauptete ich, sei aus dem Indischen Bophal und nach der Gründung Pakistans dorthin geflüchtet. Von Pakistan sei er nach Großbritannien, von Großbritannien nach Irland, von Irland nach Deutschland, von Deutschland nach Holland, von Holland nach Belgien, von Belgien nach Luxemburg, von Luxemburg nach Frankreich, von Frankreich nach Italien, von Italien in die Schweiz weitergeflüchtet.

Wo ich selbst herkäme, sei ich nicht sicher.

Warum mein Vater von Pakistan nach Großbritannien, von Großbritannien nach Irland, von Irland nach Deutschland, von Deutschland nach Holland, von Holland nach Belgien, von Belgien nach Luxemburg, von Luxemburg nach Frankreich, von Frankreich nach Italien, von Italien in die Schweiz weitergeflüchtet sein sollte, fragte mich die mittelalte, dunkelhaarige Zürcherin mit der Aktentasche nicht.

Vielleicht dachte sie: Manchmal flüchtet einer und kann das Flüchten nicht lassen.

In Großbritannien hätte mein Vater meine Mutter kennengelemt, fuhr ich fort, eine Österreicherin aus Bregenz. In Großbritannien wäre ich gezeugt und in Irland zur Welt gebracht worden. Dann wäre ich mit Mutter und Vater über Deutschland und Holland und Belgien und Luxemburg und Frankreich und Italien in die Schweiz weitergeflüchtet.

Die Wahrheit ist: Beide meiner Elternteile kommen aus Persien und verbrachten mich mit zwölf Jahren ins österreichische Graz.

Wegen meiner österreichischen, aus Bregenz stammenden Mutter, im Grunde wegen meiner österreichischen Großmutter, wohnhaft in Bregenz, setzte ich meine Lüge fort, würde ich das Schweizerdeutsche beherrschen. Jedoch würde ich es strikt ablehnen, das Schweizerdeutsche zu sprechen, es hätte mit mir und dem Schweizerdeutschen so seine Bewandtnis. Ich hätte nämlich, behauptete ich weiters, einen guten Teil meines erwachsenen Lebens in der Türkei und in Persien verbracht. Die vier Länder in denen ich mein erwachsenes Leben also verlebt hätte, miteinander vergleichend, Persien, Österreich, die Türkei und die Schweiz, wäre mir klar geworden, daß zwischen der Schweiz und Österreich ein viel größerer Unterschied bestünde als zwischen Österreich und Persien auf der einen, der Schweiz und der Türkei auf der anderen Seite. Das Schweizerdeutsche z.B., behauptete ich, klinge wie türkisch. Wie das Türkische, fuhr ich fort, während die ratlosen Blicke der Zürcherin zwischen meinen Lippen und der Schaumkrone ihres Cappuccino hin- und herpendelten, wie das Türkische sei für mein an das weiche Persische und das weiche Österreichische gewohnte Ohr, das Schweizerdeutsche rauh, roh und kantig. Wie die Türkei als ganze mit Persien als ganzes verglichen, sei die Schweiz als ganze, verglichen mit Österreich, außerordentlich simpel. Wie Bartstoppeln verglichen mit weichen Barthaaren, behauptete ich weiters, während die Zürcherin wortlos aufstand, ihre halbvolle Cappuccinotasse zurücklassend an die Theke ging und bezahlte, fühlten sich, im Vergleich zu Persien und zu Österreich, die Türkei und die Schweiz an. Daher bräuchten, brüllte ich, während sie hastig und im Laufschritt das Cafe verließ, der dunkelhaarigen Zürcherin nach, daher bräuchten die Schweiz wie auch die Türkei zum Ausgleich für ihre außerordentliche Schlichtheit, und im Unterschied zu Persien und zu Österreich, einen Artikel.

Über die Türken sagt mein väterlicher Freund Giw, sie seien als Nation zu jung und zu selten gedemütigt worden. Wohingegen das von den Höhen der Weltgeschichte immer wieder auf die Schnauze gefallene Persien, so mein väterlicher Freund, seit je her immer wieder gedemütigt worden sei, was die Perser geprägt habe, so daß sie das Sprichwort

Nardebane in Djahan oftadanist

Zu deutsch:

Die Welt ist ein einstürzender Neubau

hervorgebracht hätten. Die Türken hingegen hätten kein solches Sprichwort hervorgebracht, wie überhaupt, so mein väterlicher Freund Giw, die Fähigkeit Sprichwörter hervorzubringen, bei den Türken nicht existiere.

In persischen Witzen, so Giw, seien die Türken immer die Esel, obwohl die Türkei, wie mein väterlicher Freund meint, für Jahrhunderte Persiens Brücke zum Westen gebildet hätte, und die türkischstämmigen Perser im Persien der Jahrhundertwende die demokratische Revolution angeführt hätten, wie überhaupt, so mein väterlicher Freund Giw, die türkischstämmigen Perser, die Aserbaidschaner, die intellektuelle Elite Persiens stellten. Die türkischstämmigen Perser, sagt mein väterlicher Freund Giw, und wird dabei jedesmal rot und wütend im Gesicht, seien in jedem Fall intelligenter als die nichttürkischstämmigen Perser, die über die türkischstämmigen Perser Witze erfänden.

Giw, mein väterlicher Freund, stammt selbst aus dem exsowjetischen Aserbaidschan und ist von daher eigentlich Türke. Trotzdem fühlt er sich in jeder Hinsicht als Perser und schimpft bei jeder Gelegenheit solange über die Türken, bis ein anwesender nichttürkischstämmiger Perser ihm zustimmt. Dann ist Giw beleidigt und verstummt für längere Zeit.

Mein väterlicher Freund Giw ist Privatgelehrter und Philosoph. In den Sechzigerjahren und in den Siebzigerjahren studierte Giw Bauingenieurwesen im österreichischen Graz und war politischer Aktivist, Kommunist, Maoist, in den Siebzigerjahren brach er das Bauingenieur-Studium ab. Mein väterlicher Freund Giw ist siebenundsechzig.

Bei meinen Treffen mit Giw stelle immer ich alle Fragen. Stelle ich meinem väterlichen Freund eine Frage, öffnet er immer den Mund und formt mit seinen Lippen ein O, als ob er schon Anstalten machte, etwas zu sagen. Zuerst einmal sagt mein Freund aber nichts, hält bloß die Hände vor seinen Bauch, wie beim Gebet die Mohammedaner, mit nach oben gerichteten Handinnenflächen und seitlich aneinandergepreßt. Dann führt er die Hände rasch auseinander, richtet beide Zeigefinger nach oben, beugt den Kopf weit zurück und läßt ihn wieder in die Vertikale zurückschnellen.

Wenn mein väterlicher Freund dann zu reden beginnt, rasend schnell, wie man es von ihm gewohnt ist, aber umständlich und gewunden, habe ich den Mund immer weit offen, und während seiner gewundenen und umständlichen Rede wird mein Kopf immer schiefer. Obwohl ich das meiste was mein väterlicher Freund, umständlich, wie man es gewohnt ist, und gewunden, von sich gibt, gar nicht glaube, lasse ich seine Worte und seine Sätze und die Bewegungen seiner Hände und seines Gesichts ohne Widerstand in mich hinein, mit geöffnetem Mund und schiefem Kopf, wie gesagt. So hat sich über die Jahre mein Geist mit den Worten und Sätzen meines Freundes so sehr gefüllt, daß sie ihn heute von oben bis unten und vollständig ausfüllen. Weil aber die Worte und Sätze meines Freundes außerordentlich bedenkliche Worte sind und außerordentlich bedenkliche Sätze, geben mir Giws Worte und Sätze beständig zu denken. Seit Jahren geben mir die, mich von oben bis unten ausfüllenden Worte und Sätze des Giw beständig zu denken, in meinem Geist findet sich nichts als Giws Worte und Sätze, und mein ständiges Bedenken von Giws Worten und Sätzen.

Am meisten zu denken, obwohl ich das meiste, was Giw von sich gibt, gar nicht glaube, geben mir seine Worte und seine Sätze über das Österreichische. Die Österreicher, sagt Giw, würden uns hassen, die Österreicher, so mein väterlicher Freund, würden uns auf eine perfide, weltweit einzigartige Art verachten und hassen, die meisten Österreicher hätten den Faschismus im Blut.

Jedesmal wenn Giw behauptet, die Österreicher würden uns hassen, frage ich: Wen uns? Und mein väterlicher Freund antwortet: Uns schwarzhaarige Ausländische. Die Österreicher, zumal die österreichischen Faschisten, sagt Giw, würden uns schwarzhaarige Ausländische verachten und hassen, jedoch hätte, behauptet mein väterlicher Freund, obwohl ehemals Kommunist, Atheist und Maoist, der Herrgott es so eingerichtet, daß die österreichischen Frauen, Faschistinnen wie Nicht-Faschistinnen, uns männliche, schwarzhaarige Ausländische wie zum Ausgleich heftig begehrten.

Wie es den Österreicherinnen, wie mein väterlicher Freund behauptet, möglich sein sollte, uns männliche, schwarzhaarige Ausländische zu hassen und gleichzeitig heftig zu begehren, vergesse ich jedesmal ihn zu fragen. Vielleicht denke ich: Manchmal haßt und verachtet man, gerade weil man heftig begehrt.

Im Seziersaal, während meines Studiums im österreichischen Wien, hatte ich als Seziertischkollegen drei Medizin studierende österreichische Faschisten. Einer von ihnen, Laszlo genannt, stammte aus dem Ungarischen. Jedesmal, beim Anschneiden der Leber, der Milz oder des Herzens der Seziertischleiche, brüllten der Laszlo, der Walter und der Hanno, so hießen die beiden anderen meiner faschistischen Seziertischkollegen: Das ist die Leber, die Milz, das Herz eines Juden!, hielten die eine behandschuhte Hand vor den Mund und lachten, verstohlen und prustend, als wären sie keine erwachsenen männlichen Faschisten, sondern pubertierende Backfische. Auch verkündeten sie immer wieder, daß, sollte einmal ein Jude, Mann, Frau oder Kind, ihre medizinische Praxis aufsuchen, sie ihm, statt ihn zu behandeln, mit demselben Seziermesser, das sie gerade in der Hand hielten, in die Leber, in die Milz oder ins Herz stechen würden.

Einmal besuchte mich im Seziersaal Hanfried Zaun, mein liebenswerter, aus Deutschland stammender Freund, ein gutmütiger rundlicher Studienkollege, der den Sezierkurs zur selben Zeit absolvierte wie ich, jedoch in einem anderen Seziersaal, beim alkoholkranken Dozenten Kelch, der, allseits als Mitglied der Sozialistenpartei bekannt, Jahre später an der Leberzirrhose zugrunde gehen sollte. Es war Nachmittag, und das Licht, das durch die hohen, schmalen, stets verschmutzten Seziersaalfenster ins Innere drang, war trüber als sonst.

Die Faschisten Laszlo und Hanno waren gerade mit dem Präparieren des Armplexus beschäftigt. Jedesmal wenn sie ein Stück Nerv freipräpariert hatten, preßten sie ein lautes Servus, Nervus! aus sich heraus, sowie rülpsartige Laute, die ein Lachen darstellen sollten. Der gutmütige Zaun, mit seinem bundesdeutschen Akzent, fragte mich, ob ich ihm den Hafferl ausleihen könnte, ein altes Lehrbuch der topographischen Anatomie, das meiner Mutter gehörte, die vor Jahren im österreichischen Graz Medizin studiert hatte. Sobald die beiden mit der Präparation des Armplexus beschäftigten Faschistenkollegen Zauns bundesdeutschen Akzent bemerkten, verstummten sie und starrten ihn argwöhnisch an. Auf einmal sprang Hanno, mein österreichischer Faschistenkollege, von seinem Seziersaal-Hockerl, pflanzte sich vor dem gutmütigen bundesdeutschen Zaun auf und fragte ihn mit dem für die Wiener Unterschicht typischen Sing-Sang: Wüst a Seziermesser im Bauch? Dabei hielt er sein Seziermesser schräg in seiner behandschuhten Hand in Augenhöhe. Auf meinem Seziersaal-Hockerl sitzend, dachte ich: Ich muß jetzt sofort etwas tun oder sagen, und weiters: Wenn ich nicht sofort etwas tue oder sage, verliere ich meine Ehre und meinen Stolz auf immer und ewig.

Es fiel mir aber nichts ein, was ich sagen oder tun könnte, so blieb ich auf meinem Seziersaal-Hockerl sitzen, während mein bundesdeutscher Freund und gutmütiger Studienkollege Hanfried Zaun fortfuhr, den österreichischen Faschisten stumm zu mustern. Als ihn schlußendlich mein österreichischer Faschistenkollege fragte, ob er das Seziermesser lieber in seiner Leber oder in seinem Herzen platziert haben möchte, sagte er: Weder noch, drehte sich um und verließ kurzerhand den Seziersaal römisch eins des Anatomischen Instituts der österreichischen Universität Wien.

Ich blieb, bevor ich ihm folgte, auf meinem Seziersaal-Hockerl sitzen und dachte an eine wahre Begebenheit, die im Teheran der Siebzigerjahre, wo ich meine Kindheit verbracht habe, die Runde machte. Ein persischer Ingenieur hatte bei einem Streit in einer Fabrik einen deutschen Ingenieurskollegen beschimpft und ihm mit dem für die Teheraner Unterschicht typischen Sing-Sang gedroht, er würde eine bestimmte Fabrikmaschine in des Deutschen Mutters Fotze stopfen. Die Drohung des Teheraner Ingenieurs aus der Unterschicht hatte den Deutschen verwundert, und er hatte gemeint, die Maschine sei für die Fotze seiner Mutter viel zu groß.

Die kühle Art der Menschen aus Deutschland, wie sie mein Freund, der gutmütige Zaun und der deutsche Ingenieur in der Fabrik in Teheran vorgeführt hatten, ist den österreichischen Menschen fremd. Im Österreicher, ob Faschist oder Nicht-Faschist, sei immer Hitze, sagt mein väterlicher Freund, in den Wienern unter den Österreichern, sei die hitzigste Hitze. Meistens zeige sich die Hitze in den Wienern unter den Österreichern als Haß auf die Welt sowie auf Gott, den sie Herrgott nennen.

Daß ich meinen deutschen Studienkollegen und gutmütigen Freund Hanfried Zaun im Seziersaal eins der österreichischen Universität Wien einem solchen Haß ausgesetzt sah, verwirrte mich. Bis dahin hatte ich, meinem väterlichen Freund Giw folgend, geglaubt, die Faschisten und Rassisten Österreichs würden die blonden, hellhäutigen, deutschen Menschen lieben. Auch ist ja, wie gesagt, mein väterlicher Freund der Meinung, die Österreicher, die österreichischen Faschisten zumal, würden uns schwarzhaarige Ausländische verachten und hassen, der Herrgott jedoch, ist mein väterlicher Freund, obwohl ehemals Kommunist Atheist, Maoist, überzeugt, der Herrgott hätte es so eingerichtet, daß die österreichischen Frauen, wie zum Ausgleich, uns männliche schwarzhaarige Ausländische heftig begehrten.

Während eines Krankenhauspraktikums als Medizinstudent im österreichischen Wien lernte ich eine Frau kennen, eine rundliche und blonde Krankenschwester, Beate Uhland aus dem Salzburgischen. Sie war eine offenherzige und hübsche Person, die mich, Sekunden nachdem wir uns am Bett eines todkranken, röchelnden Mannes erstmals begegnet waren, der wegen Trunksucht an hochgradiger Herzvergrößerung litt, umstandslos fragte, woher ich denn käme. Ich war dabei dem Kranken die Konturen seines krankhaft vergrößerten Herzens, die ich zuvor durch Klopfen ermittelt hatte, mit einem Filzstift auf die nackte Brust zu malen. Der wegen Sauerstoffmangels beinah bewußtlose Kranke merkte nicht, was um ihn vorging, sodaß ich, um der hübschen und blonden Beate Eindruck zu machen, in die Herzfigur die Konturen Österreichs einzeichnete und im rechten unteren Eck Österreichs einen dicken rundlichen Punkt – für Graz. Die Krankenschwester konnte meine Figur nicht deuten, sei es, weil sie als Österreich-Figur nicht zu erkennen war, sei es, weil sie über keine Bildung verfügte. Gleichwohl begriff sie, daß meine Zeichnung mit Geographie zu tun haben mußte, und in rascher Folge preßte sie Jugoslawien, Türkei, Spanien, Tunesien, Arabien aus sich heraus. Ich war, wie es bei den Wienern unter den Österreichern heißt, angefressen, wußte ich doch von meinem väterlichen Freund, daß die persischen die arabischen Menschen verachten und hassen. Ich sei eine Art Perser, erklärte ich der Uhland, während ich sie mit mühsam zusammengepreßten Lippen anlächelte, argwöhnisch in ihre blauen Augen hineinstarrte, und meinen Filzstift wie eine Waffe gegen ihr Gesicht richtete, wäre ich jedoch ein echter Perser, erklärte ich der Beate Uhland aus dem Salzburgischen, wäre ich jetzt ordentlich angefressen.

Die Beate Uhland zog wie bei einer Nackenübung für Bandscheibenkranke ihren Kopf zurück, und erklärte, sie kenne einen Perser. Jeder Österreicher, dem ich mitteile, wo ich herkomme, kennt einen Perser. Von diesen, den Österreichern, denen ich mitteile, wo ich herkomme, bekannten Persern, gibt es zwei Sorten. Die eine ist liebenswürdig und überaus nett, die andere listig und überaus falsch, gelegentlich kriminell. Handelt es sich bei der zweiten Perser-Sorte um einen Mann, ist er immer ein Frauenjäger. In der Schwesternschule hatte die Uhland im Anatomiekurs einen Islam-Fanatiker als Lehrer gehabt, einen Perser mit einem pechschwarzen Bart, Assistent auf der Anatomie und Gynäkologe im Allgemeinen Krankenhaus Wien. Der Anatomieassistent war ein triebbesessener Islam-Fanatiker und persischer Frauenjäger und hatte der Uhland und anderen ihm anvertrauten Schwesternschülerinnen nachgestellt. Die Uhland selbst wurde eine Zeit lang von dem triebbesessenen, islamfanatischen und persischen Anatomieassistenten ausgeführt und zum Abendessen eingeladen, bis sie einmal, da er verheiratet war, mit einer Hiesigen, wie die Uhland betonte, von ihm wissen wollte, was er ihr gegenüber für Absichten hegte. Der triebbesessene Assistent und persische Islam-Fanatiker hatte der Uhland keine rechte Antwort geben können, daraufhin hatte die Uhland den Kontakt zu ihm kurzerhand abgebrochen, der Anatomiekurs für Schwesternschülerinnen war ja auch schon zu Ende gewesen.

Ich führte die Uhland am Abend nach unserer Begegnung am Bett des todkranken Trinksüchtigen zum Essen aus. Um Mitternacht, im Musikcafé Toter Engel, bekannte ich, daß ich noch nie mit einer Frau geschlafen hatte. Die Uhland glaubte mir nicht. Das könne, meinte sie, augenzwinkernd und spitzbübisch lächelnd, nicht wahr sein. Die Frauen müßten mir, meinte die Uhland, meines Aussehens und meiner pechschwarzen Haare wegen, in Scharen nachlaufen. Derartiges hatte mir noch niemand gesagt, schon gar keine Frau, noch dazu eine so hübsche, wie die blonde und salzburgische Beate Uhland. Falls mir die Frauen tatsächlich in Scharen nachgelaufen waren, war es mir völlig entgangen. Die blonde, salzburgische Beate Uhland aber redete im Toten Engel und anschließend bei unserem Spaziergang am Donaukanal unablässig und dabei ständig mit den Augen zwinkernd und spitzbübisch lächelnd, von der Wirkung, die ich meiner pechschwarzen Haare wegen auf Frauen hätte, so war ich am Ende überzeugt, daß mir die Frauen immer schon nachgelaufen waren, meiner pechschwarzen Haare wegen und ohne von mir bemerkt zu werden.

Später fiel mir ein, daß ich wenige Tage vor meiner Begegnung mit der Uhland meine dicke Plexiglasbrille gegen Kontaktlinsen ausgetauscht und meinen pechschwarzen, mein Gesicht seit Jahren verunstaltenden Schnauzbart abrasiert hatte. Beim selben Spitals-Praktikum im Wiener Allgemeinen Krankenhaus, bei dem ich die Uhland kennenlernte, hatte mich ein Patient, ein rüstiger Alter aus dem steirischen Hochland, ein Eisenbahner, während ich versuchte ihm Blut abzunehmen meines Schnauzbarts und meiner pechschwarzen Haare wegen Dschingis Khan genannt. Mein weit geöffneter Mund, wenn ich angespannt und nervös bin, und seinerzeit beim Blutabnehmen war ich immer angespannt und nervös, ist mein Mund immer weit offen, mein weit geöffneter Mund war zugeschnappt, und ich schaute eine Weile in die graublauen, steirischen Hochland-Augen. Dann hatte ich plötzlich laut und heftig zu lachen begonnen, meine Hände zitterten, mitsamt meines ganzen übrigen Körpers, sodaß die Blutabnahmekanüle in der Armvene des rüstigen Steirers mehrmals heftig vor- und zurückund aufund abgerutscht war. Dschingis Khan!, hatte ich lachend und am ganzen Körper zitternd gebrüllt, während die Blutabnahmekanüle sich in verschiedene Richtungen in das Steirer-Fleisch bohrte. Dschingis Khan!, hatte ich immer wieder und immer lauter gebrüllt, wie ein Kleinkind ein neues Wort ständig im Mund führt. Dem alten österreichischen Hochland-Steirer war das Gesicht zusammengezuckt, aber wie alle alten österreichisehen Männer war auch der Steirer im Krieg gewesen, sodaß er lieber gestorben wäre, als einen Schmerz zuzugeben. Nur in der Psychiatrie habe ich alte österreichische Männer getroffen, die körperlicher Schmerzen wegen geweint oder geklagt hätten.

Am Tag nach meiner Begegnung mit dem Hochland-Steirer hatte ich meinen Schnauzbart abrasiert und mir Kontaktlinsen anpassen lassen.

Den weiblichen Österreichern übrigens, ob jung oder alt, ist das Jammern, Klagen und Weinen nicht fremd. Das traf auch, wie ich bald feststellen mußte, auf die Uhland zu. Obgleich aus dem Salzburgischen, wo die Klaghaftigkeit der Menschen weit weniger ausgeprägt ist als im österreichischen Wien, hatte die Uhland lange genug in Wien gelebt, um sich diese Eigenart der Wiener unter den Österreichern angeeignet zu haben.

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