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Über den Autor

Moshe Zuckermann, 1949 in Tel Aviv geboren, ist Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Als Sohn von Holocaust-Überlebenden entschloss er sich nach zehnjährigem Aufenthalt in Deutschland mit 20 Jahren zur Rückkehr nach Israel. Von ihm erschienen bei Promedia die Bücher »›Antisemit!‹ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument« (2010, 4. Auflage 2015) sowie »Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang betreibt« (2014, 2. Auflage 2015).

Vorwort

Der vorliegende Band befasst sich mit politischen Dimensionen im Denken Freuds. Das ist durchaus kein neues Thema, es wurde bereits mehrfach erforscht und erörtert, im Grunde schon zu Freuds Zeiten, gleichsam von Anbeginn der höchst kontrovers verlaufenen Rezeption seines Denkens.1

Wozu also so ein Buch schreiben? Zum einen, weil das Thema zwar über Jahrzehnte verschiedentlich behandelt worden, aber doch nach und nach verblasst ist. Themen des Denkens und der Forschung pflegen gemeinhin zu verblassen, wenn sie ihre Relevanz – sei’s als überholter Forschungsstand, sei’s infolge eines »plötzlichen« Paradigmenwechsels – eingebüßt haben. Das besagt allerdings nicht immer etwas über ihre reale Relevanz. Das Verblassen wird oft genug ideologisch lanciert bzw. durch interessens­geleitete Diskursformationen zur Randständigkeit verurteilt. In der Randständigkeit erhält sich aber ein Moment der Wahrheit, das seiner historischen Wiederkehr harrt, aber eben auch »am Leben« erhalten werden muss. Hegel wird der Spruch »Schlecht für die Tatsachen« zugeschrieben, und zwar im Hinblick auf die Wahrheit des Ganzen. In diesem Sinne darf auch die »Tatsache«, dass eine Erkenntnis als irrelevant abgeschrieben worden ist, als irrelevant im Hinblick auf die Wahrheit, die diese Tatsache aus ideologisch gestählter Emphase vermeintlich konterkariert, eingestuft werden. Nicht zuletzt davon wird am Beispiel der Psychoanalyse zu reden sein.

Zum anderen sollten bereits publizierte Erkenntnisse und Einsichten stets aufs Neue anvisiert werden, weil die Dynamik der Auslegung der doktrinären Erstarrung von bereits Festgelegtem entgegenzuwirken vermag. Es geht dabei nicht um Interpretation um der Interpretation willen, durchaus aber um (wie immer dezente) Erneuerung des zum Kanon Geronnenen. So sehr die Grundwahrheiten des Marxismus als solche im Marx’schen Denken selbst ergründ- und nachforschbar sind, sahen sie sich durch verdinglichende Fetischisierung im doktrinären orthodoxen Marxismus bedroht. Von unschätzbarem Wert war da die bereichernde Erweiterung, die das Marx’sche Paradigma durch die Synthese mit der Freud’schen Psychoanalyse erfuhr, wie sie von Denkern und Forschern der Frankfurter Schule in beeindruckender Weise vollzogen wurde. Die Relevanz der Frankfurter Schule selbst wird heutzutage freilich manchmal infrage gestellt. Die dieser Abrede entgegengesetzte Position soll in diesem Band dezidiert vertreten werden.

Hervorgehoben sei zudem, dass es sich bei der vorliegenden Schrift nicht um ein System handelt. Sie versteht sich als fragmentarisch in der Herangehensweise, befasst sich daher primär mit Aspekten des Generalthemas (und eben nicht mit seiner systematischen Begründung als Ganzes), ist mithin, wie gesagt, bestrebt, gewisse Aspekte zu beleuchten. Die Anordnung der einzelnen Kapitel mag daher eklektisch anmuten, zumal auch formal der Essaycharakter des Textes fast durchgängig gewahrt wird. Die Kapitel selbst sind nicht gleichförmig in ihrer Länge und der Anordnung des jeweiligen Materials. Vieles ließe sich hinzufügen, nicht Weniges auch anders schreiben. Und doch soll auch in dieser losen Form durchaus Zweifaches vertreten werden: das Aufweisen des Politischen im Freud’schen Denken sowie die Relevanz dieser Dimension in seinem Denken für das Erfassen und Begreifen heutiger Realitäten im Gesellschaftlichen und Politischen.

Bei den einzelnen Texten in diesem Band handelt es sich zum Teil um überarbeitete, teils erweiterte und aktualisierte Publikationen der letzten 30 Jahre. Nicht nur fügen sie sich zu dem zusammen, worum es in diesem Band gehen soll, sondern die Zusammenfügung als solche darf durchaus als das Resümee eines den Verfasser sein gesamtes akademisches wie öffentliches Leben hindurch umtreibenden Themenkomplexes angesehen werden. Es geht also nicht nur um eine ideen-, sondern gewiss auch um eine lebensgeschichtliche Rückschau, freilich mit einem emphatisch vertretenen aktuellen Bezug.

Moshe Zuckermann
Tel Aviv, im Juli 2016

Anmerkungen

1. Vgl. etwa das ausgezeichnete Buch von José Brunner, Psyche und Macht. Freud politisch lesen, Stuttgart 2001. Vgl. auch: Herbert Marcuse, Konterrevolution und Revolte, Frankfurt/Main 21973, S.72-94; Herbert Marcuse, Versuch über die Befreiung, Frankfurt/Main 51980; Alfons Söllner, Angst und Politik. Zur Aktualität Adornos im Spannungsfeld von Politikwissenschaft und Sozialpsychologie, in: Ludwig von Friedeburg und Jürgen Habermas (Hrsg.), Adorno-Konferenz 1983, Frankfurt/Main 1983, S.338-349; Dietrich Haensch, Repressive Familienpolitik. Sexualunterdrückung als Mittel der Politik, Reinbek bei Hamburg 1969; sehr interessant auch aus psychoanalytischer Sicht: Thea Bauriedl, Die Wiederkehr des Verdrängten. Psychoanalyse, Politik und der Einzelne, München 1986