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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Epilog

Kommentar

Leserkontaktseite

Risszeichnung Technogeflecht

Leseprobe Perry Rhodan-Buch 125 - Fels der Einsamkeit

Vorwort

1.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2743

 

Der Schwarze Palast

 

Der Atope Matan Addaru Dannoer erreicht Luna – um zu sterben und um zu leben

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1516 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Milchstraße seit nunmehr zwei Jahren unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals, einer noch immer weitgehend rätselhaften Organisation. Diese gibt vor, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen.

Welche Auswirkungen die Atopische Ordo haben kann, erfährt Perry Rhodan am eigenen Leib: Ihn hat es in die Galaxis Larhatoon verschlagen, die Heimat der Laren, die vor über eineinhalb Jahrtausenden als Mitglieder des Konzils der Sieben Galaxien eine beträchtliche Zeitspanne in der Milchstraße herrschten.

In der Milchstraße regiert indessen nur noch formal das Galaktikum. Die eigentliche Politik findet stets im Schatten der Onryonen statt, die von den Atopischen Richtern ihre Befehle empfangen. Eine ihrer Bastionen ist der irdische Mond Luna, und dort befindet sich auch DER SCHWARZE PALAST ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Matan Addaru Dannoer – Der Richter des Atopischen Tribunals besucht den Schwarzen Palast.

Pazuzu – Ein Dschinn befindet sich auf dem Weg ins Leben.

Shanda Sarmotte – Die Telepathin fürchtet den Schwarzen Palast.

Toufec – Der Meister Pazuzus muss sich mit seiner neuen Rolle abfinden.

»Volk ist ein Begriff, der auf uns Atopen nicht zutrifft. Jeder Atope ist einzigartig.«

Richter Matan Addaru Dannoer

 

 

Prolog

Im Bewusstsein des Endes

 

Du liegst auf einem weichen Untergrund, die Augen geschlossen; siehst nichts von dem, was dich umgibt. Du könntest irgendwo sein, auf einem Planeten, einem Mond, unter blauem Himmel oder leuchtenden Sternen. Doch das bist du nicht.

Du weißt, dass du durch das All fliegst, dich die 232-COLPCOR in ihrem Leib trägt wie eine Mutter ihr Ungeborenes durch feindliches Gebiet.

Die Wände und der Boden, alles, was ist, flüstert und wispert. Für andere mag das Schiff der Inbegriff der Stille sein, die Ruhe, die in den Tiefen eines gewaltigen Ozeans herrscht, in die kein Leben vordringt. Für dich stellt sich das anders dar.

Du umklammerst den Stab mit den Händen, drückst ihn gegen die Brust. Dabei denkst du an deine Niederlage auf Yo zurück. Es hätte einfach sein sollen, dir zu holen, was du brauchtest. Stattdessen bist du auf einen Gegner gestoßen, mit dem du nicht gerechnet hast.

Jabari Gneppo.

Sie nannten ihn den Magier von Yo, und war er in gewisser Weise nicht genau das, was die Menschheit darunter versteht? Ihm ist gelungen, woran Projektile, Vektorbomben, Paralyse- und Thermostrahler gescheitert sind.

Du bist Richter Matan Addaru Dannoer. Die meisten halten dich für unbesiegbar.

Und du liegst im Sterben.

 

*

 

Die Innenoptiken der 232-COLPCOR erfassten die Gestalt des Richters. Er lag ausgestreckt auf einer Liege, die sich ihm so stark anpasste, dass er halb in ihr versank. Die kupferfarbene Haut hatte einen Graustich, die schwarzen Federn hingen glanzlos vom Kopf. Einige waren nach vorn abgeknickt und fielen in die Stirn. An ihren Spitzen sammelte sich heller Schaum in feinen Tröpfchen und benetzte die Furchen über den tief hinabreichenden Brauen.

Matan Addaru Dannoer hatte die Augen geschlossen wie jemand, der die Welt aussperren möchte. Den Glivtor an sich gepresst atmete er flach.

Ein Stück von seinem Ruheplatz entfernt stand Angakkuq hinter der Wand, das wächserne Gesicht ausdruckslos. Die Wand war von innen her dunkel. Von außen dagegen – auf Angakkuqs Seite – gab sie die Sicht frei.

Die flachen Konturen Angakkuqs wirkten leblos. Einen Mund suchte man in diesem Antlitz vergeblich. Das Kinn war um eine Handspanne verlängert, aufgebogen, verbreiterte sich und endete in einem münzgroßen Schalltrichter.

Eine Weile schaute Angakkuq reglos aus den Brombeeraugen, hinein in den Raum, aus dessen Wänden Essen wuchs, zu der Liege mit dem Richter. Der Ruheplatz war umgeben von bläulich schimmernden Transkrementen, die nach und nach schrumpften wie Früchte, die in der Hitze der Wüste ausdörrten. Im Komplex der Sehorgane splittete sich das Bild zu einer Vielzahl des immer Gleichen. Achtundzwanzig dahinwelkende Richter pro Auge. Achtundzwanzig Mal hundert Körner, die um das Siechlager verstreut lagen wie winzige nachtblaue Schrotkugeln.

Angakkuq schob den Arm aus dem mantelähnlichen Gewand, das ihn wie ein Schlauch umhüllte. Der Arm war dürr wie der Körper. Er ragte aus dem Brustbein, hatte zwei Ellbogengelenke und eine Hand, die lediglich zwei Finger aufwies. Einer der Finger berührte die durchsichtige Substanz, und sie teilte sich wie ein Vorhang.

Als Angakkuq eintrat, machte er kaum ein Geräusch. Sein Fußklumpen war leise, bewegte den Wächter der COLPCOR wie auf einer Plattform in wellenartigen Schüben vorwärts. Trotzdem öffnete Matan Addaru Dannoer die Augen und drehte den Kopf in Angakkuqs Richtung.

Die Stimme des Richters war kraftlos, der sonst so selbstsichere, höfliche Ton der tiefen Erschöpfung eines uralten Mannes gewichen. »Wie steht es um das Schiff?«

Angakkuqs Sprechtrichter pulsierte. »Die COLPCOR zeigt Ausfälle. Es wird schlimmer.«

»Ja. Ich erkenne es an der Farbe.«

Sie schwiegen. Die Wände schimmerten matt mit einem rötlichen Stich. Ein Zeichen SKEPTORS, wie schlecht es um den Raumer und ihn stand. Die tt-Progenitoren arbeiteten mangelhaft. Der Angriff auf Yo hatte dem Schiff und seinem Gehirn schwer zugesetzt. Normalerweise wäre eine Wiederherstellung durch eine Ruhephase leicht möglich gewesen, doch sie hatten es eilig.

Matan Addaru Dannoer senkte die Lider. »Ausgerechnet jetzt. Wo wir Luna gefunden haben.«

»Wir müssen zwischenlanden. Das Schiff braucht Zeit für die Regeneration.«

»Du weißt, was das heißt. Mein Agentum zerfällt.« Der Richter umklammerte den Stab auf seiner Brust so fest, dass die Knöchel wie weiße Spitzen am Handrücken aufragten.

Der Glivtor war aufgeladen. Die Inkorporation des Parapotenzials von Jabari Gneppo war gelungen, ehe sie Yo verlassen hatten. Aber der Aktionskörper Matan Addaru Dannoers war irreparabel geschädigt. Es lag nicht nur an den Ereignissen auf Terra während des Prozesses gegen die beiden Kardinalfraktoren Rhodan und Bostich sowie an den anstrengenden Taten auf Yo. Nein, das schiere Alter des Agentums war ein Problem. Das Gewebe zerfiel. Immer mehr Missbildungen mussten hinausgeschafft werden wie Fremdkörper.

Angakkuq drehte sich, dass der Mantelsaum eines der nachtblauen Körner am Boden streifte. »Ich sehe es. Die Abkehr des Agentums ist unumkehrbar. Wir müssen eine Entscheidung treffen. Die COLPCOR oder du.«

Ein unmerkliches Zittern lief durch Matan Addaru Dannoer. »Um die Sukzession zu sichern, ist es dringend erforderlich, Einkehr zu halten.«

»Du stimmst also dafür, die Kontinuität der Agenti zu wahren? Du möchtest das Schiff und damit vielleicht auch mich opfern?«

»Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die 232-COLPCOR Luna erreicht und sich dort regenerieren kann?«

Der Richter bewegte den Kopf, als erwarte er SKEPTORS Antwort. Doch das Schiffsgehirn schwieg. Lediglich der Rotton im allgegenwärtigen Licht intensivierte sich.

»Etwa sieben Prozent.«

»Dann möchte ich SKEPTOR entscheiden lassen.«

Angakkuq glitt zurück. »SKEPTOR?«

Es dauerte, bis die Stimme der Positronik erklang. »Ich stimme der Analyse Matans zu. Wir müssen Einkehr halten.«

Angakkuq hielt den Blick auf den Knauf des Glivtors gerichtet. »Ich akzeptiere.«

Die Entscheidung war getroffen. Für die Wehengrube der Sganshan. Für Luna.

1.

Im Ringgebirge

 

Der SERUN fühlte sich eng an wie ein Gefängnis. Toufec flog vor Shanda Sarmotte durch den langen Gang. Sie waren zu zweit unterwegs, um der Beer & Mädler-Universität samt der Probleme mit Pazuzu und der gedrückten Stimmung im Widerstand zu entkommen.

Shandas Stimme erklang in seinem Helm. »Wie viel Zeit haben wir bis zur Zündung?«

»Genug.« Trotzdem flog Toufec schneller, durch Tunnel und sublunare Ebenen, hin zu einem desaktivierten Antigravlift, in dessen Schacht es nach oben ging. Sie stiegen im Ringgebirge hinauf, legten Hunderte von Metern an die Oberfläche zurück. Während der Gravo-Pak ihn nach oben brachte, dachte Toufec an die Gefahren, die hinter ihnen lagen.

In Schlaglichtern sah er die Vergangenheit vor sich. Die abstürzende STARDIVER, in der er zuvor gemeinsam mit Shanda Sarmotte und Perry Rhodan den Repulsorwall der Onryonen überwunden und Luna erreicht hatte. Das Gesicht von Quinta Weienater, der Rebellin, die mit anderen Mondbewohnern im Untergrund gegen das Regime der Onryonen kämpfte. In einem verlassenen Hotel hatten sie Pri Sipiera kennengelernt, die kleine, drahtige Frau mit den roten, zur Haube geschnittenen Haaren und dem kalten, zu allem entschlossenen Lächeln.

Pri war die Anführerin des Widerstands und die Tochter von Antonin Sipiera, dem Lunaren Residenten, der zu einem Spielball der Besatzer geworden war. Die Tochter hatte sich gegen den Vater gerichtet.

»Was denkst du?«, fragte Shanda.

»An Pri. Und an Perry. Ob er in Sicherheit ist.«

Perry Rhodan hatte vom Mond fliehen müssen, während Toufec, Shanda Sarmotte und Fionn Kemeny dageblieben waren, um die Mission fortzusetzen und den Widerstand zu unterstützen. Die Onryonen verfolgten den Unsterblichen. Toufec hoffte, dass Perry ihnen entkommen war. Wissen konnte er es nicht, denn Luna hatte die Position nahe der Erde verlassen, und ein Nachrichtenaustausch war unmöglich.

Die Onryonen hatten den Mond zur Waffe gemacht und ihn »gezogen«, wie sie es nannten. Die krank aussehende, grüne Technokruste, die zahlreichen Bewohnern der Erde schlaflose Nächte beschert hatte, war eine einzige große Maschinerie, die es ermöglichte, Luna im Raum wie mit einem Transmitter über unvorstellbare Strecken zu versetzen.

Doch der Widerstand war den Besatzern in die Quere gekommen. Fionn Kemeny hatte zusammen mit YLA, der Tochter NATHANS, einen Weg gefunden, den Prozess mit einem Gravoirritator aufzuhalten. Statt die Feinde der Onryonen zu bedrohen, war Luna aufgrund eines Fehlers in einem extremen System gestrandet, angezogen von einem Neutronenstern. Einem von vieren, die beinahe das Ende jeden Lebens bedeutet hätten.

»Schon wieder eins.« Shandas Stimme war angewidert.

Sie passierten ein Stück Technogeflecht, das wie ein Speer vom Boden zur Decke ragte. Es war mit einer undurchdringlichen Schicht umhüllt, die der Widerstand benutzte, um das hochkomplexe Material blind zu machen. Inzwischen wussten sie, dass eine optische Ortung unter externer Anregung über das Geflecht möglich war. Jeder fähige Genifer konnte sie bewerkstelligen. Zum Glück gab es auf Luna weit mehr Geflecht als Genifere zur Verfügung standen. Eine lückenlose Überwachung war unmöglich.

An einer Gleittür kurz vor dem Ausgang hielt Toufec inne. Etwas störte ihn. Es dauerte einige Sekunden, bis er es erfassen konnte. Die Tür stand offen. Er und Shanda waren vor zwei Tagen an diesem Ort gewesen, und er war ganz sicher, dass er den Zugang geschlossen hatte.

Ob jemand vom Widerstand ebenfalls auf diesen Platz gestoßen war? Oder hatte Pazuzu eigenmächtig eine Reise unternommen? Der Dschinn – wie Toufec Pazuzu seit Beginn ihrer Bekanntschaft nannte – war immer öfter allein in Toufecs Zimmer. Er wollte nachdenken, sagte er, und lehnte es ab, Toufec zu begleiten, wie er es früher getan hatte. Ohne die Mischung aus altertümlicher Flasche und Hightechgerät an der Hüfte fühlte Toufec sich nackt.

Toufec überprüfte mit dem SERUN sicherheitshalber gezielt die weitere Umgebung. Keine Signale. Sie waren allein.

Durch eine unscheinbare Öffnung gelangten sie ins Freie.

Auch in dieser Höhe gab es Bäume, die wie tot dastanden, umgeben von verrottenden Blättern. Sie hatten ihr Laub während der Katastrophe am Gravoabgrund verloren. Einer war durch die Gravophänomene entwurzelt worden, ein anderer zersplittert. Ein scharfkantiges Stück von der Länge eines Arms war der größte Brocken, der geblieben war.

Ein modriger Geruch breitete sich auf dem Plateau aus.

Vor ihnen erstreckte sich der terrassenförmige Trichter, in dessen Tiefe das Herzstück Luna Citys pulsierte. Gleiterströme verliefen in geordneten Bahnen. Die meisten Fluggeräte waren neuerer Bauart und onryonisch. Das Ringgebirge schloss das Zentrum ein wie eine schützende Mauer. Hochhäuser und die Erhöhungen der Zentralberge ragten der schützenden Panzertroplonkuppel entgegen, die den Krater überspannte.

Der Strahlenkrater Copernicus lag am Rand des Oceanus Procellarum – des Ozeans der Stürme. Ein passender Name für Toufecs Laune. Im Allgemeinen vergaß er Streit schnell, doch die ständigen Auseinandersetzungen mit Pazuzu wollten ihm nicht aus dem Sinn.

Um dem Gravoabgrund zu entkommen, hatte Pazuzu einen mentalen Abdruck von Toufecs Bewusstsein genommen. Das war notwendig gewesen, damit Shanda telepathisch mit der Sonde kommunizieren konnte, die sie auf den Stern geschickt hatten. Die Sonde hatte Kontakt zu einem Kustos hergestellt, einem Wächter des künstlichen Systems. Letztlich hatte dieser Kontakt sie gerettet. Aber er hatte Pazuzu, den Nanogentenschwarm, gleichzeitig für immer verändert.

Wo Pazuzu Maschine mit einem Seelenfunken gewesen war, ein technisch unglaublich hochwertiger Komplex aus dem rätselhaften Aures, war er nun Individuum – und unberechenbar. Er ähnelte Toufec, sprang jedoch durch alle Lebensalter. Man wusste nie, ob man mit einem Zehnjährigen oder einem Greis sprach, einem trotzigen Kind oder einem logischen Denker. Das machte Konversationen zu vermintem Land.

Toufec atmete hörbar.

Shanda drehte sich zu ihm um. Ihre grünbraunen Augen verengten sich. »Was ist?«

»Ich denke an Pazuzu.«

»Gib ihm Zeit. Seine Gefühle überfordern ihn. Wenn er sich erst daran gewöhnt hat, wird er ein treuer Verbündeter sein.«

»Und bis dahin ist es, als hätte ich mein eigens Gravophänomen – handlich unter dem Kopfkissen. Ich weiß nie, wann es ausbricht und mir den Schädel von der Halswirbelsäule reißt.«

»Vergiss ihn mal für ein paar Minuten. Es geht gleich los.«

Langsam näherten sie sich dem Abgrund.

Obwohl sie lunaren Zenit hatten und die Lichttürme die Helligkeit mit maximaler Intensität abgaben, war es im Ringgebirge dämmrig wie bei einem Sonnenuntergang. Was in der Stadtmitte kaum auffiel, merkte man in dieser Region: Die Onryonen hatten das Licht der Türme gedämpft, um es ihren eigenen Sehgewohnheiten anzupassen.

Shanda landete auf dem Boden und trat an die Kante. Ihr schmales Gesicht zeigte Anspannung. »Noch sechzig Sekunden.«

Toufec sank neben sie. Seit ihrer Verletzung bei der Rettung Lunas waren seine Gefühle für Shanda widersprüchlicher denn je. Sie war nicht sein Typ, hatte mit ihrer männlichen, oft burschikosen Art und den schmalen Hüften keine Ähnlichkeit mit den Blumen der Wüste, den schwarzhaarigen Schönheiten seiner Zeit. Allgemein bevorzugte Toufec dunkle Augen, keine grünbraunen, egal ob mit Goldsprenkel oder ohne. Das glatte, dunkelbraune Haar war zu fein und geordnet. Doch als Shanda durch den Kampf zwischen Bonthonner Khelay und Raphal Shilo verletzt worden war und ein herumfliegendes Trümmerstück ihr Herz getroffen hatte, hatte er anders gefühlt.

In ihrem Visier sah er eine schwache Spiegelung seines dunklen Gesichts mit der scharf gebogenen Nase, der dunklen Haut und dem wuchernden Bart. Ein Beduine und Räuber, dem für einen Moment Zweifel an seinem bisherigen Frauentyp kamen.

Unten in der Stadt detonierten die Sprengsätze. Zweiundzwanzig an der Zahl. Das Donnern hallte unter der Kuppel aus smartem Panzertroplon. Es grollte mehrfach wieder, füllte die ganze Welt und brachte den Boden zum Zittern.

Gebannt starrte Toufec auf zwei Gebäude in ihrem Sichtfeld, die in einer geraden Linie nach unten sackten. Staub und Schutt wirbelten auf.

Auch an anderen Stellen der Stadt wölbten sich Partikelwolken.

Sprengfest nannten sie es. Und sie feierten damit im Nachhinein den glimpflichen Ausgang der Beinahe-Katastrophe. Onryonen und Lunarer gemeinsam. Gefängniswärter und Insassen, die derzeit beide festsaßen.

Luna hatte am Gravoabgrund gestanden und ihn überdauert; danach hatte der Mond einen kurzen Sprung durch den Hyperraum gut überstanden. Trotzdem waren zahlreiche Wohntürme durch lokale Schwerkraftphänomene beschädigt worden. Selbst die smarteste Bausubstanz gab irgendwann auf, wenn die Belastung zu groß war.

Die Sprengung der Häuser war notwendig, weil die Gebäude zu tickenden Zeitbomben geworden waren. Noch immer gab es Onryonen und Lunarer, die gemeinsam Aufräumarbeiten leisteten.

Dabei war es erstaunlich, wie sehr sich die Onryonen bemühten, die Situation zu verbessern. Wie man hörte, hatten sie in Iacalla, ihrer Hauptstadt, genug zu tun. Trotzdem setzten sie sich für die Bewohner Luna Citys ein.

»Schau!« Shanda hob die Hand. Feuerwerkskörper explodierten auf der Höhe des Flips, des lunaren Regierungssitzes südlich des Lake Huckleberry. Keiner von ihnen flog so hoch, dass er die erste Schale der Kuppel erreichte. Sie blühten wie ein Gesamtkunstwerk auf, zeigten eine blitzende und blinkende Galaxis in Miniatur. Funkenregen schüttete sich über Luna City aus und tauchte die Häuser und Gewässer in Gold.

Über den Lichtern erstrahlte das fahle Grün des Technogeflechts, das sich von der äußeren Kuppel nach unten durchgearbeitet hatte. Säulen aus Technogeflecht bildeten giftgrüne Pfeiler, in denen sich die Explosionen spiegelten.

Unerwartet griff Shanda nach seiner Hand. Von unten drang Musik herauf, ein harter Rhythmus unterlegt von fröhlichen Melodien.

»Sie feiern.« Shandas Stimme war leise. Es lag Wehmut darin.

Toufec verstand, was sie fühlte. Die Lunarer und die Onryonen waren weiter zusammengerückt. Antonin Sipiera unterstützte die Besatzer mehr denn je. Aber die Allianz zwischen dem Widerstand und den Onryonen war zerfallen. Mit der Gefahr verschwand die Basis der Zusammenarbeit.

Die Ortung schlug an. Fast hätte Toufec das helle Symbol im Blitzen und Gleißen übersehen. Da war jemand hinter ihnen! Eine Person. Unbewaffnet.

Er fuhr herum und riss den Strahler hoch. Auf dem kleinen Plateau war niemand zu sehen. Zielstrebig peilte er eine Stelle neben dem zersplitterten Baum an, die ihm die Positronik markierte.

»Ich weiß, dass du da bist! Zeig dich!«

»Nicht schießen!« Die Silhouette eine Frau erschien, verdichtete sich rasch. Die Fremde war klein, hatte blaue Haut und markante Gesichtszüge. Hohe Wangenknochen, auffallend große Augen und eine interessant geschwungene Oberlippe machten sie schön. Entfernt erinnerte sie Toufec an YLA. In der Hand hielt sie ein Gerät. Vermutlich irgendeine Art von Deflektor. Sie drückte es an der Brust gegen den silbernen Stoff der Kombination.

Shanda wandte sich um. Ihre Augen weiteten sich. »Das ist doch ... Ich kenne dich!«

»Hanta Degan, Spektrum Luna. Ich habe ein paar Fragen zum Widerstand.«

Toufec erinnerte sich. »Du warst während der Krise bei den Konferenzen Kemenys und hast Fragen gestellt, die der Regierung zu aufdringlich waren.«

Hanta Degan nickte. Falls die Waffe, die auf ihre Brust zielte, sie verunsicherte, verbarg sie es hervorragend. Sie lächelte Toufec an, als begegneten sie einander bei einem Picknick am Lake Huckleberry.

Toufec ließ den Strahler, wo er war. Das konnte ein Trick sein. Vielleicht war Hanta sogar ein Gestaltwandler. Sie waren schon einmal auf einen getroffen, bei ihrer Mission ins Synapsenpriorat im Mare Nubium. Seinetwegen hatten sie Angh Pegola verloren.

»Verschwinde! Der Widerstand ist zurück in den Untergrund gegangen. Du wirst noch die Onryonen zu uns führen.«

Hanta schüttelte den Kopf. »Ich habe aufgepasst. Die Onryonen verkaufen uns für dumm. Sie stellen sich als Retter und Helden dar. Aber viele Bewohner sind durch die jüngsten Ereignisse wachgerüttelt! Die Leute wollen Antworten. Die Daten, die Pri Sipiera in Umlauf gebracht hat, sind höchst brisant. Gibt es Neuigkeiten? Weiß der Widerstand, wie viel Zeit wir verloren haben? Habt ihr Kontakt zur LFT oder zum Galaktikum?«

Toufec warf Shanda einen auffordernden Blick zu. Mit ihren mentalen Fähigkeiten konnte sie überprüfen, ob Hanta Degan die Wahrheit sagte.

Shanda schloss die Augen, schüttelte dann den Kopf. »Sie ist wirklich Hanta Degan. Kein Onryone in Maske oder Schlimmeres.«

Toufec senkte den Arm, dass die Mündung auf den kahlen Boden wies. »Wie hast du uns gefunden?«

»Ich habe zuerst gefragt. Antwortet mir. Ihr braucht Leute wie mich. Verbündete, die denen da unten nahebringen, was wirklich vorgeht. Vielleicht kann ich es nicht offiziell im Sender vorstellen, aber es gibt Mittel und Wege.«

Unschlüssig verstärkte Toufec den Druck seiner Finger auf dem Strahler. »Wir können dir nichts sagen, weil wir nichts wissen, das nicht schon bekannt ist. Wir befinden uns an einem unbekannten Ort in der Southside, auf konstantem Kurs von Dhalaam fort. Seit zwei Wochen versuchen wir, via Hyperfunk ein Signal an die LFT oder das Galaktikum zu senden. Vergeblich. Der Repulsorwall spiegelt es zurück. Soweit wir informiert sind, können auch die Onryonen den Wall nicht durchdringen.«

»Wann wird Luna wieder vollständig sprungbereit sein?«

»Der Mond war's immerhin einmal«, sagte Toufec trocken. »Die Onryonen haben ihr Netz schließlich noch einmal in Betrieb genommen, und Luna ist ein einziges Mal ›gesprungen‹. Aber jetzt?« Er hob die Schultern. »Jetzt ist endgültig alles zusammengebrochen, und seither sind die Techniker dabei, die ganzen Anlagen grundlegend zu reparieren.«

»Immerhin sieht man jetzt keine Neutronensterne mehr am Himmel«, ergänzte Shanda und wies in die Höhe. »Nur Schwärze und Lichtpunkte.« Sie lächelte schwach. »Das gefährdet uns zumindest nicht akut.«

Hanta Degan senkte den Kopf. »Trotzdem enttäuschend.«

Toufec unterließ es, sich oder den Widerstand zu verteidigen. Er war froh, dass es Shanda nach der Verletzung wieder gut ging und sie sich alle hatten sammeln können. Außerdem wusste er, dass Fionn Kemeny tat, was in seiner Macht stand.

Was hingegen YLA anging, war er unsicher. Die Tochter NATHANS, das positronische Phantom, gab ihm Rätsel auf. NATHANS große Weisheit hin oder her, YLA hatte eine Menge riskiert, um Luna der Kontrolle der Onryonen zu entziehen. Unter anderem Shandas Leben.

Dabei hatte auch sie das Neutronensternsystem erst spät anmessen können und innerhalb von Sekundenbruchteilen eine Entscheidung getroffen. Hatte sie ihren Vater befreien wollen, der unter den Einfluss der Onryonen und damit den des Tribunals geraten war?

YLA war NATHANS Hüter und Scout. Was genau bedeuteten ihr Intelligenzwesen, und wie hoch schätzte sie innerhalb ihrer Prioritäten NATHANS Befreiung ein? Vielleicht würde er es bald erfahren. Das nächste Treffen mit YLA stand in knapp drei Stunden an. Er, Shanda, Kemeny und Pri würden einmal mehr in NATHANS Privatgemächer hinabsteigen und Antworten suchen.

Shanda tauschte einen Blick mit ihm. »Wir werden einen Weg finden, dich zu informieren, sobald wir mehr herausgefunden haben.«

 

*

 

Es knackte außerhalb des Scheinwerferlichts. Der Laut klang unheimlich. Shanda dachte an einen Verfolger, der hinter ihr durch die Dunkelheit schlich und einen Desintegratorstrahler auf ihren Rücken richtete. Unwillkürlich spähte sie zurück, sah aber nichts als die Schatten und Silhouetten der Gerätschaften NATHANS.

Sie blickte zu Fionn Kemeny und Pri Sipiera, die ein Stück vor ihr gingen. Wie sie und Toufec waren die beiden gelandet und umgingen ein zehn Meter hohes Hindernis aus Metallplast, das nahezu den kompletten Gang versperrte. Der Bereich war nicht sicher. Zahlreiche Warnmeldungen blinkten im Innendisplay des SERUNS, sodass sich Shanda fühlte wie eine Bergarbeiterin in einer mit Gas gefüllten Mine.

Wie schaffte es Fionn Kemeny nur, jeden Tag zu YLA hinabzusteigen und die Gefahren zu ignorieren? Obwohl er weniger Stunden beim positronischen Phantom verbrachte als früher, arbeitete Kemeny konstant mit YLA zusammen. Es musste sein unstillbarer Durst nach Wissen sein, der ihn immer wieder in die Tiefe trieb und ihn die unsichere Umgebung vergessen ließ.

Die Analyse im Helmvisier zeigte deutlich, wie schlecht es um diesen Abschnitt stand. Zahlreiche Maschinen und Gebilde saßen an maroden Halterungen an ihrem Platz. Nur dünne Stränge hielten sie davon ab, zu Boden zu stürzen. Wieder andere konnten jederzeit explodieren. Einige der Energiemeiler waren zu tickenden Zeitbomben geworden. Es genügte ein winziger Auslöser, sie zu überladen und für ein lokales Inferno zu sorgen, das die Onryonen anlocken konnte.

Shanda musterte die riesigen, wirr aufgestellten Positronikblöcke und Gebilde in ihrer Nähe argwöhnisch. Jeder von ihnen war ein potenzieller Feind.

Fionn Kemeny hatte die Schultern hochgezogen. In seinem weißen Anzug erinnerte der Wissenschaftler Shanda an eine Maus, die den Weg aus einem Labyrinth suchte, jederzeit darauf gefasst, einen Stromschlag zu erhalten. Die schlohweißen Brauen über den weit geöffneten Augen verstärkten den Eindruck. Dabei kannten sie den Weg in YLAS Reich.

Die Kernanlage des biopositronisch-hyperinpotronischen Großrechner-Netzwerks befand sich unterhalb des östlichen Ringwalls des Copernicuskraters in 2000 Meter Tiefe. Sie umfasste eine Kugel von 500 Metern Durchmesser sowie eine ganze Reihe peripherer Anlagen.

Shanda hatte keine Kenntnis des gesamten Gebiets, in dem sie sich dank der Verästelungen und unterschiedlichen Wege hätte verlaufen können. Aber die Route zu NATHANS Privatgemächern war ihr vertraut.