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Über dieses Buch:

Der neue Fall des wohl bekanntesten Hamburger Privatdetektivs Jeremias Voss hat es in sich: An Bord eines nagelneuen Kreuzfahrtschiff soll sich eine Bombe befinden. Wenn die Reederei nicht 50 Millionen Euro an die Erpresser zahlt, werden über 3.000 Menschen in den Tod gerissen. Die Zeit ist knapp und die Chancen, eine versteckte Bombe auf dem riesigen Schiff rechtzeitig zu finden, sind nahezu aussichtslos. Jeremias Voss ist die letzte Hoffnung für den verzweifelten Reeder. Doch um eine Spur zu finden, muss er selbst an Bord des Schiffes – und setzt damit sein eigenes Leben aufs Spiel …

Über den Autor:

Ole Hansen, geboren in Wedel, ist das Pseudonym des Autors Dr. Dr. Herbert W. Rhein. Er trat nach einer Ausbildung zum Feinmechaniker in die Bundeswehr ein. Dort diente er 30 Jahre als Luftwaffenoffizier und arbeitete unter anderem als Lehrer und Vertreter des Verteidigungsministers in den USA. Neben seiner Tätigkeit als Soldat studierte er Chinesisch, Arabisch und das Schreiben. Nachdem er aus dem aktiven Dienst als Oberstleutnant ausschied, widmete er sich ganz seiner Tätigkeit als Autor. Dabei faszinierte ihn vor allem die Forensik – ein Themengebiet, in dem er durch intensive Studien zum ausgewiesenen Experten wurde.

Heute wohnt der Autor in Oldenburg an der Ostsee.

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Der Autor im Internet: www.herbert-rhein-bestseller.de

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Originalausgabe November 2016

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/TunedIn by Westend 61

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-664-5

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Ole Hansen

Jeremias Voss und der Wettlauf mit dem Tod

Der fünfte Fall

dotbooks.

Kapitel 1

Am Freitag, dem 14. Juni, 09:00 Uhr, schrieb der Schiffsführer des Motorseglers Hamburg ins Logbuch:

Sind bei Windstärke sechs aus Ost um acht Uhr aus dem Hafen von Chania ausgelaufen. Segeln mit achterlichem Wind Richtung Westen. Haben alle Segel gesetzt. Das Boot liegt ruhig am Wind. Fünf Passagiere und die drei Besatzungsmitglieder (einschließlich des Schiffsführers) sind wohlauf. Ein Passagier zeigt Anzeichen von Seekrankheit.

Freitag, 14. Juni, 15:00 Uhr. Haben die Insel Agria Gramvousa querab an Backbord. Gehen auf Kurs Süd. Wind hat auf Süd-Ost gedreht, Stärke sieben bis acht in Böen zehn aufgefrischt. Raue See, Sturmfock gesetzt. Großsegel zwei Reffs. Alle Passagiere unter Deck.

Freitag, 14. Juni, 16:00 Uhr. Windstärke acht, See rau. Alle Passagiere seekrank. Haben gewendet. Laufen Kissamos an.

Freitag, 14. Juni, 19:00 Uhr. Haben in der Bucht von Kissamos geankert. Kaum Wind, alles ruhig. Bringe Passagiere mit Schlauchboot an Land.

Die Seufzer, die die sechs Passagiere unterschiedlichen Alters ausstießen, als sie festen Boden unter den Füßen verspürten, klangen beinahe wie Erlösungsschreie. So waren sie wohl auch gemeint, denn das Erste, was sie taten, war, sich vom Schiffsführer zu einem Hotel bringen zu lassen, wo sie alle eincheckten. Danach schworen sie, nie wieder einen Fuß auf ein Segelboot zu setzen, und erklärten, dass ihr Ausflug hier und jetzt beendet sei. Der Schiffsführer verbarg seine Freude über diese Entscheidung hinter einem betrübten Gesicht. Etwas Besseres konnte ihm nicht passieren. Da die Passagiere die Reise aus eigenem Entschluss abbrachen, brauchte er das Geld für die zweiwöchige Segelkreuzfahrt durchs östliche Mittelmeer nicht zurückzuzahlen. Als Trost lud er die Gruppe zu einem Abendessen in einem Fischrestaurant am Hafen ein. Bis auf eine Dame, die nur noch schlafen wollte, hatten sich die anderen so weit erholt, dass sie die Einladung erfreut annahmen.

Das Restaurant war urig. Den Fisch mussten sich die Gäste in der Küche selbst aussuchen. Das Essen war hervorragend, und der Wein floss reichlich. Unter Einfluss des Alkohols hielten sie das plötzliche Krachen für ein Feuerwerk. Nur der Schiffsführer sprang auf.

»Mein Boot!«, schrie er und rannte in Richtung des Schlauchbootes davon.

Erst jetzt registrierte die Gruppe, dass der Motorsegler, auf dem sie noch vor gut einer Stunde gewesen waren, draußen in der Bucht explodiert war und die Reste lichterloh brannten. Erschüttert brachen sie das Abendessen ab und liefen zum Kai. Hier bildete sich innerhalb von Minuten eine Traube von Schaulustigen.

Am nächsten Morgen erfuhren sie vom Portier des Hotels, dass an Bord der Hamburg offenbar eine Gasflasche explodiert war. Die beiden Besatzungsmitglieder, die als Wache an Bord geblieben waren, waren von der Wucht der Explosion ins Meer geschleudert worden. Es kam einem Wunder gleich, dass der Schiffsführer sie beide mit dem Schlauchboot hatte unverletzt aus dem Wasser ziehen können.

Kapitel 2

Jeremias Voss stieg die Treppe von seinem Apartment im ersten Stock der Jugendstilvilla ins Büro hinunter. Nero, sein Hund, folgte ihm.

»Guten Morgen, Chef, was treibt Sie denn so früh nach unten?«

»Moin, Vera, was heißt hier früh? Es ist doch schon halb neun«, antwortete er seiner hübschen Assistentin.

»Sag ich doch. Sonst kommen Sie doch frühestens um neun Uhr ins Büro.«

Diesen burschikosen Ton konnte sich Vera Bornstedt erlauben, denn sie arbeitete seit der Stunde Null mit Jeremias Voss zusammen und hatte großen Anteil am Erfolg der Agentur für vertrauliche Ermittlungen.

Voss hatte sich über die Jahre zum erfolgreichsten, aber auch teuersten Privatermittler Hamburgs hochgearbeitet. Sein Name war weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus bekannt. Zu seiner Klientel gehörten die Spitzen der Wirtschaft, und seinen Ruf hatte er vor allem dem Umstand zu verdanken, dass er seine Fälle nicht mit Gewalt, sondern mit Geist, Fantasie und unkonventionellen Methoden löste. Hilfreich war dabei auch, dass er immer versuchte, eng mit der Polizei, zu der er selbst einmal gehört hatte, zusammenzuarbeiten.

»Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass ich den Betrieb störe?«

Vera lachte. »Dazu will ich mich lieber nicht äußern. Wie sieht es mit einem Kaffee aus?«

»Immer. Es war der Kaffeeduft, der mich nach unten gelockt hat.«

Vera machte Anstalten aufzustehen, um den Kaffee zu holen. Voss legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte: »Bleiben Sie sitzen, ich schenke mir selbst ein.«

Er ging zu der Pantry-Küche, die hinter einer Schiebetür in Veras Büro lag, nahm seinen Becher, schenkte den frisch gebrühten Kaffee ein und gab einen Schuss Vollmilch hinzu.

»Soll ich Ihnen nachschenken?«, fragte er anstandshalber, obwohl er sah, dass Veras Tasse noch halb voll war.

»Nein, danke, Chef, ich hab noch. Haben Sie heute etwas Bestimmtes vor?«

Voss pustete über den Kaffee, bevor er vorsichtig den ersten Schluck nahm. »Einen Morgenspaziergang mit Nero, ansonsten werde ich heute faulenzen. Nachdem wir den Mordfall im Palais d’Amour gelöst haben, haben wir uns Ruhe verdient. Nehmen Sie den Nachmittag frei. Die Büroarbeit läuft Ihnen nicht weg.«

»Danke, Chef, kann ich gut gebrauchen, dann kann ich meinen Sohn zum Arzt fahren. Er hofft, endlich den Gips von seinem Bein herunterzubekommen.«

»Sie sollen sich ausruhen und nicht gleich wieder in andere Aufgaben stürzen.«

»Sie haben gut reden, Chef, Sie sind nicht verheiratet. Als arbeitende Ehefrau gibt es so einen Luxus nicht.«

Voss lächelte nur, ging in sein eigenes Büro und blätterte die Zeitung durch. Als er fertig war, drehte er sich zu dem Hund um, der hinter ihm auf einer Matratze lag und schnarchte.

»Nero!« Der Hund hob schlagartig den Kopf. »Wollen wir spazierengehen?«

Sofort sprang Nero auf, ging zu einem Büroschrank, zog sein Halsband herunter und brachte es seinem Herrn. Der streichelte als Anerkennung den mächtigen Kopf des Hundes, was Nero mit einem wohligen Grunzen beantwortete.

Voss streifte ihm das Kettenhalsband über, zog sich eine Wetterjacke an und verließ das Büro.

Wie immer, wenn er nicht gerade mit einem Fall beschäftigt war, ging er mit Nero morgens zur Alster.

Als er ihn seinen Freunden zum ersten Mal präsentiert hatte, waren sie entsetzt gewesen, denn der Hund war alles andere als eine Schönheit. Im Gegenteil, in seinem Stammbaum schienen sich alle Straßenköter Istanbuls vereinigt zu haben. Sein Kopf ähnelte dem einer englischen Dogge, nur breiter. Über seine Lefzen ragten zwei gelbe Reißzähne nach oben heraus. Zwischen Augen und Nase wölbte sich eine breite Falte, und über der Stirn gab es gleich drei solcher Wülste. Er hatte die Größe eines Boxers, war aber ein weitaus stärkeres Kraftpaket. Sein Körper bestand nur aus Muskeln und Knochen, sodass er mit seinen 55 Kilo wie ein Rammbock wirkte.

Voss störte die Kritik nicht. Ihm war Nero ans Herz gewachsen, und Nero dankte es ihm mit einer geradezu rührenden Anhänglichkeit und absolutem Gehorsam. Nur wenn er jemanden mit einem erhobenen Schlachtermesser oder etwas Ähnlichem sah, konnte er ausrasten. In solchen Fällen bedurfte es Voss’ ganzer Autorität, um ihn davon abzuhalten, sich auf den Messerträger zu stürzen.

Was seine Freunde nicht wussten, war, dass nicht er den Hund angeschafft, sondern dass Nero ihn adoptiert hatte.

Es war in Istanbul gewesen. Um die Zeit bis zum Abflug seiner Maschine nach Hamburg totzuschlagen, war er durch eine der vielen Istanbuler Markthallen gebummelt. Ein wütender Schrei schreckte ihn auf. Ein Schlachter rannte mit erhobenem Messer hinter einem Welpen her, aus dessen Maul zwei Würste hingen. In seiner Not suchte der Welpe hinter Voss’ Beinen Schutz. Der hatte Mitleid mit der armen Kreatur und bezahlte dem Schlachter seinen Verlust. Als er den Hund an andere Marktverkäufer verschenken wollte, fand er niemanden, der ihm Asyl gewährte. Erst als er zusätzlich eine 50-Euro-Note hinzufügte, gab es einen Barmherzigen. Nero wurde mit einem Strick am Markstand seines neuen Besitzers angebunden, und Voss verließ erleichtert den Markt. Auf halbem Weg zu seinem Hotel hörte er ein Hecheln hinter sich. Mit heraushängender Zunge kam Nero angerannt, den Strick noch am Hals. Er hatte ihn zerrissen. Voss konnte nichts anderes tun, als diese Adoption zu akzeptieren. Es war der Beginn einer Männerfreundschaft.

Der Tag heute in Hamburg war schön. Die Sonne schien, sodass man die Kälte kaum spürte. Voss schlenderte mit Nero den gewohnten Weg an der Außenalster entlang. Wochentags waren um diese Zeit nur Rentner mit ihren Hunden unterwegs. Voss führte Nero an kurzer Leine, um ihn davon abzuhalten, läufige Hündinnen zu beglücken.

Unweit des Fährhausdamms kamen ihm zwei Männer entgegen, in Wintermäntel und Schals gehüllt. Neben dem Kleineren spazierte graziös ein Königspudel. Der andere führte einen Rauhaardackel an der Leine. Trotz des tief in die Stirn gezogenen Huts erkannte Voss den Mann mit dem Pudel.

»Guten Morgen, Herr Dr. Hartwig«, begrüßte er den Vorstand für Schadensermittlung der Hamburg-Berliner-Versicherungs-AG. Er war sicher, den Begleiter schon einmal gesehen zu haben, konnte ihn jedoch im Moment nicht unterbringen. Auch ihn begrüßte er mit einem »Guten Morgen«.

Dr. Hartwig schüttelte Voss herzlich die Hand, während sein Königspudel jeden Annäherungsversuch von Nero mit einem Knurren vereitelte.

»Scheint wahre Schönheit nicht zu schätzen«, sagte Voss grinsend und zeigte auf den Pudel.

»Felicita ist der Hund meiner Frau und so eingebildet, dass es schon peinlich ist«, erwiderte Hartwig.

»Dann wollen wir sie von Neros Nachstellungen befreien. War schön, Sie mal wiederzusehen, Herr Dr. Hartwig.«

Voss machte Anstalten zu gehen, doch Hartwig hielt ihn zurück.

»Ich möchte Sie gern mit meinem Begleiter bekannt machen.«

Der Mann musterte Voss intensiv, während sein Rauhaardackel mit Nero Bekanntschaft schloss. Obwohl er nach einem reinrassigen Hund aussah, schien er keine Standesdünkel zu kennen.

»Heinrich, dieser Herr ist der berühmte Privatdetektiv … o Verzeihung«, sagte er zu Voss, »Sie ziehen ja die Bezeichnung Privatermittler vor.« Und wieder an seine Begleitung gewandt: »Ich habe dir ja schon von ihm erzählt. Herr Voss, der Herr in meiner Begleitung ist Heinrich Teerstegen, Besitzer der Teerstegen-Reederei in Hamburg.«

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände und musterten sich gegenseitig, um einen ersten Eindruck vom anderen zu bekommen.

»Kommen Sie, Herr Voss, lassen Sie uns ein Stück zurückgehen. Nicht weit von hier ist ein Café. Nicht gerade gemütlich, aber warm, oder sind Sie in Eile?«, sagte Dr. Hartwig.

»Nein, ich habe Zeit. Ich habe beschlossen, heute eine Auszeit zu nehmen. Muss auch mal sein.« Voss lächelte und setzte sein Pokergesicht auf. Er wollte nicht zeigen, wie verwundert er über diese Aufforderung war. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, denn er hatte das Gefühl, dass dieses Zusammentreffen kein Zufall war. Also konnte es sich nur um einen Auftrag handeln. Die Art und Weise, wie die Herren an die Sache herangingen, weckte seine Neugier.

»Der arrogante Pudel ist übrigens nur Tarnung, genauso wie der Dackel von Herrn Teerstegen«, sagte Hartwig, während sie den Weg, den sie gekommen waren, zurückschlenderten.

»Tarnung?«, fragte Voss. »Wie darf ich das verstehen? Haben Sie Ihren Job gewechselt und wollen mir jetzt Konkurrenz machen?«

»Weder Jobwechsel noch Undercover-Agent.« Obwohl die Worte scherzhaft klangen, blieb Hartwigs Miene ernst. »Ich wusste, dass Sie es lieben, morgens mit Ihrem Hund an der Alster spazieren zu gehen, und habe darauf gesetzt, dass Sie uns entgegenkommen würden.«

»Ich glaub’s nicht, Herr Dr. Hartwig.« Voss schüttelte verständnislos den Kopf. »Sie haben doch sicherlich zu viel um die Ohren, als dass Sie morgens hier entlang wandern können, nur auf die Möglichkeit hin, dass ich vielleicht mal vorbeikomme. Und dann auch noch zusammen mit einer der Stützen der Hamburger Wirtschaft.«

Hartwig lächelte. »Natürlich nicht. Aber Sie sind nicht der Einzige mit Verstand im Kopf. Ich habe heute Morgen Ihre Sekretärin angerufen und gefragt, ob Sie in Hamburg sind und heute mit dem Hund an der Alster spazieren gehen würden. Erst als sie mir beides bestätigte, bin ich aufgebrochen und habe mich hier mit Herrn Teerstegen getroffen.«

Voss schüttelte wieder den Kopf. »Sie erwarten doch nicht, dass ich das verstehe?«

Dr. Hartwig lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Es klingt schon etwas eigenartig, das gebe ich zu.«

»Schon gut. Ich will jetzt nicht fragen, warum Sie nicht in mein Büro gekommen sind oder mich zu sich gebeten haben. Sie werden dafür gute Gründe haben. Deshalb bin ich äußerst gespannt zu hören, was das alles zu bedeuten hat.«

»Sie haben recht, ich habe meine Gründe. Sie werden verstehen, dass alles, was ich Ihnen sage, strengster Geheimhaltung unterliegt. Auch Ihre Sekretärin darf davon nichts erfahren. Versprechen Sie es?«

»Natürlich. Aber Frau Bornstedt, meine Assistentin, muss in alles eingeweiht sein. Sie ist für Recherchen im Internet unersetzbar, und außerdem koordiniert sie meine Hilfstruppen.«

»Sie darf trotzdem nicht erfahren, was Herr Teerstegen Ihnen sagen wird. Schon zu ihrer eigenen Sicherheit.«

»Okay, da ich keine Ahnung habe, worum es sich bei diesem Hold-up handelt, behalte ich mir eine Entscheidung vor.«

»Einverstanden. Wir sprechen gleich darüber. Auch einverstanden?« Die letzten Worte waren an Teerstegen gerichtet. Der nickte zustimmend.

Auf dem Weg zum Café unterhielten sie sich über unverfängliche Dinge.

»Ich muss noch ein paar Minuten mit Nero gehen. Er hat sein Morgengeschäft noch nicht erledigt«, entschuldigte sich Voss, als sie den Eingang erreichten.

Das war jedoch nicht der Grund, warum er nicht zusammen mit den Männern das Café betreten wollte. Die Art und Weise, wie Hartwig Verbindung mit ihm aufgenommen hatte, ließ keinen anderen Schluss zu, als dass sie etwas streng Geheimes mit ihm besprechen wollten. Da er kein großes Zutrauen in die Geheimhaltung von Amateuren hatte, wollte er sicherstellen, dass sie nicht beobachtet wurden. Also schlenderte er den Weg bis zum Alsterwanderweg zurück. Als er niemanden sah, machte er kehrt und überprüfte die direkte Umgebung des Cafés. Er entdeckte niemanden, der sich für Dr. Hartwig und seinen Begleiter interessierte, und folgte den beiden ins Café. Er bestellte sich einen Pott Kaffee und setzte sich dann zu ihnen.

Als das dampfende Getränk vor ihm stand und er den ersten Schluck genossen hatte, wandte er sich an Hartwig. »So, Herr Dr. Hartwig, jetzt ist es Zeit, mich über den Grund für diese obskure Aktion aufzuklären.«

Hartwig sah sich nach der Bedienung um. Sie hatte den Gastraum verlassen, und andere Gäste gab es um diese Zeit nicht.

»Sie haben recht, Herr Voss. Genau genommen bin ich nur der Mittelsmann. Herr Teerstegen ist derjenige mit dem Problem.« Er wandte sich an seinen Freund. »Nun bist du an der Reihe, Heinrich.«

Teerstegen nickte. »Ich will es kurz machen. Sie wissen inzwischen, wer ich bin, also können Sie alles, was ich sage, richtig zuordnen.«

Er langte in die Innentasche seiner Jacke und zog eine durchsichtige Plastiktüte heraus. In ihr steckte ein länglicher Briefumschlag. Er gab die Tüte Voss.

»Was halten Sie davon?«

Voss nahm die Plastiktüte und betrachtete das Kuvert. Es war ein normaler, länglicher Briefumschlag, in den ein zweifach gefaltetes DIN-A4-Blatt hineinpasste. Der Umschlag besaß kein Adressfenster. Auf der Vorderseite stand in Großbuchstaben der Name Heinrich Teerstegen und darunter Persönlich. Es war fett gedruckt und unterstrichen. Auf den ersten Blick sah es nach einem Laserdrucker aus. Der Umschlag war nicht frankiert.

»Holen Sie den Umschlag heraus und öffnen Sie ihn«, forderte Teerstegen ihn auf.

Voss nahm ein Taschentuch aus der Hosentasche, öffnete die Plastiktüte und zog den Brief an einer Ecke mit dem Taschentuch heraus. Er betrachtete den Umschlag genauer. Er war ein typisches Massenprodukt, man hätte ihn in jedem Supermarkt kaufen können. Voss nahm ein zweites Papiertaschentuch zur Hilfe, zog das Schreiben heraus und faltete das DIN-A4-Blatt auseinander. Anstelle von gedruckter Schrift waren Buchstaben aufgeklebt. Voss betrachtete sie genauer. Sie stammten offenbar aus einer Tageszeitung, nur Großbuchstaben. Voss las:

WENN SIE UNS NICHT DIAMANTEN IM WERT VON 50 MIO EURO ÜBERGEBEN FLIEGT DIE SCHÖNE SEVEN SEAS IN DIE LUFT. DENKEN SIE AN DIE HAMBURG.

DIE DIAMANTEN MÜSSEN LUPENREIN UND NICHT KLEINER ALS 5 UND NICHT GRÖSSER ALS 20 KARAT SEIN.

SIE HABEN ZEIT BIS DIE SEVEN SEAS IN DIE GEWÄSSER VON INDONESIEN EINLÄUFT.

KEINE POLIZEI – KEINE REGIERUNG – SONST WUMM

»Was halten Sie davon?«, fragte Teerstegen.

Voss schwieg eine Weile, während er den Zettel von allen Seiten betrachtete.

»Dascha een Ding«, sagte er schließlich. Immer, wenn ihn etwas verblüffte, verfiel er ins Hamburgische. »Wann haben Sie den Brief bekommen?«

»Er lag zwischen meiner Post. Da er an mich persönlich adressiert war, hat ihn meine Sekretärin nicht geöffnet.«

»Wer weiß noch von dem Brief?«

»Niemand außer mir, Dr. Hartwig und jetzt Ihnen.«

»Was bedeutet: Denken Sie an die Hamburg

»Können Sie sich an den Untergang eines Motorseglers im Mittelmeer erinnern? Es ist jetzt ungefähr ein halbes Jahr her.«

Voss dachte nach. Er erinnerte sich dunkel, darüber einen Bericht im Fernsehen gesehen zu haben.

»War das der Motorsegler, der bei Kreta untergegangen ist?«

»Stimmt. Genauer gesagt, in der Bucht von Kissamos. Zum Glück gab es keine Verletzten. Der Motorsegler gehörte meiner Reederei und war bei Dr. Hartwigs Gesellschaft versichert. Was niemand wusste und auch später nicht an die Öffentlichkeit gelangte, ist, dass ich damals einen ähnlichen Brief erhalten habe. Die Erpresser wollten 100.000 Euro von mir. Ich habe nicht gezahlt, denn ich bin der Überzeugung, dass es nie bei einem Erpressungsversuch bleibt. Das Ergebnis war, dass das Schiff sank. Nach Aussage des Kapitäns gab es eine Explosion, aber das haben Sie sicher schon gehört.«

»Und was schließen Sie daraus?«

»Dass es eine Demonstration war für eine größere Sache. Ich denke, dass es die gleichen Personen waren, die uns jetzt wieder zu erpressen versuchen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie mit der Hamburg demonstrieren wollten, was passiert, wenn wir ihre Forderungen nicht erfüllen. Ich könnte natürlich falsch liegen, doch ich glaube es nicht.«

Voss dachte eine Weile nach. Dr. Hartwig und Teerstegen störten ihn nicht dabei. Schließlich brach er das Schweigen.

»Auch wenn ich die Fakten über den Untergang der Hamburg nicht kenne, denke ich, dass Sie mit Ihrer Beurteilung recht haben könnten.«

»Und der Text, wofür halten Sie ihn? Ist er ernst gemeint, oder will mich da jemand in Panik versetzen?«

Voss seufzte. »Ich an Ihrer Stelle würde ihn ernst nehmen. Insbesondere, da er auf die Explosion der Hamburg hinweist. Eine sehr persönliche Frage. Bitte betrachten Sie sie nicht als Neugier. Sind Sie so liquide, dass Sie 50 Millionen aufbringen können?«

»Natürlich nicht. Das Reedereigeschäft ist hart. Der Markt für Neubauten ist umkämpft. Man muss immer billiger als die Konkurrenz sein oder, wie wir, für einen hohen Qualitätsstandard bekannt sein. Beides zehrt am Gewinn. Hinzu kommen enge Liefertermine, nachträgliche Sonderwünsche und so weiter. Ich will Sie nicht mit meinen Problemen belästigen. Aber wir haben gerade einen lukrativen Vertag für ein Kreuzfahrtschiff an Land gezogen. Der Bau wird wie üblich über Kredite finanziert. Aus diesem Topf könnten, oder besser gesagt müssten wir die 50 Millionen finanzieren.«

»Wer weiß von diesem Auftrag?«

»Alle, die in diesem Segment arbeiten – international, meine ich.«

»Haben Sie in diesem Kreis Feinde? Jemand, dem Sie einen Auftrag weggeschnappt haben?«

Teerstegen lachte. Es war kein fröhliches Lachen. »Sie hätten die Frage anders stellen sollen, nämlich: Haben Sie in diesem Kreis Freunde? Da könnte ich voller Überzeugung sagen: Nein. Zwischen uns Reedern herrscht eine Stimmung wie in einem Becken mit ausgehungerten Haien. Jeder lauert in einer Ecke und hofft, dass ein anderer Schwäche zeigt, um über ihn herzufallen. Wenn ein Auftrag hineingeworfen wird, dann können Sie sich vielleicht vorstellen, was für ein Gemetzel beginnt. Nur der Stärkste, man könnte auch sagen, der Korrupteste gewinnt. Ich habe das Bild etwas überzeichnet, aber ich will Ihnen verdeutlichen, wie es auf unserem Markt zugeht.«

»Ich verstehe. Ich habe so etwas schon früher gehört, wollte es nur noch einmal bestätigt haben.« Wieder dachte Voss eine Weile nach.

»Das könnte der Erpressung eine andere Dimension geben«, sagte er schließlich. »Es könnte sein, dass Sie nicht nur erpresst, sondern fertiggemacht werden sollen. Wenn bekannt wird, dass sich auf Ihrem Schiff eine Bombe befindet und diese auch noch explodiert, dann könnte ich mir vorstellen, dass Sie sich um zukünftige Passagiere keine Sorgen mehr zu machen brauchen.«

Beide Männer schauten Voss schockiert an.

»Von dieser Seite habe ich das Problem noch gar nicht betrachtet«, sagte Dr. Hartwig, und Teerstegen ergänzte: »Mein Gott, Sie könnten recht haben. Das macht die ganze Sache noch komplizierter. Verdammte Scheiße!« Sofort fügte er hinzu: »Entschuldigen Sie. Normalerweise bin ich kein Freund von Kraftausdrücken.« Zu Hartwig sagte er: »Es war gut, dass ich auf dich gehört habe, Wilfried. Deine Lobeshymne auf Herrn Voss scheint berechtigt zu sein.«

»Habe ich dich jemals falsch beraten?« Hartwig sah Voss an. »Ich nehme an, Sie verstehen jetzt, warum wir diesen Weg gewählt haben, uns mit Ihnen zu treffen. Wir wollten auch den kleinsten Anschein vermeiden, dass wir uns mit einem Ermittler treffen. Wer weiß, ob es nicht in Teerstegens Büro Spitzel gibt?«

Voss wechselte das Thema. »Soweit ich weiß, ist die Seven Seas ein neues Schiff. Nach dem Brief zu urteilen, befindet sie sich auf See.«

»Ja«, bestätigte Teerstegen. »Die Seven Seas ist brandneu. Sie ist das Flaggschiff meiner Reederei. Sie befindet sich derzeit auf ihrer Jungfernfahrt.«

»Wohin?«

»Auf Weltreise. Eine viermonatige Reise rund um den Erdball. Da wir einen Sonderpreis für die Jungfernfahrt angeboten haben, ist sie bis auf den letzten Platz ausgebucht. Sie können sich nicht vorstellen, in was für einem Dilemma ich stecke. Stellen Sie sich vor, ich informiere die Schiffsleitung, dass ein Anschlag auf das Schiff geplant ist, und jemand bekommt das heraus. Leider sickert so etwas immer durch, dann dürfte eine Panik an Bord ausbrechen. Ob Schiffsführung und Besatzung 3.000 Menschen unter Kontrolle halten können, wage ich zu bezweifeln. Wenn ich andererseits veranlasse, dass die Seven Seas den nächsten Hafen anläuft und die Passagiere an Land gebracht werden, dann stürzt sich die Presse auf den Fall und bauscht die Situation so auf, dass zwischen Wahrheit und Fantasie nicht mehr zu unterscheiden ist. Tun wir nichts, wird man uns vorwerfen, dass wir mit der Sicherheit der Passagiere leichtfertig umgegangen sind. Dann tritt das ein, was Sie angedeutet haben. Ein solcher Vorwurf würde für die Reederei den Bankrott bedeuten. Niemand würde mit einer Reederei fahren wollen, bei der die Sicherheit der Passagiere nicht an erster Stelle steht. Verstehen Sie, Herr Voss, welches Szenario ich mir auch vorstelle, das Ergebnis ist immer Merde.«

»Eine teuflische Situation«, gab Voss zu. »Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken. Aber Sie sind sicher nicht gekommen, um mein Mitgefühl zu erbitten. Also, was wollen Sie konkret von mir?«

»Auf Ihr Mitleid kann ich verzichten, Herr Voss. Ich brauche den Ermittler Voss. Ich möchte, dass Sie den Anschlag verhindern und den oder die Täter entlarven.«

Voss lachte laut auf, um gleich darauf zu sagen: »Entschuldigen Sie, das war gewiss kein Heiterkeitsausbruch, aber Sie verlangen da etwas Unmögliches von mir.«

»Ich weiß, Herr Voss. Doch Dr. Hartwig meint, wenn es einer schaffen könnte, dann Sie. Sie würden von mir jede nur erdenkliche Unterstützung bekommen.«

Voss hatte die letzten Worte nicht mehr gehört. Er hatte die Augen geschlossen und konzentrierte sich auf die Spitze eines imaginären Kirchturms. Mit dieser Methode vermochte er für einige Sekunden alle Gedanken und Bilder, die normalerweise in einem Strom durchs Gehirn flossen, auszuschalten. Während dieser wenigen Sekunden sah er die Aufgabe, die ihm Teerstegen gestellt hatte, glasklar vor sich. Möglichkeiten, Probleme und Grenzen erschienen auf seinem geistigen Bildschirm. Er hatte sich diese Fähigkeit in vielen Jahren antrainiert. Buddhistische Mönche waren in der Lage, solch eine Konzentration noch wesentlich länger aufrechtzuerhalten. In Indien soll es einen Fakir gegeben haben, der sich durch reine Konzentration räumlich versetzen konnte. Da er immer unbekleidet umherlief, hatte ihn die Polizei wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet und in eine Zelle gesperrt. Kurze Zeit später soll er mit gekreuzten Beinen auf dem flachen Dach des Gefängnisses gesessen haben. Die Polizei kettete ihn daraufhin an die Wand seiner Zelle. Das nützte nichts, denn bald darauf saß er wieder unbekleidet auf dem Gefängnisdach. Danach beachtete die Polizei ihn nicht mehr. Voss hätte diese Geschichte nicht geglaubt, wenn sie nicht durch Augenzeugen bestätigt worden wäre.

Nach ein paar Sekunden verschwamm das Bild vor seinen Augen. Er holte tief Luft und ließ sie langsam aus der Lunge strömen. Diesen Vorgang wiederholte er dreimal, danach war er wieder in der Gegenwart angekommen.

Dr. Hartwig und Teerstegen betrachteten ihn besorgt.

»Was war denn mit Ihnen los? Sie sahen aus, als wären Sie in Gedanken weit weg«, sagte Hartwig.

Voss lächelte. »Im Gegenteil, Herr Dr. Hartwig. Ich war konzentriert bei der Sache.«

»Bedeutet das, Sie haben sich meine Bitte überlegt?«, fragte Teerstegen hoffnungsvoll.

»Habe ich. Vielleicht gibt es eine Chance, die Täter aufzuspüren.«

Voss hörte, wie Teerstegen aufatmete, und dämpfte sofort seine Stimmung.

»Herr Teerstegen, ich sagte, es gibt vielleicht eine Möglichkeit. Ich sagte nicht, dass ich den oder die Täter finde. Sie sind sich sicher darüber im Klaren, dass die Aufgabe der berühmten Nadel im Heuhafen gleicht. Die Chancen stehen hundert zu eins, wenn nicht noch schlechter.«

»Herr Voss, das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Aber da Sie den Fall übernehmen, bin ich zuversichtlicher als noch vor wenigen Minuten. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie groß der Stein ist, der mir vom Herzen gefallen ist.«

Kapitel 3

Als Voss sein Büro betrat, merkte Vera sofort, dass etwas Besonderes geschehen war. Ohne ein Wort zu sagen, ging er in sein Arbeitszimmer, setzte sich in den eigens für seinen Rücken angefertigten Stuhl, legte die Füße auf den Tisch, schloss die Augen und dachte nach.

Zwei Stunden später, als Vera immer noch kein Geräusch außer Neros Schnarchen gehört hatte, bekam sie Angst, dass ihrem Chef etwas zugestoßen sein könnte. Sie füllte einen Becher mit Kaffee und viel Milch und ging in sein Zimmer. Voss saß regungslos in seinem Sessel. Er wirkte völlig geistesabwesend.

»Chef, fehlt Ihnen etwas? Soll ich einen Arzt holen?«, fragte sie besorgt.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Voss die Augen öffnete, die Füße vom Tisch nahm und sich aufrecht hinsetzte.

»Haben Sie eben Arzt gesagt?«

»Ja, Sie sehen aus, als fühlten Sie sich nicht wohl.«

»Quatsch! Mir geht es bestens, aber ich könnte jetzt einen Kaffee gebrauchen, um meine Lebensgeister wieder in Schwung zu bringen.«

»Den habe ich mitgebracht.«

»Sie sind ein Engel, Vera.«

Voss nahm ihr den Kaffee aus der Hand und nahm einen langen Schluck.

»Es ist der Hammer«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Vera.

»Was ist der Hammer?«, fragte sie.

»Wenn ich Ihnen das erzähle, dann halten Sie mich für verrückt.«

»Wieso dann erst? Verdammt …« Vera biss sich auf die Zunge. Obwohl ihr Umgangston stets zwanglos war, ärgerte sie sich über ihre flinke Zunge, die manchmal über die unausgesprochenen Grenzen hinausschoss. Um ihre Worte abzuschwächen, fügte sie schnell hinzu: »Sie haben doch schon oft so verrückte Sachen gemacht, dass mir vor Angst das Herz fast stehengeblieben wäre.«

Voss hatte gar nicht auf ihre Worte geachtet. Er sagte: »Schließen Sie das Büro ab. Hängen Sie das Schild Bitte klingeln an die Tür und kommen Sie zurück. Ich habe Ihnen etwas zu erzählen.«

Vera tat, was Voss ihr aufgetragen hatte, und setzte sich dann auf einen der bequemen Besucherstühle vor seinem Schreibtisch.

»Vorweg ein Wort. Alles, was ich jetzt sage, ist geheimer als geheim. Also zu niemandem ein Wort. Weder zu Ihrem Mann noch zu Ihrem Sohn.«

»Chef, was soll das? Sie sollten wissen, dass ich mit niemandem über unsere Arbeit spreche. Ich finde Ihre Worte ein bisschen kränkend.«

»Das weiß ich doch. Ich wollte nur betonen, wie sensibel dieser Auftrag ist. Wenn es nach dem Auftraggeber ginge, dann dürfte ich nicht einmal mit Ihnen darüber sprechen. Aber da habe ich nicht mitgespielt. Sie sehen also, dass ich volles Vertrauen in Sie habe.«

»Das wollte ich Ihnen auch geraten haben«, sagte sie besänftigt.

»Also passen Sie auf.«

Voss berichtete von dem eigenartigen Zusammentreffen, den Problemen des Reeders und von dem Auftrag, den er so gut wie angenommen hatte. Als er geendet hatte, herrschte eine Weile Schweigen.

Doch dann brach es aus Vera heraus: »Chef, nun muss ich wirklich sagen, Sie sind verrückt. Total verrückt. Wie konnten Sie nur diesen Auftrag annehmen? Sie haben doch nicht die geringste Chance auf Erfolg. Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«

Voss quittierte ihre Worte mit einem Grinsen. »Ich wusste, dass Sie so reagieren würden. Aber Sie kennen mich doch. Bei ungewöhnlichen Aufträgen kann ich einfach nicht Nein sagen.«

»Auf einem Schiff mit 15 Decks und einem riesigen Versorgungsbereich … Wie wollen Sie da eine Bombe finden?«

»Wer sagt denn, dass es sich um eine Bombe handelt? In dem Schreiben hieß es ein Anschlag. Das kann genauso gut bedeuten, dass jemand das Schiff in seine Gewalt bringen will.«

»Das ist ja noch schlimmer, Chef. Wie wollen Sie unter 3.000 Passagieren die Verbrecher ausfindig machen? Je länger ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass Sie wahnsinnig sind.«

»In gewisser Weise gebe ich Ihnen ja recht, Vera. Doch ich glaube, ich habe eine Chance, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens darf niemand erfahren, was ich tue, und zweitens verschieben Sie Ihren freien Tag.«

»Chef, die Sache ist viel zu ernst, als dass Sie darüber Scherze machen sollten. Natürlich bleibe ich. Ich lasse Sie doch mit diesem Dilemma nicht allein. Was denken Sie denn von mir?«

»Danke, Vera, ich hatte auch fest damit gerechnet, dass ich auf Sie zählen kann. Und von nun an, meine liebe Assistentin und Mädchen für alles, denken wir nur noch positiv. Ich habe schon eine Vorstellung, wie ich vorgehen will.«

Sein Versuch, Vera von seiner Idee zu überzeugen, dauerte bis drei Uhr nachmittags. Dann warf sie das Handtuch.

»Ihre Worte in Gottes Ohr, Chef. Ich will ja nicht behaupten, dass es so nicht klappen könnte, aber glauben kann ich es nicht. Das Unternehmen ist wieder so eine typische Jeremias-Voss-Aktion: Rein ins Haifischbecken, irgendwie komme ich schon heil wieder raus.«

Voss grinste. »Alles andere wäre doch auch langweilig.«

»Im Ernst, Chef, wie soll es nun weitergehen?«

»Sie beschaffen mehrere Smartphones und spielen unsere Verschlüsselungs-Software darauf.«

»Warum mehrere?«

»Weil ich Herrmann und seine Gang einsetzen will. Und ich selbst brauche auch einige.«

»An wie viel dachten Sie denn?«

»Sagen wir mal zehn Stück. Prepaid, damit man sie nicht lokalisieren kann.«

»Okay, Chef, und was machen Sie?«

»Ich mache mit Teerstegen eine Hafenrundfahrt.«

»Wie kann ich Sie erreichen?«

»Für die nächsten drei Stunden besser nicht. Danach wie gewohnt über Handy. Wenn wider Erwarten etwas auftritt, was Sie nicht selbst lösen können, rufen Sie mich an und tun so, als wenn es sich um einen Fall handelt, den wir gerade bearbeiten.«

Während Vera wieder an ihren Arbeitsplatz ging, griff Voss nach seiner Wetterjacke, den Handschuhen, der Mütze und einem Schal. Nero, der sofort aus seinem Tiefschlaf erwachte, wollte aufstehen, doch er bekam die Order, hier zu bleiben. Beleidigt legte er sich wieder auf seine Matte.

Voss ging zum nächsten öffentlichen Telefon und wählte Teerstegens Geschäftsnummer. Nach zweimaligem Klingeln meldete sich Teerstegens Sekretärin.

»Hier Kapitän Hansen«, sagte Voss. Es war das Codewort, das er mit dem Reeder und Dr. Hartwig verabredet hatte.

»Einen Augenblick, ich verbinde.«

»Teerstegen«, hörte er gleich darauf die markante Stimme des Reeders.

»Moin, Herr Teerstegen. Ich bin wieder im Lande und sollte mich bei Ihnen melden«, sagte Voss.

»Ja, danke, dass Sie anrufen. Ich benötige Ihre Expertise. Können Sie in einer Stunde an den Landungsbrücken sein? Meine Barkasse liegt dort. Sie können sie nicht verfehlen. Sie führt die Flagge meiner Reederei.«

»In einer Stunde, sagten Sie – ja, das geht. Bis dann.« Voss legte auf. Dann rief er ein Taxiunternehmen an und bestellte einen Wagen. Er ließ sich zu einem Secondhandladen in St. Pauli bringen und kaufte dort eine Kapitänsmütze, die er anstelle seiner warmen Pudelmütze aufsetzte. Die Pudelmütze verschwand in einer Tasche seiner Wetterjacke. In dem wiegenden Schritt, der Seeleuten eigen ist, die lange auf See waren, ging er in Richtung Landungsbrücken. Teerstegens Barkasse entpuppte sich als ein schnittiges Motorboot. Voss schätzte sie auf 15 Meter Länge. Sie hatte vor den Barkassen für Hafenrundfahrten festgemacht. Voss ging an Bord.

»Moin, Kapitän Hansen. Willkommen an Bord«, wurde er von einem Mann begrüßt, dessen Streifen an den Schulterklappen ihn ebenfalls als Kapitän auswiesen. »Herr Teerstegen wird ein paar Minuten später kommen. Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit etwas zu trinken anbieten?«

»Nein, vielen Dank.«

»Wie Sie wollen. Ich bringe Sie in den Salon, da ist es gemütlicher als hier draußen.«

Der Salon entpuppte sich als ein zweckmäßig und gemütlich eingerichteter Raum, der auf jeden Schnickschnack verzichtete.

Sie setzten sich an einen runden Couchtisch. Die Ledersessel waren bequem und taten Voss’ Rückenleiden gut. Das hatte er sich bei einem Einsatz während seiner Zeit bei der GSG 9 zugezogen. Sein Hubschrauber war gegen eine nicht in der Karte eingezeichnete Stromleitung geflogen und abgestürzt. Er hatte mit seinen mehrfach gestauchten Rückenwirbeln noch Glück gehabt. Seinen Co-Piloten hatte ein abgebrochenes Stück vom Rotorblatt regelrecht geköpft. Trotz mehrerer Aufenthalte in verschiedenen Rehabilitationskliniken war seine Verletzung nicht richtig verheilt.

»Sie werden sich sicher fragen, was ein ausgewachsener Kapitän auf dieser Nussschale macht«, sagte der Kapitän des Motorbootes. Er hielt Voss tatsächlich für einen Kollegen.

»Nicht wirklich. Sie werden schon Ihre Gründe dafür haben«, antwortete Voss. Er wollte verhindern, dass das Gespräch allzu sehr ins Seemännische ging.

»Da haben Sie recht. Musste leider die große Fahrt aufgeben. Mein Herz spielte nicht mehr mit, aber hinterm Ofen wollte ich auch nicht sitzen, also habe ich Teerstegen gefragt, ob er nicht was Leichtes für mich hat, das mit Wasser zu tun hat. Und, wie Sie sehen, hab ich es gut getroffen. Auf welchem Pott fahren Sie denn zurzeit?«

Scheiße, dachte Voss, jetzt sitz ich in der Tinte. Irgendeinen Namen zu nennen, war sinnlos, denn sicher kannte der Kapitän die meisten Schiffe.

Voss hatte Glück. Er wurde einer Antwort enthoben, denn das Boot begann zu schwanken.

»Das muss Herr Teerstegen sein«, sagte der Kapitän und eilte an Deck.

Wenig später trat der Reeder ein. Er war allein und begrüßte Voss herzlich.

»Ich hoffe, Sie haben sich gut mit meinem Bootsführer unterhalten.«

»Gut unterhalten? Ich habe Blut und Wasser geschwitzt, als er wissen wollte, auf welchem Schiff ich zurzeit fahre. Zum Glück kamen Sie und erlösten mich.«

Teerstegen lachte, wurde aber gleich wieder ernst. »Tut mir leid, mir ist eigentlich nicht nach Lachen zumute.«

Das Boot begann zu vibrieren und schob sich rückwärts vom Anleger weg.

»Wir machen eine kleine Fahrt nach Finkenwerder. Dort liegt die Hermine im Dock und wird überholt. Die sehen wir uns offiziell an. Aber jetzt zu meinem Problem, oder darf ich unser sagen?«

»Sie dürfen. Ich habe mich entschieden. Allerdings habe ich ein paar Bedingungen.«

Teerstegen blickte Voss nervös an.

»Ich arbeite nur nach meinem Plan. Ich lasse mir in meine Ermittlungen nicht hineinreden, und ein Befehlsempfänger bin ich schon gar nicht. Wenn Sie Vorschläge oder Probleme haben, höre ich sie mir an, handle aber gemäß meiner Beurteilung. Ich höre auch nicht eher auf, bis der Fall aufgeklärt ist. Wir setzen einen geheimen Vertrag auf, ein Exemplar für Sie und eins für mich. Wenn Sie mit meinen Bedingungen einverstanden sind, sind wir im Geschäft. Verhandelbar sind die Bedingungen nicht.«

»Angenommen. Dr. Hartwig hat mich schon darauf vorbereitet, womit ich rechnen muss.«

»Gut, dann schlagen Sie nach alter Tradition ein.« Voss hielt dem Reeder die Hand hin. Der schlug ein.

»Bevor ich auf Einzelheiten eingehe, möchte ich Ihnen einen Überblick geben, wie ich die Lage einschätze.«

Im Wesentlichen sagte Voss das Gleiche wie das, was er auch Vera erklärt hatte. Nur dass es diesmal keine Diskussion über Sinn und Unsinn der geplanten Aktionen gab und deshalb das Briefing wesentlich kürzer ausfiel.

»Sie haben also vor, zweigleisig zu fahren, wenn ich Sie richtig verstanden habe?«, fragte Teerstegen.

»Richtig. Ich will Herrmann, einen cleveren Mitarbeiter von mir, auf die Hamburg ansetzen. Er war Schauermann und Barkassenführer im Hafen. Er kennt sich in dem Milieu bestens aus. Worauf ich setze, ist, dass er griechische Kollegen kennt, die ihm helfen können. Ich selbst will auf die Seven Seas und mich dort umsehen. Können Sie dafür sorgen, dass ich zwei Kabinen bekomme, möglichst zusammenliegend.«

»Zwei Kabinen?«

»Ja, zwei. Ich fahre in weiblicher Begleitung.«

Teerstegen sah ihn verwundert und ein wenig enttäuscht an.

Voss lächelte. »Nicht, was Sie denken, Herr Teerstegen. Die Dame, die ich hoffentlich überreden kann, ist eine Sprengstoffexpertin. Als ich noch bei der GSG 9 war, haben wir in besonders schwierigen Fällen mit ihrem Vater zusammengearbeitet. Die Tochter war damals Sprengmeisterin bei der Bundeswehr. Sie hat überall auf der Welt Minen aufgespürt und Bomben und Granaten entschärft. Sie ist Spitzenklasse und viel beschäftigt. Außerdem hat sie Tiere trainiert, die alles aufspüren, was irgendwie mit Sprengstoff oder Schießpulver zu tun hat. Aber ob ich sie für unseren Job interessieren kann, ist fraglich.«

»Sie können doch keine Hunde an Bord bringen. Da würde doch jeder sofort merken, dass etwas nicht stimmt. Sie können sich nicht vorstellen, wie schnell die Gerüchteküche an Bord kocht. Kein Dementi seitens der Schiffsführung würde sie eindämmen.« Teerstegen redete sich beinahe in Rage.

»Nun beruhigen Sie sich wieder. Wer hat etwas von Hunden gesagt?«

»Sie! Sie haben doch gerade erwähnt, dass sie Hunde trainiert hat.«