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Tewes Wischmann Heike Stammer

Der Traum vom eigenen Kind

Psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch

5., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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5., überarbeitete Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031898-4

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-031899-1

epub:   ISBN 978-3-17-031900-4

mobi:   ISBN 978-3-17-031901-1

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Inhalt

 

 

  1. Eine Geschichte
  2. Vorwort
  3. An wen sich dieser Ratgeber richtet
  4. Wie dieser Ratgeber aufgebaut ist
  5. 1 Mythen und Fakten zur ungewollten Kinderlosigkeit
  6. Unerfüllter Kinderwunsch – Heutzutage kein Problem mehr?
  7. Wie viele Paare betroffen sind
  8. Erfolgsaussichten der modernen Reproduktionsmedizin
  9. Informationsbedarf betroffener Paare
  10. Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten
  11. Der ärztliche Umgang mit dem Thema: Zwischen Allmacht und Ohnmacht
  12. Die Psychologisierung der Unfruchtbarkeit und ihre Folgen
  13. Wie weit dürfen wir gehen? Ethische Implikationen und gesetzlicher Rahmen
  14. Literaturempfehlungen
  15. Internet-Tipps
  16. 2 Das unerwartete Ereignis und seine seelischen Folgen
  17. Fallbeispiel: Der erste Schock
  18. Auswirkungen auf die Partnerschaft
  19. Die »richtige« Behandlung
  20. Über die Notwendigkeit, von Anfang an über Grenzen zu sprechen
  21. Literaturempfehlungen
  22. Internet-Tipps
  23. 3 Der Weg durch die medizinische Diagnostik und Therapie
  24. Auswirkungen medizinischer Diagnostik und Behandlung
  25. Was den Kinderwunsch bei Frauen und Männern beeinflusst
  26. Frauen und Männer erleben ungewollte Kinderlosigkeit oft unterschiedlich
  27. Der Umgang mit der Wartezeit
  28. Die Eigenverantwortlichkeit in der Kinderwunschbehandlung bewahren
  29. Literaturempfehlungen
  30. Internet-Tipps
  31. 4 Die Bedeutung der Seele
  32. Gibt es die seelische Blockade?
  33. Die Bedeutung der eigenen Kindheit für den unerfüllten Kinderwunsch
  34. Literaturempfehlungen
  35. Internet-Tipps
  36. 5 Das Auf und Ab im Verlauf einer fortpflanzungsmedizinischen Kinderwunschbehandlung
  37. »Ich war so zuversichtlich, dass es bei mir klappen würde!« – Die Nachricht »nicht schwanger« nach künstlicher Befruchtung
  38. Behandlungskomplikationen
  39. Biochemische Schwangerschaften
  40. Warten auf den Schwangerschaftstest
  41. Umgang mit Schmerzen und Endometriose
  42. Fehl- und Totgeburten
  43. Der erfüllte Kinderwunsch nach IVF und ICSI
  44. Mehrlinge
  45. Frühgeburten
  46. Behindertes Kind
  47. Literaturempfehlungen
  48. Internet-Tipps
  49. 6 Hilfen bei der seelischen Verarbeitung
  50. Beratungskonzept der »Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde«
  51. Selbsthilfegruppen
  52. Angeleitete Gesprächsgruppen
  53. Entspannungstherapien
  54. Worauf Sie bei der Auswahl der Beraterin bzw. des Beraters achten sollten
  55. Welche Voraussetzungen sind von Ihrer Seite aus nötig?
  56. Psychotherapie: Paar- und Einzeltherapie
  57. Welche Kosten entstehen für eine psychosoziale Beratung?
  58. Literaturempfehlungen
  59. Internet-Tipps
  60. 7 Besondere Ausgangsbedingungen des Kinderwunsches
  61. Paare, die bereits ein Kind haben
  62. Paare aus anderen Kulturen
  63. Paare mit einer chronischen Erkrankung
  64. Die Bedeutung der Behandlung mit Spendersamen
  65. Familienbildung mit Embryonen und Eizellen anderer
  66. Alleinstehende Frauen sowie gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch
  67. Fortpflanzungsmedizinische Behandlungsmöglichkeiten in Europa
  68. Literaturempfehlungen
  69. Internet-Tipps
  70. 8 Falls der Abschied vom Kinderwunsch unausweichlich wird
  71. Über die Notwendigkeit zu trauern
  72. Hilfen beim Abschied
  73. Rituale
  74. Transzendente Aspekte der Kinderlosigkeit
  75. Langfristige Folgen ungewollter Kinderlosigkeit
  76. Literaturempfehlungen
  77. Internet-Tipps
  78. 9 Adoption und Pflegschaft als alternative Perspektiven
  79. Vorurteile über Adoption
  80. Ablauf eines Adoptionsverfahrens
  81. Auslandsadoption
  82. Adoption und Pflegschaft bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften
  83. Literaturempfehlungen
  84. Internet-Tipps
  85. 10 Die Kommunikation mit Außenstehenden
  86. Indiskrete Fragen und »gutgemeinte« Ratschläge
  87. Wie soll ich mich als Außenstehende/r (Angehörige/r oder Freund/in) einem Paar mit Kinderwunsch gegenüber verhalten?
  88. Wie soll ich mich während einer fortpflanzungsmedizinischen Behandlung gegenüber dem Arbeitgeber verhalten?
  89. Internet-Tipps
  90. 11 Leitfaden für einen hilfreichen Umgang mit dem unerfüllten Kinderwunsch
  91. 16 Verhaltensratschläge für einen konstruktiven Umgang mit dem unerfüllten Kinderwunsch
  92. Leitfaden zur Sexualität bei unerfülltem Kinderwunsch
  93. Leitfaden für den Umgang mit Familienfesten
  94. Internet-Tipps
  95. Nützliche Adressen
  96. Erklärung von Fachausdrücken
  97. Korrespondenzadresse

 

Eine Geschichte

 

 

Eine Frau kam zu Rabbi Israel, dem Maggid von Kosnitz, und weinte vor ihm: ein Dutzend Jahre schon sei sie vermählt und habe noch keinen Sohn. »Was willst du tun?« fragte er. Sie wusste nichts zu antworten. »Meine Mutter«, erzählte nun der Maggid, »ist alt geworden ohne ein Kind zu haben. Da hörte sie, dass der heilige Baalschem auf einer Reise in ihrer Stadt Apta weilte. Sie lief zu ihm in die Herberge und flehte ihn an, ihr einen Sohn zu erbeten. ›Was willst du tun?‹ fragte er. ›Mein Mann ist ein armer Buchbinder‹, antwortete sie, ›aber etwas Gutes habe ich doch, das will ich dem Rabbi geben.‹ Stracks lief sie heim und holte den sorgsam verwahrten guten Umhang, die ›Katinka‹ aus der Truhe. Als sie aber damit in die Herberge kam, erfuhr sie, dass der Baalschem bereits wieder nach Mesbiz abgereist sei. Sie machte sich ohne Verzug auf den Weg und ging, da sie kein Geld zum Fahren hatte, mit ihrer Katinka von Stadt zu Stadt, bis sie nach Mesbiz kam. Der Baalschem nahm die Katinka und hing sie an die Wand. ›Es ist gut‹, sagte er. Meine Mutter ging wieder von Stadt zu Stadt, bis sie nach Apta kam. Im Jahr darauf wurde ich geboren.«

»Auch ich will«, rief die Frau, »Euch einen guten Umhang von mir bringen, dass ich einen Sohn bekomme.«

»Das gilt nicht«, erwiderte der Maggid. »Du hast die Geschichte gehört. Meine Mutter hatte keine Geschichte gehört.«1

1     aus Kopp, S. B. (1984): Kopfunter hängend sehe ich alles anders. Köln: Diederichs. S. 44 f.

 

Vorwort

 

 

»Meine Erfahrungen mit psychologischer Beratung: Die erste Beratung habe ich nach unserem zweiten missglückten Inseminationsversuch in Anspruch genommen. Abgesehen davon, dass die Frau, die mich beraten hat, nur die Urlaubsvertretung der eigentlichen Psychologin war, war sie mir total unsympathisch. Vielleicht hat das auch unser Gespräch beeinflusst. Nach einer halben Stunde diagnostizierte sie mir einen Mutterkomplex, Eheprobleme und im Übrigen hätte ich gar keinen ›richtigen‹ Kinderwunsch, da ich viel zu sehr mit meiner Karriere beschäftigt sei (ich hatte zu diesem Zeitpunkt gerade einen neuen Job angenommen). Das Gespräch führte jedenfalls zu keinen neuen Erkenntnissen, geschweige denn war es eine Hilfe. Nach dieser ›Beratung‹ habe ich zwei Tage fast nur geheult… Ich kann Dir aufgrund meiner Erfahrungen nur abraten, eine Psychologin aufzusuchen. Der Austausch mit Freunden und/oder Selbstbetroffenen bringt meiner Meinung nach einfach mehr.«

(K. S. in einem Internet-Forum)

Dieser Beitrag einer Kinderwunsch-Patientin in einem Internet-Forum bringt auf den Punkt wie psychologische Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch häufig noch (miss) verstanden wird. Es werden seelische Ursachen für die Kinderlosigkeit gesucht – überwiegend ausschließlich bei der Frau – und diese werden dann auch gefunden: Eine schwierige Beziehung zur eigenen Mutter, Probleme mit dem Partner und insbesondere ein »fixierter« oder egoistischer Kinderwunsch. Dass solche Annahmen in dieser Pauschalität nicht haltbar sind und der Komplexität einer Fruchtbarkeitsstörung nicht gerecht werden, können Sie sich vergegenwärtigen, wenn Sie Paare in Ihrem Umfeld betrachten, die trotz Schwierigkeiten mit sich und miteinander oder in der Beziehung zu den Eltern problemlos Kinder bekommen haben. In den letzten Jahren sind etliche Ratgeber für Paare, die sich mit ungewollter Kinderlosigkeit auseinandersetzen, auf den Markt gekommen: Viele Bücher befassen sich mit den medizinischen Grundlagen und schulmedizinischen Therapien von Fruchtbarkeitsstörungen, in einigen Ratgebern wird auf naturheilkundliche und alternative Therapieverfahren eingegangen, bis hin zu Ratgebern zur richtigen Ernährung, Fruchtbarkeitsdiäten, kosmobiologischer Geburtenkontrolle und Luna-Yoga bei Kinderwunsch. Auch in den Medien nimmt dieses Thema einen immer größeren Raum ein. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht in Zeitschriftenartikeln oder in Fernsehsendungen Schicksale von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch aufgegriffen werden. An dieser Situation hat sich seit der ersten Auflage dieses Ratgebers vor über 15 Jahren im Grunde nichts geändert. Im Gegenteil sind durch neue Behandlungsoptionen vor allem im Ausland der innere und äußere Druck auf die Paare, sich ganz auf eine medizinische Behandlung und ihre Optimierung zu fokussieren, eher noch gestiegen.

Die Geschichte, die wir an den Anfang gestellt haben, zeigt, dass der Weg zum Kind in Wahrheit nicht so einfach durchschaubar ist und sich letztendlich unserer Kontrolle entzieht. Das Warten auf eine Schwangerschaft, die mit der Geburt eines gesunden Kindes endet, erfordert Geduld und Vertrauen. Auch wenn Paare alle Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin ausschöpfen, können sie erfolglos bleiben. Wenn sie die Grenzen der Gesetze zur Reproduktionsmedizin in diesem Land umgehen und sich von einer biologischen Mutterschaft verabschieden, müssen sie mit der Ungewissheit leben, dass das Kind vielleicht in Zukunft mit dieser Entscheidung nur schwer zurechtkommt.

Weshalb immer noch dieser Ratgeber in seiner nun fünften Auflage? Wir sind weiterhin der Meinung, dass die seelischen Aspekte ungewollter Kinderlosigkeit in vielen Fällen zu sehr am Rande abgehandelt werden – meistens unter der Rubrik »Psyche, Stress und Hormone« – gelegentlich allerdings sogar schlichtweg falsch (»Wenn eine Frau ein Kind will und keines bekommt, dann will sie unbewusst eigentlich kein Kind«). Unser Anliegen ist es, Ihnen mit diesem Ratgeber eine Hilfe zu geben, sich mit den seelischen Aspekten von Fruchtbarkeitsstörungen auf wissenschaftlich abgesicherter Grundlage zu beschäftigen. Denn die Psyche spielt bei Fruchtbarkeitsstörungen immer eine wichtige Rolle, sei es bei der (Mit)Verursachung, viel häufiger aber noch bei der Bewältigung dieser Situation. Für etliche Paare stellt ungewollte Kinderlosigkeit eine existenzielle Krise dar, die seelisch über längere Zeit belastend sein kann, insbesondere für die Frau. Wie Sie der seelischen Belastung bei ungewollter Kinderlosigkeit als Paar konkret begegnen bzw. damit besser umgehen können, versucht dieser Ratgeber aufzuzeigen.

An wen sich dieser Ratgeber richtet

»Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, statt eines Patientenratgebers einen Ärzteratgeber herauszugeben? Bei unserer Behandlung wurde uns zur Berücksichtigung der seelischen Aspekte lediglich ein solcher schriftlicher Ratgeber zur Verfügung gestellt. Ein persönliches Gespräch, bei dem über die psychische Problematik des Themas gesprochen wurde, erfolgte nie. Lediglich viele Gespräche über finanzielle Aspekte der ICSI Methode. Wir wünschen mehr Aufklärung der Ärzte – nicht der Patienten – über die seelischen Aspekte. Ärzte sollten sich unbedingt Zeit für Gespräche nehmen und auch darum bemüht sein, zur Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses beizutragen.«

(Zusendung zu unserer Internet-Umfrage)

In erster Linie wendet sich dieses Buch an Paare, die sich ein Kind wünschen, bei denen sich eine Schwangerschaft aber nicht einstellt oder nicht zur Geburt eines gesunden Kindes führt. Das Paar ist hier angesprochen, also Frau und Mann, da wir davon ausgehen, dass sowohl zur Verwirklichung des Kinderwunsches beide Partner notwendig sind, als auch zur Verarbeitung des (noch) nicht erfüllten Kinderwunsches. Profitieren werden von dieser Lektüre darüber hinaus auch Angehörige, Freunde, Bekannte von ungewollt kinderlosen Paaren. Obwohl das Thema »unerfüllter Kinderwunsch« in der Öffentlichkeit inzwischen zunehmend diskutiert wird und die Vielzahl der fortpflanzungsmedizinischen Verfahren die erfolgreiche Behandelbarkeit fast aller Formen von Fruchtbarkeitsstörungen zu versprechen scheinen, ist der Umgang mit dem betroffenen Paar häufig von Hilflosigkeit, Scham und Tabuisierung geprägt. So kommt es dann immer wieder zu – meist gut gemeinten – Ratschlägen seitens der Angehörigen oder Freunde, die dann anders als beabsichtigt dem Paar keine Hilfe sind, sondern dessen Situation noch belastender gestalten können. Ebenso kann dieses Buch auch Frauenärzten, insbesondere Fortpflanzungsmedizinern, Hilfestellungen geben sowie auch anderen Berufsgruppen, die ungewollt kinderlose Paare beraten oder behandeln wie z. B. Adoptionsvermittler.

Wie dieser Ratgeber aufgebaut ist

Die einzelnen Kapitel sind in der Reihenfolge angeordnet wie die Phasen der Auseinandersetzung mit dem unerfüllten Kinderwunsch üblicherweise verlaufen: Von dem allmählichen Gewahr werden, dass sich eine Schwangerschaft nicht wie erwünscht einstellt, über die Auseinandersetzung mit den medizinischen Möglichkeiten, das Auf und Ab der Gefühle in einer fortpflanzungsmedizinischen Behandlung, bis möglicherweise der Abschied vom eigenen Kind unausweichlich ist. Einige Aspekte, die wir für wichtig halten, werden mehrfach aus unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet. Dem Thema Adoption und Pflegschaft ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Es folgt ein Kapitel zu den »typischen« Fragen und Ratschlägen von Angehörigen, Bekannten und Kollegen und Ideen dazu, wie Sie darauf reagieren können. In einem Leitfaden für einen hilfreichen Umgang mit dem unerfüllten Kinderwunsch wird Ihnen konkret aufgezeigt, wie Sie den einzelnen Phasen ungewollter Kinderlosigkeit und der medizinischen Diagnostik und Behandlung begegnen können. Abgeschlossen wird dieser Ratgeber mit Adresshinweisen und einem Glossar der wichtigsten Begriffe rund um das Thema »unerfüllter Kinderwunsch«.

Jeweils am Ende der einzelnen Kapitel finden Sie Literaturhinweise und Internet-Tipps. Bei den Literaturhinweisen haben wir eine Auswahl von Büchern und Broschüren (Stand: Mai 2016) getroffen und auch Empfehlungen von Kinderwunsch-Paaren mitberücksichtigt. Unter den zahlreichen Internet-Adressen haben wir diejenigen ausgewählt, die wir für inhaltlich seriös halten und bei denen wir davon ausgehen, dass sie unter den genannten Adressen erreichbar bleiben.

In diesen Ratgeber gehen nicht nur die Erfahrungen von über 20 Jahren Forschungstätigkeit zu psychologischen Aspekten ungewollter Kinderlosigkeit am Universitätsklinikum Heidelberg ein, in der fast 1 000 Kinderwunsch-Paare psychologisch untersucht und über 350 Paare beraten worden sind. Wir haben auch viele Paare schriftlich befragt, was ihrer Meinung nach in einen Ratgeber zu psychologischen Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch hineingehört. Auf unsere Umfragen im Internet zu diesem Thema antworteten weit über 100 Personen. Wir hoffen, dass wir die Anregungen entsprechend umgesetzt haben, und möchten uns an dieser Stelle herzlich bei allen Paaren bedanken, die uns bei der Erstellung dieses Ratgebers durch Rückmeldungen mit zum Teil sehr persönlichen Stellungnahmen unterstützt haben.

Wir haben uns bemüht, auch in der Schreibweise den oft unterschiedlichen Erlebens- und Verhaltensweisen von Frauen und Männern mit Kinderwunsch gerecht zu werden. Wenn es uns nicht immer so gelungen sein sollte, bitten wir Sie, uns dieses nachzusehen.

Sollten Sie Verbesserungsvorschläge zu diesem Ratgeber haben, scheuen Sie sich nicht, sie uns zukommen zu lassen. Wir werden diese gerne bei einer weiteren Auflage berücksichtigen.

Abschließend möchten wir Ihnen eine Stellungnahme vorstellen, die uns auf unsere Internet-Umfrage zugesandt wurde.

Tipps für den Ratgeber:

•  Unbedingt realistische Zahlen zu Erfolgsquoten der Repromedizin bringen und warnen vor einer zu hohen Erwartungshaltung.

•  Klare Ausführungen zu dem Problem, dass die Repromedizin nicht nur der Segen der Menschheit ist.

•  Unbedingt informieren über körperliche und seelische Auswirkungen.

•  Möglichst deutlich machen, dass alles nur dann erfolgreich verläuft, wenn man eine positive Einstellung hat und man sich selbst in seiner Ganzheit als Mensch wiederfindet und auch so behandelt wird.

•  In anderen Ländern wird und wurde auch zu anderen Zeiten um die Fruchtbarkeit ein Kult betrieben, bei uns wird das alles viel zu rationell gesehen. Fruchtbarkeit muss immer gepflegt werden und sollte nicht nur dann wichtig sein, wenn es um Verhütung geht. Viele Infos rund um das Thema könnten helfen, eine wundervolle Sache wieder mehr in unser Bewusstsein zu rücken, alles könnte weniger kopflastig gesehen werden.

Wünsche an die Inhalte des Ratgebers:

•  Kontaktadressen und Anlaufstellen aus ganz Deutschland anbieten.

•  Alternative Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen und ausführlicher darstellen.

•  Evtl. verschiedene Umgangsformen bezogen auf Freunde, Arbeitgeber und die engere Familie darstellen.

Unsere Ratschläge:

•  Es reicht nicht, nur die Hilfe eines reproduktionsmedizinischen Zentrums wahrzunehmen (medizinische Seite).

•  Offen sein für andere Ansätze, z. B. heilpraktische Behandlungsverfahren, nicht nur eingleisig fahren.

•  Patientinnen sollen sich sachkundig machen und immer wieder bei Ärzten nachfragen, falls notwendig auch unbequem sein, möglichst Meinung zum Umgang mit ihnen durch Ärzte und Schwestern äußern, nur so kann sich etwas im Interesse der Patientinnen ändern.

•  Sich in sachkundige Hände begeben, egal ob Psychotherapeut/Heilpraktiker oder Repromediziner, auswählen, nichts überstürzen.

Wir hoffen, dass wir diesen Ansprüchen gerecht werden. Unser Wunsch war es auf jeden Fall, die Ergebnisse unserer langjährigen Forschungstätigkeit2, die zu Beginn vom Bundesministerium für Bildung und Forschung großzügig unterstützt wurde, in eine Form zu bringen, die eine konkrete Unterstützung für betroffene Paare bedeutet und nicht ausschließlich nur die wissenschaftliche Diskussion bereichert.

2     Dieser Ratgeber entstand in seiner ersten Fassung innerhalb der Studie »Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde«, die zwischen 1994 und 2000 im Förderschwerpunkt »Fertilitätsstörungen« vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert worden ist (Förderkennzeichen 01 KY 9305 und 01 KY 9606).

 

1          Mythen und Fakten zur ungewollten Kinderlosigkeit

 

 

Ehepaar X. (sie 36 Jahre, er 39 Jahre alt) kommt in die psychologische Beratung wegen unerfüllten Kinderwunsches. Seit zweieinhalb Jahren verhüten sie nicht mehr. Die medizinische Untersuchung ergibt einen stark eingeschränkten Befund beim Mann, so dass aus medizinischer Sicht nur die intrazytoplasmatische Spermiuminjektion (ICSI) Aussicht auf eine Schwangerschaft verspricht. Innerhalb von knapp zwei Jahren hat das Paar in einer reproduktionsmedizinischen Praxis 13-mal jeweils drei Embryonen transferieren lassen, die längste nachgewiesene Schwangerschaft währte 10 Wochen. Der behandelnde Arzt schlug dem Paar einen vierzehnten Versuch vor, die Voraussetzungen seien doch gut. Die Frau ist sich unsicher, ob sie die Strapazen weiter auf sich nehmen möchte. Auf die Frage, was das Paar noch versuchen wolle, um den Wunsch nach einem leiblichen Kind zu realisieren, wird die Idee geäußert, im Ausland eine Präimplantationsdiagnostik durchführen zu lassen, um möglicherweise vorliegende embryonale Defekte zu erkennen. Außerdem wird eine naturheilkundliche Behandlung in Erwägung gezogen. Dass die medizinische Therapie oder auch das mittlerweile eingeleitete Adoptionsverfahren »erfolglos«, also ohne Kind, bleiben könnten, ist für das Paar nicht vorstellbar.

Wir haben das erste Kapitel mit einem extremen Fallbeispiel in Bezug auf die Zahl der Behandlungszyklen eingeleitet, um Ihnen zu verdeutlichen, dass die fortpflanzungsmedizinische Behandlung gelegentlich einen ungünstigen Verlauf nehmen kann: Sowohl das Paar als auch die Fortpflanzungsmediziner haben nur noch das leibliche Kind als Ziel vor Augen, andere Möglichkeiten können nicht (mehr) gesehen werden.

In diesem Abschnitt stellen wir Ihnen dar, welche Möglichkeiten, aber auch welche Schwierigkeiten die Entwicklung der Fortpflanzungsmedizin in den letzten Jahrzehnten für ungewollt kinderlose Paare mit sich gebracht hat, und was dieser medizinische Fortschritt für den Umgang des Paares mit der Kinderlosigkeit bedeuten kann.

Unerfüllter Kinderwunsch – Heutzutage kein Problem mehr?

Inzwischen sind weltweit mehr als 5 000 000 Kinder mit Hilfe einer künstlichen Befruchtung geboren worden. Louise Brown, das erste Kind, welches nach In-vitro-Fertilisation (IVF), also nach der Befruchtung der Eizelle im Reagenzglas an Stelle der »natürlichen« Befruchtung im Eileiter der Frau geboren wurde, ist inzwischen fast 40 Jahre alt und selbst Mutter geworden. Mit der 1992 entwickelten Methode der intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI), bei dem eine einzelne Samenzelle unter dem Mikroskop direkt in die Eizelle injiziert wird, kann auch Paaren zu einem leiblichen Kind verholfen werden, bei denen der Mann einen stark eingeschränkten Befund der Spermienqualität hat. Die Zahl der auf Fortpflanzungsmedizin spezialisierten (= reproduktionsmedizinischen) Zentren ist in Deutschland in den letzten zehn Jahren auf das Eineinhalbfache gestiegen, inzwischen gibt es hier über 125 solcher Praxen und Kliniken. Spitzenreiter in Europa ist Spanien mit 214 reproduktionsmedizinischen Zentren. In Deutschland sind die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin derzeit noch streng geregelt (siehe weiter unten). In vielen angrenzenden Ländern sind dagegen Eizellspende und Leihmutterschaft erlaubt (siehe Kapitel 7). Das hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich ein regelrechter »Kinderwunsch-Tourismus« entwickelt hat (auch »Reproduktives Reisen« genannt). Dieser wird überwiegend von den Paaren ausgeübt, welche Zugang zu den benötigten Informationen haben (z. B. über das Internet) und über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen.

Die Planbarkeit gewollter Kinderlosigkeit durch sichere Verhütungsmethoden sowie die ständige Weiterentwicklung der fortpflanzungsmedizinischen Therapiemöglichkeiten in den letzten Jahrzehnten können zu der Annahme verleiten, eine gewollte Schwangerschaft sei jederzeit herstellbar. Übersehen wird dabei, dass auf die erste Schwangerschaft in der Regel gewartet werden muss – insbesondere wenn die Frau über 30 Jahre alt ist – und diese nicht selten mit einer Fehlgeburt endet. Diese Tatsache gerät Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch häufig aus dem Blickfeld. Sie erleben es – aus ihrer Sicht verständlich – als frustrierend, wenn eine Freundin oder Arbeitskollegin einen Monat nach Absetzen der Pille von einem positiven Schwangerschaftstest berichten kann, und realisieren dann häufig nicht, dass ein solch schneller Erfolg eher die Ausnahme ist bzw. dass die vielen Paare, die sich auch mit erfolglosen Versuchen auseinandersetzen müssen, in der Regel nicht offen darüber kommunizieren, weil die eigenen Probleme aus Scham verschwiegen werden.

Wie viele Paare betroffen sind

Schätzungsweise bleiben ca. 6–9 % aller Paare dauerhaft ungewollt kinderlos, fast jede dritte Frau mit Kinderwunsch wartet ein- oder mehrmals ein Jahr auf den Eintritt einer Schwangerschaft. Jedes vierte kinderlose Paar ist ungewollt kinderlos. Es spricht vieles dafür, dass man von einer Zunahme der Fälle ungewollter Kinderlosigkeit ausgehen kann. In den westlichen Ländern wird das erste Kind immer häufiger für ein späteres Lebensalter geplant: 1977 waren in Deutschland Frauen bei der Geburt des ersten Kindes durchschnittlich 25 Jahre alt, 20 Jahre später betrug das Durchschnittsalter bereits 29 Jahre, mit weiterhin steigender Tendenz. Die Fruchtbarkeit nimmt mit dem Alter der Frau ab: Für Frauen zwischen 19 und 25 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft pro Zyklus bei ca. 30 %, zwischen 25 und 33 Jahren dagegen bei ca. 18 %. Eine 38-jährige Frau hat nur eine halb so hohe Schwangerschaftschance wie eine 28-jährige Frau. Tatsächlich nimmt die Fruchtbarkeit der Frau bereits ab ihrem 25. Lebensjahr langsam ab (deutlich ab ihrem 35.). Beim Mann ist diese Abnahme ab seinem 40. Lebensjahr zu beobachten. Aus medizinischer Sicht stellen sogenannte »Spätgebärende« ab dem 35. Lebensjahr heute keine Risikogruppe (in Bezug auf Schwangerschaftskomplikationen und Missbildungsraten der Kinder) mehr dar, wie noch vor zehn Jahren. Aber alle neueren wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass das Alter der Frau von allen biologischen, psychologischen und sozialen Merkmalen am besten die Chance eines Schwangerschafteintritts vorhersagen kann. Aus psychologischer Sicht kann es sinnvoll sein, mit der Realisierung des Kinderwunsches zu warten und die Partnerschaft erst wachsen zu lassen, aus medizinischer Sicht ist es das nicht. Um die Zunahme ungewollter Kinderlosigkeit wirksam zu verhindern, sollte die gesellschaftliche und politische Entwicklung es Frauen (und Männern) ermöglichen, bereits im frühen Erwachsenenalter neben einem befriedigenden beruflichen Engagement auch Kinder großzuziehen. Außerdem müsste sich die gesellschaftliche Diskussion dahingehend verändern, dass Kinderkriegen nicht nur als (finanzielle) Last gesehen wird, die möglichst lange vermieden werden sollte. In den letzten Jahren gab es daher zahlreiche familienpolitische Anstrengungen, die Entscheidung zur Gründung einer Familie zu erleichtern. Trotzdem werden Erstgebärende immer älter. Eine verständliche Entwicklung, wenn wir uns die Stabilität heutiger Ehen betrachten und der Status »alleinerziehend« ein deutliches Armutsrisiko bedeutet.

Erfolgsaussichten der modernen Reproduktionsmedizin

Die Entwicklung der Fortpflanzungsmedizin in den letzten Jahrzehnten hat unglücklicherweise zu einer Polarisierung der Haltungen geführt: Auf der einen Seite stehen kritiklose Befürworter des technisch Machbaren, auf der anderen Seite erbitterte Gegner jeglichen Eingriffs in den Prozess der Zeugung. Die Erfolgsraten der Verfahren zur künstlichen Befruchtung sind dabei ein Hauptstreitpunkt. Heute geht es zudem um die Grenzen des Embryonenschutzgesetzes, die noch vor 20 Jahren unstrittig waren, heute von vielen Reproduktionsmedizinern – aber auch betroffenen Paaren – als zu einschränkend empfunden werden und in Bezug auf die Präimplantationsdiagnostik bereits auch eine Lockerung erfahren haben.

Zuerst zu den Erfolgschancen: Es gibt leider immer wieder Fortpflanzungsmediziner und -medizinerinnen (auch in ausländischen Zentren), die ungewollt kinderlosen Paaren eine unrealistisch hohe Hoffnung auf ihr Wunschkind suggerieren. Das kann dann dazu führen, dass Paare sich erst nach dem erfolglosen Ende einer jahrelangen medizinischen Kinderwunschbehandlung mit alternativen Perspektiven wie z. B. einer Adoption auseinandersetzen. Aussagen, wie Sie sie gelegentlich in fortpflanzungsmedizinischen Zentren hören können: »Sie kommen zu drei IVF-Versuchen zu uns und dann haben Sie Ihr Kind!« sind unseriös und wenig geeignet, Sie bei der Entscheidungsfindung zur Kinderwunschbehandlung zu unterstützen.

Auf der anderen Seite stehen Aussagen wie beispielsweise diese, dass »bei ca. 90 % der Fälle die IVF-Behandlungskosten von den Krankenkassen umsonst gezahlt werden«. Sachlich nicht zutreffend wird diese Behauptung bei der derzeitigen finanziellen Lage des Gesundheitssystems politisch gerne aufgegriffen – zum Nachteil derjenigen Paare, für die die fortpflanzungsmedizinische Therapie die einzige Chance bietet, zu einem leiblichen Kind zu kommen, und die selbst nicht in der Lage sind, die finanziellen Mittel dafür aufzubringen.

Allgemein werden die Erfolgsraten der Reproduktionsmedizin überschätzt. Die Rate der Lebendgeburten (baby-take-home-rate) liegt in Deutschland nach der In-vitro-Fertilisation immer noch bei durchschnittlich 15 % pro Behandlungsversuch (ca. 17 % pro abgeschlossenem Behandlungszyklus). Ähnlich hoch liegt aber auch die Geburtenrate in der Wartezeit auf die Fruchtbarkeitsbehandlung bzw. in einer Behandlungspause. Übersehen wird auch gelegentlich, dass sich zwar mit der Zahl der Versuche die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft erhöht, aber eben nicht addiert. Mit jedem erneuten Behandlungszyklus sinkt die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit. So muss man immer noch davon ausgehen, dass im Durchschnitt mehr als 50 % aller Paare die fortpflanzungsmedizinische Therapie nach drei Behandlungszyklen ohne ein leibliches Kind beenden müssen. Nach vier Versuchen bleiben durchschnittlich immer noch 40 % der Paare ohne Kind.

Von zwölf Paaren, die einen IVF- oder ICSI-Behandlungszyklus beginnen, …

… kommen zehn Paare bis zum Embryotransfer.

… werden drei Paare schwanger.

… gehen zwei Paare mit einem Baby nach Hause.

Aber auch die Schwangerschaft nach fortpflanzungsmedizinischer Maßnahme birgt Risiken: Die um das Sechzehnfache erhöhte Wahrscheinlichkeit von Zwillingsschwangerschaften infolge hormoneller Behandlungen sollten Sie nicht unterschätzen. So sind Schwierigkeiten mit Schwangerschaft und Geburt erhöht, es kommt häufiger zu Frühgeburten, die körperliche und seelische Entwicklung von höhergradigen Mehrlingen ist oft beeinträchtigt. Mehrlinge bedeuten im Allgemeinen eine erhebliche Belastung für die Eltern, nicht nur organisatorischer und finanzieller Art. Aus diesen Erfahrungen heraus werden inzwischen europaweit bei der In-vitro-Fertilisation statt der zulässigen drei Embryonen höchstens zwei Embryonen in die Gebärmutter der Frau zurückübertragen, wenn sich das Paar damit einverstanden erklärt. Aus dem gleichen Grund wird in einigen Ländern bevorzugt der elektive Single-Embryo-Transfer durchgeführt. Hierbei wird – nach einigen Tagen Kultivierung in der Petrischale – nur der am besten entwickelte Embryo ausgewählt und in die Gebärmutter transferiert, was zu einer deutlichen Reduzierung von Mehrlingsgeburten führt. In Deutschland ist dieses Verfahren allerdings nicht ausdrücklich erlaubt.

•  Wenn Sie als Paar vor der Entscheidung stehen, fortpflanzungsmedizinische Verfahren für sich in Anspruch zu nehmen, sollten Sie sich vor jedem Schritt, vor jedem neuen IVF-Zyklus offen darüber miteinander austauschen, ob Sie bereit sind, in Abwägung der Erfolgsaussichten und der Risiken dieser Behandlungsverfahren den jeweils nächsten Schritt zu gehen. Insbesondere die Frau, die den weitaus größten Aufwand zu tragen hat, sollte prüfen, ob sie nicht vielleicht eine Behandlungspause einlegen will oder ob sie weitere Behandlungszyklen hauptsächlich deshalb noch auf sich nehmen will, weil die Krankenkasse die anteilige Kostenübernahme zugesagt hat.

•  Fordern Sie vom behandelnden Arzt eine möglichst genaue, auf Sie als Paar zugeschnittene Einschätzung darüber ein, wie die Chance auf ein Kind in Ihrem konkreten Fall eingeschätzt wird, bezogen auf Ihre Diagnose und Ihr Alter. Ziehen Sie gegebenenfalls einen zweiten Spezialisten zu Rate, um eine weitere Einschätzung zu erhalten.

•  Bei einer hormonellen Stimulationsbehandlung (auch ohne nachfolgende IVF/ICSI) sollte immer eine Ultraschallkontrolle der Follikel stattfinden, um das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft kontrollieren zu können. Gegebenenfalls sollten Sie dann auf eine Befruchtung verzichten (Verhütung bzw. kein Geschlechtsverkehr an den fruchtbaren Tagen im entsprechenden Zyklus). Überlegen Sie bei einem anstehenden IVF-/ICSI-Versuch, ob Sie trotz der statistisch geringeren Erfolgswahrscheinlichkeit nur ein oder zwei Embryonen zurückführen lassen, um die Risiken von Mehrlingsschwangerschaften für sich und die Kinder zu minimieren.

•  Aufgrund der eher geringen Erfolgschancen der fortpflanzungsmedizinischen Behandlung ist es sicherlich sinnvoll, wenn Sie schon von Beginn an miteinander Perspektiven für den Fall des Misserfolges entwickeln (»Plan B«), und nicht erst dann, wenn die Behandlung erfolglos abgeschlossen werden muss. Ihre Schwangerschaftswahrscheinlichkeit wird sicher nicht geringer, wenn Sie bereits einen Plan B parat haben.

Informationsbedarf betroffener Paare

Aus den zahlreichen psychologischen Beratungsgesprächen, die wir mit ungewollt kinderlosen Paaren geführt haben, insbesondere aber als Ergebnis unserer Umfragen unter betroffenen Paaren und unter Fortpflanzungsmedizinern, wurde deutlich, dass Paare mit Kinderwunsch von ihren behandelnden Ärzten mehr Informationen über psychologische Beratungsmöglichkeiten erwarteten, mehr und bezüglich der Erfolgsaussichten offenere Aufklärung über die medizinischen Behandlungsverfahren, mehr psychologische Beratung durch Ärzte und generell mehr Zeit für die Patienten. Der Wunsch nach ausführlicher Information zeigt sich auch in den am Universitätsklinikum Heidelberg mehrmals im Jahr angebotenen Informationsveranstaltungen zu den medizinischen und psychologischen Aspekten ungewollter Kinderlosigkeit.

•  Nutzen Sie die inzwischen vielfältigen Informationsmöglichkeiten, beispielsweise im Internet, und fördern Sie eine breitere Diskussion des Themas »ungewollte Kinderlosigkeit« in der Öffentlichkeit (z. B. durch Leserbriefe, eigene Beteiligung an seriösen Fernsehsendungen und in Internet-Foren). Sehr informativ und authentisch in Bezug auf den Verlauf und das Ergebnis von fortpflanzungsmedizinischen Behandlungen waren die Doku-Serie »Wunschkinder« im ZDF Ende 2001, der ZDF-Spielfilm »Wo bleibst du, Baby?« vom Oktober 2005, »Mit Kind wär alles anders« in SPIEGEL TV (2010), das SWR-Nachtcafé »Das geplante Kind« von 2015 sowie die ausführliche Sendung »Ich mach’ mir ein Kind – Mutterglück ohne Sex« bei VOX (2016). Trotz des etwas reißerischen Titels ist der Film »Google Baby« (2009) unbedingt empfehlenswert. Aus ihrer Sicht als Patientin drehte die Filmemacherin Ina Borrmann den hervorragenden Film „Kinderwunsch“ (mdr 2015).

Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten

In diesem Ratgeber liegt der Schwerpunkt auf den seelischen Aspekten ungewollter Kinderlosigkeit. Aber einige grundlegende Informationen zu den medizinischen Ursachen und zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten wollen wir an dieser Stelle geben.

•  Vor Beginn einer Behandlung wegen des unerfüllten Kinderwunsches sollten beide Partner gründlich untersucht werden. Das mag Ihnen trivial vorkommen, aber es zeigt sich immer wieder, dass die männlichen Partner erst sehr spät in die Diagnostik miteinbezogen werden. Oder dass mit einer Therapie begonnen wird (z. B. Hormongaben), obwohl die Diagnostik noch nicht abgeschlossen ist.

Häufig findet sich nicht eine einzige schwerwiegende Ursache bei einem der Partner, sondern verschiedene Einschränkungen der Fruchtbarkeit liegen bei beiden Partnern vor. Generell finden sich Störungen mit einer Häufigkeit von 30–45 % sowohl bei der Frau als auch beim Mann. Bei 15–30 % der betroffenen Paare kann es nur an einem der beiden Partner liegen. In 10 % der Fälle spricht man von idiopathischer oder ungeklärter Infertilität, weil sich mit den zurzeit vorhandenen Untersuchungsmethoden keine organische oder seelische Ursache finden lässt und der Eintritt einer Schwangerschaft grundsätzlich jederzeit möglich scheint.

Ursachen der Fruchtbarkeitsstörungen

Bei der Frau ist die häufigste Ursache für die Fruchtbarkeitseinschränkung eine hormonelle Störung, gefolgt von Endometriose (eine gutartige Wucherung von Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter, z. B. in den Eileitern) und Verschlüssen der Eileiter, seltener Gebärmuttererkrankungen oder Antikörperbildung gegen Spermien.

Beim Mann ist am häufigsten die Samenzellbildung gestört, gelegentlich auch der Samenzelltransport.

Diagnostik

Die Diagnostik sollte bei beiden Partnern gleichzeitig erfolgen. Durchschnittlich begeben sich allerdings Frauen über ein Jahr früher als Männer in die medizinische Diagnostik. Bei der Frau sind sowohl die diagnostischen als auch die therapeutischen Möglichkeiten sehr viel größer als beim Mann. Da zudem bestimmte Untersuchungen an den Zyklus der Frau gekoppelt sind, muss sie sich darauf einstellen, dass sie etliche Arztbesuche absolvieren muss und es durchschnittlich mehrere Monate dauert, bis die Diagnostik abgeschlossen ist.

Diagnostik bei der Frau: Zuerst wird die Anamnese, also die medizinische Vorgeschichte erfragt. Die anschließende gynäkologische Untersuchung und eine Ultraschalluntersuchung ergeben Hinweise, ob die äußeren und inneren Geschlechtsorgane der Frau auffällig verändert sind. Mittels mehrfacher Blutentnahmen im Verlauf des Zyklus der Frau werden Hormonbestimmungen vorgenommen. Häufig wird sie gebeten, über mehrere Zyklen eine Basaltemperaturkurve zu führen, um weiteren Aufschluss über den Zyklusverlauf zu erhalten.

Ergibt die Diagnostik des Mannes (s. u.) einen unauffälligen Befund, steht bei der Frau die Durchgängigkeitsprüfung der Eileiter an, die mittels Ultraschall- oder Röntgenuntersuchung mit Kontrastmittel oder über eine Bauchspiegelung durchgeführt wird.