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Für Sal Murdocca,
der wunderbare Illustrationen zaubert

WIE ALLES ANFING

Eines Tages tauchte ein geheimnisvolles Baumhaus im Wald von Pepper Hill in Pennsylvania auf. Philipp und seine Schwester Anne kletterten hinauf un entdeckten, dass es voller Bücher war.

Die Geschwister fanden schnell heraus, dass es ein magisches Baumhaus war, mit dem sie zu all den Orten reisen konnten, die in den Büchern abgebildet waren. Alles, was sie tun mussten, war, auf eines der Bilder zu deuten und sich zu wünschen, sie wären dort.

Das Baumhaus gehörte Morgan, einer Zauberin und Bibliothekarin am Hofe des Königs Artus in Camelot. Immer, wenn das magische Baumhaus im Wald auftauchte, wussten Anne und Philipp, dass Morgan einen neuen Auftrag für sie hatte. Um Morgan zu helfen, reisten sie viele Male in ferne Länder und längst vergangene Zeiten. Sie erlösten Morgan von einem bösen Zauber, retteten alte Bücher, wurden zu Meister-Bibliothekaren ernannt und lernten eine besondere Art von Magie kennen.

Bei ihren letzten Zeitreisen halfen die Geschwister dem großen und mächtigen Zauberer Merlin. Für ihn erfüllten sie spannende Aufgaben in der fantastischen Anderswelt und in einem verzauberten Spukschloss und sie stellten sich der gefährlichen Seeschlange. Seit einem halben Jahr haben Anne und Philipp nun aber das Baumhaus nicht mehr gesehen …

Eiskristall

Wintersonnenwende

Ein kalter Wind rüttelte an den Fenstern. Aber im Haus war es warm und gemütlich. Philipp und Anne backten mit ihrer Mutter Weihnachtsplätzchen. Philipp drückte eine sternförmige Plätzchenform in den Teig.

„Hey, draußen schneit es“, sagte Anne.

Philipp sah aus dem Fenster. Es war später Nachmittag und dicke Schneeflocken fielen vom Himmel.

„Möchtest du rausgehen?“, fragte Anne.

„Nein, eigentlich nicht. Es wird doch bald dunkel“, antwortete Philipp.

„Richtig“, sagte ihre Mutter. „Heute ist der 21. Dezember, heute ist Winteranfang. Es ist der kürzeste Tag des Jahres.“

Philipps Herz setzte einen Schlag lang aus. „Du meinst, es ist Wintersonnenwende?“, fragte er.

„Ja, genau“, antwortete seine Mutter.

Anne schnappte überrascht nach Luft. „Wintersonnenwende?“, wiederholte sie.

„Ja“, wiederholte ihre Mutter etwas irritiert.

Philipp und Anne sahen sich an. Im letzten Sommer hatte Merlin, der Zauberer, sie genau zur Sommersonnenwende um Hilfe gebeten. Vielleicht würde er das heute, zur Wintersonnenwende, ja wieder machen!

Philipp legte die Plätzchenform aus der Hand und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab. „Mama, ich glaube, es würde mir vielleicht doch Spaß machen, eine Weile im Schnee zu spielen“, sagte er.

„Wie ihr wollt“, antwortete ihre Mutter. „Aber zieht euch warm an. Ich steche noch die Plätzchen aus und backe sie dann.“

„Danke!“, sagte Philipp. Die Geschwister rannten in den Hausflur und schlüpften in ihre Stiefel. Rasch zogen sie ihre Jacken an und streiften Handschuhe, Schal und Mütze über.

„Seid zu Hause, bevor es dunkel wird“, mahnte ihre Mutter.

„Machen wir!“, antwortete Philipp.

„Tschüss, Mama!“, rief Anne laut.

Philipp und Anne gingen aus dem Haus in die winterliche Kälte hinaus. Ihre Stiefel knirschten im Schnee, als sie durch den Garten zum Wald von Pepper Hill liefen.

Am Waldrand blieb Philipp stehen. Wie schön die Bäume aussahen! Feiner Pulverschnee lag auf den Ästen der Tannen und Kiefern.

„Guck mal“, sagte Anne. Sie zeigte auf zwei Paar Fußspuren, die auf die Straße führten und dann wieder zurück zum Wald. „Hier war schon jemand.“

„Es sieht aus, als wären sie aus dem Wald gekommen, aber gleich wieder umgekehrt“, sagte Philipp. „Wir müssen uns beeilen!“ Wenn das magische Baumhaus tatsächlich heute zurückgekommen war, wollte er nicht, dass jemand anders es fand!

Philipp und Anne gingen schnell durch den Wald, immer den Fußspuren nach.

„Halt“, sagte Anne und zog Philipp hinter einen Baum. „Guck mal da.“

Durch die wirbelnden Schneeflocken sah Philipp zwei fremde Gestalten in langen dunklen Mänteln. Sie liefen ausgerechnet auf die große Eiche zu, in der immer das magische Baumhaus landete!

„Oh nein!“, sagte Philipp. Das Baumhaus war tatsächlich zurückgekehrt und jemand anders hatte es gefunden!

„Hey!“, schrie Philipp. „Stopp!“ Das Baumhaus war zu ihm und Anne gekommen und zu niemandem sonst!

Philipp rannte los und Anne lief hinterher. Er rutschte aus, fiel in den Schnee, rappelte sich wieder hoch und lief weiter. Als Philipp und Anne das Baumhaus erreichten, waren die beiden Unbekannten schon die Strickleiter nach oben geklettert und im Baumhaus verschwunden.

„Kommt raus!“, schrie Philipp.

„Das ist unser Baumhaus!“, rief Anne.

Zwei Kinder streckten die Köpfe aus dem Fenster des Baumhauses. Sie waren beide etwa dreizehn Jahre alt. Der Junge hatte zerzauste rote Haare und Sommersprossen. Das Mädchen hatte meerblaue Augen und lange schwarze lockige Haare. Ihre Wangen waren vor Kälte gerötet. Die Kinder lachten, als sie Philipp und Anne erkannten.

„Klasse!“, freute sich der Junge. „Wir sind gekommen, um euch zu suchen, aber stattdessen habt ihr uns gefunden.“

„Teddy!“, rief Anne erfreut, „Kathrein! Hallo!“

Teddy war ein junger Zauberer, der in Morgans Bibliothek in Camelot arbeitete. Kathrein war das bezaubernde Selkiemädchen, das Philipp und Anne bei ihrem letzten Abenteuer während der Sommersonnenwende geholfen hatte. Damals hatte Kathrein sie alle in Seehunde verwandelt.

Philipp war total überrascht. Er hätte nie gedacht, dass ihre beiden Freunde aus Camelot einmal Pepper Hill besuchen würden.

„Was macht ihr denn hier?“, rief er.

„Kommt rauf und wir erzählen es euch!“, antwortete Teddy.

Philipp und Anne kletterten schnell die Strickleiter hinauf. Als sie im Baumhaus waren, schlang Anne ihre Arme um Teddy und Kathrein. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr mal zu uns kommt!“, sagte sie begeistert.

„Es freut mich, dich zu sehen, Anne“, sagte Kathrein. „Und dich auch, Philipp.“ Ihre großen blauen Augen funkelten.

„Ich freu mich auch“, antwortete Philipp schüchtern. Für ihn war Kathrein das hübscheste Mädchen, das er je in seinem Leben gesehen hatte. Sogar als Seehund war sie wunderschön gewesen.

„Wir haben euch gesucht“, erklärte Teddy. „Wir sind hinuntergeklettert und durch den Wald bis zu einer Straße gegangen.“

„Aber die Straße war voller Monster!“, sagte Kathrein aufgeregt. „Eine große rote Kreatur hat uns fast überrollt! Sie machte schreckliche dröhnende Geräusche!“

„Und dann, bevor wir wussten, was los war, hat uns ein großes schwarzes Monster angegriffen, das wild fauchte!“, berichtete Teddy weiter. „Da sind wir wieder hierher zurückgegangen, um zu überlegen, was wir jetzt machen sollen.“

„Das waren keine Monster“, sagte Anne lachend. „Das waren Autos. Man muss schrecklich aufpassen, dass man nicht von einem überfahren wird.“

„Autos?“, fragte Teddy.

„Ja, sie haben Motoren und werden von Menschen gefahren“, erklärte Philipp.

„Motoren?“, staunte Teddy.

„Das ist schwer zu erklären“, sagte Anne. „Merkt euch einfach: Immer wenn ihr in unserer Welt eine Straße überquert, müsst ihr auf Autos achten.“

„Oh ja, das machen wir“, sagte Teddy.

„Warum seid ihr hergekommen?“, wollte Philipp wissen.

„Auf Merlins Schreibtisch haben wir eine Nachricht für euch gefunden und beschlossen, sie selbst zu überbringen“, antwortete Teddy.

„Also sind wir in das Baumhaus vor Morgans Bibliothek geklettert“, erzählte Kathrein. „Teddy hat in der Nachricht auf die Wörter Pepper Hill gezeigt und sich gewünscht, dort zu sein. Und dann waren wir auch schon hier im Wald.“

Teddy holte einen kleinen grauen Stein aus seinem Mantel. „Und hier ist die Nachricht, die wir mitgebracht haben“, sagte er.

Teddy gab Philipp den Stein. Die Nachricht war in einer winzigen Handschrift geschrieben. Philipp las laut vor: