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Jens Twest

Grünewald-Bericht

Eine Reise zum Isenheimer Altar

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© 2016 Jens Twest

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7345-7188-6
Hardcover: 978-3-7345-7189-3
e-Book: 978-3-7345-7190-9

Bilder: bpk | RMN - Grand Palais,

Musée d’Unterlinden, Colmar

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung

Grünewald-Bericht

Eine Reise zum Isenheimer Altar

Auf Grünewald bin ich gestoßen bei der Lektüre des von mir so geschätzten W. G. Sebald. Der Balsam seiner Texte erheiterte mir die Leere, die sich in mir ausgebreitet hatte, nachdem ich, um mit wagnerischem, meinem Empfinden durchaus angemessenem Pathos zu sprechen, meinen Balthar an Chlodewigs Taufbecken geleitet hatte und dort mit herzlichen Tränen von ihm Abschied genommen. Nach drei Jahren disziplinierten Schreibens und zwei Jahren zunehmend aussichtslosen Ringens hatte ich die Arbeit an dem großen Roman eingestellt, der mein Ausweg hatte sein sollen aus der Verwüstung eines schweren Zusammenbruchs. Dieser Versuch schien auf unvorhergesehene Weise sogar gelungen, denn meine Verfassung war wider mein Erwarten stabil. Enttäuscht waren allerdings meine Hoffnungen auf Reichtum und Ruhm, die ich gehegt hatte, um die Illusion eines Broterwerbs aufrecht zu erhalten. Was aber die Beseitigung meiner Täuschung zurückließ, war das Gefühl eines schwerelosen Friedens. Gegen die Beunruhigung durch diesen Schwebezustand und gegen die derweil keineswegs ausgesetzte Bedrohung durch das Gefühl existentiellen Scheiterns war ich mit Zazen, Yoga und eben der fortgesetzten Sebaldlektüre einigermaßen gewappnet. Nicht nur Grünewald bescherte mir diese Lektüre. Neben mancherlei Einsichten und Anregungen war da die vorweihnachtliche Beschäftigung mit der Luftkriegsdebatte, den so schwer auszulotenden Abgründen deutscher Geschichte und den Planierarbeiten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Wiederaufbaus.

Auch Grünewald ist durch wirre Fäden eingefangen in das Netz dieser deutschen Geschichte – und gibt damit ein Beispiel, wie willkürlich die Zusammenhänge sind, die wir erdeuten, um sie als Geschichte zu begreifen. Das „große Buch über den historischen Grünewald, das Dr. phil. W. K. Zülch im Jahr 38 zu Hitlers Geburtstag in alter Schwabacher Type vorlegte“ (Sebald, S. 13), ist ganz und gar durchdrungen von dem Ungeist der Zeit, den Zülch darin zu dem seinen macht. Es ist nicht leicht, nüchterne Worte zu finden für diese schaurige Mischung aus historischer Forschung, rassistischem Vorurteil und Übereifer in allen Belangen, und es bedarf einiger Disziplin, dem Impuls zu widerstehen, Befremden und Empörung mitsamt dem nebulösen Gefühl moralischer Überlegenheit durch Häme abzureagieren.

Denn lächerlich wirken für den Nachgeborenen rassebiologische Betrachtungen über die Wesensart der verschiedenen deutschen Gaue. Doch von bitterem Ernst ist, dass solche Volkskunde seinerzeit im Rang einer Wissenschaft stand. Nicht zu überhören ist das Hass- und Mordpotenzial dieser Ideologie, wenn eine Tätigkeit als Wanderkünstler für Grünewald abgelehnt wird mit dem Hinweis: „Solche Gesinnung passt nicht in die gotische deutsche Tradition, eignet nur den fremden Glücksrittern vom Schlage des Jacobo Walch, die wie die Infektion einer bösen Seuche durch die deutschen Lande zogen“ (Zülch, S. 76-77). An dieser Stelle ist offensichtlich: Weltanschauliche Gesinnung und wissenschaftliches Urteil sind bei Zülch nicht voneinander zu trennen.

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