SPACE2014_Cover_RZ_gr.jpg

Titelmotiv: Sir Richard Bransons StarShipTwo „Enterprise“ in der Schwerelosigkeit – Künstlerische Darstellung

Eugen Reichl

SPACE 2014

Das aktuelle Raumfahrtjahr mit Chronik 2013

Impressum

Editorial

Liebe Freundinnen und Freunde unseres Raumfahrtjahrbuches,

die private Raumfahrt boomt. Zwar nicht in Europa, denn da hat sie mangels fördernder und liberaler Regularien und fehlender institutioneller Unterstützung keine Chance und deshalb auch keine privaten Investoren, aber umso mehr in den USA. Wo dort noch vor wenigen Jahren Powerpoint-Präsentationen, Youtube-Trickfilmchen und bunt bemalte Sperrholz-Mockups vorherrschten, entstehen jetzt überall „richtige“ Raumfahrzeuge. Viele der „Privatraumfahrer“ sind derzeit mitten in einer kritischen Erprobungs- und Fertigungsphase. Die Private Raumfahrt bewegt sich weg vom Bastelbuden-Dasein hin zum Wirtschaftsfaktor. In den USA kommen zunehmend mehr Jobs in der Raumfahrt von den Privaten. Man braucht sich nur durch ihre Homepages zu klicken und zu beobachten, was sie auf den sozialen Medien wie Twitter und Facebook vermelden.

Virgin Galactic veranstaltet, gerade als diese Zeilen entstehen, eine „Job Fair“ um an das dringend benötigte qualifizierte Personal für seine „Spaceship Company“ zu kommen. Stratolaunch in Mojave stellt in großem Maßstab ein. Auch Scaled Composites, ebenfalls in Mojave beheimatet, benötigt die ganze Bandbreite vom Testpiloten bis zum Kunststofftechniker. SpaceX in Kalifornien, Texas und Florida hat schon seit Jahren nie weniger als 300 Stellen gleichzeitig offen. Bigelow, drüben in Las Vegas, baut seine Fertigungsanlagen aus. Boeing stellt ein, um seine CST 100 Raumkapsel flugklar zu bekommen und auch auf den Homepages von XCOR und Masten, die zu den Kleinen in der Szene der „Neuen Raumfahrt“ gehören, leuchten einem sofort die Stellenanzeigen entgegen. Selbst Jeff Bezos‘ supergeheime Raumschiff-Manufaktur Blue Origin, die sonst nie preisgibt was sich auf ihrem ungeheuren Testgelände in Texas oder in ihren Fertigungshallen in Kent, südlich von Seattle tut, bringt auf Seite eins gleich mal seine „Hot Jobs“ ins Gespräch.

Die Popstars der neuen Szene heißen Elon Musk, Richard Branson, David Masten oder Jeff Greason. Die Fans verfolgen gebannt die Abenteuer von Testpiloten wie Mark Stucky, Mike Alsbury und Clint Nichols, die in diesen Tagen ihre suborbitalen Raumschiffe in immer größere Höhen steuern.

So ist es kein Wunder, dass sich gleich zwei Beiträge in SPACE 2014 mit dem Thema Private Raumfahrt und ihrem aktuellen Status befassen.

Dann sah das Jahr 2013 ein besonderes Jubiläum: 50 Jahre Frauen im Weltraum. Ein halbes Jahrhundert liegt es zurück, dass die damalige Sowjetbürgerin Walentina Tereschkowa zwischen dem 16. und 19. Juni 1963 mit Wostok 6 in den Erdorbit flog. Wir gehen in dieser Ausgabe von SPACE in zwei Beiträgen auf diesen Schwerpunkt ein.

Ein Thema für SPACE ist auch in diesem Jahr der unaufhaltsame Aufstieg der chinesischen Raumfahrt. China entsandte 2013 erneut ein bemanntes Raumschiff – Shenzhou 10 – zur experimentellen Kleinraumstation Tiangong 1.
Nachdem wir aber bereits im letzten Jahr ausführlich über die Shenzhou 9-Mission berichtet hatten, richten wir in dieser Ausgabe unser Augenmerk auf Chinas erste Mondlandesonde Chang’è 3. Sie soll etwa um den Zeitpunkt, an dem dieses Buch erscheinen wird, seine Reise zum Erdtrabanten antreten.

Auch die Raumfahrtgeschichte ist wieder ausführlich vertreten. Hier gehen wir in die Zeit Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre zurück und beschäftigen uns mit den harten Lehrjahren, die das Projekt Mercury durchmachen musste sowie mit einer Story über das Vorhaben X-20 Dyna Soar. Mit diesem Vehikel hätten die USA bereits in den frühen 60iger Jahren einen Mini-Shuttle zur Verfügung haben können.

Eigentlich hatten wir ja anstelle der X-20 Geschichte eine Dokumentation zu einem der schwersten Unfälle in der Geschichte der Raumfahrt geplant, nämlich dem gescheiterten Jungfernflug der Langer Marsch 3B-Trägerrakete, bei dem am 14. Februar 1996 viele Menschen ums Leben kamen, als der Träger mitten in das Raumfahrtzentrum Xichang hineinstürzte. Zu dieser Story haben wir jedoch kurz vor Redaktionsschluss noch ganz neues, bislang unveröffentlichtes Material von dem bekannten chinesischen Raumfahrtexperten Chen Lan erhalten, das wir erst auswerten, übersetzen und redigieren wollen. Somit haben wir einen Bericht über dieses nie vollständig aufgeklärte Unglück nun für die Ausgabe SPACE 2015 eingeplant. Der Artikel wird dann als Gastbeitrag von Chen Lan veröffentlicht. Seit dieser schrecklichen Katastrophe, das sei hier nur nebenbei erwähnt, hat sich die Langer Marsch 3B zu einem zuverlässigen Träger entwickelt, dem Chinas Wissenschaftler auch die oben erwähnte Mondsonde Chang’e 3 anvertrauen werden.

Und weil wir gerade bei Gastbeiträgen sind: Wir haben dieses Mal zwei externe Autoren mit an Bord, nämlich einmal Dr. Christian Gritzner vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt mit einem Artikel zum Thema Asteroidenabwehr, sowie Maria Pflug-Hofmayr von „Der Orion“, die zum 50jährigen Jubiläum der Mission von Waltentina Tereschkowa schreibt.

Aber es gibt noch wesentlich mehr in diesem Buch zu finden. Da hätten wir zum Beispiel den ausführlichen Statistik-Teil für die Zahlenfreaks und die nicht weniger ausführliche Chronik des Berichtsjahres, in der über jeden einzelnen Weltraumflug im Detail berichtet wird. Wir haben die drei Siegerstories des Science-Fiction-Kurzgeschichtenwettbewerbs des Vereins zur Förderung der Raumfahrt, die in diesem Jahr ganz besonders spannend sind, und natürlich wieder unseren Fototeil mit den Bildern des Jahres.

Wie immer will ich auch dieses Mal nicht vergessen, an dieser Stelle dem SPACE-Team recht herzlich zu danken. Allen voran den beiden Hauptprotagonisten Peter Schramm, dem „General Manager“ des Projektes und unserem Grafiker, Layouter und Ideengeber Stefan Schiessl, der dafür sorgt, dass dieses Werk von optisch herausragender Qualität ist und der Jahr für Jahr eine Druckerei findet, die das Buch schnell und günstig produziert. Reinhold Glasl organisierte wie in jedem Jahr den Science-Fiction Wettbewerb und Ditmar Eckert überprüfte den „Wahrheitsgehalt“ unseres Statistik-Teils auf Herz und Nieren, was bei den vielen Fakten und Details keine leichte Aufgabe ist.

Schauen Sie auch in unsere Kontakt-Ecke, wo Sie unter www.vfr.de mit der Mail-Adresse space@vfr.de direkt mit uns in Verbindung treten können. Oder sehen sie sich unser gerade im Entstehen befindliches neues Internet-Portal www.space-jahrbuch.de an. Dort finden sie zukünftig neben interessanten Dingen zum Thema Raumfahrt auch viele Informationen rund um das Jahrbuch und seine Entstehung.

Wenn Sie Kritik haben oder Lob, Tipps oder Meinungen, ein Problem oder eine Frage zu den Inhalten, wenn Sie sich schon mal die Ausgabe für das nächste Jahr reservieren wollen oder gerne der Tochter oder dem Sohn eines der Bücher schenken wollen: schreiben Sie uns einfach eine Mail. Wir freuen uns auf Ihr Feedback.

Und jetzt hinein ins Raumfahrtgeschehen. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre von SPACE 2014. Halten Sie uns weiterhin die Treue. Im Namen des SPACE-Teams,
Eugen Reichl

29562.jpg
29666.jpg

Themen im Fokus

29662.jpg

4.jpg

14. Juni 2013: Der Grasshopper (Grashüpfer) von SPACEX macht mit 325m seinen bis dato höchsten Sprung. SPACEX

Einen Gang höher geschaltet

3.jpg

Launch Pad 39B einst. Hier mit der Raumfähre Discovery. NASA

Der einstige Stolz der NASA, die Space Shuttles Atlantis, Discovery und Endeavour stehen längst im Museum. Die ehemals vollen Parkplätze am Kennedy Space Center sind leer und verwaist. Die Startanlagen 39A und 39B, von denen aus die Raumfähren in den Orbit aufbrachen und von wo schon in den sechziger und siebziger Jahren die Apollo-Mondflüge und die Skylab-Missionen begannen, sind demontiert. Ihre mächtigen Startgerüste fielen dem Schneidbrenner zum Opfer und sind längst beim Schrotthändler gelandet. Bei der NASA und den Industrieunternehmen, die dafür sorgten, dass die Shuttles flugklar waren, wurden Zehntausende von Ingenieuren und Technikern entlassen.

Doch das Bild der Tristesse trügt. Bereits wenige Kilometer südlich dieser desperaten Ödnis sind in diesen Tagen Privatunternehmen dabei, die Lücken auf den Start- und Parkplätzen wieder zu schließen. Hier am Cape und bei den Raumfahrtfirmen überall in den Vereinigten Staaten haben die meisten der einstigen Shuttle-Techniker und Ingenieure inzwischen einen neuen Job gefunden. Und das liegt zu einem guten Teil an den Newcomern in der Weltraumszene, an Firmen wie SpaceX, Orbital Sciences, Sierra Nevada, Blue Origin, Virgin Galactic, Stratolaunch und anderen. Sie können die Leute gar nicht so schnell bekommen, wie sie gebraucht werden. Virgin Galactic veranstaltet dieser Tage eine „Job Fair“, um an das dringend benötigte qualifizierte Personal für seine „Spaceship Company“ zu kommen. Stratolaunch in Mojave stellt jeden ein, der dort anklopft, angefangen vom Bauarbeiter bis hin zum Spezialisten für Kohlefaser-Kompositstrukturen. SpaceX hat schon seit Jahren nie weniger als 300 Stellen offen. Auch Scaled Composites benötigt die ganze Bandbreite vom Testpiloten bis zum Kunststofftechniker. Bigelow, drüben in Las Vegas, vergrößert gerade seinen Parkplatz, damit auch all die neuen Mitarbeiter ihre Autos abstellen können. Boeing stellt ein, um seine CST 100 Raumkapsel flugklar zu bekommen und auch auf den Homepages von XCOR und Masten, die zu den Kleinen in der Szene der „Neuen Raumfahrt“ gehören, leuchten einem sofort die Stellenanzeigen entgegen. Selbst Jeff Bezos‘ supergeheime Raumschiff-Manufaktur Blue Origin, deren Homepage nie preisgibt, was sich auf seinem ungeheuren Testgelände in Texas oder in seinen Fertigungshallen in Kent, südlich von Seattle tut, bringt auf Seite eins gleich mal seine „Hot Jobs“ ins Gespräch.

6.jpg

Dann begann die Demontage. NASA

7.jpg

Alles landete beim Schrotthändler. NASA

8.jpg

So sieht die Startanlage 39B heute aus. NASA

9.jpg

Anzeige für die VIRGIN GALACTIC Job Fair. VIRGIN GALACTIC

Es ist kein Zweifel möglich. Die private Raumfahrt boomt. Viele der „Privatraumfahrer“ sind derzeit mitten in einer kritischen Erprobungs- und Fertigungsphase. Wo noch vor wenigen Jahren Powerpoint-Präsentationen, Youtube-Trickfilmchen und bestenfalls bunt bemalte Sperrholz-Mockups vorherrschten, entsteht jetzt überall die „richtige“ Weltraum-Hardware.

SpaceX, repräsentiert durch seinen Eigentümer, CEO und Ideengeber Elon Musk ist in dieser Szene eindeutig der Popstar. Das Unternehmen betreibt eine Öffentlichkeitsarbeit, die eine ganz eigene Mischung aus frisch, frech und geheimnisvoll ist. Dabei werden die sozialen Medien gekonnt eingesetzt. Elon Musk hat Fan-Blogs wie sonst nur Film- und Fußballstars und ist eine Ikone auf Twitter mit über einer Million Followern auf seinen verschiedenen Konten. Musk ist der Hoffnungsträger der Raumfahrtgemeinde, denen die institutionelle Raumfahrt zu bräsig, zu verzagt und zu risikoscheu ist. Und, das nur nebenbei, Musk betreibt noch zwei weitere kaum weniger innovative Unternehmen: Den Elektroauto-Hersteller Tesla und Solar City, die Firma, mit der er den Energiesektor revolutionieren will. Der Mann strotzt nur so vor Ideen. Vor wenigen Tagen erst hat er mit einem neuen Projekt Furore gemacht, dem „Hyperloop“. Eine Art Rohrpost für den Personentransport, wo in evakuierten Röhren Menschen mit nahezu Schallgeschwindigkeit zwischen den Großstädten reisen sollen. SpaceX hat in der privaten Raumfahrt eine ganze Reihe von Alleinstellungsmerkmalen. Eines besteht darin, dass Elon Musks Dragon-Raumschiffe etwas bewerkstelligen, das früher nur der Shuttle konnte: Fracht in wesentlichen Mengen von der Raumstation zur Erde zurück zu bringen. Damit sind nicht die paar Kilo gemeint, die man bei der Rückkehr bemannter Sojus-Raumkapseln noch mit in die enge Kabine dazu packen kann. Der Dragon ist in der Lage, schlafzimmerschrankgroße Experimenten-Racks der ISS, komplette Raumanzüge oder auf der ISS produzierte Proteinkristalle mitsamt ihrem Kühlschrank nach unten zu bringen. SpaceX hat inzwischen seine erste Entwicklungs- und Bauphase schon hinter sich gelassen und schreitet mit großen Schritten neuen Zielen entgegen. „Wiederverwendbarkeit“ heißt das Mantra des Unternehmens. Das ist was Neues bei Trägerraketen. Dieser Schritt soll mit der Falcon 9.1.1 gelingen, die mit dem neuen Merlin 1D Triebwerk ausgerüstet ist. Der neue Falcon ist das Schlüsselelement der zukünftigen Geschäftsplanung von SpaceX. Musk verkauft ihn dabei als Weiterentwicklung des schon fünfmal erfolgreich geflogenen Falcon 9.1.0. Doch damit schwindelt er ein wenig, denn der neue Träger hat zwar eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit dem erfolgreichen Vormodell, tatsächlich ist es aber fast ein von Grund auf neuer Träger. Während diese Zeilen entstehen, wird diese neue Rakete gerade auf der Luftwaffenbasis Vandenberg für den Jungfernflug vorbereitet. Obwohl Erstflüge traditionell keine höhere Erfolgsquote als 50 Prozent haben, ist Musk zuversichtlich genug, bei dieser Mission gleich eine Nutzlast mitzuführen: den kanadischen Forschungssatelliten den CAScade, Smallsat and IOnospheric Polar Explorer, oder kurz CASSIOPE. Die zukünftige Eigenschaft der SpaceX-Träger – die Wiederverwendbarkeit – wird bereits bei dieser ersten Mission erprobt. Musk wird versuchen, die erste Stufe nach ihrem Einsatz heil zur Wasseroberfläche herunter zu bringen. Er ist sich ziemlich sicher, dass das die ersten Male noch nicht gelingen wird. Aber vielleicht beim Versuch fünf, sechs oder sieben. Sobald dieser erste Schritt klappt, wird er beginnen, die erste Stufe, gebremst von ihren Merlin-Triebwerken, wieder zum Startort zurückzufliegen und dort zu landen. Auf einem Helipad direkt neben der Startrampe. Das bisherige Verfahren bei ausnahmslos jedem Träger weltweit ist: im Meer versenken oder die Stufen über Land abstürzen zu lassen.

5.jpg

SCALED COMPOSITES gehört zu den Profis. Hier wird ein Raketentreibsatz in das Heck des SpaceShipTwo eingebaut. SCALED COMPOSITES

42.jpg

Elon Musk. Das Time-Magazine ist der Meinung, dass er zu den 100 einflussreichsten Menschen auf diesem Planeten zählt. TIME MAGAZINE

10.jpg

Eine SPACEX Dragon nähert sich der ISS. NASA

13.jpg

Die Falcon 9.1.1 wird – noch ohne Nutzlastspitze – in Vandenberg auf den Start vorbereitet. SPACEX

Um sein Rückführ-Verfahren schon mal auszuprobieren hat SpaceX einen Erprobungsträger für die neue Technologie geschaffen: Den „Grasshopper“. Dieses Testvehikel – von immensen Ausmaßen übrigens, 50 Tonnen schwer und mehr als 30 Meter hoch – hat bereits ein halbes Dutzend immer anspruchsvollerer Flüge hinter sich. Wenn man den Grasshopper fliegen sieht, glaubt man sich in einem schlechten Science-Fiction Film der fünfziger Jahre zu befinden. Das Ding steigt brüllend hoch, macht in einigen hundert Metern Höhe (und bald auch in Höhen bis zu 100 Kilometern) Manöver, die man von einer Großrakete bisher nur dann sah, wenn sie Sekunden später explodierte, und kommt dann donnernd auf einem mächtigen Flammenstrahl reitend wieder zum Startplatz zurück.

Elon Musk riskiert mit seinen Neuentwicklungen wesentlich mehr als die institutionelle Raumfahrt. Aber anders, als mit der Bereitschaft hohe Risiken einzugehen, sind große Entwicklungsschritte bei moderatem finanziellen Entwicklungsaufwand nicht realisierbar. Die Flüge von SpaceX kontrolliert übrigens nicht die NASA. Das macht das werkseigene Flugkontrollzentrum in Hawthorne, Kalifornien.

14.jpg

Der SPACEX Grasshopper bei einem Versuchsflug. SPACEX

Ebenfalls mit dem Flugbetrieb beginnt in diesen Tagen der “Dream Chaser” der Sierra Nevada Corporation. Noch nicht mit richtigen Orbitaleinsätzen, aber immerhin mit Testflügen in der Atmosphäre. Der „Dream Chaser“ ist bei den Amerikanern besonders beliebt, denn er sieht so aus, als hätten die großen Shuttles auf ihre alten Tage nochmal Nachwuchs bekommen. Knuffig und hamsterbackig, als wäre er einem Disney-Film entsprungen. Dieser Mini-Shuttle wird dieser Tage auf der Luftwaffenbasis Edwards auf seine ersten Flugtests vorbereitet. Dafür bringt ihn ein riesiger Erikson Air-Crane Hubschrauber auf eine Höhe von 4.000 Metern und wirft ihn dann ab. Danach wird er im Gleitflug auf dem Trockenbett der Luftwaffenbasis Edwards landen.

12.jpg

Der SIERRA NEVADA Dream Chaser. SIERRA NEVADA

In der Zwischenzeit wird auf der anderen Seite der USA, in Wallops Island, der Cygnus von Orbital Sciences auf seine erste Mission vorbereitet. Der Cygnus ist ein Frachtschiff für die Versorgung der ISS und wurde privat entwickelt, wenn auch mit finanzieller Beihilfe der NASA. Für seine Trägerrakete, die ebenfalls privat entwickelte „Antares“, ist es dann schon der zweite Start. Der erfolgreiche Erstflug, vorsichtshalber ohne Nutzlast, fand im April statt. Bei diesem zweiten Start wird der Cygnus in die Nähe der Internationalen Raumstation geflogen und dort getestet. Allerdings noch ohne anzukoppeln. Kontrolliert wird der Flug in den meisten Phasen natürlich auch nicht wie früher von der NASA, sondern vom neuen Orbital Kontrollzentrum in Dulles. Nur bei der Phase der Annäherung an die ISS hat die NASA wieder mitzureden. Schließlich ist die ISS ja in weiterem Sinne eine staatliche „Einrichtung“. Der Bereich um die Raumstation, in dem die Zuständigkeit der NASA herrscht, wird übrigens informell als „KOS-Zone“ bezeichnet, als „Keep Out Sphere“, also die „Bleib-Draußen-Zone“. Sollten Antares und Cygnus ihre Ziele erreichen, dann wird Orbital Sciences die erste reguläre Versorgungsmission zur Raumstation im Januar 2014 durchführen.

43.jpg

ORBITAL SCIENCES Antares. ORBITAL SCIENCES

11.jpg

ORBITAL SCIENCES Cygnus (Illustration). ORBITAL SCIENCES

Ist also alles in Butter im neuen Reich der privaten Raumfahrt? Nein, durchaus nicht alles. Wie immer und überall im Leben gibt es auch hier Licht- und Schattenseiten. Fangen wir daher gleich mit einem Nachruf an. Ein Unternehmen der ersten Stunde in der privaten Raumfahrt, Armadillo Aerospace, hat aufgegeben. Schon in den letzten Jahren war eine gewisse Ziellosigkeit zu erkennen, und die Richtung, in der es weitergehen sollte, blieb zunehmend unklar. John Carmack, der Gründer und Eigentümer hat Armadillo, wie er selbst sagt, in den Schlafmodus geschaltet. Es steht zu befürchten, dass es die ewige Ruhe werden wird. Carmack befasst sich jetzt mit einem anderen spannenden Gebiet, nämlich mit der Tiefsee. Ist ja auch nicht ganz schlecht.

Die private Raumfahrt ist in permanenter Bewegung. Fast im Wochenabstand tauchen Newcomer auf, doch die meisten von ihnen sind schon nach wenigen Monaten wieder weg vom Fenster. Es ist ein bisschen wie zur Zeit der „Barnstormer“ in der Luftfahrt der frühen zwanziger Jahre. 90 Prozent der Unternehmen, die aus dem Boden schießen wie die Pilze nach einem warmen Sommerregen verschwinden nach kurzer Zeit wieder. In den Tagen, in denen dieser Artikel entsteht sind das Unternehmen wie etwa die ShipinSpace Ltd. Es ist ein reines Powerpoint-Projekt, bei dem es noch nicht mal zu einer nett illustrierten Internet-Seite gereicht hat, sondern nur zu einem Facebook-Auftritt. Auch auf youtube ist nur ein schwachbrüstig animiertes Filmchen zu sehen.

Ein anderes Unternehmen, auch erst wenige Monate alt ist, ist die Swiss Space Systems. Während im EU-Europa eine hoch restriktive Bürokratie suborbitale Raumfahrt weder vorsieht noch zulässt, stellt die pragmatische Schweiz in dieser Hinsicht eine kleine Oase der Freiheit dar. Und nur deshalb, weil dieses Unternehmen in der Schweiz agiert, dürfte Swiss Space Systems eine minimale Chance für eine Weiterentwicklung haben.

Oder wie wäre es mit der B612-Foundation? Ihr Ziel ist es, sagenhafte 450 Millionen Dollar aufzutreiben, für keinen geringeren Zweck, als die Erde zu retten. Es geht um Asteroiden-Abwehr. Der Umstand, dass mit den namhaften Ex-Astronauten Ed Lu und Russell Schweickhardt zwei prominente Kapazitäten mit an Bord sind, wird verhindern, dass dieses Unternehmen sofort wieder in der Versenkung verschwindet. Man kann dennoch mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie noch nicht einmal die erste ihrer benötigten 450 Millionen zusammenbringen werden (ihr selbsterklärtes Ziel sind 20 Millionen im ersten Jahr). Somit können wir auch die B612-Foundation schon jetzt getrost vergessen, sie wird in Zukunft keine Rolle mehr spielen.

Viele Firmen, darunter auch manche, die mit durchaus realistischen Ansätzen in die New Space Szene eingestiegen sind, mussten nach einer Weile wieder aufgeben. Wer kennt heute noch AEREA, Aero Astro, Bristol Spaceplane, Canadian Arrow oder Cerulian Aerospace. Sie führen eine seitenlange Liste an, die nach fünf, sechs Dutzend anderen Unternehmen mit Namen wie Starcraft Boosters, Transorbital, Third Millienium Aerospace, The daVinci Project und TGV Rocket endet. Manche von ihnen existieren noch als Internet-Leiche, mit einem Datum im Impressum, an dem zu erkennen ist, wann der Eigentümer das gesunkene Schiff verlassen hat.

Einige wollten ihr Space Unternehmen unsinnigerweise in Europa oder gar in Deutschland aufbauen, dem Mutterland der Bürokratie und Technikfeindlichkeit. Ein solches Unternehmen ist Talis Enterprise mit ihrem Projekt Enterprise. Der Plan war gut, und Talis wollte mit einem technisch durchaus machbaren kleinen Raketenflugzeug in den suborbitalen Weltraumtourismus einsteigen. Nachdem man den rührigen Magdeburgern ein ums andere Mal Knüppel zwischen die Beine geworfen hat, ist die entnervte Truppe inzwischen nach Malaysia umgezogen, wo die Bedingungen offenbar (und hoffentlich) besser sind als hierzulande.

Und dann gibt es die Unternehmen, die schwer einzuschätzen sind. So wie Planetary Space. Deren zukünftiges Geschäftsfeld soll die bergmännische Ausbeutung von Asteroiden sein. Die Investoren des Unternehmens dürften zusammen 10 Milliarden Dollar schwer sein (Ram Shirarm, Charles Simony, Larry Page, Ross Perot, James Cameron und andere). Doch offensichtlich haben sie es dennoch nötig, schon für die erste Million (die benötigt wird, um die Entwicklung ihres Arkyd-Teleskops zu beginnen) auf Crowdfunding zurückzugreifen. Ich hätte erwartet, dass sie dieses Startgeld einfach mal kurz aus der Portokasse bezahlen. Verwunderlich ist aber, dass innerhalb kürzester Zeit 18.000 Menschen insgesamt 1,5 Millionen Dollar gespendet haben. Damit kann Phase 1 des Vorhabens gestartet werden, ohne dass einer der schwerreichen Investoren seine Geldbörse öffnen musste.

1.jpg

Arkyd Weltraumteleskop. Planetay Resources

Da ist die Sache mit Dennis Tito und seiner „Mission America“ zum Mars schon anders gestrickt. Dennis Tito, mancher erinnert sich noch daran, ist ein schwerreicher Unternehmer und der erste Wteltraumtourist überhaupt, der sich einen Flug zur Internationalen Raumstation selbst bezahlte. Er will das Vorhaben, das am Ende wahrscheinlich eher einen siebenstelligen als einen sechsstelligen Eurobetrag kosten wird, zumindest die ersten Jahre aus eigener Tasche finanzieren. Sein Plan: Schon 2018 will er eine kleine Crew bestehend aus einem Mann und einer Frau (er wünscht sich ein Ehepaar) auf eine Interplanetare Reise zum Mars senden. Das Raumschiff wird weder dort landen, noch auf eine Umlaufbahn um den Roten Planeten einschwenken, sondern auf einer freien Rückkehrbahn bleiben und nach 437 Tagen wieder auf der Erde zurückerwartet. Verrückte Sache, technisch machbar, wenngleich sicher nicht 2018 oder 2021 (da gäbe es das nächste Startfenster), aber vielleicht 2023. Dennis Tito ist als Mann der Tat bekannt, und er hat eine Vision.

45.jpg

Er bezahlt „Mission America“ fürs Erste. Unternehmer und „Privatastronaut“ Dennis Tito. ARCHIV REICHL

44.jpg

Die private “Mission America” ist eine Rundreise Erde – Mars – Erde. Nur ohne Landung. INSPRIATION MARS

Schon etwas unwahrscheinlicher ist dagegen die Realisierung von Mars One, das es sich zum Ziel gesetzt hat, bis zum Jahr 2023 Menschen auf dem Mars zu landen und dort eine Basis zu errichten. Was das Konzept des holländischen Unternehmers Bas Landsdorp so überraschend und vom Denkansatz her erfrischend macht: die teilnehmenden Astronauten können nicht wieder zur Erde zurückkehren. Sie müssen ihr gesamtes restliches Leben auf dem Mars verbringen. Das macht die Mission nicht nur technisch wesentlich einfacher, sondern auch günstiger. Und Landsdorps Argument, dass die Siedler, die im 16. Jahrhundert nach Amerika gingen oder im 19. Jahrhundert nach Südafrika ja auch nur ein „One-way-Ticket“ hatten, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Unterhalb der Ebene der Privaten Raumfahrt gibt es seit einer Weile auch noch die Hobby-Raumfahrer. Die rührigste Truppe ist dabei möglicherweise das Team von Copenhagen Suborbital, deren Ziel es ist, einen Menschen als Nutzlast einer Amateurrakete mindestens 100 Kilometer hoch – und damit nach Definition der FAI – in den Weltraum zu befördern. Sie müssen übrigens, es ist ein europäisches Unternehmen, ihre Starts weit draußen auf dem Meer in internationalen Gewässern durchführen.

15.jpg

Der Astronaut Randy Bresnik sitzt schon mal zur Probe in BOEINGs CST 100. BOEING

16.jpg

Rover „Asimov Jr. R3“ des deutschen Teams „Part-Time Scientists“ bei Fahrtests Ende April 2012 am Schlackenberg des Erzberg in Eisenerz, Österreich. PART TIME SCIENTISTS

Speziell für die Amateurebene wurde auch der Lunar Google X Price eingerichtet, ein Wettbewerb, bei dem es darum geht, einen Rover auf dem Mond abzusetzen, der dort mindestens 500 Meter zurücklegen soll. Dafür hat Google, der Sponsor der Aktion, 20 Millionen Dollar als Preisgeld ausgesetzt. Der Wettbewerb läuft noch bis zum 31. Dezember 2015. Bis dahin muss das Ziel erreicht sein, oder die Summe verfällt. Es gibt dazu auch noch Bonuspreise, für den Fall, dass man verschiedene Sonderaufgaben erledigt, wie zum Beispiel eine Rover-Fahrt über mehr als fünf Kilometer, das Auffinden und Fotografieren von Artefakten früherer Mondlandungen oder auch nur das Überstehen einer Mondnacht.

33 Teams sind ursprünglich angetreten, 24 sind zum Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen, noch im Rennen. Doch seien wir realistisch: Unter den genannten Bedingungen hat keine dieser Gruppen auch nur den Hauch einer Chance, bis zum Stichtag fertig zu sein. Jede dieser Gruppierungen ist zwar in der Lage, einen auf der Erde funktionierenden Rover zu bauen. Womöglich würde das eine oder andere dieser Fahrzeuge sogar unter günstigsten Bedingungen auf dem Mond ein paar Meter zurücklegen, bevor er für immer seinen Geist aufgibt. Was die meisten dieser Teams aber nicht ansatzweise verstanden haben liegt darin, dass diese Aufgabe ein astronautisches Problem ist und kein fahrzeugtechnisches. Das Problem ist also nicht der Rover. So etwas kann heute jeder halbwegs begabte Maschinenbaustudent zum Funktionieren bringen. 99,9 Prozent des Problems, das im Lunar Google X-Preis gelöst werden muss, besteht darin, diesen Rover heil auf die Mondoberfläche zu bringen. Doch statt sich intensiv der astronautischen Aufgabe zu widmen basteln und puzzeln die Wettbewerbsteilnehmer seit Jahren liebevoll an ihren kleinen Wägelchen herum. So wie die Wettbewerber heute aufgestellt sind, würde der Lunar Google X-Price nur dann funktionieren, wenn irgendjemand (die Chinesen hätten alle Voraussetzungen dafür) freundlicherweise erst einmal alle teilnehmenden Fahrzeuge einfach auf den Mond schaffen würde und die Landestufe dann zum Startpunkt des Unternehmens macht.

Doch zurück zu den „Profis“. Dort boomt und brummt es. Aus den kleinen, ziemlich zusammengeschustert aussehenden Draht-, Tank- und Triebwerksgestellen der nur wenige Jahre zurück liegenden Anfangszeit werden heute zusehends futuristischer wirkende, teilweise immense Fluggeräte. Stratolaunch beispielsweise investiert derzeit, gesponsert von Multi-Milliardär Paul Allen, eine gigantische Summe, um das größte Flugzeug der Welt zu bauen. Diese Maschine dient als Startbasis für die mit weitem Abstand größte Rakete, die jemals von einem Flugzeug aus gestartet wurde.

SpaceX baut auf der Luftwaffenbasis Vandenberg den Prototypen der Falcon 9 „Heavy“, der größten und leistungsfähigsten Trägerrakete seit den Tagen der Saturn V. In Cape Canaveral bereitet SpaceX gerade für seine schon bald bemannt fliegende Dragon-Kapsel derzeit einen so genannten „Launch Pad Abort-Test“ vor. Damit wollen sie ihrem institutionellen Kunden NASA nachweisen, dass sie ihre Astronauten selbst dann in Sicherheit bringen können, wenn die Falcon 9 – Gott bewahre – auf der Startrampe oder kurz nach dem Abheben explodieren würde. Zur selben Zeit lud Boeing schon einmal alle interessierten Kreise, vor allem den zukünftigen Kunden NASA, zum Probesitzen in seinem neuen bemannten Raumschiff, der CST 100 ein.

49.jpg

Die Falcon 9 Heavy startet – künstlerische Darstellung. SPACEX

Einige Unternehmen, wie zum Beispiel „Golden Spike“, Excalibur Almaz und natürlich wieder SpaceX wollen so bald wie möglich die Erdumlaufbahn verlassen und tiefer in den Weltraum vordringen. So wie einst die Apollo-Raumschiffe, die von Florida aus ihre Reise zum Erdtrabanten antraten. In dem Zusammenhang kommen wir wieder auf die verwaiste Startanlage 39B in Cape Canaveral zurück. Um die ist nämlich ein veritabler Streit zwischen SpaceX und Blue Origin ausgebrochen. Jeder von den beiden möchte sie gerne haben. Das ist ein gutes Zeichen, denn dann werden auch da die dazugehörigen Parkplätze bald wieder voll sein.

46.jpg

GOLDEN SPIKE hat private Mondlandungen im Visier – künstlerische Darstellung. GOLDEN SPIKE

17.jpg

Zumindest für SPACEX ist das Ziel der Mars. SPACEX

Powered Flight

47.JPG

Erster Flug mit Raketenantrieb am 29. April 2013. VIRGIN GALACTIC

Am 29. April 2013 hat die erste Flugeinheit des SpaceShipTwo (SS2), die Enterprise, den vielleicht wichtigsten Einzel-Testpunkt in ihrer Flugerprobung erfolgreich absolviert. Erstmals hatten dabei alle Komponenten des Systems zusammen gewirkt. Das Trägerflugzeug WhiteKnightTwo (WK2), das auf den Namen Eve getauft wurde, und das Raketenflugzeug selbst mit seinem Antrieb. Das bedeutet den Start in die entscheidende Phase des Testprogramms dieses weltweit ersten kommerziellen suborbitalen Raumfahrzeugs. Um den Jahreswechsel 2013/2014 soll, nach weiteren Testflügen mit stetig zunehmender Brenndauer des Raketenmotors, die von der „Fédération Aéronautique Internationale (FAI)“ als „Grenze“ zum Weltraum festgelegte 100-Kilometer Höhenmarke, auch als „Karman-Linie“ bezeichnet, überschritten werden.

Die Fakten des Fluges vom 29. April sind die folgenden: Der Raketenmotor von SS2 Enterprise war nach dem Absetzen vom Trägerflugzeug WhiteKnightTwo (WK2) für etwa 15 Sekunden in Betrieb. In dieser kurzen Zeit beschleunigte das Vehikel von etwa Mach 0,45 – der Geschwindigkeit der Kombination aus WK2 und SS2 im Moment des Abwurfs – auf Mach 1,2 und kletterte dabei in flachem Steigflug von der Absetzhöhe in 14.500 Metern auf eine Höhe von etwa 17.000 Metern. Insgesamt war es der 115. Flug von Eve und der 26. der Enterprise. Alle vorherigen Flüge der Enterprise waren Gleitflüge gewesen. Die Piloten an Bord von SS2 waren Mark Stucky und Mike Alsbury, die Cheftestpiloten des Programms. Von diesen beiden ist zumindest einer immer dann am Steuer, wenn es gilt, die „Envelope“ auszuweiten. Also Leistungsdaten und Grenzen zu überschreiten, welche die Enterprise bislang noch nicht erreichte.

Die Spannung hatte sich bereits lange davor aufgebaut. Obwohl es keine offiziellen Verlautbarungen gab, begannen sich schon Wochen vor dem ersten angetriebenen Flug die inoffiziellen Hinweise zu verdichten. Insbesondere die Tweets der Anwohner von Mojave – „Plane Crazy“ (Flugzeugverrückte) allesamt – die zum großen Teil bei den am Flughafen ansässigen Unternehmen wie Scaled Composites, Virgin Galactic, XCOR oder Stratolaunch arbeiten, meldeten zunehmende Aktivitäten vor Ort. Die Spekulationen über das Missionsprofil machten schon Tage zuvor in den Fachforen die Runde.

48.JPG

Start von „Eve“ mit „Enterprise“ unter dem Rumpf zum ersten raketenbetriebenen Flug. SCALED COMPOSITES

Tatsächlich hat es auch ganz schön lang gedauert. Viel länger, als es sich die Beteiligten (und die potentiellen Fluggäste) vorgestellt hatten. Offiziell ins Leben gerufen wurde das Vorhaben schon im Juli 2005. Der Erstflug des Trägerflugzeugs Eve – übrigens benannt nach Sir Richard Bransons Mutter –
hatte danach immerhin schon am 21. Dezember 2008 stattgefunden. Den ersten Solo-Gleitflug von SS2 gab es am 10. Oktober 2010. Die Durchführung raketenbetriebener Flüge musste aber wegen technischer Probleme immer weiter hinausgeschoben werden. Allerdings wurden auch in der Zeit der Gleitflugversuche schon wichtige Testpunkte abgearbeitet. Am 4. Mai 2011 wurde erstmals der patentierte Mechanismus erprobt, mit dem während des Fluges die Außenflügel nach oben geklappt werden können, wodurch man den Schwerpunkt des Vehikels nach unten verlagern und einen stabilen (aber dennoch ziemlich schaukeligen) Eintritt in die dichteren Luftschichten durchführen kann. Der Vorteil des eigenartig wirkenden Verfahrens ist es, dass man kein komplexes Lageregelungssystem mit Raketentriebwerken und aufwendiger Elektronik benötigt. Am 12. April wurde ein Cold-Flow Test während des Fluges durchgeführt. Das sah bereits recht spektakulär aus, wenngleich bei diesem Vorgang praktisch kein Schub erzeugt wird. Dabei wurde das Ventil- und Leitungssystem mit „richtigem“ Oxidator erprobt. Die Enterprise verwendet dafür Distickstoffmonoxid, besser bekannt als Lachgas. Die Sache ist durchaus kitzlig, wenn man sich vor Augen hält, dass sich bei einem ähnlichen Versuch – allerdings am Boden – am 26. Juli 2007 der bislang schwerste Unfall in der Geschichte der privaten Raumfahrt ereignete. Dabei kam es zu einer Explosion, bei der drei Techniker von Scaled Composites getötet und drei weitere schwer verletzt wurden.

50.JPG

Am 12. April 2013 fand ein so genannter „Cold Flow Test“ statt. VIRGIN GALACTIC

51.jpg

Erprobung des „Feather-Mechanismus“. VIRGIN GALACTIC

52.jpg

Testpilot Mark Stucky mit VIRGIN GALACTIC - Chef Sir Richard Branson (mit Sonnenbrille). VIRGIN GALACTIC

Nun steht die Erweiterung des „Flight Envelope“ an. Diese Phase dürfte vergleichsweise wenige Flüge umfassen, wahrscheinlich nur acht bis zehn. Dann sollte die Enterprise ihre „Zielhöhe“ von gut 100 Kilometern erreicht haben. Um sich an diese Höhe heranzutasten wird die Brenndauer des Raketenmotors von Flug zu Flug in Inkrementen von etwa 5 – 10 Sekunden verlängert. Danach werden noch einige Flüge mehr notwendig sein, um die Zertifizierung für den Personentransport zu erreichen. Dafür darf man wohl ein bis zwei Dutzend weitere Flüge ansetzen. Die daran anschließenden ersten Passagierflüge stellen zunächst noch eine Erweiterung der Testphase dar, eine Art Vor-Indienststellungsphase. Alle Flugteilnehmer müssen übrigens einen „Liability Cross-Waiver“ von Virgin Galactic unterzeichnen: Einen gegenseitigen Verzicht auf Schadenersatz für den Fall, dass irgendetwas passiert.

Sir Richard Branson ist der Mann, der die Entwicklung dieses Systems angestoßen hat und derzeit etwa zwei Drittel der Vorfinanzierung des Vorhabens alleine trägt. Das restliche Drittel wird von einem arabischen Investor aufgebracht, nämlich der in Abu Dhabi ansässigen Aabar Investments PJS, mit seinem CEO Mohamed Badawy Al-Husseiny. Man spricht von bislang aufgelaufenen Kosten in Höhe von etwa 400 Millionen Dollar. Das will erst einmal amortisiert werden. Sir Richard hat schon anklingen lassen, dass er beim ersten der Vor-Indienststellungsflüge persönlich mit an Bord sein will. Zum einen, weil er als Abenteurer (bekannt von seinen Weltumfliegungen mit dem Ballon oder seinen Tiefsee-Erkundungen) sich diesen Kick natürlich nicht nehmen lassen will, zum anderen natürlich der Werbewirkung wegen. Die danach anschließenden Einsätze sind den so genannten „Foundern“ vorbehalten. Das sind die Passagiere, die von Anfang an an das Konzept geglaubt, sich schon früh zu diesem Abenteuer entschlossen haben und dafür in finanzielle Vorleistung gegangen sind. Und, das sollte man auch nicht übersehen, die auch bereit sind, das bei diesen frühen Einsätzen deutlich erhöhte Risiko mitzutragen.

Bei einem dieser allerersten Flüge wird auch Sonja Rohde dabei sein und damit zur ersten deutschen Frau im Weltraum werden. In der relativ langen Zeitspanne zwischen dem ersten und dem zweiten angetriebenen Flug setzte Virgin Galactic das Testprogramm von WhiteKnightTwo fort. Außerdem wurden einige weitere Gleitflüge mit der Enterprise durchgeführt. Vor allem aber fanden eine Reihe statischer Brenntests mit den Raketentreibsätzen auf Prüfständen am Boden statt. Ein besonders wichtiges Datum war dabei der 17. Mai. An diesem Tag fanden gleich zwei Triebwerksversuche statt. Beim ersten wurde ein absichtlich mit Defekten versehener Motor getestet, beim zweiten Versuch des Tages wurde ein Treibsatz über die volle Dauer eines Einsatzfluges gefeuert.

18.JPG

Sonja Rohde und Eugen Reichl im Gespräch bei Yuris Night 2013 im Prater-Planetarium Wien. Jürgen Wrba

Inmitten dieses intensiven Testprogramms hat Virgin Galactic auch zwei namhafte Piloten, die neu ins Programm gekommen sind, auf WK2 und SS2 trainiert. Der eine ist der ehemalige Shuttle-Commander Rick Sturckow, der andere ist der ehemalige U2-Pilot Michael Masucchi. Masucchi hat mehr als 9.000 Flugstunden auf mehr als 70 Flugzeugtypen absolviert und war Fluglehrer an der Testpilotenschule der Luftwaffe.

Sturckow hat mehr als 6.500 Flugstunden auf mehr als 60 verschiedenen Flugzeugtypen absolviert. Er flog viermal mit dem Shuttle, davon zweimal als Commander und verbrachte insgesamt 1.200 Stunden im Orbit.

Der zweite raketenbetriebene Flug fand am 6. September 2013 statt. Am Steuer der Enterprise waren dieses Mal Mark Stucky und Clint Nichols und absolvierten eine Brenndauer von 20 Sekunden. Dabei erreichten sie eine Höhe von 21.000 Metern und eine Geschwindigkeit von Mach 1,6. Erstmals wurde auch der „Feather-Mechanismus“ nach einem raketenbetriebenen Flug in Betrieb genommen, so dass bei dieser zweiten angetriebenen Mission alle Features einer zukünftigen Raumflugmission in der normalen Abfolge erfolgreich erprobt wurden. Auffallend beim zweiten Versuch war auch das wesentlich sauberere Abbrand-Verhalten des Hybrid-Triebwerks.

Trotz des Funktionierens des Hybridmotors ist es ein offenes Geheimnis, dass Virgin Galactic mittelfristig das Antriebssystem von SS2 wechseln wird. Das derzeit eingesetzte Triebwerk verwendet eine Feststoffkomponente als Treibstoff (Hydroxyl-terminiertes Polybutadien, kurz HTBP) und eine Flüssigkomponente als Oxidator (N2O, also Stickoxid). Während der Tests hat sich jedoch herausgestellt, dass das HTBP die Tendenz hat, sich gegen Ende des Abbrandes in größeren Stücken aus dem Treibsatz zu lösen und dabei möglicherweise die Düse zu verstopfen. Sollte das Problem nicht abgestellt werden können, dann wird man die Brenndauer limitieren müssen, mit dem Ergebnis, dass eine Höhe von 100 Kilometern nicht erreicht werden kann. Virgin arbeitet jedoch im Rahmen eines anderen Projektes (Launcher One) an der Entwicklung eines ausschließlich mit flüssigen Treibstoffen arbeitenden Raketenmotors, der mit Kerosin und flüssigem Sauerstoff betrieben wird. Dieses neue Aggregat wird wohl zukünftig Enterprise und ihre Nachfolger antreiben. In der Zwischenzeit hat die SpaceShip Company, die sich im Besitz von Virgin Galactic befindet, die Fertigung der nächsten Einheiten von SpaceShipTwo und WhiteKnightTwo übernommen. Zuständig für dieses Serienfertigungsprogramm wird Doug Shane in seiner neuen Funktion als Vizepräsident und General Manager sein. Shane arbeitete zuvor 31 Jahre lang bei Scaled Composites, zu Beginn als Testpilot, die letzten fünf Jahre als Präsident. Die beiden nächsten Einheiten von WK2 und SS2 befinden sich dort bereits in einem fortgeschrittenen Fertigungsstadium. Die zweite SS2-Einheit wird den Namen Voyager bekommen, der zweite WK2 wird auf Spirit of Steve Fossett getauft. Er war der Miteigentümer von Scaled Composites und langjährige Kontrahent von Richard Branson beim Versuch, die Erde Nonstop in einem Ballon zu umfahren.

SS2 wird seine “Passagierflüge” anfänglich von New Mexicos Spaceport America aus durchführen. Es zeichnet sich aber ab, dass als zweite Basis das Kennedy Space Center erwogen wird, wo die Shuttle Landing Facility mit ihrer fünf Kilometer langen und 100 Meter breiten Runway ein idealer Startpunkt wäre. Vor allem auch, weil am Cape jegliche denkbare Infrastruktur schon vorhanden ist. XCOR hat bereits für die Flüge des Lynx diese Anlage in Erwägung gezogen und Sierra Nevada für den Dream Chaser ebenso. Die Shuttle Landing Facility könnte somit zur logischen Basis für die Durchführung von suborbitalen Flügen für Wissenschaftler und Privatleute werden.

19.JPG

Die Kondensstreifen nach der Trennung vom „Mutterschiff“ VIRGIN GALACTIC