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Ammianus-Verlag

Autor

Günter Krieger, Jahrgang 1965, lebt in Langerwehe-Schlich. Die ersten Lebensjahre verbrachte er auf Schloss Merode, wo sein Vater als Kastellan tätig war. Seit 1999 ist Krieger freier Autor und verfasst unter anderem Historienromane, die in seiner Heimat spielen. Bekannt wurde er durch seine Merode-Trilogie. Im Ammianus Verlag erschienen bisher sein Mittelalterepos »Die gefangenen Seelen« sowie die Trilogie um »Richarda von Gression«.

Nach »Merode – Geschichten rund um ein Schloss« ist das vorliegende Werk ein weiterer Band aus einer Reihe, die sich erzählerisch geschichtsträchtigen Orten der Region widmet.

Mehr über den Autor im Internet:

www.guenter-krieger.de

Günter Krieger

Nideggen
Geschichten rund um eine Burg

Impressum

© 2016 Ammianus GbR Aachen

Alle Rechte vorbehalten. Der Druck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und Verbreitung des Werks in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf digitalem oder sonstigem Wege sowie die Verbreitung und Nutzung im Internet dürfen nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung des Verlags erfolgen. Jede unerlaubte Verwertung ist unzulässig und strafbar.

Umschlaggestaltung: Thomas Kuhn unter Verwendung eines
Gemäldes von Agnieszka Krieger
Copyright Illustrationen: Agnieszka Krieger
Lektorat:
Melanie Kaesler
Satz: Michael Mingers
Druck: tz-verlag

ISBN print: 978-3-945025-50-5
ISBN ebook: 978-3-945025-74-1

www.ammianus.eu
www.facebook.com/AmmianusVerlag

Widmung

Gewidmet allen »Buschweibchen«,

die am liebsten im Verborgenen wirken

Es wohnten zwei Brüder ...

... auf der Nideggen gegenüber auf einem Bergkegel gelegenen Burg Bergstein. Zwischen ihnen brach Unfriede aus, und der eine zog von Bergstein weg und baute sich auf der anderen Flussseite eine neue Burg, die von den Bewohnern der Gegend, weil sie der Zwietracht und dem Neide zwischen den beiden Brüdern ihren Ursprung verdankte, Neid-Eck genannt wurde. Der Herr der Burg Neid-Eck belagerte bald darauf seinen Bruder in Bergstein, erstürmte und zerbrach dessen Schloss und baute von den Steinen desselben den gewaltigen Burgturm in Nideggen, der davon jetzt noch der Jenseitsturm genannt wird.

Soweit der volkstümliche Erklärungsversuch des Ortsnamens durch den Sagensammler Heinrich Hoffmann. Um 1177 muss mit dem Bau der Höhenburg Nideggen begonnen worden sein – als Gegenburg zur Reichsburg Bergstein. Im Mittelalter blieb Nideggen Residenz der Jülicher Grafen, die 1356 die Herzogswürde erhielten. Sie zählten zu den mächtigsten Fürsten, was Nideggen zu einem wichtigen Machtzentrum im Westen des Reiches machte. Berühmt-berüchtigt sind die Gefangennahmen prominenter Zeitgenossen durch den nicht weniger berühmt-berüchtigten Grafen Wilhelm IV.: Im Laufe seiner Regentschaft hielt er gleich zwei Kölner Erzbischöfe in seinem Bergfried gefangen. Auch davon wird noch die Rede sein.

Bei der Betrachtung der überlieferten Sagen rund um die Burg fällt auf, dass übermäßig häufig Gespenster, grauenerregende Wesen und ruhelose Geister eine tragende Rolle spielen. Nideggen als ein auserwählter Ort schauriger Mären? Natürlich hat auch dieser Umstand bei der Auswahl der Geschichten eine Rolle gespielt. Noch heute kann es dem fantasiebegabten Besucher von Burg Nideggen einen Schauder über den Rücken jagen, wenn er im einstigen Verlies der Kölner Erzbischöfe unter dem sogenannten »Angstloch« steht (einer Deckenöffnung, damals der einzige Zugang zu diesem finsteren Ort), und sich vorstellt, wie die Gefangenen dort geschmachtet haben.

Die Burg, so prächtig sie sich nach wie vor darstellt, ist zu großen Teilen nur noch eine Ruine. Der ehemalige Wohnturm beherbergt heute das Burgenmuseum, das nicht nur einen Besuch lohnt, sondern auch wegen der regelmäßig dort stattfindenden Events und Ausstellungen Aufmerksamkeit verdient.

Ich wünsche Ihnen viel Freude mit der Lektüre.

Günter Krieger

Burg Nideggen um das Jahr 1400

Ausflug ins Altertum

Neulich bekam Gregor, der seit zwei Jahren in Abenden lebt, Besuch. Ein alter Schulfreund, den es vor geraumer Zeit ins Ruhrgebiet verschlagen hatte, machte ihm über das Wochenende seine Aufwartung. Achim, so der Name des Kameraden, hatte an Körpergewicht tüchtig zugelegt und musste sich deshalb Gregors Spötteleien gefallen lassen.

»Was soll ich machen?«, seufzte der Übergewichtige, »ich sitze den ganzen Tag am Schreibtisch oder in blöden Konferenzen, und abends bin ich zu kaputt, um mich noch großartig zu bewegen.«

»Tja, Karriere oder Spaß, beides geht wohl nicht zusammen, was?«, grinste Gregor.

»Weißt du noch? Damals?« Versonnen starrte Achim in sein Weinglas. »Was haben wir nicht alles unternommen! Tja, da war ich ja auch noch rank und schlank.«

»Was ist denn eigentlich aus deiner Begeisterung für antike Geschichte geworden?«, hakte Gregor nach. »Du hast dich doch immer so sehr für die ollen Römer und Kelten interessiert. Liest du immer noch so viel darüber?«

»Wann denn? Abends bin ich ...«

»... zu kaputt, ich weiß. Ich habe eine Idee: Wollen wir morgen mal wieder die alten Zeiten aufleben lassen?«

»Klar, läuft. Was hast du vor?«

»Nur eine Wanderung.«

»Du weißt aber, dass es mit meiner Kondition nicht weit her ist?«

»Keine Angst. Nennen wir es besser einen kleinen Ausflug. Es gibt zwar ein paar Höhenmeter zu überwinden, aber die merkt man eigentlich kaum.«

»Hoffentlich. Wohin willst du mich führen?«

»In die Vergangenheit.«

»Ein Ausflug in die Vergangenheit, das ist mal ein Wort.«

»Lass dich überraschen.«

Im Badewald trifft man häufig auf kreisförmige Mulden –
wenn man nur genau hinschaut!

Anderentags machten sie sich nach einem ausgiebigen Frühstück auf den Weg in den herrlichen Frühling.

»Reizender Ort, dein Dörfchen«, sagte Achim und schaute sich alles genau an. »Also, raus mit der Sprache. Wohin gehen wir?«

»In den Badewald!«

»Wie jetzt? Kann man da baden?«

»Nicht wirklich. Der Name rührt von dem Ortsnamen ›Badua‹ her. Alte Sagen wissen von einer untergegangenen römischen Stadt zu berichten.«

»Wow! Ein Atlantis mitten in Europa.«

»Na ja, nicht ganz. Als das Römische Reich im fünften Jahrhundert zerfiel, verwahrlosten auch die Provinzen mitsamt ihren kulturellen Errungenschaften. Den Menschen muss das damals wie ein Untergang vorgekommen sein. Aber unsere Reise führt uns noch viel weiter in die Zeit zurück. Hast du jemals von Aduatuca gehört, du alter Römerfan?«

Achim dachte scharf nach, während ein sanft ansteigender Feldweg sie Richtung Waldrand führte. »Aduatuca – da klingelt was. Haben Julius Cäsars Truppen da nicht gewaltig eins auf die Fresse gekriegt?«

»So kann man’s von mir aus auch nennen. Aduatuca war eines der befestigten Lager Cäsars im Gallischen Krieg. Irgendwo zwischen Maas und Rhein, wie man vermutet. Der Eburonenfürst Ambiorix lockte die Römer in eine Falle. Das war im Jahr 54 vor Christus. Am Ende waren zehntausend römische Soldaten tot.«

»Ja, davon habe ich tatsächlich schon einmal gehört! Früher habe ich mich immer gefragt, warum noch keiner einen Film daraus gemacht hat. Sowas wie ›Gladiator‹ oder so. Okay, aber was hat das eigentlich mit unserem Ausflug zu tun?«

»Es gibt nicht wenige Heimatforscher, die den Badewald, oder das, was heute noch von ihm übrig geblieben ist, für das historische Aduatuca halten. Wenn du daran glauben möchtest, kannst du jetzt dein Kopfkino einschalten. Der Boden, auf dem du gehst, ist ein Schlachtfeld.«

Achim blieb stehen, um zu verschnaufen, horchte dabei in die Umgebung. »Klar, ich höre schon den Waffenlärm und die Todesschreie der Legionäre. Arme Schweine!«

»Folgt man dem Heimatforscher Andreas Pohl, lag das römische Lager an der Stelle der heutigen Burg Nideggen. Los, weiter jetzt, du müder Städter. So viel frische Luft bekommen deine Lungen nie wieder.«

»Und so viel geschichtsschwangere Luft ...«

»Noch bevor die Römer kamen, sollen Kimbern und Teutonen hier Halt gemacht haben. Du weißt schon, diese schlimmen Jungs, die den Römern ziemlich viel Sorge bereitet haben, bevor der Feldherr Marius sie in Norditalien in offener Feldschlacht besiegte.«

»Aber woher will man wissen, dass die hier gerastet haben?«

»Das ist ebenfalls auf Cäsars Mist gewachsen, denn fünfzig Jahre später beschreibt er die Aduatuker in seinem Bello Gallico als Abkömmlinge der Kimbern und Teutonen. Vielleicht hat er ja noch deren Fliehburgen hier vorgefunden. In diesem Zusammenhang muss man auch die geheimnisvollen Krater erwähnen, die hier querwaldein zu finden sind. Manche mit mehr als fünfzig Metern Durchmesser.«

»Krater? Ist hier etwa ein Meteoritenschauer niedergegangen?«

»Interessante Hypothese. Doch auch hier wollen wir es lieber durch die geschichtliche Brille sehen. Obwohl keiner genau weiß, was es mit den Kratern auf sich hat, lautet die gängige Erklärung, dass es sich um von Menschen gemachte Wohngruben besagter Kimbern handelt.«

»Wohngruben – hört sich nicht gerade komfortabel an.«

»Wandernde Völker mussten sich zum Überwintern eben etwas einfallen lassen. Für dich, mein luxusorientierter neuzeitlicher Freund, hätten sie bestimmt ein Haus gebaut.«

»Davon gehe ich aus.«

»Apropos Haus: Reste von römischen Villen und Tempelanlagen gibt es in der Gegend reichlich. In den Feldern stoßen Bauern immer wieder auf Ziegelreste aus der Römerzeit. Als das Gebiet erst einmal von den Römern erobert war, war es mit der germanischen und keltischen Hinterwäldlerei vorbei. Wenn auch nur eine Provinz, so entstand hierzulande eine recht dichte Besiedlung. Wer behauptet, hier sei der römische Arsch der Welt gewesen, der irrt.«

»Jawohl, Herr Professor.«

»Kannst du noch?«

»Ob ich’s bis ins Mittelalter schaffe, kann ich dir nicht versprechen.«

»Keine Sorge, wir bleiben altertümlich. Die Burg in Nideggen zeige ich dir heute Nachmittag, sofern du dann noch Lust auf Mittelalter hast. Aber jetzt noch ein Rätsel!« Gregor deutete auf den grünen Hang zu seiner Rechten. »Siehst du die Wiesen?«

»Sind kaum zu übersehen.«

»Was fällt dir auf?«

»Die Terrassierung. Hübsch, hübsch.«

»Hast du eine Idee, was diese terrassenförmigen Wiesen zu bedeuten haben?«

»Ich vermute mal, man hat da Wein angebaut, Herr Jauch.«

»Wäre zumindest der naheliegendste Schluss. Wenn es da nicht ein Problem gäbe.«

»Und welches?«

»Der Hang liegt nordwärts. Nordwärts baut man bekanntlich keinen Wein an.«

»Leuchtet ein. Wozu also die Terrassierung?«

»Möglicherweise sind sie durch oberflächigen Erzabbau entstanden, aber letztlich weiß man es nicht mit Gewissheit. Es bleibt ein Geheimnis.«

»Dieser Wald scheint nur aus Geheimnissen und Legenden zu bestehen.«

»Genau so ist es. Man kann sich seiner Mystik nicht entziehen.«

Achim hatte längst Blut geleckt. Sein Schreibtisch war weit weg, und der triste Alltag konnte ihm bis Montag gestohlen bleiben. »Hast du noch mehr Rätsel auf Lager?«

»Hügelgräber, Hohlwege, Wallanlagen – was willst du sehen?«

»Alles, alter Freund! Alles!«

Merkwürdige Terrassierung im Badewald im Bereich der
Quelle des Neffelbachs: Lag hier möglicherweise eine alte Kultstätte?

***

Bei einem Spaziergang durch den Badewald folgt man am besten dem Weg mit dem Wanderkennzeichen Nr. 77. Nach knapp sieben Kilometern und eineinhalb Stunden gelangt man wieder zurück an den Ausgangspunkt am Bahnhof in Abenden. Der Streifzug durch die Geschichte, vorbei an uralten Laubbäumen und zahlreichen historischen Spuren, wird zudem mit wundervollen Ausblicken belohnt.

Sind Aduatuca und das legendäre Badua identisch? Erlebten Cäsars Legionäre in und um Nideggen tatsächlich ihr Waterloo? Der Heimatforscher Andreas Pohl († 1962), ein Pfarrer aus Blens, war jedenfalls davon überzeugt und legte seine Theorien in zahlreichen Publikationen dar. Wer sich näher mit der Thematik beschäftigen möchte, sei auf seine Schriften verwiesen. Oder auf einen Besuch der Webseite des Heimat- und Geschichtsvereins Nideggen, wo man vieles nachlesen und nach Herzenslust schmökern kann.

Heimatforschung ist ein weites Feld. Fairerweise muss gesagt werden, dass es noch andere Theorien gibt, wo Cäsars Aduatuca gelegen haben kann. Einer der Favoriten für diesen Ort liegt bei Eschweiler, mehr als 20 Kilometer Luftlinie vom Badewald entfernt. Ob man jemals Gewissheit erlangen wird?

Apropos Schlachtfeld: Gregor hätte seinen alten Kumpel auch zur Wollersheimer Heide führen können, die ebenfalls zur Gemeinde Nideggen gehört. Hier hat im Jahre 496 die berühmte Schlacht bei Zülpich (lateinisch für Tolbiacum; der Geschichtsschreiber Gregor von Tours nennt den Ort Tulbiac) getobt: Der Frankenkönig Chlodwig besiegte seine alemannischen Kontrahenten. Weltgeschichtliche Bedeutung hatte die Schlacht, weil Chlodwig sich nach seinem Sieg als erster Germanenkönig zum Katholizismus bekehrte und sich taufen ließ.

Allerdings äußern manche Historiker wieder Zweifel an der Lage des Schlachtortes bei Zülpich. Tulbiac, so das Argument, müsse weiter südlich gelegen sein, da es so weit im Norden keine Alemannen gegeben habe.

Ich sagte es, ein weites Feld, das alles!