Anhang


Theobald Rieth SJ, Geh und tu desgleichen – für arbeitslose Jugendliche. Projekt Aachen, in: Michael Albus (Hg.), Die Welt ist voller Hoffnung – Ein Buch der guten Initiativen, Mainz 1984.


Ohne Hauptschulabschluss kaum Chancen


Herbst 1973. Zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland kommt beim Genuss des Wirtschaftswunders verantwortlichen Politikern und nachdenklichen Bürgern so etwas wie Unbehagen auf: Nicht mehr einzelne, sondern ein ganzer Schwung Jugendlicher, die die Schule verlassen, bekommen keine Lehr- und Arbeitsstelle mehr.

Wie immer, die Schwächsten werden zuerst „gebissen“ – hier die Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss: Abgänger der 7. und 8. Klassen und der Sonderschule.

Die politische Antwort kommt schnell über die Schulbehörden: mit den Jugendlichen ohne Lehrstellen noch ein zusätzliches Jahr in die beruflichen Schulen! Zuerst wird das Jahr in Nordrhein-Westfalen „Förderlehrgang“, dann „Berufsvorbereitungsjahr“ (BVJ) genannt.

Die amtlichen Richtlinien stellen nach einiger Zeit zu dieser Entscheidung lapidar fest „Das Berufsvorbereitungsjahr ist für Schüler, die sich noch nicht für einen Beruf entschieden haben, noch nicht berufsreif sind oder keinen Arbeitsplatz erhalten haben, eine wesentliche Hilfe beim Übergang in das Beschäftigungssystem.“

Sie fordern für dieses Jahr unbeschwert von den Lehrern an den berufsbildenden Schulen, das Wunder zu vollbringen, den Jugendlichen „in seiner personalen, sozialen und beruflichen Kompetenz so (zu) fördern, dass er fähig wird:

Den nachdenklichen Bürgern – und dazu zählen wir uns – bleibt das Wie, das Wunder der Ausführung.


Mit der „Förderklasse“ in die Almhütte


Wolfgang K., 35 Jahre, verheiratet, 3 Kinder, Lehrer für Sport und Katholische Religionslehre an einer gewerblichen Schule in Aachen, kommt im September 1973, am Beginn des Schuljahres zu mir. Er arbeitet mit Helmut H., dem Berufsschulpfarrer, zusammen, der keinen Jungen nach der Schulzeit ohne Stelle sitzen lässt, der nicht rastet und ruht, bis alle untergebracht sind.

Ich bin als Jesuit in der Jugendarbeit in Aachen tätig.

Wolfgang sieht die Überforderung der Jugendlichen durch einen rein schulisch ausgerichteten Unterricht. Er ahnt voraus, was zwei, drei Jahre später für das „Berufsförderungsjahr“ Wirklichkeit wird: zwei Drittel der „schulpflichtigen“ Jugendlichen erscheinen nicht mehr. Das Drittel, das kommt, ‚sitzt‘ die Zeit ab. Wolfgang: „Die Jungen müssen Freude an dem gewinnen, was wir ihnen anbieten. Dieses ‚letzte‘ Schuljahr wird nur dann zur Chance für die Jungen, wenn sie selbst mitziehen. – „Du hast eine Selbstversorgerhütte in den Alpen. Du gehst ja auch mit Deinen Gruppen dorthin, wenn Du sie gewinnen und zum eigenen Engagement anstoßen willst. Wie wär das, 14 Tage mit den Jungen zusammenleben? Aufeinander angewiesen sein in Dick und Dünn!“ – „Hm – wenn du meinst …“

Mir gehen erst einmal die belastenden Erlebnisse der Kurse mit Kindern und Jugendlichen aus „Sozialen Brennpunkten“ durch den Kopf: am Anfang Schlägereien, Quälereien untereinander, Chaos beim Essen und auf den Toiletten, in den Schlafräumen …

Die Hütte liegt 1600m hoch in den Radstätter Tauern in Österreich, 12 km vom nächsten Ort, 3 km von einem Skizentrum entfernt. Die Hütte, ein Blockhaus, ist in freiwilligen Arbeitseinsätzen ohne öffentliche Hilfe ausgebaut worden und hat sich selbst zu tragen.

Mit ihren Bedingungen gibt sie das Modell eines „autarken Gemeinwesens“ wieder. Nichts ist dort an zivilisatorischen Errungenschaften selbstverständlich. Für alles muss sachgerecht vorgesorgt werden, die Verteilung muss geplant sein, und alle „Einwohner“ werden in die Verantwortung und Durchführung einbezogen – sonst bricht das „Gemeinwesen“ zusammen. Das gilt für Heizung und Licht, für Wasserver- und entsorgung, für Verpflegung und Kochen, für die Müllbeseitigung … Nichts ist hier selbstverständlich.

Dann tauchen in der Erinnerung auch die beglückenden Erlebnisse auf: Das, was Freude gemacht hat, und wie wir das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen gewonnen haben. Ja, im Winter – stimmen Wolfgang und ich überein – in dieser faszinierenden Bergwelt und mit all den Möglichkeiten des Skilaufens. Wir wollen die Jungen mit dem anstecken, was auch uns Freude macht. Spiel und Sport als Freiräume, in denen sich Leben öffnet, Menschen aneinander und miteinander Freude haben, sich herausfordern und gegenseitig bestätigen, erscheinen uns als greifbare Chancen, Selbstvertrauen, Mut zu Leistungen und Impulse für die Zukunftsgestaltung auch bei den Jungen zu wecken.

Im Zusammenspiel von eigener Bestätigung und sozialen Verpflichtungen soll dann gelernt werden, dass einer sich auf den anderen verlassen kann. Ihr Eigenwohl im Gemeinwohl soll die Jungen zwingen, aufeinander zuzugehen, sich anzupassen oder sich durchzusetzen, Wünsche offenzulegen und zu begründen. Dann lassen sich Stärken und Schwächen ertragen. Sie sollen erfahren, wo Regeln und Umgangsformen nötig sind, wo sie anfangen, leer zu werden und neugestaltet werden müssen. Das Experiment gelingt.

Auch die schulische Situation ändert sich. Die Jugendlichen ziehen mit den Lehrern an einem Strick: Stellensuche für das Ende des Lehrgangs – Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung.

So ist die Schule doch noch eine Chance – vielleicht die letzte für die Jungen, „spielend“ in einer vorgegebenen geschlossenen Gruppe „personale und soziale Kompetenz“ zu lernen. Das Erleben von Kameradschaft, Ergänzung und Angenommensein steht oft in einem scharfen Gegensatz zu den disqualifizierenden und diskriminierenden Erfahrungen ihrer letzten Jahre. Dieses Erleben soll wiederum „Modellcharakter“ gewinnen für die spätere Lebensgestaltung – auch hoffentlich in einer normalen beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung. Und weil der Kurs im Januar 1974 so überraschend gut gelingt, organisieren wir für Dezember 1974 und Januar 1975 zwei solcher Kurse: Zu Hans-Heinz C., dem Fachleiter für Sportreferendare, der schon die erste Fahrt mitgestaltete, kommt Hermann I., Dipl. Ing.. Wir sind ein Team.

Besuche in den Familien


Die am gleichen Strick ziehen, die Jungen und das Team sind zu wenig! An den Jugendlichen hängen Belastungen, die wir und sie nicht abstreifen können – nicht dürfen und nicht wollen: ihre Familien, ihre Herkunft. Kaum ein Junge kommt aus einer „vollständigen“ Familie. Ein Großteil der Familien bekommt Sozialhilfe. Eine ganze Reihe Eltern können kaum lesen und schreiben, und bei den Jugendlichen reicht es oft auch nicht viel weiter.

Die Familien müssen mit am Strick ziehen, damit die Zukunft ihrer Kinder gelingt. Die Lehrer beginnen mit Elternbesuchen. Hier Berichte von ihnen.

Der Hintergrund wird deutlich, aus dem das Schicksal der Jungen wächst:


Herr X. ist der Stiefvater von Hans. Er ist zum zweiten Mal verheiratet mit der Mutter von Hans. Sie ist auch anwesend. Hans selbst nicht. Beide schimpfen über die Ämter. Herr X. ist seit 6 Jahren arbeitslos – lungenkrank. Er macht einen ausgezehrten Eindruck. … Er schimpft vor allem darüber, dass man ihm nahegelegt hat, seine Frau (52 Jahre), die 8 Kinder großgezogen habe, solle noch einmal berufstätig werden.

Er bekommt Sozialhilfe. Er zeigt mir einen Beleg über Arbeitslosenhilfe von 343,56 DM monatlich. Davon gingen 300 DM gleich weg an Miete.

Die Wohnung ist klein, einfach eingerichtet – sehr sauber. Er ist stolz, die Küche selbst renoviert zu haben.

Das Elternpaar ist sehr freundlich und offen, etwas unsicher – sie wollen mit mir für Hans zusammenarbeiten.


Herr Y. gut 40 Jahre, Flucht als Jugendlicher während eines Aufstands in einem Ostblockland, seit 2 Jahren arbeitslos. Seine Frau ist Aachenerin, 5 Kinder.

Herr Y. erzählt mir, dass er gern ein Bier trinkt – er hat schon getrunken. Anton kommt, seinetwegen bin ich da, sein Vater fragt ihn nach seinem Verständnis für Bierkonsum. Anton wird aggressiv. Ich trinke ein Bier mit.

Herr Y. hat seinen Führerschein verloren – wegen Alkohol. Er saß 2 Jahre im Gefängnis, weil er ohne Führerschein alkoholisiert einen Mann angefahren hat. Die Arbeitslosigkeit mache ihn krank, er denke an den Tod.

Die Mutter schweigt die ganze Zeit. Sie erhalten Sozialhilfe. Wir wollen für Anton zusammenarbeiten. Ich muss mich losreißen, Herr Y. will unbedingt noch ein Bier mit mir trinken, er fällt mir um den Hals …


Frau R. steht allein mit 4 Kindern. Sie ist sehr unsicher und nervös. Auch sprachlich hat sie Schwierigkeiten. Ihre Gesundheit erscheint mir bedenklich – sie zittert, hat ein aufgeschwemmtes Gesicht, hochrot.

Sie ist wütend über ihren Sohn Helmut. Sie zeigt mir Zeugnisse. Sie dokumentieren, dass er nach anfänglich guten Leistungen in der Hauptschule total abgesackt ist. Sie meint, er sei nur stur und wolle nicht. Direkt rüde ist ihr Ton mit den anderen Kindern. Sie bekommt Sozialhilfe. Die Wohnung macht einen verwahrlosten Eindruck. Sie blockt ab für die Zusammenarbeit, könne es selbst schaffen. Helmut kommt und ist sehr reserviert.


Es ist klar: Jetzt müssen die Ämter auch mitziehen – das Sozialamt, das Jugendamt. Und sie tun es. Aus zwei Kursen jährlich werden drei auf der Hütte in den Bergen.

Was sich in den Elternbesuchen, in der Vorbereitung auf den „Kernkurs“ in den Bergen und im Zusammenleben während des Kurses entwickelt, muss während des ganzen Jahres erhalten und verstärkt werden. Der Sport bleibt das Curriculum: Kajak-Fahrten übers Wochenende auf Wildbächen in der Eifel.

Was für die Hütte in den Alpen schon vorher gewachsen ist, wird jetzt auch als Basis für die Sportaktivitäten geschaffen: Ein Verein wird gegründet, der Hilfen und Mittel bündeln soll, wo einzelne mit ihren Möglichkeiten überfordert sind.

Auch diese Versuche des Zusammenlebens am Wochenende gelingen. Um unser Kernteam bildet sich eine feste Gruppe ehrenamtlicher Mitarbeiter: Studenten, junge Berufstätige, Handwerker und Hausfrauen …


Totale Verweigerung und eine Rose für die Betreuer


Die Erfolge, das Vertrauen und die Mitarbeit der Jungen zu gewinnen, brauchen viel Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen. Bei der Vorbereitung der Kurse auf der Hütte fängt es an:

Ein Trendsetzer in einer Klasse ist das Hauptproblem. Er versteht es, mit seiner totalen Destruktivität gegenüber allem die anderen immer wieder mitzuziehen. Er ist zum zweiten Mal straffällig – Mopeddiebstahl.

Ein anderer ist ebenfalls nahezu unerträglich: keine Antwort auf nichts, keine Reaktion – dann plötzlich aus heiterem Himmel Fausthiebe und Tritte … .

Bei zwei weiteren sind Gerichtsverfahren anhängig wegen Automatenknacken und Ladendiebstahl …


Nehmen wir sie mit auf die Hütte? Wenn ja, kriegen wir sie frei?

Das Zusammenleben auf der Hütte und an den Wochenenden ist für die Betreuer auch kein Zuckerschlecken. Kein Kurs bleibt ohne harte Auseinandersetzungen. Immer wieder werden „Hackordnungen“ ausgetragen. Solidarität untereinander, Achtung des anderen und Hilfsbereitschaft sind fast allgemein Fremdwörter. Umgangston ist „Fäkaliensprache der untersten Schublade“.

Für das Verhalten gilt das Rezept: Brutalität + Sexprotz = Erfolg. „Wo sind die Weiber zum Aufreißen?“ – so ein 15jähriger Junge nach dem Abendessen. In unserem Leitungsteam nehmen wir bewusst Frauen mit, um das Verhalten gegenüber Frauen direkt ansprechen zu können.

Ein 17jähriger zieht in ohnmächtiger Wut einem anderen nachts um 1 Uhr die Faust so durchs Gesicht, dass die Lippen gespalten und ein paar Zähne locker sind; von den anderen mit Latten und Hockern in eine Ecke gedrängt, hat er ein Messer in der Hand, zu allem entschlossen. Gar nicht so einfach, waffenlos auf ihn zuzugehen, ihn um das Messer zu bitten, dann auch die anderen zu „entwaffnen“ und im gemeinsamen Gespräch eine Brücke zu schlagen.

Oder eine Brücke schlagen zwischen einem 17jährigen, der nicht aufhören kann, vom Tod seiner Mutter zu erzählen, die vor zwei Jahren bei einem Verkehrsunfall umkam, und der am Ende der Erzählung jedes Mal haltlos weint – zu den anderen, die scheinheilig ihn immer wieder zu dieser Erzählung verleiten, wenn er mit der Jacke frierend ins Bett will, und die es genießen, wenn er weinend sich nicht mehr einholen kann.

In dieser Situation bietet Wolfgang am Sonntag einen Gottesdienst an – ein Priester ist nicht da. Er nimmt die Bergpredigt:

„Glücklich, der weiß, dass seine Mutter nicht von einem Idioten aufgerissen wurde, als sein eigenes Leben begann.

Glücklich, der daher kapiert, dass Mädchen und Frauen auch Vertrauen suchen und nicht kaputt gemacht werden wollen.

Glücklich, wenn einer das Messer weglegt und die anderen die Knüppel und Bretter, um sich die Hände zu geben. Sie werden sehen, dass sie sich ein Leben lang darüber freuen.

Glücklich, wer den anderen nicht lächerlich findet, der mit dem Tod seiner Mutter nicht klar kommt, der sich zu ihm setzt, damit er nicht so friert. Er wird erfahren, dass er einen Kumpel findet, der zu ihm steht, wenn es ihm einmal dreckig geht.

So will Gott unser Leben, und so hat es Jesus vorgelebt.“

Unser Verstehen gilt den „Schwächlingen“: den Bettnässern, den Unsportlichen, den Stotterern, den Verhaltensauffälligen … Das ist nur eine Seite.

Geschenk für uns ist das Verhalten eines Jungen: Die Faust in der Tasche um einen Zehnmarkschein geballt. 12 Tage geht er an jedem Restaurant vorbei, kauft keine Schokolade, kein Getränk. Bei der Abfahrt: „Ich brauch noch ein Souvenir für meine Mutter. Die kann nicht frei machen wie ich jetzt.“ Er ist der Älteste von 7 Kindern. Die Mutter steht allein.

Auf der Hütte haben wir einen Trickfilm gezeigt: das Leben eines Menschen. Der Alltag ist grau, monoton, kantig gezeichnet: die Belastungen, die dieses Leben zerstören. Die glücklichen Momente sind bunt, voll Blumen, Rosen. Drei Wochen nach dem Kurs beim Treffen zur Auswertung bringen fünf Jungen eine geheimnisvolle, weiße Rolle aus Seidenpapier: eine rote Rose für die Betreuer.

Ein Brief Wochen nach dem Kurs treibt uns fast die Tränen in die Augen: „Du hast für mich was getan, als es mir schlecht ging, und so war noch keiner … Warum bist Du nicht mein Vater?“


Zuerst einige Wochen Praktikum


Es geht auf 1980 zu. Jugendarbeitslosigkeit ist nicht mehr das Schicksal einer Randgruppe – aber unsere Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss stehen weiterhin am Ende der Skala derer, die eine Lehrstelle finden. Ihre Illusionen, einen „Modeberuf“ zu erhalten, sind dagegen ungebrochen. Wie soll es auch anders sein, Werbung in den Medien wirkt auf sie wie eine Droge, die Wirklichkeit verblasst. Was tun?

Wir suchen Plätze für Praktika, 3 – 4 Wochen in den Osterferien. Das Arbeitsamt wird angesprochen und zieht mit. Ziel: Die Jungen sollen die Arbeitswelt selbst kennenlernen, sie sollen über ihre Zukunft entscheiden, und wir hoffen, dabei eine Hilfestellung geben zu können.

Wieder gelingt der Versuch durch das Engagement der Lehrer und verantwortlichen Mitarbeiter, die „Klinken putzen“ tagaus, tagein, bis alle Jungen untergebracht sind. So sieht zum Beispiel das Ergebnis bei einer Gruppe von 24 Jugendlichen aus: 4 Jungen können im Maschinenbau, 3 an einer Tankstelle, 3 bei einem Dachdecker, 2 im Straßenbau, 2 in einer Anstreicherfirma und je einer in einem Installationsbetrieb, einer Bäckerei, einer Gebäudereinigung und einer Automateneinrichtung untergebracht werden. 2 Jungen sind verzogen, bei 4 ziehen die Eltern nicht mit, und sie selbst wollen auch nicht. Nur 4 Stellen kommen direkt vom Arbeitsamt, alle anderen werden zusätzlich aufgetrieben, bei allen stimmt das Arbeitsamt überrascht und froh zu.

Die zusätzliche Arbeit für uns steigt in den Praktikumswochen. Wo es Schwierigkeiten gibt – und es gibt sie von Seiten der Jungen und vom „Arbeitsplatz“ her –, tauchen Lehrer und Betreuer auf, sprechen mit beiden Seiten, regeln Unzulänglichkeiten, ziehen die Eltern zur Stabilisierung hinzu.

Der Erfolg ist ganz unerwartet: Der größte Teil der Jungen bekommt am Ende des Osterpraktikums das Angebot einer Lehr- oder Arbeitsstelle ab Sommer. Und das ohne Hauptschulabschluss und mit Wissen der Arbeitgeber um die familiäre und soziale Belastung der Jugendlichen:

„Ich hätte mir das Gleiche gewünscht, wenn ich so dagestanden hätte“, sagen einige Handwerksmeister. Und: „Die stehen ja nicht allein; wenn's knallt, wissen wir und die, wer helfen kann!“ – Und: „Die wissen sich ja oft praktisch zu helfen, wo die Theoretiker abschnallen!“


Unser Team muss erweitert werden


Sommer 1981. Eigentlich sind wir ganz zufrieden mit den Ergebnissen der Jahre, mit der Entwicklung. Aber wir stehen an einer harten Grenze. Nebenher ist das alles so nicht mehr zu machen. Die Familien der Lehrer und Helfer ziehen zwar mit, aber ihre Frauen und Kinder dürfen über diesem Engagement nicht zu neuen Sozialwaisen werden.

Und eine neue Erkenntnis geht uns auf – Statistiken bestätigen sie: Unsere Jungen sind von den Berufsanforderungen und dem neuen Rhythmus der Arbeit zunächst überfordert. Der größte Teil scheitert im ersten Lehr- bzw. Arbeitsjahr, läuft weg, gibt auf. Was tun?

Zur Entlastung der Mitarbeiter in unserem Team muss eine feste Kraft her: eine feste Bezugsperson für die Jungen im Lehrgang, für Jungen und Arbeitgeber im 1. Lehr- und Arbeitsjahr. Für rund 25 Jungen muss sie die Koordination aller Stellen, Mitarbeiter und Angebote leisten können. Eine feste Kraft einstellen heißt: Finanzierung. Ein Teil wird wohl mit öffentlichen Geldern gelingen – über ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Arbeitsamtes). Das ist ok. Für den Rest muss ein Fonds her. Nach öffentlichen Mitteln schreien, ohne selbst als Verdiener einen finanziellen Beitrag zu leisten, erscheint uns als Verhöhnung der Arbeitslosen, auch unserer Jungen.


Pfarrgemeinden helfen mit


1982. Die Jugendarbeitslosigkeit hat inzwischen katastrophale Formen angenommen. Und wenn wir dabei bleiben, dass wir allen ohne Abschluss an dieser Schule helfen wollen, dann müssen wir in unsere Arbeit jährlich 80 – 100 Jungen aufnehmen, 80 – 100 Praktikumsstellen suchen, 80 – 100 Lehr- und Arbeitsstellen auftreiben, auch dann, wenn das Arbeitsamt nichts mehr anzubieten hat … Wir müssen Betriebe und Meister motivieren, zusätzliche Plätze zu schaffen. „Was Du willst, das man Dir tu‘ …“ Zitat aus der Bibel, „Goldene Regel“ für das Verhalten der Christen …

Pfarrer Toni J. der Stadt Aachen spricht es für sich und seine Pfarrgemeinde zuerst aus: „Wenn in meiner Pfarrei 3 oder 4 dieser Jungen sind, müssen wir es schaffen, für sie Lehr- und Arbeitsstellen zu finden. Wenn das jede Gemeinde tut, bleibt von diesen Jungen keiner stecken!“

Er gewinnt sein Dekanat dafür, und wir gewinnen Helmut M., einen arbeitslosen Soziologen, als „Bezugsperson“ und Koordinator. Im Pfarrhaus wird zusammengerückt, zwei Räume werden frei, Helmut hat für seine Jungen eine Kontaktstelle im Zentrum der Stadt. Seine Arbeitszeit ist schnell ausgefüllt. Monatsüberblick: 7 Betriebsbesuche, 5 Schulbesuche, 8 Hausbesuche, 12 Besprechungen mit Jugendlichen in der Kontaktstelle, 5 weitere Besprechungen mit Freunden von unseren Jungen, 2 Besuche beim Arbeitsamt, 3 Besuche bei der Handwerkskammer. Dazu 100 Telefonate. Arbeitsgespräche mit dem Team sind nicht angeführt.

Und das Bistum engagiert sich. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter von uns wird als Referent im Jugendbildungshaus des Bistums angestellt. Hans Michael P. soll in Wochenkursen für Jugendliche aus BVJ-Klassen Lehrer und Jugendliche anstoßen, an ihren Schulen, in ihren Städten ähnliche Initiativen zu entwickeln. Hans Michaels Erfolg ist gut – aber wir sind überfordert, noch anderen Städten Hilfestellungen zu geben.

Helmut gelingt es, unter Mithilfe der Gemeinden des Dekanates für seine Gruppe von 23 Jungen über das Praktikum 23 zusätzliche Lehr- und Arbeitsstellen aufzutreiben. Das Arbeitsamt hat keine Stellen mehr, es macht mit. Wir jubeln geradezu. Dann kommen ein paar Dämpfer.

Das Praktikum war bei Jörg sehr gut verlaufen. Gleich zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses muss der Junge in ein Internat außerhalb zum Blockunterricht. Er meldet sich krank, bleibt zu Hause. Bevor wir uns einschalten können, kündigt er. Kommentar der Eltern: „Wenn sich unser Junge in diesem Gefängnis doch nicht wohlfühlt …“

Arbeitsstelle in einem Kfz-Betrieb. Der Meister hat sich als Freund des Vaters von U. bezeichnet, der Vater hat es bestätigt. Daher meinten wir, auf den Besuch im Betrieb verzichten zu können. Nach 3 Wochen sitzt der Junge auf der Straße – ohne einen Pfennig für seine Arbeit. Der Betrieb existiert offiziell überhaupt nicht, der „Meister“ ist abgehauen, der Junge ausgenutzt. Kommentar des Vaters: „Kann ich doch nichts für!“


„Geh – und tu desgleichen“


Herbst 1983. Wir beginnen an der Schule mit 5 BVJ-Klassen. Für die 80 – 100 neuen Jugendlichen neben denen, die im ersten Lehrjahr von Helmut weiter betreut werden, wird ein weiterer Betreuer über ABM finanziert. Zwei Lehrerstudenten, die keinen Referendarplatz haben, werden frei finanziert. Dazu wird eine arbeitslose Diplom-Pädagogin eingestellt, die das mit einer kleinen Gruppe von Mädchen beginnen soll, was wir jetzt mit einer großen Gruppe von Jungen tun. Unser „Spieleinsatz“ hat sich verdreifacht, vervierfacht. Eine neue Runde beginnt.