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Irene Pietsch

Jabo clic

Mandamos Verlag

© 2016 Irene Pietsch

Umschlag und Buchinhalt: Irene Pietsch

Vorderseite: „Dunirolle 1“

Rückseite: „Dunirolle 2“

Alle Bilder und deren Bearbeitung©: Irene Pietsch

Detaillierter Bildernachweis: Seite 200-201

Ergänzte und überarbeitete Fassung von

„Durch & Durch Haydn“

Verlag:

Mandamos Verlag UG (haftungsbeschränkt),

Alte Rabenstr. 6, 20148 Hamburg

Herstellung und Auslieferung:

tredition GmbH,

Grindelallee 188, 20144 Hamburg

ISBN

Paperback ISBN 978-3-946267-21-8
Hardcover ISBN 978-3-946267-22-5
e-book ISBN 978-3-946267-23-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt:

Der Versuch eines Wegweisers

Backhendl und Hendlback

Guck-Café mit Musi

Lustig ist des Haydn Leben

Kurswagen 771

Nach London der Seeluft wegen

Stockrosen und Energiespender

Zum goldenen Ballpoint

Après London

Riesenrad

Haydn mehrstellig

Elle und Speiche

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Der Versuch eines Wegweisers

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Wenn drei sich streiten, der Vierte usw. Keine Arithmetik der Weltgeschichte ist gegen dergleichen populistischen Unfug gefeit.

Der Dominoeffekt kann gestoppt werden. Musik ist kein Allheilmittel, kann aber eine fabelhafte, kineastisch wirksame Trösterin sein. Sie ist eine Diplomatin, deren Wirkung nicht selten erst nach Jahren an die Oberfläche tritt.

Eine lange Reise in die nahe Fremde oder fremde Nähe - wie in „Jabo clic“ - kann ein Generalangriff auf Kommunikationstalent und Ausdauer sein.

Der Stresstest wird für die beiden frei erfundenen Passagiere im Kurswagen Warschau-Moskau des Fernschnellzuges Berlin-Wien zu einer historischen Rückwie Vorschau. Hintergrund sind der Fantasie entsprungene Dialoge und Briefe von Josef Haydn.

 

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Backhendl und Hendlback

 

Kennen Sie Haydn – Josef Haydn, der mit der Wiener Schmäh und dem Quartett zum Text der Deutschen Nationalhymne?“

Das Abteil des Fernschnellzuges Berlin-Wien mit Kurswagen nach Warschau und Moskau ist unterbesetzt und dennoch gefühlt über den letzten Platz hinaus belegt.

Eine Dame und ein Herr sitzen sich in derart geschickter Beinanordnung gegenüber, dass eine Kollision als Notbehelf bereits jetzt abzusehen sein könnte, wenn die Charaktere es zulassen würden.

„Ich fahre demnächst nach Wien.“

„Was für ein Zufall!“

„Kommen Sie aus Wien?“

Die Dame blickt aus dem Fenster, während sie spricht. Masten und Bäume fliegen, die Schleppseil ähnlichen Hochspannungsleitungen hüpfen und tanzen.

„Wenn Sie nach Wien fahren, sollten Sie für Ihre Reise unbedingt vorher einen oder mehrere Schwerpunkte setzen.“

„Ich reise ungern nach Katalog.“

„Bitteschön – das lässt sich vermeiden. Nehmen Sie beispielsweise das „Kaiserquartett“ vom Herrn Haydn. Mehr brauchen Sie nicht für den Anfang. Davor und danach gibt es noch sehr viel, aber im Kern haben Sie die Historie dann soweit erfasst, dass Sie gar nicht mehr aufhören mögen, mehr zu erfahren.“

Der Herr mit einem unüberhörbaren Akzent, der dazu verleitet, ihn Wien zuzuordnen, sieht angestrengt durch die fliegenden Masten und Bäume, sogar durch die tanzenden Hochspannungsleitungen hindurch auf die von Feldern durchzogene Landschaft. Derweil beob achtet ihn die Dame im Spiegel des Abteilfensters, als wenn es gälte, in kürzester Zeit die Frage zu entknobeln, wie wichtig das Stillhalten der Füße angesichts von leeren Karaffen ist.

„Heißt es ‚von Karaffen‘ oder einfach Karaffen?“

Das Gespräch ist eröffnet.

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Der Herr mit der Wiener Sprachintonation fühlt seine Reisephilosophie in halbwegs zufrieden stellender Gänze bestätigt, was ihm keine üble Ausgangsbasis für einige unterhaltsame Stunden scheint.

„Der Herr Haydn hätte das nicht besser fragen können, wenn er nicht so recht weiter wusste. Die Donaufrage war für ihn stets die kompositorische Antwort auf das Kräuseln der Wasseroberfläche als Anzeichen für starke Strömung darunter.“

Gerade jetzt passiert der Zug wieder eine der kleinen Ortschaften, deren Bahnhöfe verödet sind, die Bahnsteige sauber gefegt und leer, die Schilder mit dem Ortsnamen nicht lesbar. Ohnehin ist die Fahrtgeschwindigkeit zu hoch, um mehr als einzelne Buchstaben erkennen zu können, die keinen Sinn machen.

„Welchen Ort haben wir eben passiert?“

„Gnädige Frau, ich hatte gerade keinen Blick dafür. Ich bitte um Entschuldigung. Wenn es Sie interessiert, könnte ich aber nachfragen, wenn die Kartenkontrolle kommt.“

„Danke. Ich dachte, die so genannte Donaufrage könnte eine Rolle spielen.“

„Wie darf ich das, bitteschön, verstehen?“

„Bei der Oberflächenfrage bin ich einigermaßen festgelegt.“

„Das sehen Sie zu absolut. So hätte der Herr Haydn das nie und nimmer ausgelegt. Die Oberfläche muss nicht zur Zentralfrage aufgebauscht werden, wenn Sie nicht genügend Gründe dafür haben, sie übergangsweise als zweitrangig zu betrachten. Falls es Sie danach gelüstet, das Gegenteil zu bewundern – die Sezession steht Ihnen in Wien an jeder Ecke bis hinauf zum ‚Belvedere‘ zur Verfügung. Wie werden Sie denn anreisen, wenn Ihre Terminplanung einen Wien Besuch zulässt?“

„Gemischt.“

Der Herr hält seinen Unmut darüber, dass seine Heimatstadt so abgefertigt wird, als ob es sich darum handeln würde, in einem Schnellimbiss einen vorgefertigten Salat aus Großküchen zu bestellen, bewundernswert gezügelt.

„Gnädige Frau, da muss ich doch energisch protestieren - schauen′s her: Wien mit den filigransten Individuen, die es überhaupt diesseits und jenseits von überall, wo man gerade hinguckt, gibt. ‚Gemischt anreisen‘ - der Vergleich mit irgendeinem Eintopf ist beinahe ein Sakrileg! ‚Gemischt‘ nach Wien anreisen, ist bestenfalls wie ein Backhendl vom Spieß statt aus der Röhre – wenn überhaupt. Am liebsten wäre es mir, Sie würden sich dessen ganz und gar enthalten.“

„Dann muss das wohl so sein.“

„Schauen Sie“, beginnt der Herr aus Wien seine Mission erneut, nachdem er meint herausgehört zu haben, dass sein Backhendl Beispiel wenig Anklang gefunden hat. Er sucht nach geeigneteren Appetitanregern, um der Dame im Fernschnellzug Berlin-Wien mit Kurswagen nach Warschau und Moskau die Eigenarten des europäischen Festlandszentrums mit allen konzentrischen Kreisen ringsherum auf der respektiven Basis von Kunst und Kultur näher zu bringen. „Schauen Sie, was beinahe pathologische Selbstkritik betrifft – dafür sind wir Wiener berüchtigt!

 

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Übrigens ist mein Name Grotschy – Grotschy wie der berühmte Sekretär vom Herrn Haydn.“

Herr Grotschy hofft, mit seiner Personalie die Stimmung anzuwärmen.

„Falls es von Interesse sein sollte - ich könnte Ihnen Geschichten erzählen, die Sie noch nie über den Herrn Haydn gehört haben.“

Die Dame sieht weg, was Herrn Grotschy wenig beeindruckt.

„Wissen Sie - ich tue es einfach. Wir inhalieren eh ein- und dieselbe Luft.“

„Das ist ja interessant.“

„Sie können sich mir ruhig anvertrauen.“

„Ich buche über mein Reisebüro.“

„Ein eigenes?“

„Bei meiner regen Reisetätigkeit könnte ich es beinahe so nennen.“

„Aber Wien gemischt...“

Der bekennende Wiener hat sich noch immer nicht beruhigt.

„Wenn ich Ihnen einen gut gemeinten Rat geben darf: Nehmen Sie alles andere, aber nicht gemischt. Das ist heraus geworfenes Geld. Viel schlimmer: Es ist vergeudete Zeit. Wer kann sich das heutzutage schon noch leisten?‘“

„Ich dachte an die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft.“

„Eine sehr gute Entscheidung! Eine von mehreren Möglichkeiten wäre die Hinreise über Ungarn. Die Donau ist dort nicht so stark kanalisiert. Sie können sich unterwegs umschauen, ob Sie ein paar Tage hier und da bleiben mögen und auf der Rückreise wieder an Bord gehen, um alles in der Retrospektive zu betrachten.“

„Wie lange dauert das ungefähr?“

„Ich würde meinen, ein paar Wochen sollten Sie schon einkalkulieren. Etwas Entspannung an Deck muss man sich auch mal gönnen, sonst artet so eine Reise in Stress aus.“

„Ich müsste mich erkundigen. Jedes Schiff hat seine technischen und baulichen Eigenheiten.“

„Wenn Sie so wollen.“

„Gibt es noch eine Alternative? – Mein Name ist übrigens Wykunda.“

„Angenehm. Gnädige Frau – schauen Sie, ich bin Wiener – da denkt man sowieso in anderen Dimensionen. Ich beispielsweise würde nicht erst mit dem Dampfer nach Wien reisen. Sie kommen in Gefahr, allen Klischees zu erliegen, die über uns in Umlauf sind.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Die Donau hat so viele Schleifen, dass Sie meinen könnten, alles ende in einer Kokarde, was keineswegs stimmt.“

„Ich habe es nicht so sehr mit Schleifen.“

„Sehen Sie, das habe ich geahnt. Umso besser. Dann können Sie ebenso gut einen beinahe geraden Umweg machen.

„Wie das?“

„Ich versuche es klassisch zu erklären:

Stellen Sie sich vor, Rapid Wien hat sich unlängst die Meisterschaft im Spiel gegen Klagenfurt einfach durch die Finger rinnen lassen!“

„So viel Verve um ein paar Elfmeter mehr oder weniger kann ich schwer nachvollziehen.“

„Das sagen Sie so einfach daher - gnädige Frau, Sie kommen unter Umständen zum falschen Zeitpunkt nach Wien, wenn Sie die Tickets direkt bei der Dampfschifffahrtsgesellschaft kaufen – haben Sie bereits gebucht?“

„Vorreserviert.“

„Also bitteschön, da haben Sie jegliche Möglichkeit, davon zurückzutreten und sich eine Bahnfahrkarte mit Bahnsteigkarten für unterwegs zu besorgen. Die interessanteste Streckenführung ist die von Ost nach West, wenn es nicht von West nach Ost sein soll.“

„Eine Kooperation deutsch-österreichischer Netzkarten?“

„So eine Art Bahnhofshoping.

Frau Wykunda stutzt. Sie ist von Natur aus für korrekte Aussprache. Das ergibt sich aus ihrer Körperhaltung.

Herrn Grotschys „Bahnhofshoping“ findet sie jedoch von so tiefem Sinn erfüllt, dass sie es als wahrhaftige Meinung durchgehen lässt.

Der Herr mit dem Haydn Input lässt sich von Frau Wykundas Gewissensmarathon in neuer persönlicher Rekordzeit nicht tangieren, was ihm anzumerken ist.

„Es lohnt sich“, schaltet er sich in die Bestzeit von Frau Wykunda ein.

„Das Gepäck können Sie ganz commode nach Wien vorschicken und Sie selber kommen hinterher, wann Sie wollen. Vorher anmelden tät ich′s in Ihrer Stelle allerdings schon. Nur, weil man die Richtung wissen müsste.“

„Von wo?“

„Von der äußersten Grenze Mährens, da wo schon Gras über die Grenzschlagbäume wächst, immer weiter nach Westen. Sie können gar nicht anders. Die Züge sind auf die Strecke verpflichtet. Ausweichmanöver gibt es nur per Signalverständigung.“

„Und weiter?“

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Wenn Sie meinen, Sie sind in Kanada, ist es gerade recht. Das ist Böhmen mit seinen großartigen Bauwerken. Wo andere als Visitenkarte lediglich eine Hausnummer haben, sind in Böhmen oft genug goldene Kuppeln. Ich könnte Ihnen noch mehr erzählen. Der Herr Haydn kannte seine Leut′ schon.“

„Von Wien aus?“

„Wie wollen Sie das trennen? Eigentlich müssten Sie sowieso in Prag verweilen, wenn Sie schon dort in der Gegend sind, und Sie kommen da ja nicht dran vorbei, ohne in der Gegend von Prag gewesen zu sein.

„Das ist mir zu hektisch. Dafür muss ich mir das nächste Mal mehr Zeit nehmen.“

„Dann halten Sie jetzt schon mal Ausschau, wo Sie später hinreisen wollen und verschaffen sich einen ersten Eindruck. Wenn′s nach einer guten Weile in der platten Ebene hügelig wird und die Berge sich mit einer stattlichen Anzahl von Burgen regelrecht gefestigt zeigen, dann sind sie wahrscheinlich in Böhmen. Den besten Ausblick hat man von da oben.“

Herr Grotschy guckt aus dem Fenster und legt dabei seinen Kopf auf die Schulter, damit er besser sehen kann, wo draußen oben ist, falls es gerade einen Berg mit einer Burg zu bewundern geben sollte. Das ist nicht der Fall. Der Fernschnellzug befindet sich derzeit auf freier Strecke zwischen Streusandbüchse und Mangrovenwäldern.

„Vielleicht ergibt sich alles in ein paar Stunden günstiger.“

„Wenn wir uns Wien nähern?“

„Ich könnte dort auf Sie warten, wenn Sie von Ihrer Reise aus dem Osten nach Prag zurück kommen und Sie durch das verwinkelte Gassensystem der inneren Altstadt von Österreichs Kapitale in ein Wiener Kaffeehaus führen, das es in Böhmen und Mähren nur anders gibt.“

Guck-Café mit Musi

 

Ein Wiener Kaffeehaus – davon habe ich in höchsten Tönen schwärmen hören. Soweit ich verstanden habe, ist es gehobenes Standardprogramm für Jungakademiker und Mittelstands Publikum mit avanciert intellektuellem Anstrich.“