The Playlist

Erotischer Roman

Lea Petersen


ISBN: 978-3-95573-334-6
1. Auflage 2015, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2015 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de

Titelbild: Unter Verwendung des Bildes 227940862 (shutterstock).

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Inhalt

If you just let me invade your space
I’ll take this pleasure, take it with the pain

And if in the moment I bite my lip
Baby, in that moment you know this is
Something bigger than us and beyond bliss
Give me a reason to believe it

 

(Ariana Grande & the Weeknd, Love me harder)

Writer(s): Ahmad Balshe, Ali Payami; Copyright: Warner/Chappell Music Scandinavia AB, Cp Music Group Inc., Wolf Cousins, WB Music Corp.

 

Wenn du mich nur an dich ranlässt

Dann akzeptiere ich sowohl das Vergnügen als auch den Schmerz

 

Und in dem Moment, in dem ich mir in meine Lippe beiße, Baby, in diesem Moment wirst du wissen, dass dies etwas Größeres ist als wir selbst und größer als jedes Glück

Gib mir einen Grund, dies zu glauben

 

(Übersetzer unbekannt)

1. Kapitel

Maxine

 

Der Wecker klingelte wie immer viel zu früh. Maxine räkelte sich genüsslich im Bett und kuschelte sich an Martin. Dieser zog sie an sich, küsste sachte ihre Halsbeuge und raunte ihr ins Ohr: „Guten Morgen, meine Schöne!“ Auf Maxines Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Sie glitt mit ihren Händen über seinen Oberkörper und wollte sich auf eine kleine erotische Spielerei einlassen, als Martin sich abrupt von ihr wegdrehte und aufstand. Mit einem bedauernden Lächeln auf den Lippen beugte er sich über sie, streichelte sanft ihre Wange mit seiner Hand und sagte: „Ich darf nicht zu spät kommen – dafür nehmen wir uns am Wochenende Zeit.“

Maxine legte ihre Hand über seine Hand und küsste seine Handinnenfläche. „Ich nehme dich beim Wort!“, hauchte sie verführerisch und ihre braunen Augen mit den goldenen Sprenkeln blitzten amüsiert auf. Während Martin im Bad war, deckte Maxine den Tisch und kochte Kaffee. Sie aß gerade den letzten Bissen Toast, als Martin im Bademantel die Küche betrat. Er setzte sich an den Tisch. Maxine goss ihm seinen Kaffee ein und füllte auch ihre Tasse ein weiteres Mal auf.

„Danke dir. Denkst du daran, dir den Sonntag frei zu halten?“, lächelte Martin sie an.

Sie blickte ihn über den Rand ihrer Kaffeetasse an und antwortete: „Ja! Und du willst mir immer noch nicht verraten, was du mit mir vorhast?“

Ein amüsiertes Glitzern glimmte in seinen rauchblauen Augen auf und er erwiderte: „Nein! Du wirst dich gedulden müssen.“ Dann verschwand sein Gesicht hinter der Zeitung, die er in Händen hielt. Martin war als Rechtsanwalt in einer international agierenden Kanzlei tätig. Sein überdurchschnittlich guter Studienabschluss inklusive zweier Auslandssemester hatte ihm vor drei Jahren ermöglicht, eine Assistenzstelle dort zu ergattern. Sein erklärtes Ziel war die Partnerschaft in dieser Kanzlei und Maxine hatte seinen Erzählungen entnommen, dass sich diese in einer nicht allzu fernen Zukunft befand.

Sie hatte Martin vor über einem Jahr auf einer Party bei gemeinsamen Freunden kennengelernt. Er war jetzt nicht der Ferrari unter den männlichen Anwesenden gewesen, aber verstecken musste er sich auch nicht und er schien alleine auf der Party zu sein. Das musste ja nichts heißen, aber die Chance bestand, dass er ein Single war wie sie. Sie selbst sah sich auch eher als einen VW-Käfer und nicht als die atemberaubende Version eines Porsches. Also hatte sie es gewagt und den schlaksigen Mann angesprochen. Er war etwas größer als sie, hatte angenehme Gesichtszüge, in denen die rauchblauen Augen amüsiert aufblitzten, während er sich mit ihr unterhielt, und konnte Maxine mit einem wachen Verstand begeistern. Leider hatte sein Genpool ihm mit Mitte dreißig schon schütteres Haar beschert, das er aber zum Glück einfach nur extrem kurz trug und sich damit eine peinliche Frisur ersparte.

Sie verstanden sich auf Anhieb und merkten schnell, dass sie in Sachen Humor auf einer Wellenlänge lagen. Vier Wochen und sechs Dinnerdates später waren sie offiziell ein Paar und vor sechs Monaten war Martin zu ihr in ihre Zweizimmerwohnung gezogen.

Maxine trank ihre Tasse Kaffee aus und huschte unter die Dusche. Ihre dunkelbraunen gelockten Haare fasste sie zu einem Dutt zusammen und schäumte nun ihre üppigen Rundungen ein. Ihre Mutter hatte ihr in ihren Teenagertagen Trost spenden wollen und gesagt: „Mach dir nichts draus, Max – der liebe Gott hat dir eben alles in Rund mitgegeben. Du kannst dir dein Hungern sparen – es ist und bleibt alles an dir rund!“ Für Diäten hatte Maxine bis heute nicht genügend Disziplin und so hatte sie sich irgendwann mit ihrem Körper arrangiert. An Liebhabern hatte es ihr all die Jahre auch nicht gemangelt – und letztendlich hatte sie auch gelernt, gerade mit ihrem üppigen Dekolleté und ihren runden Hüften und dem – für europäische Verhältnisse – ausladenden Hinterteil zu kokettieren. Glücklicherweise verteilten sich die Rundungen auf knapp einen Meter siebzig und der Schöpfer hatte ein Einsehen gehabt und ihr wenigstens schlanke Fesseln zu ihren üppigen Schenkeln gegönnt.

Sie hörte Martin nach ihr rufen und so trat sie in ihrem Bademantel aus dem Badezimmer auf den Flur. Martin war schon fertig angezogen und schlüpfte gerade in seinen leichten grauen Trenchcoat von Burberry. „Ich gehe dann jetzt, Maxine. Es wird wahrscheinlich spät werden, aber du wirst ja auch nicht so früh zu Hause sein“, sagte er und gab ihr einen leichten Kuss auf ihre vollen Lippen.

Sie lächelte ihn an und erwiderte: „Ja, stimmt – ich hab dir ja schon erzählt, dass im Moment anscheinend alle unsere Models wollen!“ Dann fügte sie noch hinzu: „Bis später!“ Martin verschwand durch die Tür.

Maxine räumte den Frühstückstisch ab – Martin war hier ein richtiger Macho. Hausarbeit gehörte nicht zu den Aufgaben, die er übernahm. Das hatte er schon vor seinem Einzug klargestellt. Maxine hatte sich damit arrangiert und gönnte sich einmal in der Woche eine Putzfrau. Die Betten musste sie morgens aber immer noch selbst machen – und so tat sie dies nun.

Nach der üblichen morgendlichen Hausarbeit widmete Maxine sich dann ihrem Tages-Make-up und ihrer Outfitwahl für diesen Tag. Sie arbeitete seit fünf Jahren für die Dependance einer internationalen Modelagentur hier in Berlin. Model Inc. war ursprünglich Anfang der Neunziger von einem ehemaligen Model in New York gegründet worden. Angelina Riviera gehörte damals zur ersten Liga der Supermodels und wollte sich aber schlauerweise ein zweites Standbein aufbauen. Heute war sie immer noch an der Spitze der Agentur und mehrfache Millionärin.

Maxine hatte sie einmal vor zwei Jahren kennenlernen dürfen und war von ihrer Persönlichkeit überwältigt gewesen. Auch mit fast fünfzig war sie noch von atemberaubender Schönheit und nicht in die Botoxfalle getappt. Sie versuchte auch nicht, wie eine Achtzehnjährige herumzulaufen, sondern kleidete sich mit einer lässigen Eleganz, ohne aufgedonnert zu wirken. Und was Maxine, die damals mit klopfendem Herzen vor Angelina gestanden hatte, am meisten überraschte, war ihre offene und herzliche Art. So ganz ohne Attitüde. Aber sie zeigte auch eine gewisse Strenge und Maxine konnte sich vorstellen, dass Angelina eine harte Verhandlungspartnerin sein konnte.

Mit der Agenturchefin hier in Berlin kam Maxine auch klar. Allerdings gehörte Sanja Martens zu der Sorte Frauen, die immer im Mittelpunkt stehen wollten. In Maxine hatte Sanja keine Konkurrentin entdeckt und so war das Arbeitsverhältnis relativ entspannt.

Maxine konzentrierte sich darauf, was sie heute anziehen würde. Sie schlüpfte in den schwarzen BH mit den leicht vorgeformten Cups und dem Spitzenrand. Glücklicherweise musste man sich heutzutage nicht mehr in Oma-BHs pressen, nur weil man mit seiner Oberweite weit entfernt von dem üblichen 75B war. Nachdem sie die Schließe des BHs im Rücken geschlossen hatte, positionierte sie die Cups noch mal richtig, sodass ihr Dekolleté auch ordentlich aussah – immerhin hatte sie ganz ohne Silikon ein ordentliches 80E vorzuweisen. Dann schlüpfte sie in die zu dem BH passende Spitzenpanty. Sie hatte schon als Jugendliche keine Strings gemocht und bevorzugte die breitere Variante eines Slips.

Dann legte sie ihren Strapsgürtel an und setzte sich auf das Bett. Vorsichtig zog sie die Originalnylons, die sie über einen Internetshop in England bezog, über ihre Beine. Nun befestigte sie die Stümpfe an dem Strapsgürtel. Sie mochte keine Strumpfhosen und hatte ein Faible für die Unterwäsche der fünfziger Jahre – besonders die der Pin-up-Girls.

Zu guter Letzt schlüpfte sie in einen dunkelgrauen Bleistiftrock mit einem hohen Schlitz im Rücken und zog eine klassische schwarze Bluse dazu an. Ihre Stiletto-Pumps warteten in einer Tasche an der Garderobe darauf, mitgenommen zu werden. Für den Weg zur Arbeit würde sie schlichte schwarze Turnschuhe tragen. Sie quälte sich nicht gerne mit den Pumps durch die öffentlichen Verkehrsmittel Berlins.

Im Flur zog sie ihren Mantel an – der Frühling kündigte sich zwar jetzt Anfang April vehement an, aber es war morgens einfach sehr frisch. Sie löschte das Licht im Flur, nahm all ihre Taschen mit und war bereit, in den Kampf des heutigen Freitags zu ziehen.

 

 

Glücklicherweise war der Tag nicht ganz so schlimm wie erwartet. Es war nur der übliche Wahnsinn: ununterbrochenes Telefonklingeln, nicht enden wollende E-Mail-Eingänge, Terminvereinbarungen und -absagen und nebenbei hatte sie noch ein offenes Ohr für die zerbrechlichen Seelen so mancher Models.

Maxine hatte sich für einen Moment ausgeklinkt und war mit einer Tasse Cappuccino aufs Dach des Bürogebäudes entwischt. Im Sommer war diese Dachterrasse der Hotspot in der Mittagspause. Heute fröstelte es Maxine ein wenig und sie zog den Mantel enger um sich. Genüsslich schlürfte sie ihren Cappuccino und ließ ihren Blick über das atemberaubende Panorama gleiten. Nicht allzu weit entfernt sah sie den Fernsehturm vom Alexanderplatz. Auch fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall war Berlin immer noch eine Riesenbaustelle. Maxine hatte heute aber keine Muße, den Ausblick wirklich zu genießen. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um eine Sache. Was hat Martin am Sonntag wohl mit mir vor? Und warum macht er darum so einen Aufwand? Er hatte ihr keine Details verraten. Insgeheim hoffte sie auf einen Heiratsantrag. Sie konnte nicht behaupten, dass Martin ihr den Atem raubte, aber sie fühlte sich wohl in seiner Nähe und konnte sich vorstellen, mit ihm alt zu werden. Sie hatte nie nach dieser alles umfassenden Liebe gesucht – dafür hatte ihre Mutter sie viel zu realistisch erzogen. Schmetterlinge hatte sie schon manchmal im Bauch gehabt, aber die hatten dann meist auch wieder das Weite gesucht. Bei Martin hatte sie ein Gefühl der Bodenständigkeit und der Sicherheit. Tief in ihrem Inneren sehnte sie sich nach mehr, das wusste sie, aber sie hatte auch Angst vor diesem ‚Mehr‘. Dieses ‚Mehr‘ würde bedeuten, sich verletzbarer zu machen, weil sie auch mehr von sich geben müsste. Und deshalb war Martin eigentlich der perfekte Kandidat für eine Ehe. Sie liebte ihn, aber auf eine schlichte und beständige Art – entsprechend dem, was er für sie verkörperte. Er war jetzt auch nicht der Wortakrobat, wenn er seine Gefühle ihr gegenüber ausdrückte, aber immerhin sagte er des Öfteren die vermeintlich magischen drei Worte. Wenn er „ich liebe dich“ sagte, wurde es ihr warm ums Herz und sie konnte diese Worte erwidern, ohne Angst zu haben. Und wenn er dir tatsächlich einen Antrag macht … dann ist es aber zu spät für eine Hochzeit in diesem Jahr – immerhin haben wir jetzt April. Er hatte ja mal erwähnt, dass er, wenn er heiraten würde, eine Feier haben wolle. Hmm, so eine Hochzeit mit allem Drum und Dran. Maxine sah sich in einem weißen Hochzeitskleid. Ein dünner Schleier mit Spitzenapplikationen fiel lang über ihren Rücken und das Kleid hatte eine kleine Schleppe. Sie hielt einen wunderschönen Brautstrauß aus pinken Rosen in den Händen und lief am Arm ihres besten Freundes Gerry den Gang zwischen den Kirchenbänken auf einen lächelnden, am Altar wartenden Martin zu. Gerry würde dafür sicherlich aus New York angereist kommen. Ein verträumtes Lächeln glitt über ihr Gesicht. Ja, so wird es sein, wenn wir dann mal heiraten …

Leider riss sie das Vibrieren ihres Handys in ihrer Manteltasche aus ihren Tagträumen. Seufzend nahm sie es aus der Tasche und runzelte die Stirn, da die Nummer der Agenturchefin auf ihrem Display zu sehen war. Mit einem Lächeln nahm sie das Gespräch an und sagte: „Sanja! Was kann ich für dich tun?“

Sanja antwortete: „Ich hoffe, ich störe dich nicht in deiner Mittagspause – ich habe dich an deinem Platz nicht gefunden. Kannst du bitte in mein Büro kommen?“

Ups, habe ich etwa etwas angestellt??? Jetzt halt den Ball flach – wer weiß, was sie will. „Ja, natürlich, Sanja. Passt es dir in knapp zehn Minuten?“, fragte Maxine.

„Ja, gerne. Bis gleich!“, erwiderte ihre Chefin. Sie verabschiedeten sich voneinander und Maxine verließ die Dachterrasse.

 

 

„Schön, dass du da bist, Maxine. Bitte setz dich doch“, forderte Sanja sie auf und wies mit der Hand auf einen der schwarzen Ledersessel, die in der verglasten Ecke ihres Büros standen.

Das ist aber nicht der heiße Stuhl für Vergehen! Wenn sie einen rundmacht, dann geschieht das doch meist an ihrem Schreibtisch. Ruhig, Brauner! Nicht aufregen! Und doch spürte Maxine, wie ihre Handflächen feucht wurden. Sie hörte Sanja dennoch aufmerksam zu.

„Maxine, wie du ja aus unseren Jahresgesprächen weißt, bin ich äußerst zufrieden mit deiner Arbeit hier bei uns. Du hast auch nach fünf Jahren den Elan nicht verloren und bist sowohl bei unseren Kunden wie auch bei unseren Mädels gern gesehen.“ Für Sanja waren die Models immer ‚Mädels‘.

Ja?! Und?! Trotzdem willst du mir jetzt kündigen???

„Ich habe dir ein Angebot zu machen, und für dich bedeutet dieses Angebot eine Wahnsinnschance“, fuhr Sanja fort und atmete tief durch.

Jetzt mach es nicht so spannend!

Im New Yorker Hauptsitz ist eine Stelle frei. Angelina sucht zwar schon, aber aus irgendeinem Grund hat sie sich an dich erinnert und hat mich angerufen. Ich solle vorab klären, ob du vielleicht Interesse an dieser Stelle hast. Sie konnte sich explizit an dich erinnern – und vor allem daran, dass du ihr so vorgeschwärmt hattest, dass du gerade zu verliebt seist in New York und dort schon öfters Urlaub gemacht hast. Und natürlich war sie auch damals schon begeistert von dem Feedback, das ich ihr über dich gegeben hatte, und sie hatte ja auch mitbekommen, wie gut du damals das Problem mit dem Ausfall von Christina bei dem Auftrag von Horst Lutz gelöst hast.“

Wie bitte, was? Aber es sind doch mittlerweile fast zwei Jahre vergangen! Und mein Gott, nein, ich will nicht weg – nein, nein, nein.

Sanja erkannte ihre Sprachlosigkeit und sagte sanft: „Maxine, du musst dich nicht heute entscheiden. Sag mir am Montag Bescheid. Ich weiß natürlich, dass das nicht von jetzt auf gleich zu entscheiden ist, aber das ist auch eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt.“

Jetzt endlich fand Maxine ihre Worte wieder. Sie räusperte sich und erwiderte: „Entschuldige bitte, Sanja. Ich bin gerade einfach nur überrascht und kann gar keine klaren Gedanken fassen. Natürlich ist das eine Wahnsinnschance, aber … also … komme ich denn dann wieder? Ist es nur für eine begrenzte Zeit? Muss ich mich bewerben?“

In Sanjas dunklen Augen glimmte wachsames Interesse auf, als sie sagte: „Ich verstehe natürlich, dass dich das jetzt umhaut. Soweit ich es verstanden habe, wartet Angelina nur auf einen Rückruf von dir und hofft, dass du Anfang Mai in New York zu arbeiten anfängst. Und es war nicht die Rede davon, dass es nur ein befristeter Einsatz ist. Du verfügst doch über die doppelte Staatsbürgerschaft, also gibt es ja auch mit dem Aufenthalt und dem Arbeiten in den Staaten keine Probleme.“

„Im Mai schon anfangen? Das sind ja gerade mal drei Wochen!“, platzte es aus Maxine heraus.

Sanja zog nur ihre Augenbrauen in die Höhe und hob abwehrend die Hände: „Maxine, ich weiß, dass das alles sehr schnell gehen würde, aber wie gesagt, es ist eine Chance – es liegt an dir, sie wahrzunehmen oder nicht.“ Maxine atmete tief durch. Sanja erhob sich und sagte: „Um deinen Vertrag solltest du dir auch keinen Kopf machen müssen. Über das Gehalt kannst du ja mit Angelina noch mal sprechen. Aber du musst es jetzt nicht in dieser Minute entscheiden – fahr nach Hause. Ich geb dir den Rest des Tages frei. Du musst das ja auch mit deinem Partner klären.“

Maxine hatte sich auch erhoben und erwiderte matt: „Danke, Sanja. Ich nehme das gerne an, nach Hause gehen zu können. Ich kann gerade nicht geradeaus denken! Entschuldige.“

Sanja lächelte sie milde an und tätschelte ihr sachte den Unterarm. „Es ist in Ordnung, Maxine. Wir sehen uns Montag und ich bin sehr gespannt, wie du dich entscheidest.“

 

 

„Es ist eine Wahnsinnschance, Maxine!“ Sanjas Worte hallten auch jetzt noch, als sie in der Straßenbahn saß, in ihrem Kopf nach. Maxine hatte als Erstes versucht, ihre beste Freundin Lisa zu erreichen, aber im Büro hatte man ihr gesagt, sie wäre krank. Bei Lisas Handy sprang nur die Mailbox an. Sie hatte Lisa kennengelernt, als sie vor sechs Jahren von Frankfurt am Main nach Berlin gezogen war und in einer WG gelebt hatte. Lisa hatte damals auch ein Zimmer in dieser WG und sie hatten über die Jahre eine herzliche Freundschaft entwickelt. Auch Lisa stammte ursprünglich nicht aus Berlin und so erkundeten sie gemeinsam alles, was Berlin zu bieten hatte. Zu ihrer WG gehörte auch noch Gerry – seines Zeichens eine göttliche Erscheinung von Mann, aber leider für die Frauenwelt verloren. Und Gerry lebt seit über einem Jahr in New York City! Vielleicht könntest du bei ihm … Maxine! Du willst doch gar nicht nach New York … oder doch?

Ihre Freundschaft zu beiden hatte auch überlebt, als sie die WG verlassen hatten und in ihre eigenen Wohnungen eingezogen waren. Lisa lebte seit nunmehr einem Jahr schon bei ihrem Freund und hatte sich unendlich für Maxine gefreut, als diese ihr eröffnet hatte, dass sie auch wieder einen Freund habe. Lisa und Martin hatten sich zum Glück auch von Anfang an gut verstanden und so hatten sie auch öfters schon zu viert etwas unternommen. Komisch, dass sie so gar nicht zu erreichen ist. Ach, Lisa, du hättest mir jetzt mal mit Rat und Tat zur Seite stehen können! Dann hatte sie versucht, Martin zu erreichen. Aber auch er war nicht im Büro und sein Handy nicht erreichbar. Der Umstand verwunderte sie aber nicht wirklich, da sie es nicht anders von ihm kannte.

Eigentlich sagte ihr Herz Nein zu diesem Angebot. Aber es regte sich auch diese kleine Stimme in ihrem Kopf, die ihr vorgaukelte, es könnte auch ein Ja drin sein.

Maxine konnte sich daran erinnern, dass sie damals Angelina vorgeschwärmt hatte, wie sehr ihr New York gefalle. Sie war drei Monate zuvor gerade dort gewesen. Wie die vergangenen Jahre auch hatte sie sich, wann immer das Geld es zugelassen hatte, einen Kurzurlaub dort gegönnt. Vielleicht war es der Anteil ihrer amerikanischen Gene, der es zuließ, dass sie sich dort so wohlfühlte.

Ihre Mutter Toni hatte ihren Vater Maxwell Mayer 1980 in Frankfurt am Main als Soldat der US Army kennen- und lieben gelernt. Zwei Jahre später kam sie selbst als Maxine Mayer im Mai zur Welt. Kurz darauf wurde ihr Vater zurück in die Staaten stationiert und ihre Mutter und sie begleiteten ihn. An ihren Vater selbst hatte sie nur noch diffuse Erinnerungen. Eigentlich kannte sie ihn nur aus den Erzählungen ihrer Mutter und von Bildern. Als sie drei Jahre alt war, verstarb er bei einem Auslandseinsatz in Mittelamerika. Ihre Mutter ging wieder nach Frankfurt zurück und so wuchs Maxine in Deutschland auf. Maxines Mutter Toni war das einzige Kind von Maxines Großeltern gewesen und als diese verstarben, gab es tatsächlich nur noch sie zwei. Die Familie ihres Vaters Maxwell hatte auch nur aus seiner Mutter bestanden, die mittlerweile auch verstorben war. Für Maxine war Grandma Lee nur eine krächzende Stimme am Telefon zu Weihnachten und zu ihrem Geburtstag gewesen. Zu denselben Tagen hatte sie auch immer wieder Pakete aus den USA erhalten. Persönlich kennengelernt hatte sie Grandma Lee nie. Dem Umstand, dass ihr Vater gleich nach ihrer Geburt auch die amerikanische Staatsbürgerschaft für sie beantragt hatte, verdankte sie nun die Möglichkeit, unkompliziert in den USA arbeiten zu können. Wäre das Angebot vor zwei Jahren gekommen, hätte mich noch nicht einmal die Tatsache gestört, dass ich schon in weniger als einem Monat im Big Apple hätte arbeiten sollen. Aber jetzt! Was jetzt? Jetzt hast du dich gerade auf das Abenteuer eingelassen, zum ersten Mal in deinem Leben mit einem Mann in einer Partnerschaft zusammenzuleben. Und du machst dir sogar Gedanken, ob er dir in den nächsten Tagen einen Heiratsantrag machen wird … und du träumst tatsächlich schon von einer Hochzeit in Weiß!!! Also ist die Antwort zu dem Angebot ein klares Nein.

Maxine atmete tief durch. Die ältere Dame, die neben ihr saß, lächelte sie aufmunternd an. Wenn du jetzt heimkommst, kochst du dir erst einmal einen starken Kaffee und denkst nach. Und bis Martin heute Abend nach Hause kommt, hast du dich ganz klar gegen New York entschieden, weil er dir dann auch sagen wird, dass er dich nicht gehen lassen wird. Wieder atmete sie tief durch. Die ältere Dame neben ihr stupste sie an und sagte verschwörerisch: „Kindchen, egal was es ist, es wird alles gut!“

 

 

Zuversichtlich ging Maxine von der Straßenbahnhaltestelle zur Wohnung. Es ist ja tatsächlich immer noch meine Wohnung – Martin beteiligt sich lediglich zur Hälfte an der Miete und den Nebenkosten. Sie musste schmunzeln, mit welch unsinnigen Gedankengängen sich ihr Hirn beschäftigte, nur um keine Entscheidung treffen zu müssen. Als Maxine die Treppenstufen zur Wohnung hinaufging, konnte sie nur daran denken, dass sie gar keine Entscheidung zu treffen hatte. Du brauchst dir diese Frage nicht zu stellen. Dein Lebensmittelpunkt ist hier. Und mit fast dreißig brauchst du dich nicht damit zu beschäftigen, wie deine Karriere weitergehen soll, wenn dein Kopf und vor allem dein Herz schon entschieden haben, dass du den Mann deines Lebens gefunden hast und du in einer nicht so fernen Zukunft mit ihm eine Familie gründen willst. Dieser Gedanke zauberte Maxine ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen, als sie den Schlüssel in die Wohnungstür steckte und diese öffnete.

 

 

Maxine wollte gerade ihre Stilettos abstreifen – in der Eile, mit der sie das Büro verlassen hatte, war sie noch zu faul gewesen, ihre Schuhe zu wechseln –, als sie atemlos stehen blieb. Sie hörte Martins Stimme. Und sie hörte Lisas Stimme. Maxines Hirn versagte ihr den Dienst und sie konnte keinen Sinn darin erkennen, was die beiden ihr wohlbekannten Stimmen von sich gaben. Wie in Trance legte sich Maxines Hand auf den Türgriff des Schlafzimmers und sie drückte die Tür auf.

Als sie im Schlafzimmer stand, ergab auch endlich das einen Sinn, was sowohl Martin als auch Lisa sagten oder besser: stöhnten.

„Oh ja, du geiler Hengst, ja, besorg es mir genau so! Oh, ja!“, jaulte Lisa, während sie auf dem Rücken lag und ihre schmalen Schenkel um Martins Hüften geschlungen hatte. Maxine sah, wie seine Pomuskeln pumpten, während er es ihrer besten Freundin ordentlich besorgte.

Maxine wusste nicht, wo sie die Ruhe hernahm. Sie stellte sich aufrecht hin und verschränkte mit einer Seelenruhe ihre Arme vor der Brust. Lisa war diejenige, die ihre Anwesenheit als Erste bemerkte. Sie riss ihre kornblumenblauen Augen auf und schob den äußerst aktiven Martin zu dessen Verwunderung von sich. Alles, was ihre beste Freundin zu sagen hatte, war: „Scheiße!“ Dann krabbelte sie aus dem Bett und sammelte nackt, wie sie war, ihre Klamotten ein. Hastig drückte sie sich mit ihren Klamotten auf dem Arm an Maxine vorbei, raus aus dem Zimmer.

Martin war mittlerweile auch aufgesprungen und stand völlig verdattert da. Maxine musste an sich halten, damit sie nicht wie eine Irre zu lachen anfing. Seine Männlichkeit hatte sich in Nullkommanichts in ein schlaffes Etwas verwandelt. Das Kondom hing gerade noch so an dem erschlafften Glied und Martin sah einfach nur lächerlich aus, so wie er dastand und nicht wusste, was er tun sollte. Wortlos stand er da mit hängendem Kopf, hängenden Armen und hängendem Gemächt.

Maxine knurrte mit zusammengebissenen Zähnen. „Sieh zu, dass du mit dieser Schlampe das Weite suchst!“

Jetzt schien er plötzlich wieder zu Leben erwacht. Er blickte sie an und sagte: „Maxine, ich … es tut mir …“

Aber sie ließ ihn nicht aussprechen. Sie brüllte, wie sie schon lange nicht mehr gebrüllt hatte: „Raus!“ Und um ihm zu verdeutlichen, wie sauer sie war, warf sie mit der Dekoschale, die auf der Kommode neben ihr stand, nach ihm. Als diese hinter ihm an der Wand in tausend kleine Scherben zerbarst, klaubte Martin seine Hose und sein Hemd auf und drückte sich an Maxine vorbei aus dem Zimmer.

Als sie die Tür ins Schloss fallen hörte, war sie seltsamerweise erleichtert. Keine Minute später fing sie an, wie eine Irre zu lachen. Jetzt war sie allein. Keiner, der ihr sagte, was sie zu tun und zu lassen hatte. Es war keiner da. Und dann fing sie bitterlich an zu weinen.