18907.jpg
 
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­biblio­grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
 
Für Fragen und Anregungen:
info@rivaverlag.de
 
1. Auflage 2017
© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Redaktion: Dunja Reulein
Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch
Umschlagabbildung: ullstein bild – Boness/IPON
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
 
ISBN Print 978-3-7423-0212-0
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-412-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-413-6
 
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
 
 
 

Inhalt

Vorwort
Der Kandidat – Version 1.0
Ein Junge namens Prickel – wie alles begann
Let It Bleed – Jugendjahre eines Präsidenten
Der Tag, an dem Willy Brandt (nicht) nach Blomberg kam
Hinterhof, linke Haushälfte – feiern und studieren
444 Seiten über Bürger ohne Obdach
Schröder oder die Nähe zur Macht
Das Ergrauen der grauen Effizienz
Die Frau an seiner Seite – und ein Mann
Die Kanzler-WG
Ein unerwarteter Rücktritt
Aus Höhenflug wird Krise
Der Chef hinter dem Boss
Ein Tag, der die Welt verändern sollte
PRISM, Kurnaz & Co.
Die Sache mit der Agenda
Aus dem Kanzleramt ins Außenministerium
Der Schritt ins Rampenlicht
Ergebnisse statt schöne Bilder
Das Jahr 2009 – der Kandidat und das Chaos
Eine Spende als Gewinn
... aber mir fehlt nichts
Gegensätze
Zwischen Höhenflug und Wut
Schlussbemerkung: Der Kandidat
Anmerkungen
 
 
 

Vorwort

Am 16. November 2016 um 12 Uhr 02 traten die Parteivorsitzenden der Großen Koalition im Rahmen einer Pressekonferenz vor die Medien und verkündeten, was im Grunde zu diesem Zeitpunkt bereits jeder wusste oder zumindest ahnte: Man habe sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten geeinigt, und dieser Kandidat sei Frank-Walter Steinmeier. So wenig überraschend der Fakt an sich war, so ungewöhnlich entwickelte sich nichtsdestotrotz die Pressekonferenz – vor allem aus dem Grund, dass die Aussagen der Parteivorsitzenden so deutlich und so überzeugt wie auch überzeugend ausfielen. Was zu der Kandidatur zu sagen war, das fasste zunächst Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Worten zusammen, Steinmeier sei der richtige Kandidat in dieser Zeit – mit einer deutlichen Betonung des Wortes dieser.1 Mit dieser Zeit war unausgesprochen natürlich auch gemeint, es handele sich um eine Zeit, in der die Regierung und die Politiker der etablierten Parteien allgemein um ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit zu kämpfen hatten, in der große Gruppen der Wählerschaft sich Populisten zuwandten und deren Worten wesentlich mehr Glauben schenkten als denen von Regierung und parlamentarischer Opposition.

Der bisherige Außenminister Steinmeier sei ein Kandidat, der die Unterstützung sehr vieler Bürger und Bürgerinnen haben werde, so die Kanzlerin. Die Menschen wüssten, er sei ein Mann, dem sie ihr Vertrauen schenken könnten. Seine Erfahrung, seine Fähigkeit zum Ausgleich, seine Bodenständigkeit und seine Kenntnis der Welt jenseits der eigenen Staatsgrenzen – all das mache Frank-Walter Steinmeier zu einem sehr guten Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten der Bundesrepublik. Als dann der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel das Wort ergriff, unterstrich er mit seinen Aussagen im Grunde noch einmal das, was die Kanzlerin zuvor schon ausgedrückt hatte. Frank-Walter Steinmeier sei nicht nur jemand, auf den sich die Spitzen der Großen Koalition einigen konnten, er sei vor allem auch jemand, der auf die Unterstützung sehr vieler Bürger des Landes zählen könne. Gabriel ergänzte dies mit dem Hinweis, bei der Wahl eines Bundespräsidenten trete dessen Parteizugehörigkeit in den Hintergrund, stattdessen würden andere Eigenschaften in den Vordergrund treten – vor allem gehe es in diesem Zusammenhang um ein Maß an Vertrauen über politische Lager hinweg. Denn dieses Vertrauen müsse eine Persönlichkeit genießen, um für das Amt des Bundespräsidenten geeignet zu sein – bei Frank-Walter Steinmeier sei genau das der Fall. Dieses Vertrauen und auch die Integrität brauche man gerade jetzt in einer Zeit und in einem Land der Umbrüche sowie der wachsenden Gegensätze innerhalb der Gesellschaft. Es gehe auch um Verantwortung, unter anderem für die guten Traditionen, die in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland gewachsen seien. Es gehe um Verantwortung für den Frieden in Europa und der Welt, und es gehe um die Verantwortung beziehungsweise das Verantwortungsbewusstsein für die Herausforderungen der Zukunft. Alles in allem verkörpere Steinmeier sowohl die angesprochene Verantwortung als auch das Vertrauen, das Deutschland in diesen Zeiten benötige.

Ein Bundespräsident habe laut Sigmar Gabriel zwar keine exekutiven Aufgaben, aber er habe die Aufgabe, dem Land eine überzeugende Stimme zu geben – und zwar nach innen ebenso wie nach außen. Der neue Präsident müsse über die Kraft des Dialogs in beide Richtungen verfügen – das treffe auf Frank-Walter Steinmeier wie auf keinen Zweiten im Land zu. Er könne zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion vermitteln, er könne genau das auch tun zwischen wohlhabenden Bürgern und jenen, die soziale Härten zu erdulden haben. Hinzu komme, dass der langjährige Außenminister das Rüstzeug mitbringe, um den Dialog mit den Partner Deutschlands in Europa und der Welt führen zu können. Die Einigung auf den Kandidaten Steinmeier sei eine gute Nachricht für Deutschland, die auch international Gehör finden werde.

Als sowohl Angela Merkel als auch Sigmar Gabriel den Kandidaten und dessen Kandidatur derart gelobt hatten, war es an der Zeit für den dritten Parteivorsitzenden, die passenden Worte zu finden. Das war CSU-Chef Horst Seehofer, der in den Monaten zuvor nicht unbedingt mit einem Hang zur Einigkeit mit der Kanzlerin aufgefallen war. Ihm und seiner Partei, so Seehofer, komme es nach Joachim Gauck darauf an, wieder einen guten Bundespräsidenten für das Land zu bekommen, Frank-Walter Steinmeier sei dafür sehr gut geeignet. Seehofer unterstrich dessen große Erfahrung auf nationalem wie internationalem Parkett, der Kandidat stehe zudem für Ruhe und Besonnenheit. Außerdem, betonte der CSU-Vorsitzende, sei Steinmeier ein Mann des Ausgleichs. Auch Seehofer hob mit seinen Worten auf die aktuellen Anforderungen an die Politik und den Staat ab: Genau die besagten Eigenschaften brauche man in dieser Zeit besonders stark.

Alle drei Parteivorsitzenden hoben also im Grunde die identischen Eigenschaften beziehungsweise Vorzüge des Kandidaten hervor, und sie taten das in erstaunlicher Klarheit und Kürze. Als sowohl Merkel als auch Gabriel und Seehofer ihre Ausführungen beendet hatten, waren kaum mehr als sechs Minuten verstrichen. Zu diesem Zeitpunkt allerdings hatte einer der Anwesenden noch gar nichts gesagt, und bei dieser Person handelte es sich um Frank-Walter Steinmeier. Der war den lobenden Worten mit meist regungslosem Gesicht und schwer zu deutender Mimik gefolgt, musste nun aber ebenfalls ein Statement zu seiner Kandidatur abgeben.

Wie die drei Parteivorsitzenden kam Steinmeier schnell auf die aktuellen Umstände zu sprechen. Es sei ihm eine Ehre, gerade in diesen stürmischen Zeiten als Kandidat vorgeschlagen worden zu sein. Seine Freude auf die Aufgaben des Bundespräsidenten sei groß, sein Respekt davor sei jedoch noch größer. Er habe in der vergangenen Wochen sehr viele ermunternde Zuschriften bekommen, gleichsam sei die Verantwortung des Amts des Bundespräsidenten gerade in diesen krisenbefangenen Zeiten sehr groß. Genau vor diesem Hintergrund sei das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und deren Repräsentanten ein wichtiges Gut. Dieses Vertrauen sei jedoch eine tendenziell sehr knappe Ressource, um die man immer wieder ringen müsse.

Steinmeier beschränkte sich nicht allein auf solche erwartbaren Aussagen, er ergänzte sie mit einem Beispiel, das ein erster Hinweis darauf sein dürfte, wie ein Bundespräsident Steinmeier die ihm eigenen internationale Erfahrung mit der ihm ebenfalls eigenen Bodenständigkeit kombinieren dürfte. Er berichtete nämlich davon, wie er kurz zuvor von einer seiner vielen Reisen in die Krisengebiete der Welt in seinen brandenburgischen Wahlkreis zurückgekehrt sei, wo ihm bei einer Veranstaltung ein Mann eine Frage gestellt habe. Und diese habe darin bestanden, ob man als Bürger dieses Landes angesichts der Umwälzungen in der Welt eigentlich Angst haben müsse um die Zukunft hier in Deutschland. Das, so Steinmeier, sei keine einfache Frage gewesen, auf die es auch keine einfache Antwort gebe. Die Antwort, die er gegeben habe, sei die gewesen, dass sich die Sorgen mit Blick auf die Welt da draußen gut nachvollziehen ließen. In seinem Amt als deutscher Außenminister habe er aber eben auch den anderen Blick erfahren. Nämlich den der Welt auf Deutschland. Genau mit diesem Blick aber könne er gar nicht anders, als zuversichtlich sein. Denn Deutschland verkörpere wie vielleicht kein anderes Land der Welt die Erfahrung, dass aus Krieg Frieden werden kann, dass auch auf Teilung Versöhnung folgen kann. Es verkörpere auch die Erfahrung, dass nach der Raserei von Nationalismus und Ideologien so etwas wie politische Vernunft einziehen kann. Genau das sei etwas, wofür Deutschland stehe, und das sei etwas, das man einbringen könne in diese unfriedlich gewordene Welt.

Steinmeier nannte noch weitere Beispiele für all das, was für die Umwälzungen der Zeit stehe und bei den Menschen für ein Gefühl der Unsicherheit beziehungsweise der Veränderungen sorge. Er sprach den Brexit an, die Wahlen in den USA und auch die angespannte Lage in der Türkei. Das alles seien politische Erdbeben, die an dem Land und den Menschen rüttelten – die jedoch auch für ein Wachrütteln sorgen könnten. Es komme nun vor diesem Hintergrund auf eine lebendige und wache politische Kultur an. Daran wolle er als Bundespräsident mit allen zusammenarbeiten – über Partei-, aber auch soziale Grenzen hinweg. Es gehe ihm um eine Kultur, in der man miteinander streiten, gleichsam aber respektvoll miteinander umgehen könne.

Letztlich dauerte die Pressekonferenz zur Vorstellung des Kandidaten Steinmeier kaum eine Viertelstunde, und diese wiederum teilten sich vier Personen. Trotzdem wurde in der kurzen Zeit sehr viel darüber gesagt, wer Frank-Walter Steinmeier ist und was die Deutschen von ihm als Bundespräsidenten erwarten können. Der Sozialdemokrat ist ein Mensch, der Bürger und auch Politiker aufeinander zubewegen kann, einer, der mehr eint, als dass er Streitigkeiten oder Auseinandersetzungen forciert. Letztlich zeigten die Ausführungen am 16. November einen Frank-Walter Steinmeier, den das politische Deutschland schon seit Jahrzehnten schätzt, den die Bevölkerung aber erst in den letzten rund zehn Jahren wirklich wahrgenommen hat – weil er sich nie in die erste Reihe drängte, sondern vielmehr meist im Hintergrund die Fäden zog. Und wenn er dann doch einmal in der ersten Reihe stand, dann blieb er auch dort er selbst – was von den Bürgern jedoch häufig erst im Nachhinein honoriert wurde, als mit einem gewissen Abstand die Frage aufkam, ob womöglich doch er die bessere Wahl gewesen wäre – so wie im Jahr 2013.

 
 
 

Der Kandidat – Version 1.0

Die Kandidatur Frank-Walter Steinmeiers für das Amt des Bundespräsidenten zeigte nicht zuletzt, dass er eine Person darstellt, auf die sich unterschiedliche politische Richtungen verständigen können – weil er eben mehr eint als entzweit. Das ist sicher aus vielen Blinkwinkeln eine positive Eigenschaft oder ein positiver Charakterzug. Es ist aber auch eine Eigenschaft, die zu einem Problem werden kann, wenn genau das gerade einmal nicht gefragt ist. So wie im Jahr 2009.

Damals kannte die breite Öffentlichkeit Frank-Walter Steinmeier erst seit vergleichbar kurzer Zeit. Bis zum Jahr 2005 hatte er sich als Chef des Bundeskanzleramts eher im Hintergrund gehalten, war jedoch ab 2005 als deutscher Außenminister im Regierungsbündnis zwischen CDU/CSU und SPD auch medial in die erste Reihe getreten.

Der nächste Schritt sollte im Jahr 2009 folgen, als die Sozialdemokraten Steinmeier als Kanzlerkandidaten für die anstehende Bundestagswahl nominierten.2 Zuvor hatte es eine monatelange Debatte um den Kanzlerkandidaten der SPD gegeben, die Partei galt als zerrissen, und die Gunst der Wählerschaft schien weiter zu schwinden. Als schließlich Frank-Walter Steinmeier zum Kandidaten gekürt wurde, sahen ihn die Umfragen auf recht verlorenem Posten. Gemessen an der Popularität in der Bevölkerung hätten zu jener Zeit weiter 48 Prozent auf Angela Merkel gesetzt, Steinmeier dagegen erhielt nur von 32 Prozent Zuspruch, wenn es um die Frage ging, wen die Menschen denn wählen würden, könnten sie Kanzler oder Kanzlerin direkt küren. Umgemünzt auf die Gesetze des Wahlkampfs aber bedeuten solche Werte, dass der Kandidat hätte kämpfen und auch mit sehr deutlichen Worten die unterschiedlichen Positionen hätte erklären müssen, für die er und eine Kanzlerin Merkel standen. Möglichkeiten dafür bietet ein Bundestagswahlkampf genügend – nicht zuletzt in Form eines TV-Duells. Eines, wie es auch im Jahr 2009 stattfand, und zwar am Sonntag, dem 13. September. An diesem Tag zeigten die vier großen Sender ARD, ZDF, RTL und SAT.1 ab 20 Uhr 30 die als Duell angekündigte Diskussion der beiden Kanzlerkandidaten, moderiert von den Stars der jeweiligen Sender Maybrit Illner, Frank Plasberg, Peter Kloeppel und Peter Limbourg. Was die Zuschauer an jenem Abend zu sehen bekamen, war jedoch kaum als Duell der beiden Kandidaten zu bezeichnen. Wenn es ein Duell gab, dann fand das bestenfalls zwischen Kandidaten und Moderatoren statt.3, 4 So wollte Moderatorin Illner die Kanzlerin mit der Frage provozieren, warum sie als Kanzlerin besser als Steinmeier geeignet sei. Die jedoch verweigerte eine direkte oder klare Antwort, hob vielmehr die gute Zusammenarbeit beider in der Großen Koalition während der vergangenen Jahre hervor. Auch insgesamt gingen die Kandidaten während des vermeintlichen Duells betont sachlich miteinander um, vermieden direkte Angriffe oder die Herabwürdigungen des jeweils anderen – von persönlichen Angriffen ganz zu schweigen. Natürlich waren beide von ihren jeweiligen Stäben zuvor instruiert worden, die Unterschiede der Positionen deutlich zu machen. Was sie dann auch taten, aber eben wieder vor allem auf einer sachlichen Ebene. Beide machten unterschiedliche Haltungen zum Umgang mit der seinerzeit allgegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich, auch die Meinungen zum Thema Mindestlohn unterschieden sich. Trotzdem blieb die gesamte Diskussion immer auf besagtem sachlichem Niveau. Was einerseits sicher für die Zuschauer in gewissem Maße informativ war, auf Dauer jedoch ein wenig einschläfernd wirkte. Vor allem nahm sich Frank-Walter Steinmeier auf diese Weise die Möglichkeit, sein eigenes Bild beziehungsweise Image in der Form zu schärfen, dass die Wähler nun ihn und seine Partei bevorzugen würden. Erst als zwei Drittel der Sendung und damit eine gute Stunde vorüber war, rang sich Steinmeier zu einem direkteren Angriff auf seine Kontrahentin durch. So nannte er etwa die von der Union geforderten Steuersenkungen nicht bezahlbar. Doch alles in allem blieb es bei einem Duell, das im Grunde keines war. Gerade Steinmeier zeigte sich darin einmal mehr als durch und durch sachliche Person, der es vor allem auf Argumente ankommt und die keinen Streit vom Zaun brechen will allein um des Streits willen. Er war im Grunde einfach jene Persönlichkeit, deren Eigenschaften ihn so geeignet machen für das Amt des Bundespräsidenten, der das Wort »Kampf« im Begriff »Wahlkampf« im Grunde jedoch nicht so richtig in den Kram passte.

Nach der Sendung schien es zunächst noch so, als würden die Zuschauer genau das honorieren. In einer anschließenden Umfrage des ZDF schnitt Steinmeier aller Zurückhaltung zum Trotz in nahezu allen Punkten erstaunlich gut ab. Bei der Frage, welcher der beiden Kandidaten überzeugender aufgetreten war, lagen Merkel und Steinmeier nahezu gleichauf – 42 Prozent fanden Merkel überzeugender, 43 Prozent stimmten für Steinmeier. Bei den unentschiedenen Wählern lag der SPD-Mann deutlich vorne: 45 Prozent hielten ihn überzeugender, nur 37 Prozent nannten die Kanzlerin. Hinzu kam, dass nur die wenigsten einen derart überzeugenden Auftritt von Steinmeier erwartet hatten. 64 Prozent fanden ihn in dem Duell besser als erwartet, der Kanzlerin gaben diese Wertung gerade einmal 18 Prozent der Befragten. Auch wurde Steinmeier eine Spur sympathischer und angriffslustiger eingestuft. Zudem kam der Kandidat in den Gruppen der unter 35-Jährigen sowie der 35- bis 59-Jährigen besser an.

Insgesamt also ein durchaus respektables oder gar optimistisch stimmendes Ergebnis für Frank-Walter Steinmeier beziehungsweise die Sozialdemokraten, als deren Kandidat er ja an- und auftrat. Allerdings eben nur bis zu einem gewissen Punkt. Mit der ihm gegebenen Sachlichkeit und Zurückhaltung hatte er einen entscheidenden Faktor nicht in seinem Sinne beeinflussen können: Er konnte die Zuschauer und Wähler als Kanzlerkandidat nicht auf seine Seite ziehen oder sie von sich überzeugen. Denn auf die Frage, wer denn ein guter Kanzler wäre, nannten zwar 56 Prozent der Befragten den Namen Steinmeier, deutlich mehr – nämlich 78 Prozent – hielten dagegen die Amtsinhaberin für besser geeignet.
Nun ist so ein TV-Duell 14 Tage vor der Wahl natürlich nur eine Momentaufnahme und sagt letztlich herzlich wenig über den Wahlausgang aus. Tatsächlich aber sollte es Steinmeier nicht gelingen, sich in den Köpfen der Menschen als der bessere Bundeskanzler für die kommenden vier Jahre festzusetzen. Vielmehr war das Gegenteil der Fall, und die Bundestagswahl mit dem neuen Kandidaten endete für die Sozialdemokraten in einem Desaster.

Zur Erinnerung: Die Wahl des Jahres 2009 war jene, bei der die Piratenpartei erstmals bei einer Bundestagswahl antrat und immerhin zwei Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Ohnehin handelte es sich um eine Wahl, bei der gerade die kleineren und auch die Oppositionsparteien der vorherigen Legislaturperiode zu den Gewinnern zählten. Sowohl die FDP als auch die Linken und Bündnis 90/Die Grünen gewannen deutlich an Stimmen, konnten sogar jeweils die besten Wahlergebnisse ihrer jeweiligen Parteigeschichte verbuchen – so kam etwa die in den Jahren danach fast in der Bedeutungslosigkeit verschwundene FDP unter dem mittlerweile verstorbenen Guido Westerwelle auf 14,6 der Stimmen, Grüne und Linke überschritten ebenfalls die Zehn-Prozent-Marke. Nur mussten all diese Wähler ja auch irgendwo herkommen. Und sie kamen in nicht wenigen Fällen aus den Lagern der CDU und vor allem der SPD.

So erzielte die Union mit 33,8 Prozent der Stimmen das für CDU und CSU jeweils schlechteste Ergebnis seit 1949, was jedoch gegenüber der Wahl des Jahres 2005 einen Verlust von nur 1,4 Prozent bedeutete.

Die SPD hatte derweil mit wesentlich größeren Problemen zu kämpfen, war sie doch unter ihrem Kanzlerkandidaten in die wohl schwerste Krise ihres Bestehens gerutscht. Gegenüber der Bundestagswahr 2005 büßte die SPD 11,2 Prozent ihrer Wähler ein und kam nun nur noch auf 23 Prozent der abgegebenen Stimmen. Was für die Partei das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl überhaupt bedeutete. Dahinter verbarg sich jedoch nicht allein der Umstand, dass der Kandidat Steinmeier bei den Wählern nicht ankam. Vielmehr hatten die vergangenen Jahre und auch die Emotionslosigkeit des Wahlkampfs zahlreichen Wählern die Lust genommen, überhaupt irgendwo ein Kreuz für einen Kandidaten und dessen Partei zu machen. Als alles ausgezählt war, lag die Wahlbeteiligung bei 70,78 Prozent und war damit die niedrigste in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach der Wahl kündigte Frank-Walter Steinmeier eine kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen der Stimmverluste an.

Im Grunde hätte an diesem Punkt die Karriere des erfolglosen Kanzlerkandidaten auch in den Reihen der Partei beendet sein können. Doch wie inzwischen bekannt ist, war sie genau das nicht. Er kandidierte zwar nicht wieder als Kanzler, wurde wenige Jahre später jedoch erneut Außenminister und dann eben Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Weil ein Frank-Walter Steinmeier eben nicht zu emotionalen Überreaktionen neigt, weil er zudem ein vernünftiger und von allen Seiten geachteter Politiker ist. Was ihm jedoch beileibe nicht in die Wiege gelegt wurde.