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Nr. 8

 

Die Venusbasis

 

Sie erreichten die Venus und stießen auf ein Geheimnis, das älter als die Menschheit war ...

 

von KURT MAHR

 

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Jetzt, zu Beginn des Jahres 1972, ist Perry Rhodans Dritte Macht von den Erdstaaten als legitimer Staat anerkannt worden – und damit sind auch die Kämpfe um die in der Zentralgobi errichtete Energiekuppel schlagartig zum Stillstand gekommen.

Aber der heimliche Kampf im Dunkel erlischt damit noch lange nicht, denn die irdischen Machthaber stehen der Dritten Macht nach wie vor äußerst skeptisch gegenüber. Sie wollen einfach nicht wahrhaben, dass Perry Rhodan seit seinem Mondeinsatz mit der STARDUST und der Entdeckung des Forschungskreuzers der Arkoniden alle Fäden des Weltgeschehens in den Händen hält.

Perry Rhodan geht jedoch unbeirrt seinen Weg, und der nächste Schritt auf diesem Weg zur Verwandlung der Erde in eine interstellare Macht ist DIE VENUS BASIS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Kommandant der GOOD HOPE und Chef der Dritten Macht.

Reginald Bull, genannt »Bully« – Rhodans bester Freund und rechte Hand.

Crest und Thora – die beiden einzigen Überlebenden einer Raumexpedition des arkonidischen Imperiums.

Tako Kakuta – Subchef des Mutantenkorps der Dritten Macht.

Anne Sloane – ein junges Mädchen, das die Telekinese beherrscht.

Michael Freyt, Conrad Deringhouse und Rod Nyssen – drei Raumfahrer der US-Space-Force. Sie fliegen mit der GREYHOUND zum Mond – und gelangen zur Venus.

Der »Kommandant« – seit 10.000 Jahren erfüllt er seine Pflicht, ohne müde zu werden.

1.

 

Eine solche Geschäftigkeit hatte die Wüste nicht erlebt, seitdem vor mehr als siebenhundert Jahren Dschingis-Khans Horden an ihren Rändern dahingezogen waren.

Unter den Spezialistentrupps, die inzwischen unter der Energiekuppel eingetroffen waren und damit begonnen hatten, Rhodans Aufträge auszuführen, fielen die arkonidischen Robots kaum mehr auf.

Noch leisteten sie, obwohl schon längst in der Minderzahl, den größten Teil des täglichen Arbeitspensums; aber der Zustrom irdischer Fachkräfte und Maschinen hielt an. Es war nur eine Frage von Tagen, wann sich das Gewicht nach der anderen Seite verlagern würde.

In diesen Tagen der Aufregung durch den außerirdischen Gegner verschaffte Perry Rhodan, dem Chef der Dritten Macht, der geschäftige Anblick der Baustelle ein gewisses Maß an Befriedigung. Hier an dieser Stelle entwickelte sich alles nach seinen Wünschen. Die Endfertigungsindustrie, von der Rhodan überzeugt war, sie allein sei in der Lage, der Menschheit in diesem Sektor der Galaxis das nötige Übergewicht zu verleihen, wuchs mit dem erreichbaren Maximum an Geschwindigkeit. Das Arsenal an Gebäuden näherte sich der Fertigstellung. Es konnte nur noch zwei oder drei Wochen dauern, bis die Frage auftauchte, ob Homer G. Adams die geplante Verschmelzung der irdischen Zubehörindustrie schnell genug würde bewerkstelligen können, damit der Nachschub an Werkzeugmaschinen nicht ins Stocken geriet.

Rhodan zwang sich zu der Überzeugung, dass die Zeit für ihn arbeite. Der Augenblick war gekommen, da sich fremde Mächte für die Erde zu interessieren begannen. Sie hatten den Angriff des spindelförmigen Fantan-Schiffes abgewehrt, und sie würden auch mit den insektenhaften Individualverformern fertig werden, ohne dass die Gefahr für die Menschheit zu groß wurde. Aber dies alles war nur der Anfang einer Reihe von Begegnungen, und so, wie die Sache bis jetzt aussah, würde eine Anzahl davon feindselig verlaufen.

Zeit war das, was die Erde brauchte. Der Vorsprung, den die fremden Rassen ihr voraus hatten, konnte nicht über Nacht aufgeholt werden.

In zwei oder drei Jahren vielleicht!

Wenn sie uns soviel Zeit ließen, dachte Rhodan, dann brauchte sich keiner von uns mehr zu fürchten.

Manchmal in den letzten Tagen führten seine Gedanken einen wilden Wirbel auf, weil sie nicht wussten, an welches Problem sie sich zuerst heranmachen sollten. Manchmal in diesen Tagen verstand er Crests Erstaunen über die hetzende Aktivität, die sich an den Ufern des Salzsees entwickelt hatte.

Wenn man sich die Mühe machte, dann sah man, wie unglaublich es war, dass so wenige Menschen so viele und so gewichtige Dinge innerhalb so kurzer Zeit geschaffen haben sollten.

Sie hatten es dennoch getan. Sie hatten der Erde ihren Willen aufgezwungen, sie hatten die irdische Wirtschaft auf den Kopf gestellt. Sie hatten die Großmächte veranlasst, sie anzuerkennen, und zu der Überzeugung gebracht, dass ohne sie – ohne die Dritte Macht – auf der Erde und in der Umgebung der Erde nichts mehr getan werden könne.

Jetzt war es Mai 1972. Das Abenteuer dauerte nun ein knappes Jahr, und trotzdem war es nach der Sintflut das größte, das die Menschheit jemals erlebt hatte.

 

*

 

»Wir sollten nicht mehr lange zögern, Chef!«, drängte Bull, den gedrungenen, muskelbepackten Körper gestrafft und die roten Haarborsten kampfeslustig gesträubt. »Wir brauchen einen Ausweichposten nötiger als alles andere. Wir ...«

Rhodan machte eine beruhigende Handbewegung.

»Nichts übereilen, Bully! Wir starten in zwei Stunden.«

»Gut«, sagte Bull. »Wie ist der Plan?«

»Wir landen auf dem Mond. Ich will den alten Kreuzer nicht länger warten lassen. Wir werden eine Menge von den Dingen gebrauchen können, die dort nutzlos herumliegen.

Vom Mond aus fliegen wir geradewegs zur Venus.«

Er unterbrach sich nachdenklich.

»Du hast recht«, sagte er nach einer Weile, »wir brauchen den Ausweichposten nötiger als alles andere.«

Die Idee war einfach und klar. Wie auch immer die Verhältnisse auf und in der Nähe der Erde sich entwickeln würden – gegen einen überraschenden und mit Wucht vorgetragenen Angriff einer feindlichen Rasse gab es keine Versicherung. Rhodan jedoch hielt es für leichtfertig, das Risiko einer allgemeinen Vernichtung länger als unbedingt nötig zu ertragen. Dadurch, dass er der Dritten Macht auf der Venus einen Stützpunkt schuf, bannte er zwar nicht die Gefahr, die der Erde drohte, aber er sorgte dafür, dass die Katastrophe keine endgültige sein würde.

Crest und Thora, die ehemalige Kommandantin des Kreuzers, den irdische Kampfraketen auf dem Mond vernichtet hatten, waren mit Rhodans Plan einverstanden, wenn sie ihm auch nur geringes Interesse beimaßen. Für sie ging es in erster Linie darum, dass die sich sprunghaft entwickelnde irdische Technologie möglichst bald ein Stadium erreichte, in dem sie in der Lage war, ein ähnliches Schiff wie den auf dem Mond zerstörten Kreuzer zu bauen.

Crest pflegte mit Spott zu sagen: »Wir mussten in den entlegensten Winkel der Galaxis kommen, um zu sehen, wie schlecht es um das Imperium steht. Niemand kann uns übelnehmen, dass wir keinen anderen Wunsch haben als den, so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren. – Allerdings«, fügte er ernsthaft hinzu, »sind wir unserem Geschick zu Dank verpflichtet. Für das, was dem Imperium bevorsteht, braucht es einen Bundesgenossen, wir hätten keinen besseren finden können als die irdische Menschheit.« Dies war keine Bemerkung, der sich Thora leichten Herzens hätte anschließen können. Der Kampf, den ihre Vernunft mit wechselnder Intensität gegen die intuitive, emotionelle Missachtung der Menschheit führte, war noch nicht entschieden. Thora war noch nicht dazu gekommen, Menschen als ebenbürtige Wesen zu betrachten. Man wusste nicht, inwieweit Perry Rhodan in dieser Hinsicht eine Ausnahme darstellte.

 

*

 

Der Raumkreuzer GOOD HOPE, das arkonidische Kugelschiff, startete bei Einbruch der Dunkelheit. Die Rechenautomaten hatten nur Minuten gebraucht, um den Mondkurs festzulegen und die Steuerautomatik so einzurichten, dass für den Piloten nur noch die Aufgabe blieb, den Start durch einen Knopfdruck auszulösen.

Die GOOD HOPE startete mit Maximalschub. Der Impuls der mit Lichtgeschwindigkeit aus den Düsen austretenden Korpuskularwellenbündel verlieh ihr eine Anfangsbeschleunigung von nahezu 500 g.

Der ungeheure Andruck, den diese Beschleunigung auslöste, wurde im gesamten Schiffsvolumen neutralisiert. Im Innern der GOOD HOPE herrschte niemals eine Beschleunigung von mehr als etwa 1 g, wobei der Besatzung zugute kam, dass die Werte der Fallbeschleunigung auf den beiden Welten ARKON und ERDE bis auf wenige Prozent die gleichen waren.

Unter diesen Umständen war ein Flug zum Mond eine Sache weniger Minuten.

Rhodan war beruhigt und nahezu leichten Herzens von der Erde gestartet. Tako Kakuta, der Teleporter und Subchef des Mutantenkorps, hatte gute Nachrichten gebracht. Der Befehl über das Korps war an Ras Tschubai übergegangen, da Tako die Expedition begleitete. Ras Tschubai hatte die kleine Betty Toufry mit ihren erstaunlichen Gaben gewissermaßen als Spürhund zur Seite, und bei dem rastlosen, aber stets umsichtigen Eifer, mit dem er zu Werke zu gehen pflegte, war Rhodan davon überzeugt, dass die Aktion gegen die Individualverformer bei Ras in den besten Hunden lag. Zudem bedeutete es für die GOOD HOPE keine Schwierigkeit, die Expedition zu unterbrechen, wenn die Nachrichten alarmierend wurden, und auf dem schnellsten Wege zur Erde zurückzukehren.

Rhodan dachte an Ernst Ellert und empfand erneut die Welle von Zorn und Ärger, die in ihm aufstieg, wenn er sich an den Verlust dieses so überaus wertvollen Mannes erinnerte. Ellert war der Mutant mit einer einzigartigen Begabung gewesen. TELETEMPORATION hatte Rhodan diese Fähigkeit genannt. Reginald Bull drückte sich prosaischer aus und nannte Ellert den Mann, »der seinen Geist in der Zukunft Spazierengehen lassen kann«.

Ellert schien tot zu sein, die Hoffnungen waren mit ihm gestorben. Manchmal erschien es Rhodan, als habe die Natur, einem unerkannten metaphysischen Gesetz folgend, sich selbst korrigiert, indem sie Ellert ausschaltete. Ellert war im wahrsten Sinne des Wortes ein Monstrum gewesen, monströser als die IVs, die die Erde zerstören wollten.

Als Rhodan mit einer müden Handbewegung die letzten dieser Gedanken sich von der Stirn wischte, setzte die GOOD HOPE bereits zur Landung an. Das Schiff hatte eine Viertel-Mondumkreisung vollzogen und steuerte auf das Trümmerfeld zu, das die zerstreuten Überreste des ehemaligen Arkonidenkreuzers bildeten. Die Strahlungsmessgeräte zeigten an, dass die Radioaktivität im Trümmergebiet mittlerweile auf ein ungefährliches Maß abgesunken war.

Rhodan war seit der Katastrophe mehrere Male hier gewesen, um nach brauchbaren Überresten zu suchen. Es hatte niemals Überraschungen gegeben. Der Mond war nach wie vor eine tote Welt.

Deshalb war das Schrillen des Ortungssignales eine gewisse Sensation. Bull, der den Orter bediente, meldete: »Unbekanntes Objekt bei Phi null-fünf, Theta drei-drei-sechs. Auf der Mondoberfläche. Keine Bewegung zu erkennen.«

Rhodan suchte auf den Bildschirmen nach den Koordinaten, die Bull angegeben hatte. Das Objekt erwies sich als miserabel klein – ein glitzernder Fleck inmitten der Mondeinöde.

Rhodan nahm die Automatik aus dem Steuerkreis und übernahm selbst die Lenkung des Schiffes. Ohne hinzusehen, schlug er auf den Schalter des Telekoms und wartete, bis er Dr. Manolis Stimme hörte.

»Ja, Chef?«

»Wir haben etwas geortet. Manoli«, erklärte Rhodan. »Funken Sie es an und hören Sie, ob es antwortet! Bull gibt Ihnen die Koordinaten.«

»In Ordnung, Chef.«

»Bully, übernimm das Gespräch!«

»Sofort.«

Während die GOOD HOPE mit mäßiger Geschwindigkeit über das Trümmerfeld des Kreuzers und den kleinen, glitzernden Punkt an seinem Rand dahinzog, murmelte Bull die sich ständig verändernden Koordinaten in das Telekom. Dr. Manoli arbeitete mit Richtstrahler und breitem Öffnungswinkel.

Nach einer Weile meldete er: »Ich bekomme keine Antwort, Chef!«

Rhodan rief zu Bulls Telekom hinüber: »Bleiben Sie trotzdem am Gerät, ich gehe tiefer!«

In einer weiten Schleife ausholend und nun von der anderen Seite sich dem Trümmerfeld nähernd, verlor die GOOD HOPE an Höhe.

Der Bodenabstand betrug immer noch achtzig Kilometer. Aber Teleskope, wie sie an Bord gebräuchlich waren, sollten jetzt in der Lage sein, den glitzernden Gegenstand zu identifizieren.

Rhodan zweifelte daran, dass er hier eine Spur der Individualverformer vor sich habe. Es gab keinen besonders guten Grund für diesen Zweifel, außer vielleicht dem, dass es der unmenschlichen Schlauheit der IVs widersprach, ein so auffälliges Ding in einer Gegend liegenzulassen, die ein menschliches Fahrzeug über kurz oder lang wieder aufsuchen würde.

Eine Falle?

Rhodan wandte sich um. Thora saß neben Crest auf einer der Liegen, die an den Wänden des kreisrunden Zentralraumes herumstanden.

»Thora, würden Sie bitte den Gefechtsstand übernehmen?«

Thora machte ein gelangweiltes Gesicht. Mit einem kurzen Nicken stand sie auf und ging zu der Schalttafel, in deren Knöpfen die Bedienungsanleitungen aller Waffen, die die GOOD HOPE an Bord hatte, auf einer Fläche von kaum einem Quadratmeter endeten.

Rhodan hielt das Schiff senkrecht über dem glitzernden Punkt.

»Bully, was ist es?«

Bull hatte das Teleskop eingerichtet und projizierte das Bild auf einen der Schirme.

»Mein Gott«, stöhnte er, »eine irdische Rakete, wie die STARDUST!«

Rhodan nickte knapp. Mit einem Schwung fuhr er auf seinem Sessel herum.

»Landung!«, ordnete er an.

Bulls Schrei ließ seine Handbewegung in der Luft erstarren: »Warte ...!«

Aller Augen richteten sich auf den Mikrowellenorterschirm, auf der die fremde Rakete als heller Lichtfleck zu sehen war. Zwei winzige, weiße Punkte hatten sich von dem Fleck gelöst und strebten mit erstaunlicher Geschwindigkeit dem Mittelpunkt des Schirmes zu.

Bull drehte den Kopf, die Augen vor maßlosem Erstaunen weit geöffnet.

»Das kann doch nicht wahr sein!«, sagte er leise und beinahe andächtig: »Sie schießen auf uns!«

 

*

 

Ein paar Stunden zuvor hatte sich folgendes abgespielt:

Die GREYHOUND, ein Schiff der STARDUST-Klasse und ein letzter Versuch der Westmächte, das Energie- und Wissens-Monopol der Dritten Macht hinter deren Rücken zu brechen, war unbemerkt bis zum Mond vorgestoßen und vorschriftsmäßig bis über den fiktiven Landepunkt an der Grenze des Trümmerfeldes manövriert, in dem die Besatzung die übriggebliebenen Wunder arkonidischer Technik zu finden hoffte, setzte zur endgültigen Landung an.

Für die GREYHOUND war die Landung das schwierigste Manöver. Den Flug hatte die Automatik, mit Leitsignalen von der Erde sorgfältig und ohne Unterbrechung gefüttert, ohne Zwischenfall durchgeführt. Der Landepunkt jedoch lag außerhalb der Reichweite irdischer Funktechnik, und bei dem Landevorgang bedurfte es des ganzen Geschicks zwei monatelang trainierter Piloten.

Die beiden Piloten waren Lieutenant Colonel Michael Freyt und Lieutenant Conrad Deringhouse. Von ihnen ging die gesamte Aktivität aus, die die Rakete in den Augenblicken der Landung erfüllte. Captain Rod Nyssen, Waffenoffizier, und Major William Sheldon, Spezialist für die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Bergung des Beuteguts aus den Kreuzertrümmern, hatten im Augenblick keine Aufgaben. Sie lagen auf den pneumatischen Andruckpolstern und erholten sich von den Strapazen.

Deringhouse meldete mit belegter Stimme: »Alle Geschwindigkeiten Null bis auf Vertikalbewegung!«

Oberstleutnant Freyt antwortete: »Vertikal zehn Meter pro Sekunde, konstant. Man könnte sagen: wir sinken sanft wie ein Blatt!«

Freyt war aus derselben Schule hervorgegangen wie Major Perry Rhodan ein Jahr zuvor. Er schien derselbe Typ zu sein wie Rhodan – groß, ernst, aber mit kleinen Falten in den Augenwinkeln, die dann und wann, so klein sie waren, dem militärisch strengen Gesicht den ganzen Ernst zu nehmen vermochten.

Die beiden Piloten trugen ihre Raumkombination und hielten den Helm so weit geöffnet, dass sie sich durch die Lücke zwischen Halskrause und Helmwandung hindurch ohne Zuhilfenahme des Mikrophons verständigen konnten.

Nyssen und Sheldon dagegen waren schon voll raumtüchtig.

»Abstand viertausend!«, meldete Deringhouse.

Zum ersten Mal sah er zu Freyt hinüber und erlaubte sich ein echtes Grinsen. Mit dem Helm, den er halbwegs in den Nacken geschoben hatte, sah er aus wie ein Schuljunge, der sich vorgenommen hat, ohne Billet mit dem Bus zu fahren.

»Bremse weiter!«, kam Freyts Antwort.

Ein Ruck schwacher Beschleunigung durchlief das Schiff. Sekunden später breitete sich die schwache Gravitation des Mondes wieder aus.

»Vertikal sechs pro Sekunde. Abstand?«

»Abstand dreitausenddreihundert, Sir.«

Freyt nickte befriedigt. Die Landung verlief planmäßig.

Die GREYHOUND würde nahezu zehn Minuten brauchen, um die restliche Entfernung von dreitausenddreihundert Metern zu überwinden, und für ihre Besatzung war das eine endlos lange Zeit, aber bis jetzt gab es keinen Versager, und nach Freyts Meinung sollte es mit dem Teufel zugehen, wenn nicht auch noch die Landung glückte.

Freyt war mit ganzem Herzen bei der Sache, obwohl er das Motiv seines Auftrages nicht billigte. Er war selber dabeigewesen, als in den ersten Tagen des Bestehens der Dritten Macht aus allen Rohren und Bombenschächten der Erde auf die Energiekuppel gefeuert wurde; aber mittlerweile war er zu der Überzeugung gelangt, die Zeit sei vorbei, in der irgendeine andere irdische Macht hinter Rhodans Rücken mit Aussicht auf Erfolg versuchen könne, sich ihren Teil vom Erbe der Arkoniden zu sichern.

Er hatte diesen Auftrag trotzdem übernommen, weil er Offizier war, und weil man keineswegs von ihm verlangte, er solle Rhodan oder seinen Leuten feindlich gegenübertreten, wenn er mit ihnen zusammentraf.

Sheldon wälzte seinen unförmigen Körper beiseite, soweit es ihm die Sicherungsgurte erlaubten und krächzte durch den Helmsender: »Wie lange noch? Ich sterbe vor Aufregung!«

Freyt winkte grinsend ab.

»Nur ein paar Minuten. – Abstand?«

»Eintausendachthundert, Sir.«

»Gut.«

Die Oberfläche des Mondes schien eine flache Schüssel zu sein, in die sich die GREYHOUND langsam hineinsinken ließ. Freyt und seine Leute waren über den »Topf-Effekt« aufgeklärt, der den Astronauten bei der Landung auf Himmelskörpern mit kleinem Durchmesser jedes Mal von neuem überraschen würde. Dort, wo die GREYHOUND niedergehen wollte, schien der Boden glatt und eben zu sein.

Freyt jedoch verließ sich nicht auf eine oberflächliche Schätzung. Neben der Aufgabe, den Bodenabstand zu kontrollieren, überwachte Deringhouse noch ein Gerät, das aus einer Höhe von hundert Metern an abwärts in der Lage war, Bodenunebenheiten von einem Zentimeter Höhe und weniger auszumachen.

Die GREYHOUND war, wie die STARDUST, mit hydromechanischen Landestützen ausgerüstet, die Unebenheiten bis zu drei Metern bequem und solche bis zu sieben Metern weniger bequem ausgleichen konnten.

»Wie sieht der Boden aus?«, fragte Freyt.

»Bis jetzt gut, Sir. Keine Unebenheiten von mehr als vier Metern.«

»Abstand?«

»Neunhundert, Sir.«

»Sagen Sie mir bei vierhundert Bescheid. Wir bremsen noch einmal.«

Deringhouse nickte. Freyts Blick wanderte über die Geräte.

Treibstoffanzeige – Tank zu sechzig Prozent gefüllt, etwas mehr als sechzig sogar.

Das war günstig. Die GREYHOUND würde die Endlandung auf der Erde mit aerodynamischer Bremsung und nur einem Minimum an Raketenhilfe vollziehen. Fast alles von dem Wasserstoff, der sich jetzt noch in den Tanks befand, konnte Freyt beim Mondstart verbrauchen.

Na schön, dachte er, bis wir unten sind, steht der Zeiger auf etwa fünfundfünfzig Prozent, aber das ist immer noch mehr als genug.

»Vierhundert Meter, Sir!«, sagte Deringhouse jetzt.

»Achtung, Bremse!«, kam Freyts Echo.

Ein neuer Stoß durchfuhr die Rakete.

Deringhouse nestelte an seinem Helm. Freyt sah ihn an und nickte.

»Helme schließen!«

Von nun an lief die Unterhaltung nur noch über Helmsender.

»Zwohundert!«

Freyts linke Hand ruhte auf dem Beinwulst seines Raumanzuges. Arbeit gab es, wenn überhaupt, nur noch für die Rechte. Sie umklammerte den Haupthebel für Notbeschleunigung, ein Mechanismus, der Reaktortemperatur und Wasserstoffzufuhr gleichzeitig regelte.

»Keine Unebenheit höher als ein Meter, Sir!«, meldete Deringhouse.

Die Sekunden krochen dahin.

Deringhouse begann zu zählen: »Achtzig Meter ... siebzig ... sechzig ...«

»Kontrolle! Unebenheiten!«, schrie Freyt.

»Keine über achtzig Zentimeter, Sir«, antwortete Deringhouse und fuhr fort: »... vierzig ... dreißig ...«

Dann Pause. Und eine Minute später.

»Stützen setzen auf! Wir sind gelandet!«

»Ruhe!«, brüllte Freyt.

Die Stützen übernahmen einen Teil des Gewichtes. Die Hydraulikwülste schoben sich über die glitzernden Stahlarme hinunter.

Deringhouse, dessen früher Triumph so grob unterbrochen worden war, meldete: »Stützen B und C auf gleicher Höhe. A minus achtzig Zentimeter.«

Freyt winkte ab.

»Unter einem Meter lohnt es sich nicht ...«

Und dann geschah es doch noch.

Sie spürten den harten Ruck und hörten den hellen Glockenklang, der das Schiff durchfuhr.

»A sinkt!«, schrie Deringhouse. »Ausgleich!«

Freyt riss die linke Hand nach oben und hieb sie auf den Hydraulik-Regler. Es gab einen zweiten Ruck, als die Stützen B und C den Unterschied zu A abzufangen versuchten – und dann einen dritten!

»A sinkt weiter!«, schrie der Leutnant. »Wir ... Sir! Der Boden bricht!«