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Nr. 14

 

Rhodans Sohn

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Innerhalb kürzester Zeit werden die verbündeten Sternenreiche Terras und Arkons von einem verheerend wirkenden Rauschmittel überschwemmt. Milliarden intelligenter Wesen auf vielen Planeten der Galaxis sind von der Sucht nach dem geheimnisvollen Liquitiv bedroht. In der Wüste des Todes auf dem Planeten Lepso finden Spezialisten der legendären Abteilung III die ersten Spuren. Die Antis, jene mysteriösen Götzenpriester, gegen die auch die Mutanten Perry Rhodans machtlos sind, scheinen die Hersteller des Rauschgifts zu sein. Und hinter ihnen steht Thomas Cardif – Rhodans abtrünniger Sohn. Thomas Cardif gelingt es, sich anstelle seines Vaters auf dem Planeten Wanderer einen Zellaktivator zu beschaffen, der ihn unsterblich macht. In einem Handstreich wird Perry Rhodan entführt – und sein verräterischer Sohn nimmt die Position eines Ersten Administrators des Solaren Imperiums ein. Und nur einer unter Perry Rhodans Freunden ahnt die schreckliche Wahrheit, Atlan, der Imperator von Arkon. Unter der Führung des verbrecherischen Doppelgängers und dem unheilvollen Wirken der Antis scheint das Solare Imperium der Menschheit dem Chaos zuzutreiben. Ob es gelingt, dem falschen Administrator die Maske vom Gesicht zu reißen und den echten Rhodan rechtzeitig zu befreien, beantwortet dieses Buch.

 

Einleitung

 

 

Generationskonflikt und Drogenszene sind Schlagworte, die so manche Diskussion in der heutigen Zeit beherrschen. Hier ist nicht die Stelle, um die Gründe dafür zu untersuchen. Es verdient jedoch festgehalten zu werden, dass diese beiden Themen in mancher Beziehung in einem engen Zusammenhang stehen. Ein dramaturgischer Zufall fügte es, dass dies auch in den in den frühen sechziger Jahren entstandenen Originalromanen, die für dieses Buch Verwendung fanden, so war.

Diese Romane sind (in der Reihenfolge ihres ehemaligen Erscheinens und unberücksichtigt der darin vorgenommenen Kürzungen und Korrekturen): Die Wüste des Todes von Kurt Mahr; Der Blockadering um Lepso von Kurt Brand; Auf den Spuren der Antis von William Voltz; Unter falscher Flagge von Clark Darlton; Der Mann mit den zwei Gesichtern von Kurt Brand; Die Wunderblume von Utik von Kurt Mahr; Rufer aus der Ewigkeit von Kurt Brand; Der Imperator und das Ungeheuer von William Voltz und Duell unter der Doppelsonne von K. H. Scheer.

Die für ein Buch notwendige thematische Geschlossenheit machte es notwendig, mehr Originalromane als üblich in diesen vierzehnten Band der Perry-Rhodan-Bibliothek aufzunehmen. Die Dramaturgie hat darunter nicht gelitten, denn es war um so einfacher, widersprüchliche Passagen und Wiederholungen zu streichen oder umzuschreiben. Dabei wurden vor allem die Aussagen zu Themen wie »Liquitiv, Zellaktivatoren, Antischutzschirme und Kombiwaffen« vereinheitlicht. Das Schicksal, das Rhodans Sohn in diesem Buch widerfährt, war in der Vergangenheit oft Anlass zur Kritik – aber daran lässt sich natürlich auch in der Buchform nichts ändern. Wir können jedoch alle Leser mit »Familiensinn« auf den nächsten Sohn Rhodans vertrösten, der in nicht allzu ferner Zukunft an Cardifs Stelle treten und für viel Unterhaltung sorgen wird. Unser Held Perry Rhodan erhält in diesem Buch endgültig einen Zellaktivator und erlangt in unserer fiktiven Geschichte der Menschheit in der Zukunft damit das, was ihm literarisch offenbar bereits beschieden ist: Unsterblichkeit.

Bei der Bearbeitung für dieses Buch konnte ich mich abermals auf die Hilfe von Christa Schurm, Franz Dolenc und G. M. Schelwokat verlassen, bei denen ich mich bedanke.

 

Heusenstamm, Januar 1983

William Voltz

Zeittafel

 

 

Die Geschichte des Solaren Imperiums in Stichworten:

 

1971 – Die STARDUST erreicht den Mond, und Perry Rhodan entdeckt den gestrandeten Forschungskreuzer der Arkoniden.

1972 – Aufbau der Dritten Macht und Einigung der Menschheit.

1976 – Perry Rhodan löst das galaktische Rätsel und entdeckt den Planeten Wanderer, wo seine Freunde und er von dem Geisteswesen ES die relative Unsterblichkeit erhalten.

1984 – Rhodans erster Kontakt mit dem Robotregenten von Arkon im Kugelsternhaufen M 13. Der Robotregent versucht die Menschheit zu unterwerfen.

2040 – Das Solare Imperium ist entstanden. Nach 10.000 Jahren taucht der Arkonide Atlan aus seiner Unterwasserkuppel im Atlantik auf und wird Perry Rhodans Freund.

Die Druuf dringen aus ihrer Zeitebene in unser Universum vor. Menschen gelangen in das Druufuniversum, um dort der unheimlichen Gefahr zu begegnen.

2043 – Rhodans Frau Thora stirbt, und ihr gemeinsamer Sohn Thomas Cardif wird zum Gegenspieler seines Vaters.

2044 – Die Terraner stoßen nach Arkon vor und verhelfen Atlan zu seinem Erbe.

Zum ersten Mal taucht ein geheimnisvoller »Anti« auf, der den Kräften der terranischen Mutanten widerstehen kann. Rhodans Sohn tritt offen gegen seinen Vater auf.

2102 – Mit seinem ersten Linearschiff, der FANTASY, stößt Perry Rhodan in das Blaue System der Akonen vor und findet in den Vorfahren der Arkoniden einen unerbittlichen Gegner.

1.

 

 

Die FLORIDA kam aus dem Zentrum der Galaxis. Major Kindsom, der Kommandant des Wachkreuzers, wusste, dass man nach einer bestimmten Anzahl von Transitionen, die das Schiff auf dem Rückweg nach Terra auszuführen hatte, von ihm erwartete, dass er einen kurzen Bericht über die Ereignisse seiner Tätigkeit im Milchstraßenzentrum über Richtstrahlhyperkom an die Erde abgab. Dick Kindsom hatte den Bericht vorbereitet und eine Kodeschablone für die Sendung anfertigen lassen. Er schob die Schablone jetzt in den Sender und drückte die Auslösetaste.

Dick Kindsom wusste, dass fast im selben Augenblick, neuntausend Lichtjahre von hier entfernt, die Empfangsgeräte auf der Erde zu arbeiten begannen. Sie würden die Sendung, die eine Gesamtlänge von drei Tausendstelsekunden hatte, dehnen, auseinanderpflücken, durchleuchten, wieder zusammensetzen, und im Auswurf des Transformators würde schließlich ein Streifen Mikrofilm erscheinen, der, durch ein geeignetes Gerät projiziert, das, was Dick Kindsom mit rund tausend Worten gesagt hatte, befugten Augen in einfach lesbaren Buchstaben übermitteln würde.

Nachdem Dick Kindsom auf diese Weise seine Pflicht getan hatte, machte er die FLORIDA zur nächsten Transition bereit. Er war eben dabei, den Hypersprung auszulösen, der das Schiff um ein paar weitere tausend Lichtjahre näher an die Erde heranführen würde, als der Hyperkomempfänger sich mit einem Warnzeichen meldete.

Dick annullierte alle positronischen Befehle, die er der Steuerautomatik der FLORIDA gegeben hatte und nahm das Gespräch an. Ein rotes Leuchtzeichen erschien auf der Bildscheibe des Empfängers, und eine mechanische Stimme erklärte: »Firing zwo ruft Kreuzer FLORIDA. Ich habe ein TTT-Gespräch von Firing zwo für Kreuzer FLORIDA. Melden Sie sich bitte.«

Dick zögerte nicht. TTT bedeutete höchste Dringlichkeit. Er hatte keine genaue Vorstellung, wer auf einer gottverlassenen Welt wie Firing II so ungeheuer dringend mit ihm sprechen wollte – aber er nahm an.

»Geben Sie mir das Gespräch!«, befahl er dem Automaten. »Hier spricht Major Kindsom, Kommandant der FLORIDA.«

Das rote Leuchtzeichen verschwand. Der Bildschirm flackerte, und dann tauchte ein Gesicht auf, bei dessen Anblick Dick vor Entsetzen einen Schritt zurücktrat.

Der Kopf sah aus wie ein Totenkopf, über dessen Knochen jemand gelbgraue, runzlige Haut so straff wie möglich gespannt hatte.

Der schmallippige Mund des Totenkopfs öffnete sich, und die Mumie begann zu sprechen. Das machte ihr Mühe. Sie brachte alle fünf Sekunden nur ein Wort hervor, und ein keuchendes Rasseln begleitete die Worte.

»Wer auch immer mich hört«, sagte die Mumie, »ich bitte ihn um Hilfe. Ich befinde mich in höchster Gefahr. Ich bin Doktor Armin Zuglert, Wohnort Zanithon auf Lepso. Helfen Sie mir, ich flehe Sie an!«

Dick trat wieder nach vorn. »Wie können wir Ihnen helfen, Zuglert? Hier spricht der Kommandant des Wachkreuzers FLORIDA. Welche Gefahr droht Ihnen?«

Für seine Ungeduld dauerte es viel zu lange, bis Zuglert, der offenbar am Ende seiner Kräfte war, zu antworten begann.

»Ich habe vor zwölf ...«, begann Zuglert. Dann riss die Verbindung ab. Der Bildschirm war plötzlich wieder grau und leer.

Dick Kindsom erschrak. Dieser Narr. Er musste aus lauter Schwäche gerade im wichtigsten Augenblick den Arm auf eine Schalttaste gestützt und sein Gerät ausgeschaltet haben. Konnte er nicht besser aufpassen, wo es doch um sein eigenes Leben zu gehen schien?

Dass das Gespräch unterbrochen worden war, beunruhigte ihn sehr. Wenn er auf der Erde Bericht erstattete, würde er nicht besonders viel zu sagen haben.

Er wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass selbst das wenige, was er zu sagen wusste, im Laufe der nächsten Tage und Wochen eine Haupt- und Staatsaktion des Solaren Imperiums auslösen würde.

2.

 

 

Man glaubte im allgemeinen, dass die Sonderagenten der Interkosmischen Sozialen Entwicklungshilfe ein angenehmes Leben führten. Die Sonderagenten waren die geheime Reserve der Institution. Sie wurden dann berufen, wenn ein Problem mit den üblichen Mitteln nicht mehr zu lösen war. Zwischen zwei Berufungen taten sie, was ihnen lieb und recht war und was ihre finanzielle Lage ihnen erlaubte.

Die ISE war eine vor einigen Jahren gegründete Spezialabteilung der Solaren Abwehr. Ihre Sonderagenten waren in der »Abteilung 3« untergebracht, die ihren Sitz in einem unauffälligen Gebäude in Terrania hatte. Eingeweihte nannten diese Gruppe auch den »Gehirntrust«. Chef dieser kleinen Mannschaft von Spezialisten war Oberst Nike Quinto, ein kleiner dicker Mann, der immer zu schwitzen schien und der unter einem hohen Blutdruck litt. Quinto hatte ein rötliches Pausbackengesicht, dünne, glatt zurückgekämmte Haare und ungeschickt wirkende Wurstfinger. Seine Stimme klang hoch und schrill. Mit seiner Abteilung 3 unterstand er direkt Perry Rhodan und der Administration. Quinto galt als Meister der Tarnung. In seinem Büro liefen alle Fäden des Gehirntrusts zusammen, während er offiziell nur als Leiter der ISE auftrat.

Niemand, der mit Sinn und Zweck der Interkosmischen Solaren Entwicklungshilfe – insbesondere der Abteilung 3, der die Sonderagenten unterstanden – nicht näher vertraut war, konnte ermessen, dass das, was die Sonderagenten in ihren Einsätzen leisteten, jegliche Freizügigkeit, die man ihnen außerhalb des Dienstes angedeihen ließ, rechtfertigte. Ein normaler Sterblicher hätte ohne Zweifel lieber für die nächsten zehn Jahre auf seinen Urlaub verzichtet, als den gefährlichen Auftrag eines Sonderagenten anzunehmen, durch dessen Erledigung er sich eine unbestimmte Zeitspanne privater Freizeit gesichert hätte.

Major Ron Landry war sich voll und ganz darüber im klaren, dass er in den nächsten Tagen wieder einmal seine Haut zu Markte tragen musste, als er den Befehl erhielt, sich in Quintos Büro einzufinden.

Ron hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, unangenehme Dinge so rasch wie möglich hinter sich zu bringen. Eine halbe Stunde, nachdem er den Befehl bekommen hatte, stand er vor Nike Quintos Tür. Er hatte sich seelisch auf Quintos ewiges Gejammer über seine miserable Gesundheit und die Unfähigkeit seiner Untergebenen noch nicht ganz vorbereitet, als die Tür sich vor ihm öffnete und er den mächtigen Schreibtisch erblickte, über dessen Rand von dem Oberst nur das rosige, schwitzende Gesicht zu sehen war.

Ron trat durch die Tür und nahm auf einem der Sessel vor dem Schreibtisch Platz. Nike Quinto bewegte sich ächzend, und nach einer Weile war auch seine Schulterpartie über der Tischplatte zu sehen.

»Sie wissen, wie es um meine Gesundheit bestellt ist, Landry«, begann er ohne weitere Einleitung. »Sitzen Sie also ruhig, hören Sie zu und widersprechen Sie nicht. Mein Blutdruck hat die obere Grenze nahezu erreicht. Wenn ich mich ärgere, falle ich wahrscheinlich auf der Stelle tot um.«

Das war Nike Quinto, seine unangenehme, hohe Stimme und das Gejammer über seinen schlechten Gesundheitszustand. Ron Landry wusste, dass er in Wirklichkeit kerngesund war.

»Jawohl, Sir«, antwortete Ron folgsam.

Nike Quinto fuhr auf.

»Sagen Sie nicht ›jawohl, Sir‹«, keifte er, »ich habe Sie ja gar nichts gefragt.« Er beruhigte sich so schnell, wie er zornig geworden war, und fuhr fort: »Sie werden morgen früh nach Lepso starten. Wir haben einen merkwürdigen Bericht von dort bekommen.«

Während Ron einen Teil seiner Gedanken auf die Frage konzentrierte, wer oder was in aller Welt Lepso sein könne, berichtete Nike Quinto von dem Erlebnis, das Dick Kindsom an Bord der FLORIDA gehabt hatte. Ron erfuhr auf diese Weise, dass Lepso und Firing II miteinander identisch waren, und diese Erkenntnis beflügelte seine Phantasie. Er verstand nur nicht ...

»Wissen Sie also, was Sie zu tun haben, Landry?«, fragte Quinto mit hoher Stimme.

»Jawohl, Sir«, antwortete Ron bereitwillig. »Zuglert muss gefunden werden.«

Nike Quinto seufzte und sank ein Stück tiefer in seinen Sessel.

»Mein Herz«, jammerte er. »Ich wusste, dass Sie es nicht verstehen würden. Warum hat man mir keine fähigeren Offiziere gegeben? Zum Donnerwetter, wegen Zuglert allein würde ich Sie nicht nach Lepso schicken. Wo kämen wir hin, wenn wir wegen jedes jammernden Kranken einen unserer Sonderagenten loshetzen wollten? Das ist nicht Ihr Auftrag, Landry.«

Sondern?, dachte Ron im stillen.

Nike Quinto jedoch ließ sich Zeit für die Antwort. Er wischte sich über die Stirn und betrachtete die vom Schweiß feuchte Handfläche.

Dann erst erklärte er: »Auf Lepso scheinen in der letzten Zeit mehrere solcher ausgemergelter Figuren aufgetaucht zu sein wie Armin Zuglert. Es scheint, als sähe man aber nie die gleiche Gestalt zweimal. Man hatte den Eindruck, als würden die Dürren sofort nach ihrem Auftauchen abtransportiert und dann durch andere ersetzt. Was für einen Sinn dies hat, wissen wir leider nicht. Es herauszufinden, ist ein Teil Ihrer Aufgabe. Die ganze Angelegenheit kann harmlos sein, aber sie muss es nicht. Im Laufe der Zeit ist Lepso ein wichtiger Handelsknotenpunkt geworden, das hätten Sie wissen sollen, Landry. Lepso ist eine autarke Handelswelt, kein Wunder, dass alle möglichen Leute mit Argusaugen über sie wachen – vor allem die Galaktischen Händler. Auf Lepso kann jeder Geschäfte im großen Stil machen. Irgendwo weit oben«, er zeigte mit dem Finger ruckweise gegen die Decke, »hat der Fall Zuglert auf jeden Fall eine Menge Staub aufgewirbelt. Der Befehl, einen meiner – äh – Leute nach Lepso zu schicken, kommt durch den direktesten Draht, der vom Administrator bis zu meiner Wenigkeit führt.«

Ron verbarg ein Lächeln.

Es tat ihm gut zu wissen, dass Nike Quinto in der Eile »einen meiner besten Leute« hatte sagen wollen. Und die Tatsache, dass Quinto seinen Befehl von Perry Rhodan direkt erhalten hatte, verfehlte ihren Eindruck auf Ron nicht.

»Sie werden jetzt also dort hingehen«, sagte Nike Quinto und deutete auf die Tür in der Seitenwand des Büros, »und sich mit allem vertraut machen lassen, was wir bislang über die mysteriöse Lepso-Affäre wissen. Nach der Schulung werden Sie sich fühlen, als hätten sie das Gespräch mit Zuglert an Kindsoms Stelle geführt.«

Ron Landry stand auf und wandte sich zur Seite. Er war ziemlich groß und breitschultrig. Er schien nicht älter als dreißig Jahre zu sein, aber der Blick seiner Augen wirkte erfahrener als dreißig, und die Art, wie er sich trotz seiner beeindruckenden Größe bewegte, wirkte elegant und selbstsicher. Landry strich sich über sein dunkelblondes Haar und wartete. Die Tür öffnete sich vor ihm. Er sah in den matt erleuchteten Raum, in dem die Geräte der Hypnoschulung auf ihn warteten.

 

Drei Tage später verließ Ron Landry den Frachter EPHRAIM, der ihn in rascher, aber unbequemer Fahrt zu dem Raumhafen Zanithon auf Lepso gebracht hatte, und stürzte sich, praktisch von der Laderampe aus, in das hektische Gewühl der großen Stadt.

Das war, erkannte er, eine der Besonderheiten auf Lepso. Es gab keine Zollabfertigung, keine Passkontrolle, keinen Gesundheitsnachweis, nichts. Man stieg aus einem Raumschiff wie anderswo aus einem Taxi und machte sich davon. Die Regierung dieser Welt hatte den Vorteil der galaktischen Position von Lepso frühzeitig erkannt und dafür Sorge getragen, dass sich viele von den Schiffen, die auf den nahe vorbeilaufenden Hauptschifffahrtsrouten kreuzten, auch tatsächlich auf Lepso herabließen, um dort mit einem Teil ihrer Ladung Handel zu treiben. Handeltreibende lockt man an, indem man den Zugang zum Handelsplatz mit möglichst wenig Schwierigkeiten verbindet, am besten mit überhaupt keinen. Infolgedessen gab es auf den Raumhäfen von Lepso keine der Formalitäten zu erledigen, die in anderen Häfen der Galaxis obligatorisch waren. Natürlich war die Regierung sich von vornherein im klaren darüber gewesen, dass sie auf diese Weise nicht nur ehrliche Händler nach Lepso lockte. Sie hatte sich darüber keine Gewissensbisse gemacht, denn sie kassierte Mehrwertsteuer von den unehrlichen Geschäften ebenso wie von den ehrlichen, und das, was kassiert wurde, nämlich Geld, war auf Lepso ohnehin das einzige, was galt.

Lepso war die zweite Welt eines gelben, solähnlichen Sterns. Auf der Oberfläche des Planeten herrschte nahezu die gleiche Schwerkraft wie auf der Erde, und dank der ziemlich engen Umlaufbahn, die Lepso um sein Zentralgestirn beschrieb, herrschten das ganze Jahr hindurch Temperaturen wie im Sommer zwischen Rom und Kairo.

Die freizügige Einwanderungspolitik der Lepso-Regierung hatte im Verlauf der Jahrhunderte dazu geführt, dass Vertreter vieler galaktischer Völker auf dieser Welt ansässig geworden waren. Auf Lepso gab es Topsider, Echsenwesen von dem Planeten Topsid, die kleinen, gurkenähnlichen Swoon von Swoofon, riesige, dreiäugige Naats aus dem arkonidischen Sonnensystem und eine Unzahl anderer Geschöpfe, zum Teil von unabhängigen Welten, etwa die Hälfte von ihnen humanoid, die anderen nichtmenschlich.

Diese Welt hatte Ron Landry nun betreten, zum ersten Mal in seinem Leben.

Der stumpfe Belag aus Glasfaserbeton endete an einem grünen, fluoreszierenden Lackstrich. Dahinter lag die Straße, ein Monstrum von einer Straße, mindestens zweihundert Meter breit. Sie führte nach rechts in die Stadt hinein. Jenseits des grünen Lackstrichs, die Fahrzeugkanten dicht über dem Strich, stand eine Reihe von Gleitfahrzeugen, deren Aufschriften, meist in arkonidischer Schrift und Sprache, verkündeten, dass die Gleiter für billiges Geld mitsamt Chauffeur zu mieten waren.

Ron beschloss, mit einem solchen Taxi in die Stadt zu fahren. Er bezweifelte, dass es überhaupt eine andere Möglichkeit gab. Aber zuvor wollte er einen Blick auf den Verkehr werfen, der auf der Straße an ihm vorbeiflutete. Ein kurioses Kunterbunt von Fahrzeugen bewegte sich mit höllischer Geschwindigkeit in beiden Richtungen. Ron schätzte das Tempo auf rund zweihundert Kilometer pro Stunde. Das bedeutete, dass diese Straße mit einem automatischen Funkleitsystem versehen sein musste. Die Autos, die sich diesem Leitsystem anvertraut hatten, vertraten alle in der Galaxis bekannten Konzerne. Es gab die schnittigen, mit breiten Fenstern ausgestatteten arkonidischen Gleiter, die etwas plumperen, aber dafür kräftigeren Fords von der Erde. Man sah hochbeinige, altmodische Vehikel, die der Luft über der Straße jeden beliebigen Widerstand boten und einen Wirbelsturm hinter sich herzogen, und flache, bootsähnliche Fahrzeuge von den Welten, in denen die Dichte der Atmosphäre eine solche Form erforderte.

Ron Landry fing plötzlich an zu lachen. Er hatte keinen eigentlichen Grund, und er wusste auch nicht, worüber er lachte. Es war einfach zu komisch, dieses Sammelsurium galaktischer Intelligenzen an sich vorbeirasen zu sehen und sich vorzustellen, dass diese hektische Eile einzig und allein dem Geld galt, dem Gewinn. Denn niemand kam zu einem anderen Zweck nach Lepso.

Aus dem Taxi-Gleiter, der Ron am nächsten stand, beugte sich das grinsende Gesicht eines Chauffeurs.

»Heh, Erdmann!«, rief er. »Was gibt's da zu lachen? Brauchen Sie eine Fahrt in die Stadt?«

Ron sah ihn erstaunt an. Der Mann sprach englisch.

»Das kommt auf Ihren Preis an, Mann«, antwortete er.

»Zwei Solar bis zur Stadtmitte, Sir«, wurde ihm sofort erklärt.

Ron zog die Brauen in die Höhe. »Seit wann rechnet man auf Lepso nach terranischer Währung?«

Der Chauffeur zuckte mit den Schultern.

»Ihr lieben Waldgötter«, sagte er leichthin, »man nimmt, was man kriegt. Und man kriegt am leichtesten, was die Leute in der Tasche haben. Nicht das, was sie erst einwechseln müssen.«

Ron fand das eine bestrickende Art kaufmännischer Logik.

»Sie kommen von Goszuls Planet, nicht wahr?«, fragte er den Chauffeur.

Jetzt war an dem die Reihe, erstaunt zu sein. »Ja, ganz recht. Und wie haben Sie das herausbekommen?«

»Die lieben Waldgötter.« Ron lächelte. »Ich wüsste nicht, wo sie sonst noch angerufen würden. Mein Kompliment, Sie sprechen unsere Sprache fehler- und akzentfrei.«

Der Chauffeur ließ eine Tür aufspringen.

»Auch das gehört zum Geschäft«, erklärte er. »Die Leute lieben es, in ihrer eigenen Sprache angesprochen zu werden. Ich spreche eine Menge Sprachen, und die meisten fehlerfrei.«

Ron stieg ein.

Schweigsam verging die Fahrt bis zum Zentrum der Stadt. Ron bezahlte seinen Fahrpreis, stieg aus und suchte sich ein Hotel.

 

Noch am selben Abend machte Ron Landry ausfindig, wo Doktor Zuglert sein Büro gehabt hatte, und nahm sich vor, sich im Laufe der Nacht dort umzusehen. Inzwischen hatte er durch ein Hyperkomgespräch mit der nächststehenden terranischen Flotteneinheit erfahren, dass über Zuglerts Verbleib nichts hatte ausfindig gemacht werden können.

Zuglerts Personalien dagegen waren, soweit er sie der Polizei auf Lepso, um eine Daueraufenthaltsgenehmigung zu bekommen, hatte angeben müssen, bekannt. Zuglert war Biomediziner, der seine Forschungen der Entwicklung neuer Heilstoffe gewidmet hatte. Schweizer von Geburt, besaß Zuglert den Doktortitel der Universität Bologna, war zweiundfünfzig Jahre alt und hatte bis zum Zeitpunkt seines Verschwindens vierzehneinhalb Jahre auf Lepso gelebt. Währenddessen hatte er, soweit die Polizei wusste, Zanithon nur drei- oder viermal für längere Zeit verlassen. Er besaß ein Büro in der 86. Straße. Jedermann war sich darüber im klaren, dass ein Forscher wie Zuglert irgendwo auch ein Labor haben musste. Aber über dessen Lage war nichts bekannt.

Im übrigen weigerte sich die Polizei von Lepso, nach dem Verschwundenen zu suchen. Ihr Argument war, dass auf Lepso jeder nach Belieben verschwinden und wieder auftauchen könne und dass Zuglert es vielleicht als Einschränkung seiner persönlichen Freiheit betrachten würde, wenn man nach ihm forsche.

Ron ging ein Stück zu Fuß. Die Nacht hatte begonnen, und Lichtquellen aller Arten und Farben hüllten die Stadt in eine Flut verschwenderischer Helligkeit. Ron umrundete den Platz, der den Mittelpunkt der Stadt Zanithon bildete, zur Hälfte und bekam auf diesen zwanzig Minuten Weg soviel verschiedenartige Bewohner der Galaxis zu sehen wie sonst nicht in drei Jahren.

Er hatte unterwegs alle Tricks angewandt, die ihm beigebracht worden waren, und fühlte sich ziemlich sicher, dass niemand ihm auf den Fersen war. Er nahm ein Taxi, das diesmal von einem riesigen Naat gesteuert wurde, und ließ sich zur 84. Straße bringen. Die letzten zwei Häuserblocks ging er zu Fuß.

Die 86. Straße erwies sich als typischer Teil eines Büroviertels. Alte Bauwerke aller möglichen Baustile ragten rechts und links in den Himmel, und Tausende von Lichtreklamen machten eine eigentliche Straßenbeleuchtung unnötig. Der Fahrzeugverkehr auf der Straße besaß den üblichen beeindruckenden Umfang. Fußgänger gab es dagegen nur wenige.

In dem Haus, in dem Zuglerts Büro lag, waren noch einige Fenster beleuchtet. Irgend jemand, dachte Ron amüsiert, ist so sehr hinter dem Geld her, dass er sogar nachts arbeitet. Er stieg die Reihe flacher, weiter Stufen hinauf, die zu dem riesigen, gläsernen Portal führten, und wunderte sich nicht, dass er sich die Tür selbst öffnen musste. Der Pfortenmechanismus war abgeschaltet worden, als die normale Bürozeit vorüber war.

Hinter dem Portal lag die übliche Empfangshalle mit dem Auskunftsrobot auf der linken Seite und der Reihe der Antigravschächte auf der rechten. Ron hatte keinen Grund, den Robot etwas zu fragen. Er wusste, dass Zuglerts Büro in der dreiundzwanzigsten Etage lag und die Nummer 23048 hatte. Er drückte auf der Schaltleiste neben dem nächsten Schacht die Nummer dreiundzwanzig und wartete, bis eine Kontrolllampe aufleuchtete. Dann trat er in den Schacht hinein und war völlig sicher, dass der sanfte Sog des künstlichen Gravitationsfelds ihn aufnehmen und an das gewünschte Ziel bringen würde.

Statt dessen aber stürzte er ab. Es gab kein Schwerefeld, und Ron passierte das, was jedem passieren würde, der einfach vom Rand eines beliebigen Schachtes aus in die Tiefe springt. Er fiel mit rasch zunehmender Geschwindigkeit. Er spannte die Muskeln, um den Aufprall abzufangen, der schließlich kommen musste.

Es gab einen dröhnenden Schlag, und Ron Landry von der Abteilung 3 war einstweilen außer Gefecht gesetzt.

 

Als er wieder zu sich kam, sah er direkt vor sich ein gebräuntes Gesicht mit grauen, misstrauischen Augen und einer nicht allzu hohen Stirn, die ein Schopf sorgfältig gepflegter, schwarzer Haare umrahmte.

»Lieber Himmel, haben Sie ein Glück gehabt«, sagte der Mann.

Ron versuchte sich aufzurichten. Er spürte Schmerzen, ohne sie lokalisieren zu können. Sein Kopf war klar, aber der Rest seines Körpers schien unter einem Dampfhammer gelegen zu haben.

»Wo sind wir hier?«, fragte er mühsam.

»Dreiundzwanzigste Etage«, antwortete der Schwarzhaarige. »Raum Nummer zwo-drei-null-vier-acht. Ich glaube nicht, dass Ihnen das etwas ...«

Ron fuhr mit einem Ruck in die Höhe und unterbrach den anderen mitten im Satz. »Wie komme ich ausgerechnet hierher?«

Der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern. »Ich sah Sie abstürzen. Sie haben den Schacht benutzt, der gerade außer Betrieb ist. Haben Sie das Warnschild nicht gesehen? Ich fuhr durch einen anderen Schacht in den Keller hinunter und holte Sie herauf. Weil ich gerade auf dem Weg hierher war, nahm ich Sie mit. Ich wollte gerade nach einem Arzt rufen, da kamen Sie wieder zu sich.«

Ron setzte sich vollends auf. Er konnte den Raum nicht übersehen. Irgendwo weiter hinten, etwa anderthalb Meter weit über dem Boden stand eine Lampe, die ihn und den Schwarzhaarigen mit grellem Licht übergoss. Außerhalb des Lichtkegels war alles dunkel. Ron fühlte sich unbehaglich.

»Fehlt Ihnen etwas?«, fragte der Schwarzhaarige besorgt. »Brauchen Sie einen Arzt?«

Ron schüttelte den Kopf. Er war sicher, dass er bei dem Sturz nur ein paar Prellungen davongetragen hatte. Über andere Dinge jedoch war er weniger sicher.

»Wer sind Sie?«, fragte er den Schwarzhaarigen.

»Mein Name ist Gerard Lobson«, war die Antwort. »Mir gehört dieses Büro.«

»Zwo-drei-null-vier-acht, sagen Sie?«

»Ja.«

»Seit wann haben Sie diesen Raum?«

Gerard Lobson runzelte die Stirn, als gefiele ihm die Frage nicht.

»Seit – vier Jahren«, antwortete er zögernd.

»Warum lügen Sie?«, fragte Ron.

Lobson wich zurück. Seine Augen wurden groß, und er sah so aus, als ob er auf einmal entsetzliche Angst hätte.

»Lügen?«, keuchte er. »Ich lüge nicht – warum ...?«

»Dieses Büro hat bis vor wenigen Tagen Doktor Zuglert gehört«, erklärte Ron mit harter Stimme. »Ich verlange ...«

Ein Geräusch unterbrach ihn. Es war wie ein Scharren auf dem Fußboden, aber weit hinter der grellen Lampe. Bevor Ron auch nur eine Bewegung machen konnte, dröhnte eine tiefe, schwere Stimme auf: »Schluss! Macht Licht! Das genügt.«

Die Deckenbeleuchtung flammte auf. Nach einem Augenblick der Benommenheit kam Ron zu Bewusstsein, dass die fremde Stimme Arkonidisch gesprochen hatte. Er wandte den Kopf und sah rechts von sich einen Schreibtisch. Auf dem Schreibtisch stand die Lampe, die ihn bisher geblendet hatte, und hinter dem Schreibtisch waren drei Gestalten zu sehen, zwei von ihnen stämmig, breitschultrig, die dritte dürr, ausgemergelt und noch größer als ihre beiden Nachbarn.

Da wusste Ron, dass er wirklich in eine Falle geraten war.

Einer der Breitschultrigen kam hinter dem Schreibtisch hervor. Ron sah, dass er etwas in der Hand hielt. Der Fremde beugte sich zu Ron herunter, streckte die Hand aus und sagte: »Trinken Sie das!«

Er sprach immer noch Arkonidisch. Zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand hielt er ein Fläschchen, das nur wenige Kubikzentimeter fasste und ein buntes, violett-gelbes Etikett trug.

Ron wandte sich an Gerard Lobson, der ein Stück von ihm weggerutscht war, aber immer noch auf den Knien lag.

»Was will er?«, fragte er auf Englisch.

Gerard schien überrascht. »Er sagte, Sie sollen das trinken.«

»Warum?«

Gerard bekam es wieder mit der Angst zu tun. »Um Gottes willen, trinken Sie es, ohne lange zu fragen. Er ...«

Ron stützte sich auf den linken Ellbogen und schob mit der rechten Hand den Arm des Breitschultrigen beiseite.

»Trink's selbst!«, fuhr er ihn an. »Ich suche mir meine Getränke allein aus.«

Er sprach noch immer Englisch. Aber er wusste nicht, ob er die drei Fremden davon würde überzeugen können, dass er kein Arkonidisch verstand. Zwei von ihnen waren Springer, das war ihm klar, Angehörige der Galaktischen Händler, die in fast allen Geschäften ihre Finger hatten. Der dritte konnte ein Ara sein. Die Aras waren ebenso wie die Springer Abkömmlinge arkonidischer Frühsiedler, und so, wie jene sich auf das Geschäftemachen gestürzt hatten, kümmerten sich die Aras nur um die Wissenschaft, besonders die Biomedizin.

Der Springer, der sich über Ron gebeugt hatte, wurde zornig.

»Sie werden das trinken!«, schrie er, jetzt auf englisch.

Wenn mir nur nicht alles so weh täte, dachte Ron voller Wut, dann würde ich dir schon zeigen, mein Junge, was ich werde und was nicht.

Er versuchte, auf die Beine zu kommen. Merkwürdigerweise ließ ihn der Springer auch gewähren. Er wich ein Stück zurück. Ron verbiss die Schmerzen, die er empfand, und lehnte sich gegen die Wand hinter seinem Rücken. Der Springer hielt immer noch das kleine Fläschchen.

»Was ist es?«, wollte Ron wissen.

»Ein Likör«, wurde ihm geantwortet. »Trinken Sie ihn.«

»Damit ich drei Sekunden später tot umfalle, wie?«, spottete Ron.

Der Springer schüttelte den Kopf.

»Wenn wir Sie umbringen wollen, haben wir bessere Methoden, als Sie zu vergiften«, behauptete er.

Das war richtig. Ron glaubte auch nicht im Ernst daran, dass der Inhalt des Fläschchens tödliches Gift war. Aber eine Droge, die Ron willfährig oder geschwätzig oder sonst etwas machen sollte, enthielt es bestimmt.

Gerard Lobson beschwor ihn mit zitternder Stimme, die Flüssigkeit doch zu trinken, aber Ron blieb hart.

»Nein!«, sagte er. »Das ist mein letztes Wort.«

Der Ara hinter dem Schreibtisch stieß ein zorniges Zischen aus. Ron sah eine rasche Bewegung im Hintergrund des Raumes. Er stieß sich mit der Schulter an der Wand ab und schnellte nach vorn. Aber der Sturz in den Antigravschacht hatte seine Muskeln weitgehend außer Funktion gesetzt und seine Reaktionsgeschwindigkeit vermindert. Mitten im Vornüberfallen traf ihn ein harter, atemberaubender Schlag. In seinem Schädel wurde eine dröhnende Glocke angeschlagen, und dann war abermals Dunkelheit um ihn.

 

Als Ron zum zweiten Mal erwachte, hatte sich die Szene verändert. Es war jedoch wieder Gerard Lobson, der sich über ihn beugte.

Lakonisch erklärte er: »Jetzt haben sie es Ihnen eben mit Gewalt eingegeben.«

Ron richtete sich auf. Was sie auch immer mit ihm gemacht hatten – es schien spurlos an ihm vorübergegangen zu sein. Er fühlte sich frisch. Die Schmerzen waren verschwunden, und er hatte das Gefühl, er könnte es jetzt mit der ganzen Welt aufnehmen.

Wahrscheinlich hatte der Ara mit einer Schockwaffe auf ihn geschossen. Er war bewusstlos gewesen, und sie hatten ihm die Flüssigkeit wider seinen Willen eingeflößt.

»Was ist das überhaupt für ein Saft?«, fragte er Gerard.

»Ein Likör«, antwortete Gerard. »Mehr weiß ich nicht. Er wird überall auf Lepso offen gehandelt und ist ziemlich beliebt.«

Das klang merkwürdig.

»Haben Sie schon davon getrunken?«, fragte er.

Gerard nickte. »Nicht bevor sie mich in die Finger bekamen. Aber sie zwangen mich genauso dazu wie Sie.«

»Und wie war der Erfolg?«

»Hm«, Gerard zögerte, »der Schnaps scheint ziemlich stark zu sein. Man fühlt sich danach, als könnte man Bäume ausreißen.«

Ron gab zu, dass dies die gleiche Stimmung war, die ihn im Augenblick erfasst hatte. »Wie lange hält das an?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Gerard. »Bevor die Wirkung verging, bekam ich jedes Mal einen neuen Schluck.«

Ron sah sich um. Sie befanden sich in einem fensterlosen, großen Raum. Der Boden bestand aus hartem, unebenem Stein. Ebenso waren Wände und Decken beschaffen. Zwei Reihen plumper Säulen ragten aus dem Boden und stützten die Decke. Zwischen beiden Säulenreihen hing eine alte Glaslampe an der Decke und verbreitete Helligkeit. Vorn an der Wand gab es eine Tür. Sie bestand aus Metall, und als Ron festgestellt hatte, dass seine Waffe nicht mehr da war, wusste er, dass er die Tür ohne Hilfsmittel nicht öffnen konnte.

»Das ist ein Keller hier, nicht wahr?«, fragte er.

»Ja, das ist richtig«, gab Gerard zu.

»Wo liegt er?«

»Das weiß ich nicht. Jedes Mal, wenn wir hierherkommen, verbinden sie mir die Augen.«

Ron lächelte plötzlich. »So altmodisch?«

Trotz des Anscheins der Widerstandsfähigkeit, den sie erweckte, fühlte Ron sich von der Tür angezogen. Er schritt zwischen den Säulen hindurch und versuchte an dem altmodischen Türknopf zu drehen. Wie erwartet, hatte er keinen Erfolg. Die Tür war versperrt, und der Knopf rührte sich nicht um einen Millimeter.

»Waren Sie schon öfter hier?«, wollte er von Gerard wissen.

»Einmal. Bevor sie mich abholten, um ...«

»Um was?«

»Na, um aus Ihnen herauszubringen, ob ...«

Mit einemmal stand Ron die Szene in Zuglerts Büro wieder deutlich vor Augen. Gerard hatte ihm etwas vorgeschwindelt und ihn zu der Behauptung veranlasst, dass der Raum, in dem sie sich befanden, Doktor Zuglerts Büro wäre. Kurz darauf hatten die Springer das Licht eingeschaltet und sich zu erkennen gegeben.

Das ergab einen Sinn, stellte Ron fest. Sie wollten also nicht, dass man sich um den verschwundenen Zuglert kümmerte.

Warum?

Ron hatte den Eindruck, dass er seit seiner Landung auf Lepso schon ein wichtiges Stück weitergekommen war. Allerdings ohne sein bewusstes Dazutun, und außerdem befand er sich jetzt in einer Lage, in der es zweifelhaft erschien, ob er mit den neugewonnenen Kenntnissen jemals etwas anfangen konnte.

Zunächst musste er jedoch, ob es einen Ausweg gab oder nicht, von Gerard alles zu erfahren versuchen, was dieser wusste. Gerard befand sich schon einige Zeit länger in der Hand der Springer als er selbst.

Gerard Lobson zögerte zunächst, aber dann berichtete er die Wahrheit: Er gab zu, dass er Zuglert kannte. Er war sogar kurz vor dem Verschwinden Zuglerts mit diesem zusammengewesen und hatte mitansehen müssen, wie der Mann sich schlagartig in jene Mumie verwandelt hatte, von der schon in Kindsoms Bericht die Rede gewesen war.

Lobson war dann in wilder Panik geflohen und hatte den Unglücklichen seinem Schicksal überlassen.

Ron versuchte, sich zusammenzureimen, was weiter geschehen war. Vermutlich war es Zuglert auch ohne Hilfe gelungen, auf die Beine zu kommen. Er hatte das Haus verlassen und von irgendwo das TTT-Gespräch mit der FLORIDA geführt. Während des Gesprächs war er verschwunden.

»Nach ein paar Stunden«, fuhr Gerard schließlich fort, »drückte mich mein Gewissen. Ich wollte erfahren, was aus Zuglert geworden war. Ich machte mich auf den Weg. Zuglerts Büro stand offen. Ich ging hinein – und drinnen waren die drei Kerle, die Sie nun auch schon kennen. Sie wollten wissen, was ich wünschte, woher ich Zuglert kannte, warum ich zurückgekommen war und so weiter. Sie nahmen mich dann mit hinunter. In ihrem Auto zwangen sie mich, den Likör zu trinken, von dem sie auch Ihnen eingeflößt haben. Dann verbanden sie mir die Augen und brachten mich hierher. Ich blieb hier etwa vier Stunden. Schließlich wurde ich wieder abgeholt. Abermals wurden mir die Augen verbunden. Als man mir die Binde abnahm, stand das Auto vor dem Gebäude, in dem Zuglerts Büro liegt. Wir gingen hinauf und fingen an zu warten. Worauf eigentlich, wusste ich nicht. Jedenfalls verbrachte ich einige Tage in diesem Büro, ständig von Springern bewacht. Auf meine Fragen gab man mir keine Antwort. Sie machten sich ziemlich viel an Zuglerts Schreibtisch zu schaffen. Einmal schienen sie sehr überrascht zu sein, dann lief einer von ihnen fort, und als er wiederkam, schleppte er Sie mit sich. Dann musste ich mich neben Sie knien und Ihnen, als Sie aufwachten, einige Lügen erzählen, so dass Sie schließlich verrieten, dass Sie wegen Zuglert gekommen waren. Den Rest wissen Sie selbst.«

Ja, den Rest wusste Ron selbst, aber an Gerards Bericht schienen ihm etliche Unklarheiten zu sein. Hatten die Springer alle Liftschächte abgeschaltet und ließen wahllos alle späten Besucher des Bürogebäudes in den Keller hinabstürzen? Wenn nicht, woher hatten sie dann gewusst, um welche Zeit er kommen und welchen Schacht er nehmen würde?

Er stellte Gerard einige Fragen. Er traute dem Schwarzhaarigen nicht ganz und formulierte die Fragen so, dass Gerard sich eigentlich hätte verraten müssen, wenn er nicht ein überaus geschickter Lügner war. Aber Ron erzielte keinen Erfolg. Gerard blieb bei dem, was er gesagt hatte.

Ron gab sich schließlich zufrieden. Er hatte alles erfahren, was es zu erfahren gab, und es war höchste Zeit, dass er sich daranmachte, einen Plan zu entwickeln. Die Springer würden wahrscheinlich versuchen, ihn auszufragen, und wenn er keine befriedigenden Antworten gab, dann würden sie mit einem Trick seinen freien Willen ausschalten und aus seinem Bewusstsein herausholen, was drinnen war – auch, dass sie in dem großen, blonden Mann einen Sonderagenten der Abteilung drei vor sich hatten und was die Abteilung drei eigentlich darstellte.

Soweit durfte es nicht kommen. Ron musste den Springern früher entkommen.

Er befand sich in einer miserablen Lage, das verkannte er nicht.

Soweit hatte er Bilanz gemacht, als die Stahltür entriegelt wurde und quietschend aufschwang. Zwei Springer kamen herein. Sie trugen einen langen, schmalen Plastiktisch, auf dem eine Reihe von Geräten stand. Die Springer sprachen kein Wort. Der Tisch wurde in der Mitte des Raumes zwischen den Säulenreihen abgestellt. Ron hatte extraterrestrische Technologie intensiv genug studiert, um die beiden Enzephalozeptoren zu erkennen. Heißer Schreck durchfuhr ihn.

Die Springer hatten ihren Entschluss schneller gefasst, als ihm lieb war. Und noch schlimmer: Sie besaßen alle Geräte, die er fürchtete.

Die beiden Springer blieben neben dem Tisch stehen. Einer von ihnen brachte eine Waffe zum Vorschein und richtete sie auf Ron. Der andere sagte: »Wir werden Sie jetzt ein bisschen ausfragen, Erdmann. Da wir fürchten, dass Sie uns freiwillig die Wahrheit nicht sagen, werden wir dem Schleusenmechanismus Ihres freien Willens ein wenig nachhelfen. Kommen Sie her!«

Ron sah, dass die Tür, durch die die beiden Springer hereingekommen waren, nicht geschlossen war. Er war sich darüber im klaren, dass seine einzige Chance darin bestand, die beiden Springer zu überraschen. Wahrscheinlich rechneten sie nicht damit, dass er sich so schnell erholt hatte. Mit müden Bewegungen näherte Ron sich dem Tisch, darauf achtend, zwischen die beiden Springer zu gelangen. Ohne Argwohn sahen die Springer Ron entgegen, die Schockstrahler lässig gegen den Boden gerichtet. Als Ron sich genau zwischen den beiden befand, holte er wuchtig aus und traf die Springer gleichzeitig mit den Handkanten seiner Hände an den Halsschlagadern. Die Wucht hätte genügt, jedem normalgewachsenen Terraner das Genick zu brechen, bei den beiden Springern würde es aber höchstens für eine kurze Bewusstlosigkeit reichen. Wie vom Blitz gefällt, brachen sie zusammen. Selbst überrascht von seinem Erfolg wandte sich Ron Gerard Lobson zu, der fassungslos die Aktion beobachtet hatte.

»Vorwärts, wir verschwinden!«, fuhr er ihn an.

Gerard rührte sich nicht.

»Aber – aber ...«, stotterte er fassungslos.

Ron packte ihn an der Schulter und zog ihn mit sich, in Richtung auf die Tür. Dabei versäumte er nicht, die Waffe aufzunehmen, die dem einen der Springer entfallen war. Ron trat hinaus.

Draußen lag ein schmaler, schwach erhellter Gang, unter dessen Decke die Einengungsröhren der künstlichen Schwerefelder entlangführten, die die Liftschächte betrieben. Ron schloss daraus, dass er sich in einem großen Gebäude befand.

Bis jetzt gehorchte Gerard ihm willenlos.

Ein Stück weiter endete der Gang in der Öffnung eines Antigravschachts. Ron hatte keine Bedenken, ihn zu benutzen. Er drückte den Knopf »Erdgeschoss« und schob zunächst Gerard in den Schacht hinein. Er folgte ihm dichtauf.

Über ihnen tauchte der helle Lichtfleck des Erdgeschossausstiegs auf. Der Sog des Feldes verebbte, als Gerard mit dem Ausstieg auf gleicher Höhe war. Gerard packte den Handgriff, der neben der Öffnung angebracht war, und zog sich hinaus. Ron war blitzschnell hinter ihm. Er blickte in die hellbeleuchtete Empfangshalle eines großen Bürogebäudes und verbarg, so rasch er konnte, den Schockstrahler, den er immer noch schussbereit in der Hand hielt.

Gerard war stehengeblieben, um auf weitere Anweisungen zu warten. Ron sah sich um und stellte fest, dass nur das übliche Bürohauspublikum zu sehen war. Ein Strom von Wesen aller Art ergoss sich durch eine der beiden Türfronten in die Halle, und ein etwa ebenso starker Strom verließ das Gebäude durch die andere Front. Diejenigen, die nahe an Ron und Gerard vorbeikamen, warfen den beiden verwunderte und misstrauische Blicke zu. Aber das lag, wie Ron bald feststellte, lediglich daran, dass seine Kleidung von dem Sturz in den Liftschacht in der 86. Straße ziemlich ramponiert war.

Sie mischten sich unter die Menge der Hinausströmenden und standen ein paar Augenblicke später auf einem pompösen Fußgängerweg am Rande einer breiten Straße.

Ron sah sich um.

»Wo sind wir hier?«, fragte er Gerard.

Er musste zweimal fragen, bis Gerard antwortete.

»Nordviertel«, sagte er knapp. »Fünf-Meere-Boulevard.«

Am Rand der Straße standen eine Menge Taxis. Ron hielt es für zu gefährlich, hier einen Mietwagen zu nehmen.

Sie gingen ein Stück den Bürgersteig entlang. Es war Abend. Die matte Helligkeit des Himmels wurde von den tausendfältigen Lichtreklamen überstrahlt. Ron sah einige Restaurants in der Nähe, und es wurde ihm bewusst, dass er Hunger hatte. Er sah an sich herunter. Wenn er sich das richtige Lokal aussuchte, würde kaum jemand etwas gegen seine Kleidung einzuwenden haben.

Einige hundert Meter weiter fanden sie einen Schnellimbiss, der an das Äußere der Gäste keine besonderen Anforderungen zu stellen schien. Der Türrobot wies ihnen einen Tisch im Hintergrund des Speisesaals zu, und während Ron ein Menü zusammenstellte, geschah es zum ersten Mal, dass Gerard Lobson von sich aus etwas sagte.

Gerard bestand darauf, einen Likör von der Sorte zu trinken, die die Springer ihm und Ron Landry eingeflößt hatten.

Ron erklärte: »Ich habe Sie zwar eingeladen, Gerard, aber für dieses mysteriöse Getränk gilt die Einladung nicht. Es enthält eine Droge.«

Gerard sah ihn verwundert an.

»Das mag sein. Aber mir schmeckt der Likör«, antwortete er.

Ron lehnte energisch ab. Er dachte nach.

Er sah auf. Gerard hatte angefangen, undeutlich vor sich hinzubrummen. Seine Augen waren rot unterlaufen. Er bot jetzt keinen besonders appetitlichen Anblick mehr. Er starrte auf die Tischplatte. Aber plötzlich hob er den Kopf und sah über Rons Schulter hinweg.

Ron sah, wie seine Miene sich veränderte. Die Augen, bis jetzt verquollen und glasig, öffneten sich weit und starrten voller Entsetzen auf einen Punkt hinter Rons Rücken.

Ron hatte instinktiv den Eindruck, Gerard wollte ihn mit Hilfe eines uralten Tricks ablenken. Aber im selben Augenblick hörte er um sich herum Stühlerücken.

Jemand schrie: »Einen Arzt, sofort einen Arzt!«

Da erst wandte Ron sich um. Zwischen zwei Fremden, die hinter ihm auf einen anderen Tisch zustrebten, sah er für einen kurzen Augenblick die Gestalt eines Mannes, der sich soeben von seinem Stuhl erhoben zu haben schien. Wahrscheinlich war er mit seiner Mahlzeit fertig und hatte das Lokal verlassen wollen.

Jetzt hatte er kaum mehr genug Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Er hielt sich mit beiden Händen an der Tischkante fest. Er schwankte und schnappte mit offenem Mund nach Luft. Der Mund war ein finsteres Loch in einer gelbbraunen, entsetzlichen Fratze, die einem Totenkopf ähnlicher sah als dem Kopf eines Lebenden.

Ron erinnerte sich an das Gespräch, das Dick Kindsom mit Doktor Zuglert geführt hatte, und an Doktor Zuglerts Anblick.

Zuglert hatte genauso ausgesehen wie dieser Mann hier.

Ron handelte blitzschnell. Mit einem groben Ruck riss er Gerard Lobson in die Höhe.

»Bleiben Sie dicht hinter mir!«, rief er ihm zu.

Gerard nickte mechanisch. Sein Blick war noch immer dorthin gerichtet, wo der Totenköpfige an seinem Tisch stand.

Ron drängte die zur Seite, die ihm am nächsten standen.

»Machen Sie Platz!«, rief er. »Hier kommt ein Arzt!«

Aus den Augenwinkeln sah er, dass Gerard ihm gehorsam folgte.

Niemand fragte ihn nach einer Legitimation. Sie waren Fremde, die sich zufällig in einem Lokal zusammengefunden hatten und Zeuge geworden waren, wie einer von ihnen krank wurde. Sie erkannten jeden bereitwillig an, der sich als Arzt ausgab.

Ron arbeitete sich geschickt bis zu dem Mann am Tisch nach vorn. Der Totenköpfige schien ihn nicht wahrzunehmen. Er war Terraner, das stand außer Zweifel. Ron packte ihn am rechten Arm.

»Kommen Sie mit, ich bin Arzt«, forderte er ihn auf englisch auf. »Ich werde Ihnen helfen.«

Der Mann wandte den Kopf ein Stück.

»Helfen?«, röchelte er.

»Ja, helfen.« Ron nickte eifrig. »Können Sie allein gehen, oder sollen wir Sie tragen?«

Als Antwort tat der Mann einen Schritt vorwärts und ließ dabei den Tisch los. Er musste sich zwar schwer auf Rons Hand stützen, aber er blieb auf den Beinen. Die Umstehenden wichen zur Seite, als er zum zweiten Schritt ansetzte.

Ron gewahrte Gerard neben sich und flehte im stillen darum, dass dieser jetzt keine Dummheit machte.

Zunächst ging alles gut. Langsam näherte sich Ron mit dem Totenköpfigen, von Gerard und einer kleiner werdenden Schar Neugieriger begleitet, dem Ausgang des Speisesaals.

Schließlich standen sie auf der Straße, und Ron sah sich nach einem Taxi um, aber weit und breit war keines zu sehen. Das wunderte ihn. Er erkannte, dass es auf diesem Teil des Bürgersteigs auch keine Fußgänger mehr gab.

In diesem Augenblick stieß Gerard neben ihm einen unterdrückten Schrei der Überraschung aus. Ron ahnte mehr, als dass er es sehen konnte, dass Gerard sich davonmachen wollte. Seine freie Hand schoss nach vorn und packte den Mann am Ärmel seines Jacketts.

»Hiergeblieben!«, fuhr er ihn an.

Er hatte das Wort kaum ausgesprochen, da sagte eine harte Stimme hinter ihm: »Übergeben Sie mir diesen Mann!«

Ron fuhr herum. Hinter ihm stand ein Uniformierter. Ron erkannte die Uniform der Staatspolizei von Lepso.

»Wieso?«, wollte Ron wissen. »Der Mann ist krank. Er braucht einen Arzt und keinen Polizisten.«

Der Mann grinste höhnisch.

»Sind Sie Arzt?«, fragte er in schlechtem Englisch.

Ron hielt es nicht für geraten, die Lüge zu wiederholen.

»Nein«, antwortete er. »Aber ich will ihn zu einem bringen.«

Das Grinsen des Polizisten verstärkte sich.

»Das können wir noch viel besser«, behauptete er. »Da, sehen Sie.«

Ron brauchte es nicht zu sehen, er hörte es. Ein starkes Giroauto ließ sich aus der Luft über der Straße herunter und landete auf dem von Fahrzeugen leergefegten Straßenrand. Plötzlich umstanden noch mehr Polizisten Ron und den Totenköpfigen.

Sie haben die Straße zum Teil abgeriegelt, schoss es ihm durch den Kopf. Aus dem Giroauto sprangen fünf weitere Polizisten. Ron wusste genau, dass er gegen sie keine Chance hatte. Das machte ihn wütend, und zu allem Übel musste er seine Wut noch verbergen.

»Da haben Sie recht«, antwortete er dem Polizisten, der jetzt vor ihm stand. »Sie haben bessere Möglichkeiten. Nehmen Sie ihn.«

Der Polizist nahm den kranken Alten beim Arm und führte ihn auf das Giroauto zu. Er verschwendete kein weiteres Wort an Ron. Ron blieb stehen, bis sich die Türen des Autos hinter dem Kranken und den Polizisten geschlossen hatten. Er sah, wie der abendliche Verkehr wieder über den bisher abgesperrten Teil der Straße zu fluten begann. Das Giroauto hob sich mit einem kühnen Sprung von der Straßenoberfläche, stieß im Licht der Reklamen aufwärts und verschwand schließlich über dem bunten Meer der Helligkeit.

Ron winkte einem Taxi, das langsam am Rand der Straße entlanggerollt kam. Der Wagen blieb stehen, die hintere Seitentür öffnete sich. Ron schob Gerard in das dunkle Innere des Fahrzeugs und kletterte selbst hinterdrein. Die Tür schloss sich hinter ihm automatisch.

Der Fahrer saß bewegungslos hinter dem Steuer, ein dunkler Umriss in der Finsternis.

»Haben Sie das Polizeigiro gesehen, das eben von der Straße gestartet ist?«, fragte Ron.

Er sah den Chauffeur nicken.