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Nr. 110

 

Armada der Orbiter

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Anfang des Jahres 3587 nach Christus: Schwere Weltraumbeben erschüttern weite Teile der Milchstraße. Sie breiten sich mit vielfacher Überlichtgeschwindigkeit aus, ihre Herkunft ist unbekannt.

 

Dann aber nehmen die Terraner einen Androiden fest, der mehr über diese Beben weiß. Das Wesen gehört zur Besatzung eines der mysteriösen Raumschiffe, die seit geraumer Zeit im Solsystem erscheinen. Von ihm erfahren die Menschen, dass eine manipulierte Materiequelle die Weltraumbeben verursacht. Diese Entwicklung wird in naher Zukunft den Untergang der Milchstraße herbeiführen.

 

Etwa zur gleichen Zeit erwacht im galaktischen Zentrum eine aus tiefer Vergangenheit stammende Verteidigungsanlage. Fälschlich erkennt sie in den Beben den bevorstehenden Angriff der zurückgekehrten Horden von Garbesch und folgt dem Auftrag ihrer Erbauer, eine Armee zu erschaffen. Mit diesem Heer wird eine gewaltige Flotte für den Einsatz gegen die Menschheit ausgerüstet ...

1.

 

 

Ein unheimliches Feuer umfloss Perry Rhodan und Atlan – eine Energie, die beide Männer jederzeit töten konnte. Manchmal schien das leuchtende Toben fahler zu werden, aber jeweils schon Sekunden später breitete es sich golden aufflammend wieder aus.

Die leuchtende Aura reagierte mit der Hülle der Kosmischen Burg. Jeder Schritt, den die Aktivatorträger taten, brachte das Metall unter ihren Füßen zum Kochen und hinterließ eine zähflüssige, nur langsam wieder erstarrende Masse.

Das Feld, das die Männer umgab, bewahrte sie zugleich vor den Gefahren, die es heraufbeschwor. Der Terraner und der Arkonide konnten erkennen, was um sie herum vorging. Dabei war unerheblich, dass ihre Augen nur eintönig blaue Konturen wahrnahmen, weil die Energiehülle nur für einen kurzwelligen Bereich des sichtbaren Spektrums durchlässig war.

Jede Berührung der Burg nutzten die Männer, um sich abzustoßen. Sie trieben dann Dutzende Meter weit in den Raum hinaus, doch die Gravitation des riesigen stählernen Kolosses holte sie immer wieder zurück.

Noch gab es keine Verständigung mit der BASIS, dem in der Nähe wartenden terranischen Fernraumschiff. Seitdem Rhodan und Atlan den Mikrokosmos verlassen hatten, versagte ihr Helmfunk. Untereinander verständigten sie sich durch Gesten.

Sie suchten nach einer Möglichkeit, sich weiter als bisher von der Burg zu entfernen.

 

Mit kräftigen Sprüngen setzten die Männer über die gewölbte Metallebene hinweg. Ihr Ziel war ein kuppelartiger, etwa zehn Meter hoher Vorsprung, von dem aus Atlan den entscheidenden Versuch unternehmen wollte. Rhodan folgte dem Gefährten dichtauf, und erst der letzte Satz führte ihn seitlich an der Kuppel vorbei.

Der Arkonide landete zielsicher auf dem Vorsprung, Rhodan stoppte etwa fünfzig Meter entfernt. Das Material der Kuppel reagierte sofort auf das Atlan umgebende Energiefeld; das eben noch glänzende Metall wurde stumpf, dunkle Glut breitete sich rasch aus. Perry Rhodan sah, dass eine ungewöhnlich starke Wechselwirkung erfolgen würde, und er machte den Freund durch einen warnenden Wink auf die Gefahr aufmerksam. Doch Atlan reagierte nicht. Er konzentrierte sich bereits darauf, das Feldtriebwerk seines Schutzanzugs zu aktivieren. Das Risiko war groß. Im schlimmsten Fall wurde die freigesetzte Schubkraft von der goldenen Energiehülle im Innern reflektiert.

Atlans Aura wechselte jäh die Farbe. Sekundenlang schimmerte sie wie flüssiges Silber. Der Feldantrieb des Anzugs arbeitete, allerdings hob der Arkonide nur langsam von der Kuppel ab. Warum beförderte ihn das Transportfeld nicht mit der üblichen Geschwindigkeit in den Raum hinaus?

Rhodan erkannte, dass der Versuch fehlschlagen würde. Das Triebwerk funktionierte keineswegs fehlerfrei; die Verfärbung der Aura wies darauf hin, dass das Transportfeld mit der hyperenergetischen Hülle interferierte.

Rhodans warnender Aufschrei blieb ungehört, seine hastigen Gesten schien Atlan nicht zu sehen. Die Aura des Arkoniden wurde unerträglich grell, wie eine winzige Sonne trieb er über die Kosmische Burg hinweg und entfernte sich in den Raum.

Aus halb geschlossenen Augen verfolgte Rhodan die Leuchterscheinung. Ein greller, blutroter Blitz schien den Weltraum aufzureißen. Der Terraner blinzelte geblendet, vor allem aber fürchtete er, dass die Explosion den Freund getötet hatte.

Als er Atlans schimmernde Aura etliche hundert Meter entfernt treiben sah, war seine Erleichterung unbeschreiblich.

Aber der Arkonide war dem schwachen Schwerefeld von Partocs Burg nicht entkommen. Seine Flugbahn hatte die Form einer Parabel, schon nach wenigen Minuten erreichte er den höchsten Punkt, dann senkte er sich langsam wieder auf die Burg herab.

Rhodan eilte mit weiten Sprüngen dorthin, wo Atlan landen würde.

 

Wegen der geringen Gravitation sank der Arkonide sanft wie ein fallendes Blatt. Er landete vor Rhodan. Sein Raumanzug schien unversehrt zu sein, trotzdem gab Atlan kein Lebenszeichen von sich.

Vergebens versuchte der Terraner, die hochpolarisierende Morphoglassit-Hülle des Helms zu durchdringen. Atlans Gesicht blieb ihm verborgen. Die matte Helligkeit der Sterne von Erranternohre reichte nicht aus, um durch die Helmscheibe hindurch wahrnehmbare Reflexe zu erzeugen.

Der Arkonide wäre durch den Aufprall, wie schwach dieser auch sein mochte, wieder in den Raum abgetrieben worden, denn die Aura wirkte wie eine elastische Hülle. Rhodan verhinderte dies, indem er sich gegen Atlan warf und ihn ruckartig zu Boden drückte.

Der Arkonide bewegte sich immer noch nicht. In der schimmernden Aura lag er auf der stählernen Fläche, und in Sekundenschnelle bildete sich unter ihm ein düsterer Glutherd, der mit beängstigender Geschwindigkeit heller und größer wurde. Binnen kurzer Zeit würde sich ein größeres Areal in brodelndes Magma verwandeln.

Rhodan gab der reglosen Gestalt einen zweiten Stoß, der Atlan diesmal schräg aufwärts beförderte, und er stieß sich einen Augenblick danach ebenfalls ab. Wie erhofft prallte er mit dem Arkoniden zusammen. Der Zusammenstoß verringerte seine eigene Geschwindigkeit, doch Atlans weiterhin regloser Körper wurde auf eine neue, steiler aufwärts gerichtete Flugbahn gebracht.

Rhodan verdrängte die Befürchtung, dass Atlan in der Lichtexplosion den Tod gefunden hatte. Vorerst war es ihm unmöglich, die Wahrheit herauszufinden. Er konnte nur hoffen, dass der Cybermed in Atlans Raumanzug daran arbeitete, das Wohlbefinden seines Trägers wiederherzustellen. Der Cybermed – ein mikrominiaturisiertes kybernetisches Gerät mit medizinischem Wissen und der Fähigkeit, therapeutische Maßnahmen beschränkten Umfangs vorzunehmen.

Trotzdem war die Situation unhaltbar. Atlan brauchte dringend Hilfe von außen. Rhodans Hoffnung konzentrierte sich auf den fernen Lichtpunkt, der nur die BASIS sein konnte. Der Gedanke, dass er auf die Hilfe anderer angewiesen war, bereitete ihm einiges Unbehagen.

Das Hauptproblem war die hyperenergetische Aura. Ihre Analyse konnte mit angemessener Aussicht auf Erfolg nur mit den komplexen Gerätschaften an Bord der BASIS durchgeführt werden. Die Raumanzüge verfügten über kein einziges entsprechendes Messinstrument.

Rhodan entsann sich des grellen Blitzes, als Atlan das Feldtriebwerk eingeschaltet hatte. Sämtliche Ereignisse bis zu diesem jähen Aufflammen hatte er stark blaustichig gesehen und jetzt wieder, den Blitz jedoch als blutrote Leuchterscheinung. Er fragte sich, warum er diese Farbe wahrgenommen hatte und ob dieses Phänomen auf einen Schwachpunkt in der hyperenergetischen Aura hinwies.

2.

 

 

Reglos saß Payne Hamiller vor den Ortungsauswertungen. Nur die Augen des wissenschaftlichen Leiters der BASIS-Expedition bewegten sich. Er folgte gebannt den Daten, die der Rechner des hyperenergetischen Zentrallabors auswarf.

»Gibt es Neuigkeiten?«, erklang es jäh in der Stille. Aus dem Hintergrund des halbdunklen Raums näherte sich eine untersetzte Gestalt. Reginald Bull kam heran, Rhodans ältester und unermüdlichster Gefährte. Bully war deutlich anzusehen, dass er sich Sorgen machte.

Geoffry Abel Waringer, der hochgewachsene, schlanke Mann, der hinter Hamiller stand und die Datenkolonnen mit ebenso großem Interesse verfolgt hatte wie dieser, hob in einer abwehrenden Geste die Hände.

»Also nichts Neues ...«, brummte Bull.

»Warte noch einige Minuten – vielleicht haben wir dann etwas!«, erklärte Waringer, der als Aktivatorträger zu den potenziell Unsterblichen gehörte.

»Zum Beispiel was, Geoffry?«, fragte Bull unterdrückt.

Der Hochgewachsene fasste Bull am Arm und zog ihn von der Datenstation weg. »Payne hat eine neue Theorie über die Struktur der hyperenergetischen Auren entwickelt«, erklärte er. »Nach seiner Ansicht ist die Reaktion der Felder mit der Umwelt vergleichbar der Wechselwirkung von Anti- und Normalmaterie. Als er mir diese Hypothese auseinandersetzte, erinnerte ich ihn an einen Vorfall in der Vergangenheit ...«

»Die Accalauries! Das Maverick-Cape!«

Waringer nickte. »Genau das. Payne hat sich die Unterlagen angesehen. Er weiß, wie das Cape konstruiert war. Jetzt sucht er eine Bestätigung für seine Hypothese.«

»Bezüglich der Feldstruktur?«

»Ja. Seine bisherigen Berechnungen legen ein Strukturmodell der goldenen Aura fest. Payne glaubt, dass er die beobachtete Lichtexplosion als eine Wechselwirkung zwischen Transportfeld und hyperenergetischer Feldhülle identifizieren kann.«

»Das heißt, Atlan müsste versucht haben, sein Feldaggregat zu aktivieren.«

»So sieht es aus. Payne interessiert sich für die Spektralverteilung des Blitzes. Falls die Charakteristika den Vorhersagen seiner Theorie entsprechen, sind wir einen gewaltigen Schritt weiter.«

Bulls Blick wanderte zu dem Panoramaholo, das die Umgebung der BASIS zeigte. Partocs Kosmische Burg erschien als ein matter, ovaler Lichtfleck. Über ihr bewegten sich zwei sehr viel intensiver leuchtende Punkte.

»Ist erkennbar, wie Atlan das Experiment überstanden hat?«, fragte Bull.

»Bislang nicht«, antwortete Waringer. »Ich habe angeordnet, dass weitere Mikrosonden abgesetzt ...«

Hamiller klatschte in die Hände. »Ich habe die Bestätigung!« Triumphierend hallte seine Stimme durch das Labor. »Die Wellenlängen des Blitzes variieren von 650 bis 1800 Millimikron, sein Spektrum hat die Form einer Landau-Verteilung. Der größte Teil der Energie wurde im Infrarot-Bereich freigesetzt – genau wie die Theorie vorhersagt.«

 

Was war geschehen?

Von Lorvorcs Burg kommend, hatte sich die BASIS durch die Galaxis Erranternohre auf den Standort der Kosmischen Burg des Mächtigen Partoc zubewegt. Niemand an Bord war überrascht gewesen, dass von Partocs ehemaliger Heimstatt an der Stelle, an der sie sich eigentlich hätte befinden müssen, keine Spur zu sehen gewesen war. Alle Kosmischen Burgen waren hinter einer unsichtbaren Barriere verborgen, die nur Perry Rhodan und der Arkonide Atlan durchdringen konnten. Spekulationen zielten nach wie vor darauf ab, dass dies mit den auf die individuelle Zellstrahlung ihrer Träger zugeschnittenen Aktivatoren zu tun haben müsse, die beide trugen.

Von dem einäugigen Roboter Laire und dem Maskenträger Alaska Saedelaere begleitet, hatten Rhodan und Atlan die Grenze überschritten und waren in Partocs Burg eingedrungen. An Bord der BASIS hatte niemand erwartet, den Stoßtrupp innerhalb weniger Tage wieder zu Gesicht zu bekommen – doch von einer Sekunde zur nächsten war Partocs Burg in der Ortung erschienen, und Rhodans Gruppe hatte sich über Funk gemeldet.

In der Burg war der Trupp auf Fremde gestoßen, Androiden, die im Begriff standen, die Kosmische Burg mithilfe eines mächtigen Aggregats in Bewegung zu setzen. Das war ihnen auch gelungen, und Partocs Burg war im Normalkontinuum erschienen.

Doch von Perry Rhodan und Atlan hatte es kein Lebenszeichen gegeben – bis die beiden Vermissten auf höchst dramatische und gefährliche Art und Weise kurze Zeit später wieder erschienen waren. Mehrere Mitglieder eines wissenschaftlichen Teams hatten dabei den Tod gefunden. Offensichtlich wegen ihrer goldenen Aura war es unmöglich, Verbindung mit Rhodan oder Atlan aufzunehmen.

Messsonden hatten der BASIS erste Informationen über die Beschaffenheit der Energiefelder, die beide Zellaktivatorträger umgaben, übermittelt. Seitdem arbeitete der Krisenstab ohne Unterbrechung. Payne Hamiller und Geoffry Waringer hielten sich mit Medikamenten wach.

Obendrein gab es die Gefahr im Hintergrund. Die Demontagetrupps hatten sich zwar von Partocs Burg zurückgezogen, niemand glaubte aber ernsthaft, dass sie für immer verschwunden bleiben würden. Diese Fremden hatten im Zusammenhang mit der Kosmischen Burg einen Auftrag auszuführen, so viel war klar geworden. Also musste man damit rechnen, dass sie zurückkehren würden.

 

Payne Hamiller nippte an dem kochend heißen Kaffee, den er aus einem voluminösen Becher trank. Er starrte über den Becherrand hinweg Reginald Bull an.

»Wir brauchen einen Aktionsplan«, sagte Bull. »Gerade weil es dir gelungen ist, das Hyperenergiefeld zu analysieren, in dem Perry und Atlan gefangen sind, musst du sagen, wie es jetzt weitergehen soll. Mit Begriffen wie Penta-Synodal ...«

»Symodal!«, verbesserte ihn Hamiller leicht ungehalten.

»Meinetwegen Symodal. Wie gesagt: Um die Theorie fünfdimensionaler Felder zu verstehen, brauchen viele von uns etwas mehr Zeit. Aber wenn du uns aufzählst, was nötig ist, um die beiden aus ihrer Zwangslage zu befreien, dann verspreche ich dir, dass alles auf dem schnellsten Weg zur Verfügung gestellt wird.«

Hamiller nickte geistesabwesend, und beim nächsten tiefen Schluck aus dem Becher verbrannte er sich die Zunge.

»Ein Anzeigebrett – das ist das Erste«, stieß er gepresst hervor.

»Anzeigebrett?«, wiederholte Bull ratlos.

»Wie willst du dich sonst mit den beiden verständigen? Möglichst groß, damit wir uns nicht allzu nah heranwagen müssen.«

»Was noch?«

»Eine Fertigungsabteilung muss voll und ganz zu meiner Verfügung stehen.«

»Wozu?«

»Anfertigung einer Schutzverkleidung, mit der zwei Fahrzeuge ausgestattet werden, sodass wir Rhodan und Atlan an Bord bringen können. Eine entsprechende Verkleidung brauchen wir für den Raum, in dem sie unterkommen sollen. Außerdem muss dieser Raum groß und leer sein und in unmittelbarer Nähe einer Fahrzeugschleuse mittlerer Größe liegen.«

Reginald Bull nickte stumm.

»Meine Leute müssen von allen sonstigen Aufgaben freigestellt werden«, fuhr der Wissenschaftler fort. »Ich brauche ständig Zugang zu Geoffry. Außerdem etliche tausend Mikrosonden – je mehr, desto besser!«

»Mikrosonden ...« Bulls Oberlippenbart schien sich zu sträuben. »So viele haben wir nicht!«

»Dann lass sie anfertigen!«

»Wozu brauchst du sie?«

»Ich muss das Loch im Universum wiederfinden. Nach allem, was wir von Pankha-Skrin wissen, haben unbelebte Objekte kein Problem, die unsichtbare Grenze zu überqueren. Ich brauche Messungen und Proben aus dem Raumsektor der Kosmischen Burgen.«

»Ist das alles?«

»Wenn du noch eine gut aussehende, intelligente Hyperphysikerin auftreiben kannst, die bereit ist, sich meiner Gruppe anzuschließen, wäre ich dir dankbar«, erklärte Hamiller mit scheinheiligem Augenaufschlag.

Bull war im ersten Moment sprachlos. Schließlich wetteiferte Hamiller mit Roi Danton und Hytawath Borl um die Gunst der schönen Demeter. Oder hatte Hamiller eingesehen, dass sein Bemühen um die Wyngerin vergebens war?

Bull nickte knapp. »Alles wird schnellstens erledigt«, versicherte er. »Einschließlich der Hyperphysikerin.«

 

Das Geschehen wurde zur ermüdenden Routine. Perry Rhodan bugsierte den immer noch reglosen Körper des Freundes vor sich her. Eine Sprungparabel folgte der anderen. Am Anfang hatte der Terraner Mühe gehabt, seine Manöver so abzuschätzen, dass er in Atlans Nähe blieb, mittlerweile hatte er gelernt, seinen Schwung so anzubringen, dass er sich während des Flugs nicht weiter als ein paar Dutzend Meter von dem Arkoniden entfernte.

Mehr als fünf Stunden waren seit Atlans verhängnisvollem Versuch mit dem Feldtriebwerk vergangen. Rhodan konnte sich des Gefühls dumpfer Verzweiflung nicht mehr erwehren. Wenn weder der Cybermed noch Atlans Zellaktivator bislang eine Verbesserung des Zustands herbeizuführen vermocht hatten, dann war der Arkonide aller Wahrscheinlichkeit nach tot. Den Freund für immer verloren zu haben erschien Rhodan in dieser Lage unerträglich.

Wieder hatte er den Arkoniden von der Oberfläche der Burg weggestoßen. Er schwebte dicht hinter Atlan und suchte wie üblich nach dem fernen Lichtpunkt der BASIS, an dem er sich orientierte. Während der Aufwärtsbewegung entfernte sich das Trägerraumschiff vom sichtbaren Rand der Burg. Die Bewegung wurde dann langsamer, erstarb schließlich ganz, und während des Absinkens näherte der Lichtpunkt sich wieder dem Rand der Burg.

Rhodan versuchte abzuschätzen, an welcher Stelle Atlan die metallene Oberfläche erreichen würde. Dieser Bereich der Burg war nicht mehr eben, buckelförmige Erhebungen prägten den Rumpfabschnitt. Rhodan erkannte, dass er Mühe haben würde, den Freund auf die gewohnte Weise wieder in Bewegung zu bringen, weil ihm der Bewegungsraum dafür fehlte.

Er wusste noch nicht, dass die nächste Berührung mit Partocs Burg eine Katastrophe auslösen würde.

 

Der Arkonide landete sanft zwischen zwei Buckeln. Einen Atemzug lang wartete Perry Rhodan auf das Wunder, dass Atlan endlich die Besinnung wiedererlangte. Er hoffte vergeblich.

Stattdessen erkannte er, dass dort, wo der Arkonide lag, eine hell strahlende Glutfläche ungewöhnlich schnell anwuchs. Schon geriet die Oberfläche der Burg in Bewegung, das Metall wurde zähflüssig und trat mit Atlans Aura in immer intensivere Wechselwirkung. Fontänen glutender Materie schossen in die Höhe. Ein Riss bildete sich am Rand der aufweichenden Fläche und wuchs mit unvorstellbarer Geschwindigkeit quer über die Metallebene.

Mit einem Satz warf Rhodan sich auf den Freund. Es ging nicht mehr darum, den Arkoniden in eine aufwärtsgerichtete Flugbahn zu bringen, sondern nur noch darum, ihn schnell aus der brodelnden Gluthölle zu entfernen. Atlan schwamm bereits in dem kochenden Metall und sank tiefer.

Rhodan konnte den Arkoniden nicht einfach packen, weil ihre Feldhüllen wie elastische Barrieren wirkten. Ihm blieb keine andere Wahl, als Atlan auch jetzt anzustoßen, indem er sich niederwarf. Unmittelbar vor sich hatte er die glutflüssige Masse, in deren Sog er nun ebenfalls zu geraten drohte. Er war umgeben von kochendem Metall, dessen mörderische Hitze er nur deswegen nicht fühlte, weil die energetische Aura ihn umgab – dieselbe Energie, die das Chaos erst erzeugte.

Der Terraner kämpfte mit aller Kraft gegen den zähen Morast aus Schmelzgut, der ihn in seinen Bewegungen behinderte und in die Tiefe ziehen wollte. Mit letzter Anstrengung gelang es ihm endlich, Atlan mehrere Meter weit zur Seite zu rollen, sodass er zumindest für den Augenblick dem glühenden Sumpf entkam.

Rhodan hatte keine Zeit, auf seine Umgebung zu achten. Er sah nicht, dass die Glut sich entlang des Risses ausbreitete. Die grellen Fontänen hoch erhitzten Metalls, die in den Raum hinausschossen und in der Kälte sublimierten, blieben ihm ebenso verborgen. Er hatte nur Augen für den Arkoniden, der schon wieder in der brodelnden Masse zu versinken drohte. Erneut warf er sich vorwärts, um den Freund abermals einige Meter weiter zu bugsieren.

Im Unterbewusstsein war ihm klar, dass er keine Aussicht hatte, diesen Kampf zu gewinnen. Er kämpfte aus Starrköpfigkeit, aus Sturheit – weil in einer Lage wie dieser ein Mann nicht aufgab, solange noch ein Quäntchen Kraft in seinen Muskeln steckte.

Die Rettung kam aus demselben Vorgang, der die Gefahr heraufbeschworen hatte. Entlang des Risses tobte eine Explosion. Rhodan spürte einen heftigen Ruck. Dann sah er, aufwärts blickend, die Sterne kreisen. Er war erschöpft wie nie zuvor in seinem langen Leben, und die Müdigkeit verlangsamte sein Denken. Als er sich wieder seiner Aufgabe zuwenden wollte, war die glühende Fläche verschwunden, in deren Sog er sich noch vor wenigen Sekunden befunden hatte. Weit unter sich erblickte er ein wirbelndes Bruchstück der Burg, das sich von dem Rest der gigantischen Konstruktion gelöst hatte und nun allein durchs All trieb.

Verschwunden war aber auch der Arkonide. Rhodan versuchte, den Blick der wirbelnden Bewegung des abgesprengten Teils der Burg anzupassen, um zu erkennen, ob sich der Freund noch dort unten befand. Er sah Atlan nirgendwo. Mit beiden Armen machte er eine Bewegung, die ihn in langsame Rotation versetzte. Schließlich entdeckte er, schon mehrere Kilometer entfernt, ein golden leuchtendes Objekt, das sich offenbar von ihm entfernte. Es war ihm unmöglich, zu erkennen, ob es sich um den Arkoniden oder lediglich um einen glühenden Metallbrocken aus Partocs Burg handelte. Sein müde gewordener Verstand entschied sich allerdings für die günstigste Deutung.

Rhodan reagierte erleichtert. Atlan schien gerettet. Das war der Moment, in dem die Erschöpfung trotz der belebenden Impulse des Zellaktivators ihren Preis verlangte.

Perry Rhodan versank in eine wohltuende Ohnmacht.

 

An Bord der BASIS hatte Payne Hamillers Krisenstab inzwischen die Kontrolle über alle Produktionsstätten übernommen und quasi per Handstreich mehr als zweitausend Männer und Frauen rekrutiert, deren Aufgabe von nun an die Fertigung von Mikrosonden und die Herstellung pseudoenergetischer Schutzfolien für Buffalo Coats war – Letzteres ein Begriff, mit dem niemand etwas anzufangen wusste. Nur einige Mitglieder des Krisenstabs munkelten, dass Buffalo Coats etwas Ähnliches seien wie Maverick-Capes, nur auf die besonderen Gegebenheiten zugeschnitten.

Die Produktion war bereits angelaufen, als Hamiller die Hiobsbotschaft von den Vorgängen auf Partocs Burg erhielt. Er begab sich per Transmitter in das Labor, in dem er sein Hauptquartier eingerichtet hatte. Die Datenstationen waren ständig mindestens dreifach besetzt. Aktuell jedoch hatte sich die gesamte Mannschaft eingefunden, um die Vorgänge bei der Burg zu verfolgen. Hamiller drängte sich durch die Menge. Dabei rammte er einer jungen Frau den Ellbogen in die Seite.

»Pass auf, du Grobian!«, fuhr sie den Wissenschaftler an. Sie war zornig, ihre Augen leuchteten in hellem Grün. Sie hatte langes, dunkelblondes Haar und einen etwas zu breit geratenen Mund. Hamiller wollte sie zunächst ignorieren, ohne auf ihren Protest zu achten. Ihre grünen Augen ließen ihn jedoch innehalten.

»Wer sind Sie ... bist du?«, stotterte er verwirrt.

»Ennea Gheet«, stieß sie aufgebracht hervor. »Und du bist offenbar der Chef von diesem Haufen, nicht wahr? Das gibt dir wohl das Recht, mit deinem Ellbogen in der Gegend umherzuschlagen ...« Sie sprach so laut, dass alle Umstehenden aufmerksam wurden.

Hamiller versuchte vergebens, die junge Frau mit beschwichtigenden Gesten zum Schweigen zu bringen. Sie wurde erst ruhiger, als sie merkte, dass mittlerweile aller Blicke auf sie gerichtet waren. Hastig wischte sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

»Man hat mich zu diesem Haufen abgestellt. Aber wenn hier solche Sitten herrschen, dann habe ich hier nichts verloren!«

Sie wandte sich tatsächlich zum Gehen.

»Sind Sie ... bist du die Hyperphysikerin, die Bully mir versprochen hat?«, rief Hamiller ihr nach.

Ohne anzuhalten, warf sie ihm über die Schulter einen erbosten Blick zu. »Ja, die bin ich!«, antwortete sie.

»Dann melden Sie sich bei Bull!«, rief Hamiller, der nun ebenfalls die Geduld verlor. »Sagen Sie ihm: Was können muss sie, einsatzbereit sein muss sie, und wenn sie gut aussieht, dann schadet das nichts. Aber Mimosen sind hier fehl am Platz!«

Damit war der Fall für ihn erledigt. Hamiller eilte auf das zentrale Schaltpult zu.

 

Eine Vielzahl von Holodarstellungen zeigte ihm deutlich, dass sich ein großes Bruchstück aus Partocs Kosmischer Burg herausgelöst hatte. Es bewegte sich auf eigenem Kurs, mit mäßiger Geschwindigkeit um die Achse des größten Trägheitsmoments rotierend. Die Oberfläche sowohl des Bruchstücks als auch der Burg glühte entlang der Abbruchkanten. Wahrscheinlich befand sich das Metall in glutflüssigem Zustand.

»Wo sind die beiden?«, wollte Hamiller wissen.

Jemand überspielte ihm aufbereitete Ortungsbilder. Die goldenen Leuchtpunkte wären dem Wissenschaftler sonst kaum aufgefallen.

»Was genau ist geschehen?«, wollte er wissen.

Einer seiner Spezialisten erstattete knapp Bericht, was sich in den letzten Stunden ereignet hatte.

Hamiller nickte. »Sie wurden in den Raum hinausgewirbelt. Das könnte ihre Rettung gewesen sein.« Er fixierte die Darstellung eine Zeit lang. »Sie entfernen sich voneinander, aber sie haben bei der Explosion anscheinend genug Anfangsgeschwindigkeit mitbekommen, dass die Burg sie nicht mehr festhält. Jetzt müssen wir sie scharf im Auge behalten. Unsere Rettungsaktion startet in frühestens zwanzig Stunden. Bis dahin ...« Er unterbrach sich und musterte die Wiedergabe, als hätte er etwas Ungewöhnliches gesehen.

»Was ist?«, erkundigte sich Waringer, der hinter ihm stand.

»Das Bild hat geflackert. Einer der Punkte war für eine Zehntelsekunde verschwunden. Wie steht's mit der Leistungsanzeige? Gab es in der vergangenen Minute Schwankungen?«

»Keine!«, erklang es aus dem Hintergrund.

Waringer legte Hamiller die Hand auf die Schulter. »Wahrscheinlich spielen deine Augen schon nicht mehr mit, mein Junge«, sagte er begütigend. »Du bist sicher nicht mehr der Wachste.«

»Vermutlich hast du recht.« Hamiller erhob sich. In die Runde gewandt, fuhr er fort: »Wir dürfen Rhodan und Atlan keinesfalls aus den Augen verlieren! Regelmäßige Kursberechnungen müssen vorgenommen werden – schon weil wir nicht wissen, wie die hyperenergetischen Auren reagieren.«

Er wandte sich dem Ausgang zu, der in den kleinen Transmitterraum führte. In der Nähe des Schotts stutzte er. Dort stand Ennea Gheet und musterte ihn mit merkwürdigem Blick.

»Sie hätten mich tatsächlich fortgeschickt, nicht wahr?« Die Hyperphysikerin lächelte matt.

Merkwürdig, fand Waringer. Wenn sie nicht wütend ist, sind ihre Augen grau.

»Ich hätte nicht nur«, antwortete er. »Ich habe!«

»Das können Sie sich nicht leisten!«

»Wer sagt das?«

»Ich!«

Ihr Lächeln wurde intensiver, ihre Augenfarbe wechselte von Grau zu Blau. Payne Hamiller blickte sie fasziniert an. »Sind Sie wirklich so gut?«, wollte er wissen.

»Testen Sie mich!«

Hamiller streckte ihr die Hand entgegen. »Also dann – nichts für ungut! Willkommen in unserem Haufen, wie Sie das nennen.«

Ennea Gheet schlug ein. »In einem bin ich allerdings nicht so gut«, gestand sie.

»Was ist das?«

»Im Mundhalten. Mir wurde von verschiedenen Seiten versichert, ich hätte ein unflätiges Mundwerk.«

Hamiller grinste. »Was Sie nicht sagen. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«

3.

 

 

Perry Rhodan registrierte nicht ohne Besorgnis, dass sich Atlan immer weiter von ihm entfernte. Ohne die leuchtende Aura wäre der Freund wahrscheinlich längst aus seinem Blickfeld verschwunden.

Immerhin war eine Bedrohung gebannt: Die Explosion hatte sie beide schnell genug davongeschleudert, sodass sie dem Schwerkraftfeld von Partocs Burg entkommen waren. Hilfe musste nun von der BASIS kommen.

Der Terraner sah an der im Helm eingespiegelten Zeitanzeige, dass er nur wenige Minuten bewusstlos gewesen war. Ohnehin fühlte er sich so erschöpft wie zuvor.

Er hatte ein Summen in den Ohren, und die Sternenfülle der Galaxis Erranternohre bot sich ihm dar, als blicke er durch ein langes dünnes Rohr. Er schob das auf seine Schwäche. Doch das Summen wurde intensiver, und sein Blickfeld verengte sich schließlich so weit, dass er alle Sterne der Umgebung in einem dicht gedrängten Haufen vor sich sah.

Dieser Vorgang konnte nicht allein physischer Natur sein. Etwas anderes geschah mit ihm ...

Das Weltall verschwand. Rhodan spürte einen ziehenden Schmerz, der bis in die untersten Tiefen seines Bewusstseins vorzudringen schien. Lichtlose Schwärze umgab ihn.

Dieser Zustand dauerte nur einen Sekundenbruchteil, dann wurde es schon wieder hell – oder wenigstens verlor die Dunkelheit an Intensität. Zum ersten Mal seit Tagen nahm der Terraner wieder einen Schwerkrafteinfluss wahr. Er sah sich verwundert um und erkannte, dass er auf felsigem Boden stand.

Seine Augen waren an das Licht der Galaxis Erranternohre gewöhnt. Es dauerte eine Zeit lang, bis sie sich auf das diffuse Dämmerlicht umstellten. Rhodan gewahrte hoch über sich matte, flimmernde Lichtpunkte, insgesamt nicht mehr als drei Dutzend. Am Horizont zeichnete sich ein grünlicher Schimmer ab, der langsam kräftiger zu werden schien. Der Himmel war nicht schwarz, sondern eigentümlich grau.

Der Terraner blickte an sich hinab. Die eigene Aura war ihm nie in jenem intensiv goldenen Schimmer erschienen, wie er Atlans energetische Hülle gesehen hatte, sie war für ihn lediglich ein mattes Flimmern gewesen.

Dieses Flimmern war verschwunden.

Rhodan nahm überrascht zur Kenntnis, dass er die Aura verloren hatte. Das war der Grund, schloss er, warum der Boden unter ihm nicht schon glutflüssig brodelte.

Sowohl die BASIS als auch Atlan schienen verschwunden zu sein. Rhodan war klar, dass zwischen ihm und der Kosmischen Burg eine möglicherweise enorme Distanz lag. Ob die Entfernung mit den herkömmlichen Werten des Einsteinraums gemessen werden konnte oder ob er ein anderes Universum erreicht hatte, blieb ihm verborgen. Allerdings gab ihm das Verschwinden der Aura zu denken. Zu einer Wette gezwungen, hätte er darauf gesetzt, dass er sich nicht mehr in demselben Universum befand wie Atlan und die BASIS.

Solche Überlegungen brachten ihn jedoch nicht weiter. Erst musste er sich mit seiner neuen Umgebung vertraut machen, später konnte er darüber nachdenken, wie es möglich sein würde, Verbindung mit der BASIS aufzunehmen.

Über das Head-up-Display rief er die vom Umweltanalysator gesammelten Daten ab. Er befand sich auf einer Welt, die durchaus erträgliche Bedingungen bot. Die Atmosphäre enthielt ausreichend Sauerstoff und keinerlei Beimengung schädlicher Substanzen. Die Temperatur war mit zwölf Grad Celsius ein wenig frisch, aber das störte ihn herzlich wenig.

Rhodan zögerte kurz, dann löste er den Helm. Die scheinbar stabile Hülle fiel in sich zusammen wie eine Kapuze, er schob sie in den Nacken zurück. Tief atmete er ein.

 

Perry Rhodan befand sich in einem weiten Tal. Zu beiden Seiten erstreckten sich niedrige Hügelketten.

Der grüne Schein am Horizont war intensiver geworden, und nun schob sich ein größerer Stern über den Horizont. Es wurde heller, aber nach wie vor waren die Lichtverhältnisse nicht besser als auf der Erde bei Vollmond. Der Stern war ein grüner Glutfleck im Grau des Himmels; er schien ein paar hundert astronomische Einheiten entfernt zu sein. Rhodan zögerte jedenfalls, ihn als Muttergestirn des Planeten anzusehen. Wie hätte eine Sonne, die von ihrem Trabanten etliche hundert Mal weiter entfernt war als Sol von Terra, derart verträgliche Temperaturen erzeugen können?

Der grüne Lichtfleck schob sich über dem jenseitigen Talende empor. Rhodan glaubte, in der Ferne zwischen den beiden scheinbar zusammenlaufenden Hügelketten eine symmetrische Struktur wahrzunehmen. Er schätzte ihre Entfernung auf mehrere Kilometer, und das bedeutete, dass jene Struktur ein beachtliches Ausmaß haben musste.

Er entschied, sich das eigenartige Objekt aus der Nähe anzusehen. Zuvor raffte er jedoch Gesteinsbrocken zusammen und häufte sie zu einer kleinen Pyramide auf. Er wusste, wie wichtig es sein konnte, den Ort zu markieren, an dem er diese Welt erreicht hatte. Womöglich stellte sich heraus, dass Übergänge nur von hier aus möglich waren.

Das Tal war für einen Fußmarsch keineswegs ideal. Felstrümmer lagen überall und behinderten das Vorankommen. Trotzdem verzichtete Rhodan darauf, eines der Antriebssysteme seines Raumanzugs einzuschalten. Obwohl er überzeugt war, dass sich die gefährliche Aura aufgelöst hatte, war ihm Atlans Schicksal eine deutliche Warnung.

Mühsam bahnte er sich seinen Weg und legte von Zeit zu Zeit eine Pause ein. Die Umgebungstemperatur veränderte sich nicht, dabei stand der grüne Stern schon hoch am Himmel. Der matte grüne Schimmer sorgte also nicht für die Wärme auf dem Planeten.

Erst als Rhodan im Zenit eine kaum wahrnehmbare ins Bräunliche spielende Verfärbung des Himmels bemerkte, die sich als lang gestreckte, dünne Sichel abzeichnete, wurde ihm einiges klar. Ein brauner Zwerg!, schoss es ihm durch den Sinn. Braune Zwerge waren ursprünglich kleine Sonnen gewesen, die im hohen Alter zwar kollabierten, aber nicht massiv genug waren, zum Schwarzen Loch zu werden. Die terranische Raumfahrt hatte viele braune Zwerge gefunden. Die Schiffe hielten sich jedoch von ihnen fern, denn sie waren Gravitationsfallen.

Rhodan nahm zur Kenntnis, dass er sich in einem Doppelsternsystem befand. Die massivere Komponente war der braune Zwerg, dessen sichelförmigen Umriss, angestrahlt von der fernen grünen Sonne, er über sich sah. Der Größe der Sichel nach zu schließen, umkreiste der Planet den braunen Zwerg auf einer engen Bahn und erhielt aus der Restemission der toten Sonne genug Wärme. Die fahle Helligkeit hingegen kam nur von dem grünen Stern.

Perry Rhodan nannte die fremde Welt Green Darkness.

 

Die ferne Sonne beschrieb im Lauf weniger Stunden eine wahrhaft abenteuerliche Bahn. Sie stieg annähernd senkrecht empor, kulminierte an einem Punkt, der etwa sechzig Grad über der Horizontalen lag, und machte sich dann mit beträchtlicher Geschwindigkeit wieder an den Abstieg. Sie sank ebenso steil, wie sie aufgestiegen war, was zur Folge haben musste, dass der Punkt ihres Untergangs nur unwesentlich von dem Ort entfernt lag, an dem sie aufgegangen war. Die Beleuchtungsverhältnisse auf Planeten, welche die massivere und dunkle Komponente eines Doppelsternsystems umkreisten, während sie von der hellen ihr Licht erhielten, waren stets verwirrend und in keinen zwei Fällen identisch.

Perry Rhodan verspürte keine Lust, anhand seiner Beobachtungen die Konstellation des Planeten und seiner Sonnen zu analysieren. Mittlerweile hatte er etwa die halbe Entfernung zurückgelegt, und der Weg verlor nun ein wenig von seiner Beschwerlichkeit.

Nach etwa zwei Stunden stand der Terraner vor einer monströsen, fugenlosen Mauer. Sie ragte wenigstens fünfzig Meter hoch auf und erstreckte sich nach rechts und links jeweils mehr als einhundert Meter weit. Aus der Distanz hatte er ein Gebilde wahrzunehmen geglaubt, das über die Mauer aufragte. Es befand sich im Innern der umschlossenen Fläche. Rhodan konnte es nicht mehr sehen, weil er schon zu nahe stand. Es war ihm jedoch erschienen, als hätte jenes seltsame Etwas Ähnlichkeit mit einem ins Enorme vergrößerten menschlichen Schädel. Er ging an der Mauer entlang und suchte nach einem Durchgang, durch den er in den umschlossenen Innenraum gelangen konnte.

Er hatte die Richtung, talabwärts der grünen Sonne entgegen, willkürlich als Süd bezeichnet. Nun drang er entlang der Nordseite der Mauer bis an deren östliches Ende vor und bewegte sich von da an wieder nach Süden. Erst an der nächsten Mauerecke erkannte er, dass es sich keineswegs um einen geschlossenen Wall handelte. Auf der Südseite gab es keine Mauer.

Rhodan blickte in einen Innenraum, der etwa zweihundert mal zweihundert Meter maß. Der Boden war mit einer glatten, matt schimmernden Masse überzogen, die unter normalen Lichtverhältnissen wahrscheinlich weiß oder hellgrau erschienen wäre. Keinen Zweifel gab es allerdings hinsichtlich der natürlichen Farbe der riesigen Statue innerhalb des Vierecks, deren Schädel Rhodan aus der Ferne gesehen hatte. Sie war glänzend schwarz.

Die Statue stellte eine sitzende Frau dar. Die Gestalt war im höchsten Maß android – davon lenkte auch eine Ausbuchtung inmitten der hohen Stirn nicht ab, die ein drittes Auge sein mochte. Sie trug schulterlanges straffes Haar. Der Mund war ungewöhnlich volllippig und groß und wölbte sich unter einer prägnanten Nase. Die Arme hingen wie lässig herab, die Hände stützten sich auf die Knie.

Wer immer die Skulptur geschaffen hatte, musste eine eigenwillige Kunstauffassung besessen haben. Er stellte die unbekleidete Frau als hager, fast dürr dar, doch alle weiblichen Merkmale waren überproportional betont.

Rhodan umrundete die mächtige Figur mehrmals. Er war sich selbst nicht darüber im Klaren, was er zu finden hoffte. Wahrscheinlich wäre es ihm nicht einmal möglich gewesen, eine Inschrift zu entziffern.

Nach der dritten Runde verhielt er seine Schritte in dem Bereich, von dem aus er die Skulptur zum ersten Mal betrachtet hatte. Die grüne Sonne schickte sich an, hinter dem Horizont zu versinken.

Es war reiner Zufall, dass der Aktivatorträger in dieser Sekunde zu dem vermeintlichen dritten Auge in der Stirn der Statue aufblickte. Täuschte er sich – oder sah er dort oben wirklich ein Aufblitzen? Er kam nicht mehr dazu, sich Gewissheit zu verschaffen. Sein Blickfeld verengte sich, es wurde finster ringsum. Er hatte ein dröhnendes Summen in den Ohren, und schon empfand er wieder jenen ziehenden Schmerz, der bis in die tiefsten Schichten seines Bewusstseins vordrang.

Perry Rhodan erkannte instinktiv, was geschah. Die Gefahr, in der er schwebte, war ihm mit peinigender Deutlichkeit bewusst. Als er die Sterne von Erranternohre sah, wollte er instinktiv den Helm schließen, doch das war bereits ohne sein Zutun geschehen.

 

Payne Hamiller musterte den Arzt mit nicht eben freundlichem Blick. »Wenn alles vorbei ist, mache ich vier Wochen Urlaub im Wiesenwinkel«, versprach er und stemmte sich mühsam aus dem Sessel hoch.

»Bis alles vorbei ist, haben wir dich wahrscheinlich im Wiesenwinkel begraben«, erwiderte der Arzt ungerührt. »Du weißt ganz genau, dass du Schonung brauchst.«

»Also dann her mit dem Monitor!«, knurrte Hamiller.

Der Arzt reichte ihm ein winziges Gerät, das nur wenige Millimeter durchmaß. »Unters rechte Ohr ...«, sagte er. »Es haftet von selbst.«

Hamiller befestigte den Monitor. Das Gerät würde seine wichtigen Körper- und Bewusstseinsfunktionen aufzeichnen und die Daten permanent dem medizinischen Zentralrechner übermitteln.

»Wenn es wirklich gefährlich wird, dann lass es mich wissen«, sagte Hamiller.

Der Arzt nickte. Nur einen Augenblick später stürmte einer von Hamillers Spezialisten herein.

»Rhodans Aura ist intensiver geworden!«, meldete der Mann.

»Einfach so?«

»Anscheinend. Die ersten Anzeichen vor etwas mehr als einer Stunde hielten wir noch für Messfehler. Inzwischen scheint sicher zu sein, dass tatsächlich eine Intensivierung stattgefunden hat.«

Hamiller vergaß völlig, dass der Arzt noch bei ihm war. Zusammen mit seinem Spezialisten verließ er das Labor.

»Mehr als eine Stunde«, wiederholte er murmelnd. »Das muss also etwa zu der Zeit gewesen sein, als ich im Rechnerraum war.«

»Damals hatten wir noch keine Ahnung ...«

»Ich will keine Entschuldigung«, wehrte Hamiller ab. »Lässt sich der Zeitpunkt der Intensivierung exakt eingrenzen?«

»Selbstverständlich.«

»Und das Autolog läuft?«

»Wie immer. Worauf willst du hinaus?«

»Erinnerst du dich, dass ich eine der beiden Auren flackern sah, bevor ich den Rechnerraum verließ?«

»Du dachtest an eine Leistungsschwankung.«

»Genau. Es gab aber keine. Und jetzt interessiert mich, ob die Intensivierung der Aura mit dem Flackern zusammenhängt.«

 

»Die erste Sondenbatterie ist startbereit«, meldete Ennea Gheet, als beide Männer den Rechnerraum erreichten.

»Nicht jetzt!«, brummte Hamiller ungeduldig. »Ich habe keine Zeit dafür.«

Die Hyperphysikerin grinste ihn an. »Der Herr sind ungnädiger Stimmung. Wie kann plötzlich so unwichtig sein, was vor wenigen Minuten noch höchste Priorität hatte?«

Payne Hamiller wischte sich über die Stirn. »Ennea – entschuldigen Sie! Ich bin ein wenig durcheinander. Wollen Sie die Sonden in eigene Verantwortung übernehmen? Sie haben freie Hand. Sie wissen ohnehin, worauf wir aus sind.«

Er hastete weiter zum nächsten Infoplatz und rief die Aufzeichnungen ab.

Der Zeitpunkt, zu dem die Intensivierung der Aura stattgefunden hatte, war schnell bestimmt. Das Autolog ließ ohnehin auf Anhieb erkennen, wann er sich wegen des vermeintlichen Flackerns einer der goldenen Auren mitten im Wort unterbrochen hatte.

Beide Zeitangaben waren bis auf wenige Millisekunden identisch.

»Ich brauche eine Nahauswertung der optischen und der Orteranzeige. Jeweils zehn Sekunden vor und nach dem kritischen Moment. Die Auswertung beschränkt sich auf Rhodan.«

Die Aufzeichnungen in Bildform lagen kurz darauf vor. Waringer war inzwischen gekommen. Angespannt verfolgten beide Männer die Szene. Rhodans goldene Aura erschien als verwaschener Lichtfleck.

»Da ...!«, stieß Waringer hervor.

Die Wiedergabe stoppte sofort.

»Hast du etwas gesehen?«, wollte Hamiller wissen.

»Für einen Moment war er weg!«, erklärte Waringer aufgeregt. »Hast du es nicht bemerkt?«

Hamiller fuhr die Aufzeichnung zurück. Diesmal nahm auch er wahr, dass der Lichtfleck für den Bruchteil einer Sekunde verschwand – ganz wie er es vor mittlerweile zwei Stunden gesehen hatte.

»Das war keine Zehntelsekunde, sondern noch kürzer«, sagte Waringer. »Achte auf Umfang und Leuchtkraft der Aura! Da – jetzt!«

Das war genau der Sekundenbruchteil, in dem Perry Rhodan verschwand und wieder auftauchte.

»Die Aura ist heller«, bemerkte Hamiller. »Und größer.«

»Egal, wo er während dieser hundertstel Sekunde gewesen sein mag, seine Aura wurde dort aufgeladen«, kommentierte Waringer.

 

Payne Hamiller sah sich vergebens nach der Hyperphysikerin um. Die Frau war verschwunden, und niemand wusste, wohin. Er ließ sie schließlich über Interkom rufen, und sie meldete sich einige Zeit später.

»Wo stecken Sie?«, fragte der Wissenschaftler, als Ennea Gheets Konterfei sichtbar wurde.

»Eine seltsame Frage«, antwortete die Hyperphysikerin verwundert. »Sie selbst haben mir die Verantwortung für die Sonderaktion übertragen.«

»Natürlich. Aber der Start und die Überwachung der Sonden werden von hier aus durchgeführt.«

»Ach Quatsch!«, erwiderte die Frau ungnädig. »Ich habe den Informationsgehalt, der mit der Sondenaktion zu tun hat, auf einen Zweigrechner übernommen und komme hier ganz gut zurecht.«

»Haben Sie genug Unterstützung?«

»Ich brauche keine!«

»Die Sondenaktion ist wichtig. Ich erwarte die Resultate so rasch wie möglich. Wenn sich der Start noch lange verzögert ...«

»Was für ein Start? Der Start der ersten Sondenwelle? Ist vor dreiundzwanzig Minuten abgelaufen.«

»Was ...?« Hamiller schrie beinahe. »Und wie hat ...«

»Fünfhundert Mikrosonden wurden planmäßig ausgeschleust und auf rechnergestützten Kurs gebracht. Wir scheinen Glück zu haben. Während der letzten drei Minuten haben vierzehn Sonden zu funken aufgehört.«

Payne Hamiller war wie vor den Kopf geschlagen. »Wieso ist das Glück, wenn sie ...«

»Das würden Sie doch erwarten, sobald die Sonden durch das Loch im Universum verschwinden, oder nicht?«, fiel Ennea Gheet dem wissenschaftlichen Leiter abermals ins Wort.

»Ach so!«, murmelte Hamiller.

»Soeben kehrt die erste zurück!«

»So schnell?«

»Ich dachte, Sie hätten es eilig.«

»Schon ... aber ... meine Güte, was kann die Sonde in dieser kurzen Spanne überhaupt festgestellt haben?«

»Sie haben sich nicht explizit geäußert, was mit dem Experiment eigentlich bezweckt wird«, erläuterte die Frau. »Deshalb dachte ich mir, dass es um eine Messung der Strangeness geht.«

»Natürlich, das ist richtig«, antwortete Hamiller verdattert. »Und wie wollen Sie die Strangeness in derart kurzer Zeit feststellen?«

»Mit dem einfachsten und zuverlässigsten Versuch, den man sich denken kann«, erklärte die Hyperphysikerin gelassen. »Millikan.«

Hamiller gewann allmählich seine Fassung wieder. »Das Resultat muss ich sehen!«, stieß er hervor. »Sagen Sie mir, wo Sie stecken – ich bin sofort da!«

 

Er fand Ennea Gheet in einem abseits gelegenen Raum, der nur eine Datenstation enthielt.

»Setzen Sie sich!«, sagte die Hyperphysikerin, als sie ihn eintreten hörte. »Ich überprüfe die Auswertung soeben zum dritten Mal. Sie werden staunen, was wir gefunden haben.«

Payne Hamiller sah sich um, doch es gab keinen einzigen Einrichtungsgegenstand, den er als Sitzmöbel hätte benützen können. Also blieb er stehen. Die Frau rief neue Datenkolonnen ab.

»Das war's!«, stellte sie gleich darauf fest. »Maximale Ungenauigkeit plus/minus zwei Prozent. Die Elementarladung beträgt drüben, jenseits des Lochs, zwei Komma acht mal zehn hoch minus neunzehn Ampèresekunden. Was sagen Sie jetzt?«

Hamiller war blass geworden. »Zwei Komma acht ...«, ächzte er.

Die klassische Elementarladung, also die elektrische Ladung eines Elektrons, beträgt eins Komma sechs mal zehn hoch minus neunzehn Ampèresekunden. Sie wird bei Messungen der Strangeness, also des Strukturunterschieds zweier Universen, gern als Referenzgröße herangezogen, weil sie leicht zu ermitteln ist, und zwar mit wesentlich derselben Versuchsanordnung, die der amerikanische Physiker Robert A. Millikan zu Beginn des 20. Jahrhunderts für denselben Zweck verwendet hatte.

Hamiller studierte die Rechenergebnisse. Obwohl das Resultat ihn zutiefst erschüttert hatte, verfolgte er konzentriert jeden Analyseschritt, den Ennea Gheet vollzogen hatte. Im Stillen musste er sich eingestehen, dass er die Sache nicht besser hätte machen können.

»Das ist fantastisch!«, stieß er schließlich hervor. »Welche weiteren Experimente haben Sie geplant?«

»Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen, Planck'sches Wirkungsquantum und Wellenwiderstand des Vakuums.«

»Sie wissen, was das bedeutet?«, fragte Hamiller erregt. Kaum hatte er den Satz zu Ende gebracht, da wurde ihm bewusst, dass sein »Relationenmodell der Kontinua« noch unveröffentlicht war und daher niemand damit vertraut sein konnte. »Vielmehr – Sie wissen es wahrscheinlich nicht«, fügte er enttäuscht hinzu.

Ennea Gheet lächelte. »Ich kann spekulieren. Es gibt im System der quinternionischen Differenzialgleichungen eine Variable, die als symodal bezeichnet wird, weil sie auf recht eigenartige Weise zur Lösungsvielfalt beiträgt. Der Wert der Variablen bewegt sich zwischen null und eins. Jeder Wert außerhalb dieses Bereichs führt zu einer Zahl von null Lösungen. Die symodale Variable hat, solange sich ihr Wert zwischen den Grenzen null und etwa null Komma acht bewegt, keinen nennenswerten Einfluss auf den Lösungsausgang. Steigt sie jedoch über null Komma acht hinaus, wird sie dominierend und bläht die Lösungsvielfalt bis zum Höchstwert von 2048 auf. Diese Zahl wird allerdings erst erreicht, wenn der Wert der Symodal-Variablen sich eins nähert.«

Payne Hamiller blinzelte kurzsichtig. Seine Lippen bebten. Es bedurfte einiger Anstrengung, bis er die Sprache wiederfand.

»Woher ... wissen Sie das alles?«

Ennea Gheets Lächeln wurde verschmitzt. »Ich bin stets auf der Suche nach einem neuen Einstein«, bekannte sie. »Oder sagen wir, nach einem Dirac, der ist wirklich mehr mein Typ. Ich verfolge alles, was auf dem naturwissenschaftlichen Markt vorgeht, und wenn ich mir einen Kandidaten ausgesucht habe, er sich jedoch weigert, seine Theorien zu veröffentlichen, dann schrecke ich auch nicht davor zurück, mir Zugang zu seinen privaten Aufzeichnungen zu verschaffen.«

»Sie haben ... Sie haben ...« Hamiller stotterte.

»Ganz richtig«, kam ihm die Hyperphysikerin zu Hilfe. »Ich habe Einsicht in die Unterlagen genommen, die Sie vom Zweigrechner Servac-2 aufzeichnen ließen. Das ist in Wirklichkeit ganz einfach, glauben Sie mir, und wahrscheinlich nicht einmal verboten. Sie haben nämlich mit dem Rechner keinen Zugriffsschutz vereinbart.«

»Das ist ... Ich meine, das lag auch gar nicht in meinem Sinn! Ich halte meine Hypothesen nicht geheim, sondern habe bislang nur keine Zeit für die Veröffentlichung gefunden.«

»Okay«, erwiderte Ennea Gheet gelassen. »Dann machen wir uns eben an die Arbeit! Ist Ihnen schon die Idee gekommen, dass die geheimnisvolle Symodal-Variable die Strangeness sein könnte?«

Hamillers Augen leuchteten.

»Ennea, Sie sind unersetzlich!«, stieß er hervor. »Natürlich ist mir die Idee gekommen. Aber sie erschien mir nutzlos. Die Sache war viel zu hypothetisch. Ich wollte mit dem System der Quinternionen-Gleichungen verwertbare Lösungen erzielen – nicht die Verhältnisse in einem anderen Universum klären, das von dem unseren so verschieden ist, dass die Zeit dort wahrscheinlich rückwärts läuft.«

Die Frau wandte sich vorübergehend ab. Zwei weitere Sonden waren aus dem Raum zurückgekehrt, in dem sich Partocs Burg bis vor Kurzem befunden hatte. Sie rief die Daten ab.

»Lichtgeschwindigkeit knapp 500.000 Kilometer pro Sekunde, Planck'sches Wirkungsquantum rund elf anstatt sechs Komma sechs mal zehn hoch minus vierunddreißig«, las sie ab. »Das reicht aus, meinen Sie nicht auch? Wir haben es in der Tat mit einem überaus fremdartigen Kontinuum zu tun.«

»Wie hoch errechnet sich die Strangeness?«, fragte Hamiller.

»Ich möchte erst die Rückkehr der restlichen Sonden abwarten. Überschlägig würde ich allerdings sagen, zwischen null Komma neun und eins.«

Payne Hamiller klatschte begeistert in die Hände. Im selben Augenblick meldete sich sein Armbandfunk.

»Die Buffalo Coats sind fertig und installiert. Zwei Shifts sind startbereit.«

Hamiller ignorierte plötzlich alles andere. »Ich bin in einer Minute in der Zentrale!«, sagte er.

4.