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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich

WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

Wissen und Glauben

Eine wissenschaftliche Perspektive

Von Prof. Ernst Peter Fischer

Das Streben nach Wissen

Der griechische Philosoph Aristoteles hat in seiner wunderbaren Schrift „Metaphysik“ charakterisiert, was uns Menschen auszeichnet. Der erste Satz dieses Buches heißt: „Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen“. Das beschreibt genau, was wir heute tun.

Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Wir versuchen, uns über das Wissen Wohlstand zu schaffen, und wir sind auch in der Vermittlung des Wissens große Weltmeister geworden. Wir haben Schulsysteme, Universitätssysteme. Dabei haben wir ein bisschen vergessen, was Aristoteles eigentlich zur Begründung gesagt hat.

Er hat gesagt: „Wir streben nach Wissen, weil wir Freude an der Wahrnehmung der Natur haben.“ Es würde sich also lohnen, zunächst einmal die Natur wahrzunehmen und dann zu fragen, wie die Natur funktioniert. Aber das ist nur eine Nebenbemerkung.

Ich möchte auf etwas Anderes hinaus: Diese Idee von Aristoteles, diese Vorgabe, was der westliche Mensch, also der abendländische Mensch eigentlich tun will, nach Wissen zu streben, haben wir heute in einer wunderbaren Weise umgesetzt. Wir haben diesen Wunsch institutionalisiert, wir nennen das: Treiben von Wissenschaft. Wir bemühen uns mit allen möglichen Instrumenten, Überlegungen und Theorien, etwas zu wissen.

Manchmal hat man den Eindruck - das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich spürbar - dass die Menschen, die das taten, die das Wissen erworben haben, die das Wissen vermehrt haben, dabei das Gefühl hatten, dass Gott überflüssig war. Dass sie letzten Endes keinen Glauben mehr brauchten, weil sie alles wissen würden.

Die Frage nach Gott

Tatsächlich hat es sich aber genau umgekehrt herausgestellt. Je mehr wir wissen, desto stärker sehnen wir uns nach Glauben oder desto deutlicher wird, dass zum Menschen nicht nur das Bemühen um Wissen, sondern auch das Sehnen nach Glauben gehört. Jedes Mal, wenn wir neues Wissen erwerben, das ist das Merkwürdige, fragen wir nämlich nach Gott.

Das können Sie an vielen großen Namen sehen, das können Sie wahrscheinlich auch an sich selbst feststellen. Zum Beispiel: Als der britische Physiker Stephen Hawking seine Theorie über die Geschichte der Zeit vorstellte, über das Entstehen von Zeit, über den Beginn des Universums, wurde er in seinen Vorlesungen nicht gefragt, wie er begründen kann, dass das Universum durch irgendwelche entropischen Schwankungen zu Strahlungen aus schwarzen Löchern oder ähnlichen Komplikationen entstand, sondern er wurde gefragt, ob das beweisen würde, dass Gott existiert oder ob das widerlegen würde, dass Gott existiert. Stephen Hawking hat ja in seinen Vorlesungen am Anfang immer bekannt geben lassen, dass er keine Fragen zu Gott beantwortet. Es sind ihm aber nur Fragen zu Gott gestellt worden.

Das Merkwürdige ist: Wir erwerben Wissen, wir erwerben immer mehr Wissen und fragen dadurch immer genauer nach Gott.

Ich möchte das an einigen historischen Beispielen zeigen. Dabei ist nicht gesagt, dass wir nur positiv nach Gott fragen, sondern auch eventuell versuchen, aus dem Wissen eine Verneinung Gottes herauslesen zu können, was natürlich auch nur bedeutet, dass wir wieder nach Gott fragen.

Der überlebensgroße Albert Einstein hat ja bekanntlich so schöne Sätzchen über den lieben Gott formuliert wie zum Beispiel „Gott würfelt nicht“. Damit hat er seine Ablehnung einer statistischen Natur der Wirklichkeit durch einen Bezug auf den lieben Gott unmittelbar deutlich gemacht. Aber wichtiger ist: Als Einstein einmal gefragt wurde, was er eigentlich anstrebt, was er eigentlich wirklich wissen will mit seinen Theorien, hat Einstein geantwortet, was er wirklich wissen will, ist, welche Freiheiten Gott hatte, als er die Welt geschaffen hat.

Man muss sich das vorstellen. Da macht ein Mann nur und ausschließlich theoretische Physik. Er versucht nur und ausschließlich, Gravitationsfelder zusammenzusetzen. Er versucht, eine einheitliche Feldtheorie, eine geschlossene Theorie des Universums aufzustellen, wo es gar keine Randbedingungen mehr gibt, und zum Schluss will er nur wissen, welche Freiheiten Gott hatte, als er diese Welt geschaffen hat.

Viele von Ihnen kennen sicher die berühmte Antwort, die Einstein auf die Frage eines New Yorker Rabbiners gegeben hat. Als Einstein zum ersten Mal nach New York reisen wollte, hatte man das Gefühl, dass seine Relativitätstheorie – also ich rede von den 1920er Jahren –, ohne Gott auskommen würde. Deshalb hat ihn der Chef-Rabbiner von New York aufgefordert, Einstein solle sich zu Gott bekennen oder nicht. Wenn er sich nicht zu Gott bekennen würde, dann würde er verhindern, dass Einstein in die USA einreist. Daraufhin hat dieser Freidenker, dieser Freigeist Einstein dem Rabbiner ganz lieb und brav geantwortet: „Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott, aber ich glaube an den Gott Spinozas, der sich in den Harmonien der Naturgesetze offenbart.“

Wohin wir auch schauen, wir fragen immer nach Gott. Das tun wir nicht nur, wenn wir kosmologische Überlegungen anstellen, wie wir das bei Albert Einstein oder Stephen Hawking gesehen haben, sondern auch wenn wir biologische Überlegungen anstellen.

Einer der berühmten Mitentdecker der Doppelhelix, der Brite Francis Crick, hat nämlich, als er 1953 festgestellt hatte, wie die Struktur des Erbmaterials aufgebaut ist – nämlich als Doppelhelix – im Anschluss gesagt, jetzt sei doch klar, dass man keinen Gott mehr brauche. Denn das Geheimnis des Lebens läge uns vor Augen. Es gäbe kein Geheimnisvolles im Leben mehr, das Leben läge klar erkennbar als ein Verwirklichungsprogramm von mechanischen Modellen, das sich an Molekülen orientiert, vor Augen. Und deshalb, so Crick, brauche man von jetzt ab keine Religion mehr.