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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich
RELIGIONSWISSENSCHAFT

Monotheismus und die Sprache der Gewalt

Von Prof. Jan Assmann

Opium des Volkes – so bezeichnete Karl Marx die Religion. Heute aber sieht es so aus, als sollte man sie eher das Dynamit des Volkes nennen. Durch islamistische Terrororganisationen, die sich auf den Willen Gottes berufen, wurden und werden Anschläge begangen, denen Tausende zum Opfer gefallen sind. Wenn man in der Geschichte zurückblickt, sieht man, das die Verbindung von Religion und Gewalt weder etwas ganz Neues noch etwas spezifisch Islamisches ist. Vor allem das Christentum hat mit seinen Religionskriegen, seinen Hexen- und Ketzerverbrennungen, seinen Judenpogromen und Kreuzzügen eine ungeheure Gewaltgeschichte geschrieben. In seinen Anfängen aber war es selbst Opfer blutiger Verfolgungen durch römische Kaiser gewesen. Die Blutspur religiöser Gewalt zieht sich noch viel tiefer in die Geschichte hinein. Das Alte Testament berichtet nicht nur von Massakern an Baalspriestern und den Anbetern des Goldenen Kalbs, sondern auch von den Menschenopfern der Heiden, und wenn man den Blick aus der alten Welt in die neue richtet, dann denkt man an die Menschenopfer der Azteken und muß schließlich Nietzsche recht geben, der behauptet hat, dass alle Religionen im letzten Grunde Systeme von Grausamkeit seien.

In diesem Bild, das Religion und Gewalt in einen so engen, geradezu unauflöslichen Zusammenhang bringt, geht aber einiges durcheinander. Ich möchte versuchen, durch einige Unterscheidungen etwas mehr Klarheit in diesen Zusammenhang zu bringen und beginne bei dem Problem der Gewalt. Woher kommt die Gewalt unter den Menschen? Wie ist es zu erklären, daß der Mensch unter den Lebewesen auf Erden sicher das Gewalttätigste ist?

Was den Menschen gegenüber dem Tierreich auszeichnet, ist die Gewalt gegenüber Mitgliedern der gleichen Spezies. Hier pflegen sonst natürliche Tötungshemmungen zu greifen, wie sie im Tierreich vielfältig beobachtet worden sind. Von Natur aus, also biologisch betrachtet, gehören alle Menschen zur selben Spezies homo sapiens sapiens. Ungleichheit und Fremdheit entstehen erst durch die Verschiedenheit der Kulturen. Diesen Vorgang nannte der Psychologe Erik H. Erickson „Pseudospeziation“. Durch kulturelle Pseudospeziation entstehen innerhalb der Gattung Mensch Gruppen, die sich als fremd gegenüberstehen, weil sie unterschiedliche und mutuell unverständliche Sprachen spre-chen und sich möglicherweise auch durch Tracht, Bemalung, Bewegungsstile, Brauchtum und natürlich, vielleicht sogar vor allem, Religion stark voneinander abheben. Pseudospeziation wird oft als das unentrinnbare Schicksal der Menschheit gesehen, die nun einmal nicht anders als in Kulturen leben kann. Diese Lehre hatte etwa Oswald Spengler vertreten, der die Welt in acht Kulturkreise aufteilte und behauptet hatte, daß zwischen diesen Kulturen vollkommene gegenseitige Unübersetzbarkeit herrscht. Heute ist es Samuel Huntington, der mit seiner Lehre vom Konflikt der Kulturen (clash of civilizations) ähnliche Ansichten vertritt.

Nun ist es aber so, dass mit dieser kulturellen Pseudospeziation von Anfang an Techniken der Übersetzung einhergingen, die der Entstehung von Fremdheit und Feindschaft entgegensteuerten. Der Beruf des Dolmetschers gehört zu den ältesten Berufen, die uns in der Geschichte der schriftlich dokumentierten Arbeitsteilung entgegentreten, und unser Wort „Dolmetsch“ bewahrt, über das türkische „dragoman“ vermittelt, noch immer die Erinnerung an das arkadische „ragamu“, „rufen, laut reden“ und das davon abgeleitete aramäische „targum“, „Übersetzung“. Überraschenderweise bildet auch gerade die Religion eine der ältesten und wichtigsten Kulturtechniken der Übersetzung, das heißt, der Erzeugung gegenseitiger Transparenz und Verständigung. Weit davon entfernt, wie Huntington in der Religion der anderen gerade den Inbegriff ihrer Fremdheit zu sehen, galt sie als der wichtigste Ansatzpunkt, um mit den anderen zu einer vertraglich gesicherten Basis gemeinsamer Verständigung und kommunikativen Handelns, das heißt, vor allem des Handels