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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich PHILOSOPHIE

Identität

Von Prof. Wilhelm Vossenkuhl

Wer bin ich?

Wer bin ich? Sie denken bestimmt, was für eine blöde Frage. Ich weiß doch wer ich bin. Ich bin Wilhelm Vossenkuhl. Nun ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich müsste doch wissen, wer ich bin. Sicher gibt es noch ein paar andere, die so heißen wie ich, also am Namen kann es nicht liegen. Woran liegt es dann? Woher weiß ich, wer ich bin?

Ich weiß, was für einen Beruf ich habe. Ich weiß, wo ich lebe. Ich weiß, wen ich kenne. Manchmal weiß ich es nicht so genau, aber das liegt am schwindenden Kurzzeitgedächtnis. Aber wie kriege ich raus, wer ich bin?

Ein Freund von mir sagte, wenn einer nicht weiß, wo er ist, oder wer er ist, fragt er am besten die Polizei. Die weiß es auf jeden Fall. Na ja, das glaube ich nicht. Die Polizei müsste sich erst vergewissern, ob es die Person gibt, ob sie zum Beispiel Fingerabdrücke von ihm haben. Aber sagen die Fingerabdrücke, wer ich bin? Nun, wenn meine Fingerabdrücke irgendwo abgespeichert sind, dann kann man sehen, aha, das ist der Fingerabdruck von dem Vossenkuhl. Also, der muss das angefasst haben. Vielleicht leitet sich daraus ja eine ganze Indizienkette ab. Aber wenn ich als Täter für irgendwas in Frage gekommen bin oder sogar dingfest gemacht wurde, weiß ich dann, wer ich bin, oder weiß die Polizei, wer ich bin? Ich glaube nicht.

Wer wir Menschen sind, wer jeder einzelne ist, ist eine rätselhafte Sache. Wie rätselhaft das ist, das sieht jeder am Besten, wenn er sich überlegt, dass wir alle, wirklich alle, zu uns selbst „Ich“ sagen. Stellen sie sich vor, es ruft sie jemand an und Sie erkennen die Stimme nicht. Sie haben vielleicht die Stimme auch noch nie gehört, und Sie fragen:“ Wer ist denn da?“ Und da sagt jemand: „Ich.“

Das ist völlig nichts sagend. Sie wissen nicht, wer das ist. Und wenn derjenige noch sagt, „ich bin hier,“ dann wissen sie auch nicht mehr. Also, wie kommen wir dahinter, wer wir sind?

Am Namen kann es nicht liegen, am Beruf auch nicht. Ob Name oder Beruf, das ist austauschbar.

Sogar die Hausnummer ist nicht die eigene.

„Woher kennen wir uns?“

Manchmal stellt sich diese Frage, wenn sich zwei auf der Straße treffen. Er weiß nicht so genau, woher sie ihn oder er sie kennt. Und dann kommt die Frage, woher kennen wir uns? Beide überlegen sich eine Geschichte. Das ist schon eine gute Spur. Sie versuchen, über eine Geschichte dahinter zukommen. Vielleicht waren wir mal zusammen im Theater oder im Kino oder in einem Vortrag. Vielleicht haben wir zusammen die Schulbank gedrückt. Da beginnt dann eine Geschichte, und die kann nacherzählt werden. Das ist eine Spur, die zum eigenen „Ich“ führt - das Erzählen einer Geschichte.

Geschichten erzählen, das ist immer gut, wenn jemand irgendwo hinkommen will, besser verstehen will, worum es geht. Das eigene Land, die eigene Kultur, sie brauchen Geschichten, aber auch der Blick auf das eigene „Ich.“

Die Philosophen haben Jahrhunderte lang danach gesucht, was das eigene „Ich“ im Kern, ganz tief innen drin ausmacht. Also das Wörtchen „Ich“ kann es nicht sein. Auch nicht so interessant klingende oder gut verständlich klingende Wörter wie „Subjektivität“.

Etwas Eigenes ist aber immer mit dem verbunden, was man unter einer Person versteht, unter der eigenen Person. Wer oder was ist die eigene Person? Nun, da haben die Philosophen ein ganzes Bündel voll Antworten geliefert.

Die Person, sagte zum Beispiel Thomas von Aquin, das ist eine Substanz, etwas, was unzerstörbar ist. Aber ist das heute wirklich so? Sind wir Substanzen? Unzerstörbar? Ist es nicht eher so, dass das bestimmte „Ich“ eine bestimmte Erscheinungsform hat, ähnlich wie es eine Geschichte hat? Wir erkennen uns selbst morgens - oder nur primär die Herren der Schöpfung •beim Rasieren im Spiegel wieder. Das ist mein Bart. Das sind meine Ohren, meine Nase und so weiter, äußere Kennzeichen also. Die Philosophen sagten, nein, die äußeren Kennzeichen, die sind trügerisch, die können täuschen. Ja, was ist es dann?

Eine innere Substanz, etwas Unsichtbares hilft uns letztlich auch nicht weiter. Was soll das sein? Heute hat man eine chemische Vorstellung von Substanz. Die gab es im Mittelalter natürlich nicht.