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Über dieses Buch:

Das kleine italienische Tettirossi bezaubert mit sonnendurchfluteten Sträßchen, mit lauen Sommernächten, die zum Träumen einladen, und dem Duft des nahen Meeres … Klingt wunderbar, oder? Die junge Mutter Giusy hat es als geschiedene Frau in der traditionellen Dorfgemeinschaft jedoch schwer – und das bekommt auch ihr kleiner Sohn Angelo zu spüren. Aber vielleicht kann Santa Rosalia, die Schutzheilige von Tettirossi, hier Abhilfe schaffen? Schließlich scheint sie den Dorfbewohnern seit Jahren ihre geheimsten Wünsche zu erfüllen – so zum Beispiel auch Piero, dem charmanten Frauenhelden der Stadt. Doch irgendetwas scheint Rosalia bei den Wünschen durcheinandergebracht zu haben, denn plötzlich führt das Schicksal Piero und Giusy verdächtig oft zusammen …

Über die Autorin:

Roberta Gregorio, geboren 1976 in Bayern, ist staatlich geprüfte Fremdsprachenkorrespondentin. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie im tiefsten Süden Italiens, wo sie am kleinen, grünen Schreibtisch mit Blick aufs Meer ihrer Fantasie freien Lauf lässt.

Bei dotbooks veröffentlicht sie ihre »Küsse in Venezien«-Trilogie, die auch im Sammelband »Sommerduft und Rosenknospen« erhältlich ist:

»Der Duft von Sommer und Limonen«

»Der Geschmack von Mirabelleneis«

»Das Leuchten der Orangenblüten«

Auch bei dotbooks erscheinen ihre Romane:

»Das kleine Restaurant des Glücks«

»Im Schatten der Zitronenbäume«

»Italienische Küsse«

»Der Sommer der Zitronenblüten«

»Winterküsse mit Zimt und Zucker«

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Originalausgabe Mai 2017, Juni 2022

Dieses Buch erschien bereits 2017 unter dem Titel »Ein Halleluja für die Liebe« bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2017, 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Dr. Verena Stindl

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95824-970-7

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Roberta Gregorio

Der Duft von Sommer und Limonen

Küsse in Venezien – Band 1

dotbooks.

Für Santa Rosalia.
Sie weiß, warum.

Kapitel 1

Santa Rosalia blickte auf Don Giacomo herunter, der nun schon seit gefühlten Stunden vor ihr kniete und ihr im stummen Monolog die Sünden der letzten Tage aufzählte. Sie mochte den Neuen. Don Giacomo war erst seit etwas mehr als einem Jahr Priester der Gemeinde Tettirossi. Und als Rosalia den hübschen jungen Mann zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie innerlich gejauchzt vor Freude. Denn Don Giacomo hatte den alten Don Carmelo abgelöst. Und Don Carmelo war wirklich, wirklich langweilig gewesen. Manchmal war sogar er selbst während seiner Messen eingeschlafen. Schade nur, dass der Neue dann auch nicht für frischen Wind gesorgt hatte.

»Giacomo, mein Guter, ich finde es nicht weiter schlimm, dass du vorgestern vergessen hast, abends dein Ave Maria aufzusagen!«, versuchte Rosalia ihn irgendwie telepathisch zu erreichen. Hören konnte sie ja kein Mensch. Auch Don Giacomo nicht, der unbeirrt fortfuhr.

»Warum erzählst du das eigentlich nicht mal Jesus?«, fragte sie, obwohl sie wusste, dass von Don Giacomo keine Antwort zu erwarten war. Von Jesus allerdings auch nicht. Der kam nur manchmal sonntags vorbei, wenn sein voller Terminkalender das zuließ.

Also seufzte Rosalia ergeben und ließ Don Giacomos Litanei weiter über sich ergehen, bis, ja, bis sie heitere Stimmen von draußen hörte. Kinder. Sie spielten jeden Tag auf der piazzetta, die gleich an die Kirche grenzte, und brachten damit erfreuliche Abwechslung für Rosalia, die nur zu besonderen Anlässen tagsüber und sonst immer nur nachts hinausdurfte.

Aber innerhalb der Kirche durfte sie sich bewegen. Sie sprang also vom Sockel, schaute zurück auf ihre Holzstatue, die, wie sie zugeben musste, bis auf die Haare wirklich gut getroffen war, und schwebte hinauf zum Fenster. Hinausschauen war ein bisschen so wie fernsehen, nahm Rosalia an. Nur schöner. Denn was sie sah, waren Szenen aus dem wahren Leben und keine Fiktion.

Die Kinder kannte sie. Von der Taufe an. Und getauft waren sie alle. Dafür hatte Don Carmelo gesorgt. Ein paar von ihnen kamen zum Kommunionsunterricht. Brave Jungs, die es mit Gottes Hilfe sicherlich weit bringen würden im Leben. Rosalia mochte den elfjährigen Angelo besonders gern, der gerade zum dritten Mal quer über die piazza gejagt wurde. Er war ein bisschen ihr Sorgenkind. Weil Scheidungskind. Problematiken, mit denen auch Rosalia erst lernen musste umzugehen. Sie kannte sich aus mit Naturkatastrophen, Epidemien und Kriegen. Aber wie man mit den Folgen einer Scheidung umzugehen hatte, musste Rosalia noch üben. In Tettirossi hielten die Ehen genauso lang wie hartnäckiger Fußpilz. Ehemann und Ehefrau konnten sich noch sosehr hassen. Geschieden wollte in Tettirossi niemand sein. Giusy, Angelos Mutter, jedenfalls ganz bestimmt nicht. Das hatte sie Rosalia mal im Gebet erzählt. Ein tapferes Geschöpf! Oft beklagte sich Giusy nicht bei Rosalia, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte. Und sie bat auch nie um etwas. Wenn, dann überhaupt nur um Gesundheit. Vor allem für Angelo.

»Du haltʼs Maul, Angelo!«, hörte Rosalia es plötzlich draußen rufen. Sie sah genauer hin, spitzte die Ohren. Hatte Angelo Streit?

»Sagt wer?«

»Ich!« Der viel größere Klassenkamerad baute sich vor Angelo auf. Rosalia war in Alarmbereitschaft versetzt.

»Du hast mir gar nichts zu sagen!«, behauptete Angelo mutig.

»Ach nein? Irgendwer muss dich doch erziehen, wenn dein Vater es schon nicht macht!«

Oh. Rosalia hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund. Das war aber gemein!

Ein paar Sekunden lang standen sich die beiden Jungen gegenüber, und Rosalia befürchtete schon, eingreifen zu müssen. Irgendwie.

Angelo aber überraschte sowohl Rosalia als auch den Klassenkameraden. Er ließ ihn nämlich einfach stehen und ging weg. Sie konnte noch einen kurzen Blick auf sein Gesicht erhaschen und war sich ziemlich sicher, dass sie den Ausdruck nie wieder vergessen würde. So viel Schmerz, Wut und Enttäuschung gehörte auf kein Kindergesicht.

»Santa Rosalia, steh mir bei!«, rief Don Giacomo plötzlich ganz laut und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sie rollte ein kleines bisschen gelangweilt mit den Augen. Wahrscheinlich war der Priester wieder einmal davon überzeugt, dass ihn bald der Teufel holen würde. Dieser Überzeugung war er nämlich öfter. Beruhigen ließ er sich dann nur auf eine einzige Art und Weise, nämlich durch … ähm … Massage. Nein, wirklich! Rosalia hatte alles ausprobiert. Alles. Irgendwann hatte sie ihm ganz instinktiv beruhigend auf den Rücken geklopft und gemerkt, dass er dadurch wieder rationaler und furchtloser wurde. Sie seufzte tief. Tiefer noch. Und gab sich schließlich geschlagen, schwebte vom Fenster weg, setzte sich hinter den emotionalen Mann der Kirche, schob dabei den Rock ihres braunen Gewands hoch und legte ihre Hände auf seine Schultern. Augenblicklich entspannte sich der Priester. Wenn uns jetzt jemand sehen könnte …, überlegte sie amüsiert und merkte dann, dass sie den alten Don Carmelo doch irgendwie vermisste.

»Was machst du denn schon hier, Angelo?«

»Hatte keine Lust mehr. Auf der piazza war es zu warm. Ist mamma schon da?«

Nonno Umberto schüttelte den Kopf, hantierte, wie immer, mit seinem Schnitzmesser herum.

»Magst du schon mal ein paar Oliven?«

Angelo überlegte. Eigentlich fühlte er sich satt. Wahrscheinlich von der Wut, die er heruntergeschluckt hatte. Verdammt!

Angelo hatte nur einen wunden Punkt. Wie hässlich war das, dass die Mitschüler immer wieder genau darauf herumritten? Er spürte, wie sein nonno ihn über den Brillenrand hinaus beobachtete. Jetzt legte der Mann das Stück Holz beiseite und das Schnitzmesser in den Werkzeugkasten. Seine Hände sahen ohne die üblichen Accessoires ein bisschen hilflos und verlassen aus, fand Angelo.

»Nein, danke. Ich mag im Moment nichts«, antwortete Angelo auf die Frage. »Was wird das?«, wollte er dann von seinem nonno wissen. Ein bisschen, weil es ihn tatsächlich interessierte. Ein bisschen, um den alten Mann abzulenken. Ein Gespräch von Mann zu Mann, wie sein nonno oft sagte, konnte Angelo jetzt nicht brauchen.

Der alte Mann hob das Stück Holz wieder vom Tisch, strich ein paarmal sanft über die bereits verarbeitete Seite und hielt sie Angelo dann hin. Er erkannte ein Gesicht. Lieblich. Haare. Wahrscheinlich lang, gelockt.

»Schon wieder ein Engel?«

Das Gesicht des Mannes wurde von einem Lächeln erhellt. »Richtig! Lauter kleine Engel. Wie du.«

»Ich bin nicht klein.«

»Aber du bist ein Engel.«

Dem konnte Angelo, dessen Name Engel bedeutete, nichts entgegensetzen. »Ich gehe hoch. Lernen.« Angelo rollte mit den Augen, spielte seinem nonno etwas vor. Lernen musste er heute nichts. Das Sommerbuch, das die Kinder die Ferien über auszufüllen hatten, hatte er längst fertig. Auf sein Zimmer wollte er trotzdem.

»Va bene, Angelo, va bene

Ob nonno Umberto ihm wirklich immer alles abnahm oder nur so tat, das hatte Angelo noch nicht raus. Aber momentan war ihm das egal.

Er brauchte ein paar Minuten für sich. Ihm war nach weinen zumute. Was er natürlich nicht tat. Schon lange nicht mehr. Er warf sich aufs Bett, starrte an die Decke. Es war ja nicht so, dass er seinen Vater noch immer vermisste. Das Vermissen hatte er sich an seinem letzten Geburtstag abgewöhnt, an dem sein Vater sich schon wieder nicht bei ihm gemeldet hatte. Viel mehr störte Angelo, dass die Abwesenheit seines Vaters lauter Probleme hervorrief.

Seine Klassenkameraden machten ihn fertig. Seine Mutter musste jeden noch so kleinen Job annehmen, damit sie über die Runden kamen. Und nonno Umberto, ja, der schien um Jahre gealtert. Das waren die Dinge, die Angelo traurig machten. Seinen Vater, den vermisste er schon lange nicht mehr. Aber er vermisste die Sorglosigkeit.

Wenn er doch nur endlich das Geld für die Spielekonsole zusammengespart hätte! Angelo legte jeden Cent beiseite, den er auftreiben konnte. Dennoch reichte es noch lange nicht, um sich das teure Ding leisten zu können. Angelo war sich aber sicher: Mit einer Spielekonsole würden seine Klassenkameraden ihn wieder achten. In Tettirossi hatte nämlich noch niemand eine. Schwärmen taten sie aber alle davon. Sogar die Mädchen. Wobei die natürlich dann dämliche, für Angelo unverständliche Spiele drauf spielen würden. Keine Ahnung, bestimmt Tanzschritte oder so, mit denen er nun wirklich nichts anfangen konnte. Aber Achtung, ja, die würde ihm dadurch endlich wieder entgegengebracht werden. Irgendwie musste er es einfach schaffen, die Spielekonsole zu kaufen!

Giusy ließ die Haustür ins Schloss fallen und wuchtete die schweren Tüten durch den engen Flur. Obst und Gemüse von der alten Mariuccia. Angelo und nonno Umberto würden zwar wieder die Nase rümpfen, aber sie waren auf diese kleinen Spenden angewiesen. Und manchmal musste es eben ein paar Tage lang nur Gemüse geben. Daran war noch niemand gestorben.

»Papà?«, rief Giusy in Richtung Wohnzimmer und ging direkt in die Küche.

Es kam undeutliches Murren zurück.

»Ist Angelo noch unterwegs?«

»Oben.« Was war ihr Vater nur wieder eloquent!

»Es ist immer wieder ein Vergnügen, mit dir zu sprechen, papà

Sie hörte ihn lachen. Und Giusy musste grinsen. Wenn sie ihn nicht hätte … Seine schweigsamen Phasen, wenn seine Konzentration mal wieder voll auf die Schnitzerei gerichtet war, nahm sie gerne in Kauf. Und seine schlurfenden Schritte hörte sie so gerne. Wie jetzt gerade.

»Wie war es bei Mariuccia?«, wollte er von ihr wissen und kam zu ihr in die Küche. Giusy ließ sich umarmen und auf die Stirn küssen. Sie löste sich aber gleich wieder von ihm und trat an den Herd, wo sie Kaffee aufsetzte.

»Wie immer …« Nun, sie wollte ihren Vater nicht mit den üblichen Geschichten belasten. Mariuccia war schon in Ordnung. Nur gab es auf ihrem riesigen Anwesen eine Menge zu tun. Die miserable Bezahlung machte das nicht wieder gut.

»Giusy, meinst du …« Umberto ließ den Satz in der Luft hängen. »Was?«

»Ach, nicht so wichtig …«

»Nun sag schon!«

»Weißt du«, er druckste noch immer herum, »ich hatte überlegt, dass ich vielleicht einige meiner Holzfiguren verkaufen könnte.«

Giusy merkte, wie sehr ihr Vater sich angestrengt hatte, um diesen Vorschlag überhaupt auszusprechen. »Aber du liebst doch jede davon, als wäre sie lebendig!«, warf Giusy daher sofort ein.

»Unsinn. Die Frage ist viel eher: Wer würde die überhaupt kaufen?«

»Das ließe sich vielleicht mit einem Artikel auf InfoTettirossi herausfinden …«, überlegte Giusy laut. Manchmal schrieb sie für dieses Onlinemagazin. Ihre Artikel wurden sogar aus dem Ausland abgerufen, wie sie erfahren hatte.

»Dann kümmere dich mal drum, va bene

»Papà, du musst das nicht machen!«

»Doch. Oh, doch«, behauptete er fest, sah dabei aber weg.

Es machte sie unsagbar traurig, ihrem Vater so sehr zur Last zu fallen. Egal, was er auch sagte, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie fühlte sich einfach schuldig. Um sich abzulenken, nahm sie die Espressotässchen aus der Anrichte und knallte sie praktisch aufs Tablett. Das hatte sie nicht gewollt.

»Wir brauchen die Tassen noch«, schmunzelte ihr Vater und lockerte die angespannte Situation mit diesem Satz schon wieder deutlich auf. Er kam auf sie zu, und sie fühlte sich einen Augenblick lang wieder wie das kleine Mädchen, das sie einmal war.

»Hör zu, Giusy. Ich kenne dich gut genug, um jeden einzelnen Gedanken zu erraten, der dir gerade im Kopf herumschwirrt. Glaub mir, ich habe euch gerne um mich. Ein Leben ohne euch könnte ich mir gar nicht vorstellen. Sei deshalb ganz unbesorgt und hör auf, dich schuldig zu fühlen«, sagte er und griff nach dem Tässchen, das sie inzwischen mit herrlich duftendem caffè gefüllt hatte. Sie tranken beide erwartungsvoll, aber vorsichtig. Fast gleichzeitig setzten sie die kleinen Tassen wieder ab.

Es war wohl alles gesagt. Sie waren einfach beide keine großen Redner.

»Ich sehe mal nach Angelo«, sagte sie und verließ bereits die Küche.

Sie fand ihren Sohn auf dem Bett ausgestreckt vor. Er schaute an die Decke, hielt seine Hände, die weder zu einem Kind noch zu einem Erwachsenen zu gehören schienen, verschränkt auf der Brust. Die Beine über Kreuz.

»Hey!«, grüßte sie ihn und ließ sich neben ihn aufs Bett fallen. Sein Blick fand endlich ihren. Ein kurzes Aufleuchten in seinen Augen zeigte ihr, dass er sich freute, sie zu sehen. »Alles gut bei dir?«, erkundigte sie sich.

»Ja.«

Giusy erkannte an der Art, wie er das A langzog, dass dem nicht so war. Wenn sie aber eines gelernt hatte, dann war es, dass sie ihren Sohn am besten nicht bedrängte.

»Schön, mein Schatz.« Sie verwuschelte ihm sein dichtes Haar. Wie immer richtete er es sofort wieder. Er war aber gar nicht genervt. Lächelte nur.

»Mamma

»Ja?«

»Wenn du einen Wunsch hättest, wen würdest du um die Erfüllung bitten?«

Ihr Mutterinstinkt regte sich sofort. Sie unterdrückte ihn. Natürlich war sie neugierig. Klar. Trotzdem hielt sie sich mit Fragen zurück.

»Hm«, überlegte sie ernsthaft. Sie rieb sich das Kinn. Was sollte sie ihm denn jetzt antworten? Giusy spürte, dass diese Frage für ihren Sohn wichtig war. »Darf ich eine Weile darüber nachdenken?«

»Klar.«

»Danke.« Sie erhob sich, spürte Müdigkeit in den Knochen, die sie aber hoffentlich gekonnt überspielte. »Ich mache mich mal ans Kochen. Hast du Hunger?«

»Was gibt es denn?«

»Bohnensalat.«

Er rümpfte sofort die Nase. »Kann ich bruschetta dazu haben?«

Sie lachte, wusste ja, dass er kein großer Bohnen-Fan war. »Na klar. Mit extra viel Tomate!«

Angelo setzte sich auf. Ganz kurz war es in seinem Zimmer still. Man hörte nur die Glocken der nahegelegenen Kirche. Ein Gedankenblitz. »Du, Angelo, ich weiß, wem du deinen Wunsch erzählen kannst.«

Der Junge sah interessiert und fragend auf.

»Santa Rosalia! Vertraue Santa Rosalia deinen Wunsch an.«

»Meinst du?«

»Auf jeden Fall!« Sie zwinkerte ihm zu und verließ das Zimmer.

Manchmal, wenn sich diese kurzen Momente des Glücks ergaben, glaubte sie, dass alles wieder gut werden würde. Dann aber zwang sie sich zur Vorsicht. Die Erfahrung hatte ihr gezeigt, dass das Unglück immer dann hereinbrach, wenn man sich sicher wähnte. Sie dachte noch einmal detailliert darüber nach, was sie eben mit ihrem Sohn besprochen hatte. Dachte an Santa Rosalia, ihre wunderschöne Statue, die Rosen, die in ihrem langen Haar steckten.

Ein Gefühl des Friedens machte sich in Giusys Brust breit. Sie konnte nur hoffen, dass die Ruhe in ihr lange anhielt. Zumindest so lange, bis sie das Abendessen hinter sich gebracht haben würden.

Kapitel 2

Rosalia liebte die lauen Sommernächte in Tettirossi. Es gab für sie nichts Schöneres, als auf dem Denkmal auf der piazza zu sitzen und den Leuten bis spätnachts dabei zuzusehen, wie sie ihre Runden drehten und sich dabei angeregt unterhielten. Manchmal glaubte sie, den Duft des nahegelegenen Meeres zu riechen, wenn sie ihre Nase hoch genug hielt.

Hauptthema des Abends – und das freute Santa Rosalias natürlich besonders – war ihr Fest, das, wie jedes Jahr, am 4. September stattfinden würde. Eine richtig tolle Beleuchtung schmückte bereits die piazza, den corso und weite Teile der einzigen befahrbaren Straße von Tettirossi. Und tausend Bildchen von Rosalia hingen im ganzen Ort aus. W Santa Rosalia – Es lebe Santa Rosalia!