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Über dieses Buch:

In Landau in der Pfalz geht es ruhig zu. Für den Privatermittler Phillip Sturm gibt es da wenig zu tun. Auch sein neuster Fall erscheint zunächst nicht sehr spannend: Im Auftrag eines reichen Winzers soll er dessen Ehefrau beschatten und ihre Affäre auffliegen lassen. Doch als Sturm seinem Auftraggeber die Beweisfotos bringen will, findet er ihn ermordet in einer Lache seines besten Weins! Endlich kann Sturm zeigen, was wirklich in ihm steckt, denn nun engagiert ihn die untreue Witwe – sie ist die Hauptverdächtige und er soll ihre Unschuld beweisen …

Über den Autor:

Dr. Peter Dell wurde 1963 in Landau in der Pfalz geboren. Um dem nüchternen Alltag eines Geschichts- und Politikwissenschaftlers etwas Emotion entgegenzustellen, wandte er sich 2003 dem Schreiben zu und lebt heute wieder in seinem Heimatort.

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eBook-Lizenzausgabe Mai 2017

Copyright © der Originalausgabe 2003 Verlag Markus Knecht, Landau

Copyright © der eBook-Lizenzausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock/Jirka Bursik

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ml)

ISBN 978-3-95824-969-1

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Peter Dell

Leiche in Spätburgunder

Kriminalroman

dotbooks.

Die Geschichte spielt im südpfälzischen Landau. Die handelnden Personen entstammen der Phantasie des Autors. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind weder gewollt noch beabsichtigt und wären rein zufällig.

Donnerstag, 27. Mai

Als ich den trockenen Weißburgunder genüsslich über die Zunge schlürfte, bemerkte ich nicht zum ersten Mal, dass der südpfälzische Wein mittlerweile zum Besten gehört, was in den deutschen Anbaugebieten gedeiht. Was ich nicht dachte, war, dass ich mich in den nächsten Wochen in den Gefilden der Weinveredler herumtreiben werde, die das Fass mit einem Fruchtjoghurtbecher verwechseln. Eigentlich bewege ich mich eher auf dem Terrain der fremdgehenden Ehemänner, die in einer Kleinstadt wie Landau leicht zu entlarven sind. Für 150 Euro am Tag zuzüglich Spesen verschaffe ich den betrogenen Ehefrauen die Gewissheit, dass ihr Gatte nur noch ihre Bügel- und Kochkünste schätzt. Es folgen Dramen und Tragödien, die mich aber nur noch peripher berühren, wenn die Fotos überreicht sind und das Geld eingesackt ist. Eigene Erfahrungen und Routine stumpfen ab und lassen das Geheul von der einzigen großen Liebe mitleidlos verhallen.

Einen richtig großen Fall kann ich in einer Stadt wie Landau sowieso nicht erwarten. Außer der geschilderten Doppelmoral der guten Bürger lässt sich nur noch mit kleineren Versicherungsbetrügereien und der Suche nach der flüchtigen Bekanntschaft vom letzten Weinfest rechnen. Die groß angelegte Schieberei im städtischen Bauamt ging ohne Gewinn an mir vorbei, obwohl ich den Fall wahrscheinlich schneller gelöst hätte, als die örtliche Polizei und Staatsanwaltschaft. Doch manche Fälle sollen gar nicht ganz aufgedeckt werden. Auch das gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen einer sauberen Kleinstadt, in der jeder jeden gut kennt. Den letzten Toten gab es vor drei Jahren, als ein Betrunkener unglücklich über seine eigenen Beine stolperte und sich beim Sturz das Genick brach. Außer den diversen Wirten, die dem Unglücklichen zu viel Bier und Schnaps ausgeschenkt hatten, gab es jedoch keine üblichen Verdächtigen, die von einem zweitklassigen Kleinstadtdetektiv hätten überführt werden können. Komischerweise hat mich auch niemand aufgefordert, die bösen Buben ausfindig zu machen. C’est la vie.

Der Tag war eigentlich schon zu Ende, und ich saß in meinem kleinen Büro in der Landauer Innenstadt, das aber den Preis einer Vierzimmerwohnung hat. Der große Vorteil an diesem Altbau ist ein gut temperierter Keller, in dem ich problemlos meine Weinschätze lagern kann und der groß genug ist für die dreißig Flaschen, die ich gewöhnlich zu lagern habe. Der Weißburgunder, übrigens eine hervorragende Spätlese eines befreundeten Winzers aus Godramstein, neigte sich langsam dem Ende zu. Es stellte sich nur noch die Frage, ob ich noch auf einen Sprung in meine Stammkneipe gehe oder mich in mein Bett zurückziehen sollte. Die in ihrer Unzuverlässigkeit zuverlässigen Ehemänner hatten mir in den letzten Monaten einige tausend Euro beschert, die einem akuten Geldmangel entgegenwirkten.

Eigentlich hätte ich einige Tage ausspannen und mich einigen Freunden und Freundinnen, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, widmen können, als mich das Klingeln des Telefons aus diesen wichtigen Überlegungen riss.

»Hier ist Hanno Wingerter. Sind Sie vielleicht noch zu sprechen? Es wäre unheimlich wichtig für mich, dass ich mich noch heute Abend mit Ihnen treffe.«

Ich erklärte Wingerter, dass ich gerade auf dem Sprung sei, um mich in meinen wohlverdienten Feierabend zu begeben, doch ausnahmsweise könnte ich mir noch ein bisschen Zeit nehmen, wenn er sofort vorbeikäme. Er sagte, dass er in fünfzehn Minuten bei mir sei und legte auf.

Hanno Wingerter war einer der größten Weinbauern in der Südpfalz, weinsteinreich und ständig auf den Ausbau seines Betriebes in einem Dorf zwischen Landau und Edenkoben bedacht. Wie es sich für den wohlhabendsten Mann eines Dorfes gehört, war er Vorsitzender des Sportvereins und ehrenamtlicher Bürgermeister mit eigener freier Wählerliste. Seine Weine haben mich noch nie besonders begeistert, auch wenn die Fachpresse einige Male ihre überdurchschnittliche Qualität erwähnte. Der einzige Grund für mich, sein Gut zu besuchen, war seine ziemlich attraktive Frau, die zumeist die Weinproben übernahm und sprachlich perfekt zu retten versuchte, was nicht zu retten war. Wenn ich bei Wingerter Wein kaufte, dann nur wegen des hinreißenden Lächelns seiner Frau Julia. Nur wegen ihr und seines Geldes machte ich die Ausnahme, auf meine Bettruhe zu verzichten, die ich mittlerweile meiner Stammkneipe vorgezogen hatte. Zudem machte sich der hervorragende Weißburgunder bemerkbar, dessen Flasche nun leer vor mir stand. Mit dem Instinkt eines guten privaten Ermittlers entfernte ich schnell die leere Flasche von Wingerters Konkurrenz, deren Anblick trotz der Güte des ehemaligen Inhalts hätte geschäftsschädigend sein können. Ich blätterte gedankenverloren im aktuellen Sportmagazin und las zum zehnten Mal den Bericht über den grandiosen 4:0-Sieg unserer Lauterer bei den Bayern und freute mich diebisch über die unberechtigte rote Karte gegen Kahn in der 89. Minute, als es an der Tür klopfte.

Wingerter war eine imposante Erscheinung, rund 120 Kilo Lebendgewicht, lichtes Haar und mit der typischen Knolle im Gesicht, die einen tüchtigen Pfälzer Winzer auszeichnet. Alles in allem war er eine recht feiste Erscheinung, die bei näherer Betrachtung an eine alte Bulldogge erinnerte. Gedrungen, ohne Hals und mit einem ständig grimmigen Gesichtsausdruck. Seine Kleidung war korrekt, aber unspektakulär. Er trug eine braune Kordhose, ein kariertes Hemd und weiße Tennissocken in abgetragenen Waldläufern.

»Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen«, polterte er los. »Der Preis ist völlig unerheblich, das Ergebnis für mich unbezahlbar.«

Ich merkte, ohne überhaupt zu wissen, worum es ging, wie meine Pupillen zu Dollarzeichen mutierten. Ich bat ihn, sich zu setzen und mir zu erklären, welches wichtige Anliegen er habe. In der Hoffnung, dass sein sündteures Auto oder die neu angepflanzten Dornfelderreben gestohlen worden seien, hörte ich ihm aufmerksam zu.

»Meine Frau hat einen Liebhaber!«

Ohne mich besonders zu wundern, ärgerte ich mich zuerst darüber, dass ich es nicht selbst war, um dann gleich gedanklich feststellen zu müssen, dass ich wieder einen unheimlich interessanten Fall vor mir hatte. Mal was Neues. Eine untreue Ehefrau.

»Seit einigen Wochen«, so der scheinbar Gehörnte, »ist sie ständig alleine unterwegs, angeblich mit ihrer besten Freundin. Doch ich habe rein zufällig erfahren, dass die gewisse Freundin gar nicht im Lande ist. Als ich Julia, ich meine meine Frau, zur Rede stellte, hat sie nur gelacht und gemeint, ich sei einfach schlecht informiert, ihre Freundin sei erst gestern weggefahren. Doch ich weiß sicher, dass sie schon mehrere Wochen verreist ist.«

Ich wollte von ihm wissen, ob er sich auf seine Informanten verlassen könne und ob er sich sicher sei, nicht überzureagieren, da ich seine Frau ja kenne und eine Überreaktion sehr wohl zu verstehen sei.

»Lassen Sie Ihre unverschämten Anspielungen, junger Freund, und finden Sie einfach nur heraus, wer meine Alte vögelt«, war seine knappe, unmissverständliche Antwort. Er griff in seine Hosentasche und reichte mir 1000 Euro über den Schreibtisch. »In einer Woche möchte ich den Arsch von diesem Typen auf einem Silbertablett serviert bekommen, ist das klar?!«

Ich nickte artig. Bevor ich ihn fragen konnte, wo die Lieblingsplätze seiner Julia seien oder an welchem Punkt ich zu suchen anfangen sollte, knallte schon die Tür, und er war verschwunden. Ich saß hinterm Schreibtisch, 1000 Euro in der Hand, mit der endgültigen Sicherheit, dass mir Wingerters Wein niemals schmecken würde und einem Anflug von Mitleid mit der von mir zu beschattenden Frau.

Freitag, 28. Mai

Mein erster Weg führte mich zu Katja, meiner persönlichen Apothekerin. Wenn man Ende der Dreißiger ist, quält einen ab und zu doch das eine oder andere Zipperlein. Heute wollte ich aber nur guten Tag wünschen und bei der Gelegenheit einige Informationen einholen. Katja war als Apothekerin fast so gut wie ein bestens informierter Friseur, denn die oberen Zweihundert der Gegend gingen bei ihr ein und aus. Das lag daran, dass sie die begehrteste unverheiratete Frau in ganz Landau war und keine hässliche obendrein. Schon seit langem hatte auch ich die Absicht, die schöne Apothekerin zu einem gemeinsamen Abendessen einzuladen. Ich kannte sie schon einige Jahre recht gut, und ein Besuch bei ihr war immer begleitet von einem nervösen Kribbeln in der Magengegend. Hinzu kamen Informationen, die sie mir gelegentlich als Freundschaftsdienst lieferte und die für einen Kleinstadtdetektiv unbezahlbar sein konnten.

Ich betrat ihre kleine, aber feine Apotheke, in der man meinen konnte, dass die Zeit vor hundert Jahren stehen geblieben sei. Das Interieur im Jugendstil fein aufeinander abgestimmt, alte Medikamentenschränke, die jeden Antiquitätensammler vor Freude aufschreien lassen würden, und dazwischen Katjas reizvolle Erscheinung in einem weißen Apothekerkittel. Ich fühlte mich bei ihrem mir entgegenstrahlenden Lächeln gleich viel besser. »Sie ist einfach bezaubernd«, dachte ich und ärgerte mich im gleichen Moment zum wiederholten Mal, dass ich sie noch nicht zum Essen eingeladen hatte. Katja ist Anfang dreißig, hat langes blondes Haar, leider viel zu oft versteckt, eine Nase wie Kleopatra und einen schwanengleichen Hals. Insgesamt eine atemberaubende Ausstrahlung.

»Du wirst doch wohl nicht krank sein, mein Lieber?«, war ihre erste Reaktion, als sie mich wahrnahm, »zumindest siehst du nicht so aus. Wie laufen die Geschäfte, wieder irgendwelchen Ehebrechern auf der Spur? Bei mir gibt es zurzeit keine zu finden.«

Ich hatte sie schon einige Wochen nicht mehr gesehen und war froh über die kurze Andeutung über ihr derzeitiges Privatleben.

»Ich wollte dir einfach mal wieder Hallo sagen und dir in deine funkelnden, unergründlichen Augen schauen und wir könnten außerdem in den nächsten Tagen miteinander essen gehen und Neuigkeiten aus der Provinz austauschen«, schlug ich ihr spontan vor.

Ich wunderte mich über meinen ungewollten Mut.

Sie lächelte mich an und meinte verschmitzt:

»Du willst immer nur Informationen von mir.«

Sollte ich nun leicht erröten, geschmeichelt sein wegen der neidischen Blicke des rüstigen Frührentners neben mir oder ganz gelassen weiterreden? Ich entschied mich für Letzteres und wollte wissen, ob ich sie kurz im Hinterzimmer sprechen könne.

Als wir alleine waren, kam ich zur Sache. Ich schilderte ihr meinen neuesten Fall und wollte erfahren, ob sie mir irgendwie weiterhelfen könne. Sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen, als sie erfuhr, dass ich tatsächlich wieder einmal im Eheleben anderer Leute rumschnüffle. Ich konnte mich aber wie immer auf sie verlassen. Scheinbar pfiffen die Spatzen das Verhältnis von Julia Wingerter schon von den Dächern, nur ich selbst hatte noch nichts davon vernommen. Katja konnte mir zwar nicht sagen, wer der Glückliche sei, doch die ganze Stadt munkle, dass es ein Professor oder Dozent der hiesigen Universität sein solle. Sie habe ihn anscheinend bei den Weintagen im Frank-Loebschen-Haus kennengelernt und würde sich mit ihm in Karlsruhe oder Mannheim treffen. Dies, so Katja, melde zumindest der Landfunk. Ich bedankte mich für die Anhaltspunkte und verabredete mich mit ihr zum Essen. Durch eine Ansammlung von Kunden und Verehrern drängte ich mich zum Ausgang und war in doppelter Hinsicht mit meiner Idee zufrieden, bei Katja vorbeizuschauen.

Der heimliche Verehrer der Wingerter war also an der Universität zu finden. Der Fall ist so gut wie gelöst, dachte ich mir und freute mich über das leicht verdiente Geld. Auf dem Weg zum Campus schmiedete ich Pläne, dass ich Katja beim gemeinsamen Abendessen fragen würde, ob wir ein paar Tage zusammen wegfahren könnten. Ein bisschen Entspannung würde mir gut tun. Doch es sollte, wie fast immer, alles anders kommen.

Mit der Universität verbanden mich eher nostalgische Gefühle. In grauer Vorzeit hatte auch ich einmal eine akademische Karriere begonnen und einen Abschluss in Philosophie und Soziologie erlangt. Doch als Geisteswissenschaftler hat man die gleichen Chancen wie ein Unternehmer, der in Kirgisien dänischen Wein verkaufen möchte. Seitdem hatte ich mich mit allerlei Jobs herumgeschlagen, für Zeitungen geschrieben, in Kneipen eine Zusatzqualifikation zum Sozialarbeiter erworben und Eltern die Arbeit abgenommen, ihre Kinder durchs Abitur zu boxen. Private Ermittlungen lagen meines Erachtens meiner Ausbildung am nächsten. Ob man in Bibliotheken wühlt, für eine Zeitung recherchiert oder im Privatleben anderer Leute stöbert, gibt und nimmt sich nicht viel. Auch an der Landauer Universität habe ich manchmal ein Seminar übernommen, um zu rechtfertigen, warum ich acht Jahre an Hochschulen verbracht habe. Durch diese Tätigkeit habe ich immer noch einen guten Kontakt zu wichtigen Leuten unserer höheren Lehranstalt. Angie, eine 25-jährige Studentin der Germanistik, die ich dort in einem meiner Seminare kennengelernt hatte, erledigt heute noch meine leidige Schreibarbeit, kocht gelegentlich für mich und geht manchmal mit mir ein Bier trinken. Sie weiß auch gut Bescheid, was aktuell an der Uni so läuft. Deshalb steuerte ich zielstrebig die Cafeteria an, wo sie für gewöhnlich zu finden war.

Die Universität, ehemals Erziehungswissenschaftliche Hochschule, ist ein Bau der späten sechziger Jahre. Eigentlich eine in Beton gegossene Depression, ohne Odem der Wissenschaft und völlig überfüllt mit zukünftigen arbeitslosen Lehrerinnen und Lehrern. Sie liegt etwas abseits vom städtischen Geschehen, wohl deshalb, damit nicht ganz Landau mit dieser Tristesse gestraft wird. Vorbei am weiß getünchten Atrium, das die Deckenhöhe einer Schwarzwälder Bauernstube hat, nur nicht die Gemütlichkeit, schlenderte ich durch die Betonröhren Richtung Mensa, und die Kälte des Bauwerks ließ mich, trotz 27° Celsius Außentemperatur, innerlich und äußerlich frösteln. In der Cafeteria angekommen, sah ich auch sofort Angie rauchend und diskutierend an einem Tisch sitzen. Ihre aktuelle Haarfarbe war orange, ihr aktueller Haarschnitt halblang. Zweiteres wird sich wohl nicht so schnell ändern, dachte ich mir und erinnerte mich mit Wehmut an ihre langen, braunen Haare. Junge Frauen lieben nun mal schnelle Veränderung – in allen Belangen. Ich setzte mich an einen anderen Tisch und blinzelte ihr zu. Es gibt doch Anblicke in der Uni, die einen erfreuen können. Als sie sich in ihrem viel zu knappen, aber nicht minder angenehmen Minikleid in meine Richtung bewegte, hätte ich, trotz der farblichen Veränderung ihres Kopfes, fast mein eigentliches Anliegen vergessen. Doch ein harter Privatdetektiv hat sich immer unter Kontrolle. Okay, fast immer.

»Habe ich vergessen, dass ich heute bei dir arbeiten soll?«, fragte sie mich verlegen.

Ich erklärte ihr, dass ihr bis zum Anschlag gefüllter Terminkalender sie nicht im Stich gelassen habe und ich ihre Hilfe bräuchte. Wenn sie sich bei meinen Ermittlungen nützlich machen konnte, strahlte sie über das ganze Gesicht. »Eigentlich«, sagte sie gelegentlich, »ist es meine Bestimmung, dein Partner und nicht nur deine unterbezahlte Schreibkraft zu sein.« Auch jetzt konnte sie sich nicht verkneifen zu bemerken, ob ich es nun endlich kapiert habe, wo ihre wahren Qualitäten liegen. Ich schaute sie an und biss mir auf die Zunge, um nichts Unüberlegtes von mir zu geben, obwohl mir bewusst war, dass sie es rein beruflich meinte. Ich leitete geschickt zum eigentlichen Thema über. Ich dozierte – was soll man anderes an einer Uni tun – die Sachlage und machte ihr deutlich, was Katja mir steckte. Als ich Katjas Name nannte, erfror ihr Lächeln im Gesicht. Wie es sich für meine Moneypenny gehört, duldete sie keine andere Frau in meinem Umfeld. Am wenigsten Katja.

»Philipp«, raunzte sie mich an, »wenn ich dir bei dieser Sache helfen soll, lass diese blöde Kuh aus dem Spiel. Ich kann für dich viel mehr in Erfahrung bringen. Du brauchst sie gar nicht. Für die bist du nur ein kleiner Fisch, der mit ihren hochkarätigen Verehrern nicht konkurrieren kann.«

Ich stoppte sie in ihren Tiraden und bat sie sachlich zu bleiben, ohne zu vergessen, nebenbei einzuschieben, dass dasselbe wohl auch auf sie selbst zutreffe.

Sie brummelte etwas vor sich hin, um mir dann zu sagen, dass sie wisse, wer der Liebhaber von Julia Wingerter sei.

»Es gibt nur einen knackigen Dozenten an der Uni, hinter dem die Hälfte der Studentinnen her ist. Doch diese Groupies benehmen sich zurzeit, als ob ihr Popstar geheiratet hätte. Sein Name ist Heiner Maierbach, und er unterrichtet Musik.«

Sie führte weiter aus, dass in der Gerüchteküche gemunkelt werde, Maierbach sei in Ludwigshafen mit einer dummen Zicke gesehen worden, die mit einem reichen Winzer verheiratet sei. Ich müsste mich nur an die Fersen des Musikus hängen und schon sei mein Fall gelöst. Wie sie wisse, treffe er sich mehrmals die Woche mit der Wingerter auf der Autobahnraststätte bei Edenkoben, von wo aus sie ihre Tour d’amour begännen.

Ich dankte Angie für die wichtigen Informationen, ohne zu vergessen, ihr ein Kompliment für ihr gewagtes Kleid zu machen. Sie überhörte es und machte mir den Vorschlag, am Abend bei ihr zum Essen vorbeizukommen. Sie würde ihr berühmtes Gulasch mit Semmelknödeln machen und ihr fehle noch ein guter Wein. Angesichts der Tatsache, dass mein Fall erledigt war, sagte ich zu, wenn Maierbach heute nicht aktiv werde.

Im gleichen Moment verspürte ich einen kurzen heftigen Schmerz am Schienbein und Angie raunzte mir zu:

»Maierbach!«

Ein Mann, Anfang vierzig, groß, schlank, gepflegt, mit schwarzem Haar und runder Nickelbrille, stolzierte durch die Cafeteria. Ein intellektueller Casanova. Julia Wingerter hat keinen schlechten Geschmack. Ich betrachtete mir die imposante Erscheinung und erinnerte mich daran, dass ich den Musikdozenten schon bei einigen kulturellen Veranstaltungen in der Umgebung gesehen hatte. Gerade vor kurzem, beim Auftritt meiner singenden Freundin Sarah, war er mir durch sein viel zu euphorisches Klatschen aufgefallen. Soweit mir noch gegenwärtig ist, hatte er sich sogar im Anschluss an die Veranstaltung mit ihr unterhalten! Ich sollte vielleicht auch noch einige Takte mit Sarah sprechen, ging mir spontan durch den Kopf, mit dem Hintergedanken, meine Ermittlungen noch mehr zu verkürzen. Maierbach holte sich eine Tasse Kaffee, setzte sich alleine an einen Tisch, las den Spiegel und genoss sichtlich seinen gelungenen Auftritt.

Ich schaute Angie an und flüsterte ihr zu, ob sie die Zeit habe, den Don Juan einige Stunden im Auge zu behalten. Sie solle mich anrufen, wenn er Anstalten machen sollte, Julia Wingerter aufsuchen zu wollen. Angie nickte und war sichtlich dankbar für diese verantwortungsvolle Aufgabe. Ich verabschiedete mich, stand auf und setze mich Richtung Büro in Bewegung.

Mein Briefkasten quoll wieder einmal über. Zwei Tageszeitungen, drei Werbeblätter, die neuesten Angebote eines Möbelhauses, die Telefonrechnung und eine Ansichtskarte aus Finnland. Noch im Laufen las ich die Karte, die mir mein Berliner Freund Klaus schickte. Er lobte die finnische Landschaft in höchsten Tönen, bedauerte aber zutiefst, dass sein kulinarischer Anspruch in keiner Weise befriedigt sei. Als ich die Tür zu meinem Büro öffnete, ärgerte ich mich bereits über die viel zu hohe Telefonrechnung. An meinem Schreibtisch angekommen, wanderte das Werbematerial ungelesen in den Papierkorb. Jetzt konnte ich in Ruhe die Zeitungen lesen. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU legte ich zur Seite, um mich zuerst dem Sportteil der Rheinpfalz zu widmen. Schumacher startete in Spa aus der ersten Reihe, Steffi Graf versuchte ihr zwölftes Comeback, und der KSC hatte ein vorgezogenes Zweitligaspiel in Cottbus verloren. Ich vertiefte mich in die Vorschau auf das Flutlichtspiel FCK gegen Hamburg am Abend und zählte die Pfälzer in der Anfangsformation. Immerhin waren es noch drei. Wenn ich heute Abend nicht arbeiten müsste, könnte ich mir beim Essen das Spiel mit Angie, die sich erstaunlicherweise auch für Fußball interessierte, anschauen. Der Lokalteil gab heute nicht viel her. Ich wollte die Zeitung zur Seite legen, als mein Auge auf eine kleine Überschrift Dreister Weinbetrug fiel. Ich begann, die Nachricht zu lesen.

»Die Staatsanwaltschaft ermittelt zurzeit gegen Winzer aus Rheinhessen und der Pfalz, die ihren Weinen zur Geschmacksaufbesserung Lebensmittelaromen beigemischt haben sollen. Die Lieferanten sind unbekannt, Hauptkunde ein Winzer in der Pfalz. Die fruchtig schmeckende Verbindung sorgt bei den damit versetzten Weinen für einen vollmundigeren Geschmack. Der Zusatz von Aromen ist bei Wein verboten. Bei Likören hingegen ist der Zusatz von künstlichen Aromastoffen, die der Konsument hauptsächlich im Zusammenhang mit Joghurt kennt, erlaubt. Verschiedene Proben werden derzeit im Weinanalyselabor von Dr. Hans-Georg Lustig in Neustadt/Weinstraße untersucht.«

Wieder einmal ein paar schwarze Schafe, die den Ruf unserer schönen Pfalz ruinieren, dachte ich mir, und mein Schulfreund HG sollte sie zur Strecke bringen. Bestimmt interessanter als Ehebrecherinnen zu entlarven. Durch künstliche Aromen wird der Wein viel dichter, was zurzeit voll im Trend liegt und auch durch die mittlerweile erlaubte Mostkonzentration erreicht wird, bei der dem Wein Wasser entzogen wird. Aromen aber passen überhaupt nicht in das Geschmacksbild eines Weines. Für Kenner ist ein mit künstlichen Aromen versetzter Wein viel zu intensiv. Der Normalkonsument merkt dies jedoch gewöhnlich nicht. Ich nahm mir vor, demnächst mit HG einige Schoppen zu vernichten und mit ihm über die Panscher zu diskutieren. Wahrscheinlich würde ich dann auch die Namen erfahren, damit ich diese Betriebe in Zukunft meiden konnte, obwohl ich mir sicher war, dass meine Winzer durch natürliche Qualität überzeugen.

Gegen vier Uhr meldete sich Angie bei mir und berichtete, dass Maierbach am heutigen Abend Fachbereichskonferenz habe und sich wohl nicht mit Julia Wingerter treffen könne, da es bei der Konferenz um langwierige Berufungsverhandlungen gehe. Ich bemerkte, dass ich gegen sechs Uhr zum Essen kommen würde und mir dann gerne mit ihr das Fußballspiel anschauen würde. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden und legte auf.

Drei Dinge musste ich nun noch erledigen. Wingerter anrufen, Sarah anrufen und eine Flasche Rotwein aus dem Keller holen. Ich entschied mich genau für diese Reihenfolge. Wingerter informierte ich, dass sein Auftrag nahezu erledigt sei und er spätestens übermorgen die notwendigen Beweise auf dem Schreibtisch liegen hätte. Verhältnismäßig freundlich dankte er für die schnelle Arbeit und versicherte mir, dass noch einige Scheine auf mich warten würden. Wir verabredeten uns für Sonntag in seiner Weinprobierstube. Sarah war wie immer kurz davor, das Haus zu verlassen, und machte deshalb den Vorschlag, sie könne sich heute Abend nach ihrem Konzert mit mir treffen. Ihr Auftritt ende gegen elf Uhr und ich solle sie im Alten Kaufhaus abholen. Ich willigte ein und begab mich in den Weinkeller.

Das kräftige Gulasch konnte einen ebenso kräftigen Spanier vertragen. Ich stand vor meinen nur noch spärlich gefüllten Regalen und begutachtete die Reste meiner Spaniensammlung. Von der Qualität her sollte es ein Reserva sein. Meine Crianzas waren getrunken und ein Grand Reserva wäre für den Anlass unpassend. Rioja, Duero, Navarra oder Penedes boten sich noch an. Ich wählte die letzte Flasche 89er Castillo Ygay von Marqués de Riscal, der nur in ausgesprochen guten Jahrgängen erzeugt wird, und kehrte noch einmal kurz ins Büro zurück, um zu überlegen, was ich noch von morgen auf übermorgen verschieben konnte. Zufrieden mit dem Erreichten schloss ich für den heutigen Tag die Tür hinter mir ab, ging um die Ecke zur Gaststätte Bäuerlein, trank einen Milchkaffee und beobachtete die Abendeinkäufe der Lan0dauer. Kurz nach sechs Uhr stieg ich in meinen alten Citroën DS und fuhr zu Angie.

Schon im Treppenhaus roch ich das Angie-Spezial-Gulasch. Hinter ihrer Wohnungstür sang sie im Duett mit Alanis Morisette »You ougtha know«. Ich klingelte. Angie öffnete.

»Zieh schon mal den Wein auf, fülle ihn in die Karaffe, die im Wohnzimmerschrank steht, in zehn Minuten gibt es eine kleine Vorspeise, rauche bitte auf dem Balkon und zieh dir die Schuhe aus!«

Ich sagte »Guten Abend« und fügte mich den Anweisungen. Mein Großvater hatte mir vor Jahren schon den guten Rat gegeben, Frauen nicht zu widersprechen. Als ich den Rioja dekantiert hatte, begab ich mich auf den Balkon und rauchte eine Gauloises.