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ANDREJ E. SKUBIC

Ruhe

Roman

Aus dem Slowenischen von Erwin Köstler

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Die Übersetzung dieses Werks wurde gefördert durch die Slowenische Buchagentur JAK sowie durch Arbeitsstipendien der Kunstsektion des Österreichischen Bundeskanzleramtes und der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7).

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DRAVA VERLAGZALOŽBA DRAVA GMBH
9020 Klagenfurt/Celovec
www.drava.at

© Drava Verlag • Založba Drava, 2017, Klagenfurt/Celovec
Lektorat: Josef G. Pichler, Aleksander Studen-Kirchner

ISBN 978-3-85435-824-4
eISBN 978-3-85435-834-3

Ruhe I beruht in Grundzügen auf der Geschichte Jasmine Richardsons aus der kanadischen Kleinstadt Medicine Hat, die sich 2006 zutrug, Personen und Ereignisse sind jedoch frei bearbeitet. Zum Teil trifft dies auch auf die authentischen Chats der Community zu, die in jenem und in den folgenden Jahren die Tat auf Jasmines Homepage und in diversen Internetforen kommentierten.

Ruhe II geht auf die bekannten Ereignisse um die Familie Strojan aus Dečja Vas bei Ambrus 2006 zurück, doch gaben diese der Inspiration nur den Rahmen. Alle konkreten Vorkommnisse, Umstände und Personen in diesem Text sind frei erfunden oder den Notwendigkeiten einer neuen, eigenständigen Erzählung entsprechend adaptiert.

In der Geschichte werden Zitate aus realen Zuschriften anonymer Beiträger in Internetforen zur Zeit der Affäre Strojan, aber auch im Internetforum der Realityshow Big Brother verwendet. Verändert wurden die Spitznamen, und in einigen Fällen wurde der Inhalt der Handlung angepasst.

Inhalt

Ruhe I

Ruhe II

Ruhe I

Irre verrückt diese Nacht, und soweit ich mich jetzt erinnere, auch das andere, sozusagen der Anfang dieser Nacht – nicht wie das Ganze davor, diese Schule und der Nachmittag, das Mittagessen und die Hausaufgaben, all diese Dinge, bevor ich das Handy aufgelegt hab. Dann war’s also abgemacht. Alles abgemacht, wir ziehen das heute durch, nicht irgendwann später. Mama hat die Sachen vom Abendessen, Palatschinken hat’s gegeben, in den Geschirrspüler getan. Papa war noch immer wahnsinnig damit beschäftigt, unseren Router, über den er von seinem Rechner und ich von meinem Laptop aus zusammen ins Internet einsteigen, so hinzukriegen, dass die Computer auch einander sehen, nicht nur das Internet. In der Anleitung ist nirgends gestanden, dass diese Box das kann, aber der Verkäufer, den er gefragt hat und der darauf aus war, ihm das Ding auf jeden Fall anzudrehen, hat gemeint, dass es gehen müsste. Sodass er schon den dritten Abend hintereinander die ganze Zeit nur von einem Computer zum andern gesprungen ist und verschiedene Einstellungen ausprobiert hat. Aber … komischerweise ist mir das jetzt nicht mal auf den Keks gegangen. Sonst explodier ich immer fast, wenn er mit seinen technologischen Spielchen antanzt, diesmal aber nicht. Ich hab nur gewartet, dass mein Computer zwischendurch mal drei Minuten frei ist, um kurz in den Blog einzusteigen und zu schreiben, dass es heute passieren wird. Man muss die Beunruhigung teilen. Aber – klar, ich bin vor dem Fernseher gesessen, hab gezappt und gewartet … War wirklich ein langer Abend.

Dann aber waren da nur mehr so Lichtblitze, mit irre wenig Bewegung, aber kristallklarer Sound.

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Die Untersuchung erbrachte folgende Hauptsymptome: hemiplegischer Gang und rechte Hemiparese, Aphasie, Beklemmungsgefühl, Angst davor, andere zu verletzen, und obsessives Spucken mehr als hundert Mal am Tag.

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Ein großes Loch, und dann er, HIER. Ich mach das Kellerfenster auf, in Höhe meiner Nase. Draußen sind Sträucher, dunkle, die halbe Hortensie ist schon abgefroren, die japanische Lärche kahl, der Hibiskus, die Rosen mit den Dornen, und mitten drin seine Fresse, ganz weiß, glaub ich. Wegen dieser Dunkelheit sieht sie ganz weiß aus. Der Mund ist offen, weil er redet. Er entschuldigt sich.

– Heh, sorry, Alte, ich war bei Momo.

Der war bei Momo. Um zwei. Ich war schon fast eingepennt. Mama war inzwischen schon mal auf dem Klo.

– Ich hab ein bisschen Power und Inspiration gesammelt.

– Power mit Kognak? sage ich.

– Bisschen steirischen Schnaps. Und ich hab noch probiert, ob ich wen so weit kriege, dass er mitgeht. Den Niko hau ich schon zwei Tage an, hab ihn angerufen, aber er hat nicht gewollt, nicht mal von Weitem. Hat gemeint, ich hab sie nicht alle. Der Waschlappen.

– Was geht mich Niko an? Rein da, schnell. Brauchen wir einen, der uns die Kerze hält? Gibt’s ein Fest oder was?

Lass, hör auf mit der Stänkerei, das bringt nichts. Hier. Wir tun es, jetzt. Wenn er schon stottert – das bringt nichts. Ich übertreib gern mit Stänkern, ich weiß. Er darf nicht. Nur nicht stottern, nicht stottern, ich darf ihn nicht abwürgen. Er muss da sein, sonst wird das nichts, jetzt muss alles klappen.

– Nein, du hast nichts in die Richtung gesagt, aber passt ja immer, wenn mehr Leute sind, sagt er, der Mund steht offen. – Du glaub nur mir. Seine weiße Visage noch immer im Dunkel des Rahmens, in der einen Hand hab ich den Griff des geöffneten Fensters.

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Mit der Linken hab ich gecheckt, ob die Haustür zugesperrt ist, HIER halt ich den Schlüssel in der Faust, den ich abgezogen hab. An der Wand neben der Tür hängt das Bild, das Mama gebracht hat, als sie in Prag studiert hat: der Mucha. Sieht ihr ähnlich, ihr Stil, diese Rosas und Oranges und Grüns; als ich kleiner war, hat es mir gefallen, weil ich noch nicht gesehen hab, was für ein Dreck das ist. Mama gefällt es noch immer. Bitte, auf so was steht die. Muss man sich da noch wundern?

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Gut, HIER hängen wir im Fauteuil, und ich saug mich mit Gewalt an seiner Fresse fest wie eine Krake. Zungenkuss. Von jetzt aus gesehen vielleicht ein bisschen unappetitlich, aber was soll’s, scheiß drauf, es passt, es beruhigt mich. War schon lange nicht mehr in seinem Mund. Und letzten Endes stimmt auch, dass ich eigentlich nicht will, dass das Ganze einfach anfängt. Der schönste Moment ist der eine, noch BEVOR das, worauf du seit Wochen, Monaten wartest, seinen Lauf nimmt. Dieser Moment, wo alles noch vor dir liegt, dieses süße Gefühl, wenn du noch tagträumen kannst und das Ganze genießt; wie Miša im Märchen sagt: ganz langsam ess ich ihn, damit er länger süß ist. Hundert Jahre hab ich drauf gewartet, und schau, jetzt ist die Zeit gekommen. Jetzt ist sie DA. Wir sind hier. Wir lieben uns. Wenn nötig, würd ich ihn heiraten. Und dann – wird alles vielleicht wieder ganz normal. Langweilig.

Darum hab ich es jetzt nicht mehr eilig gehabt. Gut, ich weiß, dass ER es eilig hat, aber was soll’s, bin ja dazu da, ihn zu beherrschen; er möchte, dass schon alles vorbei ist, ich nicht. Und wir sind letzten Endes bei mir. Darum sitz ich mit meinem ganzen Gewicht auf seinem Schoß und drück ihn nieder und saug mich an ihm fest. Er schwitzt ein bisschen im Gesicht und sein Atem geht ein wenig schnell, weil er von Momo hierher so gelaufen ist und sich dann noch durch unseren verfluchten Garten geschlagen hat :-) Angst hat er wohl keine, ist ja ein Kerl. Warum soll er Angst haben? Denn jetzt gerade sind wir Götter, und wer hat je gesehen, dass Götter Angst hätten. Kein normaler Gott hat Angst. Ich war zwar noch kein Gott und kann mir nicht ganz sicher sein, aber jetzt, wo ich’s bin, zum ersten Mal, scheint mir, dass das nicht geht. Also möcht ich, dass dieses Feeling noch eine Weile anhält. Ich hab keine Angst.

Er hat die Hand auf meinen Titten und ich find es urgut, also ist das dann richtig. Das macht man angeblich so, wenn man ein Gott ist, hab ich irgendwo gelesen, also gefällt’s mir. Ich hab so ein komisches Gruseln, obwohl die Tittengrapscherei für normal ein wenig kindisch ist, aber jetzt ist sie es nicht, so ein Gruseln wie damals, als ich und Petruša uns auf einer Party zum Spaß ein wenig abgeschleckt und die andern alle wie die Irren gebrüllt haben; obwohl es anders ist, denn über das mit den Titten könnte Jeremija auch schon ein wenig hinaus sein, weil er so alt ist, aber was soll’s, er weiß schon, was ihm taugt. Ich weiß gar nicht, warum es so scary ist! Genau das Richtige. Vielleicht, weil es in Papas Fauteuil passiert. Und weil es eine Million Mal verboten ist, ausdrücklich, unter Androhung der Polizei, aber wir zwei scheißen drauf. He, warum haben wir’s nicht schon früher mal ausprobiert? Undercover of the night.

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HIER beugt sich Mama ein wenig über mich und versucht mich zu überreden (das war vor ein paar Stunden, ist mir jetzt dazwischengekommen), dass die Palatschinken gut sind und dass sie sie extra für mich und für Tim gebacken hat, weil wir sie beide so mögen, aber ich schnable andauernd zurück: – Nein, Mama, ich bin nicht so wie du und Papa, dass ich auf Speck und so stehe. Ich weiß schon, warum sie will, dass ich so viele so fette Sachen esse. Sie ist für mich ein offenes Buch, ich hasse sie aus tiefster Seele, hab das schon längst allen im Detail gesagt. Es gibt keine Überraschungen. Obwohl die Palatschinken eigentlich gut sind, Sahne und Erdbeersauce, Süße Sünde, aber ich bin die kleine Black Princess of the Night, die nicht fett wie ein Schwein sein darf, und darum ess ich nur eine.

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Jetzt bin ich ein wenig auf Distanz, denn Jeremija stinkt wirklich nach dem Schnaps, den er bei Momo getankt hat, Schnaps ist das Ärgste, wär’s wenigstens Kognak gewesen! – sodass mir ein wenig die Luft wegbleibt, aber scheiß drauf, es ist wie es ist. Ich meine, ich bin ja kein Hund, für normal geht mir das echt auf den Geist, jetzt aber gar nicht mal so, und ich tolerier es. Die scheiß Abschleckerei halt ich trotzdem nicht allzu lange aus. Er schiebt mir schon die Hand unter den Slip, das ist schon ein bisschen too much. Nicht jetzt. – Das kommt dann, sage ich zu ihm. Dann, zum Schluss.

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Die Küchenwände bei Mama Schwarzkobler sind dottergelb gestrichen, was nicht nur zur Kücheneinrichtung passt, sondern dem Raum auch Charakter verleiht und auf einmalige Weise den Vorraum mit dem Wohnzimmer und der Terrasse verbindet! Hirra hurra, oh, là, là!

Mama Schwarzkobler weiß, wie man quadratische Gleichungen löst und wann die Amarylliszwiebeln gesteckt werden müssen und in welchem Jahrhundert Edvard Kardelj gelebt hat! Hirra hurra, oh, là, là!

Mama Schwarzkobler kann prekmurisch und küstenländisch und italienisch kochen, und neuerdings manchmal auch thailändisch! Weil sie einen Kurs besucht hat! Und einen Feng-Shui-Kurs gleich mit dazu! Hirra hurra, oh, là, là!

Mama Schwarzkobler mag Janez Drnovšek nicht, weil sie sagt, dass er alle seine Bücher aus anderen spirituellen Büchern abgeschrieben hat! Weil sie alles gelesen hat, darum weiß sie es! Hirra hurra, oh, là, là!

Mama Schwarzkobler weiß sich bei Tisch so gut zu benehmen, dass ihr nie jemand zu verstehen gibt, dass man sich bei Tisch eventuell besser aufführen könnte, denn das war dann vielleicht schon komisch! Hirra hurra, oh, là, là!

Mama Schwarzkobler wurde als Marija Fujs am 24. Februar 1956 in Ižakovci geboren, in einem Dorf von Flussbändigern, Müllern und Fährmännern! Hirra hurra, oh, là, là!

Die Grundschule hat sie in Beltinci besucht und die Mittelschule in Murska Sobota! Als sie nach Ljubljana gekommen ist, sind vor der Philosophischen Hippies auf der Stiege gesessen und haben Gitarre gespielt. Das ist es! hat sie gesagt. Aus ihr ist eine berühmte Bibliothekarin und Französistin geworden und sie hat eine Stelle in der Pionierbücherei gekriegt.

Mama Schwarzkobler hat wegen der vielen Arbeit und Hobbys traurig wenig Zeit, sich zu bewegen, gönnt sich aber gelegentlich eine Thai-Massage und unterhält sich gern mit ihren zwei Kindern! Hirra hurra, oh, là, là!

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Schau, HIER hat Mama schon alles gesehen und kommt runter – in Pyjama und Morgenrock, ganz zerzaust – von der Galerie die Stiege runter, sodass es eigentlich gut ist, dass mir Jeremija ausgerechnet jetzt die Hand in den Slip geschoben hat, weil das Eis gebrochen werden muss! Sie regt sich furchtbar auf! Klar, was bei uns alles läuft. Mama war schon ganze zwei Wochen nicht bei der Thai-Massage und auch auf keinem Ausflug in den Herrlichen Slowenischen Tauern, drum ist sie mies drauf. Sie hat genug Zeit für die Kindererziehung gehabt, aber das zählt nicht als Entspannung und geistiges Wachstum. Sodass sie nicht viel braucht, es reicht, dass sie Jeremijas Hand in meiner Hose sieht, und schon brüllt sie, als würd ihr einer die Haut abziehen! Okay, hätt sie sowieso getan!!! Ich steh halb, auch Jeremija dreht sich schon um und hebt ein wenig den Arsch. Das gesamte Werkzeug liegt fein säuberlich auf dem Couchtisch, aber Mama sieht es nicht. Mama brüllt:

– Was ist hier los? Was macht ihr zwei? Was ERLAUBT ihr euch? Agata! Sofort rauf! Du kannst dich auf was gefasst machen.

Mein Adrenalin hat noch gar keine Zeit zum Einspritzen gehabt, obwohl es kommt, ich spür schon, wie es kommt. Wie gut ich dieses Gebrüll kenne. Wie typisch für sie. Wie typisch.

– Das ist ja die Höhe! Jeremija, das da wird deine Mama erfahren! Ich kann nicht glauben, ein erwachsener Mann und erlaubt sich so was! Agata ist zwölf! Ich hab echt keine Ahnung, was ich noch machen soll!

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Das Zusammenleben von Fluss und Mensch war in der Gemeinde Beltinci schon von jeher ein intensives. Schon seit dem vierten Jahrhundert gab es an der Mur eine größere Anzahl schwimmender Mühlen – nach einigen Angaben mehr als neunzig – und waren Fähren das Verbindungsglied zwischen den Bewohnern Prekmurjes und der Prlekija. Trotzdem fassen wir bis heute nicht allzu leicht Vertrauen, und oft schrecken wir auch kleine Kinder, indem wir lustige Laute von uns geben. Ich bin allein, so sehe ich mich, in dieser Umgebung tatsächlich eine einzigartige Erfindung und eine kulturelle Errungenschaft von epochaler Bedeutung; egal, welche Stufe der technologischen Entwicklung die Gesellschaft erreicht hat, bin ich in jeder Epoche etwas Besonderes. Zum Beispiel – was hier vielleicht weniger relevant ist – heute fürchte ich mich vor Lamas, obwohl alle Lamas in Ljubljana sicher hinter doppelten Zäunen eingesperrt sind. Und darüber bin ich froh.

Sie sagen mir, dass ich geisteskrank bin, und ich bin oft wirklich laut, aber das ist nicht unbedingt ein Minus. Ich hab meinen Strukturen neue Dimensionen hinzugefügt, trotzdem, wir reden von der Revitalisierung einer archaischen Vorrichtung, die wir mit den funktionalen Lösungen der heutigen Zeit überbauen (größere Autonomie, Mittel, um sich zu schützen …), was meine Zweckbestimmung vergrößert. Wir richten uns alle gern her, und mein großer Wunsch ist (wenn sie mich je in eine Sendung einladen, wo die Gäste mit der Erfüllung ihrer Wünsche überrascht werden), den Mantel und den Handschuh von Freddy Krüger zu haben. Sonst wär ich auch mit etwas Kleinerem zufrieden, wenn ich dafür nicht ins Fernsehen muss, denn unser Fernsehen ist sowieso für den Arsch.

Und so kann ich vielleicht auch für die jetzige Gesellschaft Gegenstand der Erörterung sein. Im Kopf hab ich auch andere Leute, mehrere, die meisten aus Prekmurje und der Prlekija. Darum brauche ich viele Fähren, von einem Tag zum andern. Der Landwirtschaft gebe ich die Möglichkeit, vollwertige Fleischprodukte und neue Feldfrüchte zu erwerben. Und sie zu konsumieren, in vernünftigen Mengen. An meiner effektiven Nutzung der Naturkräfte können sich die Energetiker ein Beispiel nehmen, denn ich bin die Alternative zu den verschiedenen Lösungen, die trotz ihrer Begrenztheit noch immer einen zu großen Eingriff in die Umwelt darstellen. Manchmal schau ich Urgenca TV, weil ich so cool bin, dass nicht mal das meinem Image schadet, sonst halt ich vor allem die Erinnerung an unser reiches Kulturerbe wach; ich bin mir bewusst, dass es dabei um immer neue Herausforderungen und vor allem um das wesentliche Bedürfnis nach der Bewusstwerdung der neuen Werte geht, die wir alle zu langsam lernen.

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HIER schneidet Jeremija sie zum ersten Mal, und in dem Moment, das weiß ich noch, ist mir direkt ein wenig schlecht geworden. Wirklich, mein Magen zieht sich irgendwie zusammen und ich fühl mich, als ob er das Messer ein bisschen auch mir reinhaut, aber nur ein bisschen. Er sticht sie fest, und ich spür nicht viel dabei, aber trotzdem krieg ich so ein Bäh im Mund. Mein Herz fängt wie verrückt zu werken an. Ich weiß, allein hätt ich das nie durchgezogen, muss ich zugeben, auch wenn ich voll krass drauf bin. Manchmal braucht man einander echt. Er sticht fest zu, aber das Messer geht nicht so rein, wie ich will, dass es reingeht, ich will, dass es flutscht – Was denn, haben wir keine scharfen Messer in der Küche? Dabei, Mama, ist das Spitzenklasse Germany Rostfrei. Bist du so hart oder stellt sich Jeremija so dämlich an? Aber es wirft sie zurück, ein wenig wie von der Kraft des Stichs, ein wenig aber hüpft sie auch selbst. Ha, Mama, da, jetzt hast du’s. Jeden Augenblick wird sie mit dem Kopf gegen diesen Luster überm Kaffeetisch schlagen, und er wird schaukeln und es wird eine Lightshow geben.

HIER holt Jeremija schon zum zweiten Mal aus, aber Mama springt zurück, dass man es sausen hört, Jeremija aber brüllt in dem Stil:

– Komm schon, sonst dauert’s so lang!

Der Sound hier ist ein paar Sekunden lang ätzend. Ich hab gedacht, dass Blut auf den Lippen sein würde, aber da ist keins. Dann nochmal, und beim dritten Mal hackt er ihr ordentlich den Hals auf, und, puh, jetzt sprudelt’s mal endlich. Ich meine, das Blut. Shit! Echt scheiße, wie das spritzt. Wenn sie das sähe, unser schöner Teppich. Aber sie sieht’s nicht, es schleudert sie und sie schlägt mit dem Kopf gegen den Küchenblock.

– Pass auf!! schrei ich unwillkürlich, weiß Gott warum. Shit, was für ein Blödsinn, in so einem dramatischen Moment so plump gegen ein Eck zu donnern, dass sogar ich fast die Sterne sehe. Sie soll bluten, nicht sich den Kopf aufschlagen. Wenn du dir ein Cut schlägst, brauchst du ein Pflaster und einen Verband, nicht das. Ich lauf schon fast, um es ihr zu holen, weil ich spür, dass es ihr wehtut. Idiotisch. Eier nicht so rum, Jeremija, komm, etwas mehr Action!

Ich erinnere mich an so ein Rauschen, aber das war wahrscheinlich mein eigenes Blut in den Ohren, und sonst nichts. Ich hab die Hand an der Kehle und kneif mich in den Hals. Die Nerven.

Wieder sticht er sie, von hinten, in den unteren Teil des Rückens, und ich breche fast in so ein leicht übergeschnapptes Lachen aus, weil sie als Ganzes schwankt, und dazu dieses Auauauauau. Komm, hör auf! Das schaut überhaupt nicht mehr wirklich aus! Action, nicht Zeichentrick! Und sie fällt nicht mal! Aber ich lache nicht, weil mir ein wenig mulmig ist. Weil es scheußlich ist. Muss an sich ein grauenhaftes Gefühl sein, so geschnitten zu werden. Ich meine, ist ja okay, denn ich hab das gewollt, aber jetzt tut auch das irgendwie weh. Es ist nicht fein, wenn einer so hässlich mit deinem Körper umgeht, und dabei hast du so drauf geachtet, dass ihm nichts passiert. Ach was, deine scheiß Palatschinken! Du hast selbst entschieden! Du hast selbst total dumm und sadistisch beschissen entschieden, dich auf den Weg der Vernichtung und der höllischen Destruktion zu stellen! Was hast du denn auszusetzen gehabt? Hier ist kein anderer schuld, nur du allein! Also hör auf, so billig dreinzuschauen, verreck mit Stil, reiß die Augen auf, bleib stehen, stöhne, frag: Warum? Sei ein wenig die meine, und nicht so blödsinnig, tollpatschig, dass es einem den Magen umdreht.

Und HIER sticht Jeremija schnell von hinten zu, während sie sich zum anderen Ende des Raumes begibt, ohne ihm noch irgendeinen Blick zu gönnen, sie vegetiert nur.

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– Also kann ich heut Abend problemlos bei mir ein Fest machen, sage ich und habe ein seltsames Gefühl, als ob mein Kopf schwebt, während ich gehe, schnell, schnell. Ich hab es nicht eilig, aber ich muss mich bewegen. – Der Weinkeller der Schwarzkoblers möchte geleert werden. Wer soll das machen, wenn nicht wir? – Wein soll fließen, wenn Blut fließt. Das gehört dazu.

– Aha. Und dann wickelt das Murmeltier die Schokolade in Alufolie ein … sagt Petruša, die genauso schnell geht, nur irgendwie stur, weil sie überhaupt nicht kapiert, wie ich mich gerade fühle.

Ich fange zu lachen an. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lachen.

– Sagst du es noch den andern aus euren Blocks? sage ich, grinse, krieg schier keine Luft, in meinem Kopf blinkt es. – Heut Abend haben wir sturmfreie Bude.

– Madonna, Agata, du bist echt durchgeknallt, sagt Petruša. – Pass bloß auf, dass du dir nichts tust.

– Cool, sage ich und grinse, dieser Tag ist so zum Lachen, total bekifft, noch immer hell, hübsch viel Sonne scheint dorthin, sie geht einem nicht auf den Wecker, aber wenn ich Jeremija krieg, dreh ich ihm die Ohren um. Was soll das heißen? He, komm mir bloß zurück. Ich weiß, dass mir Petruša kein Wort glaubt, sie meint, dass ich angebe, aber was heißt das schon? Die Hauptsache ist, dass ich’s erzählen kann und cool bin und weiß, was Sache ist, soll sie sich denken, dass ich übergeschnappt bin, sie wird’s früh genug erfahren. Die Party wird stattfinden, meinetwegen zu zweit, wenn sie überall rumerzählt, dass Agata übergeschnappt ist, was schert mich das? Ich spiele jetzt eine Liga höher. – Ich tu mir nichts.

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Ich hab diese komische Phobie, dass mir das Herz platzen wird, ziemlich lange schon, aber ich weiß, es wird mir nicht platzen.

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Papa, das muss man sagen, wirft sich in Pose, wie in diesen Filmen. Er streckt von der Stiege die Hand über die Szene aus, als schleuderte er einen Zauber, und er bleibt auf halbem Sprung runter hängen, er brüllt, dass ein Riss durchs ganze Zimmer geht.

– Hast du den Verstand verloren, Bengel! WAS MACHST DU? Agata!!! – Mit mir leg dich an, wenn du dich traust!

Papa ist beeindruckend, hätt ich mir gar nicht von ihm gedacht. Nie! Ich hätt gedacht, dass er aus dem Fenster springen wird, kleiner Lehrer und Blut und so. Denkste! Ich würd’s fast toll finden, wenn’s nicht so scary wär. Jeremija hat jetzt ein Messer in jeder Hand, macht einen auf Ninja, als hätt er das voll drauf, aber er macht’s nicht darum – wie auch, wenn er nochmal so tollpatschig ist wie bei Mama, die noch immer mit der einen Hand irgendwie zuckt, dann wird das so eine linke Farce von Massaker, urviel Schmerz und überhaupt kein Drama – sondern er macht’s vor allem darum, damit sich Vater nicht zum zweiten Messer durchtankt, wenn er es zufällig bis zum Couchtisch schaffen sollte, und ich sause auch gleich mit dem dritten in der Hand vorbei, aus demselben Grund. Nicht, weil ich beispringen will. Hab zuerst gedacht, dass es witzig wär, aber hallo! Bist du wahnsinnig! Ich, ein Messer in ihn reinschieben, wenn er normal lebendig ist!

HIER springen sie auf und ab, Jeremija fuchtelt herum, und Papa scheint ihn nur von Mama fernhalten zu wollen. Obwohl, das ist alles Mist, weil es die Sache nur kompliziert macht, Jeremija ist ihm zu groß, er hat keine Chance, die ganze Zeit schon nicht. Aber man kann’s verstehen, dass er sich Mühe gibt, denn Jeremija hat Mama am Ende so übel zugerichtet, dass ich jetzt sogar bei ihr stehe und ihr die Decke überziehe, die vom Sofa. Sie zittert ein bisschen, als wär ihr kalt, aber das ist blöd, weil ihr statt Blut nur Spucke aus dem Mund sprudelt und die Wangen runterrinnt, dass einem schlecht wird und man sie besser zudeckt, damit es wenigstens etwas würdiger aussieht. Ich gönne ihr ja, dass sie in so einem Moment nicht friert, soll sie doch ein wenig Intimsphäre haben, so beschissen bin ich nicht. Die Arbeit ist gemacht, Blut ist aber auch überall mehr als genug.

– Adijo, sage ich zu ihr, weil ich will, dass sie es weiß, das wird völlig reichen, obwohl ich gedacht hab, dass mir mehr einfallen wird.

HIER hab ich eigentlich schon ein bisschen Angst, weil Papa um einiges beweglicher ist, als es zuerst ausgesehen hat, und ich hoffe nur, dass er am Ende nicht Jeremija müde macht, der schwitzt nämlich schon. Wenn er nicht bald einen Treffer landet, kriegt er sicher selbst bald Schiss, und dann, heilige Scheiße. Nur Satan weiß, was dann ist. Das soll nicht passieren.

HIER haben sie schon einen richtigen Schlamassel im Zimmer angerichtet. Der LCD-Bildschirm zerdeppert am Boden, auch ein paar Vasen und eine Lampe, alle möglichen Schweinereien, die Papa auf Jeremija geworfen hat, die Wände total versaut, als wär das ein Schlachthaus oder der Durchgang vom Tivoli! Jeremija erwischt ihn zum ersten Mal voll am Arm, dass unterm Pyjama das Fleisch rausquillt, und Papa brüllt. Ist ganz aus dem Häuschen, aber Gott sei Dank schaut’s mal endlich danach aus, als wär Jeremija im Vorteil und als würd er es schaffen. Einen halbwegs guten Magen braucht man für so was, und eine ruhige Hand. Ich steh ein paar Schritte hinter Papa, hab das Messer in der Hand und die Hosen gestrichen voll.

Vorhin hat Jeremija gebrüllt, ich meine, wirklich hässlich, ich hab mich fast angeschissen vor ihm.

– Komm schon, stich zu, fuck! Brauchst du eine Einladung oder was, hat er mich wie ein Verrückter angebrüllt, ich bin ganz grün geworden. Ich steh hinter meinem Vater, Vater schaut ihn an, mit seinem aufgehackten Arm, und ich soll ihn von hinten, zwischen die Rippen oder was. No way, von hinten. Darum lauf ich HIER wie bescheuert die Stiege rauf und hab noch immer das Messer in der Hand, Jeremija schaut mir nach, nicht, Jeremija, du schau Papa an, NICHT MICH!

Schon bin ich oben auf der Galerie und dreh den Kopf über die Schulter nach unten, Papa wirft sich auf Jeremija, um die Gelegenheit auszunützen – der einzige Versuch, wirklich der einzige an dem ganzen Abend, wo er nicht nur rumhüpft. Aber falsch, denn er hat nichts in der Hand, um wirklich was anzurichten, was denn, soll er mit der bloßen Hand ins Messer fahren. Mit der Hand ins Messer, au, Papa!

Warum hab ich’s nicht getan? Warum hab ich vorhin nicht zugestochen? Nur einmal kurz, schliaaap, meinetwegen als Souvenir. Warum hab ich nicht? Ich hab die Gelegenheit verpasst.

Seine Handfläche klafft dann auseinander, bäh, das tut weh. Papa macht so einen furzenden Ton mit dem Mund, als der erste Stich im Bauch landet. Mich gruselt’s direkt ein bisschen.

Bin ja bloß Bauch.

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vunderkind | 22.02.2008 | 16:26

Was ist denn das für ein Zwölfjähriger, der dir ein Gedicht drüber schreibt, wie er seinen Eltern das Messer in die Kehle rammt? Schaut euch das mal an:

du betaste meinen körper

ich koste deine haut

ich sehe, du bist eifersüchtig

aber wart nur ein bisschen

ich zeig dir den teufel

ganz mit blut übergossen, bereit

komm rauf

ich erwarte dich

mit dem messer

um es dir durch den mund in die kehle zu stoßen

ob du bereit bist oder nicht

du komm nur

Das halt ich im Kopf nicht aus. Die schreibt das über ihren Vater.

Lord of the Dark | 22.02.2008 | 22:56

vunderkind du moron das hat sie über ihren typen geschreiben

scary.guy | 22.02.2008 | 01.12

ich möcht nur das eine sagen: HAHAHHAAHAHHAHAHAHAHHAHAHA

HAST ALLE UMGELEGT!!!!! HAST DEIN GANZES LIFE VERSCHISSEN!!!!!

JAAAAAAAAAAOOOOOOOOOOOO!!!!!!!!!!! weisst du, was das beste ist, wenn du in zwanzig jahren mal heimkommst, wird es kein zuhause MEHR GEBEN! und weisst du warum? Weil du es abgerissen hast! ZUM SCHIIIIIESSEN! lol, verdammte wichtigtuerin.

der geile | 22.02.2008 | 14:34

Pfeif drauf, auf die ganzen Wichser, alles Weicheier. Hab Mut, du hast was Großes getan. Bin in Gedanken bei dir. Romantik.

koch | 22.02.2008 | 19:31

O mein gott! Jetz hab ich einen staender. Und du bis schuld.

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HIER guck ich in Tims Zimmer rein, Tim sitzt ganz hinten im Bett und zieht sich die Decke bis zu den Augen, deckt sich ganz den Kopf damit zu, als die Tür aufgeht, aber dann guckt er ein wenig raus und sieht, dass ich es bin, sodass er sie wieder bis zum Kinn runternimmt, aber nicht weiter. Er gafft mich an, hat ganz runde Augen. Hinten am Scheitel sind ein paar verlegte Haare, die ihm in die Luft stehen. Nur das Licht vom Gang beleuchtet ihn.

Ich hab ein komisches Gefühl, als ich ihn anschaue, denn er scheint so irgendwie im Weichen und Warmen zu sein.

– Wir haben gestritten, Tim, sorry, sage ich zu ihm. – Wir haben ein wenig gestritten, aber jetzt ist Ruh. Du schlaf.

Unten im Erdgeschoß ist es ja wirklich ruhig jetzt, was weiß ich, muss so sein. Er muss schon fertig sein.

HIER ist eigentlich alles beim Alten, weil Tim vermutlich nicht mal dran denkt, zu schlafen. Mir gehorcht er nicht.

– Jetzt ist Ruh, Timi, gib Ruh und schlaf, sage ich, und er geht mir auf die Nerven. Und ich denke mir: was ist das jetzt, kleine Ratte? Was heißt das schon, wenn ich ein Messer in der Hand hab? Salami hab ich mir aufgeschnitten, hab auf einmal Hunger gekriegt. Ist ja nicht blutig, Dummkopf.

HIER bin ich bei ihm und halte den Polster. Nur um das Ganze ein wenig zu dämpfen, noch immer rumpelt es unten ein bisschen, ich weiß nicht, kramt Jeremija herum, macht er die Schränke auf? Ich mag nicht, dass er in unseren Sachen wühlt.

– Leg dich nur hin, sage ich zu ihm und halte den Polster über seinem Face, und er hat ganz runde Augen. Ich werd ihm eine Stille machen, dass er Ruhe gibt. Schlaf ein, was ist denn Schlimmes dabei. Wer bist du denn. Die Beilage, fuck. Wegen dir hab ich nicht oben auf der Galerie bleiben und zuschauen können. Nein, ich muss zu dir, damit du dich nicht anscheißt vor Angst und irgendwelche Dummheiten machst.

Ha, ha.

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6petrusa66 | 25.02.2008 | 15:29

Hier kennen die meisten von euch Jeremija gar nicht, er ist ein guter, freundlicher und liebender Mensch. Bei ihm hab ich immmer voll gelacht. Tatsächlich war ich immer froh, dass er dabei ist. Als ich ihn zum ersten Mal gesehen hab, hab ich ihn okay gefunden; als ich ihn aber besser gekannt hab, hab ich gesehen, dass er super ist, der King. Neben ihm hat sie jeder gut und locker gefühlt, auch die die sonst Probleme gehabt haben. Er geht mir wahnsinnig ab. Ich kapier nicht, warum die Medien so eine Freude dran haben, dass alles so aufzublasen und aus den Leuten Monster zu machen und denken, dass sie alles wissen. Er hat Mist gebaut, ja … Aber 30 Jahre im Loch, obwohl er gewusst hat, dass er das kassieren wird, aber er hat trotzdem getan, weil er Agata geliebt und sich für die Liebe geopfert hat!

vuzgi.ga.blaz | 25.02.2008 | 18:02

He, die Kuh, hör dir das an, dieser Jeremija hat dir dein Loserhirn gewaschen! Komm, rasier dir den Kopf und tätowier dir ein Hackelkreiz auf die Scherbe, damit alle sehen, wie dämlcih du bist, obwohl ich sicher bin, dass man das sonst auch gleich sieht. Ein dreiundzwanzig Jahre alter Pädophiler, ein Kindermörder? Super und der King? GEH SCHEISSEN! Geh scheißen Jeremija, und geh scheißen petrusa

JAU, was für eine Kuh!

6petrusa66 | 25.02.2008 | 23:12

So grosse Töne von einem, der so beschränkt ist. Lern erst mal, wie man Hakenkreuz schreibt. Die Menschne haben ihren Verstand und können denken, also rasier du dir gefälligst zuerst deinen haarigen Arsch, du verschissener Schimpanse. Für Agata was nie ein Problem, jeden zu überzeugen, das sie 17 ist mit ihren Titten. Auch Jeremija hat gedacht, dass sie so alt ist. Mir hat keiner das Hirn gewaschen. Was für ein primitiver Versuch, zu entwerten, was ich denke! Ach übrigens, Heil Hitler, ja, klar. Was den Kindermörder angeht, kannst dich vielleicht mal fragen, warum Agata selbst ihrem kleinen Bruder die Augen aufgehalten hat, damit er sieht, wie seine Eltern erledigt werden und warum sie ihnn selbst abtgestochen hat. Die manipulative Sau, zu allen ihren Ex hat sie gesagt: wenn du mich liebst, wirst du mir helfen, meine Alten umzulegen. Das ist wahr, weil ich es aus erster Hand weiss, du aber bist noch nicht mal aus Trnovo. Wünsch dir einen schönen Tag, du scheiß Komplexhaufen du dreckiger.

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Das Licht ist angegangen, ich hab den Polster von Tims Face genommen, und im Zimmer ist Jeremija. Irre blutig, wie ein Geistesgestörter. Tim scheinen erst jetzt die Sicherungen durchzubrennen, er zittert wie besessen. Dabei hab ich ihm den Polster über den Kopf gehalten, damit er den Krawall nicht hört, damit er sich beruhigt, hat nichts gebracht. Er hat’s nicht als Witz genommen. Obwohl es unten jetzt ganz still ist.

– Den übernimmst du, sagt er. Wo hast du das Springmesser?

Ich bin ganz baff. Tim, ich? Ausgerechnet ihn?

Jeremija hat schon das Messer in der Hand, das ich auf Tims Nachttisch gelegt hab, und streckt es mir hin.

– Bist du total bescheuert? sage ich.

Jeremijas halber Grinser wirkt auf mich, als wär er ganz außer sich. Ich hab fast ein bisschen Angst vor ihm. Was für ein Kerl.

– Du musst, sagt er. – Damit du siehst, wie das ist. Hab ich nicht genug gemacht? Alles für dich.

Ich kann überhaupt nicht denken. Jau, totaler Irrsinn!

− Aber ich kann nicht, sage ich. Mich friert direkt ein bisschen. Davor nicht, unten im Wohnzimmer, jetzt schon. Vielleicht, weil dieses Zimmer kleiner und dunkler ist, der Kleine hat eine schwache Lampe, und unten ist so eine Stille, scary.

− Das wird uns verbinden, sagt er. Seine Hand ist voller Blut, das Messer aber ohne jeden Fleck, wie direkt aus dem Kaufhaus. – Nichts kann uns so wie das hier verbinden, auch Gott und der Teufel nicht. Wir entscheiden selbst, zusammen in die Hölle zu gehen.

der finsteren Seelen Verbündete sind wir Brüder des Prinzen der Nacht

in endloser Agonie wirst du deine Niederlage erkennen

− In die Brust ist okay? sage ich.

Ich weiß gar nicht, warum, es kommt mir irgendwie aus. Weil mir in die Brust irgendwie am hygienischsten und schmerzlosesten erscheint, auch wenn viel Blut im Spiel sein wird.

– Okay.

Aber bei ihm wird’s wahrscheinlich nicht so viel sein, weil er nicht groß ist. Der Endsieg ist mir sowieso sicher.

Bisschen viel hab ich mir da aufgebürdet. Ich kann kaum die Arme bewegen, als wären beide eingegipst. Er aber: – Nein, Agata, nein, was machst du, hör auf, ich hab Angst, plappert Tim. Ich möcht es aber probieren, verdammt, wie schwer kann das sein? Warum hab ich nicht vorhin? Wär sicher leichter gewesen, als Action war. Nein, ich hab eine Scheißangst gehabt, ich geb’s zu. Und jetzt hab ich die Bescherung, jetzt ist es noch schwerer, weil ich nicht aufgewärmt bin, und das da schaut völlig irreal aus. Als hätte es einer gezeichnet. Dabei ist das Timi. Nicht dass er mir leidtäte, aber das Ganze ist so irgendwie seltsam und hohl. Schon zwei Jahre wart ich drauf, aber jetzt ist alles zusammen ein bisschen – als müsste bei uns mal aufgeräumt werden! Dass etwas derart Verrücktes so banal, so schal werden kann, wenn man zu lange wartet, und dann noch dieses Hämmern in den Ohren! Wie kann es einem überhaupt einfallen, so was zu tun. Ich finde es nicht scheußlich, aber ich finde es bescheuert. Verdammt, ich bin schon komisch, was für ein Irrsinn hier. Aber was hätte es für einen Sinn, jetzt aufzuhören – wie soll er jetzt verstehen können, dass es sinnlos ist? Ich wär bloß eine Lusche in seinen Augen. Aber ich kann nicht – vor ihm. Er hat ganz richtig gesagt: wie viel hat er schon für mich getan.

Ich stupfe Tim mit dem Messer, idiotisch, nur ein bisschen. Nicht fest. Er windet sich und kreischt und wirft sich herum, als hätt ich weiß ich was getan. Jau, was für ein Mist. Da kommt kaum Blut. Ich schaue ihn an, vielleicht müsste ich nochmal. Unter meinen Händen windet er sich aus dem Winkel heraus und beginnt auf dem Bett zu rennen, ich denke – NEIN! – das ist nicht wahr, ich stoße dauernd mit dem Messer nach ihm, fuchtle durch die Luft ins Leere, als wär ich nicht normal! Und warum muss ich jetzt so idiotisch lachen? Ich lach mir einen Ast! Ich bin ja nicht bei mir! Er kreischt dort das Bett rauf und runter, und ich lache und fuchtle mit dem Messer in der Luft herum! Was soll das jetzt! Das ist ja wie bei den Verrückten!

Ich geb das Messer wieder Jeremija, ich kann überhaupt nicht aufhören mit Lachen, ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich schüttle dauernd den Kopf. Das kann so nicht sein. Es ist mir noch nicht mal peinlich, es ist nur, als wär ich ein wenig bekifft. Was spielt sich da bei mir ab?

– Da, du bist dran. Bring du es zu Ende, das ist was für Kerle, sage ich und lache.

Jeremija ist vielleicht nicht ganz zufrieden, aber scheiß drauf, okay, ich hab mitgearbeitet, hab mir echt Mühe gegeben. Umso mieser gelaunt beugt er sich über ihn und packt ihn an den Haaren, zieht ihm den Kopf mit aller Gewalt zurück, sodass ich wieder fast ein wenig Angst kriege, warum muss er das tun. Will er mir was beweisen? An dem Kleinen braucht er das nicht! Ich dreh mich direkt zur Seite, weil es mich vor Lachen biegt, aber Mist, gerade im falschen Moment, aber ich bin selbst schuld, denn genau da macht er es, weil Tim nur noch einmal aufbrüllt und dieser, naja, Schrei sich schon im nächsten Moment in einen total seltsamen Ton verwandelt, etwas zwischen Knarren und Keuchen, und ein paar Schläge sind noch zu hören, so auf der Matratze und gegen die Wand. Jeremija hat jetzt schon den Türgriff in der Hand, und mich treibt er einfach zur Tür, weil dieser Ton so seltsam ist, dass es sich anhört, als würde einer kotzen, ein total unangenehmer Ton. Ich schwör, ich hab nicht mal hingeschaut, war nicht nötig, um zu wissen, dass er ihm den Hals durchgeschnitten hat; ich hätt wenigstens gern mal gesehen, wie das spritzt, aber ich hab’s nicht fertig gebracht, also hab ich die Gelegenheit versäumt. Aber was dieses Lachen angeht, wird man was machen müssen, denn mir ist ja auch gar nicht danach, zu lachen, ich bin zu nervös, was bin ich bloß für ein Weichei! Aber ich hab Stil. Ich bieg mich förmlich, so lacht es mich. Was geht hier vor sich! Das ist ja Wahnsinn.

Ich würd ein wenig Musik brauchen, ein wenig Musik, um zu mir zu kommen, denn das gibt’s ja nicht.

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Hätt mir nie gedacht, was das für ein Schwein ist, überleg ich, als ich die Spindtür aufmache. Petruša ist irgendwie schweigsam, als würd sie schmollen. Es ist ja, denk ich, wirklich krass. Was mach ich hier? Was mach ich wirklich hier, im Ernst? Da greifen sich doch alle ans Hirn. Gestern, danach – schau, ich hab die Augen zu, im Bett. Ich bin nackt und find es fein, dass ich mir den ganzen Abend trotzdem nicht das Makeup verdorben hab, wenigstens einen Nutzen hat diese unvorhergesehene Bremsung gehabt. Ich hab gewartet. Hab nur auf Jeremija gewartet, da, deine kleine Hexe wartet auf dich, jetzt gehör ich wirklich ganz dir und sonst keinem. Du hast es geschafft, das hast du dir jetzt verdient, jetzt wirklich, ich kann nicht nein sagen. Ich meine, wir haben so was in der Art ja schon probiert, aber es ist uns irgendwie nie richtig gelungen, mich hat was gebremst, ich weiß nicht, warum. Aber jetzt wär’s nicht verkehrt, denke ich, ich weiß es. Jetzt wär alles genau so, wie es sein muss, wir würden uns lieben, du mein blutiges Raubtier, ha! Jetzt sind wir allein! Na, und – was macht dieser Sack? Was macht dieses Weichei? Dieser Wicht! Dieser Motherfucker!

– Agata, ich hau ab, ich werd jetzt abhauen, ich kann nicht mehr hier sein! hör ich eine Stimme aus dem Gang.

Ich nichts wie raus aus dem Bett und aus dem Zimmer. Man glaubt ja seinen Ohren nicht, jetzt rauscht’s da drin erst, viel mehr als vorher. Wie das, in welchem Sinn kann er nicht mehr hier sein? Und ich soll können? Was macht der jetzt? Der will doch nicht am Ende alles versauen? Nägel mit Köpfen.

Von der Galerie aus hab ich ihn gesehen, wie er sich in der Küche die Hände wäscht, ganz grün im Gesicht. Davor war er das nicht. Kein bisschen, das wüsst ich noch. Jetzt aber, ganz grün und nervös, als Kontrast zu dem Blut, von dem die Bude voll ist, wie diese Chirurgen in Emergency Room. Wer putzt das alles weg?

− Red keinen Blödsinn! sage ich, so leger wie es geht. – Komm jetzt rauf! Die Nacht ist noch jung! sage ich und breite beide Arme über dem Wohnzimmer aus. Da hast du mich, da bin ich, mit langem, schwarzem Haar, ich herrsche über diesen Raum, seit Kurzem, das ist wahnsinnig geil, und das Wohnzimmer ist total verwüstet, ha, schau hin, was ich mit Witchcraft gemacht hab. Was ich alles kann! Spitze! He! Alles ist genau so, wie ich gewollt hab. Das heißt, was ist in den jetzt gefahren? Wie kann das sein? Was ist für ihn hier jetzt nicht in Ordnung?

Komm schon, der Teufel soll jetzt nicht irgendwo im Detail stecken. Das hat überhaupt keinen Sinn, jetzt echt nicht mehr.

– Sorry, sagt Jeremija und weicht zur Tür zurück, auch er hat Angst, vor meiner Kraft, viel zu heftig für ihn, er schlüpft einfach in seine Jacke.

– Wo willst du denn hin? Bist du total hinüber?

– Bei Bočko ist ein Fest, da ist sicher noch was los. Ich schau mal hin. Ich muss unter Leute, ich halt’s hier nicht aus, das ist mir zu steil. Und ich brauch Stoff. Ich brauch jetzt dringend Stoff.

Der spinnt doch! Jetzt? Und ich? Wo ist hier der Dual?

– Okay, ich geh mit! sage ich, so cool es geht. – Aber wart ein bisschen, ich zieh mir schnell was an!

Aber die Tür fällt zu, wumm, er sagt nicht buh und nicht muh. Ich gaffe ihm nur nach. Was hat er denn? Das ist doch zum Haareraufen!

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In meinen Ohren hallt es immer noch ein bisschen. Mir ist flau, ich hab nicht geschlafen. Was mach ich hier? Die Lehrerin redet irgendwas.

Noch eine ganze Weile, ziemlich lang, hab ich Musik gehört, Sufjan, und dann noch eine Zeit lang Temnozor, damit sie mir Power geben; dann hab ich Mamas Karte genommen, schnell die Schminke nachgesehen und mich angezogen und bin gegangen. Ich bin zum Bankomat und hab fünfhundert Euro abgehoben, um wenigstens alles im Griff zu haben, solange die Karte noch gilt; ich muss überleben, wenigstens noch ein paar Tage. Ich bin durch die Gassen gegangen, wie eine Queen, mir war alles scheißegal, es war Nacht. Niemand hat an mir was auszusetzen gehabt. Dann hab ich Krištof angerufen, ob sich Jeremija gemeldet hat, um Stoff zu kaufen. Er war wahnsinnig mürrisch, total daneben, aber von Jeremija hat er nichts gewusst. Ich hab mich ein wenig auf den Blumentrog vorm Mercator gesetzt und eine Zigarette geraucht, dann hab ich ein Taxi gerufen und bin zu Vučko gefahren, ob zufällig Jeremija bei ihm was gekauft hat. Vučko trifft fast der Schlag, als er mich um die Zeit sieht. Hat mich ständig gefragt, wo meine Alten sind – hat wohl Angst gehabt, dass ihm die Polizei Scherereien machen könnte – aber ich hab ihm nichts gesagt. Von Jeremija hat er auch nichts gewusst, der Typ war wie vom Erdboden geschluckt, und er hat mich nur angegafft und mir die Tür nicht ganz aufmachen wollen. Ich hab ihn angesehen, die Fratze dort in der Tür, und war ein wenig down.

Ich hab’s dann bloß fair gefunden, schließlich hab ich ihn ja aus dem Bett geholt, wenn wenigstens ich ihm ein wenig Stoff abkaufe. Wenn ich schon Zaster hab. Er hat mich reingelassen; mir am Ende sogar einen Tee gekocht, weil er gesehen hat, dass ich down bin, und mir den Tisch für zwei Lines geliehen.

Ich war gleich wieder die Zauberin und Göttin.

Ich bin durch die Gassen gegangen, und die Nacht war überhaupt keine Nacht mehr. Sie war hell und irre, ganz aus Neon, und der Asphalt weich wie eine sorgfältig, mit Liebe ausgebreitete weiße Baumwolldecke. Und ich bin auf ihr geschwommen wie die Fähre Baška-Lopar. Verrückt. Aber ich hätt’s lieber mit Jeremija getan. Oder wenigstens mit Petruša.

Irgendwo muss was los sein.

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Die zwölfjährige P. V. hat ausgesagt, dass die Angeklagte um vier Uhr früh auf ihrem Handy angerufen und sie gefragt habe, wo G. B. wohnt. Sie habe es ihr gesagt, und weil ihr aber die Erkundigung um diese Uhrzeit ungewöhnlich erschienen sei, habe sie sie gefragt, wo ihre Eltern seien. Die Angeklagte habe geantwortet, dass sie und der Angeklagte „die Arbeit erledigt“ hätten bzw. „mit der Arbeit fertig“ seien. Auf weiteres Nachfragen sei sie heimlichtuerisch geworden und hätte gesagt, dass sie schon noch alles im Fernsehen sehen bzw. morgen hören würde.

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– Agata, hallo.

– Jeremija, du Saukerl! Bist du verrückt? Wo bist du? Sag bloß, du bist wirklich in Idrija!

– Noch nicht. Ich bin bei Godovič. – Woher weißt du es?

– Was soll das, bist du verrückt? Was machst du dort? Warum hast du mich nicht mitgenommen?

(schnief)

– Warum hebst du nicht ab? Drei SMS hab ich dir geschickt. Hab sicher sieben Mal angerufen. Ich war bei Bočko, um halb fünf.

– Sorry, Agata, ich hab’s verbockt.

– Ja, du hast es echt verbockt, verdammt nochmal, du hast es verbockt.

(Knödel im Hals)

– Ich hab’s nicht gepackt, Agata. Mir hat das ganz einfach nichts gebracht. Ich war mir sicher, dass es das wird, aber dann bin ich einfach – ausgerastet, und es ist nicht mehr gegangen. Bist du okay?

– Wie, hat dir nichts gebracht? Was redest du für einen Mist? Du hast doch gewütet, du warst wie Gott. Denkst du, ich hätte das allein zusammengebracht? Du aber … wie Marilyn Manson. – Und was machst du dort? Hast du irgendwo jemanden?

– Heh, du, Jeremija, mach keinen Scheiß. Du bist der King. Warum bist du abgehauen?

– Wohin bist du abgehauen? Vor dem Kleinen?