Drei Alfred Bekker Kriminalromane: Meer Krimis

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2017.

Inhaltsverzeichnis

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Meer Krimis: Drei Alfred Bekker Kriminalromane

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Ein Fall für den Norden

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Prolog

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Der Killer von Hamburg: Kriminalroman

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Ein Killer in Marseille

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Further Reading: 1746 Seiten Thriller Spannung: Das Alfred Bekker Krimi Sommer Paket 2017

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Meer Krimis: Drei Alfred Bekker Kriminalromane

Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Dieses Buch enthält folgende drei Krimis:

Alfred Bekker: Ein Fall für den Norden

Alfred Bekker: Der Killer von Hamburg

Alfred Bekker: Ein Killer in Marseille

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Authors

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Ein Fall für den Norden

Kriminalroman von Alfred Bekker

Kommissar Ubbo Norden ermittelt.

Der Umfang dieses Buchs entspricht 120 Taschenbuchseiten.

Kommissar Ubbo Norden ermittelt mit seinem Kollegen Jan Slieter in einem Fall von illegaler Giftmüllentsorgung. Ein Schiff, dass den Emder Hafen verlässt, wird aufgebracht. Aber an Bord befinden sich nicht nur Fässer mit Giftmüll, sondern auch die sterblichen Überreste einer seit langem vermissten Frau.  Nun nimmt der Fall eine überraschende Wende, denn die Jagd nach dem Mörder ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

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Prolog

Ich komme aus dem Norden. Und ich heiße auch so: Ubbo Norden, Kommissar bei der Kripo Emden.

Mein Kollege, mit dem ich immer unterwegs bin, ist Kommissar Jan Slieter.

Und unser Chef, das ist der Herr Menninga.

Jo.

Und mehr gibt es im Moment auch nicht zu sagen.

Denn zu den toten Frauen und dem Schiff, auf dem man sie gefunden hat, komme ich ja noch.

Immer schön der Reihe nach, würde ich sagen.

Geschwätzigkeit ist nicht so mein Ding, müssen Sie wissen.

Echt nicht.

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Der Frachter PRIDE OF EMDEN hatte den Hafen von Emden gerade verlassen. Unsere Aktion war sorgfältig und bis ins letzte Detail geplant, aber aus irgendeinem Grund hatte das Schiff eine Viertelstunde früher abgelegt und befand sich jetzt auf halbem Weg nach Delfzijl in Holland.

Ein heftiger Wind blies über den Dollart.

Das Wasser war grau.

Der Himmel auch.

Salzgeruch hing in der Luft.

Möwen kreischten.

PRIDE OF EMDEN...

Der Stolz von Emden.

Der Name des Schiffes war ein Shakespeare-Zitat.

Um 1600 herum, das war Emdens beste Zeit. Mit über 400 Schiffen war die Stadt einer der größten Häfen Europas gewesen. Vor den Spaniern geflohene Kaufleute aus den Niederlanden hatten Emden zu einem nie wieder erreichten Wohlstand gebracht.

Einem Wohlstand, der sprichwörtlich wurde und dadurch seine Spuren in Shakespeare-Dramen hinterließ.

Jemand, der was bei der Reederei zu sagen hatte, musste ein belesener Mensch sein.

Und da sage noch einer, Verbrecher seien grundsätzlich ungebildet.

Megafonstimmen ertönten und vermischten sich mit den Motorengeräuschen von Schnellbooten. Ich konnte kaum verstehen, was sie sagten, was daran lag, dass ich mich zusammen mit einigen anderen Einsatzkräften an Bord eines Helikopters befand, der sich im Anflug auf die PRIDE OF EMDEN befand. Der Helikopter-Piloten ließ die Maschine auf dem Ladedeck nieder gehen.

Die Besatzung an Deck wirkte wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Eine MPi knatterte. Das Mündungsfeuer leckte blutrot aus dem kurzen Lauf einer Uzi heraus. Ein paar Projektile schlugen dicht über mir in die Außenpanzerung des Helis ein. Ein weiterer Schuss blieb im Spezialglas der Scheibe stecken.

Der Heli setzte auf.

Ich stürzte durch die offene Außentür hinaus. Die Dienstwaffe hielt ich mit beiden Händen. Ich riss die SIG Sauer P226 hoch und feuerte kurz hintereinander fünf Schuss aus dem Magazin.

​  2

Ich duckte mich, feuerte erneut. Dicht hinter mir befanden sich meine Kollegen Jan Slieter und Fred Van Larrelt. Alle an diesem Einsatz beteiligten Kommissaren trugen Kevlar-Westen und waren über Headset miteinander verbunden.

Der Kerl, der mit der Uzi auf uns geschossen hatte, ballerte jetzt nahezu ungezielt in der Gegend herum. Er schwenkte die Waffe seitwärts, während er vorwärts stolperte. Seine Komplizen schwenkten ebenfalls die Waffen. Automatische Pistolen, Pump Guns und MPis unterschiedlicher Fabrikate waren darunter.

Tonnenweise Sondermüll befand sich an Bord der PRIDE OF EMDEN, einem Frachter, der seine beste Zeit sicherlich hinter sich hatte. Im Verlauf von monatelangen Recherchen war die Kripo Emden in Zusammenarbeit mit dem BKA einer Organisation auf die Spur gekommen, die Giftmüll illegal entsorgte. Dieser Zweig des organisierten Verbrechens, auch Müll-Mafia genannt, hatte längst mit den traditionellen Betätigungsfeldern des organisierten Verbrechens wie dem Drogen- und Waffenhandel gleichgezogen. Die Gewinnspannen waren enorm, wenn giftige Industrieabfälle, die eigentlich teuer hätten entsorgt werden müssen, einfach auf einem von Strohmännern angekauften Industriegelände abgestellt oder in ein Entwicklungsland ausgeschifft wurden, wo die Vorschriften weniger streng waren. Durch eine Abhöraktion hatten wir von der illegalen Fracht der PRIDE OF EMDEN erfahren. Zeitgleich mit unserem Einsatz liefen an einem halben Dutzend anderer Orte Durchsuchungs- und Verhaftungsaktionen.

Schüsse peitschen an uns vorbei.

Mehrere Schnellboote der Küstenwache und der Hafenpolizei hatten inzwischen längsseits der PRIDE OF EMDEN angelegt.  Die Einsatzkräfte stiegen an Bord.

Spätestens jetzt war für die Bewaffneten an Deck der PRIDE OF EMDEN klar, dass sie keine Chance hatten.

Der Kerl, der mit der MPi auf uns geschossen hatte, ergab sich. Ein Mann mit einer Pump Gun gab einen letzten, schlecht gezielten Schuss in unsere Richtung ab, bevor er in einer Ladeluke verschwand.

Die anderen waren vernünftiger und hoben die Hände.

Unser Kollege Kilian Carstensen, der Einsatzleiter bei dieser Aktion, stieg zusammen mit seinem Partner Johnny Volkert und anderen Beamten über die Reling der PRIDE OF EMDEN.

Bald darauf klickten die ersten Handschellen.

Jan Slieter und ich stürmten die Treppe hinauf zur Brücke. Fred Van Larrelt war uns dicht auf den Fersen. Jan riss die Tür auf, ich stürzte mit der SIG in beiden Händen hinein.

Kapitän, Steuermann und ein Bewaffneter befanden sich auf der Brücke der PRIDE OF EMDEN. Der Bewaffnete war ein breitschultriger Kerl mit roten Haaren, über dessen linker Schulter eine Uzi hing. Er griff zur Waffe, riss die äußerst zierliche Maschinenpistole herum und drückte ab.

Ich feuerte einen Sekundenbruchteil früher als er. Die erste Kugel aus meiner SIG erwischte ihn an der Schulter und riss ihn zur Seite. Er taumelte. Sein eigener Schuss wurde verrissen. Anstatt mich zu perforieren, stanzten die relativ kleinkalibrigen Uzi-Projektile eine Spur von kleinen Löchern in die Wand und ließen schließlich auch noch eine Scheibe zerspringen.

Der Rothaarige taumelte zwei Schritte zurück, prallte gegen eine Wand und riss seine Waffe noch einmal hoch, während er zu Boden rutschte.

Ich ließ es nicht dazu kommen, dass seine MPi noch einmal losknatterte. Mein zweiter Schuss traf ihn mitten im Oberkörper.

Regungslos sackte der Rothaarige vollends zu Boden. Seine Augen waren starr, der Mund halb geöffnet.

Ich trat näher und stellte fest, dass er nicht mehr lebte.

„Er hat dir keine andere Wahl gelassen“, stellte Jan fest.

Kapitän und Steuermann standen wie angewurzelt da. Fred Van Larrelt tastete sie kurz ab und stellte beim Steuermann eine  Waffe vom Kaliber neun Millimeter sicher.

Der Kapitän war unbewaffnet.

„Sie sind verhaftet“, erklärte mein Kollege Jan Slieter ihnen. „Alles, was Sie von nun an sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden, falls Sie nicht von Ihrem Recht zu schweigen Gebrauch machen...“

„Wir werden uns nicht äußern, bevor wir nicht mit einem Anwalt gesprochen haben“, erklärte der Kapitän.

„Das ist Ihr gutes Recht“, sagte Jan. „Aber Sie sollten auch bedenken, dass es juristisch sehr viel günstiger für Sie ausgehen kann, wenn Sie sich zu einer frühen Aussage entschließen. Denn irgendjemand unter den schätzungsweise fünfzig oder sechzig Verhaftungen, die im Moment gerade durchgeführt werden, wird reden.“

„Fragt sich nur, wer sich zuerst dazu entschließt“, ergänzte ich.

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Alle Maschinen wurden auf Stopp geschaltet. Aber bis ein Schiff wie die PRIDE OF EMDEN ihre Fahrt spürbar verlangsamte, dauerte es eine Weile. Glücklicherweise hatten wir Unterstützung durch die Hafenpolizei. In deren Reihen gab es Mitarbeiter, die ein Schiff von dieser Größe führen konnten.

Da sich sowohl der Kapitän als auch der Steuermann weigerten, uns in irgendeiner Form zu unterstützen, blieb uns nichts anderes übrig, als zu warten, bis zwei dieser Beamten auf der Brücke eintrafen und die Führung des Schiffes übernahmen.

Wir führten die Gefangenen ab. Auf dem Hauptdeck wurden sie von Kollegen in Empfang genommen, die sie auf Boote der Hafenpolizei verfrachteten.

Unser Kollege Kilian Carstensen kam uns entgegen.

„Das dürfte einer der größten Schläge gegen die Müllmafia seit mindestens einem Jahr sein“, meinte er.

„Wir wollen den Tag nicht vor dem Abend loben“, erwiderte ich. „Erst wenn sich die vermuteten Giftfässer tatsächlich an Bord der PRIDE OF EMDEN befinden, haben wir eine juristische Handhabe – und dann fragt sich immer noch, ob uns nur ein paar kleine Fische ins Netz gegangen sind, oder wir endlich auch an die Hintermänner herankommen, die diese miesen Geschäfte aufziehen!“

„Das werden wir schon“, versprach der flachsblonde Kilian.

Er machte plötzlich ein angestrengtes Gesicht.

Offenbar bekam er eine Meldung über sein Headset.

„Was ist los, Kilian?“, hakte Jan nach.

„Mindestens einer der Kerle verschanzt sich noch unter Deck“, berichtete Kilian.

Ich hob die Augenbrauen.

„Der Kerl, der versucht hat, unseren Helikopter mit seiner Uzi aus der Luft zu holen?“, hakte ich nach.

Kilian nickte.

„Ganz genau.“

Dumpfe Laute dröhnten jetzt aus dem Inneren der PRIDE OF EMDEN. Schussgeräusche.

„Ein paar Kollegen sind ihm bereits unter Deck gefolgt...“, erklärte Kilian.

„Hört sich an, als bräuchten die ein bisschen Unterstützung!“, mischte sich Jan ein.

Im nächsten Augenblick meldete sich einer der Kollegen über Headset. Er hieß Marvin Pätzold, war vor zwei Monaten zu uns versetzt worden. Aber Kommissar Pätzold kam gar nicht mehr dazu, seinen Bericht abzugeben.

Noch ehe er den ersten Satz vollendet hatte, hörten wir  alle den Knall über die Headsets. Dann war Stille. 

Ich sah, wie Kilian unwillkürlich die Hand zur Faust ballte.

„Verdammt“, murmelte er.

​  4

Ich stieg die Treppe hinunter, die Dienstwaffe in der rechten. Meine Kollegen Jan Slieter und Fred Van Larrelt folgten mir. Etwas später folgten noch die Kommissaren Tamme Kronburg  und Edzard Carell.

Mit den Dienstwaffen im Anschlag arbeiteten wir uns in den engen Gängen des Zwischendecks vor. An insgesamt fünf Positionen waren Kollegen von uns ins Innere der PRIDE OF EMDEN eingedrungen, um den Uzi-Schützen aufzuspüren.

„Ich frage mich, warum dieser Kerl hier so ein Theater veranstaltet", raunte Jan mir zu. „Sich jetzt noch da unten einzuigeln, grenzt doch schon fast an eine Art Amoklauf!“

Jan hatte Recht und genau dieser Punkt hatte auch mich stutzig gemacht.

Natürlich hatten wir es auch immer wieder mit psychopathischen Tätern zu tun, denen es wichtiger war, ihren eigenen Tod wirkungsvoll zu inszenieren, als zu überleben. Gestörte Persönlichkeiten, für die Polizisten letztlich nur manipulierbare Größen darstellten, die Rollen von Statisten in einer selbstmörderischen Inszenierung einnahmen.

Aber im Bereich der organisierten Kriminalität kam dieser Tätertyp nur in Ausnahmefällen vor. Normalerweise ergaben sich Täter, wenn sie gestellt wurden und tatsächlich  keinerlei Chance mehr bestand, aus der Situation herauszukommen. Ein großartiges Blutbad anzurichten machte auch im Hinblick auf die juristische Behandlung des Falles keinen Sinn, denn wenn sie auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft aus waren, mussten sie sich kooperativ verhalten.

Das Verhalten des Uzi-Schützen mache also nur unter der Voraussetzung Sinn, dass er tatsächlich glaubte, noch irgendeine Fluchtoption zu haben.

Oder es ging um die Vernichtung von Beweismitteln...

In jedem Fall war es wichtig, dass wir diesen Job so schnell wie möglich erledigten. 

Der einzige ungefähre Anhaltspunkt für den gegenwärtigen  Aufenthaltsort des Uzi-Killers war die letzte Position von Kommissar Marvin Pätzold. Wir hatten sein Handy angepeilt. Das Signal kam aus einem der großen Lagerräume im Bauch der PRIDE OF EMDEN. Über Headset erreichte uns eine Meldung unseres  Kollegen Johnny Volkert, der sich dem Hauptladeraum zusammen mit ein paar weiteren Kollegen von der entgegengesetzten Seite näherte.

Wir arbeiteten uns weiter vorwärts, sicherten uns gegenseitig und erreichten schließlich den Hauptladeraum. Er war gefüllt mit Fässern unterschiedlicher Größe. Ein unangenehmer, stechender Geruch hing in der Luft. Wir fanden Kommissar Marvin Pätzold.

Er lag auf dem Boden zwischen zwei Fässern, die schon ziemlich verrostet waren. Jan und ich ließen den Blick schweifen und hielten dabei die Dienstwaffen mit beiden Händen. Fred Van Larrelt kümmerte sich um Kommissar Pätzold.

Er lebte nicht mehr.

Ein halbes Dutzend Schüsse hatten ihn durchsiebt.

„Verdammt“, murmelte Fred. Er gab eine kurze Meldung per Headset an die Einsatzleitung.

In diesem Moment nahm ich eine Bewegung war. Der Uzi-Schütze tauchte hinter einem der Fässer hervor. Die Maschinenpistole knatterte los. Jan und ich schossen annähernd im selben Moment zurück. Der Uzi-Schütze taumelte zurück. Sein Körper zuckte unter unseren Treffern. Er schlenkerte mit dem Lauf seiner Waffe unkontrolliert herum, während sich gleichzeitig weitere Schüsse lösten. Projektile stanzten sich in die Blechwände des Laderaums. Teile der Beleuchtung zersprangen und Glassplitter von Neonröhren regneten zu Boden.

Offenbar trug der Uzi-Schütze unter seiner Kleidung eine Kevlar-Weste. Er ließ Jan und mir keine Wahl, als unablässig abzudrücken. Erst ein Treffer am Kopf schaltete ihn aus. Er taumelte gegen eines der Fässer. Eine letzte Sequenz von Schüssen löste sich aus dem kurzen Lauf der Uzi und durchlöcherte zwei Fässer. Aus den Einschusslöchern quoll eine gelbliche Flüssigkeit hervor.

Dann strauchelte der Uzi-Schütze zu Boden.

Jan und ich näherten uns vorsichtig.

Fred Van Larrelt folgte uns.

„Wir haben ihn!“, meldete ich über Funk an Johnny und die anderen weiter.

Wir fanden den Uzi-Schützen schließlich reglos am Boden liegen. Das Blut, das aus der Wunde an seinem Kopf austrat, vermischte sich mit der übelriechenden gelblichen Flüssigkeit, die aus den durchlöcherten Fässern heraus quoll.

Seine Augen blickten starr und tot zur Decke. Ich steckte die Waffe ein, packte ihn an den Füßen und zog seinen Körper aus der anwachsenden gelben Lache heraus, während Jan über Funk Unterstützung anforderte.

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„Er hat uns keine Chance gelassen“, sagte ich zehn Minuten später an Kilian gewandt. „Es war fast so, als ob der Kerl es darauf angelegt hat, dass wir ihn erschießen!“

„Es macht euch auch niemand einen Vorwurf, Ubbo!“, stellte  Kilian klar.

Über Funk meldete sich ein Kollege der Hafenpolizei. Das Schiff war unter Kontrolle, sollte jetzt drehen und anschließend zurück nach Emden fahren.

Kollegen des Erkennungsdienstes waren von Anfang an Teil der Operation gewesen. Mehrere Chemiker untersuchten stichprobenartig den Inhalt der Fässer, um abschätzen zu können, welche zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen waren.

Außerdem sahen sich mehrere Erkennungsdienstler auf der PRIDE OF EMDEN um, darunter unsere Kollegen Wilko Folder und Fokke Horster.

Tom Haase, der Einsatzleiter der SRD-Kräfte sprach uns an. Er trug einen Schutzanzug gegen austretende Giftstoffe. Eine Atemmaske hing ihm um den Hals und war jederzeit einsatzbereit.

„Es wäre gut, wenn der Laderaum so schnell wie möglich geräumt würde“, erklärte Haase an Kilian Carstensen gerichtet. „Wir wissen noch nicht, was hier alles an Chemikalien lagert – aber so, wie es aussieht handelt es sich um hochtoxische, stark ätzende Stoffe. Es ist gut möglich, dass da noch einige üble Überraschungen ans Tageslicht kommen, wenn wir die Fässer öffnen.“

„In Ordnung“, stimmte Kilian zu. „Wir überlassen Ihnen das Feld, Tom.“

Wir kehrten an Deck zurück, und ich war froh, wieder frei durchatmen zu können. Mitarbeiter der SRD brachten die Leichen des Uzi-Schützen und unseres Kollegen Marvin Pätzold an Deck.

Unser Beruf bringt gewisse Risiken für Leib und Leben mit sich und man kann nie ganz ausschließen, in einem gefährlichen Einsatz wie diesem umzukommen. Aber ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, dass Kollegen in Ausübung ihres Dienstes umkommen.

Zwei Monate war Kommissar Pätzold auf unserer Dienststelle tätig gewesen. Nur zwei Monate...

Einige der Kugeln, die ihn getroffen hatten, waren von der Kevlar-Weste abgefangen worden. Aber es gab auch einen Kopftreffer, der mit Sicherheit tödlich gewesen war.

Unser Kollege Edzard Carell durchsuchte die Kleidung des getöteten Uzi-Schützen. Der Blouson, der seinen Oberkörper bedeckte, war durch die Einschüsse zerfetzt. Darunter kam der graue Stoff einer Kevlar-Lage zum Vorschein.

Edzard stellte einen Führerschein sicher, der auf den Namen Henning Schmeding ausgestellt war.

„Ich würde nicht damit rechnen, dass dieser Mann seine wahre Identität angegeben hat“, meinte Edzard.

Falls der Name Henning Schmeding falsch war, so hatte dieser Mann ihn mit der Absicht gewählt, nicht aufzufallen. Auf den ersten Blick war der Führerschein nicht als Fälschung erkennbar.

„Ich frage mich, was dieser Mann sich davon versprochen hat, sich buchstäblich bis zum letzten Atemzug gegen eine Verhaftung zu wehren“, meinte Jan.

„Ich vermute, dass er nichts zu verlieren hatte“, gab ich zurück.

„Ein dicker Fisch?“

„Jedenfalls jemand, der nicht auf irgendeine Art von Entgegenkommen durch die Justiz hoffen konnte, Jan.“

„Wahrscheinlich hat der darauf spekuliert, sich irgendwo in den zahllosen Luken und kleinen Nebenstauräumen versteckt halten zu können, um dann vielleicht doch eine Chance zur Flucht wahrzunehmen.“

Auf jeden Fall erwartete ich, dass der Mann, der sich Henning Schmeding nannte, ein umfangreiches Dossier in den über das Datenverbundsystem zugänglichen Daten über Kriminelle vorweisen konnte.

​  6

Eine Dreiviertelstunde später legte die PRIDE OF EMDEN im Emder Hafen an. Dort warteten bereits weitere Einsatzkräfte auf, darunter auch der Gerichtsmediziner Dr. Broerke Remmers. Außerdem Spezialisten, deren Aufgabe es war, möglichst schnell zu analysieren, was genau sich in den Giftfässern befand, die die PRIDE OF EMDEN auf kriminelle Weise hatte entsorgen sollen.

Wir gingen an Land.

An Bord des Frachters hatten wir jetzt nichts mehr verloren. Nun schlug die Stunde der Experten und Wissenschaftler. Es musste haarklein rekonstruiert werde, wie Kommissar Pätzold gestorben war.

Von Kilian erfuhren wir, dass die ersten Verdächtigen, die an anderen Orten im Zusammenhang mit der PRIDE OF EMDEN zeitgleich festgenommen worden waren, bereits in unserer Dienststelle angekommen waren. Darunter auch Hinnerk Martensteen, der Geschäftsführer einer dubiosen Im- und Exportfirma.  Staatsanwalt Tamme Grotekerken war ebenfalls bereits eingetroffen, um deutlich zu machen, dass derjenige, der sich ohne Verzögerung dazu entschloss, das Schweigen zu brechen, mit Vorteilen rechnen konnte.

Wir wurden zurück zur Dienststellen beordert.

Als wir dort eintrafen, hatten die Verhöre des Kapitäns und des Steuermanns der PRIDE OF EMDEN bereits begonnen. Der Rest der Besatzung befand sich in Gewahrsam und zum Teil musste erst die jeweilige Identität mühsam festgestellt werden. Manche der Festgenommenen sprachen sehr schlecht Englisch. Es handelte sich um Seeleute, die unter wirklich abenteuerlichen Bedingungen angeheuert worden waren und kaum über die nötigsten Kenntnisse verfügten.

Das Gros schien von den Philippinen und aus Mittelamerika zu stammen, aber die Neigung dieser Männer, mit uns zusammenzuarbeiten, war nicht besonders groß. Erstens begriffen sie offenbar kaum, dass sie sich an einer Straftat beteiligt hatten und zweitens hatten sie nach Ansicht unserer Verhörspezialisten Angst.

„Sie ahnen nicht, dass jemand mutwillig ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt hat“, stellte unser Kollege Dirk Bakker fest, der mit einigen von ihnen gesprochen hatte. „Sie wurden hochgiftigen Stoffen ausgesetzt und verfügen über so gut wie überhaupt keine Kenntnisse darüber, wie man damit umgehen müsste oder wie man sich vor den Giften schützen kann.“

„Das ist wohl einer der Gründe dafür, weshalb eine Entsorgung an Bord der PRIDE OF EMDEN sehr viel günstiger ist als dies normalerweise der Fall wäre“, stellte ich fest.

Dirk nickte. Wir beobachteten durch eine Spiegelwand die Verhöre des Kapitäns und des Steuermanns. Der Kapitän hieß Rudolf Jordan. Er weigerte sich, irgendwelche Aussagen zu machen. Die PRIDE OF EMDEN gehörte einer Holding, die wiederum mehrheitlich Eigentum einer Briefkastenfirma war, die ihren Stammsitz auf den Cayman Islands hatte.

„Die wahren Besitzer werden wohl nicht so leicht festzustellen sein“, meinte Jan. „Es könnte durchaus sein, dass Kapitän Jordan darüber gar nichts weiter weiß.“

„Oder wissen will“, setzte ich hinzu.

Jan zuckte mit den Schultern. „Also ein Fall für Tjark.“

Unser Kollege Tjark Petersen war in unserer Dienststelle der Spezialist für Betriebswirtschaft. Er wusste, wie man Finanzströme verfolgte, was bei Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität einen immer wichtiger werdenden Stellenwert bekommen hatte. Oft war es nur auf diese Weise möglich, kriminelle Verflechtungen aufzudecken.

Unser Kollege Kommissar Jörn Dahl führte das Verhör durch. Er gehörte zu den jüngeren in unserer Dienststelle. Dirk Bakker hielt allerdings große Stücke auf ihn. Außer Dahl war noch Staatsanwalt Grotekerken anwesend, der sich allerdings nicht weiter einmischte.

„Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass Sie nicht gewusst haben, dass die PRIDE OF EMDEN zu einem illegalen Giftmüll-Transport benutzt wurde“, sagte Dahl. „Zu diesem Zeitpunkt sind Kollegen von uns in Ihrer Wohnung in Newark und stellen dort alles auf den Kopf. Jede Kontobewegung wird von unseren Spezialisten genauestens unter die Lupe genommen und wenn  Sie noch irgendeine Chance haben wollen, um mit der Staatsanwaltschaft zu einer Übereinkunft zu kommen, dann sollten Sie jetzt auspacken. Sonst ist es zu spät...“

„Ich verweigere Aussage“, erklärte Kapitän Jordan. 

„In den Daten, die uns zugänglich sind, wird eine Anklage wegen Versicherungsbetruges vermerkt.“

„Das Verfahren wurde eingestellt.“

„Sie sollen einen Frachter mit dubioser Ladung absichtlich vor der nigerianischen Küste auf Grund gesetzt haben. Man warf Ihnen Versicherungsbetrug vor.“

„Wie gesagt, das Verfahren wurde eingestellt!“

„Eigner des Schiffes war eine Rederei aus Liberia, die einer Holding gehörte, die wiederum hundertprozentige Tochter der International Cargo Holding auf den Cayman Islands war, als deren Geschäftsführer ein gewisser Hinnerk Martensteen fungierte!“

„Wenn Sie das sagen!“

„Seltsamerweise ist die PRIDE OF EMDEN Eigentum einer anderen Firma, als deren Geschäftsführer ebenfalls ein gewisser Hinnerk Martensteen eingetragen ist, dem außerdem noch eine dubiose Im- und Exportfirma gehört, die hier im Hafen von Emden ansässig ist.“

Jordan beugte sich nach vorn. Seine Augen wurden schmal und er sprach beinahe, ohne dass sich seine Lippen überhaupt bewegten. Sie bildeten einen fast geraden Strich, während er zwischen den Zähnen hervorpresste: „Dann befragen Sie doch verdammt noch mal diesen Herr Martensteen und nicht mich!“

Jetzt mischte sich Staatsanwalt Tamme Grotekerken ein.

„Keine Sorge, das geschieht bereits“, versicherte er. „Genau jetzt in diesem Moment in einem unserer anderen Vernehmungszimmer. Und bevor Sie sich von Herr Martensteen einen Anwalt bezahlen lassen, sollten Sie darüber  nachdenken, dass Ihre Aussage jetzt der Staatsanwaltschaft noch ein deutliches Entgegenkommen wert sein könnte...“

In dem Vorraum, in dem sich Jan und ich befanden, öffnete sich die Tür. Sie flog förmlich zur Seite. Ein kleiner, gedrungen wirkender Mann mit hoher Stirn trat ein. „Roger W. Sundback von Peter-Ferdinanden, Sundback & Partners. Ich bin der Anwalt von Kapitän Jordan. Die Fragestunde ist damit vorbei! Ich will mit meinem Mandanten unter vier Augen reden.“

​  7

Als Jan und ich eine Stunde später in dem Dienstzimmer saßen, das wir uns miteinander teilten, kam Kommissar Tadaeus Ulfert, ein Kollege aus der Fahndungsabteilung unseres Innendienstes herein. 

Die Identität des Uzi-Schützen war geklärt.

„Henning Schmeding heißt in Wirklichkeit Henning Martini“, erklärte Tadaeus. „Er ist seit zehn Jahren untergetaucht. Ihm werden ein halbes Dutzend Morde im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen nachgesagt. Bei mindestens drei Fällen ist die Beweislage sehr eindeutig.“

„Kein Wunder, dass er auf keinen Fall in die Hände der Justiz geraten wollte“, stellte Jan fest. Er wandte den Kopf in meine Richtung. „Du hattest Recht, Ubbo.“

„Das kannst du laut sagen!“

„Er hatte einfach nichts zu verlieren.“

„Für wen hat Martini zuletzt gearbeitet?“, fragte ich an Tadaeus Ulfert gerichtet und nippte dabei an meine Kaffeebecher.

„Der letzte Fall, mit den wir ihn in Verbindung bringen konnten, ereignete sich in Bremen”, stellte Tadaeus fest. „Ich habe euch die Unterlagen auf den Rechner geschickt.“

„Danke.“

„Ein gewisser Miles Sorenson wurde vor sechs Monaten in einem Motel ermordet.“

„Müsste man diesen Sorenson kennen?“, fragte ich.

„Tjark sagt, dass er bei einem halben Dutzend Unternehmungen Martensteens Geschäftspartner und Teilhaber war. Wir vermuten, dass er im Auftrag von Martensteens Müll-Mafia Industrie-Brachen von Strohmännern aufkaufen ließ, um dort Kunststoffabfälle illegal zu lagern.“

Eine alte Masche dieses im wahrsten Sinn des Worts schmutzigen Gewerbes. Der Strohmann tauchte dann irgendwann unter und oft fiel der illegal deponierte Müll erst auf, wenn  es zu Vergiftungen des Grundwassers kam, sich Anwohner über Geruchsbelästigungen beschwerte oder sogar ein Feuer ausbrach. Spontane Selbstentzündungen waren bei unsachgemäß gelagerten Kunststoffabfällen durchaus wahrscheinlich. Das dabei entstehende Dioxin war hoch-toxisch und gehörte zu den giftigsten Substanzen überhaupt. Wenn es dann zur Katastrophe kam, waren die Strohmänner natürlich längst untergetaucht und die Ermittlungen verliefen leider oft genug im Sande, weil sich einfach nicht genügend konkrete Spuren finden ließen.

Jan und ich nahmen uns die Daten über den Mord in Bremen vor. Es war so gut wie sicher, dass Martini der Mörder war, denn er hatte reichlich DNA am Tatort hinterlassen. Es hatte einen Kampf mit Miles Sorenson gegeben und der hatte Martini durch einen Schuss ins Bein verletzt. Martini war entkommen und hatte sich offenbar in irgendeiner verschwiegenen Privatambulanz behandeln lassen. Die Behörden hatten nie herausfinden können wo.

Das ganze geschah, kurz bevor Sorenson hatte aussteigen und sich einem V-Mann der Bremer Polizei hatte anvertrauen wollen.

Das Motiv für Hinnerk Martensteen, Sorenson aus dem Weg räumen zu lassen, lag also auf der Hand.

„Können wir Martensteen mit Martinis Tat in Verbindung bringen?“, fragte ich an Tadaeus gewandt.

„Das wird schwierig, wenn wir keine zusätzlichen Beweise oder Zeugenaussagen haben“, glaubte der Innendienstler aus der Fahndungsabteilung.

​  8

Gegen Abend entschloss sich Patrick Kreutzfeld, der Steuermann der PRIDE OF EMDEN, dazu, mit dem Staatsanwalt zu reden. Er belastete Martensteen stark, woraufhin auch Kapitän Rudolf Jordan seine starre Haltung aufgab, den von Martensteen bezahlten Anwalt in die Wüste schickte und unseren Kollegen gegenüber umfassend aussagte.

Dabei belastete auch er Martensteen stark.

Alles sah danach aus, dass der Fall juristisch erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Entsprechend zufrieden fuhren Jan und ich am Abend nach Hause. Bevor ich Jan an der bekannten Ecke absetzte, aßen wir noch einen Fischbrötchen in einem Fisch-Imbiss am Delft.

„Dieser Martensteen ist schon ziemlich weit oben in der Müll-Mafia anzusiedeln“, meinte Jan. „So schnell wird sich die von diesem Schlag nicht erholen!“

„Jedenfalls gehört dieser Martensteen einer Gewichtsklasse von Gangstern an, an die wir normalerweise selten herankommen“, meinte ich.

„Die Weiße-Kragen-Abteilung der Bosse.“

„So ist es.“

„Umso besser, dass seine Chancen ausgesprochen schlecht stehen, ungeschoren davonzukommen. Und wer weiß, vielleicht zieht er bei seinem Fall ein paar Leute mit in den Abgrund, die noch über ihm stehen.“

Ich nickte. „Es ist immer nur ein Etappensieg, den man im Kampf gegen das organisierte Verbrechen erringen kann“, sagte ich und Jan stimmte mir zu.

Am nächsten Morgen regnete es in Strömen, als ich Jan an der bekannten Ecke abholte und wir zu unserer Dienststelle kamen. Auf dem Flur lief uns Tadaeus Ulfert über den Weg. „Der PRIDE OF EMDEN-Fall hat sich vollkommen gedreht“, meinte er im Vorübergehen. „Der Chef hat in fünf Minuten zur Besprechung geladen. Ihr sollt auch dabei sein!“

„Vollkommen gedreht?“, echote ich, aber Tadaeus hatte es furchtbar eilig und offenbar vor der Besprechung noch dringend etwas zu erledigen.

Als wir im Besprechungszimmer unseres Vorgesetzten Jonathan D. Menninga eintrafen, waren unsere Kollegen Kilian Carstensen und Johnny Volkert schon anwesend.

Herr Menninga stand hinter seinem Schreibtisch. Der Chef der Emder Kriminalpolizei telefonierte gerade und sagte zweimal kurz hintereinander etwas angestrengt: „Ja, in Ordnung.“

Wir nahmen Platz. Unsere Erkennungsdienstler Wilko Folder und Fokke Horster trafen ein. Die Sekretärin unseres Chefs servierte ihren berühmten Ostfriesentee.

Herr Menninga legte auf. „Das war Kommissar Jensen von der Bremer Polizei“, erklärte er. „Ich werde Ihnen gleich erklären, was es mit diesem Anruf auf sich hat... Aber zunächst möchte ich noch abwarten, bis...“ Herr Menninga sprach nicht weiter, denn in diesem Augenblick betrat Tadaeus Ulfert den Raum.

„Wo bleibt Herr Haase?“

„Gerade eingetroffen. Sie wissen ja, was im Moment auf den Straßen los ist.“

Ich nippte an meinem Tee. 

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann begann Herr Menninga, die Zeit damit zu nutzen, dass er uns über den aktuellen Stand der Ermittlungen gegen die an Bord der PRIDE OF EMDEN Festgenommenen informierte.

Inzwischen traf Tom Haase vom Erkennungsdienst ein.

Herr Menninga nickte ihm kurz zu. Noch ehe sich Haase gesetzt hatte, sagte unser Chef: „Unsere Leute haben bei der genaueren Untersuchung der Giftfässer an Bord der PRIDE OF EMDEN einige interessante Entdeckungen gemacht, die ein völlig neues Licht auf den Fall werfen. Herr Haase, Sie haben das Wort.“

„Danke, Herr Menninga“, sagte Haase. Er ließ kurz den Blick durch den Raum schweifen. „Ich will Sie nicht damit langweilen, welche extrem giftigen Chemikalien wir im Einzelnen in den Fässern gefunden haben. Es handelt sich dabei aber durchweg um stark ätzende Säuren, die bei verschiedenen Industrieprozessen entstehen. Aber so stark eine Säure auch sein mag, es gibt Dinge, die selbst der zersetzenden Kraft der stärksten Säure widerstehen können. Insbesondere sind das polymere Kunststoffe, deren lange Molekülketten eine Zersetzung nahezu unmöglich machen. Der bekannteste dieser Stoffe dürfte das Polyvinylchlorid sein – kurz PVC. Eine ähnliche Struktur haben Silikone, wie sie für Brustimplantate, aber auch für den Korrosionsschutz von Leitungssystemen oder auch zum Schutz von Implantaten aller Art vor Zersetzung verwendet werden, denn auch der menschliche Körper produziert hochaggressive Säuren, die auf die Dauer selbst Knie- und Hüftimplantate aus Titan zersetzen würden. Von empfindlichen Herzschrittmachern mal ganz  abgesehen!“ Haase atmete tief durch und fuhr dann fort: „Wir haben in einem der Fässer ein Brustimplantat gefunden, an dem sich nur noch geringfügige DNA-Reste befanden. Der Körper der Trägerin ist vollständig zersetzt worden, aber anhand der Seriennummer konnten wir die Klinik und die Trägerin des Implantats herausfinden. Es handelt sich um  Norma Jeremies aus Bremen, die seit fünf Jahren vermisst wird. Sie war Ende zwanzig, rothaarig, zierlich.  Sie passt in das Opferprofil eines bisher unbekannten Serientäters, dem wir mindestens fünf Frauenmorde  zur Last legen.“

„Ein Serientäter, der seine Leichen in Giftfässern entsorgt hat?“, fragte Kilian zweifelnd.

Tom Haase nickte.

„Daran, dass die vermisste Norma Jeremies in dem Säurefass an Bord der PRIDE OF EMDEN war, gibt es keinen Zweifel. Der Körper war in Anbetracht der Säurekonzentration wahrscheinlich nach wenigen Wochen vollkommen zersetzt. Das Skelett ist dann nach spätestens drei Monaten völlig aufgelöst gewesen. Eine chemische Feinanalyse wird da kaum noch genauere Erkenntnisse bringen. Der menschliche Körper besteht zu 70 Prozent aus Wasser, das später von dem Wasser, in dem die Säue gelöst war, nicht mehr zu unterscheiden war. Knochen und Zähne brauchen etwas länger bis sie aufgelöst werden, aber letztlich blieb nur das Brustimplantat.“

„Besteht irgendein Anlass, darüber nachzudenken, ob der Mord an Norma Jeremies vielleicht im Zusammenhang mit einer Verwicklung in Machenschaften der Müll-Mafia geschah?“, fragte Herr Menninga.

„Ich habe bereits eine Schnellabfrage ans BKA gestartet“, mischte sich unser Kollege Kommissar Tadaeus Ulfert ein. „Es gibt kein Indiz, das darauf hindeutet. Norma Jeremies arbeitete für eine Lokalzeitung, den Bremer Anzeiger. Ihr Alltag dürften Berichte über den örtlichen Kaninchenzüchterverein, und die Unfälle  der Umgebung gewesen sein.“

„Das ist noch nicht alles“, fuhr Haase fort. „Wir haben natürlich auch die anderen Fässer untersucht. Dabei sind wir auf weitere menschliche Überreste gestoßen, die möglicherweise von Opfern des Serientäters stammen. Es handelt sich um einen Goldzahn und ein halb zersetztes Knochenfragment. Da beides in unterschiedlichen Fässern sichergestellt wurde, nehmen wir an, dass es sich um zwei verschiedene Opfer handelte, die wir bislang allerdings noch nicht die identifizieren konnten.“

„Wir werden alle vermissten Personen, die ins Raster passen mit den Spuren abgleichen“, erklärte Tadaeus Ulfert „In Frage kommt bisher Nancy Kratzenberg, seit vier Jahren vermisst, rothaarig, zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 24 Jahre alt und von Beruf Bedienung in einem Schnellimbiss  in Bremen.“

Herr Menninga wandte sich an Jan und mich. „Ich möchte, dass Sie und Jan sich nach Bremen begeben und der Sache auf den Grund gehen“, erklärte er. „Ich habe vorhin mit den zuständigen Kollegen dort gesprochen. Die Bremer Polizei wird Sie in jeder Hinsicht unterstützen. Kann sein, dass dies nur ein Zufallsfund ist, der mit den Ermittlungen gegen Hinnerk Martensteen und die Müll-Mafia nicht das Geringste zu tun hat. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass hier möglicherweise ein gefährlicher Serientäter am Werk war, der noch immer aktiv sein könnte!“

„Es wäre gut, wenn wir wüssten, von wo genau die Giftfässer stammten“, sagte ich.

„Daran arbeiten wir“, erklärte Tom Haase.

„Insofern haben beide Fälle schon etwas miteinander zu tun, denn Martensteen hat uns bisher nicht verraten, wessen Müll er mit Hilfe der PRIDE OF EMDEN entsorgen wollte“, ergänzte Tadaeus Ulfert. „Aber das Auffinden des Brustimplantats gibt uns natürlich einen Hinweis in Richtung Bremen.“

„Fand nicht auch Henning Martinis letzter Auftragsmord in der Nähe von Bremen statt?“, fragte ich an Tadaeus gerichtet.

Unser Kollege nickte. „Das stimmt.“

​  9

Der Mann mit dem Goldkreuz auf der Brust nahm sein Glas und machte zwei Schritte nach vorn. Er fixierte mit seinem Blick die Frau Mitte zwanzig, deren rot gelockte Mähne bis weit auf den Rücken hinabreichte. Sie rührte lustlos mit dem Trinkhalm in ihrem Drink herum. Giftgrün war der Drink, eine Spezialität von Anselm dem Barkeeper. Es gab sicher nicht wenige, die Anselms Drinks wegen in Mäckis Bar kamen. Aber die Rothaarige machte den Eindruck, als wüsste sie die Qualität ihres Drinks heute nicht zu schätzen. 

Der Mann mit dem Kreuz auf der Brust setzte sich auf den Hocker neben ihr und stellte sein eigenes Glas auf den Tresen.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte der Mann mit dem Kreuz. Sie ignorierte ihn zunächst.

Aber das ließ der Mann mit dem Kreuz nicht gelten. Er wiederholte seine Frage einfach – diesmal etwas lauter, sodass sich einige der anderen Gäste schon umdrehten.

Die Rothaarige drehte sich nun zu ihm herum und blickte auf. „Das haben Sie doch schon getan“, sagte sie. Sie musterte ihn. Ihr Urteil stand nach ein paar Sekundenbruchteilen fest. Das war niemand, mit dem sie sich länger beschäftigen wollte. Aber er ließ sich nicht so schnell einschüchtern.

„Mein Name ist Benny“, sagte er.

„Ach!“

„Und wenn Sie nicht schon einen Drink hätten, würde ich Ihnen einen ausgeben.“

„Danke, aber das möchte ich nun wirklich nicht.“

„Wieso? Was ist schon dabei? Nur ein Drink.“

Ihre Stimme bekam jetzt einen ziemlich genervten Tonfall. „Hören Sie, Herr, ich...“

„Sie heißen Rabea, nicht wahr?“, unterbrach er sie. Er lächelte dabei auf eine Weise, die ihr nicht gefiel. Es war ein Lächeln, das mehr vom Triumph eines Raubtiers hatte, als dass es als Zeichen einfacher Freundlichkeit hätte durchgehen können. Sein Blick fixierte sie. Er schien ihre Verwirrung zu genießen.

Die Rothaarige sah ihn erstaunt an. „Woher wissen Sie das?“, fragte sie kühl.

„Ich bin öfter hier. Und Sie auch. Das erklärt doch einiges.“

„Das erklärt gar nichts.“

„Offenbar haben Sie mich noch nie bemerkt, aber ich konnte nicht umhin einige der Gespräche mit anzuhören, die Sie an dieser Bar geführt haben.“

„Sie belauschen also gerne andere Leute. Na großartig!“

„Rabea Frerich. Das stimmt doch oder? So heißen Sie doch!“

Sie schluckte. Eine tiefe Furche bildete sich auf ihrer ansonsten vollkommen glatten Stirn. Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. Die Situation drohte ihr zu entgleiten und sie wollte im Moment eigentlich nur noch eins: In Ruhe gelassen werden.

„Hören Sie, Herr...“

Seine makellosen Zähne blitzten auf, als er den Mund breit zog. „Nennen Sie mich Benny. Das klingt nicht so unpersönlich.“

„Nein!“, sagte sie entschieden.

„Bitte!“

Er nahm einen Schluck. Dann noch einen. Schließlich stellte er das leere Glas auf den Tresen und bestellte bei Anselm noch einen Drink, der sich Schwarzer Friesenteufel nannte und zu Rabeas Erstaunen tatsächlich vollkommen schwarz war, nachdem der Barkeeper ein halbes Dutzend verschiedener Zutaten zusammengemixt hatte. 

„Benny, ich hatte einen anstrengenden Tag und mir steht nun wirklich nicht der Sinn nach Unterhaltung. Also betrachten Sie es nicht als unhöflich, wenn ich Ihnen sage, dass ich am liebsten einfach meinen Drink nehmen und in Ruhe gelassen werden würde.“

„Ihre Arbeit bei der Norddeutschen Total-Versicherung ist mit Sicherheit nicht einfach“, sagt Benny. „Und das Betriebsklima soll ja ziemlich schlecht sein, seit Ihre Abteilung von Frauke Closkey geleitet wird.“ 

Rabea sah Benny völlig entgeistert an. Sie wurde blass. „Woher wissen Sie das alles?“

„Spielt das eine Rolle?“

„Natürlich!“

Benny lachte. Ein stiller Triumph stand in seinem Gesicht, dessen Ausdruck für sie jetzt fast unerträglich wurde. Er nippte an seinem Drink. Dann verzog er das Gesicht. „Stimmt etwas nicht? Oh, ich vergaß: Natürlich werde ich niemandem etwas davon erzählen, dass die Norddeutsche Total-Versicherung demnächst wahrscheinlich hundertfünfzig Mitarbeiter entlassen wird. Das soll ja noch unter der Decke gehalten werden, damit die Belegschaft ruhig bleibt. Aber bei Ihnen in den Bürogängen brodelt doch längst die Gerüchteküche und viele fragen sich, ob es nicht viel mehr sein werden, die man später auf die Straße setzt.“

„Jetzt reicht es“, sagte Rabea, langte nach ihrer Handtasche und legte etwas Geld auf den Tresen. Als Anselm zu ihr hinüberblickte, sagte sie: „Der Rest ist für Sie, Anselm.“

„Danke“, nickte er ihr zu und ließ sich dadurch aber nicht aus der Ruhe bringen. Mit geübten, fast automatisch wirkenden Bewegungen vollendete er zunächst den Drink, den er gerade zusammenmixte.

Die Besonderheit waren die schwimmenden Früchte an der Oberfläche.

Rabea drehte sich in Richtung Tür um.

Benny spielte mit dem Kreuz an seinem Hals herum. „Es ist ja auch unter diesen Bedingungen nicht so einfach, ein gutes Betriebsklima aufrecht zu erhalten“, sagte er dann so laut, dass mehrere der anderen Gäste zu ihm hinüberschauten. Rabea blieb stehen. Sie atmete tief durch. Ihr Gesicht war dunkelrot angelaufen.

Schließlich drehte sie sich wieder um und fragte: „Was wollen Sie eigentlich von mir und wer schickt Sie? Habe ich Sie schon mal bei der Norddeutschen Total-Versicherung gesehen? Arbeiten  Sie auch dort? Fängt die Geschäftsleitung inzwischen schon damit an, Mitarbeiter auszuspionieren und nach Schwachstellen im Privatbereich zu suchen, damit man jemanden mit besserem Gewissen entlassen kann?“

„Nein, nein, Sie haben mich völlig missverstanden, Rabea. Wirklich! Ich wollte mich nur mit Ihnen unterhalten. Und was ich über Sie weiß, dass habe ich tatsächlich nur aus Unterhaltungen, die Sie in den letzten drei Wochen in dieser Bar geführt haben. Es tut mir leid, aber da ich fand, dass Sie eine interessante Frau sind, konnte ich einfach nicht anders, als Ihnen zuzuhören und an Ihren Lippen zu hängen.“ Er lächelte matt und wirkte etwas verlegen. „Kommen Sie, nehmen Sie einen Drink mit mir, dann werden sich alle Missverständnisse sicherlich klären lassen.“

Die Zornesfalte auf ihrer Stirn trat etwas weniger deutlich hervor.

Benny sah seine Chance. Er trat einen Schritt auf sie zu und griff sich an das Kreuz, das ihm an einem Goldkettchen um den Hals hing. Er legte offenbar viel Wert darauf, dass man es auch sah, denn die obersten drei Hemdknöpfe trug er offen. „Sehen Sie das hier, Rabea? Die meisten fragen mich früher oder später, was das zu bedeuten hat. Es ist ein Kreuz, aber wenn Sie genau hinsehen, dann können Sie erkennen, dass das obere Ende länger ist. Ein umgedrehtes Kreuz also – das Symbol dafür, dass es keineswegs so ist, dass Jesus die Welt erlöst hat. Ganz im Gegenteil! Satan herrscht und das Böse breitet sich überall aus. Es ist einfach eine Tatsache... Satan hat sein Gespinst über die gesamte Welt gelegt und Sie sind genauso ein Teil davon wie ich oder die Menschen, denen Sie bei der Norddeutschen Total-Versicherung begegnen...“

Rabea wandte sich in Anselms Richtung.

„Wenn ich gewusst hätte, dass Sie hier solche Spinner dulden, hätte ich Ihre Bar niemals betreten, Anselm!“, stieß sie hervor.

Sie drehte sich um und ging.

Die Tür fiel ins Schloss.

Benny wollte hinter ihr her, aber Anselms Stimme hielt ihn ab.

„Sie haben Ihren Drink noch nicht bezahlt“, stellte der Barkeeper fest. Benny kramte umständlich und sichtlich genervt sein Portemonnaie hervor und legte schließlich das Geld auf den Tisch.

„Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee ist, wenn Sie der Dame folgen wollen“, meinte Anselm.

„Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Mist.“

„Und ich meine es ganz ernst. Lassen Sie sie am besten in Ruhe. Sie hat Ihnen doch deutlich gezeigt, dass sie nichts mit Ihnen anfangen kann.“

Benny deutete auf den noch nicht einmal zu einem Drittel leer getrunkenen Schwarzen Friesenteufel. „Ihre Drinks sind lausig, Anselm. Vielleicht hat Ihnen das noch niemand gesagt, aber es ist so!“

​  10

Es war dunkel und Rabea schmerzten die Füße, als sie zwei Minuten später von Mäckis Bar in die Hans-Sachs-Straße einbog, um zu ihrem Wagen zu gelangen, den sie dort abgestellt hatte. Eigentlich hätte sie lieber eines der Parkhäuser im Zentralbereich von Bremen benutzt, aber erstens hatte sie Angst, dort überfallen zu werden und zweitens wurde eines davon im Moment gerade generalüberholt und fiel daher auf Grund der anfallenden Arbeiten komplett aus, was leider zur Folge hatte, dass in ganz Bremen Parkraum im Moment extrem knapp war.

Ihre Schritte waren recht eilig. Sie hatte noch das Gesicht von diesem aufdringlichen Benny mit seinem seltsamen Kreuz vor Augen. Das Letzte, was sie sich an diesem Abend gewünscht hätte, war ein Typ wie dieser Mann, der sie aufdringlich anquatschte und ihr dann auch noch seine etwas absonderlichen Ansichten über Gott und die Welt aufzudrängen versuchte.

Nein, nicht Gott und die Welt!, korrigierte sie sich. Gott und den Teufel... Im Nachhinein fröstelte es ihr immer noch bei dem Gedanken an die letzten Worte dieses Mannes, die so düster und abgedreht gewesen waren, dass Rabea immer noch das kalte Grausen überkam, wenn sie nur daran dachte.

Plötzlich glaubte Rabea, Schritte hinter sich zu hören. Nein, das darf doch nicht wahr sein!, ging es ihr aufgewühlt  durch den Kopf. Sie blieb stehen und drehte sich um. Aber da war niemand. Für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, einen flüchtigen Schatten erkennen zu können, der in eine  Hausnische huschte und dort verschwand.

Bilde ich mir jetzt vielleicht schon etwas ein?, ging es ihr durch den Kopf.

Es gab Zeiten, da waren ihre Nerven extrem angespannt und sie hatte dann manchmal das Gefühl, Gespenster zu sehen. Jede Kleinigkeit erschien ihr dann verdächtig und sie stellte sich dann immer vor, wo die Personen in ihrer Umgebung wohl Waffen verborgen haben mochten.

Vor einem Jahr war sie überfallen worden.

In einem der Parkhäuser von Bremen war das geschehen. Seitdem mied sie Parkhäuser im Allgemeinen und stellte ihren Wagen nur noch unter freiem Himmel ab. Eine Psychotherapie, die sie nach dem Vorfall angefangen hatte, hatte sie nach einem halben Jahr ergebnislos abgebrochen.

Seitdem versuchte sie, mit den Dämonen ihrer Ängste selbst fertig zu werden. Die meiste Zeit über fand sie, dass sie das auf eine ganz passable Weise hinbekam.

Nur manchmal schien das fragile Kartenhaus ihrer Selbstgewissheit schon bei dem geringsten Anlass in sich zusammenzustürzen.

Das Auftreten jenes Mannes, der sich selbst Benny genannt hatte, war dazu Anlass genug gewesen.

Rabea ließ den Blick die Häuserzeilen entlang schweifen.

Da ist nichts!, sagte sie sich. Nichts und niemand!

Sie drehte sich um und ging die letzten Meter bis zu ihrem Wagen.

Als sie den Schlüssel hervorholte, um ihn in das Schloss der Fahrertür zu stecken, bemerkte sie, wie ihre Hände zitterten.

Dann setzte sie sich hinter das Steuer.

An der Seite tauchte ein Schatten auf und verdeckte den Schein der Straßenlaterne.

Rabea fuhr in sich zusammen und wollte die Zentralverrieglung betätigen, aber es war zu spät. Die Beifahrertür war schon offen.

Das Gesicht der schattenhaften Gestalt war nicht zu sehen.

Ehe sie noch etwas tun konnte, langte ein Arm zu ihr hinüber. Das Zischen eines Elektro-Schockers ertönte. Kleine Fingerlange bläuliche Stromblitze zuckten in der Dunkelheit und im nächsten Augenblick durchfuhr sie ein höllischer Schmerz. Ihr gesamter Körper krampfte sich zusammen. Einen Moment später wurde ihr schwarz vor Augen.

​  11

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